Zum Inhalt der Seite

Mesmerize Me!

The Play of Snake and Lion
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Dieses Kapitel enthält zum Teil sehr verstörende Inhalte. Seid also gewarnt! Komplett anzeigen

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Erschreckende Wahrheit

„Meine Hoffnungen schwinden! Auf einen groben Klotz setzen wir einen groben Keil – den Terror bekämpfen wir mit Terror – und den Gotteswahn mit Wahnvorstellungen.“
 

Georg Skrypzak, Restaurator und Aphoristiker
 

Nach einer ausgiebigen Dusche hatte Sam sich noch eine halbe Stunde ausgeruht, bevor er wieder zu seinem Vorhaben zurückkehrte, nach dem passenden Schloss für seinen geheimnisvollen Schlüssel zu suchen. Nachdem Araphel ihm zugesichert hatte, dass er Lawrence warnen lassen würde, konnte er ja erst mal beruhigt sein und sich um andere Dinge Gedanken machen. Um sicherzugehen, dass er dieses Mal ungestört sein würde, wartete er bis nach dem Abendessen, bevor er sich ans Werk machte. Da er zuvor schon große Vorarbeit geleistet hatte, dauerte seine Suche dieses Mal nicht ganz so lang und tatsächlich hatte er nach einer Viertelstunde eine Tür im Ostflügel gefunden, die abgeschlossen war und genau zu seinem Schlüssel passte. Es war eine recht unscheinbare Tür, die so aussah wie jede andere auch. Neugierig, was sich dahinter verbarg, schloss Sam sie auf und betrat den Raum. Zuerst rechnete er natürlich mit einer Art Büro mit vielen interessanten Akten und Dokumenten, doch stattdessen fand man hier ein Zimmer. Es war sehr schön und gemütlich eingerichtet und man sah sofort, dass hier eine junge Frau wohnen musste. Die Wände waren in einer sehr hellen Farbe gestrichen und auch die Einrichtung war sehr liebevoll gewählt worden. Auf dem Bett lag sogar ein Teddybär. In einem Regal fanden sich Bücher. Meist lustige Romanzen und auch bekannte Bestseller. In einem unteren Regalfach waren Fotos aufgereiht. Fotos, die ein hübsches Mädchen von 20 Jahren zeigte, welches fröhlich in die Kamera lächelte und lange blonde Haare und eisblaue Augen hatte. Sie war sehr schön und strahlte etwas Warmherziges und Munteres aus. Bei sich hatte sie einen knapp 27-jährigen jungen Mann, der eindeutig Araphel war und einen älteren Mann, den Sam als Stephen Mason erkannte. Dann war das also Ahava Mason, Araphels Schwester.

Es war wirklich erstaunlich, wie verschieden die beiden waren. Wie Tag und Nacht. Es gab sehr viele Bilder mit ihr und Araphel. Und man konnte wirklich sehen, wie nah sie sich gestanden hatten. Sie wirkten fast unzertrennlich. Aber dann gab es auch Fotos, wo Ahava mit jemand anderem zu sehen war. Ein groß gewachsener junger Mann mit blonden Haaren, die er ordentlich zurückgekämmt hatte. Überall hätte Sam dieses Gesicht wiedererkannt. Das war Lawrence… sein Bruder.

Entsetzt wich er vor dem Foto zurück und konnte es nicht glauben. Es stimmte also wirklich. Lawrence hatte tatsächlich eine Beziehung mit Ahava geführt. Morphius und Araphel hatten wirklich die Wahrheit gesagt. Das konnte doch nicht wahr sein. Wieso war Lawrence damals mit Ahava zusammen, ohne irgendjemandem ein Wort zu erzählen? Fassungslos starrte er auf das Foto, auf welchem die beiden in trauter Zweisamkeit zu sehen waren. Was war nur in Lawrence gefahren, dass er so etwas tat und Araphels Schwester verführte und dann an die Yanjingshe verkaufte? Das konnte doch alles nicht wahr sein…

Sam begann nun den Rest des Zimmers unter die Lupe zu nehmen, um nach mehr Antworten zu suchen. Dabei sah er auch einen Rollstuhl in einer Ecke stehen, was ihn schon verwunderte, denn Ahava hatte auf den Fotos nicht danach ausgesehen, als wäre sie querschnittsgelähmt. Eine Theorie war, dass sie eventuell einen Unfall gehabt hatte oder… hier musste er wieder an Asha denken.
 

„Das passiert, wenn man in die Fänge der falschen Mafia gerät.“
 

Eine schlimme Vorahnung überkam ihn und ihm drehte sich der Magen um. Allein der Gedanke an das, was Ahava eventuell passiert sein konnte, war schrecklich genug. Schnell verdrängte er diesen Gedanken wieder und suchte weiter. Dabei fand er schließlich in der Schreibtischschublade ein Tagebuch, welches zwar ein kleines Vorhängeschloss hatte, allerdings lag der Schlüssel praktischerweise direkt daneben. So konnte Sam das Schloss öffnen und einen Blick in das Tagebuch werfen. Wie sich herausstellte, hatte Ahava wirklich jeden Tag Tagebuch geführt und alles aufgeschrieben. Selbst recht belanglose Dinge waren aufgeschrieben worden und jeden einzelnen Gedanken hatte sie festgehalten. Sam las ihre Einträge, die davon erzählten, wie sie sich um ihren Bruder sorgte, der immer so viel arbeitete und dass sie mit Gewissensbissen kämpfte, weil sie ihn mit der Arbeit alleine ließ, weil sie mit der Mafia nichts zu tun haben wollte. Man konnte deutlich lesen, wie nah sich die beiden Geschwister gestanden hatten, denn sie schrieb sehr viel von Araphel, über ihre Adoptiveltern weniger. Aber zwischendurch schrieb sie auch über Lawrence, schwärmte regelrecht von ihm und erzählte, wie sie gemeinsame Nachmittage miteinander verbracht hatten, er sie oft von der Uni abgeholt und mit ihr was unternommen hatte. Wie es zwischen ihr und ihrer Familie zum Streit gekommen war, weil sie sich in einen Polizisten verliebt hatte. Doch davon hatte sie sich auch nicht beirren lassen und war mit ihm zusammen geblieben. Und dann, als er eine weitere Seite umblätterte, da tauchte plötzlich ein Bild auf. Kein Foto in dem Sinne, sondern eine Ultraschallaufnahme. Sam war, als würde sich ein Abgrund unter seinen Füßen auftun, als er erkannte, was das bedeutete: Ahava war schwanger gewesen… von Lawrence.

„Großer Gott…“, murmelte er leise und starrte fassungslos auf das Ultraschallbild. Ob Araphel gewusst hatte, dass seine Schwester schwanger war, als sie starb? Und hatte Lawrence irgendwelche Kenntnisse davon gehabt? Sam blätterte weiter, doch nach zwei Seiten endeten die Einträge. Knapp eineinhalb Monate fehlten und danach hatte Ahava nichts mehr geschrieben. Stattdessen hatte sie etwas gezeichnet, nämlich Augen. Unzählige weinende Augen, die die nächsten sieben Seiten ausfüllten. Ein Anblick, der fast schon verstörend war. Sam ahnte, dass die leeren Seiten den Zeitraum ihrer Entführung beinhalten mussten. Doch hatte Araphel nicht gesagt, dass die Yanjingshe Ahava ermordet hätte? Wieso hatte sie dann diese Augen in ihr Tagebuch gemalt? Nun, vermutlich hatte Araphel sie befreien können und Ahava hatte, belastet durch ihre Traumata, daraufhin diese unheimlichen Zeichnungen angefertigt. Und dann hatte die Yanjingshe sie wohl aufgespürt und getötet.

Sam blätterte weiter, doch da waren keine Augen mehr. Stattdessen hatte Ahava die Seiten mit einem Permanentmarker die Seiten schwarz gefärbt. Seite um Seite in ihrem Tagebuch. Sie hatte rein gar nichts mehr geschrieben, nur noch die Seiten geschwärzt, bis zur letzten Seite.

Dieser zweite Teil des Tagebuchs nach dieser langen Pause war wirklich verstörend. Das hatte nichts mehr mit der lebensfrohen und fürsorglichen Pädagogikstudentin zu tun. Es war so, als hätte etwas sie seelisch gebrochen. Doch was genau hatte Ahava erleben müssen, dass sie seelisch so gebrochen war?

„Beunruhigend, nicht wahr?“

Erschrocken durch die plötzliche Stimme drehte sich Sam um und sah Morphius, der gerade ins Zimmer kam. Wie immer rauchte er gerade eine Zigarette und sein mürrischer Katzenblick strahlte eine Spur Zynismus und Missmutigkeit aus, was aber recht täuschte. „Morph… was genau ist mit Ahava passiert?“

„Dasselbe, was Christine, Asha und Yin zugestoßen ist. Ist dir der Begriff Deep Web geläufig?“

„Ich hab davon gehört. Dort soll es teilweise viele illegale Foren über Vergewaltigungen, Morden, Pädophilie und sogar Sexsklavenhandel geben, weil es unglaublich schwer ist, diese Seiten zu finden.“

Der Informant nickte und nahm einen tiefen Zug von seiner Zigarette. Sein Gesichtsausdruck wurde sehr ernst.

„Es gibt da eine Organisation, die sich Slave Shipping Services nennt. Gekürzt nennt man sie auch S.S.S. Wie der Name schon sagt, handelt es sich um eine Organisation, die Menschen verschleppt und als Sexsklaven ins Ausland verkauft. China, Thailand, Russland… es sind viele Länder betroffen und der Service betreibt auch eine Seite im Deep Web, die sich Slaves Who Can’t Run nennt. Seit 1991 haben sie bereits 700.000 Menschen als Sexsklaven verkauft. Jedes Jahr rund 21.000 Kinder.“

Jegliche Farbe wich aus Sams Gesicht, als er das hörte. So langsam begriff er nun, was das alles zu bedeuten hatte, doch glauben konnte er es nicht. Das ging weit über sein Fassungsvermögen hinaus und allein der Gedanke daran, dass es so etwas geben könnte, war abscheulich. Doch dann holte Morphius etwas hervor. Es war ein Ausdruck von einer Internetseite, die eine blonde Frau in schwarzer Unterwäsche zeigte, die auf einer Arztliege lag und keine Beine mehr hatte. Ein Mann, dessen Gesicht nicht auf dem Foto war und der einen weißen Kittel trug, stand neben ihr. Auf dem Ausdruck stand:
 

Willkommen bei der führenden Deep Web Seite für Sexsklaven. Sie können nicht laufen! Sie gehören immer Ihnen!

Die Preise lauten wie folgt:

Keine Beine: 4BTC

Zusätzliche Armamputation: 6BTC
 

16-jährige und jünger: 10BTC

Stimmbandentfernung: 0,5BTC
 

Und darunter war noch ein Bild und dieses würde Sam seinen Lebtag nicht vergessen. Es zeigte ein verängstigtes Mädchen, dem das linke Bein fehlte und welches mit einem verstörten Blick in die Kamera sah. Und neben dem Bild standen folgende Daten:
 

Alter: 9 Jahre

Amputationsstatus: Ein fehlendes Bein

Anmerkungen: Weitere Operationen evtl. geplant, um das rechte Bein zu entfernen.
 

Wenn Sie jetzt bestellen, amputieren wir für Sie zusätzlich die Arme.
 

Weitere Angebote:
 

Unter 16 (5,987)

16 – 20 (2,110)

21 – 40 (300)
 

Dem 28-jährigen wurde schlecht und mit Mühe konnte er sich zusammenreißen, doch dieses entsetzliche Bild von dem verängstigten kleinen Mädchen auf dem Bild wollte ihn nicht mehr loslassen.

„Wie… wie kann so etwas existieren, ohne dass die Polizei etwas dagegen unternimmt?“

„Weil das Profis sind“, erklärte Morphius und steckte die Bilder wieder ein. „Der Slave Shipping Service vertreibt eine eigene Software und um überhaupt dorthin zu kommen, braucht es einen tausendstelligen Link ohne Punkt. Und selbst mit normalem Geld wird nicht bezahlt, sondern mit so genannten Bitcoins, mit denen sämtliche illegalen Geschäfte betrieben werden, damit man es nicht zurückverfolgen kann. Das heißt: es ist unfassbar schwer, überhaupt an die Seite zu kommen. Meistens werden auf so genannten Onion Seiten die Links zu Seiten oder Videos gepostet. Teilweise posten die Leute auch Fotos über Tierquälerei. Das alles ist so weit verzweigt und kann nicht mit einer gewöhnlichen Suchmaschine gefunden werden. Es ist also fast unmöglich, die Betreiber der Seite aufzuspüren, weil sie ihre Spuren sehr gut verwischen und selbst sperren lassen sie sich nicht auf Dauer, weil es eben über eine eigene Software läuft. Inzwischen habe ich aber herausfinden können, dass die Yanjingshe zu den Hauptverantwortlichen gehört und auch den Vertrieb über amputierte Sexsklaven kontrolliert. Das heißt also: die Yanjingshe entführt Kinder aus aller Welt, größtenteils aber aus Asien, lässt ihnen von einem eigenen Ärzteteam die Gliedmaßen amputieren und gegen Aufpreis die Stimmbänder entfernen und verkauft sie dann. Christine, Yin und Asha sind ebenfalls Opfer dieser perversen Machenschaften geworden. Und letztendlich auch Ahava. Als die Yanjingshe sie entführte, amputierten sie ihr die Beine und den Rest kannst du dir vorstellen. Ahava wurde mehrfach als Sexsklavin versteigert und ist durch die Hölle gegangen. Araphel wurde ebenfalls von Shen gefangen gehalten, allerdings blieb er von der Prozedur verschont und wurde stattdessen gefoltert und genauso wie Ahava, Christine und die anderen als Ware der Yanjingshe gebrandmarkt. Es gelang ihm zwar, sich zu befreien und mit der Unterstützung der Mason-Familie eines der so genannten „Warenhäuser“ hochzunehmen und Ahava zu befreien, aber er hat nicht verhindern können, dass man ihr diese Dinge antat. Er holte sie wieder nach Hause, nahm Christine und die anderen mit sich und ließ sie in der Villa wohnen, wahrscheinlich weil er das Gefühl hatte, er müsse eine Schuld wieder gut machen, weil er nicht rechtzeitig gekommen war, um das Schlimmste zu verhindern. Er kümmerte sich Tag und Nacht um seine Schwester und versuchte alles, um sie wieder aufzubauen und ihr wieder Kraft zu geben. Doch er zerbrach innerlich selbst fast daran, als er erkannte, dass er seiner Schwester nicht helfen konnte. Sie redete nicht, sie aß und trank nicht, sie reagierte auf rein gar nichts mehr und wirkte mehr wie eine Puppe, als ein lebender Mensch. Sie war eigentlich schon längst tot, als er sie da rausholte. Und dann, als er beschloss, mit ihr ans Meer zu fahren, damit sie auf die Weise vielleicht wieder ins Leben finden konnte, da mobilisierte Ahava ihre letzte Willenskraft, nahm sich die Pistole ihres Bruders aus dem Safe und erschoss sich selbst, als er gerade außer Haus war.“

Der Abgrund unter Sam schien sich noch tiefer und schwärzer zu werden. Er hatte zwar einige schlimme Details erwartet, aber so etwas… Allein der Gedanke daran, dass Kindern Gliedmaßen amputiert wurden und man sie dann als Sexsklaven verkaufte, so etwas hätte er sich nicht einmal in seinen schlimmsten Alpträumen ausgemalt. Das war ein einziger verstörender Horror. Und nun begriff er das wahre Ausmaß dieser ganzen Fehde und welche Motivation Araphel vorantrieb. Er wollte eine Mafia-Familie aufbauen, die mächtig genug war, um diesen Wahnsinn zu beenden, wenn es schon die Polizei nicht vermochte, weil sie entweder unfähig oder korrupt war. Er wollte Rache an jenen nehmen, die seine Schwester gebrochen und in den Selbstmord getrieben hatten und die Yanjingshe zerschlagen, die maßgeblich an diesem abartigen Sklavenhandel beteiligt war und den Slave Shipping Service unterstützte und Kinder verstümmeln ließ. Solange er nicht in der festen Gewissheit war, dass diese kranken Geschäfte beendet hatte, würde er niemals seinen seelischen Frieden finden. Er würde immer und immer wieder das Bild seiner Schwester vor Augen haben, die beide Beine verloren hatte und mehrfach vergewaltigt worden war, bis sie nur noch eine leere Hülle war. Und nun verstand er auch, warum Christine so geworden war. Sie war das kleine Mädchen auf dem Foto. Ihre ganze Kindheit hatte sie in den Fängen dieser Organisation verbringen müssen und um überhaupt noch damit irgendwie weiterleben zu können, hatte sie damit begonnen, ihre Erinnerungen zu verdrängen und sich Lügenmärchen auszudenken, die sie selbst zu glauben begann. Es war der einzige Weg für sie gewesen, um nicht verrückt zu werden.

„Sind… sind alle hier in diesem Haus Opfer dieser Leute?“

„Ja“, antwortete Morphius und blies eine Nikotinwolke aus. „Yu… Dr. Heian wurde vor ein paar Jahren vom Service unter einem falschen Vorwand kontaktiert. Er wurde um die ärztliche Betreuung verwaister Kinder gebeten, die aus dem Ausland stammten und Opfer von Gewalt und Kriegen waren. Da er dies für eine Kinderhilfsorganisation hielt, willigte er ein und versorgte die Kinder. Doch als er hinter die Machenschaften dieser Leute kam, wollte er aussteigen und die Sache publik machen. Allerdings lassen diese Leute niemanden am Leben. Sie spüren gnadenlos jeden auf, der ihnen davonlaufen sollte und bringen diesen zum Schweigen. Entweder töten sie die Person, oder sie verkaufen diese als Sexsklaven, nachdem sie die Stimmbänder entfernt haben. Ich kenne Dr. Heian schon seit meiner Studienzeit und als ich hörte, dass er sich in den Fängen dieser Leute befand, nahm ich Kontakt zu Araphel auf, der mir dabei half, ihn zu befreien. Seitdem arbeite ich für die Mason-Familie, indem ich meine Fähigkeiten als Hacker und Informant zur Verfügung stelle, um gegen diese Organisation anzukämpfen. Dr. Heian betreut die geretteten Opfer und Christine fertigt Prothesen an, um den Opfern wenigstens ein bisschen Lebensqualität wiederzugeben.“

Sam stand da und starrte ins Leere. In seinem Kopf war alles leer und innerlich begann eine Welt in sich zusammenzufallen.

„Warum zeigst du mir das alles?“

„Weil wir uns in gewisser Weise ähnlich sind. Ich verachte das organisierte Verbrechen, aber ich habe mich mit dem Feind verbündet, um eine größere Bedrohung zu bekämpfen und um jene zu beschützen, die mir lieb sind. Weißt du, ich bin genauso wie du ein Opfer korrupter Cops geworden. Als die Organisation mich aufspürte, beauftragten sie einen Cop mit meiner Ermordung, allerdings erschoss dieser lediglich meine Ex-Frau. Ich zeige dir diese Dinge, damit du auch mal eine neue Perspektive gewinnst. Ich verlange nicht von dir, dass du dich der Mafia anschließt, aber du solltest ernsthaft darüber nachdenken, ob deine naiven Ideale und Prinzipien wirklich effektiv genug sind, um einen so mächtigen Feind in die Knie zu zwingen. Denn wenn du nicht aufpasst, wirst du ebenfalls in die Fänge dieser Leute geraten.“

„Das weiß ich doch auch“, rief Sam. „Und mein Entschluss steht ohnehin fest, dass ich mich erst um die Yanjingshe kümmere, bevor ich mir Araphel vorknöpfe. Aber bei dieser ganzen Sache verstehe ich eines nicht…“

„Was denn?“

„Shen hat mich um meine Unterstützung gebeten, weil er die Mafia ebenso sehr hasse wie ich. Mag sein, dass er das erzählt hat, um mich um den Finger zu wickeln, aber das war definitiv nicht gelogen. Aber wie kann er die Mafia hassen, wenn er solch schreckliche Dinge tut?“

„Du hast ihm den Schwachsinn echt abgekauft?“ fragte der Informant in einem ungläubigen Ton und schüttelte den Kopf. „Shen redet sich selbst ein, dass er die Mafia hasst. Aber in Wahrheit hasst er die Menschen. Um genau zu sein: er verachtet jeden Menschen auf dieser Welt. Und das hat mit seiner Vergangenheit zu tun. Weißt du, ich habe mich während meiner Nachforschungen auch mit Shens Vergangenheit beschäftigt und dabei interessante Details erfahren: Shen wuchs mit seinem älteren Bruder Zhou und seinen Eltern in einem Armutsviertel in Shanghai auf, das von dieser Triade kontrolliert wurde. Als die Eltern in Schwierigkeiten mit der Triade gerieten, verkauften diese ihre Kinder an die Triade und die steckte die beiden ins Bordell. Zhou starb im Alter von 12 Jahren, als ein betrunkener Freier ihm ein Messer in den Anus rammte und er während des Geschlechtsverkehrs verblutete. Shen sah das mit an. Als er an das Bordell verkauft wurde, war er erst sechs Jahre alt. Einer der Angestellten hatte Mitleid mit ihm und lehrte ihn ein paar Griffe aus dem Kampfsport, damit Shen sich gegen seine gewalttätigen Freier zur Wehr setzen konnte. Im Alter von 13 Jahren bekam er ein Schwert in die Hand, welches zu einer Showeinlage gehörte und richtete ein Blutbad an, in dem er zehn Menschen tötete und weitere fünf schwer verletzte. Danach wurde es ruhig um ihn, aber ich habe erfahren können, dass er in den Norden Chinas reiste und seine Kampfkunst perfektionierte. Mit 18 Jahren kehrte er zurück und begann damit, Mitglieder der Yanjingshe-Triade zu jagen und zu töten und schlich sich schließlich als Sexjunge ein. Als das Oberhaupt der Triade ihn kaufte, tötete Shen ihn und seine Leibwächter und schlachtete weitere 30 Mitglieder ab, bevor er endgültig die Kontrolle über die Triade an sich riss. Als er die Macht an sich riss, starben weitere 50 Mitglieder, doch es gelang ihm, in kürzester Zeit die Anzahl der Triade-Anhänger zu verdreifachen und ihre Macht zu verdoppeln, bis er schließlich in die USA nach Boston kam und dort Chinatown unter seine Kontrolle brachte.“

Verständnislos starrte Sam ihn an. Er konnte es nicht verstehen und so fragte er Morphius „Warum hat Shen sich der Triade angeschlossen, wenn ihn als Kind an ein Bordell verkauft hat?“

„Weil er kein Mensch mehr in dem Sinne ist. Er ist ein Psychopath, ansonsten hätte er nicht so viele Menschen auf so brutale Art und Weise abgeschlachtet. Und die Denkweise eines Psychopathen zu verstehen, das gelingt nur zwei Sorten von Menschen: nämlich jenen, die die Begabung dafür besitzen oder jenen, die selber krank im Kopf sind. Der Patriarch gehört zur ersten Sorte Mensch und er hatte sofort erkannt, was Shen wirklich vorhat: er benutzt die Mafia als Deckmantel, um seinen sadistischen Gelüsten freien Lauf zu lassen. Und Araphel hat er sich als sein Lieblingsopfer auserkoren. Er will ihn durch dieselbe Hölle gehen lassen, die er damals als Kind erleiden musste.“

„Warum?“

„Weil Shen etwas erschaffen will. Er sieht sich als Schöpfer und nicht als Zerstörer an. Der Zerstörer ist in seinen Augen Araphel. Und er will Araphel zu einen wahren Zerstörer machen, um sich einen Feind zu erschaffen, der ihm ebenbürtig ist und ihn eines Tages töten kann. Für Shen ist es ein Spiel. Er will Araphel zu einem Monster machen, das ihn unsterblich macht. Zumindest ist es das, was der Patriarch mir erzählt hat.“

„Welche Rolle spielt der Patriarch?“

„Er ist ein enger Freund von Stephen Mason. Dieser hatte ihm vor einigen Jahren das Leben gerettet und der Patriarch versprach ihm, sich um Araphel zu kümmern, sollte Stephen etwas zustoßen. Zwar macht er Geschäfte mit Shen, allerdings unterstützt er Araphel auch in seinem Rachefeldzug, weil er genauso großes Interesse daran hat, die Triade zu zerschlagen. Immerhin ist auch sein Leben bedroht. Und? Was wirst du tun?“

„Na was wohl?“ Sam atmete tief durch, um diese ganzen Informationen erst einmal sacken zu lassen, die ihn zum Teil wirklich erschüttert hatten.

„Ich werde auf meine Art und Weise kämpfen. Wenn ich es schaffe, die Korruption innerhalb der Polizei zu beenden, dann wird auch endlich mal was gegen die Mafia unternommen werden. Und wenn mein Bruder gewusst hat, an wen er Ahava verraten hat, dann werde ich schon dafür sorgen, dass das öffentlich wird. Auch das mit dieser abartigen Sexsklavenorganisation, die Kinder verstümmeln lässt.“

Morphius schwieg und sah ihn lange an. Es war schwer festzustellen, was ihm durch den Kopf ging und was er vorhatte. Ebenso ließ sich kaum sagen, was er von Sams Vorhaben hielt. Natürlich wusste Sam, dass es nicht leicht werden würde, aber er wollte es auf legale Art und Weise schaffen. Wenn die Vendetta zwischen den beiden Mafiaclans noch weiter eskalierte, würde es nur noch mehr unschuldige Opfer fordern und vor allem musste so eine abscheuliche Sache an die Öffentlichkeit. Schließlich seufzte der Informant und nahm noch einen Zug von seiner Zigarette.

„Alleine kämpfst du auf verlorenem Posten“, erklärte er. „Araphel bat mich übrigens, dir ein wenig bei deinem Vorhaben unter die Arme zu greifen. Ich kenne da ein paar Informanten, die weiterhelfen könnten. Es gibt da einen, der sich insbesondere auf korrupte Polizisten spezialisiert hat. Ich werde ihn kontaktieren und sehen, was ich tun kann.“

Nun war Sam wirklich überrascht. Er hätte nicht damit gerechnet, dass Araphel ihm wirklich helfen wollte. Dabei hatte er doch alles getan, um ihm das Leben schwer zu machen. Und auf einmal kam so etwas. Sollte mal einer Araphel verstehen. Oder konnte es sein, dass dieser tatsächlich Vertrauen in Sam hatte?


Nachwort zu diesem Kapitel:
Dies ist wahrscheinlich eines der düstersten Kapitel, die ich je geschrieben habe. Insbesondere deshalb, weil erschreckenderweise viel Wahres dran ist. Wer sich mit dem Deep Web befasst hat, der weiß vielleicht schon so einiges. Wer es nicht weiß: es gibt diese Seite "Slave Shipping Services" und "Slaves Who Can't Run" wirklich. Auch das beschriebene Mädchen auf dem Foto und der beschriebene Text ist übernommen und von mir aus dem Englischen übersetzt worden. Bevor ihr fragt: ich war nicht selbst auf der Seite und ehrlich gesagt will ich das auch nicht. Ich rate allen wirklich ernsthaft davon ab, es zu versuchen. Ihr macht euch damit strafbar, wenn ihr nach so etwas gezielt sucht!
Die genauen Infos habe ich aus informativen Youtube-Videos, die über solch verstörende Deep Web Seiten berichten. Wer mir nicht glaubt bzw. mehr darüber wissen will, kann diesem Link zu einem solchen Youtube-Video folgen. Überlegt euch selbst, ob ihr es euch anschauen wollt. Ich warne euch nur, dass es nichts für schwache Nerven ist. Ich habe dieses Thema in diese Fanfiction genommen, weil es mich wirklich sehr entsetzt hat, dass es so etwas gibt und ich darauf aufmerksam machen will.

https://www.youtube.com/watch?v=hp5YE-ZG1ZI Komplett anzeigen

Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (7)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  niki28
2015-08-25T07:47:21+00:00 25.08.2015 09:47
oh so etwas gibt es wirklich wie schreklich!
Das ganze kapitel ist sehr gut gewesen abgesehen won dem teil was du mit dem kindern geschrieben hast das war echt düster, sowas sollte/dürfte keinen passieren!
Antwort von:  Sky-
25.08.2015 09:59
Das finde ich auch und umso schrecklicher finde ich, dass man nichts dagegen tun kann, eben weil alles so gut versteckt und geschützt ist, dass man die Betreiber unmöglich aufspüren kann. Das Einzige, was man machen kann, ist, darauf aufmerksam zu machen, dass es so etwas Abartiges wirklich gibt und nicht bloß einer blühenden Fantasie entspricht. Vielleicht öffnet sich so eine Chance, dass irgendwann mal etwas dagegen unternommen werden kann.
Von:  ruehrbesen
2015-08-25T07:44:32+00:00 25.08.2015 09:44
Oy. Definitiv ein beängstigendes Kapitel. Es gibt der Geschichte auch noch eine ganze Menge mehr Schwere und Tiefe - trotz hartem Tobak gut eingeflochten!
Und ich find's gut dass du auf solche Sachen aufmerksam machst - die wenigsten wissen wohl, dass solche Praktiken nicht einfach nur der Fantasie eines Autors entspringen, sondern bittere Realität sind.
Antwort von:  Sky-
25.08.2015 09:56
Ja, das ist leider oft so. Ich nehme allgemein für meine FFs gerne Themen, die zum Nachdenken anregen und ein großes Problem sind (Gewalt in der Familie, Medikamentenmissbrauch, Mobbing, etc.) Und die Geschichten aus dem Deep Web haben mich teilweise wirklich sehr verstört. Ich gebe zu, ich konnte meine Neugier nicht zügeln und zwei Seiten gefunden, die zu den düsteren Seiten zählen. Eine Onion Seite, auf der sehr viele Bilder über Tierquälerei und auch deren Tötung sowie Links zu verschiedenen Internetseiten gepostet wurden. Auch SNUFF-Filme wie zum Beispiel "Daisy' Destruction". Außerdem fand ich noch eine Seite, für deren Zugang man erst zahlen muss (nämlich Bitcoins). Ich bin nicht weitergegangen, da ich nur überprüfen sollte, ob die Seite wirklich existiert. Es sollen dort sehr viele Vergewaltigungsvideos und auch Kinderpornos gepostet und verkauft werden. Da mir die Sache zu gefährlich war, bin ich nicht weitergegangen und ich rate auch ernsthaft davon ab, so etwas zu tun. Nach der Slave Shipping Service Seite oder nach der mit den verstümmelten Sexsklaven habe ich nicht gesucht. Ich glaube, das wäre auch mehr gewesen, als ich vertragen kann.
Antwort von:  Sky-
25.08.2015 10:12
Die zweite Seite, von der ich sprach, nennt sich "Shadow Web". Man kann sie als eine weitere Suchmaschine innerhalb des Deep Webs betrachten, für deren Zutritt man 0,3BTC zahlen muss. Danach muss man eine E-Mail Adresse kontaktieren, um den Zugangslink zu bekommen. Selbst die Bitcoins muss man an eine separate Seite zahlen, die aus zig Zahlen, Nummern und Zeichen besteht und keinen Punkt hat. Als ich diese Seite fand, bin ich wieder rausgegangen, aber zumindest ist bewiesen, dass es diese Seite wirklich gibt.
Antwort von:  ruehrbesen
25.08.2015 10:24
Ich hege auch nicht den Drang, mir das anzusehen - davon zu lesen reicht mir schon vom Härtegrad. Es ist schade dass eine an sich nützliche Sache wie das Internet in vielen Dingen, wie hier auch, dazu beizutragen scheint dass solche Dinge florieren. Besser überwachbar macht es das Ganze ja offensichtlich nicht.
Antwort von:  Sky-
25.08.2015 10:30
Das Problem ist, dass das Deep Web aufgrund der Tatsache, dass man es nicht mit geläufigen Suchmaschinen wie Google finden kann (im Grunde bezeichnet man "Deep Web" als Internetseiten, die so gescripted sind, dass Google und Co. sie nicht im Suchverlauf anzeigen). Und diese Tatsache wird natürlich genutzt. Im Grunde genommen teilt sich das Internet in Clearweb und Deep Web auf. Clearweb beinhaltet Sachen wie Animexx oder Youtube. Alles, was wir so finden. Das Deep Web hat aber nicht nur solche verstörenden Sachen, sondern wird auch von seriösen Firmen genutzt, die mit geheimen Projekten arbeiten und nicht ausspioniert werden wollen. Auch Whistleblower, kostenlose Spiele oder relativ "harmlose" Sachen wie Drogenverkauf (okay, ist zwar auch nicht harmlos aber ich ziehe das im Vergleich zu den Sachen, die ich in der FF erwähnt habe). Der Reiz des Deep Web liegt in der Anonymität. Das lockt halt viele schwarze Schafe an.
Von: abgemeldet
2015-08-24T23:10:45+00:00 25.08.2015 01:10
Gott... Ich musste fast kotzen gehen so verstörend war das Kapitel

Gut aber verstörend! Ehrlich... Gott! Ok ich geh doch mal kotzen! Aber nur wegen diesem... Du weißt schon nicht wegen deiner Story! Aber ich bin Mutter da geht sowas nahe... Ans Herz und gerade an den Magen!
Antwort von:  Sky-
25.08.2015 05:52
Ja ich kann verstehen, wie du dich fühlst. Ich hatte Tränen in den Augen, als ich das kleine Mädchen mit dem fehlendem Bein gesehen habe. Ich frag mich da wirklich, wie krank solche Menschen nur sein können, dass sie so etwas schreckliches tun. Ich hatte nach dem Video wirklich Alpträume...
Antwort von:  Jensha
25.08.2015 11:31
Als Mutter kann ich sowas verstehen das wünscht man keinen Kind
Von:  Jensha
2015-08-24T20:49:29+00:00 24.08.2015 22:49
Das sowas wirklich gibt ist sehr sehr erschreckend und traurig das es Leute gibt die sowas machen und keine Skrupel haben.
Das war wirklich ein düsteres Kapitel, leider ist es schon spät und somit kann ich mir nichts mehr Süßes kaufen um meine Depri auszuleben,DANKE!!^^
Ich hoffe das das nächste Kapitel wieder etwas freundlicher wird.
Antwort von:  Sky-
25.08.2015 06:25
Keine Sorge. Ich wollte diese mehr als hässliche Geschichte auch nicht länger als nötig ausbreiten. Jetzt erst mal schreitet Sam zur Tat, um selbst etwas zu unternehmen.
Antwort von:  Jensha
25.08.2015 11:31
Danke, ich hatte Alpträume deswegen.Bitte niewieder oder Warne vor den dann kann ich das Kapitel überspringen.


Zurück