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Secret

Bittere Geheimnisse
von

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Am Donnerstag kam der erste Paukenschlag. Susa kam auf mich zu und lud mich am Wochenende zu ihrer Geburtstagsfeier ein. Am Samstag würde sie bei sich eine kleine Fete schmeißen, nix besonderes. Sie erwartete auch kein Geschenk, höchstens eine Flasche Alkohol oder derartiges. Damit würde ich sie sehr unterstützen. Ich fühlte mich gleich sehr geschmeichelt, direkt nach einem Tag zu einem Geburtstag eingeladen zu werden. Susa sah in der Tat auch sehr nett aus.

Denn am Freitag erfuhr ich von Julian, dass er, Mike und Micky ebenfalls eingeladen waren und somit der Streit um Isar oder Disco sich auf den heutigen Abend verschoben hatte. Die Mehrheit sei für Isar, weswegen sich Micky ausklinkte und keine Lust hatte. Zudem sie für ihre beste Freundin am Samstag fit sein wollte. Denn Susa kam ebenfalls nicht mit, da sie Vorbereitungen treffen wollte. Ich nickte einfach zustimmend.

Am Nachmittag standen Micky, Julian, Mike und ich in der U-Bahn nach Hause. Es war das erste Mal, dass wir zusammen zurückfuhren. Morgens traf ich mich zwar mit Julian und Mike in der U-Bahn, bis Micky dazu stieg und wir gemeinsam zur Uni gingen, aber beim Heimweg hatte sich die Woche nicht die Möglichkeit ergeben zusammen zu fahren, da Micky immer länger Vorlesungen hatte und Julian auf sie wartete oder irgendjemand noch in die Stadt musste.

Micky stieg schon nach zwei Stationen aus und hechtete zum Bus, während Mike, Julian und ich noch weiterfuhren. Wir unterhielten uns über Musik und Bands. Julian hatte in der Tat einen interessanten Musikgeschmack, da er sowohl Hip-Hop als auch Hard Rock hörte. Mike hingegen eher Klassik und Pop. Als ich meinen Geschmack dann offenbarte, wollten sie mir erst nicht glauben, dass ich Metal und Rock hörte. Und zwar die harte Schiene. Sie glaubten, ich würde R'n'B oder mal zur Abwechslung Softrock hören. Ich nahm es als keine Beleidigung auf, wäre ja auch anzunehmen bei meinem Charakter.

Als wir den Marienplatz erreichten, stiegen beide mit mir aus.

»Ich dachte immer, ihr würdet ganz woanders aus- und einsteigen ...«, gab ich zu, ohne jemals gefragt zu haben.

»Ich verabschiede mich auch hier«, sagt Mike und deutete auf den Ausgang, »Ich wohne Richtung Sendlinger Tor.«

»Voll der Trottel«, meinte Julian, »der wohnt fast in der Innenstadt und kann voll lange schlafen morgens...«

»Erstaunlich, dass ich euch trotzdem nie hier gesehen habe ...«

»Erstaunlich? Ich gehe jetzt, mal sehen, bis wann du mich noch siehst in dieser Menschenmenge!« Mike lachte und verabschiedete sich. Tatsächlich war er nach nur wenigen Metern nicht mehr zu sehen, wenn man ihn denn nicht grade angestrengt mit den Augen verfolgte. Julian zuckte mit den Schultern.

»Jetzt wissen wir ja, dass wir an der selben Station stehen.«

Ich nickte, sah dann zu ihm auf.

»Wo musst du jetzt hin?«, fragte ich ihn.

»Zur S-Bahn. Ich steige Langwied aus. Kennst du das Kaff?«

Ich stutzte.

»Ja, weil ich daneben wohne.«

Er stutzte.

»Echt jetzt?«

Ich nickte.

Wir schwiegen. Dann lachten wir und gingen gemeinsam zur S-Bahn.

»Ist ja krass! In Pasing?«

»Ja, genau. Dass wir uns nie gesehen haben ...«

»Den Wald vor lauter Bäumen nicht gesehen«, fügte er lachend hinzu.

Ich erwiderte sein Lachen. »Daran wird’s liegen.«

Wir warteten auch nicht lange auf die S-Bahn. Wie immer war sie voll, aber wir bekamen noch jeweils einen Sitzplatz.

»Weißt du, was du Susa schenkst?«, fragte ich Julian, da mir eine Flasche Alkohol etwas zu dumm vorkam.

Er zuckte mit den Schultern. »Alkohol?«

Ich grinste. »Okay, das hatte sie mir auch gesagt.«

»Na, also. Sonst pass auf: Ich hol heute ja eh den Alkohol für heute Abend, dann besorg ich 'ne Flasche Rum, also Captain, als Geschenk von uns beiden. Dann gibst du mir heute Abend einfach die Hälfte, okay?«

Ich überlegte. Spürte, wie ich wieder etwas nervöser wurde.

»Das ist nett von dir, aber ich bin heute Abend nicht da. Wenn du willst, kann ich dir das Geld aber auch-«

»Wieso bist du nicht da? Kannst du heute nicht?«, fiel er mir verdutzt ins Wort. Ich hielt kurz inne. Dann verstand er wohl, wo mein Problem lag. »Mensch, du kommst natürlich mit heute Abend! Isar wird richtig gut, du kennst das doch gar nicht. Da musst du mit!«

Ich musste grinsen, sah dann zu Boden und knibbelte an meinen Nägeln. »Okay … Dann bin ich heute Abend dabei. Danke ...«

»Wofür danke? War doch klar, dass du mitkommst. Wir machen das hier nicht so formal mit Einladungen schreiben, weißt du?«

Ich lachte nervös. Oh Gott, nein, das wollte ich damit nicht sagen... »Nein, nein, das hatte ich auch nicht erwartet.«

»Na, also. Dann hol ich den Captain für Susa morgen. Micky hat eh was eigenes für ihre beste Freundin.«

Ich nickte abermals und sah lächelnd in seine Augen. Ob er zu allen so offen und freundlich war?

Als meine Haltestelle kam, verabschiedete ich mich kurz von ihm und winkte ihm durch das Fenster noch zu. Er winkte zurück und fuhr mit der S-Bahn davon.

Zu Hause angekommen erzählte ich sofort alles meiner Mutter, die nur darauf brannte neue Dinge aus der Uni zu hören. Sie war hellauf begeistert, dass ich eingeladen wurde, aber weniger davon, dass es heute Abend eine Sauferei geben würde. Sie verbat mir indirekt mich abzuschießen. Ich solle die Leute erst mal kennenlernen und dann ein anderes Mal mitmachen. Denn wie die mütterliche Sorge nunmal ist: Wenn ich zu betrunken wäre, könnten die mich ja links liegen lassen oder noch schlimmer zu dummen Dingen verleiten oder mir nicht helfen, wenn ich Hilfe bräuchte. Sie könnten mich ausrauben oder vergewaltigen oder mich verschleppen und dann töten. Mütterliche Sorge eben.

 

Auch wenn ich bis in alle Ewigkeit meine Eitelkeit abstreiten würde: Ich stand knapp eine Stunde vor dem Spiegel und suchte nach etwas Passendem zum Anziehen. Nichts zu Gutes, denn Isar und Gras waren dreckig. Aber nichts zu Schlampiges, man will den ersten Eindruck ja gut überstehen. Ich entschied mich letztendlich für eine normale schwarze Jeans und ein T-Shirt mit V-Ausschnitt. So sah man etwas von meinem Tattoo auf der Brust. Trotzdem nahm ich eine Jacke und Schal mit, es könnte ja noch kühl werden. Das war auch ganz im Sinne meiner Mutter. Treffpunkt war um sieben Uhr am Isartor. Als ich in die Bahn stieg, sah ich jemanden über die Sitze winken. Sah nach Julian aus, der es in der Tat auch war. Ich ging zu ihm und setzte mich ohne ein Wort rauszubringen vor ihn.

»Was ein Zufall, dich hier zu sehen«, scherzte er und zeigte mir stolz eine riesige Flasche Rum. »Captain war im Angebot, da hab ich gleich zwei geholt, eine für heute, eine für morgen.«

Ich grinste und nickte anerkennend. »Wie viel bekommst du denn von mir?« Sofort zückte ich mein Portemonnaie.

Er winkte ab und meinte: »Schon okay, auf die 5€ kann ich verzichten.«

Ich stutzte. »Nur 5€? Bekommst du aber trotzdem, ist ja schon nett genug, dass du überhaupt für mich was mit besorgt hast.« Damit hielt ich ihm einen 5€ Schein hin. Er sah erst eine Weile auf den Schein, grinste mich dann an.

»Von mir aus. Danke dir.« Er nahm den grünen Schein und steckte ihn weg. Sofort öffnete er die Captainflasche und hielt sie mir hin. »Bitte sehr.«

Ich negierte. »Nein, danke, ich sollte heute lieber nichts trinken, ich hab kaum was gegessen.«

Julian stutzte und sah enttäuscht aus. »Ich trink die doch nicht alleine leer. Also Bitte!« Mit einer Handbewegung hielt er sie mir erneut hin. Als ich weiterhin den Kopf schüttelte, nahm er einen kräftigen Schluck. Dann sah er mir eine Weile in die Augen. »Komm, niemand erwartet, dass du dich abschießen sollst, aber so ein bisschen Spaß?«

Ich seufzte, wog ab und entschuldigte mich innerlich bei meiner Mutter. Vorsichtig setzte ich die Flasche an und nahm einen großen Schluck. Sofort musste ich vom puren Rum husten.

»Ist der stark!«, hustete ich aus und reichte Julian wieder die Flasche. Der lachte nur amüsiert über mein lächerliches Verhalten.

»Keinen Alkohol gewohnt, hm?«

Ich schüttelte nur den Kopf. Nein, nicht wirklich. Meine Bekanntschaften aus Frankfurt tranken zwar auch öfter gerne ein oder zwei Bierchen, aber ich fuhr immer mit dem Auto, damit die auch nachts wieder zurück nach Hause kamen. Also bedeutete das für mich nichts trinken.

Aber der Rum schmeckte schön süßlich und hatte einen angenehmen Beigeschmack. Julian nahm noch einen großen Schluck und holte sein Handy aus der Hosentasche.

»Mike steigt am Marienplatz zu uns. Lucy und Andreas warten schon am Isartor mit den Anderen.«

Ich überlegte kurz. »Wer kommt denn noch alles?«

»Jede Menge andere Leute, die du heute kennen lernen wirst. Ich bin ehrlich: Viele davon kenn ich auch nicht richtig. Aber es macht immer Spaß mit denen zu feiern!«

Ich lächelte leicht. »Sind wir etwa so viele?«

Julian zuckte mit den Schultern. »Anzunehmen. Werden wir sehen, wie viele letztendlich kommen.«

Am Marienplatz stieg Mike dazu. Ich wunderte mich, dass Julian Mike nichts von dem Captain anbot, aber wie sich dann herausstellte, trank der kein Alkohol. Nach seinen eigenen Angaben mag er ihn nicht und hat außer Kopfschmerzen nichts von dem Gesöff. Stattdessen durfte ich ein weiteres Mal von der Flasche trinken. Diese verschwand in Julians Tasche, in der er sie auch mitgebracht hatte.

»Die ist nur für uns«, kicherte er mir leise und schon etwas angeheitert entgegen. Ich grinste zurück und nickte nur. Nicht gut, wenn Julian mich so zum Trinken animierte. Aber er schien froh über einen Saufkumpanen, wenn Mike schon nicht trank und seine Freundin das nie richtig befürwortete.

 

»Mein Volk!«, begrüßte er schon sichtlich erheitert die Gruppe Jugendlicher an der Oberfläche der Haltestelle.

Da waren Lucy und Andreas. Direkt daneben ein paar Mädchen, sehr aufgetakelt. Daneben ganz cool die Jungs, einige sehr befremdlich angezogen. Hipster, Gangster, Tussies, Emos und so Leute, die man nicht beschreiben konnte. Insgesamt waren wir eine riesige Gruppe an Menschen. Bestimmt 30 oder mehr und alle mit Alkohol. Die Passanten sahen uns seltsam hinterher, andere wechselten sogar extra die Straßenseite.

Julian begrüßte Lucy und Andreas, direkt danach ein paar von den Emos. Wieso wunderte es mich nicht, dass er ungefähr jeden kannte ...?

»Das ist Constantin. Frisch aus Frankfurt hierher gezogen.«

Zwei Mädchen lächelten mich verlegen an, die Männer nickten mir freundlich zu. Als der erste den Mund aufmachte, um seinen Namen zu sagen, winkte ich ab.

»Das ist lieb, dass ihr euch vorstellen wollt, aber ich kann mir das jetzt eh nicht alles merken. Also ...«

Alle lachten und Julian klopfte mir auf die Schulter. »Die wirst du noch früh genug alle genauer kennen lernen.« ...Ah? Ist das so?

Im wunderschönen Sonnenuntergang gingen wir Richtung Isar. Wir fanden auch schnell eine noch freie Grünfläche, wo wir uns niederließen. Julian packte aus seiner Tasche eine kleine Decke und breitete sie aus. Direkt ließen sich die Mädchen drauf fallen. Die anderen Leute pflanzten sich um uns herum. Es wurde gelacht, geschrieen und sich lautstark unterhalten.

Ich kniete mich auf ein kleines Stück der Decke und wollte mich hinsetzen, als Julian sich neben mich quetschte. Ganz geheim zeigte er mir die Flasche Captain unter seinem T-Shirt. Er lachte. »Du weißt, was jetzt kommt?«

»Julian, ich leere die nicht mit dir. Ich kann nicht so viel Alkohol trinken.«

Er schüttelte den Kopf. »Zeig mal, dass du ein Mann bist!«

Das war gemein. Entweder hatte er mich schon durchschaut und legte es jetzt auf meinen Schwachpunkt an. Oder er wollte einfach nur den coolen Spruch loslassen, den man so loslässt, wenn man einen Mann ärgern will.

Nach kurzem Zögern entriss ich ihm die Flasche, sah ihn empört an und nahm einen gewaltigen Schluck. Dann noch einen. Nach dem Dritten setzte ich ab. Und hustete.

»Brav«, grinste Julian und trank ebenfalls ein gutes Stück, bis die Flasche halb leer war.

»Wie viel ist da eigentlich drin?«, fragte ich vorsichtig, um schon mal das Ausmaß meines Zustandes zu errechnen.

»Genau ein Liter. Sag ja, war so 'ne Aktion.«

Julian lachte nur laut und versteckte die Flasche unter seiner Tasche, welche auf der Decke lag. Ich betete nur, dass die jemand entdeckte und leer machte. Bevor ich es tun musste.

 

Der Abend verlief zu meiner Überraschung richtig gut. Irgendwann packte einer von den Gangstern seine Lautsprecher aus und klinkte den MP3-Player dran. Erst lief ziemlich miese Musik, aber irgendwann wechselte wohl mal das Gerät und man hörte angenehmen Hip-Hop; man musste ja viele Geschmäcker treffen. Doch Einigen schien das schon egal zu sein. Manche Mädchen liefen nur noch in Unterwäsche rum, die Männer packten ihre gut trainierten Oberkörper aus.

Julian, noch erheiterte als vorher, hüpfte natürlich ebenfalls oberkörperfrei auf mich zu. Und zugegeben gut trainiert.

»Du weißt, was ich sehen will«, drohte er mir spaßig und deutete auf meine Tattoos, die vom T-Shirt verdeckt wurden. »Das, was ich sehe, gefällt mir schon mal, ich will mehr sehen!«

Ich lachte sofort los, dem Alkohol ebenfalls schon verfallen. »Aus dem Zusammenhang gerissen darf dir aber niemand zuhören!«

»Doch, doch. Du weißt schon, was ich meine«, lachte er dreckig und schnappte sich die Enden meines T-Shirts. Mit einem Ruck zog er es mir über den Kopf. Dieser extrovertierte Mann kannte wirklich keine Grenzen.

Julian musterte mich eindringlich und betrachtete meine Haut. Dann deutete er an, ich solle mich drehen.

»Wow! Das denn ich mal Flügel! Die gehen dir ja bis zum Arsch!« Er schien richtig begeistert zu sein.

»Ähm, danke?« Ich kicherte wie ein Mädchen; schüchtern und nicht ganz sicher, was er mir damit sagen wollte.

»War sicher teuer, oder?«

»Mein ganzer Körper war teuer!«, spaßte ich.

Er lachte erneut und fing an mir seine Tattoos zu zeigen. Totenköpfe, Katrinas, einige Schriften. Gar nicht mal so schlecht sahen die aus. Unter der Brust, an der Leiste, am Rücken, am Oberarm, unter dem Oberarm. Am Oberschenkel hatte er auch noch eins; zwinkerte mir dabei belustigt zu, dass ich das ein ander Mal zu Gesicht bekomme.

Doch seinem durchtrainierten Körper schenkte ich viel mehr Aufmerksamkeit. Ein leicht angedeutetes Six-Pack, breites Kreuz, Schultermuskeln und gut trainierte Oberarme. Seine Adern waren gut sichtbar. Da wurde ich richtig neidisch.

»Wie oft trainierst du am Tag?«, fragte ich ihn, etwas verlegen, dass ich so dürr war.

»Einmal. Abends vor der Glotze mit den Hanteln ein bisschen, dann Liegestütze und am Wochenende, wenn Zeit ist, mal ins Fitnessstudio.« Er sah meinen bewundernden Blick. »Ist auch gar nicht so schwer. Man muss sich nur hinterklemmen.«

Ich zuckte mit den Schultern, »mit meinen Muskeln verlier ich gegen jede Frau«, und lachte. Julian schüttelte nur den Kopf.

»Eigentlich will ich jetzt nicht zustimmen, weil das gemein wäre, aber irgendwie hast du Recht.« Er grinste und schlug mir mit der offenen Hand auf den Rücken. Ich stolperte erst einmal einen Schritt nach vorne. »Du bist trotzdem cool. Wen interessieren schon Muskeln.«

Verlegen sah ich zur Seite. »Danke, das ist nett.«

Er klopfte mir auf den Kopf. »Und sei mal was extrovertierter. Mädchen stehen nicht so auf stille Mäuschen.«

»Ich hatte eigentlich auch nicht vor -«

Und da hüpfte er auch schon wieder zurück zu Mike, der bei den Gangstern stand und sich unterhielt. Julian mischte die Stimmung etwas auf und hüpfte zur nächsten Gruppe. Der war schon ziemlich dicht.

Da setzte sich ein Mädchen neben mich.

»Hey … Ich bin Linda«, begrüßte sie mich und lächelte.

»Hey, Linda. Ich bin Constantin«, stellte ich mich ebenfalls vor und lächelte zurück. Das habe ich geübt, so schnell und so einfach zu Lächeln. Und mit Alkohol ging das noch viel einfacher.

»Du bist mit Julian befreundet?«, fragte sie und deutete auf den Irren, der einen Handstand versuchte.

»Äh, also schon, ja. Nur wir kennen uns erst seit einer Woche.«

»Woher denn?« Sie grinste noch immer.

»Aus der Uni. Wir studieren beide dasselbe Fach.«

»Oh, du studierst? Was denn?«

»Zahnmedizin.«

Sie stutzte. »Interessant. Findest du es denn cool in den Mund anderer Leute zu gucken? Stell ich mir ziemlich eklig vor ...«

»Na ja, nicht so. Aber ist trotzdem interessant.« Sofort musste ich an Julians Kommentar denken, der mir eine solche Reaktion schon vorgemalt hatte.

»Ach so, verstehe. Ich mach nur eine Ausbildung in Gestaltungstechnik.«

»Klingt aber doch auch sehr interessant.« Ich wollte wirklich nett rüberkommen, trotzdem konnte ich mir den gewissen desinteressierten Unterton nicht abgewöhnen.

Sie zuckte mit den Schultern. »Geht so.« Sie lachte kurz auf und wehte ihre langen braunen Haare zurück. Es wurde langsam dunkel und der Alkohol stieg mir etwas zu Kopf, weswegen die Sicht um mich etwas verschwamm. Was sie trug, konnte ich noch sehen, aber welche Augenfarbe sie hatte, wusste ich schon nicht mehr. Bemüht um ein nüchternes Erscheinungsbild, mied ich den Augenkontakt.

Wir unterhielten uns noch ein wenig, dann reichte man uns ein paar Klopfer; Freunde von ihr anscheinend. Die Mädels lachten und flirteten mit mir. Sie fassten in meine längeren Haare und zwirbelten sie um ihre langen Finger. Danach gingen sie wieder und ich war mit Linda alleine. Wie in Trance wusste ich nicht genau, was geschah. Ich wollte mich eigentlich nut nett unterhalten, doch der Alkohol ließ mich sicherlich nicht mehr einen anständigen Satz sagen.

»Du hast so helle und weiche Haut, Constantin. Verrate mir dein Geheimnis«, bat sie mich mit erotischer Stimme. Man merkte, dass sie ebenfalls gut gebechert hatte, als sie mir unbeholfen mit ihren künstlichen Fingernägeln über meinen Handrücken strich.

»Den ganzen Tag zu Hause sitzen und nur zu dunklen Tageszeiten frische Luft schnappen?«

Sie lachte schrill und laut auf. »Du bist ja so süß! Ich mag deine roten Haare. Sie sind so schön lang.« Wieder zwirbelte sie um meine Strähnen und kam mir gefährlich nahe.

»Ich müsste sie mal wieder schneiden ...« Mehr fiel mir wirklich nicht ein. Oh, ich war so aufgeregt. Mein Puls schlug gefühlte 190 Mal die Minute und mein Kopf wurde heiß. Ich hatte innerlich gehofft, nette Leute kennen zulernen, aber doch nicht so schnell und nicht auf diese Weise. Im betrunkenen Zustand mit Mädchen rummachen war wirklich nicht meine Art. Vielleicht die von Julian, aber nicht meine. Julian, Julian, das ist dein Einsatz, dachte ich nur und hoffte innerlich einen Kuss zu vermeiden. Denn diesen erwartete sie, als sie mit ihrer Nasenspitze an meinem Hals strich und sich zu meinem Gesicht arbeitete.

»Linda, ich bin mir nicht sicher, ob -«

»Shhh«, sie legte ihren Zeigefinger auf meine Lippen, »nicht so schüchtern, Con.«

Ich könnte sie wegdrücken, überlegte ich, oder einfach um Hilfe schreien. Das zweite wäre ziemlich lahm, aber das erste ziemlich gemein.

 

»Constantin! Ich will den Rum! Rum! Rum!«, schrie Julian und lief auf uns zu. Sofort schreckte Linda zurück und sah zum betrunkenen Mann. Der stolperte ziemlich oft, bis er in meinen Schoß fiel. Ich atmete erleichtert auf. Er raffte sich auf und blickte mit Schlafzimmerblick in mein Gesicht. »Hi ...«, grinste er mir entgegen und fasste mit der rechten Hand hinter mich. Er blickte nachdenkend nach oben und legte seine Zunge an die Oberlippe, während er in seiner Tasche kramte.

»Julian, unter der Tasche«, gab ich ihm den Hinweis. Im Augenwinkel sah ich Linda nur eine Augenbraue hochziehen und seufzen.

»Julian, nimm deinen scheiß Alkohol und verpiss dich!«, schnaufte sie und reichte ihm genervt die Flasche Captain. Der äffte sie nur betrunken nach und sah zu mir.

»Du und Linda? Nee, Constantin, nimm wen anders. Die ist doof.« Da lachte er und schüttelte nur den Kopf. Er ließ sich fallen und setzte sich im Schneidersitz zwischen mich und Linda. Diese rief nur laut Julians Namen und stand auf.

»Ist ein ziemlich großer Fehler, dich mit dem anzufreunden!«, entgegnete sie mir, drehte sich arrogant von uns weg und ging zu ihren Mädels.

Julian lachte nur und klopfte mir auf den Rücken. »Kam ich ungelegen? Mochtest du sie etwa?«

»Nein ... Sie war etwas aufdringlich ...«, gab ich zu und nahm die Captainflasche.

»Ich mag Linda nicht. Sie mag mich nicht.«

»Sie hatte mich ziemlich über unsere Freundschaft ausgefragt. Jetzt weiß ich wieso«, kicherte ich und trank großzügig aus der Flasche. Ich war eh schon betrunken, dann konnte ich ja jetzt auch weitermachen.

Julian legte einen Arm um mich. »Linda war nur neidisch auf mich, dass du mein Kumpel bist und nicht mit ihr ficken wolltest.« Er nahm sich den Captain und trank weiter. Die Flasche wurde immer leerer. Die Stimmung auf dem Rasenplatz immer besser und die Leute immer betrunkener.

»Du hast mich echt vor ihr gerettet. Danke dafür«, grinste ich ihm glücklich entgegen. Der lachte und stupste vorsichtig mit der Flasche gegen meine Stirn.

»Du bist ganz schön dicht, oder?«

Ich kicherte los. »Du ja nicht!« Vorsichtig legte ich von hinten meine rechte Hand auf seine Schulter und ließ meinen Kopf fallen. Oh nein, der Alkohol wirkte zu schnell.

»Was krieg ich als Dankeschön, dass ich dich vor der Seeschlange gerettet habe?«, fragte Julian und pustete einige meiner Haare weg.

»Haha … Was willst du denn von mir?«, lachte ich heiser und trank einen schluck von der Flasche. Was er von mir will? Oh, Constantin, werde doch nicht gleich so Zweideutig.

»Also, wenn du so fragst ...«

Ich stutzte sofort, sah ihn überrascht an. Doch dann  lachten wir amüsiert über den Witz. Alles drehte sich ganz schön. Aber Julian war ja da und achtete auf mich. Nach einigen Sekunden des Schweigens, rang ich mich durch und beugt mich zu ihm. Vorsichtig, aber mit viel Liebe drückte ich ihm einen Kuss auf die Wange.

»Danke!«, sagte ich selbstbewusst und klopfte ihm kurz auf die Brust. Julian sah mich grinsend an, verstrubbelte meine Haare und strich mir kurz über den Nacken. Dann nahm er sich wieder die Captainflasche.

Im nächsten Moment war mir das mit dem Kuss schon wieder viel zu peinlich, aber was passiert war, war passiert. Danke, Alkohol, dass du meine Hemmschwelle so niedrig setzt. Julian schien das jedenfalls auch nicht gestört zu haben.

 

Ich erinnerte mich nur noch daran, dass die Flasche irgendwann leer war, ich auf Julians Schulter eingeschlafen bin, in der Bahn wach wurde, er mich fragte, ob ich's noch nach Hause schaffen würde. Die nächste Sequenz war im Bad, wie ich mir die Kontaktlinsen aus den Augen nahm, sie feinsäuberlich in ihr Behältnis legte und dann ins Bett fiel.


Nachwort zu diesem Kapitel:
BESTE Freunde. Dicke Freunde, mehr ja nicht (_๑˘ㅂ˘๑) Komplett anzeigen

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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Von:  queen006
2021-03-15T06:17:59+00:00 15.03.2021 07:17
Na wenn Constantin sich noch die Kontaktlinsen ordentlich rausnehmen konnte,war er wohl doch nicht sooooo hacke.Was ich von Julian halten soöl,weiss ich noch nicht so genau.
Von:  lilac
2015-08-28T18:55:54+00:00 28.08.2015 20:55
Joaaaa, es wurde eindeutig zweideutig.
Jede wette julian hat constantin mit absicht zum Alkohol "verführt". Hehe ....
Von:  Himi-sama
2015-08-03T18:51:06+00:00 03.08.2015 20:51
Jaja. Also ich wär tot, wenn ch die hälft der Flasche trinken müsste. XD


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