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Es war einmal... ein etwas anderes Märchen

Gibt es sowas wie ein Happy End überhaupt?
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Original Geschichte von den Gebrüder Grimm.
Filmmaterial: Frau Holle (2008) Komplett anzeigen

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Frau Holle

Es war einmal vor sehr langer Zeit…
 

… da lebte eine arme Witwe mit ihren zwei Töchter in einem sehr kleinen Dorf. Sie waren von Grund auf verschieden, obwohl sie Zwillinge waren. Die eine Tochter war klug, bescheiden und hilfsbereit, die andere hochnäsig, eingebildet und faul. Der Name der gutherzigen und fleißigen Tochter lautete Sofie, ihre verwöhnte und selbstsüchtige Schwester hieß Otilia. Sofie, die ältere Tochter von beiden, half ihrer Mutter im Haushalt, kümmerte sich um die Tiere auf dem Hof und half der Mutter bei der Arbeit. Otilia hingegen dachte sich immerzu Ausreden aus, damit sie nicht arbeiten musste und somit blieb alles an Sofie hängen.
 

Eines Tages, die Sonne war gerade aufgegangen, zwitscherten die Vögel fröhlich durch das offene Fenster. Sofie erwachte mit einem Lächeln im Gesicht. „Ach ist das nicht ein herrlich, schöner Tag?“, fragte sie sich eher selbst. Freudestrahlend schlug sie die Bettdecke auf die Seite und schwang mit großer Vorfreude auf den Tag, die Beine aus dem Bett. Sie schloss kurz die Augen und ließ die Sonne ihr Gesicht umspielen. Dann schweifte ihr Blick zu dem Bett gegenüber. „Otilia, willst du denn nicht aufstehen? Es ist so ein schöner Tag“, fragte die Ältere. Ihre blauen Augen strahlten und ihr blondes Haar leuchtete im Sonnenschein. „Keine Lust“, murrte ihre Schwester und drehte sich auf die Seite. Sofie’s Lächeln erstarb. „Aber, heute ist doch Samstag. Heute bist du dran, die Stube zu putzen und im Stall die Tiere zu füttern“, meinte die Gutherzige nachdenklich und erhob sich. „Was kümmert mich das“, murrte die andere Blondhaarige weiter und zog ihre Bettdecke weit über den Kopf. Sofie seufzte, beschloss dann aber, aufzustehen und sich fertig zu machen. Da Otilia mal wieder nichts machen würde, war es ihre Aufgabe, sich um den Haushalt und um die Tiere zu kümmern. Also machte sie sich auf und wusch sich, dann zog sie sich an, damit sie mit der Arbeit beginnen konnte. Die Mutter war auf dem Markt, daher würde ihr es mal wieder nicht auffallen, wenn Sofie die ganze Arbeit tätigte. Mit einem leichten Lächeln auf den Lippen und den Gedanken, dass heute ein schöner Tag war, band sie sich die Schürze um und begann das Essen vorzubereiten. Da der Vater vor einigen Jahren gestorben war, besaß die Familie nicht mehr so viel Geld, lebte aber noch nicht in Armut. Das Dorf war klein, hier half man sich gegenseitig. Als Sofie mit dem Essen fertig war und den Tisch gedeckt hatte, machte sie sich auf den Weg nach draußen, um die Laken einzusammeln, die über Nacht draußen hängen geblieben waren. Otilia hatte mal wieder vergessen gehabt, die Laken hinein zu holen. Ein Glück hatte die Mutter es nicht bemerkt gehabt, sonst hätte Sofie wieder den Ärger abbekommen. Immer war sie das schwarze Schaf, was alles erleiden musste. Otilia hingegen, das Unschuldslamm höchstpersönlich, war fehlerfrei und bekam nie ärger. Das war eine große Ungerechtigkeit. Die Laken faltete sie sorgfältig zusammen und verstaute sie im Korb, den sie sich mit nach draußen genommen hatte. Durch ein Fenster bemerkte sie eine Bewegung im Haus. Die gnädige Dame war anscheinend doch mal aufgestanden. Sofie ignorierte das Gefühl, welches sich in ihrer Brust breit machte. Es ist so ungerecht, dass Otilia immer die Lorbeeren erntet. Ich hingegen muss hart schuften und arbeite bis ich wunde Finger habe. Sie wird immer gelobt, ich bekomme immer ein halbherziges Danke… Doch mir soll es Recht sein. Solange ich Mutter helfen kann, so will ich meinen Frust vergessen und es einfach hinunter schlucken. Als Sofie mit der Arbeit fertig war, welcher ihre Schwester schon längst hätte machen müssen, kehrte sie in die Stube zurück und verstaute die Laken in einer Schublade. „Schwester, du hast schon wieder vergessen, die Laken hinein zu holen. Du weißt, dass Mutter dies gar nicht gerne sieht.“ Otilia verdrehte nur die Augen und betrachtete sich weiter in ihrem Handspiegel und fuhr sich mit dem feinen Kamm durch ihre langen, blonden Strähnen. „Bin ich hier die Magd? Ich schufte so viel, da kannst du doch auch etwas machen“, seufzte sie in ihrer arroganten Stimme. Sofie kochte innerlich. Und sowas muss ich mir hier tagtäglich anhören. Eine Unverschämtheit ist das! Doch will ich keine Petzte sein und es Mutter sagen. Sie würde sich nur wieder unnötig aufregen… Sie senkte den Kopf. Es hatte keinen Sinn, sich mit Otilia zu streiten. Da ertönte ein Quietschen und die Tür ging auf. „Guten Morgen Mutter“, begrüßte Sofie sie. „Guten Morgen. Nimm mir doch mal bitte den schweren Korb ab“, bat sie Sofie, welche sofort kam und diesen ihr abnahm. „Oh Otilia, das sieht ja köstlich aus“, lobte sie mal wieder die Falsche. „Aber Mutter, für dich nur das Beste“, grinste die Schlange falsch und nahm, sowie die anderen beiden am Esstisch Platz. „Wie ich sehe, ist ein Teil der Stube schon geputzt. Es müssen noch die Ziegen gemolken werden. Dann sollte auch mal wieder der Stall gesäubert werden und es muss dringend gesponnen werden. Wenn ihr euch die Arbeit aufteilt, dann dauert es nicht allzu lange“, meinte die Mutter und biss in ihre Brotstulle. „Oh Mutter, ich glaube ich bin krank“, meinte Otilia in ihrer wehleidigen Stimme und hustete. „Mein Kind, was hast du?“, fragte die Mutter besorgt und ergriff schnell eine Hand ihrer Tochter. Sofie beäugte die Szene ungläubig. Kauft Mutter ihr das wirklich ab? „Ich weiß auch nicht. Schon den ganzen Morgen habe ich Kopf- und Halsschmerzen. Außerdem ist mir sehr schwindelig“, log sie weiter.“ „Ja, Kind. Du siehst auch so blass aus.“ Sofie schrie innerlich auf. Nein, wie kannst du ihr das nur glauben? Sie lügt! Sie ist doch nur so blass, weil sie so gut wie nie raus geht! Otilia nickte bedrückt. „Dann leg dich besser hin. Nicht dass es noch schlimmer wird“, befahl die Mutter und erhob sich, um ihr Brettchen wegzuräumen. Hinter ihrem Rücken sah Sofie ihre Schwester kopfschüttelnd an, diese streckte ihr nur die Zunge heraus. „Ach Sofie, wenn du mit der Arbeit fertig bist, du musst der Bäuerin noch die beiden Laken vorbei bringen. Sie wartet schon lange darauf“. „Ja, Mutter“, entgegnete sie schüchtern ihrer Mutter. Diese duldete auch einfach keine Widerrede. Und so begann der Tag wie jeder andere: Otilia konnte wieder in ihrem Bett faulenzen, während Sofie die Arbeit erledigte.
 

Gegen Abend ging Sofie zu der Bäuerin und brachte die Laken vorbei. Diese bedankte sich ganz herzlich bei ihr und wünschte ihr noch einen guten Nachhauseweg. Draußen war es schon wieder etwas dunkler geworden, schließlich war schon Mitte Herbst. Schnellen Schrittes erklomm sie den Weg zu ihrem kleinen Hof nach Hause. Irgendwie war es unheimlich. Es war dunkel, durch die Häuser schien vereinzelt Licht und irgendwie fühlte sie sich beobachtet. Keine Menschenseele war zu sehen, es lunzte auch keiner von drinnen auf die Straße, also woher kam dann dieses beklemmende Gefühl? Schnell ging sie weiter und erreichte gehetzt das Haus. „Was ist denn mit dir?“, fragte die Mutter besorgt, als Sofie die Tür schnell schloss. „Ich glaube, ich wurde verfolgt“, sprach sie ihre Vermutung aus. „Unsinn. Warum sollte gerade jemand dich verfolgen?“, fragte Otilia abschätzig, die gerade die Treppen hinab stieg. „Ich weiß es nicht“, murmelte Sofie eher zu sich selbst. „Kind, was machst du hier? Du solltest doch im Bett bleiben. Sofie bringt dir was, wenn du etwas brauchst“, sagte die Mutter und schickte ihre zerbrechliche, kleine Tochter wieder nach oben. „Zu gütig“, rief sie noch, als sie in dem gemeinsamen Zimmer, von Sofie und ihr, verschwand. Sofie rollte nur mit den Augen und tätigte auch die restlichen Arbeiten noch, bevor sie zu später Stunde endlich ins Bett gehen konnte. Als sie die Zimmertür öffnete, saß Otilia auf ihrem Bett, kämmte sich wie immer die Haare und betrachtete sich im Spiegel. Sofie’s Blick wanderte zu Otilias Hals. Dort trug sie ein silbernes Medaillon. „He, das ist meins! Das hat Vater mir an seinem Sterbebett vererbt!“, rief Sofie empört aus und machte einen Schritt auf ihre Schwester zu. „Sei doch nicht so geizig! Vater hat dich immer mehr geliebt als mich! Du hast doch alles bekommen! Und was habe ich vererbt bekommen? Einen lächerlichen Schemel!“ „Aber Otilia, das war Vater’s Lieblingsschemel!“, meinte Sofie entrüstet. „Wenn er dir so gut gefällt, kannst du ihn ja gerne haben. Du brauchst das Medaillon doch gar nicht. Du trägst nie etwas hübsches, und hässlich bist du auch noch dazu. Denkst du so ein schönes Medaillon kann das ändern? Der Schemel passt doch besser zu dir!“ Sofie war fassungslos. Plötzlich ging die Tür auf. „Sofie, was schreist du denn hier so herum? Deine Schwester hat bestimmt schon friedlich geschlafen. Warum weckst du sie auf?! Mach dass du ins Bett kommst und Ruhe jetzt!“ Dann schloss sie wieder die Tür. „Bätsch“, streckte Otilia ihrer Schwester wieder die Zunge heraus. Sofie stampfte zu ihrem Bett, zog sich ihr Nachtgewand an und verkrümmelte sich in ihre dicken Federn. Wiederrede hat wie gesagt keinen Sinn.
 

Die nächste Tag brach an und somit wieder ein Tag voller Arbeit. „Heute ist das Dorffest. Darf ich hin?“, fragte Otilia ihre Mutter, als sie sich beim Frühstück versammelt hatten. „Bist du denn auch wieder gesund?“, wollte diese wissen und ließ einen prüfenden Blick über ihre Tochter wandern. „Ja, ausgezeichnet“, meinte sie und strahlte sie an. „Nun gut, natürlich kannst du hin.“ Damit kniff sie ihrer Tochter lächelnd in die Wange. „Darf ich auch?“, fragte Sofie, doch ihre Mutter warf ihr einen strengen Blick zu. „Erst, wenn du fertig gesponnen hast“, meinte sie. „Es wäre einfacher, wenn Otilia mir helfen würde“, warf die Blondhaarige in die Runde. „Sie hat viel empfindlichere Hände als du, sie würde dir nur im Weg stehen!“ Sofie wie sie war, freute sich natürlich und machte sich gleich auf den Weg. Sie hatte noch einiges zu tun und sie wollte das Fest auf keinen Fall verpassen. Insgeheim wollte sie nicht wegen dem Fest an sich hin, sondern wegen des Schusterjungen, Hannes. Sie fühlte sich schon seit langer Zeit zu ihm hingezogen und suchte immer nach Wegen, ihn sehen zu können. Sofie nahm sich das Spinnrad, ihre Spule und die Wolle unter den Arm, dann machte sie sich auf den Weg zum alten Brunnen, wo sie ungestört arbeiten konnte. Fröhlich vor sich hin pfeifend bemerkte sie nicht, wie sie weiter beobachtet wurde und ging weiter zum Brunnen. Dort Arbeitete sie Stunde um Stunde und wenn sie fertig war, brachte sie eine fertige Spule nach der Anderen nach Hause, nur um dann mit einer Leeren wieder zurück zu ihrem Platzt zu gehen. Bei ihrer letzten Route machte sie einen kleinen Abstecher zum Fest. Hinter einem Fass versteckte sie sich und lunzte zum Schauplatz. Dort war alles noch im vollen Gange. Sie sah ihre Schwester, welche auf einem Stuhl saß und in die Menge blickte. An einem anderen Ende entdeckte sie Hannes. Dieser ging schnurstracks auf ihre Schwester zu und verbeugte sich tief. Oh nein. Er fordert sie doch nicht zum Tanz heraus! Sofie konnte es nicht fassen und beeilte sich, zu dem alten Brunnen zu kommen. Das war wirklich ein heftiger Schlag für sie gewesen. Der Junge, den sie immer so toll fand, fragte tatsächlich ihre Schwester nach einem Tanz? Wie ungerecht war die Welt nur zu ihr?! Gedankenverloren setzte sie sich an den Webstuhl und sponn weiter. Plötzlich blickte sie auf, sie hatte sich gestochen. Panisch blickte sie von links nach rechts. Der Brunnen viel ihr sofort ins Auge. Sie hatte den Faden mit ihrem Blut befleckt und wenn sie es nicht schnell abwusch, so würde es nie wieder raus gehen und sie hätte die ganze Spule ruiniert. Die Blondhaarige beugte sich ein Stück nach vorne, um an das Wasser zu kommen. In ihrer Nähe war kein Eimer, deswegen musste es auch so reichen. Sie beugte sich immer tiefer und hielt sich nur noch knapp mit ihren Zehenspitzen fest. Wie ein kalter Windhauch, bemerkte sie einen kleinen Stoß, dann fiel sie in den Brunnen. Es hatte sie doch tatsächlich jemand hineingestoßen. Panisch ruderte sie mit den Armen um sich, doch es half nichts. Wie durch einen unsichtbaren Sog wurde sie nach unten gezogen und versank gänzlich im Wasser. Keiner hatte sie gesehen, keiner wusste, dass sie hier war, also würde auch keiner kommen, um sie zu retten…
 

Sofie erwachte, als die Sonne ihr grell ins Gesicht fiel. Mit einer Hand schützend vor den Augen, bäumte sie sich auf. Es dauerte einen Moment, bis sich ihre Augen an das Licht gewöhnt hatten. Sie musste blinzeln und reib sich ihre blauen Seelenspiegel. Sie saß auf einer großen, weiten, bunten Blumenwiese. In ihrem Rücken bemerkte sie einen harten Gegenstand. Es waren die Wurzeln eines großen Baumes, an dessen Fußende sie gelegen hatte. Langsam stand sie auf und blickte sich um. „Ich glaube ich träume. Wo bin ich nur hier gelandet?“, fragte sie sich verwundert. „Bei Frau Holle, wo denn sonst?“, ertönte eine Stimme hoch über ihr im Baum. Sofie blickte erschrocken nach oben. „Wer bist du?“, fragte sie ihn, nachdem sich der Schock langsam gelegt hatte. „Meinen Namen, brauchst du nicht wissen“, entgegnete er ihr stumpf und sprang von seinem Ast hinunter. „Du sagtest, ich sei bei Frau Holle, aber wer ist das?“, wollte sie wissen und musterte ihn. Er hatte kohlrabenschwarzes Haar und dunkle Augen. Er war kaum ein Jahr älter als sie selbst und strahlte irgendwie etwas Unheilvolles aus. „Frau Holle ist… alles. Sommer und Winter, Regen und Schnee. Du solltest dich auf den Weg machen. Sie wartet schon auf dich!“ Er war ihr mit jedem Wort einen Schritt näher gekommen, doch kurz vor ihr war er gestoppt. Seine Augen waren smaragdgrün und seine Haut schneeweiß. Sofie wollte gerade ansetzte, ihm nach den Weg zu fragen, doch er sprang mit einem Satz in die Luft und verwandelte sich in einen schwarzen Raben. „Beeil dich“, rief er ihr noch zu, dann verschwand er. Perplex stand sie noch einen Moment so da, dann schüttelte sie den Kopf, um wieder einen klaren Gedanken zu fassen. Er sagte, ich solle Frau Holle suchen und mich auf den Weg machen. Doch wie komme ich da hin? „Hab keine Angst. Er liebt solche Auftritte“, flüsterte eine Stimme um sie herum. Erschrocken blickte Sofie sich um. Ihr erster Gedanke ließ ihren Blick zu einem der Äste schweifen ließ, doch da war niemand. „Zeig dich!“, rief die Blonde ängstlich und sah sich um. „Hier bin ich“, flüsterte die Stimme wieder und Sofie hob ihren Arm. Dort kroch eine kleine grüne Raupe auf ihrem Arm entlang. „Oh hallo, wer bist du denn?“, fragte das Mädchen verwundert. „Ich heiße Rubi. Ich bin ein grüner Zapfelfalter… Naja noch nicht ganz. Aber du kannst mir dabei helfen“, summte ihre Stimme weiter. „Wie denn?“, wollte Sofie schnell wissen. Sie wollte der kleinen, grünen Raupe so gerne helfen. „Setzt mich an einen Ast, damit ich mir einen Kokon bauen kann.“ Gesagt, getan. Sofie setzte Rubi an dem Ast ab. „Ich danke dir, Sofie“, seufzte die kleine Raupe und begann schon mit dem Kokon. „Warte, woher kennst du meinen Namen? Und wer war der Junge eben?“ Rubi hielt kurz inne. „Frau Holle erwartet dich. Jeder hier kennt deinen Namen. Der Rabe war Crow. Lass dich nicht von ihm einschüchtern. Er redet viel und liebt es, Fremde einzuschüchtern. Doch du brauchst keine Angst vor ihm zu haben. Und jetzt auf, auf! Frau Holle wartet auf dich!“ Damit baute Rubi ihren Kokon weiter. „In welche Richtung muss ich gehen?“, fragte Sofie noch zum Abschluss. „Suche den Ofen. Er wird dich den Weg weisen!“ Das war das Letzte, was Sofie noch hörte, denn Rubi hatte sich zusammen gerollt und im Kokon verkrochen. Komisch, wie konnte sie ihn nur so schnell fertig machen? Was sagte sie? Ofen? Na gut, dann will ich mal den Ofen suchen gehen! Damit machte sich Sofie auf den Weg und lief los. Nach ein paar Minuten Suche, hörte sie ein paar Stimmen. „Zieh uns raus! Zieh uns raus, sonst verbrennen wir! Wir sind schon längst ausgebacken!“ Sofie blickte sich suchend nach den flehenden Schreien um. Da sah sie, hinter einem kleinen Busch Rauch aufsteigen und lief dort hin. Sie entdeckte einen Ofen und vernahm wieder die Stimmen. „Zieh uns raus! Zieh uns raus, sonst verbrennen wir! Wir sind schon längst ausgebacken!“ „Ja doch!“, rief Sofie und nahm ihre Schürze in die Hand, damit sie die Lucke öffnen konnte. Am Boden befand sich eine kleine, metallene Schlaufe, in die sie das Verbindungsstück einrasten konnte. Die Webertochter nahm sich die Brotschaufel und hub die gebackenen Brote aus dem heißen Innenraum. Als Sofie die Brote auf den Tisch absetzte, seufzten sie erleichtert. Auch die nächsten drei taten es ihnen gleich. Der Ofen selbst war auch erleichter. Seine Brote waren nicht verbrannt. „Seht ihr aber schön aus“, schmunzelte Sofie und betrachtete die goldbraune Kruste. „Sagt Brote, für wen seid ihr gebacken worden?“, fragte das Mädchen interessiert. „Frau Holle, Frau Holle!“, riefen sie nur immer wieder. „Dann wohnt sie also in der Nähe?“ Ein Krähen unterbrach sie in der Unterhaltung mit den Broten. „Du bist ja immer noch hier. Sagte ich nicht, du sollst dich beeilen?“, fuhr eine tiefe Stimme sie an. Es war Crow. „Aber, sie benötigten doch meine Hilfe!“ Crow nickte und setzte sich auf eine Tischkante. Er war wieder ein Junge und nicht länger ein Rabe. „Dann geh weiter“, murrte er. So ein unfreundlicher Typ. Sofie murrte nicht, sondern ging weiter. Sie hatte keine Ahnung, wo sie lang musste. Sie hatte keine Gelegenheit gehabt, den Ofen nach dem Weg zu fragen. Also durchstreifte sie die Blumenwiese weiter. Irgendwann hörte sie in weiter Entfernung wieder ein gequältes Stöhnen. „Schüttle mich und rüttle mich! Schüttle mich und rüttle mich! Meine Äpfel sind alle samt reif!“ „Oh nein, du Ärmste!“, rief Sofie aus und rannte sofort zu dem Apfelbaum in ihrer Nähe. „Aber wenn ich dich schüttel, dann werden deine Apfel kaputt gehen!“, bedachte Sofie besorgt. „Hab keine Bedenken. Der Boden ist weich genug! Meine Äste sind so schwer. Es tut so weh!“, stöhnte der Baum auf. Also half ihr Sofie und schüttelte und rüttelte den Baum, was das Zeug hielt. Als alle Äpfel auf den Boden gefallen waren, stapelte Sofie sie zu einem kleinen Türmchen. „So ist es fein“, stellte sie zufrieden fest und drehte sich wieder zum Baum um. „Ich danke dir“, sagte er und lächelte. „So etwas ist selbstverständlich für mich. Ich helfe, wo ich nur kann.“ Sofie lächelte dem Baum freudestrahlend entgegen. „So nimm als meinen Dank einen Apfel von mir. Er wird dich stärken“, sprach der Baum und Sofie nahm sich dankend einen knackigen, roten Apfel und biss hinein. „Wow, die sind ja köstlich. Doch sag mir Baum, weißt du, wo es zu Frau Holle geht?“ „Du musst nur den Weg da vorne folgen, dann kommst du zu ihr“, sagte er und Sofie machte sich auf den Weg. Auf dem Pfad flatterte ihr plötzlich etwas um den Kopf. Das Mädchen blieb stehen und hielt ihren Arm vor ihr Gesicht. Dort war soeben ein Schmetterling gelandet. „Rubi, bist du das?“, fragte Sofie begeistert. „Ja“, sagte der Schmetterling. „Du siehst wunderschön aus!“ Wäre Rubi nicht so klein gewesen, dann hätte Sofie sicherlich ihre roten Wangen gesehen. „Danke für das Kompliment. Aber wir müssen uns auf machen“, meinte der grüne Schmetterling und flatterte voraus. Sofie folgte ihr sofort, bis sie zu einem kleinen Häuschen kamen. Rubi hatte sich auf einer Blume niedergelassen. „Ab hier endet unser gemeinsamer Weg. Du wirst Frau Holle lieben und nie wieder fort wollen. Ich wünsche dir viel Vergnügen!“, rief Rubi ihr zu, dann flatterte sie auch schon wieder weg. Sofie sah ihr noch kurz nach, bis sich eine Tür öffnete. Eine wohlgenährte Frau stand im Türrahmen und lächelte ihr zu. „Hallo Sofie. Schön, dass du mich gefunden hast. Ich hab schon auf dich gewartet.“ Die dickliche Frau lächelte ihr entgegen. „Aber, woher wisst ihr wer…“ „Komm herein. Unser Essen ist fertig.“ Frau Holle hatte ihr einfach das Wort abgeschnitten. Verwundert blickte Sofie die Frau an. „Ich danke Ihnen, aber das kann ich nicht annehmen. Ich wollte Sie eigentlich nur fragen, wie ich wieder zurück zu meinem Dorf, meiner Mutter und meiner Schwester komme“, fuhr Sofie fort. „Ich sehe doch, dass du Hunger hast. Komm doch einen Augenblick mit herein. Wir können beim Essen reden!“ Sofie überlegte kurz, nahm dann doch dankend das Angebot an.
 

In dem Haus roch es köstlich nach Hähnchen. Als sie um die Ecke bog, erblickte das Mädchen einen prall gedeckten Tisch. Hähnchen, Weintrauben, Brot in Hülle und Fülle, ein Krug Apfelsaft stand mittig auf dem Tisch. „Wow, das ist ja wirklich unglaublich. Auch als mein Vater noch lebte, gab es nie so ein Festmahl!“ Sofie war hellauf begeistert, was Frau Holle sichtlich gefiel. „Setzt dich und nimm dir was“, bot die Frau der Blondhaarigen an, welche aber noch so lange wartete, bis die Frau ebenfalls Platz genommen hatte. Und so aßen sie gemeinsam. „Und, wie komme ich nun wieder nach Hause?“, fragte die Webertochter, nachdem sie fertig gegessen hatte. „Weißt du, ich würde mich freuen, wenn du ein wenig hier bleiben würdest. Ich bin so einsam und könnte etwas Hilfe gebrauchen.“ Sofie schmunzelte. „Vielen Dank für das Angebot, aber ich kann nicht bleiben. Meine Mutter braucht mich!“ Frau Holle schloss die Augen. „Sie hat doch noch deine Schwester. Außerdem könntest du so etwas wie heute jeden Tag haben. Du müsstest mir hier im Haus nur etwas zur Hand gehen.“ „Wirklich? Das ist alles?“, vergewisserte sich Sofie. Frau Holle nickte. Das Mädchen war von dem Charme der Dame angetan und willigte ein. Ihre Mutter konnte auch ein paar Tage auf sie verzichten.
 

Mittlerweile war schon eine Woche nach Sofie’s Verschwinden vergangen. Die Dorfbewohner hatten sie gesucht, aber nicht gefunden. Wie hätten sie auch? Sofie war schließlich in den Brunnen gefallen, naja wohl eher gestoßen worden. Otilia hatte keine andere Wahl als der Mutter zur Hand zu gehen. Da Sofie jetzt nicht mehr da war, zogen ihre Ausreden nicht mehr. Die Mutter hatte sie durchschaut. Otilia stellte sich wahrlich dämlich an. Sie bekam nichts auf die Reihe. Beim Stall säubern hatte sie vergessen, das Gatter zu schließen und alle Tiere waren ausgebrochen. Dann hatte sie den Tieren auch noch das falsche Futter zu fressen gegeben. Beim Sticken kamen keine schönen Bilder heraus, wie die bei Sofie und auch das Essen schmeckte nicht so lecker, wie das ihrer Schwester. So langsam kam auch die Mutter dahinter, dass Sofie die ganzen Arbeiten alleine gemacht hatte und war maßlos enttäuscht von ihrer jüngeren Tochter. Doch das spinnen toppte alles. Otilia stöhnte ständig auf, jammerte rum und bekam keinen anständigen Faden auf die Spule. Als die Dorfbewohner das Spinnrad fanden, kamen sie noch nicht einmal ansatzweise auf die Idee, Sofie könne in den Brunnen gefallen sein. Otilia tat es sich sichtlich schwer und warf die Wolle zu Boden. „Mist!“ „Herrjeh, das ist doch nicht so schwer! Sofie konnte das von Anfang an!“, meinte die Mutter und setzte sich mit auf die Bank. „Meine Finger sind halt viel empfindlicher…“ Ihre Mutter warf ihr nur einen strengen Blick zu. „Die sind nicht für so eine Arbeit gemacht!“, fügte die Blondhaarige noch arrogant hinzu. „Dann müssen sie es eben lernen. Ich kann nicht alles gleichzeitig machen. Du hast hier deinen Teil beizutragen. Mit der Zeit werden sich deine Finger schon an den Faden gewöhnen, also jammer nicht so rum. Wenn ich dabei bedenke, dass du es eigentlich schon perfekt beherrschen solltest… Nun mach“, forderte die Mutter wieder auf, nachdem sie Otilia noch einmal den Ablauf gezeigt hatte.
 

Sofie währenddessen pflegte ein wundervolles Leben bei Frau Holle. Sie half ihr putzen, goss die Blumen und bereitete mit Frau Holle zusammen das Essen zu. Sie war bereits seit zwei Tagen hier, zumindest dachte sie das. Was sie nicht wusste war, dass die Zeit hier, viel langsamer umging, als in ihrem Dorf. Ein Klopfen ließ Sofie von ihrer Arbeit aufschauen. Frau Holle war nach oben gegangen, also musste sie die Tür öffnen. Dort stand niemand anderes, als der unfreundliche Kerl, den sie hier als erstes getroffen hatte. Anstatt Hallo oder Guten Morgen zu sagen, drängte er sich an ihr vorbei und eilte die Treppen hinauf. „Hallo?“, rief Sofie ihm hinter und eilte ihm nach. „Du kannst doch nicht einfach an mir vorbei laufen!“, rief sie weiter, doch Crow war stehen geblieben. „Sei leise!“, zischte er sie an und Sofie blieb verdattert stehen. „Oder willst du sie aufwecken?“ Sofie schüttelte schnell den Kopf. „Dann sei gefälligst leise und mach da weiter, wo du aufgehört hast“, sprach er in einem Befehlston. „Das kann man auch freundlicher sagen!“, zischte sie nun zurück. „Ich bin dir keine Freundlichkeit schuldig! Ich wohne hier, verdammt noch mal und ich lass mir von keinem Menschenweib was vorschreiben. Also geh putzen!“ Damit drehte er sich um und verschwand in einem Zimmer, welches sie nicht betreten durfte. Das hatte Frau Holle ihr zu Beginn gesagt. Alle Zimmer durften geputzt werden, aber dieses war tabu. Sofie ging wieder zurück in die Küche und putzte weiter. Dies hier war so ein heiteres Land, doch Crow war der einzige, welcher unzufrieden und streitlustig war. Nachher würde sie Frau Holle nach ihm fragen, zumal er anscheinend hier auch noch wohnte. Also war er ihr Mitbewohner… Gegen Abend kehrte Frau Holle zu ihr in die Stube zurück. „Sofie, ich habe ein kleines Geschenk für dich“, lächelte sie und zog ein Kleid hervor. „Für mich? Ist das Ihr ernst?“ Frau Holle nickte. Erst jetzt viel Sofie wieder ein, was für Lumpen sie hier überhaupt trug. Freudestrahlend nahm sie das Kleid entgegen und ging sich in ihrem Zimmer umziehen. Danach kehrte sie schnell wieder in die Stube zurück und begegnete Crow unterwegs. Dieser blickte sie einen Moment gebannt an, bis sein Blick wieder die desinteressierte Form annahm, die er so pflegte. „Ah, mein Lieber. Wann bist du denn zurück gekehrt?“, empfing Frau Holle den Jungen. „Heute Mittag. Ich habe jemand neuen für dich.“ Crow verbeugte sich tief vor ihr. „Wirklich? So zeig sie mir!“, forderte die pummelige Frau den Rabenjungen auf. Dieser setzte sich an den Esstisch, nahm eine Pergamentrolle aus einer Tasche, bereitete sie aus und murmelte irgendetwas vor sich hin. Dann schnitt er sich mit einem Messer in den Daumen und ließ einen Tropfen seines Blutes auf die Rolle tropfen. Auf der großen, ausgebreiteten Fläche huschte der Tropfen hin und her, zerspaltete sich an einer Stelle, schloss sich an einer anderen wieder zusammen, bis alles getrocknet war. Dort, auf der einst leeren Seite, prangte nun ein Bild von einem Mädchen, mit langen gewellten Haaren. Sie besaß Sommersprossen, weswegen Sofie darauf tippte, dass sie rote Haare besaß. „Wie lautet ihr Name?“, fragte Frau Holle begeistert. „Julietta“, antwortete Crow monoton und riss den beschriebenen Teil der Rolle, mit einem Messer ab und überreichte das Bild der Frau. Ihr Gesicht zierte ein schon fast diabolisches Grinsen. „Na gut. Ich gebe dir vier Tage Zeit. Beobachte sie und bring sie zu mir“, wies sie den Jungen an. Crow verstaute die Rolle in einer Tasche, dann verbeugte er sich tief. „Ja, Meisterin. Das reicht vollkommen aus. Aber was habt ihr mit ihr vor?“, er nickte in Sofie’s Richtung. Frau Holle blickte sich nachdenklich um. „Sie hat mir viel geholfen. Sie darf bleiben.“ Verwirrt blickte Sofie die Frau an. Irgendwie war diese ein bisschen unheimlich geworden. „Es ist alles in Ordnung mein Kind. Wir werden bald Besuch bekommen“, lächelte sie der Blondhaarigen zu. Diese nickte nur und verabschiedete sich. Der Appetit war ihr vergangen und sie wollte lieber jetzt schon ins Bett gehen. Crow verabschiedete sich ebenfalls von Frau Holle und ging raus in die Nacht.
 

Die Nacht über wälzte sich Sofie immer wieder in ihrem Bett herum. Was war das nur für ein seltsames Gespräch gewesen? Oder eher die Befehle, die sie ihm erteilt hat? Am nächsten Morgen war Sofie ganz fertig mit der Welt. Sie hatte ein ungutes Gefühl. Was war, wenn dieses nette Getue alles nur Schein war? Aber diese Frau hatte so viel für sie getan, hatte ihr Obhut gegeben, Essen, Trinken und ein wunderschönes zu Hause! Zu Hause… Sofie fiel es wie Schuppen von den Augen. Ihr zu Hause! Sie hatte ihre Mutter, ihre Schwester und das ganze Dorf total vergessen! Es war so viel passiert, dass sie gar nicht mehr daran gedacht hatte. Entschlossen sprang sie aus dem Bett. Sie musste Frau Holle fragen, wie sie wieder nach Hause kam! Sofie machte noch ihr Bett, nahm sich ihr schönes Kleid von der Kleiderstange und schlüpfte hinein. Unten hatte Frau Holle schon mit dem Essen angefangen vorzubereiten. „Meine Liebe Sofie, schön das du wach bist.“ „Guten Morgen, Frau Holle“, begrüßte das Mädchen sie ebenfalls uns nahm sich ihre Schürze von dem Haken. „Sagen Sie, wie kommt man hier wieder weg? Ich würde gerne bleiben, aber ich denke meine Mutter und meine Schwester vermissen mich schon. Ich muss zurück…“ Frau Holle hielt in ihrer Bewegung inne. „Mein Kind, habe ich etwas Falsches gemacht?“, fragte sie besorgt und legte den Kochlöffel auf die Seite. „Aber nein! Ich habe hier die schönste Zeit verbracht, welche ich mir nur wünschen kann, aber es wird langsam Zeit.“ Frau Holle sah sie flehend an. „Mein Kind, ich habe dich so sehr in mein Herz geschlossen, dass ich mich nicht mit dem Gedanken anfreunden kann, dich gehen zu lassen. Ich bin doch so alleine hier… Du hast wieder etwas Leben in die Stube gebracht. Bitte, bleib noch eine Weile.“ Innerlich war Sofie hin und her gerissen. „Aber, Crow wohnt doch hier, und Ihr sagtet gestern noch, dass Sie besuch bekommen würden. Dann seid Ihr doch gar nicht so alleine!“ „Crow ist sehr selten hier und der Besuch wird nicht auf die Dauer sein. Ich bitte dich. Nur noch eine Woche…“ Sofie gab sich geschlagen. „Na gut“, lächelte sie die Frau an, welche sie auch gleich in eine feste Umarmung zog. „Dann will ich dir nach dem Essen auch etwas Schönes zeigen. Weißt du, der Winter hat begonnen und wir müssen den Pflanzen helfen!“ Sofie war sehr interessiert, was sie zu sehen bekommen würde. Also half sie noch schnell, dass Essen fertig zu machen und aß auch in einer atemberaubenden Geschwindigkeit auf. Nach dem Essen war sie so aufgeregt, dass ihr beim Spülen fast ein Teller aus der Hand gefallen war.
 

Sie stiegen die Treppen hinauf und steuerten Frau Holles Schlafzimmer an. „Sie her, du musst die Kissen jeden Tag tüchtig schütteln, dann schneit es auf der Erde! Weißt du, die Natur muss sich ausruhen und der Schnee legt sich wie ein wärmender Mantel über alle Pflanzen, damit sie vor Frost geschützt sind und im Frühling zu neuem Leben erwachen können.“ Sofie lächelte. „Heißt das, wenn es jedes Mal geschneit hat, dann hast du die Betten geschüttelt?“ Frau Holle nickte. „Dann will ich mich bemühen, dass die anderen einen schönen Winter haben!“ Und somit rüttelte und schüttelte und schlug auf die Kissen ein, sodass die Federn nur so flogen. Sofie machte dies einen Heidenspaß und sie merkte gar nicht, wie sie Stunde um Stunde am Fenster stand und die Betten schüttelte. Als sie am Abend ganz erschöpft in ihr Bett sank, konnte sie tief und fest einschlafen. Auch wenn sie nur die Betten geschüttelt hatte, so war es trotzdem sehr anstrengend gewesen, so im Nachhinein. So vergingen auch die nächsten Tage und Sofie schüttelte die Betten, damit es schön schneite. Sie merkte schon gar nicht mehr, dass sie ihre Familie wieder vergas und dadurch doch länger blieb, als sie eigentlich vor hatte.
 

Währenddessen schneite es im Dorf ununterbrochen. Die Kinder freuten sich und spielten in der weißen Winterpracht. Sie machten Schneeballschlachten, bauten Schneemänner, oder fuhren Schlitten. Es herrschte eine ausgeglichene Stimmung. Gregor, der Sohn der Bäuerin, und Hannes, der Sohn des Schusters, bauten zusammen einen Schneemann. Sie hatten auch so lange Spaß, bis Otilia zu ihnen stieß. Freudig rief sie aus: „So viel hat es schon lange nicht mehr geschneit“, und drehte sich einmal im Kreis. Gregor, der mit Hannes zusammen vor dem Schneemann stand, lächelte ihr zu. „Habt ihr denn schon was für das Gesicht des Schneemannes?“, fragte sie und kam einen Schritt näher zu den Jungen. Beide schüttelten den Kopf. Otilia’s freundliches Lächeln wich. „Gregor, hol eine Möhre und zwei Kohlestücke!“ Dieser nickte und lief um die Sachen zu holen. Hannes sah sie verstört an. „Sag, macht dir das Spaß?“, er zog entrüstet eine Augenbraue hoch. Da hatte Otilia es wirklich gewagt, seinen besten Freund herum zu kommandieren. „Was meinst du denn?“, fragte sie verwundert und machte ihm schöne Augen. „Na das! Gefällt es dir, jeden nach deiner Pfeife herum zu tanzen? Somit machst du dir keine Freunde. Komm Gregor, wir gehen wo anders hin!“, wandte sich der Schustersjunge an seinen besten Freund, der gerade zurückgekehrt war. Gregor verstand erst nicht, kam Hannes dann noch hinter her und ließ eine verdutzte Otilia stehen. Sie wusste beim besten Willen nicht, was sie falsch gemacht hatte. So war sie doch immer drauf… In den darauf folgenden Tagen schneite es immer weiter. Otilia und ihre Mutter saßen zusammen in der Stube und Otilia schaute verträumt aus dem Fenster. Sie liebte den Winter, denn da musste sie nicht viel oder gar nicht arbeiten. „Ich hoffe nur, dass der Winter bald aufhört“, seufzte ihre Mutter. „Warum? Es ist doch schön. Wir haben es warm, warum beklagst du doch dann?“, wollte sie, so blauäugig wie sie eben war, von ihrer Mutter wissen. „Im Frühling wollen die Leute wieder neue Kleider kaufen. Wir müssen sparen, vielleicht bringt der Frühling ja etwas mehr Geld ein…“ Otilia seufzte nur. Das bedeutete dann: mehr Arbeit!
 

Ein paar Tage später sagte Frau Holle zu Sofie, dass der Winter nun vorüber war und die Blondhaarige aufhören konnte. An diesem Abend kam Crow wieder nach Hause und setzte sich tatsächlich mit an den Tisch. „Deine Zeit ist schon lange überschritten, warum kommst du erst jetzt?“, fragte Frau Holle und zum ersten Mal konnte Sofie so etwas wie strenge aus ihrer Stimme heraus hören. „Es gab Komplikationen. Ich musste noch etwas dort bleiben…“ Sein Blick huschte kurz zu mir. Wissend nickte die Frau und aß weiter. „Möchtest du nicht auch etwas haben? Es ist noch so viel übrig“, bot Frau Holle dem Schwarzhaarigen etwas zu Essen an. Er besah sich kurz die ganzen Köstlichkeiten, schüttelte dann jedoch den Kopf. „Ich brauche nichts, danke der Nachfrage. Ich bleibe ein paar Tage hier, wenn das in Ordnung ist, dann kann ich wieder zurückkehren. Das nächste Mal werde ich nicht ohne leere Hände wieder kommen. Versprochen, Meisterin.“ Die Dame nickte. Dann erhob sich der Rabenjunge und ging auf sein Zimmer. Was war nur so geheimnisvoll daran, dass Sofie es nicht betreten durfte? Neugierig war sie ja schon. Sofie beschloss, das nächste Mal, wenn Crow nicht da war und Frau Holle schlief, dann würde sie sich trauen und hinein sehen. Sie hatte noch nie so etwas wie Neugierde gespürt. Oder eher immer nur sehr gering, aber hier platzte sie innerlich vor Aufregung. Was würde sie nur zu Gesicht bekommen? Sofie verabschiedete sich, nachdem sie den Abwasch gemacht hatte und legte sich in ihr Bett. Gleich neben ihrem war das Zimmer des mysteriösen Rabens. Was er wohl zu verbergen hatte?
 

Die Tage kamen, die Tage gingen. Es wurde fast schon etwas monoton. Sie konnte es kaum abwarten, bis Crow wieder ging. Und nach fünf Tagen des elendigen Wartens, war es endlich so weit: Crow reiste ab! Sofie wusste nun ganz genau, wann Frau Holle ihren Mittagsschlaf hielt und nutzte diese Zeit aus. Das Schlafzimmer lag am anderen Ende des Flures, also würde sie es mitbekommen, sollte die alte Dame aufwachen. Sofie’s Herz schlug heftig gegen ihre Brust, als sie vor der Tür stand. Vielleicht könnte ihre Neugierde auch hier stoppen, wenn die Tür verschlossen war. Langsam prüfte sie, ob sich der Türknauf drehte und tatsächlich, es war nicht abgeschlossen. Mit wild klopfendem Herzen öffnete sie die Tür und schloss die Augen. Was war, wenn es zu schrecklich war? Sie wusste ja selbst nicht, was sie erwarten würde. Die Tür wurde noch ein Stück aufgeschoben, dann stecke sie ihren Kopf durch die Öffnung. Verdattert öffnete sie die Tür nun ganz. Was war an diesem Zimmer so besonders gewesen? Es sah genauso aus, wie ihr eigenes, bis auf die Tatsache, dass es kein großes Fenster gab. Es waren Fenster eingebaut worden, daran war kein Zweifel, doch große, dicke Metallstangen verhinderten den Weg nach draußen. Es erinnert ein bisschen an einen Vogelkäfig. Außer der Tür gab es keine Fluchtmöglichkeit. Sein Bett war Ordentlich gemacht worden und auch kein Staubkörnchen war zu sehen, als ich so durch das Zimmer schweifte, auf der Suche nach irgendwelchen Anhaltspunkten. In seinem Bücherregel standen lauter alte, vergilbte Bücher, mit komischen Zeichen auf den Einbänden. Sofie nahm sich eines der Bücher heraus und setzte sich auf das Bett. Es fiel gerade genug Licht hinein, sodass sie alles auf den Seiten erkannte. Es scheint mir, als seien das Zauberformeln. Zumindest kommt dies meinen Vorstellungen von Magie sehr nahe. Aber, warum ist Crow im Besitz von Zauberbüchern? Ist er etwa ein Magier? Die Blondhaarige klappte das Buch wieder zusammen und stellte es zurück ins Regal. Dann nahm sie sich ein anderes, ein schwarzes, mit goldenen Lettern auf dem Einband, heraus. „Schwarze Zauberkunst“, las sie laut vor. Crow zählte also zu der dunklen Sorte. Ich hatte davon schon einmal gehört, aber nie geglaubt, dass so etwas wie Magie wirklich existierte. Sofie versank förmlich in dem Buch und bemerkte gar nicht, wie die Zeit umging, jedoch war es nicht Frau Holle, die sie erwischte. „Was zum Teufel machst du in meinem Zimmer?!“, fuhr eine dunkle Stimme sie an. Sofie erschrak und warf das Buch zu Boden. „Ich- ich-“, begann sie zu stottern. Crow schloss die Tür hinter sich und trat an sein Bett, dann nahm er das Buch vom Boden und stellte es zurück ins Regal. „Was hast du alles angefasst?“, fragte er sie barsch und drehte sich zu ihr. „Nichts! Nur dies Buch!“, antwortete sie sofort. Sie hatte Angst, was würde er wohl mit ihr machen? „Sonst nichts?“, hakte er noch einmal nach. Sofie schüttelte den Kopf. „Dann mach, dass du hier raus kommst! Wenn ich dich noch einmal hier erwische, dann bist du tot!“, zischte er drehte ihr den Rücken zu. Sofie lief schnellen Schrittes aus dem Zimmer. Genau dort stieß sie mit Frau Holle zusammen. „Was machst du denn in seinem Zimmer?“, wollte sie wissen und rieb sich verschlafen die Augen. „Es tut mir so unendlich leid, ich konnte meine Neugierde nicht tilgen. Ich weiß auch nicht, was über mich gekommen ist. Ich verspreche, ich werde so etwas nie wieder tun!“ Sofie weinte bitterlich. Sie hatte so ein großes Schamgefühl. Nun kam auch noch Crow aus seinem Zimmer. „Sie hat sich lediglich meine Bücher angesehen“, meinte er und blieb vor mir stehen. „Denk dran, was ich dir gesagt habe und nehm es dir zu Herzen, kleines Menschlein!“ Die Blondhaarige nickte. Es war selbstverständlich gewesen, dass Crow sauer auf sie war. „Nun gut, solange es nur das war. Versprich mir nur, dass dies nie wieder vor kommt“, fragte Frau Holle etwas streng. Sofie nickte. Dann gingen die drei hinunter. Crow war nur da gewesen, weil er seine Pergamentrolle vergessen hatte, sonst hätte er Sofie wahrscheinlich nicht erwischt. Gegen Abend, als Sofie wieder in ihrem Bett lag, starrte sie die Decke an. Sein Gesichtsausdruck war schon fast erleichtert, als ich sagte, dass ich nur die Bücher angefasst und auch durchblättert hatte. Also verheimlicht er doch etwas und Frau Holle weiß das auch… Aber wie nur, kann ich herausfinden, was es ist? Ich habe mir geschworen, dieses Zimmer nicht mehr zu betreten, aber es lässt mir einfach keine Ruhe. Wenn ich nachfrage, beiße ich wahrscheinlich nur auf Granit. Niemand wird mir freiwillig etwas erzählen. Und dann ist da noch die Sache mit dem Mädchen… wie war noch gleich ihr Name? Julietta! Was für eine Art Besuch ist sie? Crow scheint sie zu bewachen, soll er sie etwa entführen? Ach quatsch, was rede ich denn da? Das ist doch totaler Unsinn! Dann würde er ja mit Frau Holle unter einer Decke stecken. Was hat das alles nur zu bedeuten? Sofie schloss angestrengt die Augen und versuchte zu schlafen. Es begann wieder unheimlicher zu werden.
 

Die nächsten Tage vergingen und es passierte nichts Großartiges. Doch an diesem Tag, klopfte es an der Tür. Es war Crow. „Sie ist auf dem Weg hier her. Gerade ist sie am Apfelbaum vorbei. Rubi macht den Rest“, informierte er die dickliche Frau. Diese nickte. „Hast du gehört, Sofie? Der Besuch kommt.“ Sie nickte. Was für ein Besucher sie wohl war?! Ein paar Minuten später öffnete Frau Holle die Tür. Die Blondhaarige blieb drin und machte das Essen weiter. „Hallo Julietta. Schön, dass du mich gefunden hast. Ich hab schon auf dich gewartet.“ Das Rothaarige Mädchen lächelte peinlich berührt. „Aber, woher wisst ihr wer…“ „Komm herein. Unser Essen ist fertig. Sofie wartet schon“, lächelte die Frau dem Mädchen zu. „Verzeiht, aber ich kann Euer Angebot nicht annehmen. Ich muss zurück zu meiner Familie. Mein Vater macht sich bestimmt schon ganz große Sorgen!“ „Iss doch erst mit uns“, forderte die Frau das Mädchen auf. Also trat sie ein und nickte Sofie zur Begrüßung zu. Eigenartig. Das kommt mir fast so vor, wie das Gespräch, welches wir zuerst geführt hatten… Wir saßen zusammen und Julietta war hellauf begeistert. „So ein Festmahl gab es das letzte Mal, zu den Lebzeiten meiner Mutter. Es ist wunderschön, so etwas noch einmal erleben zu dürfen. Ich danke Ihnen, Frau Holle.“ „Nicht doch, Schätzchen. Dafür brauchst du dich doch nicht bedanken. So etwas muss nicht das letzte Mal gewesen sein. Wenn du hierbleiben möchtest, musst du nichts weiter tun, als ein bisschen im Haushalt zu helfen und Sofie und mir ein wenig unter die Arme zu greifen.“ Juliette überlegte kurz. „Und Sie scherzen nicht?“ Frau Holle schüttelte den Kopf. „Aber nein, mein Kind. Ich sage die Wahrheit.“ Julietta grinste über beide Ohren. „Vielen Dank für das Angebot, ich nehme es sehr gerne an.“ Die Rothaarige verneigte sich. Nach dem Essen räumte sie mit Sofie zusammen den Tisch ab. „Sag, wie bist du hier her gekommen?“, wollte sie wissen, als sie der Rothaarigen einen Teller hin hielt. „Du wirst es nicht glauben, aber ich bin in einen Brunnen gefallen und dann auf einer Blumenwiese aufgewacht“, erzählte sie kichernd. „Genau wie ich“, stellte die Weberstochter ertaunt fest. „Bist du auch an dem Ofen und an dem Apfelbaum vorbei gekommen?“, fragte sie Julietta weiter aus. „Ja, und an einer kleine Raupe. Rubi war ihr Name“, meinte sie nachdenklich. „Eine Raupe? Wohl eher ein Schmetterling“, korrigierte die Blondhaarige sie. „Ja, als sie sich verwandelt hatte. Aber zuerst war sie eine kleine, grüne Raupe.“ Juliette wirkte felsenfest überzeugt von ihrer Aussage. „Ich habe Rubi auch getroffen, als sie eine Raupe war, aber dann habe ich sie an einen Baum gesetzt, sie hat sich einen Kokon gebaut und wurde dann zum Schmetterling“, erzählte Sofie. „Genau wie bei mir“, meinte die Rothaarige verwundert. Die Erstere von beiden Ankömmlingen grübelte nach. Was wird hier für ein Spiel gespielt? „Und wie lange bleibst du? Frau Holle und Crow haben schon länger über dich gesprochen“, meinte sie nach einer kurzen Bedenkzeit. „Ich weiß es nicht. Wohnst du hier? Und du kennst Crow?“ „Ja, also nur vorübergehend. Da fällt mir ein, ich wollte schon längst wieder nach Hause… Meine Mutter und meine Schwester sind bestimmt krank vor Sorge! Und Crow war der Erste, den ich hier getroffen habe.“ Julietta grinste. „Komischerweise kannte ich ihn schon eine kurze Zeit, bevor ich hier her kam. Er wohnt in unserer Stadt. Ich frage mich, warum er Crow heißt. Vielleicht wegen seinem kohlrabenschwarzen Haar?“ Letzteres stellte sie sich eher selbst als Frage. „Weil er ein Rabe ist. Zumindest kann er sich in einen verwandeln“, sagte Sofie. „Was? Du spinnst doch! Glaubst du etwa an Zauberei? Wie alt bist du? 12?“ „16!“, antwortete die Blondhaarige mit fester Stimme, „Und ich sage das nur, weil ich ihn schon in seiner Rabengestalt gesehen habe! Außerdem besitzt er Zauberbücher“, erzählte sie weiter. Julietta sah sie zweifelnd an. „Sicher, dass du kein Fieber hast oder zu überarbeitet bist? Leg dich doch besser hin. Ich mach den Rest.“ Verdattert starrte sie die Rothaarige an. „Hast du ihn denn nicht als Raben gesehen?“ Sie schüttelte den Kopf. „Ich habe einen Raben gesehen, aber da stand Crow noch vor mir!“ Nur war Sofie verwirrt. „Ich denke, ich gehe doch besser ins Bett…“ Damit drehte sie sich zur Treppe um und erklomm diese. Frau Holle würde Julietta bestimmt zeigen, wo sie schlafen konnte. Schließlich war Sofie hier nicht die Magd! Sie half ihr gerne, keine Frage, aber ihre Dienstmagd war sie nicht. Sofie legte sich erschöpft ins Bett. Darauf musste sie erst einmal klar kommen. Julietta’s Anreise war fast genauso wie ihre eigene abgelaufen. Der einzige Unterschied: Crow hatte sich nicht in einen Raben verwandelt. Die Blondhaarige schloss die Augen, morgen war auch noch ein Tag.
 

Mitten in der Nacht schreckte sie auf. Sie hatte ein Geräusch gehört, was eher nach einem erstickten Schrei klang. Dieses Haus wurde von Tag zu Tag unheimlicher. Sie sollte sich wirklich auf den Weg nach Hause machen. Gleich morgenfrüh würde sie Frau Holle ein letztes Mal darauf ansprechen und dieses Mal ließ sie sich nicht unterkriegen. Also stand sie wie jeden Morgen früh auf, machte ihr Bett, wusch sich, machte sich fertig und ging hinunter, um beim Frühstück machen zu helfen. Frau Holle war schon fleißig am braten. „Liebe Frau Holle, nun ist bestimmt schon eine sehr lange Zeit vergangen. Ich muss wirklich wieder nach Hause. Aber vielleicht kann ich ja eines Tages wiederkommen.“ Sofie wartete auf eine Antwort. „Nun gut. Gleich nach dem Frühstück sollst du deine Belohnung für deine harte Arbeit bekommen. Doch zuerst essen wir.“ Die Blondhaarige traute ihren Ohren kaum. Hatte die Dame einfach so eingewilligt? Was war nur passiert?! Sofie deckte den Tisch für vier Personen. „Mein Kind, wir sind nur zu zweit. Crow musste schon in den frühen Morgenstunden wieder gehen und Julietta musste ebenfalls wieder zurück. Sie hatte so großes Heimweh, dass sie die ganze Nacht geweint hatte.“ Sofie dachte nach. Das könnte den erstickten Schrei erklären, den ich heute Nacht gehört habe… Die Arme. Zufrieden nickte sie und setzte sich mit an den Tisch. Dann aßen die beiden ihr letztes, gemeinsames Frühstück zusammen. Nachdem sie abgeräumt hatten, gingen sie nach draußen. „Komm, mein Kind. Ich zeig dir den Weg“, sagte die Dame etwas traurig und schrittvoran. Sofie folgte ihr mit großer Vorfreude. Vor einem großen Bogen, der von Blumen umrankt war, hielten sie an. Frau Holle zog eine Spule aus einer Seitentasche ihres Kleides. Es war die Spule, welche Sofie in den Brunnen fallen gelassen hatte. „Danke! Ich dachte, ich hätte sie verloren“, sagte Sofie überglücklich. Dann würde die Mutter auch nicht sauer sein, wenn sie zurück kam. „Ich hab sie die ganze Zeit für dich aufbewahrt“, sagte die pummelige Frau mit einem knappen Lächeln im Gesicht. Ihr missfiel der Gedanke, Sofie wieder gehen zu lassen. Die beiden Frauen umarmten sich zum Abschied. „Mach’s gut, Sofie. Das Glück soll steht’s auf deiner Seite bleiben.“ „Ich danke Euch, für die Zeit. Vielleicht sieht man sich wieder. Auf bald“, sprach Sofie noch zum Abschied und schritt durch den Bogen. Plötzlich fiel ein Goldregen auf sie herab, der sie in ein glänzendes Licht tauchte. Als es vorbei war, drehte sie sich noch einmal zu Frau Holle um, die noch am Fuße des Weges stand und ihr zum Abschied zu wank. Sofie entgegnete diesem Gruß mit einem Lächeln. Dann verbeugte sie sich noch einmal und erklomm den Weg zurück, den sie hier her gegangen war. Vor sehr, sehr langer Zeit…
 

Als Sofie an dem großen Baum ankam, an dem sie erwacht war, ließ sie sich in ihrem goldschimmernden Kleid an einer Wurzel nieder und betrachtete die Spule. Auch diese war in Gold getaucht worden. Frau Holle war viel zu gütig gewesen. Dieses Geschenk konnte sie doch unmöglich annehmen. Kurz war sie davor, aufzuspringen und der alten Dame das Geschenk zurück zugeben, da hörte sie ein Flattern hoch über sich im Baum. Crow saß, wie zu Beginn, ein paar Äste über ihren Kopf. „So, so. Dann lässt sie dich also freiwillig wieder gehen“, murrte er und sprang hinunter. „Wie meinst du das?“, wollte Sofie verwundert wissen. Er betrachtete sie nur abschätzig. „Belohnt wurdest du auch noch. Solch primitive Menschen. Geld regiert bei euch die Welt, stimmt‘s? Wahrscheinlich wirst du als Heldin gefeiert, wenn du so zu Hause auftauchst.“ Sofie verstand seine Worte nicht. Warum war er so gemein zu ihr? „Crow, sei doch ein bisschen netter. Würde dir wirklich gut tun“, flüsterte eine Stimme. Sie kam Sofie bekannt vor. „Rubi? Bist du es, Rubi?“, fragte sie und drehte sich um. Ein Glitzern gewann ihre Aufmerksamkeit und plötzlich stand neben Crow, dem Rabenjungen, ein Mädchen, das kaum älter als Sofie selbst war, mit langen, grünen Haaren vor ihr. Rubi verbeugte sich. „Ja doch. Es freut mich, dass du dich an mich erinnerst.“ Sofie lächelte. Plötzlich tauchten noch mehr Personen auf. Es waren sechs Mädchen, alle wahrscheinlich in Sofie’s Alter. Es war eine Blondhaarige, eine Orangehaarige, eine Rothaarige, eine Rosahaarige, eine Lilahaarige und eine Blauhaarige. „Stellt euch auf!“, wies Crow die Mädchen an. „Minor, hier hin.“ An seinen Platz stellte sich die Blondhaarige. „Lilium.“ Die Orangehaarige stellte sich links neben die Blondhaarige. „Onica.“ Neben die Orangehaarige, die Rothaarige. „Rubi neben Minor.“ Rubi eilte zu ihrem Platz. Dann ging es auch schon weiter. „Delphin, Lava, Achime. In der Reihenfolge neben Rubi.“ Zuerst stellte sich die Blauhaarige neben Rubi. Dann die Lilahaarige neben die Blauhaarige und zu guter Letzt, die Rosahaarige zwischen die Rothaarige und die Lilahaarige. Jetzt standen sie in einem perfekten Kreis. „Und du“, wies er Sofie an, „stellst dich in die Mitte.“ Sofie tat wie ihr geheißen und schlüpfte durch eine Lücke. Dann stellte sie sich in den Mittelpunkt. Die Mädchen nahen sich an den Händen. Plötzlich ertönte eine leise Flötenmelodie und Sofie blickte sich suchend um. Crow saß am Fuße des alten Baumes und spielte ein Lied. Die Mädchen um Sofie herum begannen im Kreis zu tanzen und summten, passend zur Melodie. Die Blondhaarige spürte etwas, wie Windböen, die um sie herumwirbelten. Die Haare der Mädchen wurden in die Luft gewirbelt und erst jetzt fiel der Weberstochter auf, dass die Mädchen einen Regenbogen bildeten. Das Lied wurde immer lauter und der Wind wurde immer kräftiger. Plötzlich hob Sofie ab. Sie spürte, wie sie den Halt zum Boden verlor und in die Luft flog. Wie durch einen magischen Sog wurde sie in den Himmel gezogen. Ein grelles Licht blendete ihre Augen und dann, war alles weiß um sie.
 

Crow legte die Flöte bei Seite. „Ihr könnt nun wieder an euren Platz zurück. Die nächste wird bald hier sein“, sagte er so monoton wie immer und erhob sich. Die Mädchen tanzten durch die Wiesen und verblassten nach und nach und die Farben der Blumen wurden wieder kräftiger, sie schienen zu leuchten. Rubi stand noch neben Crow und sah den Mädchen hinterher. „Wann kommt die nächste?“, wollte sie wissen, als sie sich auch schon zurück in eine Raupe verwandelte. Es sollte ja immer wieder von vorne Anfangen. „In zwei Tagen“, antwortete er und verwandelte sich in seine Ursprungsgestalt zurück. Er war kein Mensch, seine wahre Form war ein Vogel. Die einigen Menschen die hier waren, waren die Mädchen, welche er nach und nach hier her brachte. Sie dienten alle nur zu einem einizigen Zweck. Dem Erhalt dieser Welt. Nur die gutherzigen, netten und hilfsbereiten Menschen kamen dafür in Frage. Schließlich war ein reines Herz voller Kraft und Lebensenergie. Die Mädchen merkten gar nicht, wie ihnen nach und nach diese Energie entzogen wurde, je länger sie hier blieben. Der Rabe landete vor der Eingangstür von Frau Holle. „Warum habt ihr sie gehen lassen, Meisterin?“, fragte er, als er zur Tür hineinkam, diesmal jedoch in Menschengestalt. „Ein gebrochenes Herz verbreitet nur Kummer und Sorge. Sie hat uns sehr geholfen, daher war es an der Zeit, sie gehen zu lassen“, sagte die alte Dame. „Du siehst schwach aus, hat die Letzte denn nichts Besonderes vollbringen können?“ „Weißt du, Menschen sind schwach. Reichst du ihnen die Hand aus dem Elend zu entfliehen, so nehmen sie deinen ganzen Arm und fordern immer mehr.“ „Was meint Ihr damit, Meisterin?“, fragte der Rabenjunge verwirrt. Er wurde aus ihren Weisheiten oder wie man das nannte einfach nie schlau. „Zwar war sie ein gutherziges Kind, das will ich nicht verleugnen, aber ich konnte schon spüren, dass ihr Herz schwach war. Sie hätte hier nicht viel machen können und wäre am Ende eingeknickt. Du musst jemanden finden, der von Grund auf ein reines Herz besitzt.“ „Aber Meisterin, gerade diesen Menschen habt ich doch gerade gehen lassen! Es ist schwer, jemanden ihrer Art zu finden.“ Frau Holle nickte. „Ich weiß. Dann geh und mach dich auf die Suche.“
 

Sofie erwachte bei Tagesanbruch. Die Vögel zwitscherten laut über ihren Kopf und das weiche Gras unter ihr, glich einer weichen Matratze. Die Blondhaarige reib sich die Augen und stand auf. Sie war wieder zu Hause. Dort, vor ihr, war der Brunnen, in den sie einst hineingefallen war. Schnell schnappte sie sich die Spule, welche neben ihr gelegen hatte und machte sich auf den Weg ins Dorf. Der Weg war nicht weit und so kam sie sehr schnell an ihrem Ziel an. Mittlerweile war mehr als 12 Monde vergangen und die Dorfbewohner hatten sie schon fast vergessen. Ihre Suche damals war erfolglos geblieben, daher hatten sie die Hoffnungen aufgegeben, Sofie je wieder zu sehen. Ein Hahn krähte: „Kikeriki, Kikeriki, unsere goldene Jungfrau ist wieder hie‘!“ Die Dorfbewohner drehten sich einer nach dem anderen um und sahen gebannt auf den Weg. Da stand doch wahrhaftig Sofie. Ihre Sofie, welche sie tot geglaubt hatten. Die Nachricht verbreitete sich im Nu und Sofie wurde von den Leuten umringt. Ihre Mutter kämpfte sich den Weg nach vorne durch und warf sich ihrer verschollenen Tochter um den Hals. „Meine Güte, Sofie. Es ist wahrlich ein Wunder! Und schau dich nur an, wie du aussiehst. So strahlend und so prächtig!“ Natürlich wollten alle Leute wissen, wo sie denn so lange war und somit erzählte Sofie von Frau Holle und ihren Aufgaben bei ihr. Die Kinder waren sehr erstaunt. „Dann hast du uns den Schnee gebracht?“, wollte ein kleines Kind wissen. Sofie nickte. Die Erwachsenen hingegen lachten. Enttäuscht blickte Sofie zu Boden. „Ihr glaubt mir nicht…“, stellte sie traurig fest. „Hauptsache ist doch, dass du wieder da bist, mein Kind“, sagte die Mutter. Otilia sah sie die ganze Zeit neidisch an. Man konnte ihr ansehen, wie es ihr missfiel, dass Sofie so im Mittelpunkt stand. „Otilia war keine große Hilfe, sie hat nur Fehler gemacht“, beklagte sich die Mutter. „Jetzt bin ich ja wieder da“, lächelte Sofie ihre Mutter aufmunternd an.
 

Am Abend, als beide Schwestern im Bett lagen, blickte Otilia lange zur Zimmerdecke. „Sag, stimmt es, was du erzählt hast?“, fragte sie ihre Schwester. „Aber ja doch“, antwortete sie schnell. Wenigstens gab es eine Person, die ihr zu glauben schien. „Und du musstest nur im Haushalt helfen und wurdest dann so eifrig belohnt?“, hakte sie nach. „Aber ja doch“, antwortete Sofie erneut. Was diese nicht wusste war, dass Otilia die Absichten verfolgte, es ihr gleich zu tun. In dieser Nacht, als das ganze Dorf schlief, entschloss sich Otilia, zu Frau Holle zu gehen. Schließlich wollte sie auch ein so prächtiges Kleid haben. Otilia stand entschlossen vor dem Brunnen. Ein Schatten hinter ihr beobachtete sie. Die Blondhaarige beugte sich vor, stach sich absichtlich mit einem spitzen Gegenstand in die Finger, packte die Spule in die Hand, welche sie mitgenommen hatte und stürzte sich ins Wasser. Was sie nicht wusste war, dass der Schatten nur aus seinem Versteck trat und ihr nachblickte. Kopfschüttelnd sprang Crow ihr hinterher. „Solch ein dämlicher Mensch. Springt einfach so in sein Verderben…“
 

Als Otilia aufwachte, lag sie am Fuße eines Baumes und hielt sich die Augen zu. Das grelle Licht blendete sie. Als sie sich aufsetzte, sah sie sich auf einer großen Blumenwiese wieder. Sie erhob sich und hörte Flügel schlagen, hoch über ihrem Kopf. „Und das soll es also sein?“, fragte sie sich eher selbst und Schritt voran. „Vorsicht!“, hörte sie eine Stimme. Panisch drehte sie sich um. Woher kam das? „Zeig dich!“, rief die Weberstochter und sah sich um. „Hier bin ich“, machte sich die Stimme wieder bemerkbar und blickte auf ihren Arm. Dort saß eine kleine, grüne Raupe. „Igit!“, krisch Otilia und schnippte sie von ihrem Arm. „Ich hasse Insekten!“ Dann stampfte sie weiter. Hinter ihr bemerkte sie nicht, wie Rubi sich in ihre menschliche Gestalt zurück verwandelte, Crow tat es ihr gleich. „Sie wird ihre gerechte Strafe noch bekommen“, zischte die Grünhaarige und rieb sich die Seite. Der Aufpralle hatte schon weh getan. Crow schüttelte nur den Kopf. „Und ich hasse Menschen“, knurrte er. Dann flog er der Blondhaarigen hinterher. Otilia unterdessen war schon weiter gewandert und hörte nun auch die Stimme des Ofens. „Zieh uns raus! Zieh uns raus, sonst verbrennen wir! Wir sind schon längst ausgebacken!“ Die Blondhaarige blickte sich suchend nach den flehenden Schreien um „Zieh uns raus! Zieh uns raus, sonst verbrennen wir! Wir sind schon längst ausgebacken!“ Hinter dem Busch entdeckte sie den Ofen und schlenderte auf ihn zu. „Damit ich mir die Finger verbrenne? Das glaubst du doch wohl selbst nicht!“ Otilia packte mit ihrer Schürze den Griff an und zog sich schnell eines der Brote hinaus. Die Klappe ließ sie polternd wieder zu fallen. Otilia hatte etwas Hunger verspürt, weswegen sie sich ein Stück vom Brot abriss. „Zu trocken“, kommentierte sie und ging weiter. Hinter ihr landete Crow und schüttelte abermals den Kopf. „Du wirst schon sehen, was du von deinem Verhalten hast…“ Ein paar Minuten später, vernahm Otilia wieder das qualvolle Stöhnen und Ächzen von jemanden. „Schüttle mich und rüttle mich! Schüttle mich und rüttle mich! Meine Äpfel sind alle samt reif!“ Mit einer hochgezogenen Augenbraue nahm das Mädchen Kurs auf den Apfelbaum. „Sehe ich so naiv aus? Wenn ich dich schüttel, werden sie mir auf den Kopf fallen!“ „Aber dann werden meine Äpfel alle verderben“, klagte der Baum. „Und was ist das mein Problem? Ich muss zu Frau Holle. Wie du siehst, hab ich keine Zeit für so etwas“, fragte sie arrogant und pflückte sich einen Apfel. Als sie hinein biss, warf sie ihn sofort weg. „Die sind ja viel zu sauer! Eklig.“ Damit spuckte sie das abgebissene Stück wieder aus. „Es kommt alles zurück. Das Gute, das Schlechte, das Pech und das Glück. Es kommt alles zurück“, sprach der Apfelbaum, doch Otilia war schon längst gegangen. Crow landete auf einen Ast und lachte bitterlich. „Dieser elendige Mensch…“ Die Weberstocher schweifte weiter durch die Wiese und sah sich um. Plötzlich flatterte ein grüner Schmetterling an ihr vorbei. „Na, hast du Frau Holle schon gefunden, Mensch?“ „Wer bist du denn?“, fragte Otilia angewidert und fuchtelte mit den Händen um ihren Kopf herum. „Die Raupe, welche du eben noch so eklig fandest“, sagte Rubi genervt. Das Mädchen sah sich um. In weiter Ferne konnte sie ein Hüttchen ausmachen. „Wohnt da Frau Holle?“, fragte sie, doch der Schmetterling war schon längst verschwunden. Also machte sie sich schnell auf den Weg. Gerade als sie vor der Tür ankam, öffnete Frau Holle die Tür. „Hallo Otilia, ich habe dich schon erwartet. Ich habe gerade das Essen fertig, möchtest du nicht hineinkommen?“ Otilia ließ sich das nicht zweimal sagen und drängte sich ins Haus.
 

Frau Holle hatte ihr das gleiche Angebot wie jedem gemacht und somit war Otilia bei ihr geblieben. Der Unterschied zu allen anderen Mädchen war jedoch, dass Otilia nichts machte. Sie legte sich in die Sonne, schlief den ganzen Tag und ließ sich verwöhnen. Crow kam immer mal wieder zum Haus geflattert und setzte sich in die Küche. „Du solltest sie bestrafen! Sie ist faul, macht nichts und pennt den ganzen Tag. Sie wird uns alle noch umbringen, mit ihrer negativen Energie, die sie hier verbreitet. Ihr Herz ist durch und durch verdorben!“, beklagte er sich bei seiner Meisterin. „Hab noch etwas Geduld. Vielleicht ändert sie sich noch“, meinte Frau Holle. Crow verzog sich in sein Zimmer. Dort konnte er in Ruhe etwas vorbereiten. In seinem Zimmer angekommen, begann er, diverse Zauberbücher aus seinem Regal vor der Wand, gegenüber seines Bettes, zu verteilen. Er fuhr mit seinem Finger die Ruhnen auf dem Boden nach, welche er in den Stein geritzt hatte. . Sie begannen zu Leuchten und eine Treppe wurde sichtbar. Mit den Büchern in seiner Hand, steig er die Stufen in den unterirdischen Keller hinab. In seinem Kellergewölbe bereitete er sich an einem kleinen Altar aus und zündete die Kerzen an. Dieser Mensch hatte es nicht anders gewollt.
 

Otilia, so faul wie sie war, schlief in einer Hängematte, draußen im Garten und genoss die Sonnenstrahlen, welche auf ihr Gesicht schienen. Tief unter ihr, durchstöberte Crow seine Bücher. „Solange dieses verdorbene Herz wächst und wächst muss es aufgehalten werden…“ Er suchte weiter. „Da ist es. Wenn sie weiter ihre Arroganz und Faulheit züchtet, so wird sie nicht lange Freude an ihrem Leben haben.“ Sein Grinsen wurde bösartiger. Er würde sie mit einem Fluch belegen, da war er sich sicher. Ein Poltern ließ ihn aufhorchen. „Crow, was machst du hier unten?“, fragte seine Meisterin. „Das verdorbene Herz muss gestoppt werden!“, sagte er und begann ein paar Formeln zu Murmeln. Frau Holle kam immer näher und stellte sich neben ihren Schüler an den Altar. Vor ihnen erschien eine Art Spiegel, in dem sich das Bild Otilia’s wiederspiegelte. „Sie muss zurück. Sie wird uns alle ins Verderben stürzen!“, sagte Crow, als er fertig war. Die Steinmauern an seinen Seiten lichteten sich und ein Gang wurde sichtbar. Er Schritt voran, Frau Holle hinter ihm. In den Gängen waren lauter Kammern angebracht. An jeder war ein Namensschild angebracht. Hinter den Kammern konnte man Gewimmer hören. Es waren die gefangenen Geister, welche den Mädchen entzogen wurden, als sie in diese Welt kamen. Am Ende des Ganges erreichten die Beiden einen großen Raum. Dort war ein großes Loch. Das Loch war nur zur Hälfte mit einer wasserähnlichen Flüssigkeit gefüllt. Das war die Lebensenergie der magischen Welt. Ohne sie, würden alle Wesen in dieser Welt sterben, daher musste Crow reine Seelen sammeln. Sie waren wie Batterien, die die Welt am Leben hielten. „Sie es dir an. Das Becken war noch bis knapp zum Rand gefüllt, doch dieser Mensch saugt sie auf wie ein Schwamm! Es ist dieses verdorbene Herz!“ Crow knirschte mit den Zähnen. „Nun gut, ich werde sie nach Hause schicken.“ Damit drehte sich die pummelige Frau um und ging wieder an die Oberfläche zurück. „Otilia, mein Kind. Du kannst wieder nach Hause gehen“, sagte sie zu dem Mädchen. Sie war ihr wirklich keine große Hilfe gewesen. Sie konnte kein Essen kochen, keine Stube putzen, von den Betten machen ganz zu schweigen. Die Kinder im Dorf hatten dieses Jahr keinen schönen Winter gehabt. Otilia sprang auf. „Heißt das, ich bekomme jetzt meine Belohnung?“ Frau Holle nickte. „Ja, du bekommst das, was du verdient hast.“ Otilia freute sich und rannte gleich zum Bogen. „Aber bedenke. Jeder Tag, kann ein neuer Anfang sein. Es liegt bei dir.“ Otilia überhörte dies einfach und wartete. Plötzlich kam ein schwarzes, rußähnliches Pulver hinab gefallen. „Was soll das denn?“, fragte sie panisch und versuchte sich das Zeug von der Haut zu reiben. Otilia wurde wie durch einen magischen Sog in die Luft gehoben. Sofie hätte noch die Wahl gehabt, hier zu bleiben, aber Otilia nicht. Sie wurde in ihre Welt zurück geschickt.
 

Als Otilia in ihr Dorf zurück kehrte, lachten alle sie aus. Sie schämte sich zutiefst. Das Pech ging nicht von ihr ab. In der Stube angekommen schrubbte sie ihre Arme und versuchte es mit aller Gewalt von sich zu lösen, doch es ging nicht. „Du warst bei Frau Holle?“, fragte Sofie vorsichtig. „Ja“, fuhr Otilia sie an. „Ich habe geputzt und alles gemacht was ich konnte!“ Sofie senkte ihren Blick. Ja, sie wusste was ihre Schwester konnte. Nämlich nichts. Um ihre Schwester ein bisschen aufzumuntern, bat sie ihr das goldene Kleid an. „Hier, dann siehst du schon gleich viel besser aus.“ Otilia riss es ihr förmlich aus der Hand. Während Sofie nach draußen ging und wieder ihren Tätigkeiten nachging, zog Otilia sich um. Was sie nicht bemerkte, das Kleid verfärbte sich und verlor ihren Glanz. Das Pech verfolgte sie. Traurig über sich selbst, ging sie nach draußen und setzte sich auf die Wiese. Dort vergrub sie ihr Gesicht in den Beinen und weinte. Ihr fielen die Worte von Frau Holle ein. Es liegt bei dir. Sie wischte sich die Tränen aus den Gesicht. Was sollte sie nur machen? Als sie sich so aufgerappelt hatte, streifte sie durch den nahe gelegenen Wald. Sie wollte nicht in diesem Aufzug unter die Augen der anderen Dorfbewohner treten. Als sie ein hysterisches zwitschern vernahm, sah sie sich um. Ganz in ihrer Nähe lag ein kleiner Vogel auf dem Boden und schlug heftig mit den Flügeln um sich. „Oh du kleiner Vogel, bist du aus dem Nest gefallen? Halt Still, dann helf ich dir.“ Behutsam nahm sie den Vogel in die Hand und setzte ihn in das nahegelegene Nest. Wie durch ein Wunder, schien sich etwas an ihrem Aussehen zu ändern, doch Otilia merkte es nicht. Und so ging sie, über einen Umweg zurück ins Dorf. Dort sah sie, dass sich eine Ente mit den Flügel in einem Zaun verfangen hatte. Auch wenn es nicht zu Otilia’s Art passte, half sie auch dieser. Der Schmutz schien von ihr abzufallen. Plötzlich begegnete ihr ihre Schwester. „Siehst du, es schein dir schon besser zu gehen. Du siehst schon viel besser aus.“ Otilia senkte den Kopf. „Dankeschön. Es tut mir leid, dass ich immer so gemein zu dir war. Ab morgen will ich dir und Mutter wirklich helfen. Ich habe eingesehen, dass mein Verhalten nicht richtig war…“ Sofie umarmte sie. Das war das Schönste, was sie je in ihrem Leben gehört hatte. Und wie durch ein Wunder, war auch der letzte Rest von dem Pech verschwunden.
 

In der Nähe saß ein Rabe auf einen Ast und beobachtete alles. Sein Fluch würde nicht länger die Wirkung haben, die er gehofft hatte. Schließlich hatte er sich selbst zur Aufgabe gemacht, die verdorbenen Seelen von dieser Welt zu befreien. Er flatterte zum Brunnen zurück und überlegte kurz. Dieser Brunnen war nutzlos geworden. Keiner würde wahrscheinlich wieder her kommen. Aus diesem Grund riss er ihn, als er hindurch geflogen war, mit sich zusammen und versiegelte den Zugang zu seiner Welt. Er würde schon wo anders seine Seelen finden, um seine eigene Welt am Leben zu erhalten. Und schließlich hatte er noch seine Gefangenen, denen er von Zeit zu Zeit die Lebensenergie abzapfen konnte.
 

ENDE


Nachwort zu diesem Kapitel:
Für das nächste Märchen, könnt ihr mir ja Vorschläge in den Kommis da lassen :) Komplett anzeigen

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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  Sunny-Yuki
2015-07-26T16:38:17+00:00 26.07.2015 18:38
Ich bin bisher sehr beeindruckt von deiner FF (auch wenns bisher nur ein Kapitel ist :)
Ein einfaches Märchen solche tieferen Hintergründe zu geben und das aufzuschreiben braucht meiner Meinung einiges an Kreativität
Ich bin schon sehr gespannt zu welchem Märchen dir als nächstes etwas einfällt
Lg
Antwort von:  Sakami-Mx
26.07.2015 19:59
xD danke das freut mich das es dir gefällt^^ wenn du einen vorschlag hast, kannst du ihn mir gerne sagen^^ ich bin nur zufällig gerade auf das märchen gekommen^^ und nochmal vielen dank für dein lob xD das find ich wirklich richtig cool von dir :3
Antwort von:  Sunny-Yuki
27.07.2015 03:09
Nichts zu danken^^

Mmh... Vielleicht kennst du es, vielleicht auch nicht... Und es ist eher ein spontaner Einfall (von einer eigentlich übermüdeten Person)
»Schneeweißchen und Rosenrot«

Mir persönlich fällt dazu zwar nicht wirklich was ein, aber das wäre es zu Frau Holle auch nicht ^^* daher... wer weiß
Antwort von:  Sakami-Mx
27.07.2015 07:58
Ja das Märchen kenne ich sehr gut^^ mal sehen was am Ende raus kommt XD danke für den Vorschlag xp


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