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Kunst ≠ Kunst

~ Kunst ist nicht gleich Kunst
von

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Kapitel 02 - Kunst oder Steak?

Kapitel 02 - Kunst oder Steak?
 

Silvia Stuckebein ist eine zierliche, kleine, blonde Frau Mitte zwanzig. Sie ist nett, lustig und sieht klasse in ihrem kleinen Schwarzen aus. Doch neben Marie verblasst sie total. Doch was noch schlimmer ist: Marie schleicht um sie herum wie eine läufige Hündin. Mein Date scheint genau ihrem Geschmack zu entsprechen. Und wieder einmal habe ich mich selbst sabotiert! Klasse Mike! Ich hätte es auch ahnen können.

Allerdings weiß ich nicht, was mich an der ganzen Sache mehr nervt. Das Marie sie mir abluchsen will, oder das Silvia auch noch drauf anspringt. Leider kann ich nicht sagen, ob das jetzt richtiges Interesse ist, oder ob sich Silvia einfach nur wohl bei Marie fühlt. Da ich Silvia nichts von Maries Wechsel aufs andere Ufer erzählt habe, was sie ja auch nichts angeht, kann ich das wirklich schlecht beurteilen. Soll Marie es ihr selbst sagen, wenn sie auf mehr aus ist. Falls sich was zwischen den beiden anbahnt, kann ich sowieso nichts dagegen tun. Schlendere ich eben allein durch die alte Orangerie, wo die Ausstellung des genialen Fotokünstlers stattfindet, und lasse die Bilder auf mich wirken. Ich bin echt zu gut für diese Welt!

Einige der Fotos gefallen mir wirklich und bringen mich hin und wieder zum Schmunzeln. Der Fotograf hat alle möglichen Motive parat. Landschaften, Häuser, Städte, Pflanzen und sogar einige seiner Modefotografien. Alle samt sind mit Ölfarben bekritzelt und scheinen damit die Motive zu verspotten: Schau an, du dämlicher Lattenzaun. Das, was ich auf dir herumkleckse, ist schöner als du.

Eine Zeit lang spaziere ich an den ganzen beschmierten Fotografien vorbei, tue so, als sei ich ein begnadeter Kunstkenner und höre den Idioten beim Spekulieren zu, was denn dieses oder jenes für eine Bedeutung haben könnte. Hin und wieder werfe ich ein paar geschmackvolle Kommentare in den Raum, wie: "Sieht dieser Klecks nicht wie eine Blume aus?" Oder: "Die Farbintensität der Strichfolge erinnert mich an den jungen Kandinsky." Ja, ja bestaunt mich nur. Ich weiß, wovon ich rede, auch wenn das Meiste davon Unsinn ist.

Nach einer Weile des Spielens eines interessierten Kunstkenners, bleibe ich schließlich vor einem Portrait stehen. Es ist total verschwommen und sieht aus, als habe jemand die frische Druckerfarbe verwischt. Ein Selbstportrait, wie unten auf dem Schildchen steht. Der Künstler hat sich selbst verunstaltet. Sehr hübsch. Eigenhumor habe ich schon immer sehr bewundert und gemocht. Das zeigt von wahrer Größe, finde ich.
 

"Mike?" Marie taucht plötzlich hinter mir auf und reißt mich aus meinen Betrachtungen. Ich drehe mich zu ihr. Silvia steht ein Stück weit entfernt und begutachtet eins der Ausstellungsstücke.

"Was gibt's, du Date-Diebin?"

Sofort sieht meine Liebe mehr als nur geknickt aus. Geschieht ihr recht! "Mike! Sorry! Aber ... Mann! Warum bringst du auch so ein scharfes Geschoss mit?"

Ich blinzle meine Marie nachdenklich an. Silvia ist alles, aber kein scharfes Geschoss! Okay, sie hat Beine bis zum Himmel. Ansonsten ist sie aber nicht gerade mit vollen Kurven gesegnet. Wenn ich es mir recht überlege, ist sie eigentlich so gar nicht mein Typ. Sie ist viel mehr eine graue Büromaus, als eine schillernde Persönlichkeit, so wie es Marie ist.

Hm … Ich frage mich, ob Silvia auf Maries Anmachversuche anspringen würde. Die Antwort darauf reizt mich einfach zu sehr, als dass ich noch sauer auf meine liebe Marie sein könnte. "Mach dich ruhig an sie ran", sage ich deshalb zu ihr. "Wenn sie auf dich anspringt, habe ich nichts dagegen. Nicht, dass sie sich hinterher von mir trennt, weil sie bei dir ihre wahre sexuelle Erfüllung gefunden hat." Der kleine Seitenhieb musste jetzt dann doch sein. Genau so hatte es Marie damals ausgedrückt: "Bei ihr fand ich meine sexuelle Erfüllung." Ergo: Ich bin scheiße im Bett. Okay, dem ist nicht so. Marie hat halt andere Bedürfnisse. Als Dank meiner schlagfertigen Anspielung, erhalte ich einen Faustschlag gegen meine Schulter. Autsch! Ich sag es doch! Kampflesbe!

"Sicher? Ich will dir nicht dazwischenfahren. Aber ..." sie schaut zu Silvia "... mein Gott! Sieh sie dir an!"

Ich sehe sie mir an. Ich sehe immer noch nichts Gott würdiges. "Schnapp sie dir, meine Süße!", gebe ich ihr meinen Segen. Nicht zuletzt, weil ich wissen will, ob Silvia wirklich mit Marie ins Bettchen hüpfen würde.

"Du bist ein Schatz!" Schatz bekommt einen feuchten Wangenschmatzer und schon ist Marie wieder an Silvias Seite. Mal schauen ob sie es schafft. Silvia herumzukriegen, meine ich. Leider ist gerade keiner da, um 'ne Wette drauf abzuschließen.
 

"Hallo Mike! Schön, dass du mitgekommen bist." Tobias schiebt sich in mein Sichtfeld. Eben jener Tobias, den ich auf der 'Modenschau' letztens kennengelernt habe.

Ich lächle höchst erfreut und schüttle ihm brav die Hand. "Hallo Tobias."

"Bitte nenne mich doch Tobi."

"Ich bin immer noch Mike." Bin ich nicht schlagfertig?

Aber das scheint Tobi nicht zu bemerken. "Hat man dir schon meinen Bruder Rick vorgestellt?"

"Nein", antworte ich knapp.

Ein halbnackter Kellner mit Fliege trabt an uns vorbei. Tobi schnappt sich zwei Gläser. "Champagner. Ungefärbt", grinst er und reicht mir eins der Gläser.

Ich muss lachen. "Dabei hatte ich mich so auf die pinke Plörre gefreut."

"Vielleicht hat Rick ja seine Ölfarben dabei." Tobi zwinkert mir zu.

"Nee, lass mal lieber." Das gezwinkerte irritiert mich doch ein bisschen. Hat er eine Zwangsstörung? Himmel nein! Der versucht mich gerade anzumachen, nicht wahr?!

Wie zur Bestätigung, streift er 'zufällig' mein Handgelenk. "Ich steh nicht auf Kerle", erwidere ich. Klinge ich panisch? Könnte sein, aber solche 'Angebote' muss man gleich im Keim ersticken.

"Oh. Okay. Ich dachte nur ..."

"Wegen Marie."

"Ja." Ich seufze innerlich auf.

Steht irgendwo geschrieben, dass hetero Kerle nicht mit Lesben befreundet sein können? Tobi nippt verloren an seinem Schaumwein. Der Arme. Mir tut er trotzdem nicht leid. Vorurteile gehören bestraft! Da musste ich auch durch. Früher dachte ich, Lesben tragen alle Karo-Hemden und sind nur in Pornos scharfe Teile. Marie bewies mir des öfteren das Gegenteil. Was die manchmal so für äußerst nette Damen anschleppt … Und wieder frage ich mich: Wieso tickt sie bei Silvia so aus?

Plötzlich strafft sich Tobias und zeigt mit dem Finger hinter mich. "Es geht los!" Damit meint er die öffentliche Pressekonferenz mit Interview des Künstlers.

Ich drehe mich um und folge dem ausgestreckten Finger. In einer Ecke, dekoriert mit einem riesigen Clown verzierten Banners, anscheinend ist ein Politiker unter der Farbmasse zu erkennen, steht ein alter, violett gestrichener Barhocker. Ein Mikrophonständer steht direkt davor.

Blitzlichtgewitter.

Der Künstler persönlich tritt hinter dem Banner hervor. Wie Tobi hat er braunes Haar. Er trägt eine riesige Sonnenbrille, die er, nachdem er sich auf den knarrenden Hocker gesetzt hat, abnimmt. Noch mehr Blitzgewitter. Ich schließe meine Augen, damit ich keinen Augenschaden davontrage. Wie hält der Kerl da vorn das nur aus? Vielleicht schimpft er sich gerade selbst, dass er die Sonnenbrille nicht noch eine Minute länger auf seiner Nase behalten hat.

Als die grelle Lichterexplosion etwas nachlässt, traue auch ich mich einen Blick auf den Künstler persönlich zu riskieren.
 

Im Grunde sieht er Tobi sehr ähnlich. Bis auf das Lippenpiercing. Tobis Bruder hat keins. Mein Blick wandert zu seinen Augen und ... ich erstarre.

Ich weiß nicht was es ist, aber dieser Mann löst plötzlich etwas in mir aus. Diese Augen! Obwohl ich einige Meter weit entfernt stehe, kann ich ganz genau seine grünen Augen erkennen. Nicht so trübe blau-grüne wie meine, sondern strahlend grün! Die können doch nicht echt sein! Der trägt bestimmt Kontaktlinsen!

Mir wird ganz flau im Magen. Das komische Gefühl kommt dem nahe, was ich bei Tobi gespürt hatte, nur intensiver. Viel, viel intensiver ...

Ich versuche es zu verdrängen und wie letztens bei Tobias wandert mein Blick von ganz allein über das ebenmäßige Gesicht. Ein sanftes Lächeln umspielt seine Züge. Irre ich mich, oder sieht er ganz leicht Schadenfroh aus?

Er wartet bis Stille in dem großen Raum eingekehrt ist und haucht ein "Hallo alle zusammen" ins Mikrophon. Ab da an verstehe ich gar nichts mehr. Seine Stimme ist tief und dunkel, rinnt seidig weich in meinen Gehörgang. Mir wird heiß und kalt, und ich mache mir Sorgen um meine Standfestigkeit. Ich will hier weg, werde aber von Tobias in Beschlag genommen. "Wir sind Zwillingsbrüder. Sieht man, oder?" Ich nicke abwesend. Sie sehen sich zwar äußerlich wirklich ähnlich, aber ansonsten ... Mein Magen entschließt sich, noch flauer zu werden.

Scheiße! Was ist los mit mir? Bekomme ich 'ne Grippe?

"Ich geh mal zu Marie zurück", flüstere ich in Tobis Richtung. Nur erstmal weg von hier! Von dem Kerl auf dem violetten Hocker und seinem so gar nicht ähnlichen sehenden Zwillingsbruder.

Etwas konfus laufe ich zu meiner Freundin. Wie erwartet steht Silvia dicht bei ihr. "Das ist ja alles so aufregend! Man hat mich noch nie zu einer Eröffnung eingeladen!" Silvias Augen strahlen. Wenigstens eine die gerade Spaß hat. Mir geht dieser grünäugige Fotograf einfach nicht aus dem Kopf. Seine Stimme ertönt immer noch. Er redet über seine Arbeit und seine Motivation, über all diese kunsthistorischen Dinge eben. Der Sinn der Worte kommen bei mir nicht an. Wie ein Lied in einer anderen Sprache höre ich nur die Melodie seiner Stimme und das reicht mir vollkommen, obwohl es mir gleichzeitig höchst unangenehm ist. Am Besten, ich gehe mal vor die Tür, um meine Nerven und meinen Magen zu beruhigen.

"Ich geh mal kurz frische Luft schnappen", sage ich deshalb zu Marie und Silvia.

"Oh, soll ich mitkommen?" Silvia sieht mich fragend an. Meine süße Marie findet wohl keinen Gefallen an der Idee. "Nein, ist schon gut. Bleib ruhig bei Marie. Sie hat eh mehr Ahnung von Kunst. Sie ist eine echte Kunstliebhaberin." So. Genug Lobhudelei für den Moment. Erleichtert tätschelt mir Marie unauffällig meinen Hintern im vorbeigehen. Vielen Dank auch! Das habe ich jetzt noch gebraucht.
 

Draußen vor dem Eingang gehe ich den langen Weg entlang, der vom Gebäude wegführt, und entferne mich immer mehr von der tiefen Stimme die mich so verwirrt. Ein Garten mit Zypressen, Oleandern, duftenden Orangen und zurechtgeschnittenen Buchshecken verzieht das Außengelände der Orangerie. Ich setzte mich auf eine Bank, von wo aus ich einen guten Blick auf das Treiben im inneren des Gebäudes habe. Durch die große Fensterfront beobachte ich die aufgeregte Besucherschar.

"Was war das eben bloß?", spreche ich leise mit mir selbst. Mittlerweile kann ich es kaum mehr nachvollziehen. "Ich war unterzuckert. Ganz bestimmt. Oder der Alk war schuld." Ja! Schieben wir es mal auf den Alkohol. Der muss schlecht gewesen sein, oder Tobi hat mir ein Aphrodisiakum hineingemischt.

Ich stütze mich mit meinen Händen an der Bank ab, lehne mich ein Stück nach hinten und blicke nach oben. Kein Wölkchen versperrt die Sicht auf den Sternenhimmel. Da das Gelände etwas höher liegt, und etwas abseits der Großstadt ist, hat man hier eine wunderbare Sicht auf die Milchstraße. Früher als Kind habe ich mich im Sommer nachts immer hinausgeschlichen und auf die Wiese gelegt. Man hatte das Gefühl, direkt in die Sterne zu fallen. Unheimlich aber auch unglaublich spannend, wie ich damals fand. Heute weiß ich, dass man nicht in die Sterne fallen kann, aber ein Nachkitzeln eben jenes Gefühls, stellt sich jedes Mal wieder bei mir ein, sobald ich hinauf in die Sterne blicke.

Kurz nach rechts und links geschaut: niemand zu sehen. Schwungvoll hebe ich meine Beine auf die Bank und lege mich der Länge nach drauf. In der Ferne höre ich die Leute applaudieren. Ungerührt bleibe ich weiter versunken in meinen Betrachtungen des tiefen Universums. Genau wie früher.

Sterne, Planeten, Pulsare, Galaxien ... "Wie klein wir doch sind", flüstere ich schließlich, und betrachte den Großen Wagen.

"So klein wie das Tausendstel eines Staubkorns." Ich fahre zusammen. Ein Bein rutscht dabei von der Bank und ich setze mich ungalant auf. "Oh. Entschuldige! Ich wollte dich nicht erschrecken."

"Schon okay ..." Meine Stimme klingt rau.

"Darf ich?" Der Sprecher deutet auf die Bank. Ich nicke nur. Völlig überfordert mit der Situation starre ich auf meine Füße.

Der Fotograf höchst persönlich sitzt gerade neben mir! Was macht der hier draußen? Müsste er nicht drinnen sein? Die Lobpreisungen seiner Bewunderer genießend? "Wunderschön, nicht?", fragt er.

"Ähm, ja ... einige der Bilder gefallen mir echt." Ach du scheiße! Was brabble ich da gerade?

Ein warmes Lachen neben mir. "Ich meinte die Sterne." Ah, ja! Natürlich! Ich bin ein Idiot. "Leider kenne ich mich überhaupt nicht damit aus. Den Großen Wagen erkenne ich noch gerade so, aber von dem ganzen Rest kenne ich keinen einzigen Namen."

"So gut weiß ich die Namen auch nicht", gestehe ich. Pure Notlüge. Aus Erfahrung weiß ich aber, dass jede andere Antwort lange Erklärungen nach sich zieht.

Man hat es eben nicht leicht, als Hobby-Astronom!

"Ähm … Verzeihen Sie, wenn ich frage aber … Sollten Sie nicht eigentlich bei ihrer Ausstellung sein?", frage ich den Künstler etwas nervös.

"Warum? Bilder anglotzen können die schon alleine." Jetzt muss ich lachen. Kaum zu glauben, aber er hat mich zum Lachen gebracht. In noch nicht mal einer Minute!

Er gefällt mir und ich werde lockerer. "Die meisten Leute wollen doch aber ein Statement des Künstlers hören. 'Was denken sie über die Farbauswahl? Ist das Blau das Symbol eines Traumas ihrer Kindheit? Warum schaut der nackte Kerl so grimmig?' Das sollten sie ihren Fans nicht vorenthalten." Entweder er ist jetzt sauer, oder belustigt. Jedenfalls freue ich mich darüber, dass mein Hirn allem Anschein nach wieder auf Normalleistung arbeitet.

"Okay. Ja, das könnte stimmen." Er kichert. Wunderbar! "Aber ich war schon immer dafür, dass Kunst für sich selbst sprechen soll. Da braucht es keinen Kunstdiktator, der jedem seine eigene Sicht aufdrängt. Es gibt genug davon. Da muss ich nicht auch noch mitmachen. Ich bin übrigens Rick. Der großartigste Fotograf des 21ten Jahrhunderts!" Grinsend hält er mir die Hand entgegen.

Ich ergreife sie. Sein Händedruck ist fest und warm. "Mike."

"Ah! Der Bekannte von Marie!"

Ich verziehe mein Gesicht. Mein Name macht wohl die Runde, beziehungsweise Maries. "Genau. Freut mich Sie kennenzulernen, Meister des Blitzlichtapparates!" Umständlich deute ich eine Verbeugung an.

"Genug des Lobes der Herr! Mir wird sonst zu wohl." Er legt grinsend seinen Kopf in den Nacken und blickt wieder nach oben. Ich folge seinem Beispiel. Dieser fotoverschmierende Künstler gefällt mir allmählich.
 

Keine Ahnung wie lange wir so dasitzen, aber unser angeregtes Schweigen wird rüde unterbrochen. "Rick? Rick!? Mensch, hier treibst du dich also herum! Die Leute fragen nach dir! Komm schon!" Ein älterer Mann im Anzug kommt auf uns zugelaufen. Er atmet schwer und keucht. Keine Kondition der Gute! Den sollte ich mal in die Mangel nehmen.

Seufzend lässt Rick kurz den Kopf hängen. Der Arme! Ich kann es ihm nachfühlen. 

"Ich komme ja schon." Rick steht auf und geht ein paar Schritte. Dann dreht er sich um. "Kommst du auch mit?"

"Gleich." Vorher muss ich erst einmal meine Gedanken sortieren. Beziehungsweise, sie erstmal finden. Das Schweigen hat mir nicht nur die Stimmbänder lahmgelegt.

"Okay. Tust du mir aber erst noch einen Gefallen?" Er legt seinen Kopf leicht schief und funkelt mich frech an. Und wieder bekomme ich dieses flaue Gefühl im Magen. Daher nicke ich wieder nur. "Dann lächle doch mal bitte." Bevor ich den Sinn des Satzes verstehen kann, blitzt es auch schon. Rick hat doch tatsächlich ein Foto von mir gemacht. Mit seinem Handy.

"Wehe du verwendest das in einem deiner Kunstwerke. Vorher will ich um Erlaubnis gefragt werden."

Während er sich rückwärts von mir entfernt, lacht er wieder sein warmes Lachen. "Dann musst du mir aber vorher deine Nummer verraten."

"Mal schauen ...", presse ich verwirrt heraus.

Er zwinkert mir zu. "Danke für die nette Unterhaltung", sagt er noch, dreht sich um, und läuft lässig, die Hände in den Hosentaschen, dem Eingang entgegen. Kaum angekommen, wird er auch schon wieder von allen möglichen Leuten belagert.

Ich bleibe alleine zurück. Alleine und zum wiederholten Male verwirrt.

Er ist nett, hat meinen dümmlichen Sinn für Humor und seine Nähe tat mir gut. Auch wenn wir kaum miteinander gesprochen haben, fühlte ich mich wohl bei ihm, nachdem der erste Schwung dieser verwirrenden Nervosität in mir verschwunden war.

Das passiert mir nicht oft. Auch auf der Arbeit halte ich mich meistens von Kollegen fern. So gut es eben geht. Aber als Sportlehrer habe ich eh nicht viel mitzumischen im Lehrerdauerstreit. Ich bin der Heini mit der Trillerpfeife. Keiner der akademisch was auf den Kasten hat. Mir soll es recht sein. Desto weniger werde ich verbal belästigt.

Bei meinen Schülern ist das anders. Entweder sie sind nett und stören mich nicht, oder sie sind richtige kleine Scheißhaufen die ich nach Lust und Laune zurechtweisen kann. Und ich bin darin ziemlich gut. Bei mir herrscht Militärische Ordnung! Jawohl!

Aber das eben mit diesem Kunstfotografen ist mir vollkommen neu. Ich kann ihn irgendwie nicht einordnen, obwohl ich das Gefühl habe, ihn schon ganz gut zu kennen. Na ja, eigentlich kenne ich ihn gar nicht. Ein komischer Mischmasch, was da in meinem Kopf vorgeht. Was das nur wieder soll? Da muss doch was im Glas gewesen sein, das mir Tobias überreicht hat.

Seufzend starre ich runter auf die Orangerie. Dort sehe ich Rick am Fenster stehen. Er unterhält sich mit einem Journalist und sieht nicht gerade glücklich aus. Ich beschließe wieder zurückzugehen.
 

Wie die Aasgeier kreisen die Kunstkritiker und Journalisten um ihn herum. Es ist laut und alle stellen ihre Fragen wild durcheinander. Auf Zehnspitzen suche ich nach Marie, finde sie aber nicht. Dafür erhasche ich einen Blick auf Tobias, der immer noch munter trinkend am Buffet steht. Da Rick augenscheinlich keine Zeit für meine dummen Sprüche zu haben scheint, marschiere ich eben zu Tobias. "Hey!? Weißt du wo Marie und Silvia sind?", quassele ich ihn von der Seite an.

"Oh... hihi. Auf'n Klo. Glaub ich … hihi!" Tobi ist eindeutig betrunken. "Die swei waren gans sön am turteln... hihhi."

Na klasse! Bisher habe ich Marie nicht so eingeschätzt, dass sie eine Wildfremde auf 'ner Toilette vernascht. Allerdings, als wir noch zusammen waren ... Andere Geschichte, und ich war auch nicht wildfremd.

Ich beschließe Tobi wieder seinem Schaumwein zu überlassen und schnappe mir eins der Häppchen. Mein Magen knurrt. Gott! Was würde ich jetzt alles für ein Steak geben! Medium mit Zwiebeln und Bratkartoffeln. Eventuell noch Kräuterbutter dazu. Mir läuft das Wasser im Mund zusammen, als ich daran denke.

Ich schaue auf meine Uhr: Kurz vor Acht. Ich könnte mir ein Taxi bestellen und in mein Lieblingsrestaurant fahren. Lustlos kaue ich das Miniding herum und spüle es mit Champagner herunter. Aus den Augenwinkeln sehe ich Marie und Silvia auf mich zu kommen und sehe sofort was los ist. Silvia läuft knall rot an und weicht meinem Blick aus. Mein Blick wandert daher zu Marie die mir zuzwinkert. Das gibt's nicht! Marie hat sie herum bekommen!

Gespielt böse schaue ich meine Ex an und hauche ihr ein lautloses Bitch zu. Ein gezückter Mittelfinger ist ihre Antwort. Na warte!

"Da seid ihr zwei ja! Ich hatte schon Sorge um euch." Eigentlich hatte ich schon einen spitzen Kommentar auf den Lippen, aber Silvias rot leuchtet immer kräftiger, sodass ich drauf verzichte.

"Wir hatten da was zu besprechen", wispert Marie und strahlt über beide Ohren. Besprechen, ja? Da hätte ich doch gern bei zugehört ...

Arme Silvi. Sie traut sich gar nicht mehr mich anzuschauen. Dagegen muss ich was tun. "Geht ihr dann nachher zusammen nach Hause? Ich hab mir gerade überlegt, schnell noch was zu Essen zu organisieren." Wie auf Kommando knurrt mein Bauch wieder hungrig.

Marie schaut erst meinen Bauch, dann mein Gesicht an. "Wenn du nichts dagegen hast Mike?"

"Macht ihr nur. Ihr habt meinen Segen." Und das meine ich auch so, weshalb ich mein Champagnerglas erhebe, und den beiden zuproste.
 

Aufgeregtes lautes Geplapper ertönt hinter uns. Rick muss irgendetwas wirklich interessantes erzählt haben. Vielleicht habe ich ihn doch falsch eingeschätzt und er mag den Rummel um seine Person doch. Aber ein Blick zu ihm genügt um das Gegenteil festzustellen. Rick sieht verdammt unglücklich aus. Normalerweise erfüllt mich so etwas mit Genugtuung. Die Suppe die man sich selbst eingebrockt hat, soll man auch gefälligst alleine auslöffeln. Leider finde ich diesen Fotografen extrem nett. Ich bekomme Magenkrämpfe, was wohl am Hunger liegt. Vielleicht aber auch an meine neu entdeckte Zuneigung für einen mir völlig Unbekannten. Bisher ging es mir nur mit Marie so, liebe auf den ersten Blick ...

Moment!

Liebe?

Okay, das kann schon mal nicht sein. Ich bin nicht schwul. Das könnte auf eine gute Freundschaft hinauslaufen. Was denke ich da? Wir haben kaum fünf Sätze miteinander gewechselt!

Rick schaut plötzlich zu mir. Er lächelt gequält. "Hör auf Rick auszulachen, du schadenfroher Arsch!" Marie stupst mich an. Hab ich gelacht?

"Tu ich doch gar nicht", verteidige ich mich.

"Doch. Du grinst immer noch." Ich zwinge meine Mundwinkel nach unten, schaue aber weiterhin zu Rick hinüber.

So verloren steht er da, zwischen diesen Aasgeiern von der Presse. Also gut. Ganz wider meiner Natur muss ich etwas dagegen tun. Ich gehe wieder nach draußen, zücke mein Handy und bestelle ein Taxi auf den nahe gelegenen Parkplatz der Orangerie. In ca. einer halben Stunde soll es da sein. Drinnen suche ich Marie auf und drücke ihr meinen Autoschlüssel in die Hand. "Nimm du das Auto. Ich habe schon genug Alkohol intus." Das stimmt natürlich nicht. Die zwei Gläser habe ich schon längst vor Aufregung ausgeschwitzt. Es ist aber auch heiß heute!

Ich verabschiede mich von den beiden, wobei Silvia mir immer noch nicht in die Augen sehen kann. Todesmutig schlängle ich mich durch die Presseschar. "Ähm, Entschuldigung?" Da fällt mir auf, dass ich seinen Nachnamen gar nicht kenne, oder er will mir gerade nicht einfallen. "Ein wichtiger Anruft für Sie."

Rick schaut erst etwas verwirrt drein, scheint dann aber zu kapieren. "Ach ja! Danke! Da warte ich schon den ganzen Abend drauf. Ich komme sofort", sagt er zu mir, bevor er sich an den Presse-Mopp wendet: "Sie entschuldigen mich für einen Moment?" Die Masse teilt sich und er folgt mir auf dem Fuße.
 

"Gibt es einen Hinterausgang?", flüstere ich ihm zu, als wir uns durch die Leute quetschen.

"Ja, so ähnlich. Da hinten." Rick übernimmt die Führung. Ich komme mir vor wie in einem Spionagefilm. 00Mike und der Kunstraub. Nur das 00Mike gerade den Künstler raubt.

Mir fällt auf, dass er gute fünf Zentimeter größer ist als ich. Beeindruckend, wenn man meine Größe bedenkt. Wir treten durch die Hintertür, die in einem kleinen Raum endet. Von einer zweiten Tür ist nichts zu sehen. Nur ein Fenster auf der rechten Seite. Ich gehe drauf zu. Es lässt sich problemlos öffnen.

"Was ist das den jetzt für ein dringender Anruf?", fragt er hinter mir. Sein Grinsen kann ich deutlich heraushören. Neugierig ist er auch noch!

"Hast du heute schon was gegessen?"

Wieder ein verwirrter Rick. "Nein. Nicht wirklich. Dazu war keine Zeit." Dachte ich es mir doch!

"Ein Taxi wartet auf dem Parkplatz. Willst du mit?" Erst jetzt bemerke ich, wie dämlich der Vorschlag klingen muss. Es scheint ihm zwar lästig zu sein, von allen belagert zu werden, aber schließlich ist das sein Job. Ich kann ja auch nicht einfach gehen, wenn meine Schüler mich ärgern.

"Was zu Essen wäre jetzt echt nicht schlecht." Zu meiner Überraschung tritt er ebenfalls ans Fenster und stemmt sich als Erster hoch. Sehr elegant schwingt er seinen Hintern aufs Fensterbrett. "Brauchst du Hilfe?" Wieder sein süßes Grinsen … Verdammt! Was denke ich da schon wieder?

"Geh weg da!", herrsche ich ihn an. Und schon plumpst er ins Freie. Mit einem Satz bin auch ich oben und springe aus dem Fenster.

"Wow. James Bond mäßig", applaudiert Rick mir zu. Zwei Dumme, ein Gedanke. Wir ticken anscheinend wirklich ähnlich.

Mein Handy leuchtet mir die Uhrzeit entgegen. Das Taxi müsste gleich da sein. Im Stechschritt entfernen wir uns vom Gebäude. Es dürfte nicht lange dauern, bis man ihn vermisst. Rick senkt den Blick, als ein glatzköpfiger Security unseren Weg kreuzt. "Was 'ne lahme Party", spreche ich leise, aber so das der Kerl mit Glatze es auch mitbekommt. Rick nickt einfach nur stumm.

Unbescholten kommen wir am Parkplatz an. "Wie kommst du eigentlich drauf, jetzt mit mir Essen gehen zu wollen?" Gespannt blickt Rick mich an.

"Ich habe einen riesigen Kohldampf. Und du sahst so Hilfebedürftig aus, dass ich dich wenigstens fragen wollte, ob du da nicht weg willst."

Rick schüttelt den Kopf. "Die reißen mir den Kopf ab!"

"Du kannst jeder Zeit zurück", biete ich ihm an, bezweifle aber, dass er das will.

Wie auf Kommando klingelt sein Handy. Er zieht es aus der Tasche und drückt es aus. "Nie im Leben kehre ich da jetzt freiwillig zurück!"

Das Taxi fährt auf uns zu. Perfektes Timing! Ich öffne die Tür und halte sie ihm auf. "Darf ich bitten, der Herr." Glucksend steigt er ein und ich muss kräftig schlucken. War die Idee vielleicht doch nicht so gut?
 

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Für alle, die neugierig sind, was zwischen Marie und Silvi passiert ist: http://animexx.onlinewelten.com/fanfiction/339614/1086746/default/#complete Hier könnt ihr es nachlesen, wenn ihr schon über 18 seid. ^^



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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Von:  Usaria
2016-09-27T20:02:44+00:00 27.09.2016 22:02
So, So, So,
Rick hat grüne Augen! Äh Fara kann es sein das dir Männer gefallen, die grüne Augen und eine ganz besondere Stimme haben? Ich mein ja nur so? Wie ich darauf komme.
Meilo grüne Äuglein, Rick jetzt grüne Äuglein, Meilo ungewöhnliche Stimme, Rick ungewöhnliche Stimme! Entweder Zufall? ich muss mal deine anderen Geschichten querlesen,

Aber jetzt zurück!
Hm!Mike ich bin gespannt ab welchen Kapitel es sich Meike eingesteht, dass er auf´s andere Ufer zu steuert?
Antwort von:  Fara_ThoRn
28.09.2016 20:39
Ich liebe grüne Augen. ;D Leider gibt es so wenige Männer mit grünen Augen. Ich glaube, nur vier Prozent der Weltbevölkerung haben grüne Augen.
Ich glaube, wenn man sich Augenblicklich in jemanden verliebt, dann beeindruckt einen auch die Stimme.
Von:  summercat88
2015-07-21T02:15:34+00:00 21.07.2015 04:15
Hi , hab bis jetzt alles deine Story's gelesen und fand sie alle toll.
Genau wie diese, freu mich schon auf nächste Kapitel 😊
Antwort von:  Fara_ThoRn
21.07.2015 07:34
Vielen lieben Dank. ^^
Das nächste Kapitel ist gleich on. Hab es schon auf dem Schirm, im wahrsten Sinne xD
Von:  emina
2015-07-17T20:59:11+00:00 17.07.2015 22:59
ich liebe diese Geschichte schon jetzt <3<3<3
Antwort von:  Fara_ThoRn
21.07.2015 07:33
Dankeschön ^^
Mike und Rick sind aber auch zwei verrückte Typen. xD


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