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Liebe führt, wie zu erwarten, zu Dummheiten

von

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Amüsierte Leichtigkeit

Der Winter brach milder als für Rei erwartet herein. Ab und an schneite es tatsächlich, aber es hielt sich sehr in Grenzen. Die Temperaturen waren einigermaßen mild, was ihn dennoch nicht daran hinderte zu frieren. Er war eben eher ein Sommermensch und mochte die Kälte nicht wirklich.

Kai hingegen schien sich langsam erst wirklich wohl zu fühlen. Außer, dass der jetzt auch in der Schule seinen Schal trug, veränderte sich nichts an seinem Outfit. Ein Klischeerusse also, aber das hatte er ja schon vorher gewusst.
 

Gerade saßen sie in der Kantine, er hatte Kai mal wieder mit her geschleppt, weil es draußen gerade regnete und er jetzt schon einen Schnupfen hatte. Das musste man nicht ausbauen.

Gerade hatte er sein Handy in der Hand und starrte trübsinnig darauf, während Takao auf Kai einredete, der versuchte den Japaner so gut er konnte zu ignorieren. Es hatte sich mittlerweile allerdings tatsächlich eingebürgert, dass Kai sich an dem Mittagessen von Takao bediente, was Rei wirklich erstaunte, gerade aber alles andere als wichtig war.

"Was ist denn los?", der Redefluss von Takao war unterbrochen worden, stattdessen schaut er ihn jetzt an.

Rei seufzte resignierend und bettete seinen Kopf auf seine Arme.

"Meine Eltern haben mir gerade geschrieben, dass sie Weihnachten nicht da sind."

"Und?"

Natürlich verstand Takao das nicht. In Japan feierte man Weihnachten eher sporadisch, wenn er das richtig mitbekommen hatte. Es war eher ein Fest unter Freunden. Das Familienfest war Neujahr.

"Dann lass uns Weihnachten zusammen verbringen."
 

Erstaunt hob Rei den Kopf und sah Kai fast schon schockiert an. Hatte der das gerade wirklich gesagt?

"Ihr wollt es also tatsächlich miteinander versuchen? Endlich!", rief der Japaner der Runde freudig aus und fing sich prompt zwei verwirrte Blicke ein.

Das schien seine Euphorie gleich wieder zu bremsen, denn er ließ sich enttäuscht in seinem Stuhl zurücksinken.

"Och Mensch, Kai! Informierst du dich denn gar nicht über das Land in dem du lebst? Ich dachte du wüsstest das!"

"Was soll ich wissen?"

"Na, dass es so was wie eine Anfrage zu einer Beziehung ist, wenn man jemanden zu Weihnachten zu sich einlädt."

Sofort schien Kais Laune wieder in den Keller zu sinken, aber es veränderte sich nur sein Gesichtsausdruck zu einer angeekelten Grimasse. Hach ja... da war er wieder, der Homophobiker. Dabei hatten sie erst vor ein paar Wochen über eine mögliche Beziehung unterhalten. Seitdem war aber nicht wirklich viel passiert.

Sie näherten sich nur langsam einem etwas intimeren Verhältnis, aber mehr als ein paar flüchtige Berührungen waren nicht drin. Er genoss das Spiel, es war aufregend und ging in einem Tempo voran, das für ihn angenehm war. Er machte sich nur etwas Sorgen um Kai, denn der schien immer eher auf Abstand zu gehen, wenn Rei von sich aus etwas versuchte.

Deshalb ließ er es in letzter Zeit auch eher wieder sein und ließ Kai einfach machen, was diesem wesentlich besser zu gefallen schien.

Wahrscheinlich hätte er mit ihm darüber reden müssen, aber es lief ja alles recht gut und wenn der Russe ein Problem hatte, musste der lernen darüber zu reden.
 

"Bin ich jetzt also wieder ausgeladen?", fragte er skeptisch und sah sein Weihnachten schon davon fahren.

Takao warf ihm einen entschuldigenden Blick zu, als Kai erst einmal nicht antwortete. Ganz klasse.

Sollte er jetzt betteln, dass sie doch noch zusammen feierten? Sollte er einfach den sturen spielen und es dabei belassen?

Aber er wollte an Weihnachten nicht alleine sein! Die Jahre in Amerika und Europa hatten ihn da doch sehr geprägt. Wenn er schon nicht mit seiner Familie zusammen sein konnte, dann doch wenigstens mit Freunden. War das zu viel verlangt?

"Hey, Rei. Wenn der Sturkopf dich nicht bei sich haben will, warum kommst du dann nicht einfach mit zu mir? Mein Großvater würde sich sicherlich freuen."

Mit hochgezogener Augenbraue sah er den Japaner an:

"Dir ist schon klar, was die Anderen dann denken werden, wenn ich die Feiertage bei dir verbringe, oder?"

Doch Takao winkte nur ab und grinste: "Sollen die doch denken was sie wollen! Ist mir doch egal. Ich will nicht, dass ein Freund von mir an Weihnachten allein und traurig ist."
 

Erleichtert lächelte Rei. Wie herrlich unkompliziert das Leben doch sein konnte. Doch noch ehe er antworten konnte, kam ihm jemand zuvor:

"Nein."

Alle Augen ruhten plötzlich wieder auf Kai.

"Du bist zu mir eingeladen. Unstersteh' dich, das jetzt abzulehnen."

Das kleine, kurze Zwinkern von Takao ließ Kai schnauben und zeigte Rei, dass der Japaner wusste, wie man Konkurrenzdenken ausnutzte. Denn das waren der und Kai wirklich: Konkurrenten. Natürlich nicht in der Liebe, aber sie forderten sich immer mal wieder zu Wettstreits heraus oder versuchten dem Anderen zu Beschreiben, warum man besser in etwas war als der Kontrahent.

Äußerst amüsant. Und natürlich würde Kai niemals zulassen, dass Takao mutiger rüber kam als er selbst.

Rei war sich ziemlich sicher, dass Kai um diesen Charakterzug von sich wusste, denn der Russe war äußerst selbstreflektierend, aber anscheinend konnte er selbst nichts dagegen tun.

Nun, gut für ihn, jetzt hatte er an Weihnachten ein Date.

Er grinste in sich hinein.
 

Allerdings begann dann sein nächstes Problem. Bis Weihnachten waren es nur noch sieben Tage und wenn er Weihnachten wie die letzten Jahre feiern wollte, musste ein Geschenk her. Aber was schenkte man einem Jungen, der theoretisch Geld wie Heu hatte und sich alles kaufen konnte?

Das fragte er auch Takao in einer ruhigen Minute.

"Irgendwas persönliches schätze ich. Etwas, was euch verbindet. Aber das kannst nur du wissen, da kann ich dir nicht helfen."

Rei seufzte betrübt. Er wollte Kai ja nicht irgendwas schenken, sondern wirklich etwas, worüber er sich freuen würde. Er hatte schon an einen neuen Schal gedacht, aber das würde wahrscheinlich eher nach hinten losgehen. Der, den er jetzt gerade trug, war angeblich von seiner Mutter, den würde er sicherlich nicht mit einem von ihm ersetzen.
 

Am Nachmittag danach fand er sich in der Stadt wieder, an den Schaufenstern vorbei laufend. Aber die erhoffte Inspiration blieb aus. Wieder einmal stellte er fest, dass er eigentlich gar nichts über Kai wusste.

Hatte der neben dem Klavier, dem Schlagzeug und dem Kampfsport noch andere Hobbys? Er las gerne. Physik- und Astronomiebücher. Aber damit kannte er selbst sich kaum aus. Ob er sich innerhalb von einer Woche genug einarbeiten konnte, um ein gutes Buch zu bekommen?

Andererseits wollte Kai dieses Interesse eigentlich gar nicht weiter verfolgen und er war sich nicht sicher ob er sich über so was freuen würde. Hmpf.
 

Er stoppte vor einem Schaufenster eines Schmuckladens. Ob Schmuck etwas für Kai war? Er konnte sich eine Kette mit einem breiten Kruzifix gut vorstellen. Aber er verwarf den Gedanken sofort wieder. Schmuck galt für Kai wahrscheinlich als nicht männlich genug. Das war aber auch schwierig.

Ganz davon abgesehen kannte er Kais Geschmack nicht. Schon wieder etwas, das er nicht wusste.
 

Er ging weiter ohne eine Ahnung zu haben, was er Kai schenken sollte. Ihm kam ein Buch in den Sinn. So was wie ein Tagebuch, aber ihm war klar, dass das auch nichts war, was Kai gefallen würde. Langsam zweifelte er daran, ihm überhaupt etwas zu schenken. Vielleicht sollte er wirklich nichts kaufen, denn es schien fast unmöglich etwas zu finden, was Kai interessieren oder sogar freuen könnte.

Für heute war es wohl genug, morgen war auch noch ein Tag.
 

Weihnachten kam letztlich viel schneller als gedacht und so wirklich verlief es auch nicht, wie er das geplant hatte.
 

Er hatte es letztendlich wirklich aufgegeben ein passendes Geschenk zu suchen und war auf eine Art Notfallplan umgestiegen. Erst erschien es ihm als nicht so gut, aber letztendlich war er ganz zufrieden mit der Idee. Es war hoffentlich etwas, was Kai nicht allzu oft bekam und worüber er sich freuen konnte. Außerdem war es ein wenig ungezwungener, als ein gekauftes Geschenk und für Kai auch nicht so unangenehm, wenn er kein Geschenk für ihn hatte.

Rei hatte wirklich keine Ahnung, wie man Weihnachten in Russland feierte oder wie genau das in Japan ablief und erst recht hatte er keine Ahnung, wie Kai das Fest feierte. Er selbst hatte so viele Arten erlebt, dass es bei ihm wohl eine Mischung aus sehr vielen Kulturen war.

Jedenfalls konnte er sich nicht vorstellen, dass Kai irgendetwas für ihn hatte, das passte nicht recht zu dem kühlen Jungen. Aber er würde sich überraschen lassen, denn, so ruhig und rational er auch versuchte zu denken, die Freude über Geschenke konnte er nicht verleugnen und auch wenn er wusste, dass er wahrscheinlich nichts bekam, hoffte er es doch irgendwie. Er nahm sich aber vor nicht enttäuscht zu sein, egal was heute geschehen würde, denn allein, dass er hier sein durfte, war ein außerordentlich großes Geschenk für ihn.

Er war nicht allein und das war eigentlich alles was zählte!
 

Nachdem er durch das Tor getreten war, wurde ihm, wie vor einigen Wochen schon, wieder die Tür geöffnet. Nach einer kurzen Begrüßung wurde er zu Kai geführt. Diesmal war es kein Herrenzimmer, oder wie diese Art von Raum sonst bezeichnet wurde, diesmal war es so was wie ein Wohnzimmer. Es war so groß, dass ihm Kai im ersten Moment gar nicht auffiel, als er ihn dann aber fand, erschreckte er kurz.

Mit aufgeplatzter Lippe und vollkommen zerzaust saß er da und bemühte sich wohl so auszusehen, als wäre alles in Ordnung. So ein sturer Idiot.

Eilig kam er zu ihm, er saß auf einer Couch, und betastete vorsichtig seine Wange. Sofort stellte er die mitgebrachte Tasche mit Schlafsachen und dem Geschenk ab und sah sich ärgerlich zu dem Butler um:

"Kümmert sich denn hier gar keiner um ihn!?"

Wenigstens von dem Personal hätte er ein wenig Anstand erwartet, gerade, wenn der Hausherr sowieso nicht da war. Der Butler zuckte nicht einmal, aber Kai selbst hob kurz die Hand um ihn am Weiterreden zu hindern:

"Hör auf. Er hat nichts falsch gemacht. Es geht mir gut."
 

Rei schnaubte ärgerlich nach dieser Ansage:

"Gar nichts ist gut, du Idiot. Warm prügelst du dich immer? Haben sie dir aufgelauert oder warst du einfach nur zu stur, um ihnen mal aus dem Weg zu gehen?"

Er war unfair und das wusste er. Es ging Kai nicht gut und er hatte auch nicht das Recht sich in sein Leben einzumischen, aber er machte sich Sorgen und aus irgendeinem Grund äußerte die sich gerade in Ärger. Er konnte selbst nicht wirklich sagen warum.

"Tz. Als ob dich das was anginge."

Ausnahmsweise reichte ein intensiver Blick, dass Kai nachgab, denn schon nach wenigen Sekunden fügte er hinzu:

"Nichts von beidem! Sie haben was ätzendes gesagt... sie haben mich provoziert."

Das klang fast trotzig, wie von einem kleinen Kind und natürlich gab sich Rei damit jetzt nicht zufrieden:

"Sie haben nur einen dummen Spruch gebracht?" Das klang ungläubig.

"Himmel Kai, das kann es doch nicht wert gewesen sein!"

Doch Kai zischte nur ein kurzes: "Du hast keine Ahnung!"

Nein, die hatte er offensichtlich wirklich nicht und er merkte selbst, dass sie so nicht weiter kamen. Kai hatte sein Gesicht leicht von ihm abgewandt und die Angst vor einem Weihnachtsfest voll mit Streitereien ließ Rei dann auch schließlich nachgeben.

"Ist ja gut... aber lass mich wenigstens die Verletzungen behandeln, ja?"
 

Kurz nach einem gegrummelten 'Von mir aus', saßen sie dann im Bad. Mal wieder waren die schlimmeren Blessuren nur unter der Kleidung sichtbar. Kai schien ein Händchen dafür zu haben, sich nur an bedeckten Stellen verletzen zu lassen.
 

Gedankenverloren strich er zwischendurch wieder über einige der unzähligen Narben, während er das leichte Erschauern seines Freundes bemerkte.

Es war ihm unangenehm, das wusste Rei, aber dennoch waren die feinen Linien irgendwie faszinierend.

"Wie stehst du eigentlich dazu?", fragte er leise und vorsichtig. Kai wollte nicht darüber reden, das wusste er, aber er konnte das Fragen einfach nicht lassen.

"Was meinst du?"

Seine Stimme klang ruhig, aber irgendwie nachdenklich und ein wenig weicher als sonst.

Rei konnte sich nicht erklären woher das so plötzlich kam, aber er hakte da nicht weiter nach. Es war wichtiger das Gespräch weiter zu führen:

"Wie du zu den Narben stehst. Stören sie dich oder akzeptierst du sie einfach als vorhanden?"

Es entstand eine lange Stille, in der Rei Kais Rücken betrachtete und wartete. Sein Freund brauchte eben seine Zeit, das verstand er.

"Sie gehören eben zu mir. Ich habe mir nie Gedanken darum gemacht."

Wieder fuhr Rei nachdenklich eine der unzähligen Linien nach und schwieg nun selbst kurz.
 

"Sie erzählen deine Geschichte.", hauchte er dann leise. "Die Geschichte deiner Vergangenheit. Du magst diese Geschichte als beendet abgelegt haben und doch trägt dein Körper sie weiter mit sich herum. Wirst du nicht jedes Mal, wenn du sie siehst, daran erinnert?"

Es würde keine Antwort auf diese Frage kommen, das wusste Rei. Dennoch wurde es wieder still um sie.

"Weißt du...", begann Rei dann langsam und wägte seine Worte behutsam ab, "... wenn du eines Tages genug von diesem Anblick hast, wenn auch dein Körper frei von den Erinnerungen sein soll... hast du schon einmal daran gedacht sie für immer zu überdecken?"

Skeptisch wurde der Kopf vor ihm etwas gedreht, so dass der tiefe Blick Kais ihn treffen konnte. Und ganz eindeutig hielt der ihn für übergeschnappt.

"Ich meine ein Tattoo!", stieß Rei daraufhin hastig aus und durchbrach damit die fast meditative Stimmung, die bis eben geherrscht hatte.

"Himmel, was dachtest du denn, was ich meine?"

Ein amüsierter Ausdruck stahl sich für einige Augenblick in das Gesicht des Russen.

"Gar nichts.", gab er dann leichthin zu. "Ich wollte nur sehen, wie du reagierst."
 

Vollkommen überfordert, wusste Rei im ersten Moment nicht, wie er darauf reagieren sollte, schließlich war es das erste Mal, dass Kai ihn ... ja, veralbert hatte.

Letztendlich entschied er sich für leises Lachen und Kopfschütteln.

"Du bist ein Idiot", folgte noch fast liebevoll, ehe er endlich damit begann ihn zu verarzten.
 

"Wo ist eigentlich dein Großvater? Ist er auch weg?"

"Ja. Er ist fast nie da. Wenn er mal in Japan ist arbeitet er hier den ganzen Tag, ansonsten ist er im Ausland um da die einzelnen Firmensitze im Auge zu behalten."

Sie hatten sich wieder in das Wohnzimmer zurück gezogen, nachdem Rei fertig gewesen war, um dort noch etwas zu reden, bevor der Abend an sich los ging.

Rei hatte eine Tasse Tee in der Hand, während Kai diesmal doch lieber dem Kaffee frönte. Es war schon merkwürdig wie anders er sich im Vergleich zum letzten Mal benahm, als Rei hier gewesen war. Es war alles viel entspannter und lockerer als zu dem vergangenen Zeitpunkt und so viel angenehmer. Aber das mochte auch daran liegen, dass sie sich einfach besser kannten. Es schien alles so viel bekannter und vertrauter und dennoch waren sie noch immer so unglaublich weit voneinander entfernt. Er verstand es nicht. So eine komplizierte Freundschaft hatte er noch nie gehabt.
 

"Ist hier sicherlich ziemlich einsam, wenn nicht einmal dein Opa hier ist, oder?"

Rei wusste längst, dass die beiden eher ein unterkühltes Verhältnis zueinander hatten. Kai war der Erbe des Familienunternehmens und hatte in allem was er tat der Beste zu sein. Ein Umstand den sein Freund recht gut zu erfüllen wusste, weshalb Souichirou, so hieß sein Großvater, über gewissen 'Charakterliche Schwächen' hinweg sah. Dass diese 'Charakterlichen Schwächen' keine waren, sondern eher psychische Probleme, schien Kais Vormund entweder nicht zu begreifen oder es absichtlich zu ignorieren.

Rei war sich sicher, diesen Menschen niemals kennenlernen zu wollen, aber ihm war auch klar, dass Souichirou und Kai ein besonderes Verhältnis verband. Kai begehrte gegen diesen Mann nicht auf, sondern folgte seinen Vorgaben und es wirkte nicht wirklich so, als würde der junge Russe dazu gezwungen werden. Ob das der richtige Weg für Kai war, würde sich noch heraus stellen, aber es zeigte doch deutlich, dass ihm sein Großvater nicht egal war.
 

"Eigentlich merke ich es kaum. Ich habe genug zu tun, dass es sogar eher lästig ist, wenn er da ist und darauf besteht Zeit mit mir zu verbringen."

Rei war sich nicht sicher ob das wirklich wahr war, was Kai da erzählte. Er konnte sich schon vorstellen, dass sein Freund nicht gerne allein war. Das zeigte sich allein daran, dass er seine Nähe auch irgendwie suchte, wenn er gerade nichts zu tun hatte. Diese Zeiträume beschränkten sich zwar allein auf die Schule und die Samstage, aber es war schon recht auffällig.

Dennoch wirkte Kai nicht, als würde er lügen. Er schien das was er sagte selbst zu glauben, schien überzeugt davon zu sein. Vielleicht war es wirklich die Wahrheit. Kais Wahrheit. Da würde er sich nicht einmischen.
 

"Dann hoffe ich doch, dass ich dich nicht weiter störe in deiner Einsamkeit.", witzelte Rei und trank einen Schluck seines Tees.

"Eigentlich macht es kaum einen Unterschied, ob du da bist oder nicht."

"Autsch. Manchmal tut deine gnadenlose Ehrlichkeit echt weh. Dir macht es also gar nichts, dass du an Weihnachten allein bist?"

Kai zuckte nur mit den Schultern ehe er antwortete: "Mal abgesehen davon, dass ich mich nicht einmal an meine letzte Weihnachtsfeier erinnern kann, ist heute nicht Weihnachten. In Russland wird Weihnachten am siebten Januar gefeiert."

Für einen Moment war Rei wirklich erstaunt darüber, dass Weihnachten in Russland an einem anderen Tag gefeiert wurde, bis ihm dann bewusst wurde, was Kai vorher gesagt hatte.

"Wie meinst du das?", fragte er verwirrt. Kais fragender Blick veranlasste ihn aber dazu, genauer zu werden:

"Du sagst, du kannst dich an kein Weihnachten erinnern..."

Daraufhin bekam er nur ein Schulterzucken. Keine Erklärung, nichts. Sollte er das jetzt wieder einfach so schlucken? Sollte er wieder so tun als würde ihm das nichts ausmachen?

Andererseits hatte er von Anfang an gewusst, dass Kai nicht darüber reden würde. Durfte er sich über etwas aufregen, was er schon akzeptiert hatte?

Das war schon wieder so kompliziert...
 

"Dann ist das hier also im Prinzip dein erstes Weihnachten?"

Ein Nicken kam von Kai und Rei lächelte:

"Das ist irgendwie aufregend!"

Irgendetwas Gutes musste er ja aus dieser Situation ziehen, oder? Er würde sich schließlich das Fest verderben lassen.

"Weißt du, wir haben in meinem Heimatdorf auch kein Weihnachten gefeiert. Und ich bin ja auch kein Christ, also ist es sowieso etwas seltsam, dass ich es überhaupt feiere. Aber in Amerika habe ich das so kennen gelernt und ich fand es wirklich toll! Vor allem, weil meine Eltern normalerweise dann auch da sind und wir ein paar Tage zusammen verbringen."

Kai begann zu schmunzeln, was den jungen Chinesen in seinem Redefluss stoppte.

"Mal wieder bist du echt unmöglich.", schnaubte sein Gegenüber amüsiert.

"Ein Chinese der in Japan wohnt und gegen seine eigene Religion amerikanisches Weihnachten feiert."

Unwillkürlich musste Rei lachen und er war froh darum, war die gedrückte Stimmung von vorher doch damit verflogen.

"Wenn du das so sagst klingt das echt schräg."

Er wischte sich kurz kleine Lachtränen aus den Augen, ehe er sanft zu seinem Freund lächelte:

"Lass es mich dir zeigen, ja? Es ist wirklich ein besonderer Tag."

Ein nicken von Kai läutete den Anfang von Weihnachten ein.
 

Es war anders als erwartet, ja, aber es war so ziemlich das schönste Weihnachten, was er bisher hatte. Seine Eltern waren nicht da, aber die Zeit mit Kai zu verbringen, war ein guter Ersatz. Die Erinnerungen an diesen Abend beruhen hauptsächlich auf Gefühlen, die er zu diesem Zeitpunkt empfand und aus verschiedenen, einzelnen Szenen.

Gemeinsam scheuchten sie die Angestellten aus dem Haus, damit sie ihre Ruhe hatten und die, die sie fort schickten, bei ihren Familien sein konnten. Es war ihnen egal, ob Souichirou mitbekam, dass sie alle in einen bezahlten Urlaub geschickt hatten. Das war es ihnen, interessanterweise vor allem Kai, wert.

Danach waren sie einkaufen gegangen um gemeinsam kochen zu können. Es gab traditionell, wie die beiden recherchiert hatten, frittiertes Huhn, dazu Salat. Es war etwas schwierig sich in der großen Küche zurecht zu finden. Am Ende hatten sie die Panade nicht nur im Gesicht, sondern auch in den Haaren und auf der Kleidung. Es war schön zu sehen, dass Kai das locker nahm und sogar mit ihm darüber lachte.

Nachdem sie dann also (getrennt) geduscht hatten und Rei sich von Kai Kleidung ausgeliehen hatte, aßen sie zu Abend und brachten sogar ein lockeres Gespräch zustande. Sie redeten über nichts Wichtiges, aber es machte Spaß und das war die Hauptsache.
 

Nach der amerikanischen Tradition wäre die Bescherung erst am nächsten Tag gewesen, aber Rei wollte die ausgelassene Stimmung ausnutzen.

Direkt nach dem Essen stand er also auf und lächelte den verwunderten Kai an:

"Ich hab noch was für dich."

Er ging zurück in die Küche, sein Mitbringsel hatte er da verstaut, als Kai kurz nicht hin gesehen hatte. Es war in Japan nicht ungewöhnlich, dass man sich solche Geschenke machte, aber er war sich sicher, dass Kai so etwas noch nie bekommen hatte. Er hoffte, dass es ihm im Gedächtnis bleiben würde.
 

So hielt er seinem Freund kurz darauf das Päckchen hin.

"Das ist für dich. Frohe Weihnachten!"

Erstaunt und sichtlich ein wenig überfordert nahm Kai das Geschenk entgegen. So etwas wie Unsicherheit trat in seine Augen, aber er öffnete es.

Für einen Moment schien die Zeit still zu sehen. Rei selbst hielt den Atem an, denn er war sich plötzlich gar nicht mehr sicher, ob Kai so etwas überhaupt mochte. Beschenkter starrte einfach nur auf das, was er da vor sich hatte und war anscheinend sprachlos oder einfach nur nicht in der Lage etwas dazu zu sagen, weil er nicht wusste, wie er ihm klar machen sollte, dass das ein unangemessenes Geschenk war.

"Ich... hab sie selbst gebacken.", brachte Rei eher krächzend hervor.
 

Kais Blick wanderte von der kleinen Sahnetorte, die vor ihm stand, zu seinem Gast, doch noch immer kam kein Wort aus seinem Mund. Ob er ihn überfordert hatte?

Dann plötzlich stand der andere einfach auf und verließ den Raum. Entgeistert starrte Rei ihm hinterher, konnte diese Geste gar nicht einordnen.

Die Verwirrung dauerte allerdings auch nur einen Augenblick, da kam Kai schon wieder. In seiner Hand zwei Dessertteller mit entsprechenden Gabeln. Erleichterung machte sich in Rei breit. Ihm gefiel das Geschenk also.
 

Mit einem Messer teilte sein Gastgeber das Geschenk in mehrere Teile und tat jeweils eines davon auf die Teller.

So verbrachten sie gemeinsam den restlichen Abend in einem lockeren Gespräch und nebenbei immer wieder ein wenig von der Torte naschend.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Akikou_Tsukishima
2015-09-29T09:59:19+00:00 29.09.2015 11:59
Wie knuffig

Ich will auch ein Stück Kuchen/Torte

Jetzt fehlt nur noch die zweisamkeit in der Weihnachtsnacht XD
Antwort von:  Lyndis
03.10.2015 12:24
*dir ein stück kuchen zuschiebe* dan hast du dir verdient :)

Die Zweisamkeit in der Weihnachtsnacht gibt es vielleicht im nächsten Teil der Story, aber in diesem eher nicht mehr.

Danke für den Kommi :)


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