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Cold to the touch

Hamburg in den Schatten
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Hier nun das erste richtige Kapitel und das erste Auftauchen Roberts - oder einfacher gesagt: Des nützlichsten Kontakts. Denn Pakhets Autos wissen die Existenz Roberts definitiv zu danken :P Komplett anzeigen

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Kontrolle

Es war nicht so leicht, wie all die Werbung für Cyberware es einen glauben lassen wollte. Lag es nur an ihr?

Ein Schlag, der zu plötzlich stoppte. Der nächste Schlag, langsamer, durchgezogen, aber nicht mit voller Kraft. Der Schlag danach war zu kräftig und ließ den Sandsack beinahe gegen die Wand schlagen.

Als man Joanne entlassen hatte, hatte man ihr noch gesagt, dass sie sich für zwei weitere Wochen zurückhalten sollte, doch es war ihr in der Konzernklinik schon schwer gefallen, sich zurück zu halten. Sie wollte wieder etwas tun, sie wollte so schnell wie möglich wieder raus, arbeiten, und vor allem wollte sie sich nicht schwach und krank fühlen.

Noch ein Schlag, der wieder nicht den beabsichtigten Schwung hatte.

Insgesamt war alles noch viel schwerer, als es mit biologischen Armen gewesen war. Die cybernetischen Hände fühlten sich roh und ungeschickt an, die Arme als ganze waren noch um so vieles langsamer, als es früher der Fall gewesen war.

Doch waren sie auch viel stärker. Denn auch wenn es ihr schwer fiel, die richtige Kalibrierung zu finden, um gezielt und mit genau der richtigen Kraft zuzuschlagen. Letzten Endes war das menschliche Gehirn nicht automatisch darauf programmiert, eine Prothese – und sei sie auch noch so fortgeschritten – zu bedienen.

Der nächste Schlag hatte nicht den richtigen Winkel und streifte beinahe am Sandsack vorbei.

Es war frustrierend für sie. Immerhin bildete Joanne sich durchaus etwas auf ihr kämpferisches Können ein, selbst wenn es seit ihrer Jugend immer weniger geschätzt wurde. Doch immerhin war sie bisher immer schnell und präzise gewesen – etwas, dass sie mit diesen Armen einfach nicht zu erreichen schaffte.

Natürlich wusste sie, dass es nur eine Frage der Zeit sein würde, bis sich Gehirn und Nerven daran gewöhnt hätten, dass diese Arme sich nun einmal anders bewegten, als es bei den Armen aus Fleisch und Blut der Fall war, doch im Augenblick war es einfach nur frustrierend.

Sie konzentrierte sich, um mehr Kraft in den nächsten Schlag zu setzen, doch war es dieses Mal zu viel Momentum und der Sandsack schwang erneut in Richtung der Wand und dann wieder zurück. Anstatt den Sack festzuhalten, versuchte sie den richtigen Moment abzupassen, nur um dieses Mal komplett zu verfehlen.

Sie seufzte, von sich selbst geärgert, und hätte eigentlich weitergemacht, hätte in dem Moment nicht ein melodisches Ringen verkündet, dass sie einen Besucher hatte.

Eigentlich musste Joanne nicht einmal an die Tür gehen und auf den kleinen Monitor schauen, der ihr den Besucher zeigte, um zu wissen, dass es Robert war. Immerhin war Robert der einzige, der sie einen halben Tag, nachdem sie aus der Klinik entlassen war, besuchen würde.

„Komm rein“, grummelte sie in die Gegensprechanlage und öffnete die Tür, holte sich dann ein Handtuch aus dem Badezimmer, um sich den Schweiß von der Stirn zu wischen.

Dabei kam sie noch immer nicht umher zusammen zu zucken, als einer der Finger ihre Haut berührte, denn diese Finger waren kalt und das auf eine gänzlich andere Art und Weise, als es die Hände manchmal im Winter waren. Es war eine unnatürliche Kühle, die von den Händen ausging, selbst wenn sie oberflächlich betrachtet noch immer aussahen, wie die früheren Fleischarme. Die Haut hatte dieselbe Farbe und Struktur, ja, bei den synthetischen Armen hatte man sich sogar die Mühe gemacht, kleine Details wie Muttermale auf der Haut zu imitieren.

Als sie zurück in den Flur der eher kleinen Wohnung kam, hörte sie den Aufzug draußen gerade ankommen.

„Heyda“, erklang die übertrieben fröhliche Stimme Roberts bereits, als sich die Tür des Aufzugs öffnete. „Habe dir etwas mitgebracht!“

Joanne sah schon, was er meinte, hatte er doch immerhin einen großen, flachen Karton in den Händen. „Juhu, Soy-Pizza.“ Ihre Stimme triefte förmlich vor Sarkasmus und sie hob eine Augenbraue.

„Ich kann sie auch alleine essen, wenn es Madame nicht passt“, erwiderte Robert trocken.

Dann grinsten sie beide.

„Na, wie geht es dir?“, fragte Robert und legte einen Arm um sie, während er mit der freien linken Hand die Pizza weiter balancierte.

„Relativ gut, schätze ich“, erwiderte sie, auch wenn ein leises Seufzen in ihrer Stimme mitschwang.

Robert kam offenbar nicht umher, seinen Blick auf ihre Schultern zu fixieren, welche nicht einmal auffällig ausgesehen hätten, wäre die echte Haut nicht dort, wo die Silikonhaut endete, gerötet gewesen, was dank ihres Tanktops nur zu gut sichtbar war.

„Nun“, meinte er schließlich, „du stehst, also scheint es dir nicht zu schlecht zu gehen.“ Dann sah er sie zweifelnd an. „Hoffe ich zumindest.“

„Ich habe mich schon einmal besser gefühlt, aber auch schon maßgeblich schlechter. Also was will man tun?“, antwortete sie und hätte wohl mit den Schultern gezuckt, was sie nun aber unterließ, da es sich aktuell zu seltsam anfühlte. „Komm erst einmal rein“, fügte sie dann hinzu, da sie noch immer halb im Türrahmen standen.

Robert nickte und folgte ihr, so dass sie die Tür hinter ihm schließen konnte.

„Und?“, meinte er, während er seine dünne Jacke auszog. „Wann darfst du wieder in den Dienst zurück?“

„Zwei Wochen“, grummelte sie.

„Oh.“ Mehr wusste er dazu nicht zusagen. Er kannte sie gut genug, um zu wissen, wie schlecht sie darin war, einfach zuhause herumzusitzen. „Na ja, was hältst du von einem Videoabend? Mit Soy-Pizza.“

„Von mir aus“, meinte sie seufzend. „Aber lass mich erst duschen.“

„Hast du noch nicht...“, begann er und sah sie prüfend an.

„Nein“, erwiderte sie nur, auch wenn es nicht ganz stimmte. „Warte kurz, ja?“

Robert zuckte mit den Schultern. „Natürlich. Ich flätze mich auf dein Sofa und wenn du irgendwelche Hilfe brauchst, sag Bescheid.“

„Natürlich“, sagte sie und verdrehte nur die Augen, ehe sie ins Badezimmer zurückging und die Tür hinter sich verschloss.

Sie brauchte nie besonders lang zum Duschen. Da ihr blondes Haar kurz und stachelig war, ging das waschen schnell, und da das Duschen nicht mehr als ein Mittel zum Zweck war, verplemperte sie auch ansonsten keine unnütze Zeit unter dem gerade einmal lauwarmen Wasserstrahl.

Dennoch brauchte sie länger als gewöhnlich, da auch hier die ungewohnten Cyberarme im Weg waren und sie sich jedes Mal, wenn die kühlen Finger ihre Haut berührten, zusammenreißen musste, um nicht zusammen zu zucken.

Als sie letzten Endes in das recht kleine und ziemlich leere Wohnzimmer zurück kehrte, trug sie wieder ein Tanktop, wenngleich ein sauberes, und eine dunkle Jogginghose. So ließ sie sich neben Robert fallen, der den Fernseher angestellt hatte und die Wiederholung irgendeiner alten „Fire-Team Cherokee“ Folge sah.

„Na, hast du mir noch etwas übrig gelassen?“, fragte Joanne mit Blick auf den Pizzakarton.

„Ich habe natürlich auf dich gewartet“, antwortete Robert mit gespielter Empörung. Er nahm die Fernbedienung und wählte die Trideo-Mediathek aus. „Und? Worauf hast du Lust?“

Joanne nahm den Karton vom Boden auf, wo Robert sie mangels eines Wohnzimmertisches abgestellt hatte, auf und öffnete sie. Sie bevorzugte echten Käse, gegenüber den chemischen Imitaten auf Sojabasis, wusste aber, dass Robert sich dergleichen nicht leisten konnte, weshalb sie sich nicht beschwerte. „Mir egal“, meinte sie und nahm sich eins der Stücke.

„Was hältst du von irgendeinem veralteten Streifen?“, fragte Robert.

Joanne hatte geahnt, dass diese Frage kam. Robert hatte eine seltsame Faszination für Filme, die zwischen 2000 und 2020 erschienen waren. Natürlich war dies noch immer besser als jene Filme aus dem letzten Jahrtausend, die selbst mit modernster Nachbearbeitung noch immer seltsam aussahen, doch wirkten auch diese Filme auf einem Trideo-Fernseher seltsam statisch – nicht, dass sie besonders viel auf die moderne Trideotechnik gab.

Wieder verkniff sie es sich mit den Schultern zu zucken. „Keine Einwände“, sagte sie stattdessen nur.

So saßen sie wenig später da und sahen einen uralten Superheldenfilm von 2018, während die große Pizza, die Robert mitgebracht hatte, langsam kleiner und kleiner wurde. Es war, wenn man es so bedachte, erstaunlich, dass zur damaligen Zeit überhaupt Filme rausbekommen waren, hatte doch in vielen Teilen der Welt Chaos geherrscht.

Joanne war dieser Abendgestaltung recht dankbar, da es sie auf andere Gedanken brachte. Die ganzen letzten Tage, die sie im Krankenhaus hatte herumsitzen können, ohne sich sinnvoll beschäftigen zu können, hatte sie zunehmend negativ werdende Gedanken in ihrem Kopf hin und hergerollt. Immerhin waren zwischendurch doch immer wieder dumpfe Schmerzen durch den morphin-ausgelösten Nebel gedrungen und es hatte wenig Möglichkeiten gegeben, sich abzulenken, da das Trideo-Programm des Krankenhauses stark eingeschränkt und voller Product Placement gewesen war.

Natürlich, es gab manche, die konnten Zeit totschlagen, indem sie ein Buch in der AR oder gar physisch lasen, was sie zwischenzeitlich auch gemacht hatte, doch am Ende lief es auf eine Sache hinaus: Sie musste sich einfach etwas bewegen. Sie war niemand, der Tagelang einfach nur herumsitzen oder gar herumliegen konnte.

Entsprechend tat es gut, sich mit Robert über den uralten Film lustig zu machen und zu scherzen. Es lenkte sie auch von dem Gedanken ab, dass sie erst in zwei Wochen zurück zur Arbeit konnte.

Zumindest hatte sie noch solange Zeit, um diese ungelenken Arme irgendwie unter ihre Kontrolle zu bringen.

Als schließlich die Credits des Films über den eigentlich für 3D ausgelegten Bildschirm liefen, merkte sie, dass Roberts Blick erneut auf ihr ruhte oder viel mehr ihren Armen. Sie wusste nicht, ob sie es ignorieren sollte oder nicht, doch mit der Zeit wurde es ihr unangenehm.

„Gibt es irgendetwas interessantes zu sehen?“, fragte sie schließlich rau.

Roberts Blick wurde verlegen und er sah rasch wieder zum Bildschirm. „Sorry.“ Er zögerte für eine Weile, während die Namenszüge sich nun seit mindestens fünf Minuten nach oben schoben. Da er nicht besonders gut darin war, irgendetwas zu verbergen, war es ihm anzusehen, dass ihm etwas auf der Zunge lag.

Joanne verschränkte die Arme etwas umständlich vor der Brust. „Was ist los?“

Doch natürlich reichte eine direkte Frage nicht, um ihn sofort zum Reden zu bringen. Er wollte offenbar die gesamte Länge der Credits ausreizen.

„Es ist nichts“, meinte er schließlich und wirkte dabei beschämt.

„Ja, sicher“, entgegnete sie sarkastisch. Eigentlich ahnte sie sehr wohl, welche Frage ihm schon den gesamten Abend auf der Zunge lag.

Mit leisem Seufzen sah er zu ihr herüber. „Ich frage mich nur... Wie fühlt es sich an?“

Wieder kämpfte sie gegen ein Schulterzucken an. „Ungewohnt.“

Da endeten die Filmcredits mit einer Nach-Credit-Szene, die kurz Roberts Aufmerksamkeit beanspruchte, doch als der Fernseher wieder in die Mediathek zurücksprang, sah er zu ihr herüber. Ein deutliches Zweifeln lag in seinem Blick. „Nur ungewohnt? Tut es nicht weh?“

Joanne lachte trocken. „Es gibt Schmerzmittel. Genau für so etwas. Aber es ist ohnehin schon gut verheilt. Ich mein, hey, in zwei Wochen kann ich wieder arbeiten.“

„In zwei Wochen schon?“

„Dann war ich mehr als vier Wochen ausgeschaltet. Das soll doch wohl reichen, oder?“, erwiderte sie missmutig.

„Na ja, ich meine ja nur... Es ist... Eine Menge, oder?“, erwiderte Robert unsicher.

Sie zog eine Augenbraue hoch. „'Ne Menge was?“

„Na ja“, begann er erneut, „eine große Änderung halt. Ich meine, die ganzen Arme... Ich... Ich finde immer noch nicht, dass es nicht sein muss.“

Nun konnte Joanne sich ein genervtes Seufzen nicht verkneifen. Robert hatte auch vorher versucht, ihr das Vorhaben auszureden. Doch das war nie in Frage gekommen. „Man muss sich eben anpassen, Rob. Man muss mithalten können und mit Fleischarmen habe ich keine Chance, wenn ich mal mehr sein will, als die Nachtwache, die nur Befehlen gehorcht.“

„Du hättest dir auch einfach einen anderen Job suchen können.“ Roberts Stimme klang nicht wirklich überzeugt, aber offenbar wollte er es auch nicht einfach fallen lassen.

Dieses Mal zuckte sie mit den Schultern und spürte das unangenehme Ziehen, ließ sich aber nichts anmerken. „Jetzt ist es ohnehin zu spät. Also spar' dir die Worte.“

Robert sah sie mit deutlich unzufriedener Miene an, sagte jedoch tatsächlich nichts mehr und wandte sich für eine Weile erneut dem Fernsehgerät zu, wobei er nur durch die Matrixgebundene Mediathek zappte, ohne sich irgendetwas anzusehen.

„Schmollst du?“, fragte Joanne nach zwei oder drei Minuten des Schweigens.

Robert seufzte und sah sie dann wieder an. „Nein... Ich verstehe es nur nicht.“

„Du musstest dich auch nie allein durchschlagen“, erwiderte sie kühl.

„Ja, vielleicht...“ Betreten sah er nun auf seine Knie. „Tut mir leid.“

„Schon gut“, seufzte sie und sah nun ebenfalls zum Fernseher. Dann streckte sie die Hand aus, um ihm die Fernbedienung abzunehmen, da sie das nervöse Zappen leid war. Er überließ sie ihr, sah sie aber erneut an.

„Deine Finger sind so kalt“, murmelte er.

„Ich weiß“, antwortete sie und wünschte sich, sie hätten dieses Gespräch gar nicht erst angefangen.



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