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Reise in den Osten

von

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Venari - Das Dorf der Jäger

Ich hörte von einem kleinen Dorf, der Provinz Venari, im weiten Osten des Kontinents, in welchem nur Jäger und Sammler lebten. Sie ernährten sich vordergründig von Wildfang und gesammelten Früchten, weshalb sie fast unabhängig von den weit entfernten Städten waren. Ihre Häuser waren einfache Hütten aus Holz und die Straßen glichen Trampelpfaden. Umringt wurden sie von dichten Wäldern mit üppiger Natur, in welchem monströse Ungeheuer lauerten, weshalb sich nur selten Menschen dort verirrten.

In diesem Dorf lebte ein Mann, der für seine besonderen Kräfte bekannt war. Es hieß, er heilte jegliche Krankheiten oder Flüche, seien sie noch so gravierend. Ich musste ihn treffen, egal um welchen Preis.

Das Dorf zu erreichen, so hörte ich, war nahezu unmöglich. Zumindest für jene, die nichts über Nen wussten, dachte ich. Tatsächlich stellte sich die Reise durch die Wälder als gefährlich heraus. Sowohl nachts als auch tagsüber warteten wilde Tiere auf Beute, um sie zu reißen. Ich durfte keine Sekunde unvorsichtig sein, doch für so manchen Auftrag für Meteor City hatte ich bereits gefährlichere Wege in Kauf genommen.
 

Seit zwei Tagen irrte ich durch die dichte Natur, ohne etwas zu essen und ohne etwas zu trinken. Meine Kehle fühlte sich heiser an. Ausgelaugt ließ ich mich auf einem umgefallenen Baumstamm nieder und atmete tief die frische Waldluft ein. Mir mit den Fingern durch das Haar greifend, ließ ich einige schwarze Strähnen in die Stirn fallen. All die Mühen, nur um einen alten Mann zu treffen.

Laub raschelte, als ich mit geschlossenen Augen lauschte. Es verwandelte sich in leise Schritte, welche mit jeder Sekunde an Intensität zunahmen. Das musste das erste Mal sein, dass ich Leute traf, seit ich den Weg in das Dorf eingeschlagen hatte. Fragte sich nur, ob man ihnen trauen konnte.

Ich versteckte mich hinter einem starken Baum, als die Geräusche näher rückten. Das Trampeln paarte sich mit energischen, tiefen Stimmen, die sich lachend unterhielten. Ich beschloss, zunächst versteckt zu bleiben, wenn der Trupp vorbeiging, um ihn genau zu beobachten. Zwar spürte ich keine Anzeichen von Nen, doch vielleicht trugen sie Waffen mit sich. Ich zückte vorsichtshalber mein Messer, falls ich unverhofft angegriffen wurde.

Langsam zeichneten sich zwielichtige Gestalten ab, die sich mir näherten. Bereits nach einem kurzen Blick erkannte ich, dass es sich um eine Bande von wilden Verbrechern handelte, die plumpe Waffen über ihren Schultern mit sich trugen. Sechs großgewachsene, starke Männer waren es, wenn ich mich nicht täuschte. Mit denen dürfte ich selbst ohne Nen fertig werden.

Ein Pfeil schoss an mir vorbei, als ich den Kopf neigte und traf genau in die Stirn einer der Räuber, welcher mit starrem Blick zu Boden fiel. Seine Kameraden stießen Kampfesschreie aus, während sie mit gezückten Schwertern und einer Keule den schmalen Waldweg stürmten. den sie passierten.

Ein erneuter Pfeil teilte die Luft und blieb in einem der starken Oberarme stecken, weshalb ein Schwert klirrend zu Boden fiel. Ich verfolgte die Richtung, aus der er kam.

Eine junge Frau im einfachen Leinenkleid, die buschigen braunen Haare hinten zusammengebunden, holte erneute Wurfgeschosse aus ihrem Köcher und spannte einen Pfeil im Bogen ein, welcher blitzschnell abgefeuert wurde, gefolgt von zwei weiteren, mit denen sie genau drei Räuber kampfesunfähig machte. Ein triumphierendes Grinsen stahl sich auf ihre Lippen, bevor sie sich umdrehte und vom Felsen sprang, auf welchem sie ihre Gegner genau im Blick hatte. Übrig blieben der Mann mit der Keule, welche dicker als seine Arme war und ein Verletzter, der seine Stichwaffe humpelnd hinter sich her schleifte.

Die junge Frau machte sich für einen Direktangriff bereit, weshalb sie Pfeil und Bogen an einen Ast hängte. Ein dünnes Messerblatt klemmte sie zwischen ihre Zähne. Ich duckte mich im Gebüsch, als ihre zierliche Gestalt an mir vorbeirauschte. In ihren Fingern hielt sie einen dünnen, für das bloße Auge kaum sichtbaren Faden, mit welchem sie ihren Angreifer erwürgte. Unfreiwillig ließ der Räuber die durch die Luft geschwenkte Keule fallen und kratzte sich stattdessen vergeblich am Hals, weshalb seine Gegnerin den Faden nur enger zog. Rote Linien bildeten sich an seinem Hals ab und die Augen quollen aus den Höhlen hervor. Seine Würgegeräusche erstickten, während er zu Boden kniete.

Das Messer, welches sie zuvor zwischen den Zähnen hielt, warf sie in das Auge ihres verbleibenden Gegners, der jaulend aufschrie und über einen seiner bewusstlosen Kameraden stolperte.

„Habt ihr immer noch vor, uns auszurauben?“, fragte sie in einem abtrünnigen Ton.

Sie nahm eines der Schwerter, welches ihr zu Füßen lag, um dem noch lebenden Räuber ein schnelles Ende zu bereiten. Als sie zurückkehrte, um ihren Köcher um die Schulter zu legen, bewegte ich mich kaum merklich.

„Keine Sorge, du bist auch gleich dran“, warnte sie mich und spannte ihren Bogen.

Vorsichtig trat ich hervor, während ich mich auf einen Angriff gefasst machte. Ihre Schusswaffe blieb hinter mir in der Baumrinde stecken. Als hätte ich mich ergeben, hob ich die Hände in die Luft.

„Ich bin unbewaffnet, keine Angst“, beschwichtigte ich.

„Ich weiß genau, dass du ein Messer in deiner Hosentasche zu stecken hast“, zischte sie, mich genau ins Visier nehmend. „Der erste Pfeil war eigentlich für dich gedacht, aber du hast Schwein gehabt, dass du dich im richtigen Moment bewegt hast.“

Dann hatte ich richtig vermutet, dass sie mich bereits gesehen hatte.

„Du schießt unglaublich schnell. Respekt!“, meinte ich lächelnd, doch sie fixierte eine Pfeilspitze direkt zwischen meine Augen. Es war nicht unmöglich, dennoch schwierig, einem Geschoss mit solch einer enormen Geschwindigkeit auszuweichen, daher ließ ich es nicht darauf ankommen und blieb stehen, wo ich war.

„Sag mir, wer du bist und wonach du suchst“, befahl sie mir.

Langsam senkte ich die Arme und wollte nach meiner Klinge greifen.

„Hände hoch und sprich“, rief die junge Frau bissig. Haarsträhnen flatterten durch den frischen Waldwind vor ihren nussbraunen Augen, die gefährlich blitzten. Ich hielt still.

„Mein Name ist Chrollo Lucilfer und ich suche nach einem Mann, von dem es heißt, er könne Flüche heilen. Er wohnt in einem naheliegenden Jägerdorf. Ich vermute, dass ich meinem Ziel sehr nahe sein muss, wenn ich auf so eine exzellente Jägerin wie dich treffe. Dürfte ich den Namen der jungen Frau erfahren?“

„Ab und zu kommen Leute wie du in unsere Gegend“, begann sie. Ihr Ton milderte sich minimal. „Gratulation, dass du noch nicht von wilden Tieren zerfleischt worden bist. Das passiert nämlich mit den meisten, die nach meinem Vater suchen.“

„Würdest du mich zu ihm bringen?“

Still musterte sie mich von oben bis unten, noch immer in Angriffshaltung. „Wie kann ich sicher sein, dass du kein Krimineller bist?“

Sie traf genau ins Schwarze, aber ausnahmsweise nahm ich aus einem anderen Grund die lange Reise auf mich. Ich hatte nicht einmal das Bedürfnis, dem Alten seine Fähigkeit zu stehlen, sobald er den Fluch auflösen würde.

„Wenn ich ein Krimineller wäre, der es mit dir aufnehmen könnte, hätte ich dich sicher schon erlegt.“

„Du scheinst einer dieser unerschrockenen Helden zu sein, die denken, sie finden, was sie suchen.“ Sie lachte kaum merklich auf, während ihr Pfeil zurück in den Köcher sank. „Wenn du zu ihm willst, musst du mir folgen. Aber glaub nicht, mich angreifen zu können. Ich behalt dich nämlich gut im Auge.“

Endlich ließ ich die Arme sinken und folgte ihr, als sie mir den Rücken zuwandte und losging.

„Unser halbes Dorf besteht übrigens aus Jägern, die wesentlich besser mit Pfeil und Bogen umgehen können als ich. Wenn du also Ambitionen hast, uns auszurauben, darfst du jetzt umkehren.“

„Nein, ich habe nur diese eine Bitte“, erklärte ich ruhig. „Und ich bin auch bereit, dafür zu zahlen.“

„Steck dein Geld wieder ein. Du musst es mir nicht zeigen“, unterbrach sie meine Geste und ich nahm die Hand wieder aus der Hosentasche.
 

Wie ich bereits gehört hatte, bestand Venari aus einfachen Holzhütten, in denen knapp unter zweihundert Einwohner hausten. Die Wege ähnelten alten Trampelpfaden, in denen sich neben Fußabdrücken aller Art Pferdehufen abbildeten. Das Dorf wurde von einem dichten Wald umgrenzt, der sowohl vor Fremden schützte als auch für genügend Nahrung sorgte.

Die Kleidung der Bewohner, die unseren Weg kreuzten, war einfach und in Naturfarben gehalten. Einige der Männer trugen lange Bärte und Tierfelle über den Schultern. Die junge Frau, die mich führte, hatte ein kurzes Gewand in Beige und Braun an, welches bis kurz über ihre Knie reichte und einem Kleid ähnelte. Ein breiter Gürtel um die Hüfte betonte ihre weiblichen Kurven.

Sie führte mich in eine der Hütten und ließ mich vorausgehen. Das Licht drang durch die offenen Fenster und ließ auf die einfach angerichtete, jedoch gemütliche Inneneinrichtung blicken. Ein Mann mittleren Alters mit braunem Bart und schütterem Haar auf dem Kopf, der sich am Tisch sitzend eine Tasse Tee gönnte, drehte sich zur Tür um. Sobald er uns erspähte, ließ er seine Tasse links liegen und begrüßte mich überfreundlich, indem er meine Hand mit seinen beiden umfassend schüttelte.

Seine Aura war unglaublich sanftmütig und beständig. Er machte sich keine Mühe, sie zu verstecken. Vermutlich vertraute der alte Mann den Fähigkeiten seiner Tochter, die nur ausgelesene Menschen in das Dorf führte.

„Junger Mann, ich muss ehrlich sagen, dass ich gar nicht weiß, ob Sie wegen mir oder wegen meiner Tochter hier sind“, scherzte er.

Mir den Nacken kratzend, lachte ich verlegen auf. „Sie ist schon eine Hübsche, aber eigentlich bin ich auf der Suche nach einem Exnenisten.“

Nichts gegen schlagfertige Frauen, aber eine, die mir ohne zu Zögern eine Pfeilspitze durch den Kopf jagen wollte, brauchte ich wirklich nicht.

„Du bist unmöglich, Paps“, schimpfte die junge Frau und schlug mit der Faust auf die Tischplatte. Die Tasse plärrte.

Der Vater schien sich an der Wut seiner Tochter nicht zu stören und bat mich, Platz zu nehmen, um bei einer Teerunde alles von mir zu erzählen und vor allem was mich herführte. Vielleicht musste ich meine Geschichte mit ein paar Notlügen abrunden, doch im Großen gab es nicht viel, was ich zu verbergen hatte.

„Sagen Sie mir doch bitte Ihren Namen“, bat mich der Alte, während er meine Tasse mit heißer Flüssigkeit füllte.

„Bitte nennen Sie mich einfach Chrollo. Ich lege nicht viel Wert auf Förmlichkeiten, aber Sie dürfen natürlich selbst entscheiden, ob Sie mich siezen möchten.“

Die junge Frau setzte sich auf die andere Seite des Tisches, neben ihr nahm der Alte Platz und genoss einen großen Schluck Tee. „Wenn es so ist, bin ich für Sie nur Chasio. Angelius mit vollem Namen und das hier“, er zeigte auf die junge Frau, die mit verschränkten Armen den Kopf zur Seite drehte, „ist meine Tochter Robin.“

„Freut mich, Sie beide kennen zu lernen“, entgegnete ich lächelnd.

„Viele glauben es nicht, aber Venari ist eine durchaus gastfreundliche Provinz. Nur leider sind die wenigen Leute, die uns besuchen, Schwindler oder Verbrecher, die uns berauben oder meine Kräfte ausnutzen wollen. Deshalb gibt es Jäger und Jägerinnen wie Robin, die unser Dorf von jenen fernhalten.“

Ich blickte interessiert über den Tassenrand.

„Ach, ich fang schon wieder an, über Dinge zu reden, die vermutlich niemanden interessieren. Sie scheinen noch recht jung zu sein. Bitte erzählen Sie doch, wie jemand wie Sie es geschafft hat, unser Dorf zu finden.“

„Es klingt wohl etwas paradox“, begann ich, „aber ich bin ein Skill Hunter, der dummerweise seiner Kräfte beraubt wurde.“

Sowohl Vater als auch Tochter schenkten mir ihre volle Aufmerksamkeit. Den Kopf gesenkt, legte ich die rechte Hand auf die Brust.

„Eine Kette aus Nen, die um mein Herz gelegt wurde, verbietet es mir, mein eigenes Nen einzusetzen oder in Kontakt mit meinen Freunden zu treten, sonst würde sie mich unverzüglich töten.“

Robin zuckte mit den Schultern. „Dumm gelaufen, würd ich sagen.“

„Da scheinst du völlig recht zu haben“, bestätigte ich traurig lächelnd.

„Dieses Nen war was nochmal?“, fragte sie ihren Vater. „Die Aura in Energie umzuwandeln?“

„Grob gesehen ja“, sagte ihr Vater und wandte sich wieder an mich. „Chrollo?“

„Ja?“

„Ich nehme an, Sie glauben, ich kann Ihnen helfen, oder?“

Ich nickte schwach.

„Sie sind mir in dieser kurzen Zeit wirklich sympathisch geworden, deswegen will ich gleich die Wahrheit erzählen.“ Oh, es gab einen Haken? „Außerhalb des Ortes wird fälschlicherweise verbreitet, ich könne Verletzungen oder gar Flüche heilen. Aber ich bin kein Exnenist. Meine Fähigkeit ist es, Menschen wiederzubeleben und dies ist nur möglich, wenn der- oder diejenige höchstens eine halbe Stunde im Todeszustand verweilt. Wer also deswegen den langen Weg auf sich nimmt, kommt längst zu spät.“

Ich seufzte auf. „Wie ärgerlich. Da nimmt man den weiten Weg auf sich und dann völlig umsonst.“

Nicht dass ich die Judgement Chain um mein Herz nicht lösen konnte, obendrein kribbelte es in meinen Fingern, dem Alten seine Fähigkeit zu stehlen. Vielleicht würde sie Ubo nicht mehr zurückbringen, dennoch konnte sie nützlich sein, würde ein anderes Mitglied dem Tod so knapp entgehen können. Ob noch alle beisammen waren wie zuvor oder wirklich die Hälfte von ihnen ausgelöscht wurde? Laut Prophezeiung musste es längst der Fall sein, doch ich sträubte mich, dies zu glauben.

„Eine Frage interessiert mich jedoch.“ Der Drang in mir war einfach zu groß. „Wenn Sie jemanden wiederbeleben, wie lange braucht derjenige, um wieder aufzuwachen?“

„Je nach Todesursache kann es bis zu zwei Tage dauern.“

Schade. Ich ließ den Kopf hängen.

Den Beutel mit Geld, den ich als Bezahlung für seine Mühen vorgesehen hatte, legte ich stumm auf den Tisch, als ich aufstand und zur Tür ging. Derzeit hielt mich hier nichts und auch das gestohlene Geld brauchte ich nicht mehr.

„Du willst schon wieder weg?“, fragte Chasio Angelius. Stuhlbeine ratschten über den Boden.

Heiter lächelnd drehte ich mich zu den beiden um. „Vielleicht komme ich bald wieder.“ Innerlich freute ich mich bereits wie ein kleines Kind auf ein erneutes Treffen, doch eigentlich versuchte ich nur meine Enttäuschung zu überspielen.

Mein Magen knurrte.



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