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REM-SLEEP Disorder

So lange bis er aufhört zu existieren
von

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Turn the blind Eye

Die Sonne traf unangenehm grell auf seine Netzhaut, als er durch die Schiebetür des Eingangs trat. Eren hob seinen Arm, um sich von den hellen Strahlen etwas abzuschirmen. Es war nicht sonderlich warm draußen, doch erst jetzt bemerkte er, wie kalt es tatsächlich in den Tiefen der Isolation Facility gewesen war. Noch immer fühlte sich Eren schwach auf seinen wackeligen Beinen, die ihn nur langsam nach vorne trugen. Egal wie sehr er versuchte sich davon abzulenken, er bekam diesen einen Gedanken nicht aus seinem Kopf, der ihm regelrecht den Magen herum drehte.
 

Als sich seine Augen ausreichend an die Helligkeitsunterschiede gewöhnt hatten, fiel sein Blick auf Marco, der an der Motorhaube ihres Einsatzwagens lehnte und einen unbestimmten Punkt in der Luft fixierte.
 

Was glaubst du, wie viele Türen stehen einem damit offen?
 

Eren beschleunigte mit einmal seine Schritte und überwand die wenigen Meter, die zwischen ihnen lagen. Eine ungeahnte Wut ballte sich in seinem Magen zusammen, als er mit der Hand ausholte.

„Was sollte das?“, stieß er fassungslos aus, nachdem er dem Älteren die Zigarette aus der Hand geschlagen hatte. Noch nie hatte er Marco rauchen gesehen und es machte ihn unbeschreiblich wütend, dass dieser Mann zu solch einem Laster überhaupt fähig war. Der Senior Inspector reagierte nicht sofort, sondern zuckte nur zusammen, als der Schlag ihn plötzlich aus den Gedanken riss. Marco regte sich nicht, senkte nur seinen Blick und lächelte in sich hinein.

„Ich weiß nicht, was du meinst“, antwortete der Senior Inspector auf seine Frage. Eren musste den Drang unterdrücken nicht vor Zorn gegen den Kotflügel des Wagens zu treten, um seinem Ärger Luft zu machen.

„Du bist vorhin einfach rausgegangen, Marco!“, grollte Eren und zog die marineblaue Jacke aus, in der es ihm zu warm wurde. „Ich habe gesehen, dass du Tränen in den Augen hattest!“ Forschend blickte Eren sein Gegenüber an. Es mussten nicht nur ein paar Tränen gewesen sein. Marcos Augen sahen seltsam verquollen aus und warten rot unterlegt.

„Marco!“, versuchte er weiterhin auf seinen Vorgesetzten einzureden, der ihn keines Blickes würdigte, „Wenn dir irgendetwas über den Kopf wächst, dann lass dir doch helfen…“

„Mir geht es ausgezeichnet, Eren“, erwiderte Marco mit einem Lächeln, das jedoch aufgesetzter nicht hätte sein können.

„Levi sagte mir, dass-“
 

Ihr Gespräch wurde an diesem Punkt unterbrochen, als ein schwarzer Polizeitransporter auf sie zu kam und direkt neben ihrem Wagen stehen blieb. Der Transporter war wesentlich kleiner als diejenigen, die Eren für gewöhnlich kannte. Vermutlich waren sie dazu ausgelegt nur ein oder zwei Personen zu transportieren. Der Junior Inspector musste nicht lange darüber nachdenken, wer sich wohl im Innern befinden mochte.

„Wir sollten los. Die anderen warten auch schon“, sagte Marco und beendete somit die Diskussion, die noch nicht einmal zu einem wirklichen Anfang gekommen war. Schweigend ging Marco an Eren vorbei und glitt auf den Fahrersitz.

 
 

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Als die Fahrstuhltüren sich öffneten und der Blick auf das große, offene Appartement frei wurde, verstand Eren was Levi zuvor gemeint hatte. Erst jetzt wurde ihm bewusst, dass sie tatsächlich in Freiheit leben konnten.

Die Unterkunft der Enforcer befand sich zehn Stockwerke unterhalb der Erdoberfläche. Hier unten gab es keine Fenster. Die Wände waren größtenteils karg, nur bei dem Fernseher gab es ein paar nichtssagende Poster, die den Raum schmückten. Es waren Plakate von Filmtiteln, die Eren nichts sagten und wahrscheinlich aus einer Zeit stammten, wo Sibyls Zensur über die Fernsehprogramme und die Filmindustrie noch nicht eingegriffen hatte.

Einige wenige Pflanzen, die wahllos im Raum verteilt standen, schöpften den Eindruck, dass der Sauerstoff nicht nur über die Lüftungsanlage kam. Erdige und graue Farben tauchten die Möbel in ein tristes Antlitz, während der staubige Geruch nach Beton und Stein, der in der Luft vorherrschte, sich bleiern auf Erens Lunge legte.
 

Für ihn war es jedoch das Schlimmste, das nicht einmal ein paar holografische Fenster den Eindruck schöpften, keinen Blick auf die Außenwelt zu haben. Die Menschen, die hier in Freiheit zu leben schienen, waren durch Sibyl nur in einen weiteren Käfig gesperrt worden, der ein wenig besser als die Isolation Facility zu sein schien. Eren wusste, dass sie sich im Headquarter genauso frei bewegen konnten wie die Inspectoren oder die Angestellten im öffentlichen Dienst – Allerdings war es den Enforcern nur vergönnt frische Luft auf ihren Gesichtern zu spüren, wenn sie für einen Einsatz in den Transporter gekarrt wurden.
 

Mit einem herrischen Stoß in den Rücken befahl Marco tonlos dem Schwarzhaarigen den Fahrstuhl zu verlassen.

„Wie ich mein zu Hause vermisst habe“, seufzte Levi theatralisch, als dieser voran ging und in der Mitte des Raumes stehen blieb. Der Ausdruck in seinem Gesicht sah förmlich zufrieden aus, als er die Augen schloss und mit ausgestreckten Armen einen tiefen Atemzug nahm.

„Wir haben keine Zeit“, drängte Marco, welcher die Arme fest vor der Brust verschränkt hielt. Levi würdigte ihn nur eines unbestimmten Blickes, eh er den Anzug griff, den man auf dem abgewetzten Ledersofa für ihn bereit gelegt hatte. Wenig später hörten sie aus einem der Nebenräume Wasser rauschen. Erst jetzt trat Eren unsicher neben seinen Vorgesetzten, der sich auf einen Barhocker an der erhöhten Küchentheke niedergelassen hatte.
 

„Leben hier auch die anderen?“, fragte Eren verhalten, eh sein Blick auf den gefüllten Aschenbecher fiel. Erst jetzt bemerkte er den vertrauten Duft einer bestimmten Zigarettenmarke der in der Luft hing. Marco folgte seinem Blick und nickte daraufhin nur. Den Rest der Zeit brachten sie schweigend hinter sich. Es dauerte jedoch nur wenige Minuten bis das Wasser in der Dusche aufhörte zu rauschen und Levi zu ihnen trat. Mit den Händen wischte er sich die noch feuchten Haare zu einem ordentlichen Scheitel zu Recht, eh er sich den Kragen seines Hemdes richtete, dessen oberste Knöpfe er offen gelassen hatte. Die Krawatte baumelte dabei locker an seinem Hals herab.
 

Eren musste schlucken als er den Enforcer anblickte. Unweigerlich glitt seine Hand zu seinem eigenen Krawattenknoten, an welchem er nervös nestelte. Die weiße Kleidung der Facility und die enge Zwangsjacke hatten die Statur des Mannes regelrecht verschluckt. Gefangen in den schweren Eisenketten, hatte Levi fast schon einen ungefährlichen, wenn auch wahnsinnigen, Eindruck gemacht – Doch jetzt hatte Eren das Gefühl dem Anwalt des Teufels persönlich gegenüber zu stehen.

Levi grinste dünn, als er mit den Händen die Außentaschen seines Jacketts abklopfte. „Nicht einmal Zigaretten?“

„Später“, antwortete Marco lediglich, eh er sich erhob und den beiden zu bedeuten gab ihm zu folgen.

„Ich dachte, so als kleines Begrüßungsgeschenk“, hakte Levi weiterhin nach, doch der Senior Inspector ignorierte seine Worte.
 

Etwa eine viertel Stunde darauf fanden sie sich in dem Gang vor ihrem Büro wieder. Eren konnte nicht sagen wie lange die Fahrt mit dem Fahrstuhl über die knapp vierzig Stockwerke hinweg gedauert hatte. Vor der offenstehenden Glastür des Büros blieben sie noch einmal stehen. Marco streckte seine Hand aus und würdigte Levi eines dunklen Blickes.

„Willkommen zurück“, sagte der Senior Inspector etwas gepresst, versuchte jedoch so gut es ging darüber hinweg zu spielen. Levi ging nicht darauf ein, sondern betrat ohne ein Wort zu sagen das Büro.

„Du weißt, wo dein Schreibtisch ist“, fügte Marco noch hinzu, durchquerte daraufhin den Raum und ließ sich auf seinem eigenen Platz nieder. Eren folgte ihm mit unschlüssigen Schritten, während er jedoch die Szenerie beobachtete. Eiskaltes Schweigen herrschte mit einmal und selbst das stetige Rauschen der Lüftungsanlage schien nach Levis Eintreten kaum noch hörbar zu sein.
 

Der Enforcer hatte am Ende der Schreibtischreihe einen Platz eingenommen, den bisher niemand wirklich beachtet hatte. Es war eines der wenigen Arbeitsplätze, die mit einer dünnen Staubschicht überzogen war und auch sonst schien sich seit langer Zeit niemand um diesen Platz gekümmert zu haben.

Eren konnte sehen wie Levi säuerlich das Gesicht verzog und mit der Hand über die Sitzfläche des Drehstuhls wischte, bevor er darauf platznahm. Niemand der Anderen zollte Levi eines Blickes. Eren bemerkte lediglich wie angespannt die restlichen Enforcer mit einmal wirkten und verkrampft auf ihren Tastaturen tippten.
 

„Wisst ihr, was ich mich frage…“ Levi wandte sich von dem Schreibtisch ab und verschränkte die Arme vor dem Oberkörper. Nachdenklich lehnte er sich gegen die Rückenlehne seines Drehstuhls und schien darauf zu warten bis er die Aufmerksamkeit aller Anwesenden für sich gewann.

Nur das stätige Klappern von Marcos Tastatur war das Einzige, was die angespannte Stille durchbrach. Eren, der sich selbst etwas von seinem Schreibtisch abgewandt hatte, warf einen knappen Blick zu dem Senior Inspector, dessen Augen fest auf dem grellen Bildschirm lagen. Er konnte nicht genau sehen, woran sein Vorgesetzter arbeitete, aber etwas an dessen Körperhaltung verriet, dass seine Ohren auf den Enforcer gerichtet waren.
 

Aus dem Augenwinkel nahm Eren das seichte Schmunzeln Levis war, der sich zeitgleich von Marco abwandte und begann mit den Fingern seinen Arbeitsplatz von der seichten Staubschicht zu befreien.

„Wir suchen einen Mörder, der sich fragt warum sich ein bestimmter Hue nicht verdunkelt“, fuhr Levi fort und zog langsam seine Fingerkuppe durch die einzelnen Rippen seiner Tastatur, „Worauf spielt dieser wohl an?“

Jean schnaubte entrüstet. Bevor er die Schachtel mit den Zigaretten in die Hand nahm, tauschte er einen skeptischen Blick mit Petra aus. Die Enforcerin verzog das Gesicht, was wohl an dem beißenden Geruch des Zigarettenrauches lag, den Jean in die Luft blies.

„Ja, worauf wohl“, fragte er daraufhin gespielt unwissend, „Auf jemanden, dessen Hue sich nur schwer oder gar nicht verdunkeln kann.“
 

„Ganz genau“, antwortete Levi beinah lobend, während er den Staub an seinen Fingerspitzen mit dem Daumen verrieb. Leise sog er die Luft zwischen seinen Zähnen ein, als hätte er an seiner Hand mit einmal die Antwort gefunden. Ruckartig blickte Levi auf und wandte sich an Mike, welcher sich sofort in seinem Stuhl aufrichtete als der Blick ihn traf. „Schreib es mal auf das Whiteboard.“

Der Hüne reagierte direkt. Mit wenigen Schritten bahnte er sich seinen Weg zwischen den beiden Schreibtischreihen hindurch zum anderen Ende des Raumes. Aus der Schiene unterhalb des Whiteboards nahm er den schwarzen Stift heraus und begann die gesammelten Informationen auf die Tafel zu übertragen.

Eren musste seine Augen ein wenig zusammen kneifen, um von seinem Platz aus die Schrift entziffern zu können. Er bemerkte nicht einmal, wie er dabei mit seinem Drehstuhl ein Stück nach vorne rückte, um die schmierige und unbeholfene Handschrift erkennen zu können.
 

„Sehr gut“, ließ Levi beiläufig fallen, als er ein Taschentuch aus der Packung zog und begann den Bildschirm vor sich damit zu reinigen. Mike sagte wie immer kein Wort, nur ein zufriedenes, flaches Lächeln breitete sich auf seinen Lippen aus.

„Das macht keinen Sinn“, sagte Petra, die ihrerseits von wenig zur Seite gerückt war um das Whiteboard besser betrachten zu können.

„Wieso?“, wollte Levi wissen, unterbrach dafür extra seine Arbeit und würdigte sie mit gehobener Augenbraue eines Seitenblickes.

„Weil damit unzählige Personen in Frage kämen“, antwortete Jean an ihrer Stelle, „Nur weil ein bestimmter Hue gesucht wird, heißt es nicht, dass der Kreis der Verdächtigen kleiner wird… Wir haben noch nicht einmal jemanden bestimmten im Visier.“ Der blondhaarige Enforcer warf frustriert die Hände in die Luft, eh er sich zurück in seinen Drehstuhl fallen ließ und einen kräftigen Zug an seiner Zigarette nahm. „Dort draußen gibt es tausende… nein, unzählige Menschen, die ihren Hue einigermaßen unter Kontrolle haben. Die Stressbewältigung heutzutage ist wesentlich leichter und effizienter geworden, weshalb die wenigsten sich noch ernsthaft verdunkeln!“

„Das klingt plausibel…“

Eren fuhr zusammen, als Levi seinen Gedanken gelassen aussprach. Doch der Blick des Enforcers sprach von etwas ganz anderem.
 

„Aber das ist leider nicht genug, Jean“, fügte Levi noch hinzu, warf dabei in einer fließenden Bewegung das benutzte Taschentuch in den Mülleimer, der neben Jeans Stuhl stand. Während der Angesprochene einen genervten Laut von sich gab, spürte Eren wie er sich ungewollt anspannte.

Etwas in ihm sagte, dass er wusste worauf Levi hinaus wollte; aber das konnte nicht sein. Eren lächelte nervös, wagte es einen kurzen Blick zu Marco zu werfen, der jedoch weiterhin teilnahmslos auf sein Dokument starrte und die Finger über die Tastatur gleiten ließ.

„Wir reden hier nicht von irgendeinem Hue. Wir reden von jemandem, der scheinbar etwas machen kann wozu normale Menschen nicht im Stande sind und trotzdem sich nicht verdunkelt. Klingelt da nicht irgendetwas?“, warf Levi fragend in die Runde. Keine Sekunde später lagen alle Augen auf Marco, dessen harsche Anschläge langsam versiegten. Der Senior Inspector, der wohl ohne aufblicken gemerkt haben musste, dass jeder ihn ansah, lachte mit einmal auf. Es war ein Laut der verächtlicher nicht hätte klingen können.
 

„Du willst doch wohl nicht sagen, dass ich etwas mit dieser Sache zu tun habe“, stieß Marco mit düsterem Amüsement aus.  

„Der Mörder hinterlässt auf der Brust seines Opfers das Wort Mako. Was könnte das wohl bedeuten?“

„Es könnte ein Anagramm für etwas sein“, antwortete Jean sichtlich erbost auf Levis Frage.

„Oder jemand hat Marco einfach falsch geschrieben“, antwortete dieser und machte eine unbestimmte Handbewegung. Eren zog nachdenklich die Brauen zusammen. Wenn er ehrlich zu sich war, dann war sogar dies das erste was ihm durch den Kopf gegangen war, als Erwin ihn daraufhin gewiesen hatte.

„Vielleicht wurde es auch absichtlich falsch geschrieben“, sprach er schließlich die Vermutung aus, die er die ganze Zeit schon in sich trug, aber nicht getraut hatte auszusprechen.

„Warum sollte jemand einen Hinweis auf Marco geben? Ich glaube nicht, dass es jemand auf einen Inspector abgesehen hat“, warf Petra verärgert in die Runde.

„Eren hat es genau richtig erkannt“, unterbrach Levi sie und beugte sich vor, sodass er die Unterarme auf seinen Oberschenkeln abstützen konnte. „Warum verdunkelt er sich nicht ist eine Frage zu einem bestimmten Hue. Egal wie gut die Stressbewältigung und Gesundheitsmaßnahmen sein mögen, ab einem bestimmten Grad versagt die psychische Barriere eines gesunden Menschen. Nur bei einer bestimmten Personengruppe nicht. Wir sprechen hier von asymptomatischen Leuten. Wenn ich mich recht erinnere wurden bisher nur drei Fälle datiert in denen der Hue und der Crime Coefficient nicht gestiegen ist. Einer davon war ein alter Mann, der verstarb kurz nachdem das Sibyl System gestartet wurde. Ein weiterer war eine Kindergärtnerin, die ihre Anomalie ausnutzte um ihren Ärger über die Gesellschaft an ihren Schützlingen ausließ und nun als Sonderfall in der Facility sitzt. Und der letzte Fall… Nun… Dieser Mann ist heute Senior Inspector.“
 

Levis Erklärung führte dazu, dass lange Zeit niemand etwas zu sagen vermochte.

„Der Mörder möchte also Marco herausfordern?“ Eren war der Erste, der mit seiner Frage sich traute die Stille zu durchschlagen. Forschend las er noch einmal die Informationen, die Mike während Levis Erklärung wie ein Gerichtsschreiber auf dem Whiteboard notiert hatte.

„In der Tat! Und ich glaube, dieser jemand befindet sich auch hier in der Nähe“, antwortete Levi, der sich in seinem Stuhl wieder zum Schreibtisch drehte und eine Weile lang etwas zu suchen schien. Erst als er die unterste Schublade des Rollcontainers aufzog, wurde er fündig. Ein Ausdruck vollster Zufriedenheit legte sich auf das Gesicht des Mannes, als er sich eine Zigarette anzündete und in seinem Drehstuhl wieder zurücklehnte. Genüsslich stieß er den fahlen Dunst in die Luft. Man konnte ihm ansehen, dass es die erste Zigarette nach Jahren sein musste und er den bitteren Geschmack sichtlich vermisst hatte.
 

„Wie kommst du darauf?“, fragte Jean, der angespannt mit seinem Zeigefinger gegen die Armlehne des Drehstuhls klopfte und dem unbestimmten Takt seiner Nervosität folgte.

„Denkt doch mal nach…“, fuhr Levi fort, der mit verklärtem Blick den Rauch verfolgte, „Beginnen wir bei dir, Jean. Du bist sein bester Freund. Seit ihr euch kennt bist du dazu verdammt seinen Rücken frei zu halten. Als ihr hier angefangen habt, wurdet ihr direkt als Senior und Junior für diese Devision eingeteilt. Marcos Abschlussnote mochte zwar besser sein als deine, aber du warst eifersüchtig. Dein Freund, der schon immer mental instabil gewesen war, bekam einen wesentlich höheren Rang als du. Hat er sich einmal dafür bedankt, was du alles für ihn getan hast? Wegen ihm hast du deinen Posten verloren. Wegen ihm ist dein Crime Coefficient über die Norm gestiegen und wegen ihm gehörst du zum sozialen Abschaum, der sich Enforcer nennt. Aus Neid und Rache richtest du nun alles hinter seinem Rücken ein, in der Hoffnung, der Fall macht ihn wahnsinnig genug, dass er von seinem Posten abtritt.“

„Schwachsinn!“, entgegnete der Enforcer wie aus der Pistole geschossen, „Ich würde Marco so etwas nie antun!“
 

„Und Mike?“, fragte Eren interessiert.

„Ohh, Mike…“, Levi lachte leise in sich hinein, eh er das kleine, boshafte Schmunzeln mit einem weiteren Zug an seiner Zigarette verbarg. „Ein Mensch, der als kleiner Junge von seinen Eltern auf die Straße geworfen wurde und zwischen einem Rudel streunender Hunde großgeworden ist. Aus Hunger und Instinkt verschleppte er junge Erwachsene, die sich in den dunklen Gassen verliefen… Aufgegriffen von der damaligen Devision 1, machte er durch seine Einzigartigkeit auf Erwin aufmerksam, der daraufhin zu seinem Herrchen wurde. Was macht also ein treuer Hund und Gefährte, wenn man ihm seines Herrn beraubt, weil zwei Jungspunde die Devision von Erwin übernahmen? Auch so jemand wie er verspürt das Gefühl der Rache und würde alles dafür tun, um zu seinem rechtmäßigen Besitzer zurück zu kommen.“
 

Erens Augen weiteten sich, als sein Blick zu dem Hünen hinüber glitt. Der sonst so stille und wachsame Ausdruck in Mikes Augen hatte sich in etwas Trauriges verwandelt, das man nicht übersehen konnte. Betrübt schaute der Enforcer zu Boden und scharrte mit der Spitze seines Schuhs vor sich herum. Erst als er seine Lippen wieder schloss, bemerkte Eren wie ihm der Mund aufgeklappt war.

Mit einmal ergab das Verhalten des Enforcers einen Sinn. Die ganze Zeit hatte sich Eren gefragt, warum Mike stets eine Belohnung bekam, wenn er etwas gut machte. Es erklärte, warum Marco ihm den Kopf gestreichelt hatte und warum Mike generell eher auf Kommandos anstatt auf normale Worte reagierte. Genauso wie er sonst eher teilnahmslos seine Zeit im Büro fristete.
 

„So jemand wie er hat nicht genügend Grips, um so etwas zu inszenieren.“ Petras helle Stimme, die mit einem wirren, gekünstelten Lachen durchzogen war, riss Eren aus seinen Gedanken.

„Du unterschätzt ihn also immer noch?“ Levi rollte mit den Augen, drückte dann die Zigarette in dem überquellenden Aschenbecher aus. „Mike ist weitaus klüger, als er auf dem ersten Blick zu sein scheint. Aber kommen wir zu dir, Petra. Eine junge Frau, die jahrelang ihren unbegründeten Hass gegen Männer auslebt. Oder soll ich eher sagen, ihren Hass gegen das Sibyl System? Für dich wäre es ein Triumph, wenn du beweisen könntest, dass das System nicht so vollkommen sei wie die Gesellschaft behauptet, oder? Auch für dich wäre es ein gefundenes Fressen, wenn du Marco in den Wahnsinn treiben könntest, nicht wahr?“
 

„Und was ist mit Eren?“, versuchte sich Petra zu verteidigen, die während Levis Worten in ihrem Stuhl immer kleiner geworden war. Dieses Mal war es Eren der verwirrt in die Runde blickte.

„Unser kleiner Junior Inspector…“, Levi lächelte dieses Mal nicht, sondern klatschte kurz in seine Hände, „noch ahnt er nichts davon, was in dieser Devision alles vorgefallen ist und wird auf dem blutigen Spielbrett wie eine Schachfigur hin und her geschoben… Aber sicher. Er musste ansehen wie seine Eltern sterben. Mit bewundernswerten Noten schloss er an der Akademie ab, trat in der höchsten Devision ein. Nachdem er herausfand, was für ein gebeutelter Mensch sein neuer Vorgesetzter doch ist, glaubte er eine perfekte Möglichkeit gefunden zu haben seinen Ärger endlich abzulassen.“

Eren erstarrte unter den Worten. Es war unmöglich, dass Levi in so kurzer Zeit so vieles über ihn herausgefunden hatte.

„Du hast Marco vergessen…“, stotterte der Junior Inspector, ohne über seine Worte nachzudenken.
 

„Achja… Marco. Unser großer Maestro. Abgänger von der Akademie mit der höchsten Benotung, die es jemals gegeben hatte.“

Der Fingerbewegungen auf der Tastatur stoppten erneut abrupt, als der Angesprochene den Blick von seinem Bildschirm abwandte. Marcos Gesichtsausdruck wirkte wie versteinert, als er Levi taxierte, der seinen Blick mit einem fahrigen Lächeln erwiderte.

„Jung, naiv und vollkommen ängstlich. Seine Eltern gaben ihn in ein Heim, aus lauter Angst vor seiner Asymptomanie. Es kann kein gutes Zeichen sein, einen Sohn zu haben, dessen Hue sich einfach nicht verdunkelt oder einen Crime Coefficient, den er willentlich beeinflussen kann. Verstoßen, unsicher und von Sibyl selbst mit Argwohn betrachtet. Anfang zwanzig und schon Senior Inspector. Eine Aufgabe, die er sich allein nicht stellen möchte. Ein Unfall, der sein Leben verändert. Enforcer, die ihn überfordern. Ein Rivale, der ihn an seine Unfähigkeit erinnert. Jemand wie er weiß, wie man einen Mord begeht, ohne dass einer etwas davon bemerkt. Jahrelang schreit er nach Hilfe, doch niemand möchte ihn hören… Warum sollte er nicht seiner Verzweiflung den nötigen Ausdruck verleihen?“

„Du hast jemanden vergessen, Levi.“ Marcos Stimme klang völlig ruhig, dennoch angespannt. Eren sah seinen Vorgesetzten forschend an, doch dieser wirkte mit einmal wie eine steinerne Wand, hinter die man nicht blicken konnte. Der angesprochene Enforcer sah sich gespielt verwirrt im Raum um und zählte die Anwesenden an seinen Fingern ab.

„Wen?“

„Dich selbst“, sagte Marco, konnte Levi jedoch nur ein heiseres Lachen entlocken. Die Stimme des schwarzhaarigen Enforcers versiegte, nachdem er merkte, dass niemand mit ihm lachte. Schweigend erhob er sich aus seinem Stuhl und durchquerte den Raum. Direkt vor Marcos Schreibtisch blieb er stehen und vergrub seine Hände in den Hosentaschen, während er zu dem Senior Inspector mit leicht erhobenem Kinn hinabschaute.
 

„Die letzten zwei Jahre habe ich dank dir im Hochsicherheitstrakt eingesessen. Tagtäglich an Ketten gefesselt. Überwacht von unzähligen Kameras und mit gerade so viel Essen, dass ich nicht verhungerte. Wie soll ich so in der Lage gewesen sein einen Mord zu begehen?“



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