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Lost Future - Dark Paradise?

Same as it never was...
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Michael 17, Raph 29, Chen 33 Komplett anzeigen

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A Christmas story...

Zwei Monate später – Dezember…
 

Eis und Schnee haben das verwüstete Land fest im Griff und zwingen die Überlebenden des Krieges ihre Zeit tief unter der Erde in dem schützenden Bunker oder hinter den dicken Mauern des Krankenhauses zu verbringen. Dennoch ist die Stimmung unter den Leuten keineswegs getrübt. Eine Art ausgelassene Vorfreude liegt in der Luft und stimmt die Menschen langsam auf die bevorstehende Weihnacht ein. Trotz der Tatsache, dass lange Zeit Krieg geherrscht und viele alles verloren haben, gab es immer Leute, die sich die Mühe gemacht haben, die verstreichende Zeit festzuhalten und so einen Überblick über alle Geschehnisse für die Nachwelt zu haben. Also ging auch nie verloren, welche wichtigen Feiertage wann stattfanden. So hatten die Überlebenden immer noch etwas, woran sie sich festhalten konnten und was ihnen kurzzeitig ein Stück Normalität vermittelt hat. Doch nicht jeder sieht dem freudig entgegen. Raphael würde am liebsten jeden Tag aus dieser Welt verbannen, der seit dem Tod seiner Familie verstrichen ist. Er hat sich nie die Mühe gemacht, herauszufinden, welches Datum herrscht und wenn es ihm jemand gesagt hat, hat er es schnell wieder verdrängt.
 

Es hat ihn nur daran erinnert, wie lange er seine Familie schon so schmerzlich vermisst und dass es keinen Tag gibt, der es besser machen wird. Feiertage, ganz besonders Weihnachten, machen dieses Gefühl der Einsamkeit nur noch schlimmer und daher hat er es sich schnell zur Aufgabe gemacht, solche Tage regelrecht zu hassen und zu ignorieren. Die Menschen um ihn herum sind natürlich nicht der Meinung, sich solche Tage vermiesen zu lassen nur, weil ihr Führer etwas dagegen hat. Das Ganze sorgt zumeist für erhebliche Spannungen zwischen den Leuten und Raph. Jahr für Jahr die gleichen Diskussionen und keine der beiden Seiten will nachgeben. Als vor wenigen Tagen der erste Schnee dieses Jahres eingesetzt hat, fiel Raphaels Stimmung mindestens genauso schnell wie die nächtlichen Temperaturen und das wird sich wohl auch erst ändern, wenn sich der Winter wieder verabschiedet. Vielleicht kennt er nicht das heutige Datum, doch er weiß, dass es nur noch wenige Tage bis Weihnachten sein können. Zu vieles deutet daraufhin. Die ausgelassene Stimmung der Menschen, zaghafte Dekoration an einigen Stellen, das Anstimmen wohlbekannter Melodien, der Duft von Plätzchen…
 

Das alles macht den Saikämpfer vollkommen wahnsinnig. Mit finsterer Miene stapft er den Flur entlang und versucht all das systematisch zu ignorieren. Ein Knurren nach dem anderen entkommt seiner Kehle, doch das macht es nicht viel besser, aber zumindest hält es die Weihnachtsbegeisterten auf Abstand. Die Meisten wissen ganz genau, was Raph davon hält und bleiben ihm so gut es geht fern, doch eben nicht alle. Michael ist bis jetzt noch nicht wirklich aufgefallen, dass Raph scheinbar ein Problem mit Weihnachten hat, da der Rote ja sehr oft aus den merkwürdigsten Gründen schlechte Laune schiebt. Doch der Blonde freut sich riesig auf die Festtage und versucht jedermann mit seiner guten Laune anzustecken. Und vielleicht besteht ja doch so etwas wie Hoffnung, dass er seinem Meister ein Lächeln untern Weihnachtsbaum entlocken kann? Nach dem Training macht sich der Nunchakuträger auch sogleich daran, seine Gedanken umzusetzen. Er hilft den Frauen und Kindern beim Dekorieren des Krankenhauses, während die Männer in den Trümmern New Yorks auf der Suche nach einem Baum sind.
 

Nichts ahnend von alledem fragt sich Raphael allerdings, wo sich der Bengel rumtreibt. Auf dem Flur begegnet er Chen. Der Japaner war bis eben noch ganz ausgelassen in Gedanken an Weihnachten, doch als er seinen Führer und dessen Laune erblickt, verschwindet seine Vorfreude ganz schnell in einer dunklen Kammer seines Kopfes. Dennoch mustert der Saikämpfer ihn ernst, wohlwissend das Chens Gedanken gerade bei diesem verhassten Festtag waren. „Wo steckt Michael?“, fragt er geradewegs heraus. Chen ahnt schon, dass es wohlmöglich ein Unglück geben wird, wenn er es ihm sagt, doch was bleibt ihm schon anderes übrig? Lügen würde nicht sonderlich gut klappen, Raph durchschaut vieles ziemlich schnell und Chen ist ein ganz furchtbarer Lügner. „Oh, ich glaube, er ist drüben und hilft den Frauen bei etwas…“, erwidert er daher kurz angebunden. Argwöhnisch mustert Raphael ihn ein weiteres Mal mit seinem einsamen, steckend gelbgrünen Auge. „Das hab ich mir schon fast gedacht und wahrscheinlich weiß du auch, was er dort treibt, nicht wahr?“ „Ja, schon, aber die Antwort würde Euch nicht gefallen…“
 

„Das hab ich mir auch schon gedacht. Aber das ist ja nicht dein Problem, denn mir gefällt rein gar nichts daran…“ Mit diesen Worten schiebt sich der Rote an ihm vorbei und setzt missmutig seinen Weg fort. Chen blickt ihm noch eine Weile hinterher und hofft, dass er nicht wieder so ein Theater abzieht wie letztes Jahr, wo er allen versucht hat das Weihnachtsfest zu verbieten, als sei er Ebenezer Scrooge höchstpersönlich. Wegen seiner Launen haben sich die Leute immerhin schon dazu entschlossen, all die Festlichkeiten nur auf North Brother Island abzuhalten, damit Raph sie nicht sehen muss. Aber der eigenwillige Hitzkopf lässt sich ja nicht lumpen, dort rüber zu gehen und auch da Stunk zu machen. Und die Tatsache, dass Michael sich in dem bunten Treiben aufhält, wird dies garantiert noch begünstigen. Aber selbst Scrooge hat am Ende eingesehen, dass Weihnachten etwas Schönes ist. Vielleicht bekommt Raphael ja auch Besuch von einem Geist, der ihn auf den rechten Weg zurückbringt, ein Geist in Form eines fröhlichen, blonden Jungen? Zu wünschen wäre es ihm und allen anderen hier auf jeden Fall.
 

Ein mitleidiges Lächeln huscht über Chens Gesicht, dann macht er sich wieder auf den Weg zum Trainingsraum, um Vorbereitungen für den morgigen Tag zu treffen. Raphael hingegen durchquert den unterirdischen Tunnel, der die beiden Inseln miteinander verbindet. Seine Laune scheint mit jedem Schritt schlechter zu werden. Nur zu gut kann er sich vorstellen, dass Michael Freude an dem Gedanken hat, Weihnachten zu feiern. Vor gefühlten Jahrhunderten war es auch einst Mikey´s liebster Tag im Jahr. Er hat alles gemacht, was man sich nur vorstellen kann. Tonnenweise Plätzchen gebacken, das ganze Haus geschmückt, ein Weihnachtslied nach dem anderen ertönen lassen. Der Tannenbaum war so mit Schmuck überladen, dass er jedes Showgirl in Las Vegas ausgestochen hätte und es ein Wunder war, dass er nicht unter der Last zusammengebrochen ist. Alles Dinge, über die Raph stets den Kopf geschüttelt hat. Zwar mochte er Weihnachten damals auch sehr gern, doch war er der Ansicht, dass sein kleiner Bruder doch etwas übertreibt. Aber ein Blick in seine leuchtenden, blauen Augen, das strahlende Lächeln und seine aufgeregt geröteten Wangen haben den Saikämpfer stets davon überzeugt, dass es richtig ist und es nichts Schöneres geben könnte.
 

Doch diese Gedanken sind mit seinem Bruder gestorben und so auch die Freude an Weihnachten. Allerdings ist sein Bruder genauso wenig tot wie das Christenfest. Allein die Erinnerung fehlt dem Nunchakuträger, was seine Freude aber dennoch nicht schmälert. Wenn Raph ihm jetzt ins Gesicht sieht, erblickt er wieder seinen geliebten Babybruder, sieht das unglaubliche Glück und die familiäre Wärme, die er immer empfunden hat und genau dies triebt ihn in den Wahnsinn. Nichts ist mehr so wie früher, auch wenn Michael eigentlich sein Bruder ist. Wie könnte sich Raph also über diesen Tag freuen, wenn es ihm nur allzu deutlich macht, dass der wichtigste Mensch in seinem Leben zwar neben ihm steht, sich jedoch nicht daran erinnern kann? Nicht zum ersten Mal kommt ihm daher der Gedanke, dass es besser gewesen wäre, wenn Mikey damals wirklich gestorben und ihnen beiden somit einiges an Leid erspart hätte. Mit der geballten Faust schlägt er sich hart gegen die Stirn. So etwas sollte er nicht denken! Es gibt nichts Schöneres, als die Tatsache, dass sein Bruder noch lebt, könnte er sich doch nur endlich an etwas erinnern. Was würde Raph alles dafür geben.
 

Aber jeder Tag, der verstreicht, macht ihm klar, dass sich der Nunchakuträger wahrscheinlich nie wieder an etwas erinnern wird und er sich damit abfinden muss nur die leere Hülle seines Bruders vor sich zu haben und den Geist eines anderen. Seufzend steigt der Führer durch die Luke und steht dann vor dem ehemaligen Krankenhaus. Die einstigen Flüchtlinge haben ganze Arbeit geleistet. Das gesamte Gebäude ist in Girlanden eingewickelt, die aus verschiedenfarbigen Stoffstreifen gemacht wurden. An diesen Girlanden hängen unterschiedliche Kugeln, Sterne, kleine Päckchen und allerhand mehr, was die Kinder liebevoll zusammengebastelt haben. Die Fensterbänke sind mit Tannenzweigen dekoriert, in denen Kerzen und selbstgemachte Zuckerstangen stecken. Neben dem Eingang steht ein gezimmerter Schlitten, in dem eine Schaufensterpuppe als Weihnachtsmann verkleidet sitzt. Vor den Schlitten sind Rentiere aus dicker Pappe gespannt und das Vorderste trägt die verräterisch rote Nase des wohl bekanntesten von ihnen. Im Schlitten selbst thront ein großer Sack, aus dem liebevoll verpackte Geschenke herausschauen.
 

Etwas entfernt, auf der anderen Seite steht etwas, dass ungeschickte Hände versucht haben zu schnitzen und was sich als Krippenszene präsentieren möchte. Etliches ist falsch oder einfach dazu gedichtet, dennoch erkennt man die Mühe und Liebe, die der Macher darin investiert hat. Aus der großen Küche duftet es nach Keksen und weihnachtlichen Gewürzen, alles umrahmt vom Duft der Tannenzweige und des Schnees. Mit offenem Mund betrachtet der einstige Hamato das Ganze. Es zerreißt ihm fast das Herz, so sehr erinnert es ihn an sein Zuhause und eine längst vergangene Zeit. Dumpf spürt er heiße Tränen hinter seinen Augen brennen. Doch er vertreibt sie mit der Wut, die in ihm hochkocht. Schon immer hatte er etwas leicht Egoistisches an sich, doch in diesem Moment ist er mal wieder der Meinung, dass niemand eine solche Freude empfinden darf, solange er sie nicht genießen kann. Vor endlosen Jahren hat Splinter stets versucht, ihm solche Gedanken abzugewöhnen und sich stattdessen für andere zu freuen. Aber seit sein Vater und Meister nicht mehr da ist, kriegt er vieles einfach nicht mehr auf die Reihe und lässt sich oftmals blind von seiner Wut leiten.
 

Zähneknirschend steht er mit geballten Fäusten vor dem Krankenhaus und verflucht stumm die ganze Welt für sein Leid. Dann reißt ihn eine helle Stimme aus seinen Gedanken. „Meister!“ Als er sich umblickt, sieht er Michael auf ihn zukommen. Lächelnd winkt der Junge und knabbert an einem Keks. Am liebsten würde Raph ihm das Gebäck aus der Hand reißen und auf dem Boden zerstampfen, doch er widersteht dem Drang gerade noch so. „Da bist du ja. Ich hab schon überall nach dir gesucht.“, fährt er den Jungen stattdessen an. Schuldbewusst senkt dieser einen Moment den Kopf. „Es tut mir leid. Was gibt es denn?“ „Jede Menge zu tun, daher versteh ich nicht, wie du deine Zeit mit diesem sinnlosen Mist vergeuden kannst!“ Die Strenge in Raphaels Stimme ist zum Greifen nahe und zum ersten Mal merkt der Blonde, dass sein Meister eine gewisse Abneigung gegen Weihnachten zu haben scheint. Dennoch macht ihn die Kälte in seiner Stimme für einen Augenblick sprachlos. Dabei kann Raph sehen, wie etwas in dem Jungen zu zerbrechen scheint und sich seine ausgelassene Stimmung damit verabschiedet.
 

„Verzeih mir, Meister. Es kommt nicht wieder vor. Ich werde mich sofort an die Arbeit machen…“, die Traurigkeit in der Stimme des Kleineren ist nun mindestens genauso greifbar, wie die Strenge zuvor in Raph´s. Mit hängenden Schultern und gesenktem Blick trottet der Junge an ihm vorbei, Richtung Lucke und verschwindet dann schließlich darin. Eine Weile sieht der Saikämpfer ihm noch nach, dann wirft er einen verächtlichen Blick auf das Krankenhaus und rümpft angewidert die Nase, ehe auch er zurück auf seine Insel geht.
 

Ein paar Tage später…
 

Nun ist es passiert, es ist tatsächlich Heiligabend und die freudige Stimmung unter den Leuten steht auf ihrem Höhepunkt. Raphaels Laune aber ist an ihrem Tiefpunkt angelangt. Seit zwei Tagen hat er sein Zimmer nicht mehr verlassen, sitzt nur grummelnd an seinem Schreibtisch und betrachtet gedankenverloren die wenigen Fotos, die ihm von seiner einstigen Familie geblieben sind. Nicht selten hat er in diesen beiden Tagen auch geweint oder mit den blanken Fäusten auf die Tischplatte geschlagen. Verzweiflung wechselte zu Trauer, zu Einsamkeit, zu Wut, zu Verachtung und wurde schließlich wieder zu Verzweiflung. Als die Welt noch in Ordnung war, hat er oft gehört, dass die meisten Selbstmorde in der Weihnachtszeit stattfinden. Wirklich verstanden hat er es damals nicht. Jetzt kann er diese Ansicht nur zu gut nachvollziehen. In den letzten zwölf Jahren hat er sehr oft mit diesem Gedanken gespielt, sich selbst zu erlösen und all seinem Leid ein Ende zu setzen. Warum er es nicht getan hat, weiß er selbst nicht so genau. Irgendwie kam im letzten Augenblick immer etwas dazwischen, dass ihm neuen Mut gemacht hat. Letztendlich war es Michael selbst, der alles verändert hat und ihm die verlorene Hoffnung zurückbrachte.
 

Manchmal hat Raph sogar das Gefühl, dass der Junge ohne Erinnerung alles ist, was ihn überhaupt noch am Leben hält und gleichzeitig könnte er ihn dafür verfluchen. Den Tränen nahe wirft er die Bilder seiner Familie auf die Tischplatte und schlägt die Hände vors Gesicht. Er will nicht wieder weinen, doch eine Wahl hat er nicht wirklich. Eine einzelne Träne rinnt seine Wange hinab, als es zaghaft an seine Tür klopft. Erschrocken fährt der Führer zusammen und wischt sich mit dem Ärmel übers Gesicht. Er räuspert sich krampfhaft und holt tief Luft. „Herein!“ Langsam öffnet sich die schwere Stahltür und Michael tritt ein. Einem Reflex gleich, klaubt Raph alle Fotos auf dem Tisch zusammen und schiebt sie dann in eine Schublade. Ihm ist bewusst, dass der Junge es gesehen hat, erst recht, da Michael nun schaut, als würde er sich für seinen Besuch schämen. „Ähm, wenn es unpassend ist, kann ich auch später…“, setzt er an, ehe Raph ihn unterbricht. „Was willst du?“, fragt der Rote grob. Sein Blick fällt auf eine kleine Schachtel, die der Junge beinahe panisch umklammert. Raphaels Blick verfinstert sich.
 

Michael schluckt schwer. „Ich denke, es ist doch besser, wenn ich…“, versucht er es erneut. „Nein, du bleibst hier und sagst mir, was los ist!“, kontert Raphael streng. Leicht zuckt der Junge zusammen und tritt dann ein paar Schritte näher. „Ich wollte dir eigentlich nur das hier geben…“, bringt er mit der Andeutung eines Lächelns hervor. Mit gerümpfter Nase betrachtet Raphael die Schachtel erneut. „Na schön, leg es auf den Tisch und dann verschwinde!“, grummelt er. Wieder scheint etwas in Michaels Blick zu zerbrechen. Seine Augen beginnen verräterisch zu glänzen und er beißt sich auf die Unterlippe. Dann tritt er schnell näher und legt die Schachtel auf den Tisch. Ohne ein weiteres Wort wendet sich der Junge wieder um und verlässt das Zimmer. Hastig läuft Michael den Flur entlang, während ihm Tränen über die heißen Wangen rinnen. Derweilen betrachtet Raph argwöhnisch die Schachtel. Er kann sich vorstellen, dass es ein Weihnachtsgeschenk von Michael ist und dass er dem Jungen vermutlich das Herz gebrochen hat, als er ihn eben so angefahren hat. Doch er kann nichts dafür. Michael weiß nicht, wie es in ihm aussieht und was er gerade durchmacht.
 

Dennoch tut es Raph weh, ihn so verletzt zu haben. Er hat es doch nur gut gemeint. Schwer seufzend zieht er die Schachtel zu sich heran und betrachtet sie, unsicher, ob er sie überhaupt öffnen soll. Langsam dreht er sie in seinen Händen und denkt nach. Schließlich legt er sie wieder hin und sieht sie zornig an. Schmollend wendet er sich ab und kramt wieder die Fotos aus der Schublade hervor. Gedankenverloren betrachtet er die Bilder eins nach dem anderen. Allerdings wandert sein Blick immer wieder zu der Schachtel zurück. Er weiß nicht wieso, doch sie macht ihn verrückt. Was immer darin ist, er will es nicht haben, ganz egal wie viel Mühe sich Michael damit auch gegeben hat. Nichts kann seinen Schmerz lindern. Genervt knurrt er die Schachtel an und versucht sich wieder auf die Fotos zu konzentrieren. Es klappt ein paar Momente, dann wandert sein Blick zurück. Wütend schlägt er sie Fäuste auf den Tisch. „Verdammt!“, grummelt er und fegt die Schachtel mit der Handkante vom Tisch. Er denkt, sie würde auf dem Bett landen und dass er sich dann später mit ihr befassen kann, doch Fehlanzeige.
 

Klappernd landet sie stattdessen vor dem Bett auf dem Boden und der Deckel springt ab. Darin sieht er etwas, das Michael mit einem roten Seidenpapier umwickelt hat. Dennoch lugt eine Ecke hervor. Es sieht aus wie ein Bilderrahmen. Sein Auge weitet sich und er blickt für einen Moment auf die Fotos auf seinem Tisch hinab. Dann steht er auf und geht langsam zu der Schachtel hinüber. Raph sinkt auf ein Knie und hebt den Bilderrahmen auf. Mit pochendem Herzen zieht er vorsichtig das rote Seidenpapier zur Seite. Es ist tatsächlich ein Bilderrahmen und wie es scheint, hat Michael ihn selbst geschnitzt. In das helle Holz hat er zarte Ranken und Blätter geritzt und das Ganze dann mit einer dunklen Lasur überzogen. Zart gleiten Raph´s Finger über die feinen Muster. Schon damals war Mikey für sein künstlerisches Geschick bekannt. Man würde ihm so was eigentlich gar nicht zutrauen, da er sonst immer so ungeschickt und konzentrationslos wirkt. Aber in ihm steckt weit mehr, als man denkt. Noch gut kann sich Raphael erinnern, wie sein Bruder den Shellraiser angemalt hat. Ein echtes Kunstwerk, das jetzt leider in den Tiefen des Bunkers verrostet und wohl nie wieder das Tageslicht sehen wird…
 

Dann legt Raphael das Bild unter dem Seidenpapier frei und ihm stockt der Atem. Bei dem Bild handelt es sich um ein Foto, das Chen vor ein paar Monaten gemacht hat. Damals haben er, Raph und Michael zusammen um ein Lagerfeuer gesessen und sich ausgelassen unterhalten. Auf dem Foto jetzt sind der Blonde und Raph zu sehen, wie sie dicht nebeneinandersitzen und der Kamera mit ihrer Limonade zuprosten. Im Vordergrund das knisternde Feuer, das wilde Schatten auf ihre Gesichter zaubert. Über dem Feuer sieht man ein paar Stöcker, an denen sie Knüppelbrot und eine Art Marshmallows gegrillt haben. Im Hintergrund kann man den East River im Mondschein glitzern sehen und der Vollmond, der über ihren Köpfen thront wie ein großer Scheinwerfer. In ihren Gesichtern spiegelt sich die ausgelassene Stimmung dieses Abends wieder. Ein seltener Moment, in dem man Raph in Gegenwart anderer lächeln sieht, festgehalten für die Ewigkeit. An diesem Abend hat der Rote nicht verstanden, warum zum Teufel Chen eine Kamera dabeihatte und sie fotografierte, doch nun kann er sich vorstellen, dass Michael das Ganze wohl schon lange geplant hat.
 

Mit fast schon zitternden Beinen erhebt sich Raphael und geht zu seinem Stuhl zurück. Schwerfällig lässt er sich darauf fallen und wühlt die alten Fotos durch. Schließlich findet er, was sein überforderter Geist gesucht hat. Das Foto zeigt ihn mit seiner Familie vor einem Lagerfeuer in einer Vollmondnacht im Sommer. Auch damals haben sie Marshmallows und sogar Würstchen gegrillt. Gemeinsam haben sie mit ihren Getränken lachend der Kamera zugeprostet, die per Selbstauslöser das Bild gemacht hat, sodass sogar Splinter drauf zu sehen ist. Das Bild, das er nun von Michael bekommen hat, sieht aus, als hätte man es aus dem alten Foto ausgeschnitten und vergrößert, sodass nur er und Raph darauf zu sehen sind. Den einzigen Unterschied darauf macht Raph selbst, da er inzwischen viel älter geworden ist, Michael aber immer noch fast so aussieht wie damals. Je länger er die beiden Bilder betrachtet, desto mehr bekommt er das Gefühl, dass er derjenige ist, der fehl am Platz darauf ist, da sich außer ihm so gut wie nichts verändert zu haben scheint. Und irgendwie stimmt das auch. In all der Zeit hat er sich verändert und das nicht unbedingt zum Guten.
 

Er ist jetzt Shredder, der Inbegriff dessen, was er nie sein wollte. Doch er kann es jetzt nicht mehr ändern. Allerdings kann er etwas Anderes ändern und zwar seine Einstellung Weihnachten gegenüber! Fahrig wischt er die Fotos zurück in die Schublade und stellt anschließend Michaels Geschenk auf seinen Nachttisch. Wie konnte er all die Jahre nur so blind sein? Er hat versucht etwas zu verdrängen, das dennoch immer da sein wird und dem er sich vielleicht verschließen, aber es nicht abschaffen kann. Weihnachten ist ein Fest der Liebe und der Familie. Seine Familie mag vielleicht nicht mehr da sein und Mikey sich nicht mehr an ihn erinnern, aber die Liebe, die sie beide teilen, ist dennoch vorhanden und sie ist es in jedem Fall wert, dass man an sie denkt! Mit diesem Gedanken macht sich Raphael auf den Weg zu Michaels Zimmer. Dort angekommen, reißt er einfach die Tür auf, ohne auch nur auf die Idee zu kommen, anzuklopfen. Da ist es auch kein Wunder, dass der Blonde sich erschreckt. Mit nassen Wangen und tellergroßen Augen blickt er den Eindringling an und ist mehr als erstaunt, dort seinen Meister zu sehen.
 

Schnellen Schrittes ist der Rote bei ihm und zieht ihn in seine Arme. Etwas überfordert lässt Michael es geschehen. Dann sieht Raph ihm fest ins Gesicht. Sein einsames Auge glänzt verräterisch, doch noch fließen keine Tränen. „Danke für dein Geschenk, Michael. – Es hat mich wieder wachgerüttelt und mir klargemacht, was für ein Idiot ich die ganze Zeit war. – Alles, was ich brauche bist du und es bringt mir nichts der Vergangenheit nachzutrauern, wenn das Wichtigste auf der Welt doch direkt vor mir sitzt! – Es tut mir leid, dass du immer wieder meine Launen ertragen musst, doch ich verspreche dir, dass ich versuche mich zu ändern…“ Während seiner Ansprache brechen dann doch die Dämme und Michael sieht voller Erstaunen wie sein sonst so starker Meister in Tränen ausbricht und seine Stimme zu zittern beginnt. „Schon alles vergessen, Raph!“, verkündet der Kleine, während ihm selbst wieder die Tränen kommen. „Frohe Weihnachten!“, kommt es dem Roten über die Lippen, ehe er den Jungen zu sich heranzieht und in einem innigen Kuss mit ihm versinkt.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Leucan
2016-09-21T16:59:06+00:00 21.09.2016 18:59
Die Tragödie...Wird sich ehemals mikey noch an etwas erinnern. und ein sentimentaler Raph.Spannend spannend.

LG KC


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