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Vergiss Mein Nicht

von

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Wenn das alte Leben anklopft

Heftiger, brennender Schmerz riss Paul so heftig aus dem Schlaf, dass er erschrocken nach Atem rang; ein Stöhnen entfuhr ihm, ein lautes, so zerreißendes, dass es ihn selbst erschütterte.
 

Er konnte sich kaum bewegen, so sehr krampfte sich jede Faser seines Körpers zusammen; er schwitzte, während seine Muskeln immer wieder vor lauem Schmerz kontrahierten; nur mit all seiner letzten Kraft schaffte er es, den Knopf, der sich direkt neben seinem Bett befand, zittrig zu drücken, bevor er sich wieder in den heftigsten Schmerzen wand, die er bisher in diesem halbwachen Zustand verspürt hatte.
 

Es dauerte wirklich nicht lange, bis das Licht anging, und eine besorgt dreinblickende Schwester ins Zimmer trat, Loran, die auch einmal vor Stunden dagewesen war. Sie verlor keine Zeit; mit mechanischen Handgriffen packte sie Paul's Hals, fixierte so den Nacken, dass er sich nicht mehr verkrampfen konnte; als hätte sie geahnt, was mit ihm passieren würde, hatte sie schon einen kleinen Becher dabei, der eine bläuliche Flüssigkeit enthielt. Paul konnte seinen Körper immer noch nicht ruhig halten, seine eisblauen Augen jedoch waren fest auf Loran gerichtet.
 

Sie sagte leise: „Hier, schlucken Sie das, bitte. Es ist ein flüssiges Schmerzmittel, dass Ihnen Ruhe bringen wird, bis der Arzt wieder aus einer Not-OP da ist, um Ihnen eine neue Dosis Morphium zu spritzen. Nehmen Sie es, Mister Walker, keine Angst.“
 

Er wusste nicht, ob er überhaupt dazu fähig war, zu schlucken; doch der feste und fachmännische Griff ließ ihm keine Wahl.
 

Die fast neutral schmeckende Flüssigkeit rann seine Kehle hinab, während er das gesamte, kleine Becherchen leerte. Loran ließ ihn los; sie wartete einige Sekunden, bis Paul's Krämpfe vor Schmerz langsam nachließen. Der Schmerz verschwand nicht direkt; doch ganz langsam sickerte er tiefer in seinen Körper, wurde weicher und nicht mehr so heftig.
 

Paul fasste sich an die nassgeschwitzte Stirn und stöhnte erneut; als er wieder mehr Luft bekam, räusperte er sich leicht.
 

„Das war heftig...“
 

Loran lächelte, während sie den Becher auf den kleinen Tisch stellte, der neben Paul's Bett stand. Einen Moment schwieg sie, bevor sie leise ansetzte:
 

„Das wird noch lange so gehen, diese Schmerzen, wissen Sie? Der Körper hat ja unglaubliche Qualen ausgehalten, bei Ihnen war so viel gebrochen... Und irgendwann werden wir Sie nicht mehr mit so viel Schmerzmitteln versorgen können.“
 

„Nicht...?“, seufzte Paul leise, während er sich, deutlich beruhigter, in das weiße Kissen sinken ließ. Die Schmerzen ließen allmählich nach, nur noch ein wenig brannten sie im Körper. Er atmete tief ein und aus, während seine Glieder schwerer wurden.
 

„Schlafen Sie weiter, Sie brauchen den Schlaf. Sollte etwas sein, melden Sie sich bitte.“
 

Mit diesen Worten verließ sie leise das Zimmer, nachdem sie das Licht gelöscht hatte, damit Paul wieder vollständig von Dunkelheit umgeben war. Das leise Surren der Geräte nahm er mittlerweile nur noch nebenbei war; der Herzmonitor zeigte nach wie vor seinen mittlerweile ruhigen Schlag an.
 

Paul starrte noch einen Moment ins vollkommen Dunkle, die Gedanken tief versunken. Er hatte es der Schwester Loran nicht sagen wollen, doch da waren Träume gewesen, seltsame Träume.
 

Feuer, Feuer überall, und unfassbarer Schmerz, der jede Faser durchschossen hatte. Da war ohrenbetäubender Lärm gewesen, so laut, dass ihm die Ohren im Traum hatten weh getan; es war die Art von Krach gewesen, die einem den blanken Horror über den Rücken jagen ließ.
 

Er wusste nicht, wovon er geträumt hatte, doch er war sich sicher, dass es verschwommene Erinnerungen an den Unfall gewesen sein mussten. Er hatte jemanden schreien gehört, so laut und verstörend, dass er es selbst jetzt nach dem Becher mit Schmerzmittel nicht vergessen konnte.
 

Man hörte Menschen nur auf die Art und Weise schreien, wenn sie am Sterben waren.
 

Loran hatte von einem Mitfahrer gesprochen; wer das wohl gewesen war? In seinen Träumen war dort nur eine verschwommene, brennende Schattengestalt gewesen.
 

Er schloss kurz die Augen und hoffte, dass die brennende Gestalt kein geliebter Mensch gewesen war, falls er diese Menschen überhaupt gehabt hatte.
 

Immerhin war bis jetzt auch noch niemand in seinem Zimmer gewesen. Hätte er eine Familie gehabt, so wäre diese doch sicher sofort gekommen. Das Gefühl, vollkommen allein zu sein, ohne jegliche Erinnerung an etwas, außer einem flammenden Inferno, trieb ihm fast die Tränen in die Augen. Doch bevor er sich seiner Gefühle in diesen Momenten hingeben konnte, presste er fest die Augen zusammen, um wenige Minuten später in einen tiefen Schlaf zu fallen.
 

„Mister Walker!“
 

Er brummte tief, während er sich vorsichtig noch einmal auf die andere Seite drehte; da die Schmerzmittel noch zu wirken schienen, tat dies nicht weh.
 

„Mister Walker, ich habe hier Ihr Frühstück. Vielleicht wollen Sie einmal probieren? Sie brauchen die Kraft. Heute stehen eine Menge Untersuchungen an.“
 

Obwohl er sich gar nicht danach fühlte, öffnete er die Augen und erspähte die junge Loran, die ein Tablett mit frischen Brötchen und Aufstrich trug. Sie lächelte; Paul setzte sich vorsichtig auf, jedoch nur so vorsichtig, wie es sein geschundener Körper zuließ.
 

„Warum sind Sie noch hier? Hatten Sie nicht nur Nachtschicht...? Wie spät ist es?“, brummte er verschlafen, während Loran das Tablett abstellte.
 

„Es ist sechs Uhr morgens, und ich habe jetzt Schichtende. Ich wollte nur noch einmal nach Ihnen sehen. Der Arzt kommt in einer halben Stunde.“, sagte sie, während sie ihm dabei zusah, wie er versuchte, sich ein Brötchen zu schmieren. Das war leichter gesagt als getan. Seine Finger schienen irgendwie noch steif und leicht taub zu sein; alles fühlte sich komisch an.
 

„Na, ihr weckt einen aber verdammt früh...“, schnarrte er, die Augen fest auf sein Mahl gerichtet. Wie ein Kleinkind, dachte er, nachdem er es mehr schlecht als recht geschafft hatte, sich eine Hälfte fertig zu machen.
 

„Nun ja, der Alltag beginnt früh. Ich denke, ich werde heute Abend wieder für Sie zuständig sein, also... bleiben Sie munter und machen Sie sich keine Sorgen.“
 

Sie lächelte, während Paul ihr freundlich zunickte. Mit vollem Mund sprach man ja nun auch nicht, oder? Sie ging leise von dannen, nicht ohne noch ein kleinlautes „Tschüss!“ zu rufen, das Paul nur kurz erwiderte.
 

Den Schwestern schienen die Patienten wirklich am Herzen zu liegen, dachte er. Oder woran lag es, dass Loran's Augen länger als gewöhnlich auf ihm verweilt hatten? Obwohl... was war eigentlich noch gewöhnlich, dachte er.
 

Dein Kopf läuft nicht mehr richtig, alter Junge, sagte er sich innerlich selbst. Er beendete sein Frühstück, und wie auf Kommando schoss ein Arzt ins Zimmer, ein anderer als gestern Nacht. Er brummte Paul ein „Guten Morgen“ entgegen, während er als aller erstes das Klemmbrett an Paul's Bettende kontrollierte. Als er es eingehend studiert hatte, wandte er sich an Paul, der sich gerade ein bisschen höher gesetzte hatte, um seinen Rücken zu entlasten.
 

„Heute müssen Sie ins MRT, wir müssen Ihren Kopf noch einmal checken. Die Verletzungen scheinen relativ tief zu gehen, und beim letzten Check hatten Sie ein Hämatom in dem linken Frontallappen des Gehirns. Es stehen einige Motorik-Tests an, und heute Nachmittag wird es Ihrer Familie und den Verwandten erlaubt sein, zumindest den engen, Sie zu besuchen, aber nur eine Stunde, alles andere wäre zu viel. Eventuell wird Ihnen das helfen, sich zu erinnern, nur deswegen erlauben wir das.“
 

Familie? Paul's Herz schlug fest gegen seinen Brustkorb, einen schmerzlichen, hämmernden Ton. Es störte ihn, dass der Herzmonitor diese Veränderung direkt anzeigte; der Arzt jedoch fügte hinzu, als er seinen schnelleren Herzschlag bemerkte: „Der Monitor kann heute abgenommen werden, Sie sind ja nicht mehr im Koma.“
 

„Ich hab... eine Familie?“, flüsterte Paul zögernd, während er den Arzt mit entsetztem Gesicht musterte.
 

Dieser nickte leicht.
 

„Ja, aber setzen Sie sich nicht unter Druck. Wenn Sie sie erkennen, wissen wir, dass es mit Ihren Verletzungen bergauf geht, ansonsten haben wir Ihre Familie schon informiert. Sie wissen also Bescheid.“
 

„Woher wissen Sie, dass... ich..“
 

Der Arzt schmunzelte. „Ihr Ausweis, er befand sich zum Unfallzeitpunkt in ihrem Portemonnaie. Wir haben Experten, die so etwas immer schnell anhand der Personalien herausfinden.“
 

„Ah“, machte Paul leise, während sein Blick den Arzt nicht losließ. Wie seltsam es sich anfühlte, dass jemand auf ihn wartete, ihn kannte, während er bis jetzt nur sich selbst und das Personal vom Krankenhaus kannte. Es war beängstigend. Wer würde heute Nachmittag kommen? War er verheiratet, hatte er noch Eltern, Geschwister? Großeltern? War er Vater? Die Gedanken rasten in seinem Kopf, während der Arzt ihm noch einige Anweisungen gab.
 

Als er beendet hatte, räusperte Paul sich.
 

„Doktor, wäre es möglich, dass ich meinen... Ausweis sehe?“
 

„Natürlich, er befindet sich in der Schublade neben Ihrem Bett. Bis später, Mister Walker.“
 

Paul riss die Schublade auf, sobald die Tür verschlossen war. Er fand ein schlichtes, ledernes Portemonnaie, das teuer aussah. Er machte es auf und durchsuchte es. Er fand eine Kreditkarte, zwei Bankkarten, eine Tankkarte, diverses Geld und einen Führerschein. Er nahm die kleine, eingeschweißte Karte in die Hand und musterte sie.
 

Paul Walker, 37 Jahre alt, Augenfarbe: hellblau, Größe: 1,94 m. Haarfarbe: dunkelblond.
 

Eckdaten, und endlich, als er den Führerschein drehte, sah er ein Bild von einem attraktiven Mann mit stahlblauen Augen, der ihn von einem kleinen Foto streng ansah. Das war also er. Er kam nicht umher, leicht zu lächeln, er hatte es anscheinend gut getroffen mit seiner äußerlichen Erscheinung, vor allem für sein Alter sah er wirklich gut aus. Bis jetzt hatte er noch nicht in einen Spiegel sehen können.
 

Er schob den Führerschein wieder in das kleine, lederne Fach und zog die nächste Karte heraus, die eindeutig sein Ausweis war. Die Eckdaten stimmten mit denen des Führerscheins überein, und eine Adresse war darauf zu finden. Sie wies eine Stadt namens Georgeville aus. War er auch in dieser Stadt verunglückt?
 

Die Details seines Unfalls waren immer noch vage, und er hatte kaum etwas davon mitbekommen, außer eben den Schlagzeilen, die jeder Arzt oder jede Schwester ihm vorhielt.
 

Noch bevor er die weiteren Fächer untersuchen konnte, öffnete sich die Tür und eine andere Krankenschwester trat ein. Sie war ältlich und ein bisschen rund, doch sie hatte das freundlichste Gesicht, das Paul bis jetzt untergekommen war.
 

„Hallo, Mister Walker, ich bin Nana, Ihre Schwester. Ich muss Sie bitten aufzustehen, damit wir sie duschen und für das MRT fertig machen können. Können Sie aufstehen?“
 

„Ich weiß nicht genau, ich lag bis jetzt nur, ich glaube nicht... Mein Bein ist ja gebrochen...“, sagte Paul, doch die Krankenschwester winkte nur ab.
 

„Mister Walker, wofür haben Sie denn Krücken? Sie müssen es früher oder später lernen. Kommen Sie, ich helfe Ihnen.“
 

Perplex über so eine Ansage, zog sich Paul an der Schlaufe hoch, die über dem Bett hing. Sein Körper fühlte sich schlapp an, jedoch schaffte er es, wenigstens die Beine aus dem Bett zu wuchten. Die Krücken sah er mit neigender Abscheu an.
 

„Nana, ich weiß ja nicht. Ich kann kaum sitzen ohne Hilfe...“
 

„Sie schaffen das schon, immerhin sind Sie ein trainierter Mann...“
 

„Ein was?“
 

Paul sah an sich herunter, und tatsächlich: ihm war es bis jetzt nicht möglich gewesen, einen Blick auf seinen Körper ohne Decke zu werfen. Er war tatsächlich gut trainiert und hatte einen hohen Wuchs; seine Haut war leicht gebräunt, als hätte er die letzten Tage in der Sonne verbracht. Nana lachte fröhlich.
 

„Sehen Sie, Sie haben das wohl vergessen. Ich hole einen Rollstuhl, ohne wird es doch wohl noch nicht gehen...“

Sie schlurfte gemächlich zurück, und Paul, der zum ersten Mal etwas wie gute Laune verspürte, musste leise lachen. Sie war eine alte, aber unheimlich positive Frau; allein diese zwei Minuten hatten ihm geholfen, über seine prikäre Situation wenigstens ein bisschen hinwegzusehen. Auch wenn es nicht einfach war.
 

Er wurde geduscht, was ein seltsames und komisches Gefühl war (er wollte das nicht unbedingt nochmal erleben), hatte sich mit großer Präzision in einen Rollstuhl gesetzt und wurde von Nana durch den Flur geschoben.
 

Es war seltsam, andere Menschen zu sehen; Krankenhauspersonal, kranke Menschen, Besucher, manche davon lächelten ihm zu. Es war wirklich keine alltägliche Szene; er fragte sich, ob manche wohl von dem Unfall gehört hatten, so etwas kam doch immer in den Zeitungen. Die Sonne schien durch die Fenster der Flure und tauchte sie in warmes, angenehmes Licht.
 

Irgendwie war er in diesen Momenten, die kurz an ihm vorbei flogen, dann doch glücklich, dass er noch lebte, dass sein Körper ganz war, dass er existierte.
 

Die nächsten Stunden verbrachte er mit Ärzten, Untersuchungen und medizinischen Ergebnissen und Gerätschaften. Ein Arzt teilte ihm mit, dass er zwar ein Hämatom im Kopf habe, dieses sich jedoch nicht weiter ausgebreitet hätte. Jedoch könnte dies der Grund für seinen Gedächtnisverlust sein, man müsse noch weitere Tests durchführen. Seine Motorik war, für so kurze Zeit nach einem schweren Verkehrsunfall, unheimlich gut. So konnte er seine nicht gebrochenen Gliedmaßen einwandfrei bewegen, auch wenn sie manchmal von grober Taubheit befallen waren, und die Sehtests und Hörtests bestand er.
 

Als er später am Nachmittag wieder in seinem Bett lag, kam nach einer Weile Schwester Nana hinein. Sie trug eine Flasche Wasser in der Hand und drei Gläser. Diese stellte sie auf einem Tisch ab, der sich unweit von Pauls Bett befand. Sie lächelte.
 

„Es sind Familienmitglieder für Sie da. Ihre Eltern und Ihre Frau.“, sagte sie.
 

Paul schluckte.
 

„Meine … was? Ich bin verheiratet?“
 

„Anscheinend, Mister Walker. Denken Sie an das, was der Arzt gesagt hat. Ich hole sie jetzt.“
 

Bevor Paul etwas entgegnen konnte, war sie auch schon verschwunden, und er blieb zurück mit einem unwohlen Gefühl. Gleich würden drei fremde Menschen in diesem Raum stehen, ihn erkennen und ihn froh umarmen wollen, da er noch lebte. Doch er würde sie nicht erkennen.... Es sei denn, sein Kopf machte mit. Er betete darum, dass er sie erkannte. Er hatte nicht so große Lust auf einen Haufen fremder Leute, die ihm Gefühle entgegen brachten, während er ihnen nichts erwidern konnte.
 

Herzschläge lang vergingen, die man zum Glück nicht mehr hören konnte, da der Herzmonitor nicht mehr angeschlossen war. Er lauschte angestrengt, versuchte, jedes Geräusch zu verfolgen. Bald hörte er sie: Schritte auf dem Flur, leise Stimmen, ein Schluchzen.
 

Er wand seinen Blick kurz hinunter auf sein weißes Shirt, dass man ihm gegeben hatte, damit er den Kittel nicht mehr tragen musste. Was sollte er nur sagen?
 

Die Tür ging gespenstisch langsam auf, fast verräterisch. Paul musste sich zusammen reißen, um überhaupt den Mut zu finden, hinzuschauen. Und dann traten drei Menschen in den Raum, die bitter blass und dennoch erleichtert aussahen, als sie eintraten und ihn dort sitzen sahen.
 

Es waren zwei ältere Leute; der alte Mann, der etwas zittrig ging, sah Paul ziemlich ähnlich, und die alte Frau hatte eine nette Aura. Doch - und das brachte sein Herz fast zum Stehen - ….
 

Er erkannte sie nicht.
 

Weder die alten Leute, die seine Eltern sein sollten, noch die hübsche Frau, die tränenüberströmt in den Raum trat und schluchzte, als sie Paul sah.
 

Er erkannte sie einfach nicht. Er konnte sich nicht ausmalen, wie schrecklich dieser Moment für die Menschen sein musste, die sich um sein Bett versammelt hatten und ihn ohne Worte ansahen.
 

„Paul, mein lieber Paul.. Gott sei Dank geht es dir gut....“, wimmerte die ältliche Dame, während sie nach Paul's Hand griff; Paul, dem die ganze Situation unheimlich vorkam, ließ sie aber. Er wollte diese alte Frau nicht schockieren.
 

Er lächelte nur leicht und gab vor, mit seinen Gefühlen zu kämpfen. Vielleicht tat er dies in diesen Momenten auch, jedoch nicht für die Menschen, die um ihn herum standen, eher für sich. Wie konnte man so schlimm verunglücken, dass man geliebte Menschen nicht mehr erkannte?
 

Die hübsche Frau räusperte sich und ergriff Paul's andere freie Hand, die mit der Brandwunde. Sie hielt sie sehr behutsam und schluchzte leicht, als sie seine warme Haut spürte.
 

„Paul, wie geht es dir?“, flüsterte sie, während sie einen Kuss auf seine verletzte Hand drückte. Paul spürte die Berührung, die ihn erhitzen ließ; jedoch nicht vor Erregung, sondern vor Scham. Wie gern hätte er ihre Gefühle erwidert, doch sie war einfach wie eine Fremde. Jemand, den er einfach nicht kannte und den er gerade zum ersten Mal sah.
 

„Ich.. Mir geht es ganz gut.. Soweit.“, stammelte er, und seine blauen Augen wanderten über das Gesicht der Frau. Sie war wirklich hübsch; wenn das seine Frau sein sollte, dann hatte er anscheinend gutes Glück gehabt. Als könne sie die Verwirrung und den Schmerz in seinen Augen lesen, ließ sie seine Hand wieder leicht los.
 

Tränen rannen ihr aus den Augen, während sie leise sagte: „Du erkennst uns noch nicht, oder? Der Ar-... Arzt hatte so etwas angedeutet. Mach' dir keine Sorgen Schatz, die Erinnerung kommt wieder. Ohja, das wird sie.“
 

Paul nickte nur.
 

Egal, wie sehr er sich anstrengte, er konnte die Menschen einfach nicht zuordnen, kein Stück. Er empfand nicht einmal große Sympathie für diese drei. Natürlich, sie waren nett – doch das waren die Angestellten auch. Ob er wohl Kinder hatte? Er wagte es nicht, diese Frage zu stellen.
 

Es fielen eine Weile keine Worte. Paul konnte beim besten Willen nicht beschreiben, wie seltsam sich das alles anfühlte. Seine Eltern begannen damit, ihm einige Details zu beschreiben, in der Hoffnung, er würde sich eventuell erinnern: Wo er arbeitete, dass er in der Freizeit gern an Autos herumschraubte, dass er ein geselliger Mensch war, sehr beliebt, dass er viele Freunde hatte, die alle schon neugierig auf ihn waren... Dass er keine Kinder hatte, jedoch mit seiner Frau, die sich als Penelope vorstellte, welche haben wollte.... bevor der schreckliche Unfall kam.
 

Die Erzählungen klangen wie ein Traum für ihn; das Leben eines glücklichen, aber fremden Menschen, der nichts mit ihm zu tun hatte. Nichts mit dem Menschen, der hier lag und sich die ganze Zeit fragte, warum er sich zum Teufel an wirklich gar nichts erinnerte. Hatte es vielleicht einen Grund?
 

Die Zeit verging schnell und es kam Paul wie fünf Minuten vor, als die Schwester erschien und mitteilte, dass er nun Ruhe brauchte und die Geschehnisse erst einmal verarbeiten musste. Der Abschied war unangenehm, drückend. Er kam sich unbeholfen vor, als diese für ihn fremden Menschen ihn umarmten und ihm sagten, wie sehr sie ihn liebten – und er einfach nichts erwidern konnte, weil es einfach nicht die Wahrheit war.
 

Es liefen wieder Tränen, als sie sich davon machten.
 

Paul blieb noch lange starr liegen und ließ sich das Geschehene durch den Kopf laufen,wie einen Film. Diese Leute und seine Geschichte kamen ihm fast zu perfekt vor, zu glücklich, zu friedlich und fröhlich. Irgendwie unwirklich.
 

War sein Leben tatsächlich so gewesen? Wieder kam ihm der Gedanke, dass etwas nicht stimmen konnte. Warum weigerte sich sein Kopf nur, nicht eine Erinnerung an früheres Leben preiszugeben?



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