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Julia

Es war dunkel. Die schwarze Schlange wand sich um meinen Arm und nahm mir die Schmerzen, die wie Nadeln in meine Haut stachen. Sie war für mich da, nahm diese unsichtbare Qual von mir. Sie liebkoste meine geschundene Gestalt, als wäre diese so schön wie früher. Der Schlange war es egal. Ich hatte nur noch Augen für sie, für sie, für sie. Sie würde mir helfen, mich retten, ich wusste es genau. Sie würde mich fortbringen, weg aus diesem dunklen Zimmer, in eine bessere Welt, ohne Schmerzen.
 

Alles tat weh, das Leintuch, die Decke, meine eigene Haut.
 

Nur gedämpft nahm ich seine Stimme wahr, das Einzige, das nicht weh tat.
 

„Julia.“
 

Jakob. Er war wieder da- oder noch immer? Die normalen Regeln der Zeit galten schon lange nicht mehr, die Tage wurden zu Minuten, die Stunden zu Jahren. Es war mir unmöglich geworden, sie zu zählen. Die Schlange hatte mir das schändliche Zeitgefühl genommen.
 

„Julia.“
 

Er war da, und ich konnte ihm nicht antworten. Ich wollte. Aber ich hatte meine Stimme verloren, an die Schlange. Sie hatte sie mir genommen, wie schon so vieles davor. Doch Jakob gab nicht auf. Niemals.
 

„Julia.“
 

Eine kurze Erinnerung an die wenigen Tage, an denen es nur uns gegeben hatte, nur wir, in unseren Armen, nur wir, gemeinsam, alleine. Die Liebe. Aber die Erinnerung war nur von kurzer Dauer. Sie verblassten, und verschwanden.
 

„Julia.“
 

Ich dachte an unser erstes Konzert, eine Coverband Radioheads, das Lied, dass es bei unserem ersten Kuss gespielt hatte, „Talk Show Host“. Anfangs mochten wir nur die Melodie, später hatte es uns beschrieben. Jemand anders sein. Ich wollte jemand anders sein, genau wie er. Wir wollten besser sein. Die wenigen Kerzen, die den Raum erleuchteten, verloren an Helligkeit, ganz ohne zu flackern. Das Ende war gekommen. Nicht das Ende der Welt, oder der Zeit, sondern, viel undramatischer: Meines.
 

„Julia.“
 

Bald würde ich gehen, aus dem Leben aller treten, die mich je gekannt, berührt hatten. Ein Schritt. Ein Stich. Es war so einfach. Beinahe schon zu einfach.
 

„Julia.“
 

Ich war nicht Julia und doch, sah uns leicht von der Seite. Mein Blick lag auf der schwarzen Schlange, seiner auf mir. Ich schwebte darüber, sah mich selbst, das blonde Haar, kinnlang und unordentlich, das an den Wurzeln ausdunkelte, das eingefallene Gesicht, den Nasenring, den ich einst mit Stolz getragen hatte und der jetzt fehl am Platz wirkte. Genau wie sein T-Shirt. Genau wie alles, was ich mittlerweile besaß. Eine Decke lag über mir, doch sie schützte mich nicht vor der Kälte in meinen Knochen, die hervorstanden. Jemand anders sein.
 

„Julia.“
 

Mein Name. Immer mein Name.
 

„Bist du sicher, dass du es tun willst?“
 

Ich sah ihn nicht an, und auf meine eigene Weise doch. Ich schwieg, betrachtete die Schlange, spielte mit ihr, erteilte ihr die Erlaubnis. Natürlich wollte ich es. Das wusste er genau so gut wie ich. Ich wollte sie, nur sie, mehr, als ich jemals ihn gewollt hatte. Ich war bereit.
 

Ihr nadelspitzer Zahn sank in meine Vene, ich genoss die Schmerzen schon fast, weil es die letzten sein würden, die ich spürte. Ich atmete ein letztes Mal ein, und drückte zu.
 

„Julia.“
 

Ich war bereit. Ein letzter Blick zu Jakob. Ich atmete ein letztes Mal aus.
 

Jakob. Jakob. Jakob.
 

Und wachte auf.

Erwachen

Hannah Murphy war anders als ich. Sie trug ihr Haar lang und dunkel, mit Stirnfransen, war Läuferin, und hatte dennoch ein paar Kilo zu viel auf den Hüften, war gut in Mathematik, und hatte einen kleinen Bruder. Wir hatten den gleichen Geburtstag. Sie wohnte knapp 10 Kilometer von meinem letzten Wohnort entfernt, von dem Ort wo ich gestorben war. Jakobs Wohnung.

Es war dunkel um mich herum, und ich verstand lange nicht, warum. Hannahs Zeitgefühl- sie hatte ihres wohl noch nicht verloren- nach war es morgen. Endlich verstand ich, und öffnete die Augen, erschrocken von dem, was ich vorfand.

Ich war Hannah Murphy. Anstatt zu sterben, war ich zu ihr geworden. Zu einer Person, von der ich noch nie etwas gehört hatte.

Ich war zu verwirrt, um zu hinterfragen, wie ich in ihr Bett, in ihren Körper gekommen war. Ich drehte das Licht auf und sah mich um. Es war halb sieben, der Raum war sauber, über einem Schreibtischsessel hingen Hnnahsa Sachen für den Tag, schon bereitgelegt. Ich stieg unter die Dusche, die ich sofort fand, und putzte Hannahs, meine Zähne, zog ihre Sachen an, die nun meine waren- ein grüner Pullover, blaue Jeans, rote Socken, ein rotes Haarband. Im Bewusstsein, dass ich wohl bald zur Schule musste, zur Schule, wo ich lange nicht mehr gewesen war, aber Hannah heute eine Arbeit über technische Physik schrieb, für die sie gelernt hatte. Als ich aus dem Badezimmer kam, lagen auf ihrem Schreibtisch Karteikarten. Ich überflog sie, und kannte ihren Inhalt genau. Ich war Hannah Murphy. Ich wusste, was sie wusste.

Leider blieb keine Zeit, die Bücher genauer zu betrachten, oder alles andere, aber der Blick aus dem Fenster schien unglaublich bekannt, so wie... nun ja, der Blick aus dem Fenster des Zimmers, in dem man jahrelang gelebt hatte. Auf dem Weg in die Küche ging ich noch einmal in das Badezimmer, blieb kurz vor dem Spiegel stehen, wunderte mich, ob ich das war, betastete mein Gesicht, zog die Konturen meiner Wangenknochen nach. In der linken Hälfte des Spiegelschranks fand ich Make-up, Puder und Kajal in anderen Farben, als ich sie verwendet hatte, aber zu meinem neuen Gesicht passten sie erstaunlich gut. Hannahs Hände waren präzise, sie zitterten nicht, im Gegensatz zu meinen alten.

Während ich auf den Toast wartete, warf ich einen Blick in die Zeitung, die auf dem Tisch lag. Außer Hannah war niemand daheim, ihr Bruder hatte bei ihrer Großmutter übernachtet, mit der sich Hannah nicht so gut verstand. Kurz überlegte ich, und fand heraus, dass sie wohl bisexuell war, und sich vor kurzem von ihrer Freundin getrennt hatte. Ihre Eltern waren in Tschechien, auf Geschäftsreise. Sie besaßen eine Tischlerei.

Auf der letzten Seite der Chronik las ich eine Story über jugendliche Drogenkonsumentinnen. Eigentlich überflog ich ihn nur, bis ich meinen Namen laß. Julia Maurer. Ich las genauer.

"...Während die meisten Drogenkonsumentinnen mit sechzehn erst abhängig werden, oder noch später, gab es für Julia nur noch Drogen. Ihr Freund, Jakob R., selbst abhängig, versuchte, sie vom Freitod abzubringen, blieb aber erfolglos. Julia Maurer starb letzte Nacht an einer Überdosis in der Wohnung ihres Freundes, welche sie Tage davor aufgesucht hatte. Sowohl psychisch als auch physisch war sie stark abhängig, und hatte keinen anderen Lebensinhalt mehr als Drogen. Ihr Tod ist sowohl tragisch als auch erschreckend..."

Ich las nicht weiter. Dem Artikel nach, so schlecht er auch geschrieben war, war ich tot. Tot. Und nicht in Hannah Murphys Körper. Der Toast sprang aus dem Toaster. Er war verbrannt. Irgendetwas sagte mir, dass das Hannah nicht das erste Mal passierte. Ich seufzte, bestrich ihn mit Erdnussbutter, die ich nie ausstehen konnte, mir aber erstaunlich gut schmeckte, und verließ die Wohnung. Instinktiv stieg ich erst in den Bus, dann in die Straßenbahn, und stand schließlich vor einem schmucklosen Gebäude. 'Vienna International School', verriet mir das Schild über dem Eingang. Erst jetzt fiel mir auf, dass Hannahs gesamter Gedankengang auf Englisch war. Ihr Deutsch war gut genug, um den Zeitungsartikel zu lesen, aber brüchig. Sie wechselte häufig den Wohnort. Und sie lebte in Wien.

Bevor ich meine Gedanken weiter ausführen konnte, kam ein etwa zwölf Jahre alter Junge auf mich zu. Jarov. Mein Bruder. Er begann, mich vollzuplappern, und brachte mir ein Stück von Omas Kuchen mit. "Ich soll fragen, ob du noch immer lesbisch bist."

"Ich war nie lesbisch."

"Ich sag ihr also ja?"

Ich wirbelte ihn durch die Luft, und seinem Quietschen nach war das die angemessene Reaktion. Ich hatte richtig geraten.

Wir gingen gemeinsam in das Gebäude, verabschiedeten uns, und ich betrat den Prüfungsraum.

Ich schrieb die Arbeit über Dinge, von denen ich noch nie gehört hatte, in säuberlicherer Handschrift als ich es je vermocht hatte, und war früher fertig, als ich es je zustande gebracht hätte. Hannah überraschte mich. Sie war so anders.

Als ich abgab, wartete Marie auf mich, meine beste Freundin in Wien, gebürtige Kanadierin, aber französischer Abstammung, zierlich und blond, in einem roten Kleid. Wir gingen Mittagessen, ich gab Marie meinen Kuchen, es war wohl das, was Hannah normalerweise tat. Während ich in meinem Essen herumstocherte, erzählte Marie von Jean, einem anderen Franzosen, der laut ihr die wunderbarste Person auf dieser Erden sein musste. Als sie mich nach meinen letzten Abenteuern in Sachen Liebe fragte, zuckte ich nur die Schultern. Es musste Montag sein. Als sie neugierig blieb, erzählte ich ihr von Jakob, und ließ dabei seine Abhängigkeit von Drogen und unsere lange Beziehung aus. Ausführungen von Hannahs letzter Beziehung würden Marie nur langeweilen. Ich erzählte von den ersten Tagen unserer Beziehung, und schwächte sie ab, so dass es vernünftig klang, als ich erklärte, dass er leider das Land verlassen hatte. Es klang zumindest vernünftiger, als "Marie, ich heiße eigentlich Julia Maurer, und bin drogensüchtig. Jakob ist mein Freund, und auch abhängig. Hey, Lust ihn zu besuchen?"

Irgendwie überstand ich den Schultag, begleitete Marie ein Stück des Weges, die offenbar nichts seltsames an mir feststellen konnte, und verzog mich in die wiener Hauptbibliothek, der einzige Ort in Wien in dem ich mich je wirklich daheim gefühlt hatte, egal ob als Julia oder Hannah. Statt die Annehmlichkeit einer warmen, halbwegs sauberen Toilette zu genießen oder mir mit Zeitschriften den Tag zu vertreiben, griff zu einem Werk von Schnitzler, und lieh es aus, einen Ausweis hatte ich zum Glück dabei.

Ich schaffte es nach Hause, setzte mich in den Garten- meine Eltern waren offenbar reich genug, um sich Haus und Garten in Wien leisten zu können, laut Hannahs Erinnerungen stimmte diese Annahme- und las. Das Buch, welches ich in der Schule als langweilig empfunden hatte, faszinierte mich nun. Mein Handy läutete. Eine Melodie von Bach. Hannah war offenbar gebildet, aber zu klug, um mehr Freundinnen als Marie zu haben, denn der Anruf kam von meiner Mutter, die sofort in Spanisch auf mich einredete. Ich verstand sie, obwohl ich felsenfest davon überzeugt war, dass sich mein Spanisch auf Si und Muchas Gracias beschränkte, in furchtbarer Aussprache. Zu meiner Überraschung beherrschte ich die Sprache offenbar fehlerfrei und mit korrekter Aussprache.

Meine Mutter ließ mich nur wissen, dass sie planmäßig am nächsten Tag nach Hause kommen würde. Ich bereitete mich darauf vor, meine Eltern zu sehen- der Vater Engländer, groß, schlank, intelligent, die Mutter klug, zierlich und Argentinierin. Ihre Bilder sah ich klar vor mir, auch wenn ich mir sicher war, dass ich sie noch nie mit eigenen Augen gesehen hatte.

Wie in Trance aß ich zu Abend, las etwas und putzte die Zähne. Während ich in meine Schlafsachen schlüpfte, ein T-Shirt für Mädchen, gut passend, ganz anders als Jakobs, und Hosen, informierte ich mich mehr und mehr über mein Leben. Es schien interessant, ich hatte schon viel von der Welt gesehen.

Während ich im Bett lag, dachte ich darüber nach, ob ich nun Hannahs Leben gestohlen hatte, und Hannah gestorben war, oder ob es Hannah erst gab, seit ich tot war. Tot. Vielleicht war das ja der Tod, vielleicht ging man ja von Welt zu Welt. Der Gedanke beruhigte mich, bis sich die Frage aufdrängte: Warum konnte ich mich an mein altes Leben erinnern? Und: Wo war die echte Hannah? Ich wälzte mich unruhig hin und her, schlief aber zum ersten Mal seit langem schnell und ruhig ein.

Surrealität

Ich träumte von Jakob, was nicht weiter überraschend war. Meine Gedanken waren die letzten zwei Jahre größtenteils bei ihm gewesen, zumindest im HIntergrund. Nur war der Traum diesmal anders. Er sollte wohl zeigen, was hätte sein können.

Wir standen neben einander. Jakob war nicht mehr so dünn wie das letzte Mal, als ich ihn gesehen hatte, und trug statt den üblichen, zerschlissenen T-Shirts und abgetragenen Hosen einen Anzug, aber keine Krawatte. Ich selbst trug ein weißes Sommerkleid, welches bis zu meinen Knien reichte, helle Schuhe, das Haar wieder lang, meine Haut war narbenlos und leicht gebräunt, genau wie Jakobs. Spätestens dieses Detail verriet mir, dass es sich nicht um die Wirklichkeit handelte.

Wir standen in einem Park, das Gras war satt und grün, nicht zu intensiv und auch nicht zu sanft, so, wie ihn wohl Hannahs Augen wahrnehmen würden. Vor uns erhob sich ein weißes Gebäude, Jakobs alte, teure Privatschule.

Ich brauchte länger als sonst, um mich zu orientieren, und begriff erst, wem der allgemeine Applaus galt, als ich Jakobs Namen hörte.

Es war seine Abschlussfeier. Er hatte maturiert, an seiner alten Privatschule, welche er vor etwa drei Jahren abgebrochen hatte. Seine Mutter, die er seit einem Jahr nicht mehr gesehen hatte, und die in den letzten Jahren nie mehr Kontakt mit ihrem Sohn gehabt hatte, als ihm seine Miete zu zahlen, kam auf uns zu. Sie war mit seiner Veränderung nie zurecht gekommen, Doch offenbar hatte diese nie stattgefunden.

Sie umarmte erst ihn, dann mich. „Julia, vielen, vielen Dank! Ohne dich hätte er Französisch wohl nie geschafft.“

Ich sprach kein Wort Französisch, lächelte trotzdem, das war nichts, was ich zu kontrollieren hatte.

„Und dann noch mit Auszeichnung.“

Das war Jakobs Vater, dem ich schon zwei, drei Mal begegnet war, jedoch waren diese Begegnungen nicht allzu erfreulich verlaufen. Doch auch er umarmte erst seinen Sohn, dann mich, er mochte mich, so viel war klar. Natürlich. Ihr Sohn, soviel war mir bewusst, würde die Matura nicht mit einem Joint feiern, mit ein, zwei Bier vielleicht, aber nicht mit Drogen.

Sein Vater war stolz. So stolz.

Sogar Jakobs Bruder war da, er hatte mich nicht nur einmal aufgefordert, mich von Jakob zu trennen. Doch er wirkte erfreut, freute sich für seinen, soweit ich mich erinnern konnte, eher ungeliebten Bruder, aber erneut sagte ich mir, dass das alles nur eine Illusion war. Also begrüßte ich ihn ebeso herzlich, wie er mich.

Wir setzten uns, die Sonne schien auf meine Haut, ohne sie zu verbrennen, wie sie es in den letzten Monaten gerne getan hatte. Ich lehnte leicht an Jakob, wie am Anfang unserer Beziehung, anstatt mich an ihm abzustützen, als mich sein Bruder bat, ihn zu begleiten.

Wir gingen ein paar Schritte, under erzählte mir von einem Mädchen, er war v e r l i e b t, und er wollte genau so glücklich werden wie Jakob und ich es waren...
 

Etwas knallte. Der Park verschwand, genau wie Jakobs Bruder, genau wie unser angebliches Glück. Ich war wieder Hannah, steckte wieder in ihrem Körper, streckte mich leicht, und blinzelte. Es war dunkel, von unten kamen Stimmen. Bevor ich an Einbrecher dachte, erinnerte ich mich, dass ihre, meine, unsere Eltern heute nach Hause kommen würden. Nach Hause. Das könnte ja interessant werden. a

Ich zog mir einen Morgenmantel über, schlüpfte in ein Paar Socken, die in Reichweite lagen, und machte mich auf den Weg nach unten.

Begräbnis

Auf dem Weg nach unten fielen mir viele Details auf. Die Blumen auf den Socken, die Tatsache, dass sie keine Löcher aufwiesen. Das Treppengeländer, welches tatsächlich aus dem gleichen Holz war wie der Boden. Wie gut hier alles zusammenpasste.

Meine Eltern waren wohl früher zurück gekommen, und mit ihnen der Regen, der mir die letzten Tage als Julia versüßt hatte, als ich Sonnenlicht als persönliche Gemeinheit der Atmosphäre gegen mich empfunden hatte. Nicht einmal Jakobs Vorhänge hatten es abhalten können. Doch die erste Helligkeit breitete sich schon in unserem Garten aus, während in dem Haus noch die Nacht nistete. Ein neuer Tag begann, und ich war noch immer nicht tot.

Eine Frau stürmte auf mich zu, ich hatte ihr Haar, ihre Statur, ihre Augen, war aber größer als sie. Sie umarmte mich, küsste mich, als hätten wir uns drei Monate nicht gesehen, und nicht, wie ich es Hannahs ausgezeichnetem Gedächnis entnahm, sechs Tage. Nach der stürmischen Begrüßung schloss mich auch Hannahs Vater in die Arme, und während sie grob auspackten, machte ich mich an die Dienstagstradition der Murphys, es war der Dienstag, Pancakedienstag, an dem nur Spanisch geredet wurde.

Ich entnahm das Rezept einem abgegriffenen Kochbuch, die Zutaten den gut gefüllten Küchenschränken, und schaffte es nach einigen misslungenen Versuchen tatsächlich, einigermaßen essbare Pancakes zu zaubern. Wir saßen um den Tisch, lachten, aßen, und führten daneben eine lebhafte Konversation, bei der ich mich deutlich besser anstellte als gedacht, auch wenn meine Mutter anmerkte, dass mein Spanisch etwas eingerostet wirkte. Ich schob es auf ihre Abwesenheit.

Mein Vater übernahm es, aufzuräumen, denn Hannah ging jeden Tag in die Schule, auch am Pancakedienstag. Ich hatte diese Angewohnheit vor ein paar Jahren abgelegt wie eine alte Haut, doch für den Fall, dass dieses Leben mehr eine Leihgabe als ein Geschenk war, entschied ich, nicht auch noch dieses zu zerstören.

Es wurde ein überraschend ereignisloser Tag. Die Stunden zogen an mir vorbei, ich hatte noch zwei Jahre abzusitzen, eine Sache, die Hannah und ich gemeinsam hatten, aber sie sah Anwesenheit als verpflichtend und ich als optional an. Naja. Man konnte nicht alles haben.

Marie saß in Französisch neben mir, und ich stellte eine weitere Gemeinsamheit zwischen Hannah und mir fest: wir konnten kein Französisch, auch wenn Marie versuchte, mir alles mögliche zu erklären, jemandem die eigene Muttersprache beizubringen war, wie ich feststellte, furchtbar.

Physik folgte, und dank dem nun vorhandenen Grundwissen war ich nicht furchtbar, saß aber alleine, ohne Marie.

Es ging weiter mit Englisch, dann Deutsch, dann europäische Geschichte, irgendwann war es vorbei, und ich hatte das Gefühl, viel gelernt zu haben, dass ich aber nie brauchen würde.

Marie schrieb mir eine SMS, dass wir uns in zwei Stunden bei ihr treffen würden, französisch lernen, und ich sagte wohl oder übel zu. Für die Zwischenzeit hatte ich andere Pläne.
 

Ich benötigte über eine Stunde um zu Jakobs alter Wohnung zu finden. Normalerweise hatte ich nur drei Stationen mit der Straßenbahn fahren müssen, jetzt erst mit der UBahn, dann mit einem Bus. Irgendwann hatte ich es geschafft, stand in dem dreckigen Eingang, suchte kurz meinen Schlüssel, bis ich herausfand, dass ich keinen mehr hatte. Nun ja. Dann lag es wohl an mir, zu läuten.

Meine Hand schwebte über der Glocke, irgendetwas hielt mich zurück, den Knopf zu drücken. Als ich bemerkte, dass mich eine alte Frau anstarrte, als wäre ich eine Einbrecherin (die dumm genug war zu denken, es gebe hier etwas zu holen), tat ich es doch. Das Summen war vertraut, wie alles, was ich mit dem Gebäude verband. Nach einiger Zeit hörte ich Jakobs Stimme, verschlafen oder verschwommen, ich war nicht sicher, aber es war seine. Vertraut. Was sonst.

"Ja?" Natürlich war mir in meiner überaus klugen Überlegung nicht eingefallen, was zwischen uns passieren würde. Ein freudiges Wiedersehen mit der Freundin im neuen Körper wohl kaum.

"Ist Julia hier?" Es war eine Frage, als hätte ich allzu viele Freundinnen gehabt, aber letztlich war ich die einzige Person, die mein altes ich besser kannte als Jakob.

"Wer sind Sie?" fragte er, überrascht, als hätte er eher erwartet, dass ich mich ausgesperrt hatte, oder eine Handwerkerin war. Dann legte er abrupt auf.

Gerade als ich mich umdrehen wollte, stand er vor mir, in Hemd und Hose, mit ungekämmtem Haar. Kleidung für ein Begräbnis, durchfuhr es mich.

"Warte." Eine Bitte, mehr als eine Aufforderung. Ich drehte mich auf ihn zu, ging ihm nicht entgegen, "Woher kennst du Julia?"

Hannahs Deutsch war akzentiert, eine alte Freundin war also ausgeschlossen, aber ich war noch nie besonders gut in der Schule gewesen, und war auch vor ein, zwei Wochen dort gewesen. Das musste reichen.

"Wir besuchten die gleiche Schule, und sie saß in Englisch neben mir. Wir wollten gemeinsam lernen."

Eine schlechte Lüge, falls ich tatsächlich tot war, war ich wohl oder übel begraben. Zwischen Tod und Auferstehung waren ein paar Tage vergangen. "Sie hat dich ein paar Mal erwähnt. Bist du Jakob?"

Er nickte, und bat mich nach oben. So viele Eindrücke. Seine Schuhe, sorgsam im Vorzimmer aufgeschlichtet, dazwischen zwei Paar von meinen, dunkelrote Sneaker und meine Ballschuhe. Er hatte sie noch nicht weggeworfen. Ich konnte keinen Blick in das Schlafzimmer, welches auch als Wohnzimmer diente, werfen, die Tür war abgesperrt. Er reichte mir einen Becher Kaffee, er war kalt, wofür sich Jakob entschuldigte, genau wie für die Tatsache, dass er weder Milch noch Zucker hatte. Er fragte ob er mich mitnehmen sollte.

"Wohin?"

"Na, zur Beerdigung. Da wolltest du auch hin, oder?"

Aus Zufall hatte ich in Hannahs Kleiderschrank dunkle Hosen und ein schwarzes Top gefunden, und entschieden, diese an jenem Tag zu tragen. Ich musste wohl mitspielen.

"Ja, natürlich. Entschuldige, ich bin durcheinander."

"Meine Eltern sollten gleich da sein, sie sind... sprich einfach nicht zu viel, ja?"

Ich nickte, die Erinnerung an seine Eltern, im Traum wie in der Realität, deutlich im Kopf. Jakob verschwand in seinem viel zu kleinen Badezimmer, während ich an dem kalten Kaffee nippte, und versuchte, mir klar zu machen, dass ich gleich auf eine Beerdigung fahren würde.

Entschuldigung: Auf meine.

Vergangenheit

Es war ihm nicht aufgefallen, dass ich offensichtlich nicht einmal sicher war, ob Julia nun tod war, denn, ehrlich gesagt, wusste ich es auch nicht. Vielleicht wäre ich dann Hannah in ihrem alten Körper gegenüber gestanden. Ich brauchte rasch eine Ausrede, und sie fiel Hannahs nüchternem Gehirn schneller ein als mir. Vielleicht hatte es in der Schule Gerüchte gegeben, und ich wollte mich vergewissern, ob sie stimmten. Ja, das war gut. Auf jeden Fall besser als zu erklären, dass ich eigentlich noch lebte, aber unsicher war, wie das so mit Hannah war.

Ich trank den letzten Schluck vertraut-bitteren Kaffees, und trug die Tasse zum Waschbecken, in dem eine Tasse, zwei Teller und zwei Gläser standen. Jakob hatte keinen Geschirrspüler, er wusch immer mit der Hand ab, aber in den letzten Monaten hatte das größtenteils ich erledigt.

Die Handgriffe erledigte ich schon fast automatisch. Das Wasser wurde erwärmt und eingelassen, Spülmittel hinzu, einen Fetzen nehmen. Normale, vertraute Tätigkeiten. Voller Erinnerungen.
 

Das erste Mal, als ich hier gewesen war. Damals waren Jakob und ich nur befreundet, und nicht einmal das. Eine Freundin von mir, die er manchmal küsste, war auf eine dieser Feiern eingeladen, die wir damals immer besuchten, intim und ruhig, wo alle einander irgendwie kannten, der gleiche Kern kam, zudem auch jene Freundin gehörte, aber die Statisten, wie ich, wechselten häufig. Es lief ab wie immer, es war üblich, einige Flaschen Bier oder Wein mitzubringen, die eine nahm auch einmal Haschisch mit, der andere dann wieder ein paar Gramm Gras, etwas stärkeres gab es damals noch nicht für uns, schon das Haschisch behandelten wir, als wäre es Heroin.

Von Jakob wusste ich nicht viel, nur von meiner Freundin, dass er gut küssen konnte, und eben alleine wohnte, seit kurzem erst. Es war für sie üblich, sich zu verspäten, also war ich nicht weiter überrascht, und wartete bei der Straßenbahnstation auf sie. Als der Regen einsetzte, machte ich mich allein auf den Weg, vorbei an den hohen Häusern, die in mir kein besonderes Gefühl auslösten. Ich wohnte selbst in so einem. Damals.

Ein Freund Jakobs, Nick, ließ mich ein, als ich angekommen war. Er nahm mir die feuchte Jacke und die Weißweinflasche ab, lotste mich ins Wohnzimmer, in dem noch andere waren, einige aus der Hauptgruppe, Tim, Anne, Katharina und wie sie sonst noch hießen. Jakob war ein Statist, hielt sich für mich den ganzen Abend im Hintergrund. Er wäre mir nicht weiter aufgefallen, und der Abend verlief unspektakulär. Nick hatte mir einmal zu oft nachgeschenkt, und meine Erinnerungen an die Nacht waren verschowommen. Ich erinnerte mich noch, dass er meine Freundin geküsst hatte und sie in seinen Armen eingeschlafen war.

Am nächsten Morgen war sie verschwunden, genau so wie die anderen, außer Nick und Jakob, die ich in der Küche fand. Anstatt gleich zu gehen, saßen wir lange Zeit gemeinsam um den kleinen Tisch, lasen Zeitung, tranken Kaffee und diskutierten endlos über die Artikel, die Welt und unsere Freunde.

Als ich am frühen Nachmittag ging, weinte der Himmel. Es kam zu weiteren Treffen mit Freunden, bis wir überhaupt unsere Telefonnummern austauschten. Jener Abend war nur deshalb besonders, weil er der erste gewesen war, an dem sich Jakob für mich langsam in den Vordergrund gedrängt hatte. Ein paar Stunden voller Glück. Die ersten.
 

Anstatt nur meine Tasse abzuwaschen, wie es sich vielleicht für eine höfliche, allein gelassene Besucherin schickte, erledigten die Hände die Handgriffe automatisch. Es hatte eine Zeit gegeben, vor etwa anderthalb Jahren, in der es Jakob schlecht gegangen war. Nich tkörperlich, er hatte es an manchen Tagen einfach nicht geschafft, außer Haus zu gehen, und falls er es doch geschafft hatte, kam er nach Hause und spülte Schmerzmittel mit Alkohol hinunter. Das Gleiche tat er nachts mit Schlafmitteln, es war der einzige Weg, ihm einen halbwegs ruhigen Schlaf zu ermöglichen, aus dem er nicht aufschreckte. Niemand wusste so genau warum, aber Jakob war ohnehin noch nie eine Person gewesen, die sich leicht einschätzen ließ. Er war ab und zu zu einem Arzt gegangen, der ihm Schmerzmittel verschrieben hatte, und ein, zwei Mal auf das Drängen seines Bruders zu einem anderen, der seine Sucht untersuchen sollte. Irgendwann hatte er es aufgegeben.

Er hatte versucht, dies vor mir zu verbergen, aber auch wenn ich damals noch ab und zu daheim geschlafen hatte, war es mir aufgefallen. Ich hatte viel Zeit mit ihm verbracht.

Wir haben uns nie gestritten, nie wirklich. Nur immer gegangen. Weder Jakob noch ich hatten gerne unsere Stimme erhoben. Er tastete nach meiner Hand, ich lehnte an seiner Schulter. So versöhnten wir uns wieder. So simpel.

An manchen Tagen hatte sich das Geschirr gestapelt, als ich zu Jakob gekommen war. Ich hatte es abgewaschen.

Auch als Jakob sich wieder gefangen hatte, spülte ich wieder ab. Sogar, als es mit mir bergab ging, versuchte ich, es so oft wie möglich zu erledigen. Gewohnheit.
 

Mit einem herumliegenden Tuch trocknete ich die Gläser ab. Im Glascontainer standen einige leere Flaschen, größtenteils Zeug, dass wir kaum bis nie angerührt hatten, Vodka, Whiskey, Schnaps, sogar eine Flasche, von der ich mir ziemlich sicher war, dass wir darin Absinth aufbewahrt hatten. Aber Jakob hatte nüchtern gewirkt. Vielleicht hatte er ausgerechnet, wie lange er trocken bleiben musste, um mich nicht zu enttäuschen oder zu blamieren.

Es roch schwach nach Rauch, und nicht nach dem, den man von Zigaretten roch. Es überraschte mich ehrlich gesagt nicht, weder Jakob noch Julia waren in den letzten Jahren allzu nüchtern gewesen. Oh nein. Ich begann, von mir selbst in der dritten Person zu sprechen. Ich begann, mich zu verlieren, und mich gleichzeitig an etwas beunruhigendes zu erinnern.
 

Als ich jünger war, hatte ich mir oft überlegt, wer wohl zu meiner Beerdigung kommen würde. Wer weinen würde. Wer die Lippen aufeinander pressen würde, weil es ihnen zu peinlich war. Wer nur da war, weil sie gezwungen wurden.

In welchem Sarg ich liegen würde. Ob er offen sein würde, oder geschlossen. Ob Bäume neben meinem Grab stehen würden, oder Steine. Welches Kleid man mir anziehen würde.

Wer trinken würde. Wer nichts essen könnte. Wer sich streiten würde. Wer wen trösten. Es gab so viele Fragen.
 

Das vertraute Geräusch der sich öffnenden Badezimmertüre machte mir klar, dass ich drauf und dran war, es zu erfahren.

Simon

Jakob trat ein, und murmelte etwas vonwegen, dass ich nun wirklich nicht hätte abwaschen müssen. Weitere Ausführungen wurden unterbrochen, sein Handy läutete. Radioheads Bulletproof hatte die Killers abgelöst. Klingeltöne. Details. Erinnerungen. Nun nutzlos. Wenn ich mehr Zeit mit Jakob verbringen wollte, egal, wie ich das anstellen würde, musste ich ihn ohnehin noch einmal kennen lernen. Die Frage, ob das schlau wäre, stellte ich mir nicht.
 

An seiner Mimik konnte ich ablesen, dass es eines seiner Familienmitglieder war, das auf ihn einsprach. Er blieb wortkarg, wie eigentlich immer wenn er mit ihnen sprach. Ich bekam noch die Verabschiedung mit.

„Gut. Ich komme. Eine Freundin Julias begleitet mich.“ Er legte auf und nickte mir zu. „Mein Bruder ist da, meine Eltern sind... verhindert. Aber er fährt uns.“
 

Flüchtige Erinnerungen an Jakobs Bruder mahnten mich daran, nicht allzu sehr über die Tatsache erfreut zu sein, Jakobs Eltern zu entgehen.

Seine Mutter war unglaublich kalt, sie hatte mich nie gemocht. Meine Kleidung war zu nachlässig, meine Noten zu schlecht, ich war zu oft bei ihrem Sohn, lenkte ihn ab. Ich war für sie an dem Weg ihres Sohnes schuld, der, anstatt erst die Matura, dann ein Studium an der Wirtschaftsuniversität abzuschließen und ein Praktikum in ihrem Unternehmen zu absolvieren, um sich dann vom mittleren in das höhere Managment hochzuarbeiten, lieber eine Lehre zum Maler machte.

Sein Vater teilte die Kritik seiner Frau, mit der er eine von Hass und Kälte durchzogene Beziehung führte. Er leitete den asiatischen Teil des Unternehmens seiner Frau und war selten im Land. Mit Jakob hatte er sich noch nie anfreunden können, außerdem gab es zu viele Gerüchte, dass dieser aus einer Affäre entstanden war. Ob es stimmte, wusste ich nicht.

Aber zu ihrem Glück hatte Jakob noch einen kleinen Bruder, Simon, der etwas älter als ich war. Er entsprach mehr dem Bild der Eltern, war klug, rauchte selten, nahm keine Drogen, trank nur an Wochenenden, hatte erst eine Freundin gehabt, so reich und arrogant wie er selbst. Offenbar hatte er jetzt auch einen Führerschein. Ich bezweifelte, dass Jakobs Eltern einen Chauffeur senden würden, um ihn zu meinem Begräbnis zu fahren.
 

Jakob signalisierte mir, dass ich meine Schuhe holen sollte. Unangemessen hellblau. Aber abgesehen davon, dass er sie nicht anbot, waren Hannahs Füße zwei Nummern zu groß für Julias hohe, schwarze Schuhe. Eine Tatsache, die ich nicht verneinen konnte. Größere Füße hatten den Vorteil, dass man leichter Halt fand und sich das Gewicht auf ihnen besser verteilte, aber den Nachteil, dass sie nicht so grazil wirkten. Abgesehen davon waren sie schlicht irritierend.

Also schlüpfte ich in meine hellen Sneaker und verließ die Wohnung, die Jakob hinter mir sorgfältig zusperrte. Wir fuhren schweigend hinunter.
 

Simon und ich hatten bisher wenige Berührungspunkte gehabt. Zwar hatten wir uns einige Male gesehen, er war ab und zu bei den kleinen Feiern aufgetaucht, oft in der Begleitung von Mädchen, von denen seine Eltern nichts wussten, oder auch von seinen Freunden, alle ähnlich elitär wie er, und ähnlich unsympathisch. Es überraschte mich also nicht, dass sein poliertes Auto aussah, als wäre es aus einer anderen, besseren Welt zu den tristen Gemeindebauten geflogen. Eine vage Erinnerung, dass er im Mai geboren war. Ein Auto zum Geburtstag, das vermutlich mehr kostete, als Hannahs Eltern in einem Jahr verdienten. Und sie verdienten, im Vergleich zu Julias, verdammt, meinen, gut.
 

Jakob hielt mir nicht die Tür auf, aber das hätte wohl einen falschen Eindruck hinterlassen. Simon nickte mir zu, und wandte sich an seinen Bruder.
 

„Sie wirkt nicht wie eine Freundin Julias.“

Nun, das stimmte. Wie schon erwähnt, unterschied sich Hannahs Leben von meinem alten... drastisch. Und auch ihr Aussehen.

Jakob zuckte nur mit den Schultern und erkundigte sich nach dem Befinden seines Bruders. Sie unterhielten sich, höflich, wie es Brüder wohl taten, wenn sie sich lange nicht sahen. Es war nicht so, dass sie sich hassten. Sie waren sich nur schon immer aus dem Weg gegangen.
 

Das Auto glitt lautlos durch den Wiener Verkehr, Simon nahm Wege, die nicht verstopft waren. Erst als wir am Friedhof angekommen waren, bemerkte ich, dass ihm die ganze Zeit die beste Route angezeigt worden war. Ein weiteres Detail. Unwichtig. Ich wischte es zur Seite.
 

„Kommst du mit?“ fragte Jakob seinen Bruder, und kurz erinnerte ich mich, dass es wohl eher unwarscheinlich war, dass er zusagte. Doch ich spürte Simons Blick auf mir, und hörte seine Zustimmung. Ob er etwas ahnte?
 

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Wir gingen lange über den Friedhof, bis wir bei einem offenen Grab ankamen. Zu spät. Mein Vater hob nicht einmal den Kopf, meine Mutter war nicht da. Irgendjemand reichte mir eine Trauerkarte, mit meinem Geburtsdatum, dem meines Todes, einem lächelnden Bild von mir, etwa drei Jahre alt. Ich hatte mich seitdem sehr verändert. Okay, von Veränderungen sollte ich in Hannahs Körper nun wirklich nicht sprechen.
 

Die Leute,] die ich erblickte, waren mir alle mehr oder weniger bekannt. Jakob ging auf Nick und die üblichen Verdächtigen zu, die in einer Ecke standen, betroffen, aber nicht weinend. Außer Jakob vielleicht. Er lehnte an Nick, der ihm ein Taschentuch reichte. Er weinte dann doch nicht. Seine Züge wirkten starr.
 

Ich fühlte mich fehl am Platz. Meine ehemaligen Mitschülerinnen standen zusammen, dann einige meiner männlichen Bekanntschaften, meine alten Freunde, meine Lerngruppe, meine Cousinen und Cousins, eine meiner Tanten, zwei Onkel. Hannah gehörte nirgends dazu.
 

Aus Hannahs Gedächnis entnahm ich ein katholisches Gebet. Keine von uns war gläubig, aber ich sprach es leise, und drehte mich um, entfernte mich. Eindringling.
 

Ich nahm auf einer nahen Bank Platz, sehnte mich nach einer Zigarette, auch wenn Hannahs Körper widerstrebte. Die Augen wurden geschlossen, es war alles zu viel. Zu viel. Mir wurde übel.
 

Der vertraute Geruch von verbranntem Tabak stieg mir in die Nase. Simon. Er reichte mir eine Zigarette, ohne zu fragen, ob ich sie wollte. Er war so. Schon immer gewesen. Arrogant und glatt, egal in welchem Körper ich ihm begegnet war.
 

Hannahs Lunge war den Rauch nicht gewöhnt, aber ich schaffte es, nicht zu husten. Simon musterte mich. Er wirkte nicht überzeugt von mir, versuchte, mich einzuschätzen. Wir saßen lange neben einander, schwiegen. Es war seltsam. Aber ich wollte nicht gehen. Bis Jakob kam und wir ebenso wortlos zum Auto zurück gingen. Simon brachte Jakob nach Hause, und ich setzte mich nach vorne, um Simon den Weg zu Hannah erklären. Er hatte sich zum Glück in mein Gedächnis gebrannt.
 

Doch er sah mir in die Augen, anstatt los zu fahren, grün traf braun.

„Willst du wirklich schon nach Hause, Hannah?“

Ich kannte Simons Ruf. Ich wusste auch, dass Hannah vermutlich nach Hause gegangen wäre.
 

Aber genau das war es ja: Ich war nicht Hannah. Ich würde sie nie sein. Und ihr Leben zu meinem machen müssen.

Ein Wort. Vier Buchstaben. „Nein.“

Eine kurze Nachricht an Marie, dass ich auf meinen Bruder aufpassen musste, und morgen lernen würde. Egal, ob es temporär oder permanent war: gerade war dieses Leben meines.
 

Simon stieg auf die Kupplung, fuhr los, und wir verschwanden.
 

Der falsche Bruder. Das falsche Leben.

Es war ohnehin unmöglich, alles richtig zu machen.

Lysergsäurediethylamid

Das Auto glitt still durch den Verkehr. Es war ein Wochentag, aber die Straßen Wiens waren nie ruhig. Simon sprach nicht viel, wir hörten Musik, die aus seinen Boxen schallten, unähnlich Jakobs, welcher ein Faible für Radiohead und alternative Musik hatte, auch wenn sich immer wieder Elemente davon in Simons Musik fanden. Die Brüder waren sich ähnlicher, als sie zugeben würden. So wie ich mich meinem alten Selbst mehr und mehr annäherte. Unklug. Aber Julia war nie durch Klugheit aufgefallen.

„Woher kennst du Julia?“ fragte Simon, und ich brauchte einige Zeit, um zu verstehen, dass ich gemeint war. Ich musste wohl bei meiner Lüge bleiben.

„Aus der Schule.“ erwiderte ich.

„Natürlich.“ Seine Lippen kräuselten sich spöttisch. Ich hob fragend eine Augenbraue.

„Als du dein Handy aus der Tasche geholt hast, habe ich deine Bücher gesehen. Julia hatte weder Physik noch Chemie, ihr Schwerpunkt lag auf Kunst... und vor allem wurde sie auf Deutsch unterrichtet. Du gehst auf die International, oder?“

Mein Schweigen reichte ihm wohl als Antwort. Simon wurde oft unterschätzt, einen Fehler, den ich ebenfalls begangen hatte. Aber er stellte keine weiteren Fragen, und steuerte anstelle dieser sein Auto in eine Parklücke. Sein Blick traf mich.

„Also, Hannah, falls das überhaupt dein richtiger Name ist... lass uns Spaß haben.“ Ich starrte zurück, wollte meinen Rucksack schultern, doch er bedeutete mir, diesen im Auto zu lassen. Spaß nach Simons Vorstellungen. Ich hatte keine Ahnung, was mich erwartete. Aber sowohl Hannah als auch mir würde etwas Abwechslung nicht schaden.

Ich stieg aus, und erkannte die Gegend. Hier gab es viele Bars, aber sie waren teuer. Ich war erst einmal in einer gewesen, und hatte mir kaum ein Getränk leisten können. Später waren wir ohnehin auf private Feiern umgestiegen. Doch das war Simons Welt.

Wir steuerten auf eine Tür zu, neben dem Eingang stand deutlich „Einlass nur nach der Vollendung des 17. Lebensjahres“, aber ein Nicken von Simon reichte, um den Türsteher dazu zu bringen, uns die Tür zu öffnen.

Wir gingen durch einen Ruhebereich, an einer Tanzfläche vorbei, und durch eine Tür, auf der „Privat“ stand. Dahinter trafen wir auf Simons Freunde, etwa zehn waren anwesend. Sie begrüßten ihn, nickten mir zu. Ich war das einzige Mädchen, gab mir aber Mühe, unbeeindruckt auszusehen. Hannah hätte wohl auf dem Absatz kehrt gemacht, aber ihr Verstand geisterte wohl irgendwo in der Atmosphäre herum, also nahm ich darauf keine Rücksicht mehr.

Je weiter der Abend fortschritt, umso mehr bröckelte mein Bild von Simon. Eine junge Kellnerin brachte zwölf kleine Tabletts, genau abgezählt. Auf ihnen befanden sich ein kleines Glas mit einer klaren Flüssigkeit, wohl Vodka, ein größeres, mit einer ebenfalls klaren, aber geruchsneutralen Flüssigkeit, Wasser, wie ich feststellte, und ein winziges, mit einer dritten, klaren Flüssigkeit. Flüssiges LSD, wie ich es vor etwa zwei Jahren das erste Mal probiert hatte.

Hannah hatte noch nie Drogen genommen, und ich hatte keine Ahnung, wie sie darauf reagieren würde. Als Simon und seine Freunde nach dem Glas mit Vodka griffen, tat ich es ihnen gleich. Ein Schluck Vodka. Ein Schluck Wasser. Einige Tropfen LSD. Noch mehr Wasser.
 

Alles verschwamm. Die Bilder an der Wand begannen sich zu bewegen. Die Farben verliefen in einander, in meinem Bauch breitete sich ein Glücksgefühl aus. Alle Farben wurden sanft, der Raum begann sich zu drehen. Ich wusste nicht, wie lange es schon so anhielt, nur irgendwann spürte ich Simons Hand in meiner, aus der Berührung sprossen abstrakte Blumen. Er zog mich hoch, und wir gingen drei Stunden lang nach draußen. Es war noch immer dunkel, als wir dort ankamen, aber mein Zeitgefühl hatte sich zu Hannah gesellt. Simon zog mich auf die Ladefläche eines Autos, und wir verschwanden in die Nacht.
 

Es war hell und warm als ich erwachte. Wir befanden uns auf einer Lichtung, ich lag auf einer Decke, ein bemooster Stein diente als Kopfpolster, Simon Rücken als Decke. Wir lagen von einander abgewandt in der Sonne, seine Freunde, die nun wohl auch irgendwie meine waren, auf der Lichtung verstreut, meine Hand mit der des Nächstliegenden verflochten.

Ich bewegte mich leicht, wodurch Simon aufwachte. Nach und nach setzten sich alle Begleiter Simons auf, einer holte Wasser hervor, und wir tranken.

„Wie geht es dir?“ fragte mich einer, Jesaia, falls ich mich richtig erinnerte. Ich nickte, es ging mir gut. Sehr gut. Der Vorteil an reichen Begleitern war, dass sie sich reine Drogen leisteten.

Ein Mädchen kletterte aus dem Auto, sie war wohl gestern gefahren, und unterhielt sich leise mit Simon. Irgendetwas an ihr irritierte mich. Sobald ich sie ansah, fühlte ich ein Ziehen in der Magengegend, welches wohl kaum vom Hunger kam. Aber sie schenkte mir keine Beachtung.

Die Decken wurden zusammen gefaltet und auf die Ladefläche geworfen, ich erinnerte mich,dass wir mit dem Auto hergekommen waren. Wir kletterten ebenfalls auf das Fahrzeug, welches sich daraufhin langsam in Bewegung setzte. Der Wald ruckelte an uns vorbei, aus einer Tasche wurden Brot, Buttermilch und Beeren geholt. Ein einfaches Frühstück begann.
 

Etwa eine Stunde später erreichten wir im Schneckentempo Wien, dann Simons Auto. Ich überließ Jesaia den Beifahrersitz, und setzte mich auf die Rückbank. Mein Handy läutete, als Simon vorsichtig ausparkte und sich auf den Weg zu Jesaias Haus machte, welcher mir meinen Rucksack nach hinten reichte. Meine Mutter versuchte offenbar schon länger, mich zu erreichen, es war bereits nach Mittag. Ich wurde bleich, bat Simon, mich zuerst nach Hause zu bringen. Jesaia gab mir seine Telefonnummer, ich schickte ihm eine Nachricht, dass er auch meine hatte. Simon starrte auf die Straße, konzentriert. Die Nacht saß ihm wohl noch in den Knochen. Er ließ mich an meiner Bushaltestelle aussteigen, ich bedankte mich. Ein kurzer Abschied folgte. Ich trottete in Richtung meines Hauses, an der Ausrede arbeitend, welche ich meiner Mutter erzählen würde, sollte Marie angerufen haben, und meine Lüge, dass ich bei ihr schlafen würde, widerlegt haben. Als ich heim kam, war niemand daheim. Ich versuchte, meine Eltern zu erreichen, aber bei beiden wurde ich direkt an den Anrufbeantworter weitergeleitet. Auf dem Küchentisch lag ein Zettel, dass sie dringend ins Ausland mussten, und Jarov noch einige Zeit bei unserer Großmutter bleiben würde. Beruhigt sank ich auf die Couch, und rief Marie an, um sie zu fragen, was ich in der Schule verpasst hatte. Sie versprach, in einer Stunde vorbei zu kommen.
 

Selbst wenn Hannahs Eltern nichts ahnten, wurde es vermutlich sehr viel schwerer, Hannahs beste Freundin zu belügen. Und während ich die Möglichkeiten durchging, entschied ich mich für die leichteste Variante: Ich würde Marie schlicht die Wahrheit erzählen.

Vertrauen

Eine Stunde konnte kurz und lang sein. Ich beeilte mich, mir Zeit zu lassen, und stieg unter die Dusche, um den Geruch von Wald, Rauch und Simons Parfum von mir zu waschen. Er wurde von dem künstlichen Vanillegeruch des Duschgels und dem sauberen Kräuterduft des Shampoos verdrängt.

Die ebenmäßigen Zähne wurden geputzt, das nasse Haar ausgekämmt und in ein Handtuch gewickelt. Zwei Blätter segelten zu Boden. Ich warf sie weg.

Aus Hannahs Kleiderschank entnahm ich lockere, dunkle Jeans, gepunktete Socken und ein weites Hemd, an welchem noch der Geruch ihrer Exfreundin hing.

Erinnerungen brachen hervor. Flüchtige Berühurngen. Sanfte Küsse. Hannah, die ihre F r e u n d i n küsste. Die ihr das Herz gebrochen hatte, von dem eine Hälfte unwiederbringlich ihr gehörte. Ich hatte die Erinnerung an ihre Trennung nie angesehen, ich hatte zu viel Angst davor, sie war die letzte, private Barriere, die Hannah vor mir verbarg.

Die Momente danach kam en ungefragt an die Oberfläche. Hannah, die Jacke aufhängend, die Jarov, ihren kleinen Bruder, herumwirbelte, als er die Treppe herunter kam um sie zu begrüßen, und dann zu weinen begann, mit ihm tonnenweise Schokolade aß, aus seinen Geheimvorrat, in seinem Stockbett, als er von ihrer Trennung erfahren hatte. Ihre Eltern, die die Beziehung nie wirklich bemerkt oder verstanden hatten. Ihre Großmutter, die sie wissen ließ, dass sie nun wieder bei ihr willkommen war, und Hannah, die das Angebot stolz ablehnte.

Ich löste das Handtuch und schüttelte das lange Haar aus, holte die Zeitung aus dem Briefkasten und las unruhig, wartend.

Endlich kam Marie, und während ich zur Tür ging, wünschte ich, sie würde wieder gehen. Es klang einfach zu verrückt. Ich bat sie trotzdem herein.

Sie bewegte sich, als würde sie hier wohne, kickte die Schuhe in die Ecke, in der meine auch lagen, hängte die Jacke an einem Kleiderbügel auf, die sie trotz der warmen Temperaturen trug,

Wir setzten uns mit Kaffee und Zitronenwasser in den Garten, redeten, erst Smalltalk. Dann fragte Marie, wo ich eigentlich gewesen war, anstatt in die Schule zu kommen. Ich sah in die Bäume.

„Warst du mit jemanden unterwegs? Sag schon!“

„Sozusagen.“

„Also..?“

Ich nippte an meinem Kaffee, erinnerte mich, als ich ihr gebeichtet hatte, dass ich eine Freundin hatte. Als sie mir geschworen hatte, dass ich ihr alles erzählen konnte. Alles.

„Weißt du noch als ich dir von meiner Freundin erzählt habe?“ Sie nickte. „Ich kann dir alles erzählen, richtig? Egal was?“

„Du machst mir Angst.“ erwiderte sie, besorgt, legte die schöne Stirn in Falten.

„Fühlst du dich manchmal, als wärst du in einem falschen Leben gefangen, Marie? Als würdest du gar nicht hierher gehören?“

Sie hörte konzentrierter zu,als ich gehofft hatte. Sie war mit Hannah zu gut befreundet, als dass es sie nicht interessieren würde.

„Ich gehöre hier nicht wirklich her, Hannah, du auch nicht. Wir sprechen die Sprache zu schlecht.“ Marie spielte auf eine unerfreuliche Begegnung mit Jugendlichen an, die sich an unseren Akzenten gestoßen hatten. Aber ich schüttelte den Kopf.

„So, als würdest du ein anderes Leben leben. Das von jemand anderem.“

„Bist du adoptiert?“

„Nein, Marie.“ Ich sah sie an, dunkle Augen trafen blau. Ruhe auf Besorgnis.

„Ich bin tot.“

Marie dachte nach, der Satz schien für sie keinen Sinn zu ergeben.

„Nimmst du Drogen?“

Ich schüttelte den Kopf, auch, wenn ich es letzte Nacht getan hatte. Die Drogen waren kein Problem, zumindest noch nicht.

„Wo war ich in der Zeit zwischen zweitem und achten Juni?“ fragte ich sie, und sie schien sich nicht erinnern zu können.

„Es ist, als wäre alles wie immer gewesen, aber ich kann mich nicht... ich habe kein Bild vor Augen, ich weiß nicht, über was wir geredet haben, was du gegessen hast, ob irgendetwas besonderes passiert ist. Aber du warst da, da bin ich mir sicher... glaube ich.“ Marie schien nach und nach die Tiefe der Ereignisse zu begreifen. Ich auch. Hannahs Eltern waren verreist, sie würden Veränderungen sofort bemerken, so gewann ich Zeit, mich an mein neues Leben zu gewöhnen. Und Marie... sie sollte mir wohl dabei helfen.

„Ich bin am zweiten Juni gestorben.“ sagte ich, mehr zu mir selbst als zu Marie.

„Davor... davor war ich Julia Maurer. Aber ich bin tot. Siehst du? Es steht in der Zeitung!“

Ich stand auf, holte den Artikel, den ich sorgsam zwischen meinen Büchern versteckt hatte, zeigte ihn einer versteinerten Marie, deren beste Freundin gerade den Verstand verloren hatte.

Sie las, stumm, aber verstand noch immer nicht.

„Ich bin einfach als Hannah aufgewacht. Ich war nie weg... und gestern, da war ich auf meinem Begräbnis...“

Maries Augen weiteten sich, und sie begann, Fragen zu stellen.

„Mit wem?“

„Meinem... Julias Freund, und seinem Bruder. Der mich jetzt mag, aber der mich nie ausstehen konnte.“

„Wie war es?“

„Seltsam. Niemand hat geweint.“

„Auch deine Eltern nicht?“

Kopfschütteln.

„Kannst du dich an alles erinnern, an das sich Hannah erinnern kann?“

Nicken.

„Weißt du auch noch, was du als Julia gelernt hast?“

„Ich habe nie besonders viel gelernt. In der Schule war ich nie besonders gut, und ansonsten... aber ich konnte gut diskutieren. Ich war beliebt.“

„Fehlen dir deine Freundinnen?“

„Die habe ich alle lange nicht mehr gesehen.“

„Liebst du deinen Freund noch?“

„Es ist anders.“

„Warum?“

„Ich war drogensüchtig. Er nimmt auch welche. Noch mehr als früher, glaube ich.“

„Oh...“

„Ich bin irgendwie immer noch abhängig. Aber anders. Abgesehen davon... er liebt Julia noch. Oder, das, was er für sie empfand, hat sich nicht geändert.“

Ein kurzer, schmerzhafter Stich in der Brust erinnerte mich daran, dass auch Jakobs und meine Beziehung nicht perfekt gewesen war, und fragil wie alles in meinem Leben.
 

Es dauerte noch, bis ich Marie nach und nach davon überzeugen konnte, dass ich nicht verrückt war, und noch länger, ihre zahllosen Fragen zu beantworten. Aber so richtig gelang mir das auch nicht. Bis sie schließlich die Frage stellte, die ich mir ebenfalls seit meiner Auferstehung stellte:

„Okay, Hannah... Julia... wie soll ich dich jetzt überhaupt nennen? Sollte das stimmen, und du mir keinen Streich spielen... wo ist dann die echte Hannah?“

Mein Mut reichte nicht, um in Maries Augen zu schauen, als ich die nächsten vier Worte aussprach.

„Ich weiß es nicht.“

ein Anfang

Die Tage vergingen, und ich hatte langsam das Gefühl, ich würde in meinem neuen, alten Leben ankommen. Ich schaffte es, die meisten Prüfungen zu bestehen, und unternahm nach wie vor viel mit Marie, auch wenn sie seltsam misstrauisch mir gegenüber geworden war- etwas, das ich ihr nicht übel nahm.

Jesaia, Simon und ich freundeten uns während der Zeit vorsichtig an, und wir trafen uns ab und zu, um abends an der Donau zu sitzen, Radler zu trinken und mehr über uns zu erfahren. Von Jakob hörte ich nichts mehr.

In der Schule begann ich, von Hannahs unglaublicher Aufmerksamkeit zu profitieren, ihr entging nichts. Wirklich nichts, kein Satz, keine Fußnote, keine Formel. Aber auch nicht die abfälligen Blicke ihrer Mitschülerinnen.

Irgendwann bat ich Marie, mit mir einkaufen zu gehen, und erklärte meinen Eltern, die mit dem Gedanken spielten, wieder nach Argentinien zu gehen, und jetzt häufig dort waren, mein Vorhaben, als sie in der Stadt waren. Meine Mutter bot sofort an, mit mir zu gehen, aber ich wies dezent darauf hin, dass ich Maries Gesellschaft bevorzugen würde. Sie willigte ein und gab mir Geld.

Meine neue, alte, beste Freundin und ich schafften zwei Säcke voll Kleidung zu einem Flüchtlingswohnheim, um Hannahs Anpassung an mir wenigstens einen sinnvollen Anstrich zu geben, und ergründeten die zahllosen Möglichkeiten, die Wien bot.

In einem Second-Hand-Shop fanden wir billige T-Shirts, in einem Outlet Röcke, in einer Boutique reduzierten Schmuck, in einem Ausverkauf Schuhe, und schließlich war meine Garderobe um einige Töne ausgedunkelt, hatte hier und da Löcher bekommen, und war auch tauglich, um fort zu gehen. Alte Stücke wurde mit neuen gemischt, und als ich am nächsten Tag in die Schule ging, hatte ich das Gefühl, irgendeinen gesellschaftlichen Test bestanden zu haben.

Am gleichen Abend rief Jesaia an, und fragte, ob ich mitkommen wollte, er und Simon würden etwas trinken gehen. Ich nahm gerne an.
 

Es war spät, als wir in Simons geheimer Wohnung ankamen, die er wohl von seinem Taschengeld bezahlte. Eigentlich interessierte es mich nicht. Er hatte Geld. Er zahlte. Ich war müde.

Aus einem Bier waren schnell mehrere Drinks geworden, und Simon hatte mir angeboten, ich könnte bei ihm übernachten, da ich mir so den langen Heimweg sparte.

Ich gähnte. Meine Eltern würden früher oder später bemerken, dass ich so häufig nicht daheim war wie vor, nun ja, ein paar Wochen, aber dafür hatte ich gerade keinen Kopf. Ich war betrunken, sehr, aber noch immer nüchtern, im Vergleich zu Simon und Jesaia zumindest. Letzterer torkelte zum Lift, drückte den Knopf und zog mich zu sich, lehnte sich zu mir, und flüsterte, als wäre es ein Geheimnis, dass Simon nie erfahren durfte: „Wir müssen leise sein, die Nachbarn mögen keine lauten Rich Kids die im Morgengrauen heimkommen.“

Morgengrauen war übertrieben, ich schätzte es auf drei Uhr. Etwas unbeholfen tippte ich die Adresse in mein Handy ein, und rechnete aus, dass ich spätestens um halb sieben aufstehen musste, um pünktlich zur Schule zu kommen. Meine Kleidung roch nach Rauch, aber erfahrungsgemäß merkten die meisten Mitschüler das ohnehin nicht, und jene, die es bemerkten, würden mich für eine Raucherin halten, nicht mehr.

Während ich meinen Begleitern die schlechte Nachricht meines baldigen Abschieds verkündete fuhren wir nach oben. Erst jetzt fielen mir Details auf. Es war ein Altbau. Simon sperrte auf, eine hohe, weiße Tür, schmal und hölzern. Eine stumme Führung folgte- Badezimmer, Wohnzimmer, in dem eine Matratze lag, mein Bett für die nächsten drei Stunden, eine kleine Küche, ein Schlafzimmer, mit einem großen Bett, welches sich Simon und Jesaia teilten.

Ich wurde gebeten, die beiden nicht aufzuwecken, sie hatten am nächsten Tag die ersten zwei Stunden frei. Sie gaben mir eine Decke und zogen sich zurück.

Doch der Schlaf blieb fern. So bequem ich lag, so angenehm die Brise war, die durch das offene Fenster hereinkam, so ungewöhnlich ruhig es war, so sah ich immer wieder Hannah vor mir. Nicht ihr Gesicht, welches nun mir gehörte, sondern die Idee, die ich von ihr hatte.

Meine Erinnerungen brachten ungefragt Szenen mit Marie hervor. Wie Hannah wieder umgezogen war, wieder die Schule gewechselt hatte, und dann auch noch mit der flatterhaften Marie zusammenarbeiten musste, die so anders war, und Hannah ohne weitere Fragen in ihr Herz schloss, ihr alles zeigte, alles mit ihr teilte, ihre Freundinnen, ihre Sprache und ihren Tee. Maries Eltern, die fast nie da waren, Marie, die von Hannahs Eltern ebenso herzlich aufgenommen wurde wie Hannah von ihr.

Es blieb nicht bei den schönen Erinnerungen. Mitschülerinnen, die fragten, warum Hannah ein Gay Pride Armband trug, und sich abwandten. Eine Großmutter, die erst wieder mit ihrer Enkelin sprechen wollte, wenn sie normal wäre. Eltern, die selten da waren. Der häufige Wohnortwechsel. Alkoholvergiftungen. Die lagen nicht einmal weit zurück. Eine Flasche, der Donaukanal, Marie. Liebeskummer. Mehr brauchte es nicht.

Hannah hatte es trotzdem geschafft, glücklich zu bleiben. Etwas zumindest. Eine flüchtige Erinnerung an die Pride Parade im letzten Jahr, einige Monat nachdem sie nach Wien gezogen war, ein Mädchen, mit dem sie den Abend verbracht hatte, als ihr einziger Begleiter zum Speeddating gegangen war. Die Offenheit dort, die Stunden voller Glück.

So sehr mich die Erinnerungen faszinierten, ich konnte nicht schlafen. Und ich brauchte Schlaf: ich hatte noch zwei Stunden, bis ich gehen musste. Am nächsten Tag hatte ich eine Prüfung, die erste, für die ich vollkommen selbst lernen musste, ich hatte gedacht, der Abend würde nicht so lange dauern, und gehofft, dass ich daheim schlafen würde. Aber das stand ohnehin nicht mehr zur Debatte. Es war Biologie, die chemische Wirkung von Drogen auf das Gehirn. Das würde ich wohl noch hinbekommen. Mit etwas Ruhe.

Aber daraus wurde nichts. Ich döste immer wieder ein, aber ich kam nicht zum Schlaf. Um fünf gab ich mich geschlagen, das Zimmer war bereits hell erleuchtet.

Langsam zog ich mir meine Weste über, fuhr mir ein paar Mal durch das wirre Haar, entwirrte ein paar widerspenstige Strähnen, flocht das Haar, so gut es ging, steckte mir einen Kaugummi in den Mund, und zog leise die Schuhe an. Vorsichtig öffnete ich die Tür, um Jesaia und Simon nicht zu wecken, und wollte sie schließen. Es funktionierte nicht. Simon hatte eine Tür, die einen davor schützte, sich aus Versehen auszusperren, sollte man sie offen lassen und sie aufgrund von Zugluft zufallen. Ich fluchte stumm, versuchte es noch einmal. Ich hatte keinen Erfolg.

Auf Zehenspitzen schlich ich in das Schlafzimmer, wo sie lagen, von einander abgewandt, tief schlafend.

Ich erklärte die Situation, Simon meinte, ich solle die Tür nur fest zuknallen, und es würde schon funktionieren. Ich war skeptisch, aber er hatte sich schon wieder umgedreht und war eingeschlafen. Ich versuchte, Jesaia nicht aufzuwecken, und ging wieder vor die Tür.

Der erste Versuch scheiterte, die Tür ging nicht zu, es hallte nur durch das ganze Haus. Ich fühlte mich schuldig, war nun aber entschlossen, zu gehen.

Erneut schlug ich die Tür zu, und es funktionierte. Erleichtert nahm ich die Treppen hinuntern, noch immer etwas alkoholisiert, noch immer etwas orientierungslos. Aber ich trat bald zur Tür hinaus, atmete frische Luft ein, navigierte zur nächsten Bushaltestelle.

Zwei andere Personen warteten, grau vor Müdigkeit. Ich beachtete sie nicht, versuchte, zu überlegen, wie ich die nächsten Stunden am besten verbrachte. Wohl mit Kaffee. Der Bus kam, und brachte mich zur U-Bahn, wo ich, bevor ich in den Zug stieg, noch einen Kaffee kaufte, schwarz, ohne Zucker. Mir war noch immer übel von dem Alkohol, und auch wenn ich wusste, dass ich später Hunger haben würde, konnte ich mich nicht dazu bringen, etwas zu essen zu kaufen. Marie würde mir sicher ein Stück ihres Brotes abgeben, obwohl...

Ich kaufte kurzentschlossen zwei Crossaints vom Vortag, zum halben Preis, und stopfte sie in meinen Rucksack, in dem ich praktischerweise Kopfhörer fand. Ich setzte sie auf, und fand eine Playlist einer ehemaligen Freundin im Internet. Sie begleitete mich.

Während ich auf die U-Bahn wartete, flößte ich mir den Kaffee schluckweise ein, mir wurde vom Geschmack übel, aber das tat nichts zur Sache, ich kannte das Gefühl.

Der nächste Schluck Kaffee war noch bitterer. Natürlich kannte ich das Gefühl. Ich. Julia. Hannah hatte keine Ahnung davon. Wenn sie getrunken hatte, dann immer so, dass sie oder Marie dann gemeinsam übernachtet hatten, und in der Früh keine Schule hatten.

Hannahs Leben. Ich zerstörte es. Stück für Stück.

Mit der U-Bahn kam ich in die Nähe der Schule, eine Station davor stieg ich aus, ging den Rest des Weges, und hatte das Gefühl, ich müsse mich gleich übergeben.

Das tat nichts zur Sache. Weiter.

In der Schule angekommen, fast zwei Stunden vor offiziellem Beginn, erfreute ich mich der Tatsache, dass Schulen hier so selten abgeschlossen wurden, und man eigentlich immer hinein konnte, so lange ein Schultag war. Ich stieg ins Klassenzimmer, ging den Stoff der Prüfung kurz durch, und holte Hannahs Sportsachen aus dem Spind, zog mich auf der Toilette um, legte ihre Kleidung auf ein Fensterbrett, damit sie nicht mehr so stark nach Rauch rochen, und trat wieder nach draußen.

Dort begann ich zu laufen.

Es war schwer, ich war müde, mir war übel, der Alkohol war noch nicht aus meinem Blut verschwunden, ich fühlte mich hundeelend. Aber ich gab nicht auf.

Eine Playlist auf Hannahs Handy wurde gewählt, und ich lief einige Runden in dem nahe gelegenen Park.

Hannahs Muskeln stöhnten, ich war nur unregelmäßig, wenn überhaupt, laufen gegangen. Aber am Ende fühlte ich mich besser.

Ich nahm die Möglichkeit wahr, an der Schule zu duschen, schüttelte Hannahs Kleidung vom Vorabend aus, welche deutlich schwächer nach Rauch roch, sprühte etwas Parfum auf Hannahs Hals, welches ich in weiser Voraussicht eingepackt hatte, und ging in den Klassenraum, wo ich einige meiner Mitschülerinnen fand. Sie nickten mir zu.

Ein Anfang.

Nana

Die Tropfen klopften gegen das Glas, während wir in Religion erfuhren, dass Jesus uns liebte. Ich sah ihm zu, wie er Wien von Zigarettenstummeln und Erbrochenenem reinigte, anstatt aufzupassen. Eine der wenigen Gemeinsamkeiten, die Hannah und ich hatten. Nur hatte sie die Szenen gerne beschrieben. Ich war zu müde dafür, und das würde sich die nächsten Tage nicht ändern. Simon, Jesaia und ich hatten seit der Nacht mit dem LSD keine Drogen genommen, aber heute hatte Jesaia etwas Haschisch bekommen, und ich war das erste Mal bei ihm eingeladen,, in ein paar Stunden. Wenn der Juniregen vorbei war.
 

Mein Geburtstag vor ein paar Tagen war relativ ereignislos verlaufen. Ein Glas Wein mit meinen Eltern, die mir schlicht Geld überwiesen hatten, und mir erlaubt hatten, das Haus für Feiern zu nutzen. Ich hätte fast gelacht, am Abend war ich mit Marie auf der Terrasse gesessen, und hatte den Rest des Weins getrunken. Den nächsten Nachmittag verbrachte ich Kuchen essend mit Jarov, der mir siebzehn schmale Lederarmbänder geschenkt hatte, und mittlerweile dauerhaft bei unserer Großmutter wohnte. Da ich wieder single und ein Jahr älter, sowie „hoffentlich vernünftiger“ war, war ich bei ihr vorerst geduldet, sie hatte mir sogar einen Gutschein für Kleidung geschenkt, den ich „bitter nötig“ hatte, da sie von meinem neuen Kleidungsstil und dem schwarten T-Shirt mit etlichen, kleinen Löchern nicht begeistert war. Dennoch schloss sie mich in die Arme. Jarov erzählte mir später, dass er meinen Stil schon immer toll fand, aber jetzt noch mehr.

Jarov und ich hatten uns so viel zu erzählen, dass es uns gar nicht auffiel, wie schnell die Zeit verging. Meine Großmutter bot dann an, ich könnte die Nacht in ihrem zweiten Gästezimmer verbringen, und ich spielte mit Jarov und meinen Großeltern den ganzen Abend Monopoly. Während Nana versuchte, Jarov zu bettfertig zu machen, der unbedingt noch aufbleiben wollte, stopfte sich mein Großvater eine Pfeife mit englischem Tabak, eine Gewohnheit, die er noch aus Zeiten hatte, bevor er nach Wien gezogen war. Ich blieb bei ihm. Er hatte in den letzten Jahren mehr und mehr aufgehört, zu sprechen, aber ich mochte seine ruhige Ausstrahlung, also blieb ich sitzen, anstatt Jarov dazu zu bringen, dass er vielleicht doch lieber schlafen ging.

„Deine Gran war auch so, weißt du?“, sagte er dann, zu niemandem bestimmten, aber ich war die einzige Person im Raum, aber schon fast überrascht, seine Stimme zu hören. Ich hatte schon fast vergessen, wie sie klang, so selten benutzte er sie. Im Alltag überließ er Nana, meiner Großmutter, das Reden, und verständigte sich sonst mit viel Geduld und Handzeichen. Auf die Frage hin, warum er nicht mehr sprach, zuckte er mit den Schultern, und zeigte, dass er schon so viel gesagt hatte, bei dem niemand zugehört hatte, dass er dem müde geworden war. In dem Moment waren wir uns näher gewesen als je zu vor.

Wir. Hannah und er. Aber ich begann, mehr und mehr wie sie zu werden, zu denken, zu reden. Sogar mein Deutsch hatte sich verhärtet.

Ich sah meinen Großvater an, und legte fragend den Kopf zur Seite. Erinnerungen bescheinigten mir, dass wir oft so kommunizierten, anstatt unsere Zungen, Stimmbänder und Lippen zu verwenden.

„Sie war so anders, sie hatte wenige Freundinnen, sie war zu klug. Deswegen hat auch sie studiert, und nicht ich.“ Er kicherte amüsiert, meine Großmutter war Ärztin gewesen, erst in Leeds, dann in Argentinien, wo mein Vater meine Mutter kennen gelernt hatte, dann irgendwann in Wien.

„Sie hatte es manchmal schwer. Sie will nur das Beste, weißt du... nimm es ihr nicht übel.“

Dann zog er wieder an der Pfeife, und wir saßen ruhig neben einander, die Stille genießend, welche etwas später jäh von Jarov unterbrochen wurde, der sich an mich kuschelte, und erst schlafen gehen wollte, wenn ich es auch tat.

Wir schliefen neben einander im großen Gästebett meiner Gran ein.
 

Der Regen wurde stärker, und ich verfluchte mich dafür, dass ich weder Regenschirm noch Regenjacke dabei hatte, und schon in den paar Metern von der Schule zur Straßenbahn tropfnass werden würde.

Während ich überlegte, ob Marie und ich gleichzeitig aus hatten, ging eine Mitschülerin auf mich zu, die ich kaum kannte, und reichte mir eine Karte.

„Vielleicht hast du ja Lust.“

Ich hielt Hannahs erste Einladung auf eine Feier in den Händen.

Ein Lächeln, ein Nicken. Und die Frage, ob ich vielleicht jemanden mitbringen durfte.

Die Antwort war ja. Doch bevor meine Gedanken zu Marie sprangen, ruhten sie auf Simon und Jesaia. Ich schüttelte den dunklen Kopf. Natürlich, ich verbrachte die meiste Zeit mit den Freunden, aber Marie war noch immer... unauffälliger, als wenn ich auf einmal zwei Upper Class Posh Boys mitnehmen würde. Also nannte ich Maries Namen.

Bereitwillig wurde die Auskunft erteilt, dass sie bereits eingeladen war, und schon gefragt hatte, ob ich sie begleiten konnte. Ich bedankte mich, und ging, ohne mir den Namen des Mädchens gemerkt zu haben. Aber darin war Hannah ohnehin noch nie gut gewesen. Während der Teil meines Gehirns, in dem sich meine alte Persönlichkeit niedergelassen hatte, versuchte, herauszufinden, wie sie hieß, machte sich mein Körper auf den Weg, Marie zu finden, und wenn es dauern würde, bis der Regen abgeklungen war.

Ich hatte kein Glück bei meiner Suche, traf aber Jarov, der, anstatt mich mit dem Schirm zur Straßenbahnhaltestelle zu begleiten, gleich Nana anrief und fragte, ob ich nicht zum Essen kommen könnte, weil ich zur Abwechslung mal wieder alleine war, auch wenn ich wiederholte, dass ich die Kunst des Spaghetti-mit-Paradeissauce-kochen mittlerweile perfektioniert hatte.

Sie willigte ein, auch wenn sie grummelte, dass sie keine Lust hatte, extra vegetarisch zu kochen.

Bei all den Dingen, die ich über Hannah wusste, erfuhr ich erst nach einem Monat in ihrem Leben,dass sie kein Fleisch aß.
 

Jarov und ich fuhren erst mit dem Bus, um dann zur U1 zu gelangen, welche uns zu Nana bringen sollte. Obwohl er schon fast vierzehn war, nahm Jarov meine Hand, während wir auf den Zug warteten. Er kam, und wir setzten uns nebeneinander auf rote Plastiksitze. Der Waggon war relativ leer, Jarov erzählte mir vom Alltag in der Schule, ich sah in die Dunkelheit der Tunnel. Menschen stiegen ein und aus. Einmal dachte ich, Jakob zu sehen, doch die Person, die ihm so ähnelte, war vernarbt und deutlich älter.

Schließlich kamen wir, als wir ausgestiegen waren und noch einmal einen Bus genommen hatten, im Haus meiner Großeltern an. Wir aßen relativ stumm, zumindest mein Großvater und ich, während Jarov und Nana für zwei redeten.

Gegen Abend verabschiedete ich mich, sagte, ich wollte noch mit Marie lernen, woraufhin ich einen misstrauischen Blick von meiner Nana auffing. Mein Großvater brachte mich zur Bushaltestelle, steckte mir einen Geldschein zu. Er kicherte wieder leise, als ich fragend eine Augenbraue hob, und zeichnete eine Flasche in die Luft.

Ich verstand ihn.

Loslassen

Die Straßenbahn machte einen unvermuteten Ruck, der dazu führte, dass mein Lidstrich verrutschte. Ich versuchte, ihn zu richten, und war versucht, den Stift wegzuwerfen.

Ein Mädchen vor mir lehnte sich zu ihrer Freundin, ihr Rock verrutschte. Ich sah ihre Unterwäsche, und bat Hannahs Gedächnis, mir dazu eine Erinnerung zu finden. Ich hatte noch zehn Minuten, die ich tot schlagen musste.

Lange musste ich nicht warten.

Marie, ich glaube nicht, dass man das so anzieht...“

Ach was, das gehört so!“

Aber es sieht unbequem aus.“

Marie, die versuchte, Hannah einen Tanga anzudrehen. Sie war skeptisch, aber Marie versuchte, zu überzeugen.

Sind Stöckelschuhe bequem?“

Nein.“

Kurze Röcke?“

Nein.“

Enge Tops? Flechtfrisuren?“

Ein Blick auf die Gestalt, die sich in weiter Kleidung versteckte, das lange Haar zu einem Pferdeschwanz gebunden.

Das macht keinen Spaß mehr.“

Gehen wir schwimmen?“

Nur, wenn du den Tanga anziehst.“

Sie waren wirklich beste Freundinnen.

 

Ich lehnte den Kopf gegen die Fensterscheibe, sah in den grauen Himmel, der langsam dunkler wurde, steckte Kopfhörer in meine Ohren und sah noch einmal auf mein Handy, das beschrieb, wie ich zu Jesaias Wohnung kommen sollte, im neunzehnten Bezirk.

Irgendwann stieg ich um, und schloss kurz die Augen, ließ meine Gedanken den Weg abkürzen. Hannahs Handy spielte ein Liebeslied, und ich dachte an Jakob. Daran, wie ich nicht wirklich ohne in schlafen hatte können, obwohl wir uns gegenseitig andauernd aufweckten, wenn wir neben einander schliefen. An dieses seltsame Gefühl, daheim zu sein, wenn ich in seinen Armen war. Am Anfang unserer Beziehung hatte ich jedes Mal Schmetterlinge im Bauch in seiner Nähe bekommen, später gab es nichts, was mich mehr beruhigen konnte, als seine Berührung. Wann immer ich mich mit meinen Eltern gestritten hatte, mich über sonst was aufregen konnte, Jakob beruhigte mich. Immer. Egal, was passiert war.

Aber ich steckte fest. Ich biss mir auf die Unterlippe, und stieg in die falsche Straßenbahn. Nicht in den neunzehnten Bezirk, sondern in den zwanzigsten. Eine Zahl machte den Unterschied der dichteren Verbauung, ärmeren Bevölkerung, und des falschen Bruders. Jakob wohnte hier.

Ich war nicht so dumm, ihn noch einmal zu besuchen, aber ich schaffte es gerade nicht, in mein neues Leben zu tauchen. Mit geschlossenen Augen lehnte ich an der Mauer und genoss die letzten Strahlen der untergehenden Sonne. Wiens Bewohnerinnen zogen an mir vorbei.

Jemand warf seinen Schatten auf mich.

„Hannah, richtig?“

 

Ich dachte, ich hätte mich verhört. Unmöglich.

Hannahs Augen wurden geöffnet, und sahen direkt ein blau-grün, welches ich überall wieder erkennen würde. Jakob stand vor mir. Müde, mit Augenringen, einigen schmalen Schnitten auf den Händen, ein paar Farbklecksen im dunklen Haar. Er war dünn wie immer, und wirkte seltsam leer. Aber ich sah ihn auch mit Hannahs Augen. Nicht mit meinen. Nie wieder.

„Jakob...“, murmelte mehr Julia als Hannah, und ich besann mich wieder. „Wie geht es dir?“

Er zuckte mit den Schultern, sah auf das Straßenschild, die vorbei fahrenden, hupenden Autos, die hohen Häuser, nur nicht zu mir.

„Was treibt dich hierher?“, fragte er, etwas misstrauisch, ich unterbrach sein Leben schon wieder, die Abstände unserer Begegnungen hatten einen verdächtigen Monatsrythmus.

„Ich leben seit drei Jahren hier. Aber ich spreche die Sprache schlecht, ich kenne fast nichts...“, versuchte ich mich zu rechtfertigen, aber er sah durch mich hindurch. Lügen.

„Ich musste weg.“

Er nickte, weder zufriedengestellt noch beeindruckt, sondern in schlichter Akzeptanz. Jakob stellte nie in Frage, er nahm hin, er hörte zu. Deswegen hatte ich mich in ihn verliebt. Aber er würde die Situation, meine spezifische Situation nicht verstehen.

„Bist du angekommen?“, fragte er, eine Frage, die so unschuldig war, so typisch, dass ich fast lachte, aber ich hob nur die Schultern.

Als ich sie fallen ließ, dachte Jakob noch immer sorgfältig über seine Reaktion nach, und ich ertappte mich dabei, mir zu wünschen, er wäre mehr wie sein Bruder, spontaner, lebenslustiger. Aber er fuhr nur durch seine Haare, und ich glaubte für einen Moment, den vertrauten Geruch von Farbe und Aftershave zu vernehmen, aber selbst wenn dem so wäre, wurde er rasch von dem der Autos und der vielen anderen Menschen überdeckt.

Er hatte meinen Blick nicht bemerkt, oder sah so großzügig darüber hinweg wie über alles andere. Er fragte nach meiner Schule, meinen Eltern, all den Dingen, die zu seinen typischen Themen gehörten. Anstatt, wie viele meiner alten, Julias alten, Freunden, die Informationen zu sammeln, um sie später zu verwerten, hörte er einfach zu.

Für einen Moment war ich verführt, Simon und Jesaia sitzen zu lassen, um den Abend mit Jakob zu verbringen, wie in den alten Tagen zu reden, auf seiner Feuertreppe zu sitzen, den Ausblick über Wien zu genießen, und so zu tun, als hätte ich keinen neuen, verwirrenden Körper.

Aber Jakobs Leben machte mir einen Strich durch die Rechnung.

„Hannah, entschuldige, ich muss dann weiter, aber du kannst mich gern noch ein Stück begleiten.“, bot er an, und ich nickte, nachdem ich heraus fand, dass wir am gleichen Punkt umsteigen mussten.

Im Bus sprachen wir nicht viel, bis mir kurz vor der Haltestelle auffiel, dass wir in dem Bezirk waren, in dem die Freundin, die uns bekannt gemacht hatte, wohnte. Aber es war wohl nur ein Zufall.

Wir stiegen aus, verabschiedeten uns- etwas ungeschickt, ich wusste nicht, wie, Hand geben war zu formal, Umarmung zu nah, gerade für Hannah, und so hoben wir jeweils eine Hand zum Gruß.

Ich ging in Richtung eines weiteren Busses, und verpasste ihn knapp. Aber der nächste kam ohnehin in zehn Minuten. Ich ging zu einem Stand, kaufte eine Flasche Wasser, und sah meine ehemalige Freundin.

Zuerst wollte ich auf sie zugehen, mit ihr sprechen, sie fragen, wie es ihr ging. Wir hatten uns lange nicht mehr gesehen. Vielleicht würde sie mich so verstehen wie Marie... Ich zögerte einem Moment zu lang. Jakob ging auf sie zu, und sie begrüßten sich. Eine lange Umarmung. Hand in Hand gingen sie weg.

Ich stieg wie betäubt in den Bus, sah meine Reflektion in der Fensterscheibe. Ich sah so anders aus. Natürlich würde er sich nicht von dem einen Moment auf den anderen in mich verlieben. Dann war da auch noch die Sache, dass wir in den letzten Monaten mehr aneinander gewöhnt waren, als in einander verliebt. Alles war normal geworden.

Auf dem Weg zu Jesaias Wohnung war ich versucht, eine Packung blonder Haarfarbe zu kaufen, ließ es aber dann. Vielleicht waren sie ja auch nur befreundet.

Aber eine leise Stimme in meinem Kopf sagte etwas anderes.

Drive

Ich fuhr bis Heiligenstadt, Jesaias Beschreibung, wie ich zu ihm kam, war zu vage gewesen, als dass ich zu ihm hätte finden können. Simon hatte versprchen, mich mit dem Auto abzuholen, verspätete sich aber. Da ich als Hannah vor kurzem meine erste Fahrstunde gehabt hatte, verstand ich es, und hoffte, nie in Wien fahren zu müssen.

Ich vertrat mir die Beine, ging zu einer belebteren Straße, von der ich leichter abgeholt werden konnte. Die Autos rasten vorbei, die Leute hinter dem Steuer waren unkonzentriert, fluchten, beschimpften sich, telefonierten. Sie konzentrierten sich nicht. Als wüssten sie nicht, wie leicht eine solche Unaufmerksamkeit jemandem das Leben kosten konnte.

Eine Statistik aus 2013 besagte, dass man in Döbling durchschnittlich acht Jahre länger lebte als in Brigittenau. Als ich mit sechzehn in Jakobs Wohnung gestorben war, das erste Mal, hatte ich die Statistik noch stärker verschlechtert.

Ich sah auf die Straße, mitten im neunzehnten Bezirk, der so grün war, dass ich das Gefühl hatte, freier zu atmen, obwohl der Asphalt genau wie im zwanzigsten glühte, und ich mir sicher war, dass meine Schuhe zu dünn waren. Ein lautes Hupen drang zu mir durch. Vielleicht sollte ich die Statistik verbessern. Es wären nur ein paar, unvorsichtige Schritte. Ein Versehen. Drei vielleicht. Höchstens vier.

Es waren Gedanken. Aber Gedanken, die zu Taten wurden, griffen tiefer.

Diebstahl. Betrug. Für diese Dinge konnte man ins Gefängnis kommen. Und ich tat es, genau hier, genau jetzt.

Wenn ich ging, kam Hannah vielleicht wieder zurück. Simon, Jesaia, und vor allem Marie würden sich wundern, aber sie könnte das sicher wieder richten. Das, und ihren Notendurchschnitt. Das Zeugnis, das ich in ein paar Tagen in Empfang nehmen würde, sah nicht allzu gut aus.

Das Hupen eines Autos schreckte mich auf. Simon hielt auf der Busspur, und ich kletterte schnell in sein Auto. Wir fuhren los.
 

Jesaias Blick ruhte auf mir, als er mir den Joint reichte.

„Hast du das schon mal gemacht?“, fragte er, ruhig, ohne mich unter Druck zu setzen.

„Ja. Aber in einem anderen Leben.“, erwiderte ich, nahm an, und sog den Rauch tiefer in meine Lungen als nötig. Hannahs Körper wehrte sich, aber ich schaffte es, nicht zu husten.

Wir saßen zu dritt auf dem Fußboden der Lukaschen Garage. Als Simon sich die Hügel hochgefädelt hatte und irgendwann neben einer Villa stehen geblieben war, hatte ich ihn fragend angesehen.

„Jesaia meinte, er wohnt in einer Wohnung.“

„Ja... das ist kompliziert. Er wohnte im obersten Stockwerk, seine Familie wurde ihm zu laut. Dort hatte er ein Zimmer, eine Küche und ein Bad. Jetzt hat er noch einen Bruder bekommen... und wohnt in der Garage.“

Ich hob fragend eine Augenbraue, aber folgte Simon etwas verunsichert in den großen Garten, der sanft zu der Villa hinauf führte. Wir bogen aber scharf links ab und standen vor der Garagentür, auf die mit Gaffa ein „Jesaia“ geklebt war.

Simon überging meinen fragenden Blick und klopfte, die Glocke aus massivem Kupfer lag noch am Boden, sie hatte wohl keine Halterung.

Ein verschlafener Jesaia öffnete, ohne T-Shirt, die wirren Locken noch mehr vom Kopf abstehend als sonst. Er bat uns gähnend herein.

Der Boden der ehemaligen Garage war mit dicken Teppichen ausgelegt, hier und da blitzte noch der kahle Beton hervor. Die Wände hatte Jesaia mit Postern überklebt, The Cure, Kurt Cobain und The White Stripes sahen uns an, überall lagen Bücher, auf der breiten Ledercouch lag eine Gitarre, in einer Ecke stand ein Bett, in einer anderen eine Hängematte. Wir ließen uns auf Polstern am Boden nieder, Jesaia bot uns Wasser an, es kam aus einem leicht rostigen Wasserhahn über einem Keramikwaschbecken und war eiskalt. Getränke hatte er noch nicht hier. Aber das war egal.
 

Ich zog an dem Joint, trank dazu das eiskalte Wasser, um das Kratzen im Hals besser zu ertragen. Langsam legte sich ein Schleier auf die Welt. Nach und nach verschwanden die Sinneseindrücke. Die Worte, die Jesaia und Simon von sich gaben, verstand ich, aber vergaß sie sofort. Ich legte mich auf den Rücken, verschmolz mit dem dicken, weichen Teppich, wurde ruhig, so ruhig, wie ich es in dem Körper noch nie gewesen war. Alles war gut.

Simon griff nach Jesaias Gitarre, und begann, langsame, ruhige Lieder von Bon Iver zu spielen, Flume, The Wolves, For Emma, und wie sie sonst noch hießen. Ich verlor mich in den Strudel aus Farben und Musik.

Ich wachte auf Simons Bauch auf, Jesaias Arm um mich geschlungen, noch immer auf dem Teppich. Die Sonne schien durch das provosorische, mit schwarzer Folie verhängte Fenster, das jetzt nur ein Loch in der westlichen Wand war. Der Kies vor der Garage knirschte, es klopfte. Ich erwiderte nichts, meine Freunde schliefen noch.

Eine schmale Gestalt schob sich dennoch herein. Ein junges Mädchen, mit langem, schwarzen Haar und dunkler Haut trat ein, so vorsichtig, als wäre der Boden aus feinstem Porzellan. Ich stellte mich schlafend.

Sie sprach Spanisch mit Jesaia, sagte, er solle aufwachen. Er stöhnte nur, tastete auf Simons Gesicht, bis er herausgefunden hatte, was es war. Er setzte sich auf, erwiderte verschlafen auf Deutsch, dass er noch schlafen wollte. Sie meinte, es gäbe Frühstück, und ich spürte ihren Blick auf Simon und mir.

„Bin gleich wieder da.“ sagte Jesaia, mehr zu Simon und mir als zu seiner Schwester, und ging. Simon legte den Arm um mich, und wir schliefen wieder ein.

Einige Zeit später, meinem Gefühl und dem Stand der Sonne nach etwa eine Stunde, schüttelte mich Simon.

„Hannah. Wir sollten gehen.“

Ich sah ihn fragend an, aber er wirkte seltsam nervös. Ich putzte rasch die Zähne mit dem eisigen Wasser aus dem rostigen Hahn, flocht das dunkle Haar, zog ein anderes T-Shirt an, und sehnte mich nach einer Dusche, aber Simons Nervosität machte mich unruhig, und so beeilte ich mich.

Fünf Minuten später schlichen wir über den Kies, und ich sank wie gewohnt auf den Beifahrersitz von Simons Auto, während sich Hannah daran stieß, dass seine Sitze aus Leder waren.

Simon fuhr ohne ein weiteres Wort los, immer weiter, immer weiter. Ich stellte keine Fragen, nicht, ob er nach dem gestrigen Haschkonsum fahren sollte, nicht, warum wir plötzlich hatten gehen müssen. Wir fuhren. Nicht in die Richtung seiner Wohnung, nicht in die meines Hauses. Er nahm eine Abzweigung, irgendwann sah ich, dass er sich an die Richtung der Anschlussstelle zur Autobahn hielt. Als wir auffuhren, in Richtung Westen, richtete ich erneut die Frage an ihn, wo wir hin fahren würden. Er beantwortete sie das erste Mal.

„Wirst du gleich sehen, Julia.“

Irina

Ein Kommentar wäre mal wieder ziemlich cool, by the way.

____________

Er wusste es. Er wusste es. Er wusste es. Er wusste es. Die drei Worte hämmerten mehr und mehr in mein Gehirn. Er wusste,wer ich war. Obwohl er mir schlagartig fremd geworden war, war er noch immer Simon, mein Freund Simon, der fuhr, gelassen und schnell wie immer. Er war sogar so freundlich, zu erklären, woher er es wusste.

„Dir hätte bewusst sein sollen, dass es ein Fehler war, auf die Beerdigung zu gehen... aber du konntest Jakob nicht fern bleiben, richtig? Nun, es war seltsam, und es klang abstrakt, aber Irina hat mir ihr Geheimnis anvertraut... seit dem suchen wir nach dir, Julia.“

Mein fragender Blick unterbrach ihn.

„Oh, Irina, das Mädchen, dass den Transporter gefahren hat, als wir im Wald waren.“

Er schwieg für einige Zeit, wir fuhren weiter, das Radio war aus. Gerade, als ich fragen wollte, ob ich es einschalten dürfte, fuhr er fort.

„Nun... es war seltsam. Aber ich dachte, vielleicht warst du wirklich mit Julia befreundet, also nahm ich dich mit. Du wirktest nicht wie eine Person, die ihre Abende außerhalb des Hauses verbringt, was du natürlich nicht getan hast, wie ich weiß... also wollte ich dich besser kennen lernen. Du hast mir auch gefallen, das will ich nicht verneinen- Irina will sich darüber noch mit dir unterhalten. Also, du hast gleich Drogen genommen- und du wirktest generell, als wärst du verloren. Also habe ich mit Jarov und Marie gesprochen, mehrfach- ja, ich habe mich mit ihnen unterhalten.“

Erst jetzt wurde mir die Tragweite der Ereignisse bewusst, er war in mein Leben eingedrungen, er hatte mit Marie, mit meinem Bruder gesprochen.

„Sie meinten, du hast dich stark verändert, Julia... ich wusste es, als du scheinbar ohne Zusammenhang über die Straße gehen wolltest... so, als würdest du dein altes Leben vermissen.“

Ich sagte nichts. Er hatte keinen Beweis. Irgendwann musste er anhalten, und ich würde laufen. Ja, das würde ich tun.

Aber er hielt nicht an. Wir fuhren lange, und ich war froh, dass mein Ortsgedächnis mir immer wieder sagte, wo wir waren. Gegen Mittag erreichten wir Salzburg, wo wir von der Autobahn abfuhren und uns durch die Täler schlängelten. Ich versuchte, mir den Weg einzuprägen, aber es ging nicht. Wir bogen zu oft ab, manchmal hatte ich das Gefühl, Simon fuhr absichtlich falsch, nur um dann umzudrehen und mich zu verwirren.

Später rief meine Mutter an, und weil ich nichts besseres wusste, sagte ich ihr, ich wäre auf einem Schulausflug, auch wenn ich sicher war, dass ich nicht zurück kommen würde. Aber den Teil ließ ich weg.

Irgendwann schlängelten wir uns die Serpentinen hinauf, die zu einer Hütte führten. Obwohl Sommer war, war es angenehm kühl. Ich wagte es nicht, zu fragen, wo wir waren. Weit weg von allem, das war mir bewusst. Durch das letzte Dorf waren wir vor über einer Stunde gefahren.

Simon entsperrte die Tür, stieg aus, holte eine Tasche aus dem Kofferraum, die er offenbar schon vorbereitet hatte, und öffnete mir die Tür.

„Wir sind hier.“

Mein Plan, zu flüchten, würde scheitern. Es gab nur eine Straße, die sich über den Berg wandte. Ich hatte keine festen Schuhe. Kein Geld. Keinen Ausweis. Aber was sollte schon passieren? Realistisch gesehen?

Während ich mir das immer wieder sagte, ging ich in die Hütte.
 

Irina erwartete uns bereits, und ich fragte mich, ob sie aus dramatischen Gründen mit dem Rücken zur Tür saß, oder ob sie uns schlicht nicht sehen wollte.

Simon versperrte die Tür sorgsam, als könnte ich weglaufen, und reichte ihr den Schlüssel. Sie erhob sich, und küsste ihn kühl auf die linke Wange, er sie auf den Mund. Sie ließ es geschehen.

Erst jetzt erkannte ich sie wieder, und war überrascht, wie unwirklich sie schien. Es hätte mich nicht überrascht, wenn sie nach Simons Berührung verschwunden wäre. Aber sie blieb, und lächelte mich an.

Da war wieder dieses komische Gefühl, dass ich sie kannte. Ein Ziehen in der Magengegend.

„Julia. Wie schön, dich endlich wirklich zu treffen!“, rief sie, und ich wollte ihr schon glauben, dass sie sich freute. Aber irgendetwas in mir blieb misstrauisch.

„Setz dich doch! Sei mein Gast...“ Sie wies auf einen alten Sessel, ich nahm Platz, während sie wohl wieder nach ihrer Stimme suchte.

Irina ging zu Simon, strich ihm sanft über die Wange, flüsterte ihm etwas ins Ohr. Dann drehte sie sich unverwandt um, ging rasch auf mich zu, und zog mich schon fast unsanft am Haar, betastete mein Gesicht, musterte meinen Körper.

„Du hättest wirklich besser darauf aufpassen können.“, lautete ihr Urteil, und sie ging wieder zu Simon, der mittlerweile Platz genommen hatte. Wie eine Katze nahm sie auf der Armlehne Platz.

Das erste Mal, seit wir hier waren, sprach Simon.

„Liebling... ich glaube, du solltest ihr erklären, wieso sie hier ist.“

Irinas Gesicht erhellte sich.

„Natürlich, Liebling...“

Sie wandte sich mir zu, blieb aber bei Simon.

„Sag mir, Julia: Warum bist du in meinem Körper?“

Ich hatte Hannah gefunden. Nur schien es, als wäre sie verrückt geworden.

„Sag es mir!“

Sie schien wütend. Natürlich, ich hatte ihr Leben gestohlen. Auch wenn sie ein neues hatte. Mit Simon. Ich verspürte leichte Eifersucht. Sie hatte sich besser angepasst.

Ich stotterte, als ich die nächsten Worte hervor brachte.

„Ich... ich weiß es nicht. Ich wollte es nicht. Ich wollte nur gehen... ich...“

Irina lachte, und belehrte mich, als wäre ich ein kleines Kind.

„Ich will mein Leben nicht zurück, dummes Ding. Sieh mich jetzt an. Und dann dich. Du hast niemanden. Niemanden in dieser Welt. Ich habe alles. Deine Freunde. Meine Familie. Irinas Leben ist so schön, ich bin froh, dass ich hier bin. Auch wenn es etwas seltsam war, auf einmal in ihrem Körper aufzuwachen.

Weißt du, wir alle werden sterben, früher oder später. Nun, was dich betrifft, und was mich betrifft... ich kann es nicht riskieren, dass du noch länger meinen Namen in den Schmutz ziehst. Drogen, Alkohol, und untrainiert bist du auch geworden... So leid es mir tut, Julia, du musst gehen.“

Da war er also wieder. Der Tod. Doch diesmal war ich klar im Kopf, auch wenn sich der Nebel, den das Hasch zurück gelassen hatte, sich noch nicht ganz gelichtet hatte.

Ich würde sterben. Hier. Jetzt. Einfach so. Weil ich nicht vorsichtiger gewesen war.

Simon griff nach der Pistole, die neben ihm auf dem Tisch lag, weit weg. Ich war starr vor Angst, sah abwechselnd zu Simon und Irina.

Letztere lachte glockenhell.

„Hast du letzte Worte?“, fragte sie, und hob eine feine Augenbraue.

Ich konnte mich noch immer nicht bewegen.

Simon hob die Pistole, und drückte ab.

Ende

Ich schloss die Augen und bereitete mich auf den Tod vor. Nicht nur meine Erinnerungen rasten an mir vorbei, von Abenden auf Konzerten und Grillen auf verlassenen Grundstücken, meiner chaotischen Wohnung und Jakob, den schönen, süßen Momenten mit ihm, sondern auch die von Hannah, spielend mit Jarov, mit ihrer Familie, den Keksen ihrer Gran. Hannah. Die mich jetzt eigentlich töten wollte.

Dann blieb die Zeit stehen. Ein seltsames Prickeln fuhr über meine Haut, und ich wagte es, die Augen zu öffnen. Die Kugel schwebte in der Luft, kurz vor Simon. Irina zuckte mit den Fingern, ich versuchte ebenfalls, mich zu bewegen. Gleichzeitig standen wir auf und schüttelten die Zeit ab, die an uns klebte wie Fäden.

Das einzig Gute an der Situation war, dass Irina genau so verdutzt war wie ich. Wir steckten beide im Moment fest, Simon machte keine Anstalten, sich zu bewegen.

„Was passiert hier?“, fragte Irina, die als erste sprach.

Ich dachte nach. Lange.

„Ich glaube, wenn du mich tötest, stirbst du auch.“ erwiderte ich, der einzige Schluss, zu dem ich gekommen war. Die Kugel hing noch immer in der Luft, ich schritt auf sie zu und pflückte sie wie eine Erdbeere, um zum Fenster zu gehen, es zu öffnen, und die Kugel hinaus zu werfen. Irina beobachtete mich schweigend.

„Sie hat Recht.“, sagte eine dritte Stimme, die uns aufschrecken ließ. Jesaia stand vor uns.

„Wie bist du hier herein gekommen?“, fragte ich, überrascht, ihn hier zu sehen.

„Durch die Wand.“, erwiderte er gelassen, was mich davon überzeugte, endgültig den Verstand verloren zu haben. „Tee?“

Er wies auf den Tisch, der etwas entfernt stand, und auf dem nun eine Kanne Tee, Gebäck und drei Tassen standen. Ich war sicher, dass sie gerade erst aufgetaucht waren. Verwirrt nahm ich platz, Irina öffnete und schloss den Mund, sie wirkte wütend. Offenbar hatte sie ihre Stimme verloren. Jesaia lächelte mich offen an. Ich probierte einen Keks. Er schmeckte gar nicht übel. Irina hatte währenddessen aufgegeben und setzte sich so weit weg von Jesaia und mir wie sie konnte. Mit einer simplen Handbewegung gab Jesaia ihr die Sprache zurück.

Sie klang wütend. Aber ich verstand kein Russisch. Jesaia lächelte, schenkte auch ihr Tee ein, und reichte ihn ihr.

„Also wirklich, Irina. Menschen zu töten ist nicht nett. Wie ich schon gesagt habe.“

„Was machst du? Und wer bist du? Was soll das überhaupt?“

Die Russin hatte ihre Sprache wieder gefunden.

„Ich bin niemand. Ich versuche, euch zu helfen... und ich habe die Gestalt von einem Freund angenommen. Julia hat mich schon identifiziert, aber du, Hannah... bist ein schlechter Übernachtungsgast. Du bist in Minsk in meiner Wohung aufgewacht.“

Es wurde immer seltsamer. Ich erwiderte nichts, was nicht nötig war. Jesaia legte nur eine dramatische Pause ein, um dann weiter zu reden.

„Ihr müsst euer neues Leben akzeptieren, sonst sterbt ihr, beide. Ihr habt neue Chancen bekommen. Nützt sie.“

Er sah Hannah an, dann mich.

„Irina, du solltest wieder nach Moskau gehen. Leb dein Leben. Pass dich an. Es wird dir gefallen. Deine alten Freunde warten auf dich. Hannah... ich dachte, es funktioniert, dass du in Wien bleibst. Aber nein. Jarov, deine Eltern und du werden morgen nach Argentinien fliegen. Sie eröffnen dort eine Werkstatt. Dein Spanisch ist ohnehin etwas eingerostet.“

Irina und ich starrten uns an, und dann sahen wir gleichzeitig zu Simon. Doch Jesaia ergriff wieder das Wort.

„Ach, er... er wird aufwachen, und jede Erinnerung an euch beide wird ein Traum sein. Ein langer Traum. Macht euch keine Sorgen. Er kommt zurecht.“

Und auf einmal hakte sich die Zeit wieder an unsere Körper, und die Fäden zogen uns aus einander. Jesaias Gestalt verblasste, dann Irina, dann Simon, dann die Hütte. Irgendwann sah ich auf meine Arme, und sie waren verschwunden. Genau wie der Rest von mir.
 

Ich wachte wieder in meinem Bett auf. In Wien. Jarov war eng an mich gekuschelt, und zwei Decken um uns geschlungen. Wir waren wieder daheim. Es war unglaublich warm.

Vorsichtig löste ich mich von Jarov und schlich ins Bad, betastete mein Gesicht, meine Arme, meinen Körper. Es war meiner. Ich stieg unter die Dusche, drehte das Wasser kalt auf, dann warm, und fühlte es. Nur ein Traum. Nur ein Traum.

Meine Mutter kam mir entgegen, fragte auf Deutsch, ob ich schon packen wollte.

„Warum?“

„Hast du vergessen? Wir fahren in der Nacht!“

Natürlich. Um Mitternacht ging unser Flugzeug nach Paris. Und dann, einfach so, waren wir schon im Flieger nach Argentinien.

Ich murmelte etwas von wegen, ich seie müde, und half ihr, die letzten Vasen mit Zeitungspapier auszustopfen. Am späten Vormittag falteten Jarov und ich Kleidung, alte wie neue, gemütlich wie modisch, und schlichteten meine liebsten Stücke in einen Koffer, gemeinsam mit Büchern, Schmuck und österreichischen Süßigkeiten. Der Rest meiner Einrichtung, die Bilder, ein Polster, eine Decke, und was wir sonst noch fanden, längst verloren geglaubte Stifte, Papier, Handtaschen, verschwand in Umzugskartons. Sie wurden gegen Mittag abgeholt. Am Abend brachte uns unsere Gran Eintopf, und wir saßen am Wohnzimmerboden im Kreis, umgeben von noch nicht abgeholten Möbeln und kahlen Wänden.
 

Jakob und ich hatten zwei Jahre gehabt. Die Tage und gerade die Nächte waren mehr, als ich mir erhoffen hätte können. So sehr es meine Freundinnen gestört hatte, aufzuwachen, weil sich die andere Person im Bett zu sehr bewegte, so sehr freute ich mich, morgens von einem um mich geschlungenen Arm aufgeweckt zu werden, nur um wieder einzuschlafen. Es war mehr, als die meisten Personen erfuhren. Viel mehr.

Während das Flugzeug höher und höher stieg, dachte ich an die Momente. Daran, dass mich nie jemand so vorsichtig geküsst hatte, oder so bedingungslos für mich da gewesen war. Niemand. Aber das war in einem anderen Leben.
 

Es dauerte fast zwei Tage, bis wir endlich in unserer alten Heimat waren. Ich war erst einmal hier gewesen, im Alter von vielleicht sechs, sieben Jahren. Trotzdem wurden wir von alten Freunden und Bekannten erwartet. Der Sohn der besten Freundin meiner Mutter nahm mich gleich an der Hand, während sein Großneffe unser Gepäck in unser riesiges, neues Haus trug, und zeigte mir den Garten, wo schon eine Hängematte hing, die wichtigsten Häuser in der Straße, seines, das meiner Tante, das eines Cousins, die Bäckerei, und wie man zum Strand gelangte. Nach und nach wurde mein Spanisch besser, ich lernte, mit Pesos umzugehen, und verlor meine Blässe. Mehr und mehr vergas ich mein altes Leben.

Eines Morgens fand ich einen Brief meiner Gran, ob Jarov und ich nicht zu ihr in den Ferien kommen wollten. Ich schrieb zurück, dass wir es uns überlegen würden. Denn das kalte Wien wirkte mittlerweile weiter entfernt als je zuvor.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Entschuldigung für den Cliffhanger -.-' Komplett anzeigen

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Kommentare zu dieser Fanfic (6)

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Von:  CatariaNigra
2015-08-16T04:47:38+00:00 16.08.2015 06:47
Dieses Kapitel fand ich total interessant! Die Story scheint spannend und ist gut geschrieben, ich bleibe mal dran!
Von: abgemeldet
2015-06-16T11:35:14+00:00 16.06.2015 13:35
Also erstmal: Beim Kapiteltitel musste ich echt kurz inne halten, weil ich dachte: "Höh? Hat sie da nur mit dem Kopf auf die Tastatur gehauen?!" XD Bis ich geschnallt hab, dass die Endung verrät, worum es geht. xD

Nun aber zum Inhalt: Du überraschst mich immer wieder. Ich hatte ja damit gerechnet, dass es ein Schäferstündchen zwischen Julia und Simon geben würde, weil ich seinen Ruf so gedeutet hatte, dass er ein Frauenheld ist. Aber nachdem sie am nächsten Morgen nichts gefühlt hat, ist da wohl nichts passiert. (Ich hätte eher erwartet, dass sie dann nackt aufwacht.)
Dass die einfach so zu den Drogen greift, wundert mich nicht, da es ja immer noch Julia ist. Dass aber keiner was gesagt hat, schon. Und ich frag mich jetzt natürlich, was es mit dem Mädchen auf sich hat. Wer weiß, vielleicht ist das ja Hannah... Simon scheint ja eh zu ahnen, dass da was nicht stimmt. (Deswegen war er wohl auch nicht erstaunt, dass sie die Drogen einfach mal nimmt.)

Und du machst es natürlich wieder mal sehr spannend. :< Das Ende ist ja wirklich sehr gemein. Ich bin schon gespannt, was diese Marie zu allem sagt... ich schätze mal, sie wird schockiert sein. Aber sie scheint ja echt eine ganz, ganz liebe Freundin von Hannah zu sein... Das wird noch amüsant. |D"

Ansonsten: Wie du den "Trip" von Hannah/Julia beschrieben hast, fand ich wieder sehr schön, man ist selbst plötzlich in ner sehr bunten Welt gewesen. ;D Da ich absolut keine Ahnung mit Drogen hab (ich hatte noch nichtmal nen Rausch von Alkohol xD) glaub ich dir einfach mal, dass das realistisch sein könnte. So von dem, was man so hört, scheint es jedenfalls zu passen. :>

Und jetzt hibbel ich weiter, was Marie so sagt...
(KomMissions-Vermerk :D)
Von: abgemeldet
2015-05-29T08:42:23+00:00 29.05.2015 10:42
Aaaaaaaaaaaah es gibt Chara-Files!!! =D =D =D
Pure Liebe! <3 Vielen Dank dafür! Die werd ich gleich mal durchlesen *o*
... musste die Freude kurz teilen xD Sorry für diesen eher unsinnigen Kommentar XD
Von: abgemeldet
2015-05-29T08:41:40+00:00 29.05.2015 10:41
Das kommt spät, aber: Ich frage mich gerade, was eigentlich aus der richtigen Hannah geworden ist. Wo steckt sie? Wo ist ihr Bewusstsein? Irgendwie tat sich mir das auf beim Lesen der letzten zwei Kapitel... Sie muss ja auch... "irgendwo" sein... o.o

Schade, dass die Beerdigung dann doch so kurz war, aber nachdem die drei zu spät kamen... Mich hätte es interessiert, wie Julia wohl auf sich selbst im Sarg reagiert hätte. Ihre Gedanken zu ihrer eigenen Beerdigung fand ich da schon sehr interessant, gerade auch, weil man dann gleich einen direkten Vergleich hatte, wie es dann wirklich war. Schien sehr nüchtern zu sein, als wären alle nur da, weil sie es mussten. Eigentlich traurig. :/

Was mir gefallen hat, waren die ganzen Details. <3 Ich musste lächeln, als Julia sie beiseite geschoben hat in Gedanken, weil sie MIR so gefallen haben. xD Gerade diese Gewohnheiten machen ihren Charakter auch interessant, dass sie immer abgespült hat, war aber irgendwie auch klar - Jakob hätte ich das von den bisherigen Beschreibungen nicht zugetraut. :D" Der scheint ja ohnehin sehr passiv zu sein.

Ansonsten bin ich schon gespannt, wie das mit Simon weitergeht. Hatte die Anmerkung in Klammern was zu sagen? Also war das Julias Gedanke? Ein bisschen erschien es mir, als wäre das eine Notiz von dir als Autor. o.o Jedenfalls hat mich das kurz aus dem Lesefluss gerissen.
Sein Ruf ist sicherlich der eines Frauenhelden, der sich Frauen für eine Nacht ins Bett angelt und dann fallen lässt wie ne heiße Kartoffel. Er wirkt bisher jedenfalls so ein bisschen charmant, aber auch kalt und unberechenbar. Mal gucken, was davon dann alles stimmt. :D

Stilistisch hätte ich aber dieses Mal sogar auch was auszusetzen: "eine Freundin Julias", kam zwei Mal in den Dialogen vor. Ich weiß nicht, ob's nur wir Bayern sind, die so reden, aber eigentlich sagen wir doch eher "eine Freundin VON Julia". Die Konstruktion "Freundin Julias" erscheint mir - für Dialoge! - zu Hochdeutsch, zu... ja, zu korrekt. Klingt das bescheuert? Vermutlich. Das ist mir so aufgefallen - wenn das in Österreich so gesagt wird, dann ignorier diesen Absatz. Ansonsten sind die Dialoge nämlich sehr gut und passend, auch zu den Charakteren. Gerade Jakob kauf ich aber korrekte Grammatik nicht ganz so ab. xD Da passt Umgangssprache dann doch besser. ^^

Ansonsten: Wie gut, dass ich erst so spät zum Lesen kam, so hat mit der Cliffhanger im vorherigen Kapitel nicht betroffen, haha! :D
Und nach wie vor: KomMission ;) (Wir arbeiten auf 1000 Kommentare im Mai hin, ich "muss" leider immer mitzählen lassen. Lass mich wissen, wenn dich das stört. ^^ Ich werd eh weiter lesen.)
Antwort von:  hare
30.05.2015 22:20
Hallo,
Merci, merci, merci! Die Klammer war von meiner Beta, die hab ich vergessen zu entfernen (ist nun weg, juchee). Wollte das zu allererst anmerken, gnarf.
Ja, das habe ich ausgelassen, weil ich unsicher war, wie ich es beschrieben soll. Werde sie es aber vielleicht doch erleben lassen, ich war zu lange auf keiner Beerdigung mehr, um es authentisch zu beschreiben. Hm.
Hui, danke! Ja, Jakob ist auch der einzige in der Geschichte, der ein halbwegs reales Vorbild hat (das sich selbst wohl kaum erkennen würde, aber nur von der Passivität her...). Mit dem Stil war es da eben das Gleiche- irgendwie reden meine Wiener Freunde alle Hochdeutsch, so gut sie können, weil sie so furchtbar viel lesen. Ich werde es aber beachten. Vielleicht gelingt es mir ja, ab und zu Umgangssprache einzubauen ;)
Freundin Julias war übrigens, weil Simon einfach furchtbar gestelzt rüber kommen sollte. Und Jakob hatte ja eine gute Ausbildung, was das betrifft. Er ist halt jetzt in einer anderen. Aber ich werde es versuchen, vielleicht, wenn sie etwas getrunken haben.

Nein, es stört mich nicht! Braucht ihr noch Hilfe?
Lg
Von: abgemeldet
2015-05-14T12:16:15+00:00 14.05.2015 14:16
Ich mag den makabren Beigeschmack des letzten Satzes. So böse es auch klingen mag :D" Das war jedenfalls ein guter Cliffhanger, jetzt bin ich schon gespannt, wie sie reagieren wird, wenn sie sich selbst in Leichenblässe sieht. Nur leider finde ich den Kapiteltitel irreführend, ich dachte es käme jetzt schon so weit. Einen passenderen wüsste ich aber selbst nicht, daher halte ich mich mit Kritik mal lieber zurück. ;)

Ansonsten: Ich finde, dass du noch ein bisschen was ausschmücken könntest. Für mich war die wohl spannendste Stelle die, in der Julia/Hannah zu Jakob fährt. Das könntest du - auch wenn es fies ist :D - noch rauszögern, indem du ein bisschen mehr beschreibst, also auch, wie lang sie braucht, was sie sieht, worüber sie sich so Gedanken macht. Die Beschreibungen am Eingang und während des Gesprächs sind schon super, du könntest eben nur noch ein bisschen mehr Spannung reinbringen. ^^ Die Eindrücke der Wohnung fand ich auch schön, interessant, was Julia so alles auffällt. Aber auch da hätte ich wohl noch mehr ausgeschmückt, damit die Spannung noch weiter steigt. Allgemein sind mir deine Kapitel zu kurz, aber das liegt wohl eher daran, dass ich einfach schnell weiterlesen will xD Ich komm mir grad unglaublich ungeduldig vor, entschuldige das. :D"

Ich bin schon gespannt, wie Jakobs Eltern so drauf sind - ich erwarte gerade das genaue Gegenteil von Jakob selbst. Also so mit Anzug und Krawatte und richtig schick... (Wäre das ein Klischee? Hm, ich bin mir unsicher. |D") Und allgemein find ich Jakob interessant, weil er so ein offener Mensch ist. Er lässt Hannah ja einfach rein, obwohl er sie nicht kennt - und ist so gut erzogen, dass er ihr dann gleich einen Kaffee in die Hand drückt. Ich bin gespannt, wie er sich auf der Beerdigung verhält...

*wuselt dann mal wieder raus*


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(Das wirst du noch oft lesen, fürchte ich xD Ich werd so schnell nicht aufhören diese Geschichte zu lesen >3")
Von: abgemeldet
2015-05-07T10:29:09+00:00 07.05.2015 12:29
Erstmal: Du hast einen wunderschönen Schreibstil! Er liest sich unglaublich flüssig und angenehm, was auch daran liegt, dass nur ganz selten mal Fehler drin sind. (Ich glaube zwei das/dass-Fehler und dann mal ein Buchstabe groß, obwohl er klein gehörte... Tippfehler also und absolut nicht störend!)
Zudem hast du eine tolle Art, Dinge zu beschreiben - die Schlange am Anfang fand ich sehr faszinierend, so bildlich beschrieben und gut vorstellbar, aber dabei sehr treffend, sodass man immer wusste, worum es eigentlich geht. Wirklich, wirklich toll, auch wenn die Thematik sehr kontrovers ist und das eigentlich nichts ist, was ich gerne lese.

Dennoch ist die Idee zu interessant gewesen, um diese FF nicht zu lesen - und ich bereue keine Sekunde davon. Die Grundidee ist mir komplett neu, sowas hab ich noch nie gelesen - das gefällt mir schonmal :D Und die Umsetzung finde ich bisher auch gelungen, besonders wie man immer mehr merkt, dass Julia Hannahs Leben annimmt ("unsere" Eltern :) ). Ich denke das wird dann mit der Zeit auch noch mehr, dein Aufbau der Geschichte scheint mir jedenfalls bisher sehr systematisch und gut geplant.

Das einzige, was etwas schade ist, ist dass wenig Spannung aufkommt - der Traum war wieder spannend, aber Hannahs Tagesablauf war schon etwas anstrengend zu lesen, weil er gar so... ja, typisch war. Natürlich kannst du nicht ständig Spannung reinbringen, um Himmels Willen. Das ist auch nichts, was ich umändern würde, aber eben etwas, das mir auffiel. Vielleicht wäre an der Stelle auch die Beleuchtung von Hannahs letzter Beziehung interessant gewesen. Oder mehr zu Marie, sie blieb doch sehr im Dunkeln bisher. Ich geh aber mal ganz dreist davon aus, dass da noch einiges kommen wird, die Geschichte ist immerhin ja auch noch nicht lang. :>
(Irgendwas muss ich ja auch kritisieren, sonst wird das ZU sehr eine Lobhymne! XD)

Ich hoffe mal, dass du noch weiter schreibst. Es ist eine Schande, dass noch niemand diese FF entdeckt hat, obwohl sie eine wirklich tolle Idee hat und so schön geschrieben ist...
Bitte entschuldige, dass nicht viel Kritik drin ist in diesem Kommentar, aber es gab wirklich nicht viel, was man kritisieren konnte. Man merkt einfach, dass du einiges an Schreiberfahrung haben musst. (Als Poetry Slammerin wohl auch nicht verwunderlich, vor euch habe ich sehr viel Respekt, weil ihr so dermaßen viel auf dem Kasten habt ;) ) Vielleicht kommt das ja im nächsten Kapitel :D"


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Antwort von:  hare
08.05.2015 14:45
Wow, vielen, vielen Dank für das ausführliche und nette Review!
Ich werde auf jeden Fall versuchen, ihre letzte Beziehung etwas zu beleuchten, Julia kommt später näher ins Spiel- etwa im sechsten Kapitel, dass aber nur grob geplant ist ^^' Vielen Dank auf jeden Fall!


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