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Von Tagen und Nächten

von

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[01] - »Zweiundzwanzig.«

Geistesabwesend, verloren im Flackern der Kerze, lag die Archäologin halb auf der langgezogenen Sitzgarnitur der Bibliothek, ein Bein bot Halt, gleichwohl der Fußballen unruhig wippte.

Der Raum eröffnete Spekulationen, glich dem Resultat eines tobenden Sturmes. Bücher, Papier, achtlos verteilt, unsanft auf die Dielen befördert. Stühle lagen am Rücken. Der Tisch war leer gefegt, einzig ein Kalender behielt seinen Platz. Eine fast leere Flasche Wein stand neben ihrem Bein, wartete eine Unachtsamkeit ab um den Boden mit der roten Flüssigkeit zu tränken. Ein Akt, der sie jedes Jahr heimsuchte und wie gewohnt, würden jegliche Spuren zum Morgengrauen hin verschwunden sein.
 

Zweiundzwanzig. Zweiundzwanzig. Abermals formten ihre Lippen die Zahl. Wisperten sie in die klare Nacht hinaus. Das Ereignis, das ihre Welt ins Verderben stürzte, jährte sich. Wie gewohnt, kroch die Trauer aus ihrem Versteck, sog die Frau in die dunkle, fesselnde Tiefe. Jede Sekunde des Leids, klar und deutlich vor ihrem Auge. Ihre Finger umspielten die kleine Kerzenflamme. Kein Vergleich zur damaligen Hitze, die ihr Körper bis heute nicht vergaß.

Ein Datum, in den Gedächtnis der Menschen unlängst vergessen. Die einzige Nacht im Jahr, die ihre Fassade einstürzen ließ, die ihren Schmerz zu Tage bringen durfte. Sie war geprägt worden, nie endete die Trauer um das Verlorene.
 

Ein Knarzen, der Laut von scharf eingesogener Luft. Für einen Augenblick, kaum mehr als ein Blinzeln, war die Stille der Bibliothek durchbrochen. Dieser Ort, der von Robin unter allen Umständen in Ordnung gehalten wurde, glich dem reinsten Chaos. In einem albernen Wettstreit verlor die Navigatorin gegen den Schwertkämpfer, musste somit die Nachtwache halten und bei ihrem gewohnten Rundgang, der gegen die einsetzende, bleierne Müdigkeit anfochten sollte und andererseits den Beinen wohltuende Abwechslung verschaffte, erhoffte Nami Ablenkung. Das Dargebotene jedoch ließ sie starr werden, die Luft anhalten. Unentschlossen sank ihr Kopf, das Kinn traf auf Widerstand. Gehen oder verharren?

Eine Entscheidung, die rasch getroffen war. Nami schluckte die Bedenken, obwohl ihr bewusst war, dass Robin, sobald ein schwacher Moment sie überkam, den Rückzug ins Einsame suchte. Alleine blieb, den Kampf mit sich austrug und am nächste Tag tat als war er nie vorgefallen. Sie mochte den Grund erfahren, ihr helfen, denn das hier war gewiss keine Kleinigkeit. Auf leisen Sohlen trat die Navigatorin an den Tisch, packte den Stuhl, stellte ihn an seinen gewohnten Platz.
 

„Lass. Ich räum später auf.“ Die Stimme, rauer als sonst, der Blick unverändert auf die Kerze gerichtet.
 

„Du hast Kummer. Weswegen?“, sprach Nami gedämpft, betrachtete erneut das Fiasko. Schweigen. Vorsichtig trat sie näher, sank auf die Bank, zum Reden nahe genug, aber vorerst bedacht auf den nötigen Abstand. Minuten verblieben sie wortlos, Nami behielt ihre Freundin im Auge, obgleich sie bloß den Rücken erspähte, versuchte zu erahnen, wie die Antwort ausfiel.
 

„Zweiundzwanzig“, hörte sie das Flüstern der Archäologin. Unweigerlich zog Nami nachdenklich die Brauen zusammen. Die Gedanken ratterten und am Ende blieb einer übrig, der ihr eine unangenehme Gänsehaut bescherte.
 

„Heute?“ Schwer aber doch erkannte sie ein Nicken.

„Hast du nie erwähnt.“
 

„Macht das einen Unterschied?“ Nami verstand augenblicklich. Solche markanten Einstiche ins Leben waren unvergesslich. Dasselbe, jedenfalls auf Gefühlsebene, machte sie an Bellemeres Todestag durch. Die Emotionen kehrten zurück und wie ein Film erlebte sie den Tag nochmals. Jeder hatte eben eine spezielle Art mit Erlebnissen umzugehen.
 

„Punkt ein Jahr, nachdem Arlong Bellemere erschoss, habe ich alle Karten, die ich in diesen Monaten fertiggestellt habe, zerrissen. Jede einzelne. Die Schnipsel warf ich auf einen Haufen und den zündete ich an. Die Folge? Die Trachtprügel meines Lebens, aber sie und die vielen Extrastunden… ja, sie waren es wert.“ Verklärt lächelte Nami. Arlong hatte ihr wahrlich den Hintern versohlt. Über die Jahre hatte sich diese Wut, die die Trauer auslöste, auf andere Weise entladen und trotz allem hatte sie die Hilfe, die Schulter ihrer Schwester. Heute gab es einen anderen Weg, sie trauerte zwar um ihre verlorene Mutter, aber die Wut war weniger geworden. Doch ein Ritual blieb, die ruhigen Minuten bei den Orangenbäumen.

„Machst du das jedes Jahr?“
 

„Variiert.“
 

„Heißt?“ Robin stieß hörbar Luft aus. Die Kerze war fast abgebrannt und Robin wandte sich, zum ersten Mal seit Nami den Raum betreten hatte, von dieser ab.
 

„Dass du nicht näher nachfragen solltest.“ Manche verliefen ähnlich, an anderen jedoch, da hatte sie Auseinandersetzungen gesucht, die durchaus mit dem Tod hätten enden können.
 

„Verstehe. Du glaubst deine Erzählungen schrecken mich ab.“
 

„Vielleicht möchte ich nicht darüber reden.“ Tonlos seufzte Nami auf. Darauf dürfte sie wohl so schnell keine Antwort mehr erhalten, aber hielt es Nami nicht davon ab, näher auf das eigentliche Problem einzugehen.
 

„Erzähl mir von ihnen. Den Menschen, denen du bis heute nachtrauerst“, wagte Nami einen neuen Versuch. Worte, die Robins Muskeln schmerzhaft anspannten. Darüber hatte sie nie gesprochen. Unweigerlich schüttelte sie den Kopf.
 

„Du kennst die Geschichte und ich sollte aufräumen.“ Bevor Robin jedoch mit ihren Fußsohlen den Boden berührte, rutschte Nami näher, schlang die Arme um den Bauch der Archäologin, drückten sie somit an den eigenen Körper. Das Kinn bettete sie an der Schulter.
 

„Dein Ernst? Mit Enies Lobby ziehst du dich zurück?“, kommentierte Nami, hörbar empört, das Erstarren der anderen ignorierte sie vollkommen. Körperkontakt gehörte wahrlich nicht zu ihren Stärken.

„Wenn ich eine Sache gelernt habe, dann die: Reden hilft! Ich höre dir zu, egal wie lange wir hier sitzen. Ich möchte auch endlich verstehen, wer die Menschen waren, die dich bis heute prägen“, setzte sie sanft nach. Eisern schwieg Robin und als ob die Anspannung nicht bereits merklich spürbar war, schien diese nochmals zuzunehmen. Nami verzog das Gesicht, wurde regelrecht unsicher, denn als sie Robin in den Arm nahm, zurückzog, hatte ihr Körper schnellere reagiert als ihr Verstand. Es war eine Sache die andere zum Reden zu bringen. Sie festhalten eine vollkommen anderen, gefährlichere. Nami beschlich das dumpfe Gefühl, dass ihre Kameradin bereits an etliche Möglichkeiten dachte, wie sie die Navigatorin unsanft auf Abstand brachte, wenn nicht gar ihr für das frevelhafte Verhalten das Genick brach. Just als Nami den Griff lockerte, abbrechen wollte, hörte sie die Stimme der anderen, spürte eine Handfläche auf ihrem Arm.
 

„Ich lasse dir die Wahl. Von wem möchtest du die Geschichte zuerst hören?“



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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Von:  Dark777
2015-05-03T09:36:54+00:00 03.05.2015 11:36
Oh wow, eine ganz neue Sichtweise die man bisher völlig außer Acht ließ. Robin gibt sich also einmal im Jahr die Blöße und wird.........menschlicher, emotionaler. Den Akt der Zerstörung/Verwüstung würde ich gerne mit eigenen Augen sehen, denn so lässt es sich nur schwer fassen, die sonst so akkurate Robin dermaßen aus der Bahn geworfen zu erleben. Namis unverhoffte Umarmung scheint Robin wirklichen Trost zu spenden und wer weiß, vielleicht ist das die Gelegenheit für mehr ;).

V(~_^)
Von:  fahnm
2015-04-04T20:45:21+00:00 04.04.2015 22:45
Spitzen Kapitel
Von:  xXxMephistoxXx
2015-04-03T23:17:47+00:00 04.04.2015 01:17
Schönes Kapi.
Weiter so
Lg Mephi


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