Zum Inhalt der Seite

Unausgesprochen

von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Klar und deutlich

„Sharrkan? Komm bitte raus!“

Yamraihas Stimme drang dumpf durch die geschlossene Tür seiner Kajüte. Sharrkan konnte nicht mehr zählen, wie oft sie in den letzten Tagen davor gestanden hatte.

„Jetzt antworte mir wenigstens!“, hörte er sie flehen. „Ich mach mir langsam echt Sorgen. Lass mich rein! Lass uns reden!“

Träge wälzte sich Sharrkan auf die Seite und zog sich die Decke bis über beide Ohren. Er dachte gar nicht daran, irgendetwas von dem zu tun, worum Yamraiha ihn bat. Seit die Flotte wieder in See gestochen war, hatte er weder ihr noch sonst jemandem geöffnet und das Bett nur verlassen, wenn alle anderen an Bord bereits schliefen – und das auch nur, weil sich das Nötigste nun einmal nicht vermeiden ließ.
 

Eine Weile konnte er noch den Schatten der Magierin am Türspalt wahrnehmen, bevor sie schließlich aufgab und das Knarzen ihrer Schritte auf den Holzdielen immer leiser wurde. Zurück blieben die fernen Gespräche der Besatzung an Deck, die vom Murmeln des Ozeans kaum zu unterscheiden waren. Sharrkan schloss die Augen, spürte das sanfte Wiegen des Schiffes und wünschte, es würde ihm in den Schlaf helfen. Doch er hatte schon so viele Stunden mit schlafen verbracht, dass er längst nicht mehr müde war.

Von offizieller Seite war Sharrkan krank und die Verantwortung für seine Kampfeinheit war seinem Vizegeneral übertragen worden. Was anfangs als Ausrede gedient hatte, war mittlerweile – nachdem er so selten aufgestanden war – zu einer echten Empfindung geworden: Sharrkan fühlte sich schlapp, schwindelig und insgesamt schlecht. Alles was er wollte, war seine Ruhe.
 

Ein lautes Donnern gegen die Tür ließ ihn vor Schreck hochfahren und er erkannte Masrur, als dieser nach ihm rief.

„Senpai, mach auf!“, sagte er ruhig.

„Nein“, entgegnete der Angesprochene trotzig, in der Hoffnung, dass es genügen würde ein Lebenszeichen von sich zu geben. „Hau ab!“

„Ich zähle bis drei.“

War das sein Ernst? „Verzieh dich, Masrur!“

„Eins…“

Sharrkan schwieg und wartete darauf, auch seinen Schatten wieder verschwinden zu sehen.

„Zwei…“

Na gut, was konnte er schon groß tun?

„Drei.“

Mit einem Krachen zersplitterte die Tür und fiel wie in Zeitlupe in den Raum. Masrur nahm seinen Fuß runter, kam gemächlich rein und trat mit ausdrucksloser Miene vor Sharrkans Bett.
 

„Bist du noch bei Trost?! Was soll das hier werden?“, regte der sich auf und starrte entgeistert auf das Kleinholz, das bis eben noch seinen Zufluchtsort verriegelt hatte.

„Das Gleiche wollte ich dich fragen.“

„Ich bin krank“, murrte Sharrkan und sank wie zur Bestätigung zurück in die Kissen.

„Deine Stirn ist kühl“, widersprach Masrur, während er seine Annahme mit der Handfläche überprüfte.

„Ich bin seekrank.“

„Wir haben kaum Wellen.“

„Ich bin-“

„-ein Simulant“, vollendete Masrur den Satz, packte Sharrkan mitsamt seiner Decke und warf ihn sich wie ein verschnürtes Paket über die Schulter. Zappelnd und zeternd wurde der Wehrlose aus der Kajüte befördert und über die Treppe bis nach oben an Deck geschleppt. Dann stellte sich Masrur an die Reling und schmiss ihn im hohen Bogen über Bord.
 

Das Eintauchen ins kalte Meer verursachte ein Gefühl, wie von tausend Nadeln durchbohrt zu werden. Mühsam strampelte Sharrkan die Decke weg, kämpfte sich hoch an die Oberfläche und bekam sofort den Mund voll Salzwasser, als ihn beim Luftholen eine Welle überrollte. Im grellen Licht der Sonne, die er tagelang gemieden hatte, konnte er die Position des Schiffes zunächst kaum erfassen. Es war schon fast an ihm vorbeigezogen, da schaffte er es endlich nah genug heranzuschwimmen, um sich ein herunterhängendes Seil zu greifen. Unter größter Anstrengung kletterte er an der glitschigen Außenwand hinauf, während die Gischt ihm unbarmherzig ins Gesicht schlug, und hievte sich übers Geländer rauf an Deck. Masrur erwartete ihn bereits.
 

„Du hast sie ja nicht mehr alle!“, keuchte Sharrkan blind vor Zorn. „Bringt man seinem Senpai so etwa Respekt entgegen?! Willst du mich vielleicht umbringen?!“

„Nur den Kopf waschen“, antwortete Masrur schlicht. Sharrkan hätte ihn am liebsten geschlagen, doch der plötzliche Energieverbrauch zollte seinen Tribut. Nach der langen Untätigkeit war sein Körper so entkräftet, dass er nichts weiter konnte, als vornüber auf die Knie zu sinken.

„Yamraiha ist völlig fertig wegen dir“, eröffnete Masrur ihm.

„Das interessiert mich nicht!“

„Brauchst du etwa noch eine Abkühlung?“ Sharrkan zuckte zurück, als Masrur näher kam, aber zu seiner Erleichterung setzte er sich lediglich zu ihm auf den Boden. „Augen und Ohren zu verschließen wird dir nicht weiterhelfen. Oder meinst du, du kannst dich ewig verkriechen?“
 

Obwohl Sharrkan längst verschnauft hatte, blieb seine Haltung geduckt, damit er den Blickkontakt meiden und nicht auf Masrurs Worte reagieren musste. An den nagenden Gewissensbissen änderte das leider überhaupt nichts. Yamraiha ging es also schlecht wegen ihm? Das war nicht seine Absicht gewesen.

„Ich weiß nicht, was da zwischen euch vorgefallen ist“, sagte Masrur nach einer kurzen Pause, „aber ihr solltet dringend miteinander reden.“

„Wozu?“, platzte Sharrkan heraus und merkte während des Sprechens, wie seine Stimme zu zittern begann. „Sie hat mir ziemlich deutlich gemacht was Sache ist und ich… ich will das nicht hören!“

Der feste Knoten in seiner Brust schien sich zu lösen und drohte den Schmerz zu befreien, den er bisher so konsequent in sich verschlossen hatte.

„Sie möchte dir aber etwas erklären“, räumte Masrur ein, „und soweit ich verstanden habe, hat sie dir auch eine zweite Chance gegeben. Liege ich da richtig?“

Er lag richtig. Doch Sharrkan konnte nur nicken, weil der Kloß in seinem Hals ihn ansonsten verraten hätte.
 

Es dauerte etliche Minuten, bis er sich zum Aufsetzen in der Lage fühlte und das Gesicht in die Sonne hielt, um Haar und Kleidung trocknen zu lassen. Masrur hatte geduldig an seiner Seite verharrt und Sharrkan war für seinen Beistand unendlich dankbar – auch wenn er ihm das niemals würde sagen können.

Das Deck, das die beiden bis gerade eben noch fast für sich allein gehabt hatten, war mit der Zeit auffällig voll geworden, denn nach und nach waren immer mehr Besatzungsmitglieder erschienen. Sie lösten die Leinen, setzten die Segel und riefen sich dabei harsche Befehle zu.

„Wir laufen gleich in Sindria ein“, beantwortete Masrur die stumme Frage, die in Sharrkans Blick lag. „Es wäre deshalb schön, wenn du dich langsam wieder am Riemen reißen könntest.“

Ungeniert kniff Sharrkan ihm in die Wangen und verzog sie zu einer Grimasse. „Das mach ich schon.“
 

So ungern er Masrur Recht gab: Sich auf lange Sicht vor der Konfrontation mit Yamraiha zu drücken, war ein völlig unrealistisches Vorhaben. Außerdem war er es ihr schuldig, dass sie eine Erklärung abgeben durfte – egal, ob es sich um eine Rechtfertigung handelte oder er die Bestätigung bekam, vor der er sich insgeheim fürchtete. Denn beim besten Willen konnte er sich nicht vorstellen, wie man ihr Verhalten hätte falsch interpretieren sollen.

Sharrkan hoffte, dass das Schicksal ihm noch eine kleine Schonfrist gewährte und ihn nicht sofort in Yamraiha hineinlaufen ließ, als er die Tür zum Unterdeck öffnete, doch glücklicherweise war auf dem Treppenaufgang niemand zu sehen.
 

In der Absicht sein Gepäck zu holen, schlurfte er die Stufen hinunter, vorbei an Putzeimern, Scheuerlappen und Besen, die wohl jemand auf dem Gang vergessen hatte, als plötzlich zwei leise Stimmen seine Aufmerksamkeit erregten. Wie angewurzelt blieb Sharrkan hinter der Ecke stehen, an die sich seine Kajüte anschloss. Es war unmöglich, nicht zu belauschen, was die eine Person auf eine unverständliche Aussage der anderen antwortete – „Wegen Arik?“ – und eine üble Vorahnung ließ seinen Magen zusammenkrampfen.

„Ja.“ Yamraihas verhaltenes Wispern drang Sharrkan durch Mark und Bein.

„Muss er sich denn Sorgen machen?“, fragte ihre Gesprächspartnerin, welche nun sehr deutlich als eine Freundin aus ihrer Magiereinheit zu bestimmen war. Wie hieß sie noch gleich? Maire?

„Natürlich nicht!“, entgegnete Yamraiha gefestigter.

„Bist du in ihn verliebt?“

„Da- Das kann schon sein…“
 

Sharrkan setzte einen Schritt zurück und trat dabei laut scheppernd einen der Eimer um.

„Verd-“, zischte er, machte schleunigst kehrt und hastete die Treppe wieder hoch, doch er war kaum mit dem zweiten Fuß durch die Tür, als er Yamraiha schon hinter sich rufen hörte.

„Sharrkan, warte!“

Unschlüssig huschte sein Blick übers Deck, aber er wusste: Auf einem fahrenden Schiff konnte es kein Entkommen geben. Um ein wenig Zeit zu gewinnen, marschierte er ziellos in Richtung Bug und musste staunen, wie nahe ihnen Sindria bereits war, als die Flotte das gewaltige Felsenportal der Insel durchquerte. Trotzdem blieb ihm keine Gelegenheit nach den passenden Worten zu suchen, bevor Yamraiha ihn eingeholt hatte. Sie wirkte so unsicher, als habe sie ebenfalls noch nicht recht überlegt, was sie sagen wollte.
 

„Sharrkan, du… bist du wieder gesund?“, erkundigte sie sich. „Du bist ja klatschnass.“

Tatsächlich triefte er noch immer von Kopf bis Fuß von dem unfreiwilligen Tauchgang, den Masrur ihm beschert hatte.

„Ach, das.“ Er zuckte mit den Schultern. „Lange Geschichte“, wich er aus, aber Yamraiha schien auch keine wahrheitsgetreue Antwort erwartet zu haben. Ihr bebender Körper und ihr feuerrotes Gesicht verrieten, dass es ihr offensichtlich einiges abverlangte, aufs eigentliche Thema zu wechseln.

„Wie viel hast du gehört?“, fragte sie schließlich und Sharrkan wusste sofort, wovon sie sprach.

„Genug“, sagte er und ihre Wangen färbten sich noch eine Nuance dunkler.

„Ich wollte nicht, dass du es auf diese Weise erfährst.“

„Schon gut. Ehrlich gesagt, hab ich das schon vermutet.“

„Und wie – wie geht es dir damit?“

„Naja, was denkst du wohl?“, murmelte Sharrkan und kratzte sich verlegen am Kopf. Glaubte sie, er würde Freudensprünge machen, wenn sich herausstellte, dass sie eigentlich für Arik schwärmte? Konnte sie nach all dem wirklich nicht gesehen haben, was er für sie empfand? „Ich kann nicht gerade behaupten, mich darüber zu freuen.“
 

Yamraiha blickte ihn betroffen an. „Ich weiß, ich hab bei dir einen falschen Eindruck erweckt in dieser – dieser einen Nacht. Wir waren – ich war ziemlich betrunken und ich hab einen furchtbaren Fehler gemacht. Ich hätte erst nachdenken sollen.“

Da war sie wieder: die Eiseskälte, die in keinster Weise mit seiner nassen Haut in Zusammenhang stand. Warum hatte sie sich auf ihn eingelassen, wenn es ihr da schon längst mit einem anderen ernst war? Warum hatte sie ihm dann noch Hoffnung machen müssen?

„Komm, lass gut sein“, sagte er, weil es ihm mit jeder ihrer Begründungen unerträglicher wurde. „Es ist gelaufen, okay?“

Yamraihas Augen füllten sich mit Tränen. „Können wir denn wenigstens Freunde-“

„Ich glaube nicht, dass ich das hinkriege.“ Das, was Sharrkan wollte, war alles andere als Freundschaft.

„Verstehe“, flüsterte sie erstickt. „Da hab ich die Signale wohl völlig falsch gedeutet.“

Aber er erfuhr nie, welche Signale sie angeblich auf welche Weise gedeutet hatte, denn während ihrer Unterhaltung war das Schiff im Hafen eingetroffen.
 

Unter einigem Radau hetzten die Matrosen hin und her, warfen ihren Kameraden an Land ein paar Taue zu und platzierten die Rampe, woraufhin ein Teil der Belegschaft schon von Bord ging. Sharrkan nahm von dem Spektakel um ihn herum kaum Notiz und bemerkte die Palastwache erst, als sie ihm von hinten sacht auf die Schulter klopfte.

„General Sharrkan, ich soll Euch ausrichten, dass Ihr Euch bitte so zeitnah wie möglich bei König Sinbad einfinden sollt“, sagte er.

„Was? Wieso?“ Es war wirklich lästig, dass er ihn und Yamraiha ausgerechnet jetzt unterbrechen musste.

„Euer Bruder ist hier.“

Die Nachricht rastete nur sehr langsam in Sharrkans Verstand ein und rückte schlagartig in den Hintergrund, als er Yamraihas verblüfftem Blick folgte, der an ihm vorbei zur Anlegebrücke fiel.

„Ich fass‘ es nicht“, hauchte sie. „Ist das Arik?“



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (0)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.

Noch keine Kommentare



Zurück