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Unausgesprochen

von

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Nicht wie geplant

Sorglosigkeit – mit diesem Wort konnte Sharrkans derzeitige Gemütslage wohl am treffendsten beschrieben werden. Worüber in aller Welt sollte er sich auch Gedanken machen? Durch das tägliche Schwerttraining mit Alibaba und Olba durfte er den Großteil seiner Arbeitszeit mit der Sache verbringen, die ihm am meisten Freude bereitete. Was war daran schon auszusetzen? Hinzu kam, dass seine beiden Schüler zwar erhebliche Fortschritte machten, ihre Fähigkeiten aber bei Weitem nicht an die ihres Meisters herankamen und für ihn kaum eine Herausforderung darstellten. Während Sharrkan sich nach Einläuten des wohlverdienten Feierabends höchstens ein wenig aufgewärmt fühlte, krochen Alibaba und Olba meistens todmüde und völlig verfrüht in ihre Betten. Nur heute, da hatte er die zwei nicht entwischen lassen und weder Gezeter noch Ausreden hatten es ihnen erspart, in einer der vielen Bars von Sindria zu landen.
 

Sharrkans Mundwinkel verzogen sich noch immer zu einem breiten Grinsen, wenn er daran dachte, wie seine Schüler – sich gegenseitig stützend – nach Hause gewankt waren. Ja, und zugegeben hätten auch seine Beine niemals diesen Weg eingeschlagen, wäre er selbst nicht mindestens angetrunken gewesen. Doch der Alkohol überspielte die Unsicherheit ganz gut, die in seinem Bauch für ein nervöses Flattern sorgte, und flüsterte ihm eindringlich ins Ohr, dass an seinem Vorhaben überhaupt nichts Schlimmes dabei sei. Schließlich hatte auch sie schon oft genug nachts vor seiner Tür gestanden.
 

Einen Moment hielt Sharrkan inne und blickte von der Brüstung des Turmes hinab auf die Stadt, ließ sich vom mildwarmen Wind durch die Haare fahren und betrachtete die Spiegelung des Mondes, die sanft auf den schwarzen Wellen des Meeres trieb. Vor einem halben Jahr, nach einer Maharaghan, war er zum allerersten Mal hier gewesen – zusammen mit Yamraiha, bloß ein paar Schritte von ihrem Zimmer entfernt. Sie hatten beide zu viel getrunken gehabt und irgendwie war plötzlich das Eine zum Anderen gekommen, ohne dass er wirklich realisieren konnte, was gerade geschah. Danach waren sie einander tagelang aus dem Weg gegangen, doch seltsamerweise hatte es seitdem in unregelmäßigen Abständen immer wieder nächtliche Begegnungen gegeben. Manchmal von ihm ausgehend, manchmal von ihr, aber niemals nüchtern und niemals waren Sharrkan und Yamraiha am nächsten Morgen nebeneinander aufgewacht. In stillem Einverständnis hatte keiner von beiden auch nur ein einziges Wort über ihre gegenseitigen Besuche verloren und weil ihre Sticheleien und Feindseligkeiten weiterhin zum normalen Umgangston gehörten, war ihr kleines Geheimnis bisher auch unentdeckt geblieben.
 

Zielstrebig folgte Sharrkan dem Flur das letzte Stück bis zu Yamraihas Tür, hob die Hand um anzuklopfen und stutzte, als ihm auffiel, dass sie unverschlossen war. Aus dem Raum dahinter drang gedämpftes Schluchzen und schlagartig war all die Leichtigkeit, die ihn noch ein paar Minuten zuvor durchströmt hatte, wie weggeblasen. Eine kurzzeitige Starre wich der Idee, sich umzudrehen und diesen Ort zu verlassen – denn ganz offensichtlich war die Magierin gerade nicht in Stimmung ihn zu empfangen – doch irgendetwas hinderte ihn an der Umsetzung seines Plans.
 

Yamraiha lag bäuchlings auf ihrem Bett, das Gesicht in einem Kissen verborgen. Reglos verharrte Sharrkan in der Diele, hoffte darauf, dass sie ihn von selbst bemerken würde und musste schließlich auf ein vernehmliches Räuspern zurückgreifen.

„Yamraiha? Alles in Ordnung?“

Zu Tode erschrocken riss die junge Frau sich hoch und präsentierte ein fleckiges Gesicht, aus dem zwei rote, verquollene Augen Sharrkan irritiert anstarrten. Wäre die Situation weniger ernst gewesen, hätte er sie bei diesem Anblick ganz sicher aufgezogen.

„Was willst du denn hier?“, war ihre erste Reaktion, obwohl sie darauf, wenn sie eins und eins zusammenzählte, wohl nicht wirklich eine Antwort erwartete.

„Viel wichtiger ist wohl: Warum weinst du?“, stellte er als Gegenfrage, ließ die Tür hinter seinem Rücken ins Schloss fallen und kam auf Yamraiha zu.
 

„Es ist nichts“, entgegnete sie brüsk, wischte sich mit dem Ärmel die Tränen von den Wangen und rutschte dann an die von Sharrkan abgewandte Bettkante.

„Ach, wirklich? Sah mir gar nicht danach aus.“ Langsam ging er zu ihr herüber und ließ sich neben sie sinken – aufgrund ihrer aufgewühlten Verfassung, wie die Erfahrung es ihn gelehrt hatte, in einigem Sicherheitsabstand.

„Ich hab bloß einen schlechten Tag gehabt“, gab Yamraiha seinen auffordernden Blicken unwillig nach. „Halb so wild.“

„Und?“

Sie biss sich auf die Lippen, wirkte elender als jemals zuvor und murmelte: „Und auf einmal ist alles wieder hochgekommen. Ich meine… mit Magnostadt… und mit…“
 

Sharrkan wusste, wovon sie sprach. Auch wenn er selbst nicht dabei gewesen war, hatte er von der großen Schlacht in Magnostadt vor wenigen Wochen gehört – jeder hatte das. Und ihm war auch bekannt, dass Yamraihas Adoptivvater, der Leiter der Magierakademie, bei diesem Kampf sein Leben gelassen hatte. Nur von den genauen Umständen, da hatte er keine so wirkliche Ahnung.

Stumm saß Sharrkan da, überlegte fieberhaft was er Tröstendes, Hilfreiches oder Humorvolles sagen konnte, während die peinliche Stille sich im Raum ausdehnte wie zäher Kaugummi.

„Sieh es doch mal so“, formulierte er schließlich recht umständlich. „Er hatte immerhin ein langes und glückliches Leben. Das ist doch auch was, nicht wahr?“
 

Noch bevor er den Mund ganz geschlossen hatte, wurde Sharrkan bewusst, dass er einen bösen Fehltritt begangen hatte, denn mit voller Wucht knallte Yamraihas Kissen ihm direkt auf die Nase.

„Wie kannst du es wagen?! Was fällt dir überhaupt ein?!“, schrie sie ihn wutentbrannt an.

„Ich meinte-“

„Was weißt ausgerechnet du davon, ob Mogamett glücklich gewesen ist? Was weißt du schon, was er in seinem Leben alles durchgemacht hat? Bildest du dir etwa ein, du hättest ihn gekannt? Du weißt gar nichts!

Wieder und wieder schlug sie auf Sharrkan ein, der – erschrocken von ihrer Impulsivität – abwehrend die Arme hob.

„So hab ich das doch überhaupt nicht gem-“, setzte er erneut an, doch Yamraiha hatte sich zu sehr in Rage geredet, als dass sie auch nur eines seiner Worte hätte wahrnehmen können.
 

„Du bist ein egoistischer, unsensibler Mistkerl, Sharrkan!“, grollte sie weiter. Ihr Gesicht war jetzt rot vor Zorn und sie zitterte am ganzen Leib.

„Yamraiha-“

„Hast du überhaupt eine Vorstellung davon, wie es ist, einen geliebten Menschen zu verlieren?!“

„Ich-“

„Mich kennst du doch genauso wenig, wie du Mogamett gekannt hast! Meine Gefühle interessieren dich einen Dreck! Du kommst immer nur bei mir an, weil du das Eine willst-“
 

„Es reicht!“

Sharrkan war vom Bett aufgesprungen. „Du bist völlig durchgeknallt, du verdammte Hexe!“, brüllte er zurück. „Lass deinen Frust gefälligst an jemand anderem aus!“

Das Kissen traf ihn am Hinterkopf, als er Richtung Ausgang davonstapfte und er konnte sich glücklich schätzen, dass sie keine Wassermagie gebraucht hatte. Sonst wäre er jetzt wohl bis auf die Knochen durchnässt gewesen – oder verbrüht, je nachdem. Verärgert lehnte er sich von außen gegen die Zimmertür, atmete ein paarmal tief ein und aus und hörte, wie Yamraiha drinnen hemmungslos zu weinen begann.
 

Für einige Minuten schloss Sharrkan die Augen und kämpfte ein zweites Mal an diesem Abend gegen den Drang, einfach wegzulaufen. Er fühlte sich ertappt, dass sie so unverblümt ausgesprochen hatte, was selbstverständlich der Wahrheit entsprach: nämlich dass er sie nur aufgesucht hatte, um mit ihr zu schlafen. Sharrkan erntete haufenweise glühende Blicke von Mädchen, bei denen es ein Leichtes war, sie zu sich ins Bett zu holen und musste sich trotzdem eingestehen, dass es ihm mit keiner anderen so gut gefiel wie mit Yamraiha.

Doch in allen anderen Punkten lag sie absolut daneben. Er wusste sehr wohl, wie sich der Tod einer nahestehenden Person anfühlte – für das Begräbnis seiner Mutter war er als Kind eigens zurück nach Heliohapt gereist. Und nur, weil er vielleicht nicht allzu viel über Yamraihas Vergangenheit wusste, hieß das nicht, dass es ihn nicht interessierte.
 

Den Geräuschen nach zu urteilen, schien die Magierin sich allmählich beruhigt zu haben und Sharrkan riskierte es, die Tür vorsichtig wieder zu öffnen, während das eigene Herz ihm heftig gegen die Rippen pochte. Beängstigend stumm und mit hängenden Schultern kauerte sie noch immer an dem Platz, an dem er sie zuvor hatte sitzenlassen.

„Willst du mich weiter verprügeln?“, fragte er unsicher und sie schüttelte den Kopf. „Dann komme ich jetzt rein, ja?“ Ein Nicken.

Voller Misstrauen betrat Sharrkan das Zimmer, ließ seinen potentiellen Fluchtweg nicht aus den Augen und blieb außerhalb von Yamraihas Reichweite vor ihr stehen. Sie gab keinen Ton von sich – nur hin und wieder ein leises Schniefen – und blickte stur auf den blanken Holzboden zu seinen Füßen. Sharrkan schluckte die unzähligen Dinge hinunter, die ihm auf der Zunge lagen und zwang sich, seinem Instinkt zu vertrauen und einfach abzuwarten.
 

„Matal Mogamett hatte kein einfaches Leben“, sagte Yamraiha endlich mit belegter Stimme, als hätte er sie zum Sprechen aufgefordert. „Er ist ausgenutzt worden und diskriminiert und im Krieg wurde ihm seine einzige leibliche Tochter genommen. Er hatte ein hartes Schicksal.“

„Das hab ich nicht gewusst.“

„Ich weiß.“

„Ich wollte seinen Tod auch bestimmt nicht herunterspielen.“

„Ich weiß.“

„Und ich kann nachempfinden, wie groß deine Trauer ist.“

„Ja… ich weiß.“
 

Lautlos fielen die Tränen in ihren Schoß, bildeten dunkle Flecken auf ihrer Kleidung und wollten sich nun endgültig keinen Einhalt mehr gebieten lassen.

„Es tut mir leid“, flüsterte Yamraiha bitterlich und vergrub das Gesicht in den Händen. Sharrkan hatte sie noch nie zerbrechlicher erlebt. Er machte ein paar Schritte auf sie zu und – zu seiner eigenen Überraschung – fast so, als hätte er es von Anfang an im Sinn gehabt, nahm er ihre Handgelenke und zog sie vom Bett hoch, in seine Arme. Am ganzen Körper bebend drückte Yamraiha sich an ihn und ließ all ihrer Verzweiflung freien Lauf, während er ihr zärtlich über das lange Haar strich. Es hatte diesen vertrauten Duft, der Sharrkan jedes Mal ein bisschen an Meer erinnerte.
 

„Warum erzählst du mir nicht ein bisschen was?“, schlug er vor, nachdem sie sich schon eine Weile an seiner Brust ausgeweint hatte und noch immer vergeblich um Beherrschung rang. Die Ablenkung zeigte ihre sofortige Wirkung und Yamraiha blinzelte ihn perplex an.

„Erzählen? Worüber denn?“, krächzte sie. „Über Mogamett?“

Sharrkan spürte eine unangenehme Hitze bis in seine Wangen aufsteigen, die nicht dem Alkohol geschuldet war. Er mied ihren Blick und fasste sich ein Herz, indem er sagte: „Nein, ich… ich meinte eher über dich.“
 

Dem folgte ein ungläubiges Schweigen.

„Bist du dir sicher, dass dich das interessiert?“, fragte Yamraiha skeptisch, doch auf ihre Lippen hatte sich plötzlich ein mildes Lächeln geschlichen, das sie nun ebenso erfolglos zu verstecken versuchte, wie zuvor ihre Tränen. „Du verstehst schließlich nicht viel von Magie. Das ist sicher totlangweilig für so einen dämlichen, selbstgefälligen Schwertkämpfer wie dich.“

Eine Erleichterung, die Sharrkan sich beim besten Willen nicht erklären konnte, durchströmte ihn vom Haaransatz bis in die Zehenspitzen. Mit einer aufsässigen Yamraiha konnte er so viel einfacher umgehen als mit einer weinenden und nicht halb so forsch wie beabsichtigt entgegnete er: „Wenn es mich langweilt, kann ich ja einfach so tun als ob. Du blöde Hexe.“



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  MyokoMyoro
2015-12-25T19:29:04+00:00 25.12.2015 20:29
Schöne Geschichte. Sie war so Hezerwärment wie auch rührent geschrieben.
MyokoMyoro
Von:  magia
2015-03-20T14:43:19+00:00 20.03.2015 15:43
Ich fand das echt toll geschrieben! Tolle story & gut umgesetzte Charaktere. Passt meiner Meinung nach ganz toll zu Magi :D Du hast einen schönen schreibstil wie ich finde
lässt sich sehr flüssigg lesen. Viel Erfolg mit weiteren fanfictions ^^


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