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Schicksalswege

von

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Die Jagd

Jean war genauso überrascht ihn zu sehen, wie Bernard zuvor. „Hast du wohl noch deine freien Tage?“, grüßte er seinen Freund und ließ ihn herzlich in die leere Wirtsstube eintreten. Sie gehörte seiner Familie und mit ihrer Unterstützung veranstaltete er hier häufig geheime Versammlungen mit den Bürgern, um die neue Ideen auszudiskutieren und die Machtverhältnisse des Landes zu durchschauen. Heute war anscheinend nichts los. „Such dir ein Platz aus und ich bringe dir ein Bier“, lud er ihn ein und verschwand schon hinter der Theke.
 

„Danke.“ André musste daraufhin schmunzeln – ungewollt, versteht sich. Jean war in jeder Hinsicht anders als alle seine Freunde und er konnte auf eine gewisse Art die Menschen durchschauen. So ähnlich wie er das bei Oscar vor etlichen Jahren bei einer öffentlichen Feier gemacht hatte. Vielleicht war es genau diese philosophische Art, die André heute zu ihm brachte. Er zog seinen Umhang aus, warf ihn über einen der Stühle und suchte sich gleich an der Theke ein Platz aus. „Hast du heute geschlossen?“
 

Jean stach nicht weit von ihm ein Fass an, schob einen leeren Krug unter dem Hahn und redete mit André ohne zu ihm hinzuschauen: „Der Geschäft läuft sowieso nicht mehr so gut wie früher. Heutzutage haben die Menschen kaum noch Geld, um ihre Zechen zu bezahlen oder sich ein Bier zu gönnen. Daher ist es praktischer, wenn sie wegen neuen Bewegungen hierher kommen und sich während der Diskussion sich doch noch ein Bier leisten.“
 

André musste breit grinsen. „Ich wusste nicht, dass du so gerissen bist und deine eigene Leute ausbeutest.“
 

„Das tue ich ganz und gar nicht.“ Jean tat den vollen Krug beiseite und schob unter den Hahn wieder einen Leeren. „Ich biete ja mein Bier nicht zu horrenden Preisen an, wie manche andere. Jeder, der mein Bier trinkt, zahlt so viel wie er aufbringen kann.“
 

„Hmmm...“ André war beeindruckt. „Und trotzdem läuft das Geschäft nicht gerade gut?“
 

„Das weniger, aber wir leben halt mit dem was wir haben und müssen uns damit zufrieden geben, ob wir wollen oder nicht.“ Jean drehte den Hahn zu und klemmte ihn ein, damit es nicht mehr tropfte. Dann nahm er die zwei volle Krüge und stellte einen vor André. „Aber bei dir geht´s aufs Haus.“ Er hob sein Krug zum Prosten in die Höhe. „Auf unser Wiedersehen und mögen wir irgendwann bessere Zeiten haben!“
 

„Auf unser Wohl!“ André hob sein Krug auch, stieß mit Jean an und trank einen kräftigen Schluck. Die herbe Flüssigkeit tat seiner Kehle gut und löste nebenbei auch seine Anspannung auf.
 

„Und nun erzähl, was gibt´s Neues?“, befragte ihn Jean neugierig, nach dem er sein Bier abstellte und den Schaum von seiner Oberlippe wegwischte. „Was macht Alain und die Brüder? Schlagen sie sich immer noch bei jeder Kleinigkeit?“
 

„Nein, nicht mehr.“ André tat ihm gleich mit seinem Bier. „Mit den Jahren sind sie alle vernünftiger geworden. Es gibt genug anderen Problemen, als die Rangeleien aus unserer Jugendzeit.“
 

„Da hast du wohl Recht. Und die Zeiten werden immer härter“, prophezeite ihm Jean und senkte seine Stimme. „Immer mehr Bürger versammelten sich in Gruppen und besprechen, was sie gegen die Adligen und deren Unterdrückung unternehmen können. Du weißt, ich habe überall meine Anhänger und fast jeden Tag bringen sie mir nicht gerade erfreuliche Nachrichten.“
 

André spitzte seine Ohren auf. Nun kam langsam der Zeitpunkt an, wo er das Thema auf Oscar lenken könnte. „Auch aus Versailles?“
 

Jean durchschaute den wahren Grund dahinter und schmunzelte. „Auch aus Versailles. Aber eher die Klatschgeschichten von der Königin. Obwohl einige auch der Wahrheit entsprechen – wie zum Beispiel die Rückkehr Ihrer Majestät an den Hof, über Graf von Fersen, das merkwürdige Treiben vom schwarzen Ritter und dass der schöne Kommandant der königlichen Garde ihm nachjagt.“
 

„Er hat gestern Oscar geschlagen und wegen ihm sind wir nun zerstritten...“ Ohne dass André es merkte, verfinsterte sich sein Gesichtsausdruck und seine Finger krallten sich fester um den Bierkrug.
 

„Was sagst du?“ Jean zog eine Braune in die Höhe. „Es scheint mir, du kennst die beide mehr als ich angenommen hatte...“ Er beugte sich zu ihm vor. „Was ist vorgefallen?“
 

„Wenn ich es dir erzähle, versprichst du mir, dies für dich zu behalten? Und mir danach einen Gefallen zu tun?“, betonte André und schaute ihm geradewegs in die Augen.
 

Jean nickte ohne zu zögern. „Hoch und heilig! Du kennst mich doch!“
 

„Also gut.“ André nahm noch ein Schluck Bier und begann zu erzählen: „Oscar und ich sind nicht vor allzu langer Zeit ein Paar geworden, aber seit heute sind wir ganz bestimmt keines mehr... Dank dem schwarzen Ritter... Ich kenne den Mann, aber ich kann ihn nicht verraten und das hat Oscar nicht verstanden... Sie will den schwarzen Ritter fangen, koste es was es wolle und ich habe sie versucht davon abzubringen... Wir haben uns deswegen zerstritten und ich befürchte sie wird etwas Unüberlegtes machen, etwas das ihr schadet...“ André erzählte noch von ihrer Kopfverletzung und dass sie es dem schwarzen Ritter, beziehungsweise seinen Männern zu verdanken hatte.
 

Jeans Augen wurden immer größer. Aber sein Kopf durchdachte gleichzeitig neue Ideen. Es beeindruckte ihn, dass sein Freund André den berüchtigten Kommandanten des königlichen Garderegiments auf seine Seite gewinnen konnte, aber zum Gratulieren war gerade nicht der passender Moment. Als André mit seiner Erzählung fertig war, umfasste Jean nachdenklich sein Kinn. „Ganz schön vertrackte Sache... Und ich muss zugeben, kurz bevor du hierher kamst, war einer meiner Spitzen hier gewesen und über gestrige Jagd erzählt...“
 

„Was?“ Jetzt weiteten sich bei André die Augen. „Dann war er vielleicht...“
 

„Nein, er hat nicht deinen schönen Kommandanten geschlagen...“, unterbrach ihn Jean kopfschüttelnd. „Das war einer seiner Kumpane. Er meinte, er war froh, dass sie ihnen entwischt ist, denn sonst müssten wir dich mit einer traurigen Nachricht konfrontieren.“
 

„Das bin ich auch, sonst würden sie alle von mir etwas erleben!“, murrte André verstimmt und trank noch ein Schluck Bier. Dann fiel ihm etwas anderes auf und er sah Jean besorgt an. „Aber nicht, dass der Mann als dein Spion entlarvt wird...“
 

„So läuft das hier nicht, André...“ versuchte Jean ihn aufzuklären: „Der schwarzer Ritter weiß, dass der Mann zu mir gehört und er würde ihm nichts antun, weil er ein Bürgerlicher ist. Wir alle arbeiten so gesehen für niemanden, außer für eine gerechte Sache und die bessere Zukunft ohne die Unterdrückung von Aristokraten und Monarchie. Und wir halten uns gegenseitig auf dem Laufenden. Das tun wir, um irgendwann gegen den Adel vorgehen zu können und unsere Rechte zu behaupten. Deine Kleine, sage ich mal so, ist gerade zur falschen Zeit am falschen Ort... Deine Sorgen um sie sind daher nicht unbegründet und sie läuft auf einer Messerschneide, wenn sie nicht aufhört.“
 

„Deswegen bin ich hier. Ich möchte, dass du mir hilfst, sie aufzuhalten.“ André verstand alles, was Jean meinte und nebenbei fühlte er sich etwas leichter, sich ihm anvertraut zu haben. „Da ich bald wieder in der Kaserne bin und zum allen Überdruss auch noch mit Oscar zerstritten, kann ich nicht mehr auf sie Acht geben.“
 

„Ich verstehe, was du meinst.“ Jean ließ ihn nicht weiter sprechen und reichte ihm verschwörerisch seine Hand: „Du kannst auf mich zählen. Ich werde höchstpersönlich ein Auge auf sie haben.“
 

„Ich danke dir von Herzen!“ André schlug ein und seine Laune besserte sich noch mehr, als er mit Jean ihre Vorgehensweisen bis ins kleinste Detail planten.
 


 


 

- - - 
 


 


 

Dicke Schneeflocken glitten geräuschlos durch die Luft und legten sich leise auf den harten Erdboden nieder. Es war ganz sicher der letzte Schnee, denn der Winter war bereits so gut wie vorüber. André weilte schon längst wieder in der Kaserne und wartete sehnsüchtig auf seine dienstfreien Tage im ersten Monat des Frühlings. Den ganzen Winter über hatte er weder etwas von Oscar noch vom schwarzen Ritter gehört. So, als hätten die beide einen Waffenstillstand für die kalte Jahreszeit abgeschlossen. Und keiner der beiden hatte ihn aufgesucht. Nur Jean kam ab und zu an Besuchstagen vorbei und brachte André gewisse Neuigkeiten. Wie auch heute, an diesem schneereichen Tag kurz vor Ende des Winters. Nach der leutseligen Unterhaltung mit Alain und den Brüdern Jérôme und Léon, geleitete André seinen Freund bis zu den Haupttoren der Kaserne. Das war der beste Vorwand, die geheimen und vertrauliche Neuigkeiten zu erfahren, ohne dass es jemand ihrer andere Freunde mitbekam.
 

„...der schwarzer Ritter hat vor, im März wieder auf Raubzüge zu gehen“, flüsterte Jean mitten auf dem Weg und hüllte sich mehr in seinen Mantel ein.
 

André war es in seiner Uniform hier draußen auch Kalt, aber noch mehr wuchs in ihm sogleich ein unbehagliches Gefühl und eine schlimme Vorahnung. „Dann wird ihm Oscar wieder nachjagen...“, schlussfolgerte er trüb.
 

„Ja, das denke ich auch. Und sie heckt etwas aus“, fügte Jean mit Bedacht hinzu.
 

Das gefiel André ganz und gar nicht. „Was genau heckt sie aus? Konntest du etwas darüber herausfinden?“
 

„Tut mir leid, aber ich weiß es nicht“, offenbarte ihm Jean bedauerlich. „Ich weiß nur, dass deine Großmutter hatte bei einem Schneider in Paris, Unmenge schwarzen Stoff bestellen lassen. Und das auch noch im Auftrag ihres Schützlings...“
 

André blieb wie angewurzelt stehen und fasste sich an die Stirn. „Ich ahne nichts Gutes...“
 

„Die Sache gefällt mir auch nicht.“ Jean blieb direkt neben ihm stehen und legte ihm die Hand auf die Schulter. „Aber ich kriege das schon raus, keine Sorge und dann kannst du deine Kleine noch rechtzeitig von ihrer Torheit bewahren.“
 

„Ich hoffe, dass ich mein Dienstfrei schon bald bekomme, bevor noch ein Unheil aufkommt!“, vertraute ihm André an und dann verabschiedete er sich von ihm.
 


 

In zwei Wochen brach der Frühling an und die warmen Sonnenstrahlen verjagten die restliche Winterkälte. Der Schnee schmolz, erste Blumen sprießten aus der Erde und die ersten Singvögel begannen mit ihrem Singsang. Die Natur erwachte aus dem langen Winterschlaf und eine Woche später als gedacht, bekamen André und seine Kameraden ihre langersehnte dienstfreien Tage. Es war bestimmt ein Zufall, dass ausgerechnet um diese Zeit wieder ungewöhnliche Dinge geschahen: Der schwarze Ritter tauchte wieder auf und machte seine Raubzüge. Aber diesmal bestahl er nicht nur die Adligen und verteilte seine Beute unter der Ärmsten der Armen, sondern er begann auch die königliche Transportzüge zu überfallen. André erfuhr das alles von Jean. „...und vorgestern hatte er den Tross des General de Jarjayes überfallen und 500 Gewehre erbeutet“, berichtete er ihm, als er ihn während seines Dienstfrei besuchte.
 

„Oscar wird den schwarzen Ritter noch mehr jagen...“, vermutete André aussichtslos. „500 Gewehre... Das muss man sich mal vorstellen! Ich muss unbedingt etwas unternehmen, bevor Oscar wieder dem schwarzen Ritter im Nacken sitzt!“
 

„Ich glaube, das tut sie bereits...“
 

„Wie meinst du das jetzt, Jean?“
 

„Nun, erinnerst du dich, als ich dir davon erzählte, dass deine Großmutter im Auftrag ihres Schützlings Ballen vom schwarzen Stoff bei einem Pariser Schneider bestellt hatte?“
 

„Ja, ich erinnere mich. Das geht mir immer noch nicht aus dem Kopf“, meinte André bestätigend und Jean fuhr leise fort: „Also ich war gestern höchstpersönlich unterwegs zum Anwesen de Jarjayes, um mehr über diesem Diebstahl der Gewehre zu erkundigen und wollte erfahren, was deine Kleine oder ihr Vater dagegen unternehmen werden“, erklärte er mit bedächtig gesenkter Stimme, aber so dass sein Freund ihn Verstand. „Mit Einbruch der Dunkelheit war ich beim Anwesen und suchte mir eine schöne Stelle um unbemerkt ins Innere zu gelangen, als ein zweiter schwarzer Ritter nicht weit von mir aus dem Tor preschte. Ich dachte, mich trifft ein Schlag und ich konnte eine Weile meinen Augen nicht trauen!“
 

„Willst du damit sagen, dass es einen zweiten schwarzen Ritter gibt?“ André verstand nichts, aber das ungute Gefühl wuchs stetig. „Vielleicht hast du dich getäuscht und es war immer derselbe. Immerhin war es ja fast dunkel, wie du es sagst.“
 

„Für einen Wimpernschlag dachte ich schon, dass es unser Bernard sein könnte...“ Jean lächelte freudlos und sah André fast mitleidig an. „...aber dann fiel mir seine blonde Haarmähne auf. Und er wirkte viel zu schmal für einen Mann. Auch wenn bereits die Nacht hereinbrach.“
 

André schlug die Kinnlade unter. „War er auf einem weißen Pferd?“ Als wäre das wichtig! Vielleicht suchte er unbewusst doch noch nach einem Widerspruch.
 

„Ausnahmsweise war das ein schwarzes Pferd, genauso wie Kostüm und Maske.“ Jean konnte ihm den Unglauben vom Gesicht ablesen und hätte ihm den Schlag gerne erspart, aber das konnte er nicht. Er hat den vermeintlichen schwarzen Ritter mit eigenen Augen gesehen und war sich mehr als sicher, wer in Wahrheit dahinter steckte. Denn er hatte bereits mehrmals das Vergnügen gehabt, auch den Kommandanten der königlichen Garde flüchtig zu sehen. „Es tut mir Leid André, aber deine Kleine scheint so besessen darauf zu sein, den schwarzen Ritter dingfest zu machen, das sie es ihm gleich tut und den Lockvogel spielt.“
 

„Das lasse ich nicht zu! Ich muss den beiden zuvorkommen! Ich muss sie aufhalten!“ André schoss aufgebracht von seinem Platz hoch und bevor er die kleine Bierstube von Jean verließ, bedankte er sich zum Abschied. „Ich danke dir für alles. Nun übernehme ich das. Ich möchte nicht, dass du mit hineingezogen wirst.“
 

„Das habe ich gerne getan. Und du weißt, du kannst immer zu mir kommen.“ Jean schüttelte ihm kräftig die Hand. „Und passe gut auf dich auf!“
 

„Das werde ich, Jean", sagte André, aber in Gedanken war er schon längst bei Oscar und Bernard.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Soraya83
2016-02-12T15:18:33+00:00 12.02.2016 16:18
Oooooohhweeeeh.... nicht das André jetzt dazwischen kommt und ihm was passiert... :(
Antwort von:  Saph_ira
13.02.2016 12:02
Das würde sich noch zeigen, dankeschön. :-)


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