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Er liebt mich, er liebt mich nicht

[Secret Love]
von

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Die überladenden, bunt dekorierten Schaufenster und grellen Werbetafeln des berühmten tokyoer Einkaufs- und Vergnügungsviertelns Ginza rasten an Takedas Sichtfeld vorbei. Grün und rot und gelb und blau und pink. Alles verschwamm zu einem Wirbel aus leuchtenden Farben.

Takeda war wieder sechs Jahre alt. Die Hand seines alten Freundes Hirakawa hatte ihn am Arm gepackt und zerrte ihn durch die überfüllten Straßen hinter sich her. Durch die Augen eines Kindes wirkte die Stadt noch viel größer und überwältigender, als sie es ohnehin schon war. Doch Hirakawa schien ein klares Ziel zu haben. Er ließ sich nicht beirren, noch verlangsamte er seinen Schritt.

Vor einem eher unscheinbaren, weniger bunten und etwas altmodisch wirkenden Schaufenster in einer schmalen Seitengasse schließlich hielt er inne und ließ Takedas Arm los. Mit dem schlanken Zeigefinger seiner linken Kinderhand wies er auf die Auslagen des Antiquariats.

»Sieh mal!«

Zwischen handbemaltem Porzellan und fein geschnitzten Elfenbein-Figuren aus der Meiji-Zeit stand dort, auf rotem Samt gebettet, eine alte, hölzerne Spieluhr. Auf ihrem runden Sockel drehte sich ein bunt bemaltes Pärchen im Tanze. Eine Szene aus dem Ballett, etwas Fremdartigem, Europäischem.

»Oh, wie schön!«, murmelte Takeda und bewunderte die Entdeckung seines Freundes. Die Figuren drehten und drehten sich wieder und wieder um die eigene Achse und je länger Takeda hinsah, desto größer wurde seine Angst, das Mädchen könnte durch den Wirbel aus den Händen des Jungen gerissen werden und zwischen all dem Porzellan und Elfenbein um die Spieluhr her für immer verloren sein.

»Das sind wir«, erklärte Hirakawa mit fester Stimme, den Blick ebenfalls auf die Spieluhr geheftet.

Überrascht sah Takeda zu seinem Freund auf, versuchte seinen Blick aufzufangen, doch es gelang ihm nicht. Also wandte er sich wieder der Spieluhr zu, verengte die Augen ein wenig und hielt den Kopf leicht schräg. Ja, er konnte verstehen, was Hirakawa gemeint hatte, auch wenn er es nicht in Worte zu fassen vermochte. Das dort auf der Spieluhr, das waren sie.

Ein kurzes Schweigen entstand, ehe Takeda endlich sagte: »Ja, schon. Aber das eine ist doch ein Mädchen.« Endlich wandte Hirakawa ihm das Gesicht zu.

»Ja. Na und?«

Wieder kurzes Schweigen, dann brachen die Jungen in schallendes Gelächter aus, lachten ihr Glück und ihre Freude, ihre Unbeschwertheit in die Welt hinaus.

Und die Szenerie verschwamm in weißem Nebel.

Einige Herzschläge lang konnte Hirakawa nichts mehr sehen, nichts als dieses blendende Weiß. Dann schälte sich ein Gesicht aus dem Nebel, Hirakawas Gesicht, älter dieses Mal. Das Gesicht eines Teenagers.

»Unsere Spieluhr ist weg.«

»Wovon redest du?«, hörte Takeda sich selbst sagen und doch hatte er die Lippen fest verschlossen. Es war ein anderes, ein falsches Ich, das aus dem Nichts heraus für ihn sprach, das ihm die Kontrolle entriss.

»Unsere Spieluhr aus dem Antiquariat in Ginza.«

»Dann hat sie wohl jemand gekauft.«

Diese Gleichgültigkeit. Wieso war da so viel Gleichgültigkeit in Takedas Stimme? Es war nicht seine eigene.

»Irgendwie hatte ich immer das Gefühl, sie würde für immer da sein.«

Sei endlich still! Hör auf, so zu reden! Doch die Worte wollten sich einfach nicht halten lassen.

»Ein Antiquariat kauft Sachen an, um sie zu verkaufen. So ist das eben.«

»Ja, vielleicht...«

Ein merkwürdiger Ausdruck überschattete Hirakawas Augen. Ein Ausdruck, den Takeda nicht deuten konnte, der ihm fremd war und der seinem Herzen doch einen Stich versetzte, ihm den Atem nahm, der ihn ängstigte. Dieser Blick...



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  May_Be
2015-02-26T16:26:09+00:00 26.02.2015 17:26
Uhhh, hab Gänsehaut. Du schreibst wirklich schön. Vor allem liebe ich deine Wortspiele...


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