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Raftel (2)

The Rainbow Prism
von

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42 - Der Wächter

Obwohl höchste Eile geboten war, musste Zoro notgedrungen lange bei der Heartpiratenbande verweilen. Und zwar länger, als es ihm beliebte und er es eingeplant hatte. Nach einer ausgelassenen Rast und einem für Zoros Verhältnisse viel zu ausführlichem Bericht seinerseits über die aktuelle Lage der Nation, hatte er sich mit Law zu einem Vier-Augen-Gespräch auf das Deck der Ghost zurückgezogen. Es hatte den Hanyô den ganzen Abend und die halbe Nacht gebraucht, Laws Zustimmung zu seinem Plan zu erhalten, obgleich Zoro grundsätzlich kein Mann von vielen Worten und der Chef der Heart-Crew in keiner Sekunde überzeugt war. Wieder und wieder haderte Law mit seiner Entscheidung und fand unzählige Einwände. Immerhin galt es, sein Leben komplett im Hier und Jetzt sofort ändern zu müssen. Und wer wollte das schon so spontan?

Im Morgengrauen waren sie dann aufgebrochen. Die Ghost samt Besatzung sollte in dem Hafen in Sicherheit vor Anker bleiben, bis sie Nachricht über das weitere Vorgehen erhalten würden. Und so trug Pikadon auf seinem breiten Rücken seine zwei Reiter sanft und gleichmäßig wie ein Schaukelpferd über den Regenbogen dorthin zurück, woher er noch vor gar nicht so langer Zeit gestartet war. Law war skeptisch, wie sich das bunte Band unter den Hufen des Einhorns aufspannt und dann durch die Luft schlängelte. Kaum hatte das Fabeltier seine Galoppade aufgenommen und einige Meter auf dem Lichtboden gutgemacht, so löste sich hinter ihm der Regenbogen wieder auf. Es glich einem bunten Streifen, der von allein durch die Lüfte flog, und Pikadons innerer Wille war es, der ihn lenkte und die Geschwindigkeit vorgab. Law sprach die ganze Reise kein Wort, hatte sein übliches Pokergesicht aufgesetzt, blickte aber neugierig und erstaunt zugleich in die Tiefe hinab, wo blaue Wasserflächen die Sonne reflektierten, Äcker und Felder wie ein großes gewürfeltes Tuch aussahen, Gebirge zu langgezogenen, schroffen Furchen wurden und Wälder Moosgummiflächen bildeten. Es war eine sehr angenehme und schnelle Art des Reisens. Trotzdem war es Law, da es sein erster Flug auf dem Einhorn war, nicht ganz geheuer.

„Der Meeresschaum breitet sich stetig aus!“, informierte Pikadon seine Reiter.

Tatsächlich trieben auf den Weltmeeren vereinzelte Schaumberge vor sich her. Harmlos wie ein Schaumbad in der Badewanne täuschten sie Harmonie und Entspannung vor. Doch Zoro wusste es besser. Wer einmal mit der Magie der Grünäugigen in Berührung gekommen war, der war hoffnungslos verloren. Eine Rettung war für das Opfer nur möglich, wenn man es rechtzeitig aus dem Wasser gefischt und aus dessen Traum erweckt hatte. Dazu musste Leib und Seele aber erst einmal von einem Retter in den endlosen Weiten der Ozeane gefunden werden. Sonst würde sich die Seele im Traum verlieren und der Körper würde sich im Salzwasser auflösen. Zoro konnte nun als reaktivierter Prismenträger die Gefühlswellen aller Menschen aufs Neue spüren und seine Erfahrung ließ es zu, sie zu filtern oder nach Belieben auszublenden. Seinen Freunden ging es gut. Er spürte ihre Ängste, Sorgen, Hoffnungen und Freuden. Sie waren noch nicht allzu lange in ihr persönliches Koma gefallen und verwandelt worden. Doch Tashigis Band wurde immer dünner und dünner. Wut und Verzweiflung zugleich breitete sich in Zoros Herzen aus. Die Trauer gesellte sich dazu und machte es ihm nicht einfacher. Egal, wie es ausgehen würde. Er würde sie finden.

„Reiß dich am Riemen, Zoro! Sonst stürzen wir ab!“, mahnte das Einhorn böse, den es trug nur Passagiere mit reinem Herzen und freiem Gewissen durch die Lüfte.

Da war Zoros Frust ein harter Ballast, den es zu schultern galt. Von Laws Wesen, zeitweise kaltblütig und unberechenbar zu sein, wollte man gar nicht erst reden. Pikadon hatte schon so seine liebe Mühe, seine beiden Schwerstkalliber voller Negativpotential zu transportieren.

Der Regenbogen senkte sich und verschwand zwischen den Wolken. Nur noch wenige Galoppsprünge und sie würden das Nebeldorf erreichen. Blieb nur zu hoffen, dass die beiden Vögel nicht ausgeflogen wären.

Sie landeten direkt neben dem kleinen Häuschen, aus dessen Schornstein es qualmte und somit Bewohner beherbergen müsste. Pikadon hatte noch nicht einmal gestoppt, da schwang sich der Hanyô schon aus der Pferdebewegung galant vom Rücken und stapfte doch recht gefühlsgeladen zur Haustür. In seinem Verstand ging es drunter und drüber. Da konnte er nicht einmal sagen, welches Gefühl nun dominierte. Aber eines wusste er ganz genau: Das alles musste jetzt aufhören. Jetzt sofort!

Mit einem kräftigen Fausthieb klopfte er an das Türblatt, welches Mühe hatte, nicht zu zerbersten. Pikadon und Law blickten Zoro nur seufzend hinterdrein. Eine Schwertspitze schnellte plötzlich aus dem Türspalt heraus, stoppte aber unmittelbar vor Zoros Kehle. Eine ängstliche Taiyoko hatte die Tür geöffnet, sprang nun aber hocherfreut ihrem Vater um den Hals. Es war eine längere Umarmung voller Erleichterung und Wiedersehensfreude.

„Weißt du, wo Takeru ist?“, fragte er seine Tochter leise, doch sie erkannte an der Stimme ihres Vater nur zu gut, dass dort etwas Unheimliches mitschwang, vor dem man sich in Acht zu nehmen hätte.

Sie schüttelte nur den Kopf und gab Auskunft, dass in ihrem tagtäglichen Rhythmus Takeru derjenige welcher wäre, heute das Feuerholz zu besorgen. Er wäre aber schon eine längere Weile fort, was aber nichts Ungewöhnliches wäre. Manchmal dauerte es länger, bis man alle Nachbarn abgegrast und seine Geschäfte erledigt hätte.

„Der wird gemerkt haben, dass wir da sind.“, stellte Zoro laut denkend fest.

„Klar hat er das. Der ist ja nicht doof.“, kommentierte Law die Sachlage. „Meinst du, er verpisst sich?“

Law zuckte dabei fragend mit den Schultern, hatte er doch nur eingeschränkte Möglichkeiten, Takeru zu finden. Einen Room über das komplette Nebeldorf zu erzeugen, wäre zwar möglich, aber sehr kräfteraubend und wenig effektiv. Taiyoko verstand nichts von dem, was hier eben passierte, hatte aber ihren ängstlichen Blick beibehalte. Es war ihr klar wie frisches Quellwasser, dass es um Takeru ging und das Alarmstufe Rot um seine Person herrschte. War er in Gefahr oder war er gar die Gefahr selber? So zielgerichtet wie Law und ihr Vater hier aufgekreuzt waren und nach ihm suchten, verhieß es so oder so nichts Gutes.

„Ich weiß, dass ihr beide sehr befreundet seit. Aber Takeru hat ziemlich viel Mist gebaut und es ist nun höchste Zeit, dass der das ausbügelt. Ich muss den leider mitnehmen.“, versuchte Zoro in ruhiger Tonlage seiner Tochter schonend die Problematik bei zu biegen, was ihm unglaublich schwerfiel, denn innerlich war er kochgar und kurz vor der Explosion.

Er hätte Takerus misslungenes Spiel früher erkennen müssen. So war nun aber das Kind sprichwörtlich in den Brunnen gefallen, weil Takeru es einfach nicht für nötig gehalten hatte, seinen Mund aufzubekommen, sondern lieber den Weg des stummen Hilfeschreis gewählt hatte. Das war an sich auch nicht so ganz verkehrt gewesen, doch die Mühlen der Intrigen mahlten fröhlich weiter und hatten alles nur noch verschärft.

Der Hanyô wandte den Kopf gen Ebene und fixierte mit einem Todesblick in eine bestimmte Richtung im dicken Nebel einen Punkt an. Takeru war gar nicht mal so weit weg. Das konnte er genaustens fühlen. Vermutlich beobachtete Takeru die kleine Ansammlung vor dem Haus. Wie so ein kleiner Vorstadtninja, dachte Zoro und musste kurz innerlich auflachen. Er konnte nicht abstreiten, dass er den Bengel mochte, fand er doch so einige Eigenschaften an ihm, die er selbst inne hatte. In einigen Punkten waren sie sich ähnlich. Wenn Zoro Takeru ansah, dann sah er sich selbst. Da war derselbe missmutig, trotzige Blick, wenn er seine Augen umherschweifen ließ. Derselbe kampfeslustige Ausdruck im Gesicht, wenn es einen guten und harten Kampf zu gewinnen gab. Takeru mochte wohl sogar bereit sein, sein Leben dafür zu opfern. Aber da waren auch die ganz feinen versteckten Seiten voller verschlossener Liebe, wenn er bei den Menschen sein durfte, die er liebte. Je mehr Zoro über seinen Plan nachdachte, desto schwerer fiel es ihm, den Bengel als Köder zu missbrauchen. Also sollte er es schnell hinter sich bringen, denn Takeru würde niemals freiwillig mitmachen. Und dass Zoro den nur unter Gewaltanwendung mitschleifen könnte, machte es nicht unbedingt leichter.

Der Hanyô stellte seinen Rucksack auf dem Tisch in der Hütte ab und holte das Herz in der Box hervor. Takerus Herz. Es schlug aufgeregt. Einerseits voller Mut, aber auch voller Angst. Der wusste, was ihm nun blühte. Die Krankenakte aus der Haibara Klinik gesellte sich daneben. Zoros Finger blieben an dem Karteikartenreiter hängen, auf dem irgendjemand vom Pflegepersonal einen Namen fein säuberlich notiert hatte. Es war nur eine Sekunde, die sein Blick an den Lettern hingen, doch es kam ihm wie eine Ewigkeit vor. Ein letztes Mal sah Zoro das schlagende Herz an. Es erinnerte ihn an ein altes Märchen, indem ein Glasmacher einen Pakt mit dem Teufel einging und sein reines Herz gegen einen Stein in der Brust tauschte, weil er der Armut entkommen wollte. Der Teufel sammelte alle Herzen in Gläsern und ließ sie pochen. Es soll daher in der Hölle wie in einem Uhrwerk geklungen haben, weil es so pocherte und tickte. Zoro nahm das Herz in die Hand und reichte es Law mit der Bitte, es seinem Besitzer wieder einzupflanzen. Der Spaß wäre nur halb so groß, wenn der vermeintliche Gegner nicht vollständig wäre. Law lachte und gab der Bitte statt. Die Box verglühte in Laws Händen. Das Herz flackerte auf und flog seinen Weg durch die Lüfte zu seinem Körper.

Nur wenige Meter weiter hinter dem Haus traf Takeru diese Art von Transplantation wie ein Axtwurf mitten in den Oberkörper. Er brach in sich zusammen, fasste sich an die Brust und versuchte, den unerträglichen Schmerz zu händeln. Japsend wälzte er sich in dem dreckigen Erdreich, kam auf dem Rücken zum Liegen und starrte mit allen Vieren von sich gestreckt zum Himmel. Er hatte sein wichtigstes Organ zurückerhalten. Und es tat so weh. Die Entnahme war wenig schmerzvoll gewesen. Da wunderte ihn nun diese Qual, konnte er doch nicht wissen, dass Zoro garstig eine Handvoll Prismenmagie hinzugefügt hatte. Ein Ladung Angst, Verlustschmerz und Familienwärme. Alles, was der Vorstadtninja wohl gern gehabt hätte, aber nie so recht in seinem Leben gekannt und bekommen hatte. Das schlug nun ein wie eine Bombe und setzte ihm zu wie eine Faust in der Magengegend. Keuchend rappelte er sich langsam auf und sah finster um sich. Der Nebel schränkte die Sicht stark ein. Schroffe Felsen und kleine Krüppelkiefern hier und da boten kaum Deckung. Der Beginn einer Schlacht lag in der Luft. Es roch nach Schweiß und Blut. Ein Hauch Tod schwappte darin mit. Sie beide, Takeru und Zoro, konnten durch das Zwielicht wandeln. Durch sämtliche Raum- und Zeitebenen. Takeru wusste das und wie es um seine Chancen bei diesem Kampf, der unausweichlich schien, stünde. Er konnte nur verlieren. Aber er würde nicht so schnell aufgeben.

Ein Tritt in die empfindliche Körperseite beförderte ihn kullernd über den Boden. Hart küsste er den nächstbesten Felsen. Wo kam das denn her? Mit ziemlicher Sicherheit war er doch noch genau vor einer Millisekunde allein auf diesem Feld gewesen. Warm rann es auf seiner Haut. Er leckte sich über die Lippen und schmeckte den süßen Geschmack seines eigenen Blutes. Aus einer großen Platzwunde pulsierte es hinaus. Es tropfte von seiner Augenbraue und verwischte die Klarsicht. Nur wenige Meter weiter stand die Ursache des Tritts. Zoros Umriss näherte sich langsam durch die Nebelschwaden auf ihn zu und kam kurz vor ihm zum Stehen. Ein Blick voller Verachtung und Wut von unten traf auf einen Blick voller Ruhe und Mitleid von oben.

„Lass mich raten, du kommst nicht freiwillig mit?“ seufzte Zoro.

Die Antwort war ein blitzschneller Kick aus der Bodentiefe in die senkrechte Höhe hinauf, welcher direkt auf Zoros Kinn zielte. Gerade noch konnte dieser ausweichen und guckte dann verwundert drein. Takeru war spurlos verschwunden. Nur eine Sekunde später zischte es hinter seinem Rücken. Sein Angreifer sprang mit gezogenem Katana aus dem Zwielicht heraus, um ihn hinterrücks zu erdolchen. Na, na! Der kleine Vorstadtninja wurde frech und packte Tricks aus. Zoro hatte keine Sekunde daran gezweifelt, dass Takeru der Generation neuer Steckbriefträger angehörte, die die alte eher früher, als später verdrängen würde. Ehrgeizig, talentiert und schlau. Aber leider ohne großes Ziel vor Augen. Der Hanyô parierte den Angriff mühelos mit dem halb gezogenen Schwert und grinste schelmisch. Es ehrte sein Opfer, dass dieses sich nicht kampflos ergeben wollte, sondern lieber mit wehenden Fahnen unterging. Es würde ein interessanter Kampf werden, denn noch nie hatte Zoro das Zwielicht als neue Dimension in einem Kampf berücksichtigen müssen. Hier ging es weniger um Hiebkraft, mehr um die Präzision und technisch sichere Ausführung an sich. Allein die Geschwindigkeit durch das Zwielicht zu springen und dann schon beim ersten Schlag den Gegner zu treffen, würde über Sieg oder Niederlage entscheiden. Doch mit einem hatte Takeru wohl nicht gerechnet. Zoro hatte bereits auf der Kirschblüteninsel einen Schwachpunkt des Gegners ausgemacht: Er konnte ihn aus der Realwelt heraus im Zwielicht sehen, wie er sich in den Dimensionsebenen bewegte und sie wechselte.

Für einen Außenstehenden mochte wohl der merkwürdigste Zweikampf beginnen, dem man je beiwohnen durfte. Es war dem normalen menschlichen Auge nicht möglich, die Bewegungen der Kontrahenten zu verfolgen. Nur das zeitweise Aufflackern eines Umrisses, zerknickte Grashalme und ein seichter Fußabdruck auf dem kargen Boden paarten sich mit den durch Schwertern zerschnittenen Furchen im Erdreich. Keiner von beiden wollte den anderen töten, man brauchte sich gegenseitig lebendig. Jeder für seine ureigenen Zwecke. Doch auch Takeru hatte seine Hausaufgaben gemacht, griff er doch stets von immer derselben Seite an, um Zoros Handicap mit dessen Schulter sich eigen zu machen. Tatsächlich schaffte er etwas, was sich bis dahin nur vor seinem geistigen Auge als Wunschdenken abgespielt hatte: Seine Klinge rutschte unter herben Kraftaufwand an Zoros Klinge hinab genau auf dessen Arm zu. Zoro, der hingegen die Zähne zusammenbiss, weil eben dieser für ihn blockierende Schlag aus der Rückhand übelst die lädierte Schulter quälte, spürte den beißend dünnen Schmerz in seinem Oberarm.

„Der Bengel ist komplett lebensmüde.“, dachte Zoro überrascht über diesen Angriff. „Der nimmt uns glatt beide mit in den Tod.“

Denn noch ehe aus seiner Wunde auch nur ein einziger Blutstropfen quoll, schlug er reflexartig mit dem zweiten Schwert direkt auf Takeru ein. Ein typischer Abwehrschlag. Es wäre ein todbringender Schlag gewesen, der den Jüngeren glatt mittig in zwei Hälften geteilt hätte, hätte Zoro nicht noch kurz vor dem Ziel inne gehalten und Takeru einfach nur sein Knie in die Magengrube und seinen Ellenbogen in den Nacken gezimmert. Ächzend ging der Andere zu Boden, stemmte sich trotzig auf die Unterarme und versuchte, sich wieder aufzurichten, doch Zoros Fußtritt ins Kreuz tat sein übriges. Ohne Umschweife und Zärtlichkeiten, knüllte sich in Zoros Faust Takerus Jacke. Der Stoff spannte sich auf den Schulterblättern und zurrte sich um den Hals. Ein Röcheln untermalte die Aktion.

„Hörst du jetzt auf oder brauchst du noch ein paar hinter die Löffel?“

Zoro kochte vor Wut. Diese ganze Prügelei war völlig unnötig und reservefressend. Von dem Jüngern kam gar nichts mehr. Entweder hatte es ihm aus blanken Trotz die Sprache verschlagen oder er bekam einfach keine Luft mehr.

„Ich lasse mich nicht ausliefern und von denen töten“, regte sich da nun doch eine Meinung.

„Brauchst du auch nicht. Ich kann dich auch gleich hier einbuddeln.“, konterte Zoro. „Lebendig!“

Takeru schnaufte schnippisch auf.

„Würdest du aber niemals tun. Warum eigentlich nicht? Warum tötest du mich nicht einfach?“

Zoro rollte mit den Augen und fühlte sich gerade in viele alte Szenen aus seinem jüngeren Leben zurückversetzt.

„Weißt du, wie mich diese Frage ankotzt?“, schnaubte er zurück, denn es musste den Menschen, die ihm sehr nahe standen und wichtig schienen, ein ernstes Bedürfnis sein, ausgerechnet durch seine Hand den Tod zu finden.

Er löste den Griff aus dem Jackenstoff wieder und Takeru landete dort zurück, wo er ganz gut hinpasste: im Staub. Dem missfiel aber die Lage, weshalb er sich mit einem unbeholfenen Schwung auf den Rücken umdrehte und schon zum zweiten Male still in die Nebelschwaden direkt über ihm starrte. Was auch immer er gerade dachte, es wurde sehr genau analysiert. Dann schloss er die Augen, holte einmal tief Luft und atmete langsam hörbar aus.

„Es tut mir leid.“, sagte er fest und deutlich zu Zoro, der sich hatte bereits in Gras fallen lassen und seine Wunde notdürftig mit dem Kopftuch zum Stillstand gebracht hatte.

Die Gefühlswellen, die Takeru aussandte, bestätigten seine Aussage. Zoro konnte es deutlich spüren. Es tat dem Bengel wirklich leid. Aber was eigentlich genau?

Takerus Geschichte war einfach und nicht einmal von ihm selbst geschrieben worden, sondern von üblen Intriganten und Geschichtsforschern der Weltregierung. Als die Weltregierung wahllos Kinder für ihre medizinischen Experimente entführen ließ, konnte sie nicht ahnen, welch Fisch ihr da ins Netz gegangen war, als sie ausgerechnet Takeru erwischte. Zwielichtwandler galten als ausgerottet. Man wollte durch künstlich erzeugte Teufelsfrüchte eine neue Generation von Zwielichtwandlern und somit den Zugang nach Raftel und dem Spiegelsaal erschaffen. Dumm nur, dass Takeru durch seine Wächter-Linie sowieso schon immer durch das Zwielicht wandeln konnte. Das wusste zwar Takeru zu dem Zeitpunkt auch noch nicht, wurde es ihm aber spätestens in der Klinik klar, als er als Einziger das Experiment überlebte. Teufelfruchtkräfte und Wächterkräfte in ein und demselben Körper – das konnte wahrlich nicht gutgehen. Takeru drehte durch, brannte die Klinik und alle seine Peiniger nieder und wurde mittels Gehirnwäsche wieder auf den rechten Weg und in ein vorkonstruiertes Leben entlassen. Da war es schon fast eine Selbstverständlichkeit, dass er später in die Cipher Pol Zero berufen wurde, wollte man von Marijoa aus die unheimliche Kreatur mit der Zwielichtkraft kontrolliert wissen. Auf einer seiner Missionen stolperte Takeru jedoch nicht nur durchs Zwielicht, sondern auch über Akten, die seiner selbst betrafen. Mit der Wahrheit konfrontiert und sich nicht länger missbrauchen lassen zu wollen, startete Takeru einen Rachefeldzug. Dabei riss er die Prismen aus ihrem vereinten Gefüge auseinander und setzte eine Kausalitätskette frei, die er nicht hatte absehen können.

„Es braucht dir nicht leid tun. Du wolltest es doch nur wieder alles gut machen.“, versuchte Zoro ihm gut zu zureden. „Als ich in der Haibara Klinik deine Krankenakte mitgenommen hatte, sind mir zwar die Zusammenhänge klargeworden, aber es hat eine Weile gedauert zu verstehen, dass du der Wächter bist. Es stand ja nicht dein Cipher Pol Name, sondern dein richtiger Name auf der Akte.“

Stille. Beide rührten sich nicht. Der Nebel umschloss sie und stahl ihnen jegliches Zeitgefühl. Und dann begann Takeru einfach so zu erzählen. Er redete leise vor sich her, mehr zu sich selbst, aber laut genug, dass Zoro alles mithören konnte und auch sollte. Warum er sich in die Bande von Kopfgeldjägern einschmuggelte und Taiyoko entführte. Und wie das Ganze dann völlig anders endete als geplant. Doch noch ungeplanter war es, wie er einfach mal so eben vom Feinde aufgenommen und ihm vergeben wurde. Das ging doch alles gar nicht.

„... also wäre es doch echt einfacher, du haust mir den Schädel vom Hals.“, endete Takeru sein Selbstgespräch.

„Halt einfach deine dumme Fresse.“, schnauzte Zoro genervt zurück, erhob sich und packte zeitgleich wieder den Anderen am Schlafittchen.

Er riss in hoch auf die Füße, verpasste ihm einen derben Schlag auf den Rücken und gab so die Marschrichtung vor in Richtung Hütte, wo Law und Taiyoko sicherlich schon ungeduldig warteten.

In der Hütte ging es wahrlich gemütlicher zu als draußen auf dem nasskalten Nebelfelde. Dort war es warm, und heißer Tee dampfte aus der kleinen Öffnung der Teekanne.

„Ich sehe, ihr habt euch geeinigt.“ ,kommentierte Law trocken das Eintreffen von Zoro und Takeru, die beide aussahen, als hätten sie das halbe Dorf mit bloßen Händen umgegraben.

Takeru beachtete Law gar nicht, sondern steuerte genau auf den Tisch zu, denn seine Augen hatte die Krankenakte entdeckt. Schüchtern bat er um Erlaubnis, sie ansehen zu dürfen. Zoro nickte bejahend, war es immerhin Takerus Leben, was dort akribisch notiert und dokumentiert worden war. Takerus Finger strichen über das Namenskärtchen. Kawagiri Hikaru. Wie lange hatte er seinen eigenen Namen nicht mehr gelesen, geschweige denn überhaupt gehört? Wie viel Kindheit war ihm einfach gestohlen worden? Er drückte die Akte an seine Brust und umklammerte sie wie ein Kuscheltier. Warum auch immer begann er zu heulen. Und es war im egal, dass er dabei nicht allein war.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Schaschii
2016-12-29T09:31:42+00:00 29.12.2016 10:31
Ein dramatischer Schwenk klingt doch gut ^^ es kann nie spannend genug sein.
Endlich lichten sich die geheimen Vorhänge und man versteht die Zusammenhänge. Spannend, spannend! - ich will mehr!:)
Antwort von:  sakemaki
29.12.2016 10:51
Ja doch, ja doch! Wir steuern auf das große Finale zu. Unausweichlich. XD Ich habe noch eine Woche Urlaub. Vielleicht schaffe ich in der Zeit sogar noch ein Kapitel. Ich habe mir geschworen, dass ich definitiv immer 1-2 Kapitel pro Monat raushauen möchte, damit man als Leser den roten Faden (und ich auch aus Autor ... *dumdidum*) nicht verliert.
Falls dich noch eine andere, aktuelle Fanfic von mir interessiert: "Kalendertage" auf fanfiktion.de Ist zwar aus dem Naruto-Universum, aber man braucht kein Vorwissen. Ich bin mir unsicher, ob ich die Geschichte auch hier veröffentlichen soll.


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