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Den Ärger wert

von

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Herausforderungen

Im Auto herrschte eine so drückende Stimmung, dass die Luft sich fast greifbar anfühlte. Mir war heiß, aber ich wagte es nicht, die Hand auszustrecken und die Klimaanlage einzuschalten. Am liebsten hätte ich nicht mal geatmet.

Itachi hatte kein Wort gesprochen, seit wir eingestiegen waren. Sein Blick klebte auf dem Asphalt vor ihm und all die gute Laune, die er sonst ausatmete wie jeder andere Mensch Stickstoff schien verflogen. Andere Leute hatten ihn so noch nie gesehen, nicht mal Vater, aber ich kannte diese Stimmung.

Wenn er mal nicht der Klassenbeste gewesen war. Wenn Professoren ihm nicht zu Füßen lagen. Wenn ein Geschäftstermin nicht so verlief, wie er sich das vorstellte.

Es passierte nicht oft.

Aber ich wusste, was kommen würde, und es schnürte mir die Luft ab.

Wie in Trance öffnete ich später die Beifahrertür und wankte über den Kies zur Haustür, die Itachi bereits aufgesperrt hatte. „Ich hab sie.“, rief er durchs Haus, als wäre ich eine entlaufene Katze.

Mein Vater kam nicht mal aus der Küche, nein, ich wurde ihm vorgeführt wie dem Haftrichter. Sein Blick war eisig, die Verachtung darin noch deutlicher als sonst. Ich wartete auf die Übelkeit, die meine Unzulänglichkeit mir immer in den Magen pumpte, aber sie kam nicht. In mir war nur Trotz. Vielleicht noch Erleichterung über die Aussicht, jetzt mit Fugaku streiten zu können. Solange er da war, war ich sicher. Bedauern und Reue über meine kleine Übernachtungsparty empfand ich jedenfalls nicht.

Natürlich war ich in der Nacht aufgewacht und hätte gehen können. Bei Narutos ohrenbetäubendem Schnarchen wäre das vielleicht sogar logisch gewesen. Aber seltsamerweise war sein Körper, der Wärme ausstrahlte wie ein kaputter Heizstrahler, mir nicht beunruhigend vorgekommen. Obwohl seine muskulösen Schultern über mir aufgeragt waren wie ein Gebirgszug, und obwohl ich ihm im Schlaf vollkommen ausgeliefert gewesen war. All diese Faktoren hätten es logisch gemacht, mich zurückzuziehen, aber nichts davon ließ es mich wollen. Ich war genau dort gewesen, wo ich hatte sein wollen.

In einem Anflug von Tollkühnheit hatte ich sogar die Hand nach seinem Gesicht ausgestreckt, es dann aber noch nicht über mich gebracht, ihn zu berühren.

Stattdessen hatte ich weitergeschlafen, bis der Zorn meines Bruders mich in die Realität zurückgeholt hatte. Und die bestand im Moment aus einer Standpauke meines Vaters.

„Was bildest du dir überhaupt ein, einfach so wegzubleiben? Es hätte sonst was passieren können. Wir hatten schon jede Minute mit einem Erpresserbrief gerechnet.“ Fugaku erhob nicht die Stimme, aber seine Verachtung tat mehr weh als jedes zusätzliche Dezibel es gekonnt hätte. Wenn ich nur wüsste, wieso er mich so hasst, schoss es mir durch den Kopf, doch da sprach er schon weiter: „Wir können nur hoffen, dass das niemand mitbekommen hat. Es wäre ein Desaster für unseren Ruf, wenn herauskäme, dass du dich mit solchen Tunichtguten herumtreibst. Ich hoffe doch sehr, dass du zumindest den letzten Rest deiner Ehre zu bewahren wusstest.“

Ich wurde knallrot und zornig zugleich. Von meiner ´Ehre` war schon lange nichts mehr übrig, und Fugaku hatte nie einen Finger gerührt, um sie zu verteidigen. Ich kannte dieses brennende Gefühl in der Kehle nur zu gut, wenn man nichts mehr anderes tun wollte als schreien wegen der Ungerechtigkeit. Normalerweise schluckte ich es runter, doch heute explodierte es praktisch an meinem Wiederwillen.

„Falls du andeuten willst, dass ich ihn gefickt hätte, kann ich dich beruhigen. Das habe ich nicht.“

„Sasuke…“, zischte mein Vater wegen der Wortwahl, aber ich war noch nicht fertig.

„Und Naruto ist kein ´Tunichtgut`. Er wird Lehrer, und er kommt aus einer guten Familie.“

Ich wusste nicht, woran es lag, aber ich hatte ihn einfach verteidigen müssen. Nachdem er mir vorhin die Kraft für dieses Gespräch gegeben hatte, hatte er einfach nicht verdient, dass man so über ihn sprach. Naruto hatte mir, heute und in den letzten Monaten, klar gemacht, dass es nicht immer nur um meine Familie, sondern auch mal um mich ging. Dass Wiederstand ok war. Bei ihm erhob ich meine Stimme, die ich sonst immer devot zügelte. Jetzt war es Zeit, sie auch diejenigen hören zu lassen, die sie mir hatten nehmen wollen.

„Es ist mir vollkommen gleichgültig, aus welchem Haus der Bursche kommt. Ich gestatte nicht, dass du bei wildfremden Männern schläfst. Das ist gefährlich, Sasuke. Verstehst du nicht, dass ich mir Sorgen um meine Tochter mache.“

„Bitte“, schnaubte ich sarkastisch und wandte mich ab. Als ich dabei Itachis Blick begegnete, zuckte ich zusammen. Während ich auf meinen Vater sauer war, schnürte mir die Angst vor meinem Bruder praktisch die Luft ab. Nur weiter streiten, vielleicht geht er dann ja… „Es geht doch nicht um Sorge. Du willst einfach nur kontrollieren, was ich tue. Wenn du dich wirklich für mich interessieren würdest, wüsstest du nämlich, dass ich Naruto fast ein halbes Jahr kenne und er somit keinesfalls ´wildfremd` ist.“

„Dann haben wir wohl ihm den Verfall der Sitten in dieser Familie zu verdanken“, schnaubte mein Vater eisig.

Ich lachte höhnisch auf. „Welche Familie, Fugaku?“

Kurz entglitt ihm seine so perfekt gleichgültige Maske und vielleicht zum ersten Mal in zwanzig Jahren sah er verletzt aus. Der Ausdruck verschwand so schnell wieder, wie er gekommen war, und mein Vater deutete auf die Tür. „Raus. Auf dein Zimmer, sofort.“

Erleichtert verschwand ich aus der Küche, doch noch bevor ich zwei Schritte im Flur gemacht hatte, hörte ich Itachi sagen: „Ich rede mit ihr, Vater.“

Sofort rannte ich los, aber meine Finger zitterten so sehr, dass ich den Schlüssel meiner Tür nicht ins Schloss bekam. Und schon spürte ich den Druck einer fremden Hand an der Klinke.

„Mach auf“, befahr Itachi ruhig. „Lass uns reden.“

„Geh weg“, zischte ich und stemmte mich mit meinem ganzen Gewicht gegen die Tür, aber es half nichts. Itachi war zu stark.

Schon stand er in meinem Zimmer und schloss die Tür hinter sich. Ich wich in die Raummitte zurück und starrte ihn an, wütend, trotzig und mit dem Gefühl, als würde mein Magen sich gleich umdrehen.

Itachi musterte mich kurz, dann wandte er sich mit einem traurigen Seufzen der Tür zu. „Warum tust du das nur immer wieder?“, fragte er leise. Das Schloss rastete klickend ein. „Warum versuchst du, unsere Familie zu zerstören? Es geht dir doch gut. Andere Mädchen können nur von dem Luxus träumen, den du ganz selbstverständlich hinnimmst.“

Er schlenderte an mir vorbei zum Bücherregel und nahm einen dicken Wälzer heraus, um darin zu blättern. „Alleine deine kleine Privatbibliothek hier kostet mehrere Tausende, und du undankbares Gör rennst trotzdem weg. Du brichst unserem Vater das Herz.“

Wie auf ein Stichwort war das Schließen der Haustür zu hören und kurz darauf das Knirschen von Autoreifen auf Kies. Fugaku war gegangen. Wir waren alleine.

Meine Starre löste sich und ich sprintete in Richtung Tür. Ein Ruck riss meinen Kopf nach vorne gegen das Holz und ich fiel zusammen mit dem Buch, das Itachi mir an den Kopf gedonnert hatte, zu Boden. Stöhnend, von stechendem Schmerz in meinem Schädel gepeinigt, krümmte ich mich um meine Körpermitte.

Bis dahin hatte ich mich gefragt, was Itachi mit seiner Ansprache bezweckt hatte. Jetzt wusste ich, dass er gewartet hatte, bis wir alleine waren, damit er nicht auf den Lärm achten musste.

Vor meinem Gesichtsfeld flimmerte alles, sodass ich nur hören konnte, wie langsame Schritte sich mir näherten. Instinktiv kroch ich weiter rückwärts, bis ich mit den Schultern gegen den Türrahmen stieß, dann zog ich die Arme schützend über das Gesicht.

„Du bist so erbärmlich, Sasuke.“ Für einen Moment klang Itachis Stimme so hasserfüllt, dass ich nicht sicher war, ob er oder mein Vater über mir stand und meinen Körper mit einem Fuß in seine Richtung drehte. „Nie kannst du zu deinen Vergehen stehen. Das hat mit Mutter angefangen und du kannst einfach nicht aufhören, oder?“

Der Tritt traf mich heftig in die Magengrube, aber ich schluckte den Schrei runter. Ich hatte heute schon zu viel geredet, gerade deswegen musste ich diese Strafe ja ertragen. Es hatte sowieso keinen Sinn, dachte ich, als Itachi mit am Arm zum Bett schleifte. Ich hatte mich gewehrt, und das Resultat war dasselbe wie wenn ich es einfach hinnahm.

Ich schloss die Augen gegen den Schmerz.
 

Die blauen Flecken brauchten einige Tage um zu heilen.

Sonst hatte er sich besser im Griff, aber diesmal war Itachi so sauer gewesen, dass ich sogar einen Bluterguss am Kiefer hatte. Damit konnte ich natürlich unmöglich außer Haus gehen, und selbst daheim sorgte ich mit Rollkragenpullovern und Schals dafür, nie mein ganzes Gesicht zu zeigen. Das heißt, wenn ich mal das Zimmer verließ. Am selben Tag schmerzte mein Unterleib zu sehr, um das Bett zu verlassen, und auch danach tat jeder Schritt weh.

Mein Vater hatte es zwar nicht ausgesprochen, aber ich gab mir selbst Hausarrest. Eigentlich war ich dafür zu alt, aber eigentlich war ich auch zu alt, um hitzige Diskussionen über Übernachtungen bei Freunden zu führen. Zu Debatten kam es jedoch vorerst auch nicht mehr, denn Fugaku weigerte sich kategorisch, auch nur ein Wort mit mir zu wechseln. Mir sollte es Recht sein.

Erst eine Woche später war die Schwellung meines Gesichts so weit zurückgegangen, dass ich sie unter Make-Up verstecken konnte. Das erste, was ich nach meiner Entlassung aus der Selbstauferlegten Haft tat, sogar noch vor dem Besuch der Universität, war, mich mit Naruto zu treffen.

Schon als er auf mich zukam, spürte ich die ersten Ausläufer einer Panik. Ich wusste, wie Itachi reagieren würde, wenn er von dieser Verabredung erfuhr, und mein geschwollener Kiefer zog bereits unangenehm, wenn ich nur daran dachte. Ich war nur hier, weil ich das Gefühl hatte, Naruto einige Erklärungen zu schulden.

Als er jedoch vor mir stand, hatte ich keine Lust mehr, ihm diese zu bieten. Ich kannte ihn. Er hätte nachgefragt. Und ich kannte mich. Irgendwann hätte ich nachgegeben. Ihm alles erzählt. Aber ich wollte nicht erzählen, nicht jammern, und schon gar nicht wollte ich Naruto nochmal so wütend erleben wie vor einer Woche. Wenn er schon auf den strengen Ton meines Bruders derart verteidigend reagierte, wollte ich gar nicht wissen, was geschah, wenn er die Wahrheit herausfände.

Man könnte jetzt vielleicht meinen, das wäre eine Möglichkeit gewesen, aus diesem Teufelskreis herauszukommen – Darüber nachgedacht hatte ich selbstverständlich. Aber wenn ich mich Naruto anvertraut und ihn für mich zur Polizei hätte gehen lassen, hätte ich eine Aussage machen müssen. Und alleine die Vorstellung, über all das, die letzten sechs Jahre, zu sprechen, schnürte mir die Kehle zu. Ich konnte es nicht mal laut aussprechen, wenn ich alleine war, wie sollte ich es da vor anderen Menschen in Worte fassen?

Wie die meisten meiner Launen akzeptierte er auch meinen Unwillen zu sprechen, kommentieren tat er die Situation aber trotzdem: „Wenigstens weiß ich jetzt, warum du ihn nicht ausstehen kannst.“

„Tust du das?“, schnaubte ich leise.

Natürlich hatte Naruto keine Ahnung, was wirklich vorgefallen war, obwohl sein Blick auffällig oft an meinem noch leicht geschwollenen und stark geschminkten Kiefer hängen blieb. Hätte er es gewusst oder auch nur geahnt, hätte er sich hundertprozentig zum Jungfrauenretter aufgeschwungen und wäre zur Polizei gerannt. Aber zu der Tatsache, dass ich nicht darüber reden wollte, kam der Umstand, dass es niemanden etwas anging, was in meiner Familie ablief. Damit musste ich alleine klar kommen, und das tat ich inzwischen mehr als ein Viertel meines Lebens.

Unter anderem auch deshalb, weil ich mich durch meine Übernachtung bei Naruto selbst in diese Situation gebracht hatte. Ich hatte nicht gehorcht und musste dafür bestraft werden. Und weil mein Vater dafür zu beschäftigt war, übernahm das eben mein Bruder. So war es schon in unserer Kindheit gewesen; Fugaku straft durch Nichtachtung, Itachi durch Schläge.

Und irgendwann waren wir halt keine Kinder mehr gewesen.

Wie immer tat ich alles, um nicht an das zu denken, was nach den Schlägen kam. Wenn ich es doch tat, schnürte sich mir die Kehle vor Selbstekel zu. Ich wollte nie wieder in dieses Haus, aber wo hätte ich sonst hingehen sollen? Ich konnte nicht mal zu meiner Großmutter, denn die hätte Erklärungen gewollt. Und dann hätte ich daran denken müssen. An seine Hände, überall, sein Gewicht, viel zu schwer, seinen heißen, raschen Atem…

„…ke? Sasuke!“ Ich zuckte zusammen, sah in Narutos besorgte, forschende Augen. „Alles ok? Du bist ganz blass.“

„Das liegt in der Familie“, gab ich mit krächziger Stimme zurück.

Er verdrehte die Augen. „Ich kann deine normale Blässe von Übelkeit unterscheiden, danke. Was ist los?“, wollte er wissen und streckte die Hand nach meiner Stirn aus, um die Temperatur zu fühlen.

„Nicht“, wich ich zurück.

Sofort ließ er mit betroffenem Gesicht die Hand sinken und murmelte eine Entschuldigung. Es tat mir leid, ihn zu verunsichern; Der Kontrast zwischen einer gemeinsam verbrachten Nacht und einem Berührungsverbot war schon gravierend. Aber schon die Vorstellung von seiner Haut auf meiner schien mir (Anders als sonst) unerträglich.

Weil ich ihn aber auch nicht beleidigen wollte und wusste, dass seine Sorge ehrlich war, erklärte ich vage: „Bei uns zu Hause gibt es seit… Du weißt schon… Wir haben nur Ärger. Mein Vater will nicht, dass ich dich treffe.“ Seufzend fuhr ich mir durchs Haar und verdrehte die Augen.

Ein unsicheres Lächeln teilte Narutos Lippen. Er glaubte mir nicht, wusste aber, dass weiteres Nachbohren mich eher noch abweisender reagieren lassen würde. Es war seltsam, wie schnell er mich einschätzen gelernt hatte.

„Du wirst ja doch noch ein kleiner Rebell“, schmunzelte er und blieb stehen, um einige Kastanien aufzulesen, die er dann übers Wasser warf. „Tut mir leid, dass du wegen mir Stress hast.“

Ich zuckte die Schultern und sah ihm mit in den Taschen vergrabenen Händen zu. „Bin ich gewohnt.“

Lächelnd warf er eine Kastanie gegen meine Brust. „Als würde ich nur Ärger machen!“

Neugierig zog ich die Brauen hoch. „Tust du noch anderes?“

„Du kannst so ein Arsch sein“, motzte er noch immer grinsend. „Eigentlich hättest du es jetzt verdient, in den Fluss geworfen zu werden.“

„Versuch es.“ Herausfordernd funkelte ich ihn an, ehe ich mich arrogant abwandte, vollkommen sicher, dass er das sowieso nicht tun würde.

Wie erwartet knuffte er mich nur sacht gegen die Schulter, sobald er aufgeholt hatte. „Du würdest nur wegschwimmen, Fischmensch.“

Ein zufriedenes Lächeln erschien auf meinem Gesicht. „Das hat dich überrascht, hm?“

„Eigentlich nicht“, gab Naruto nachdenklich zu und zuckte die Schultern, als ich ihn ansah. „Bisher konntest du alles, was wir zusammen gemacht haben. Außer mit Fremden reden“, fügte er grinsend hinzu.

Ich ließ das Thema mit einem Schulterzucken fallen. Wieso sollte ich mit Unbekannten sprechen? Wer etwas von mir wollte, würde schon auf mich zukommen.

Eine Weile schlenderten wir in angenehmem Schweigen weiter zwischen den Bäumen entlang. Die kühle Herbstluft tat der Schwellung in meinem Gesicht gut und ich genoss die Bewegung, nachdem ich eine Woche fast ausschließlich in meinem Zimmer verbracht hatte.

Im Gegensatz zu Naruto, der irgendwann von seiner Geburtstagsfeier erzählte, als ihm die Stille unangenehm wurde, störte mich die Ruhe nicht. Ich hielt ihn aber auch nicht auf, als er zu reden begann. Am zehnten hatte ich per WhatsApp einen knappen Gruß geschickt, seinen Jahrestag ansonsten aber nicht weiter beachtet. Wie zu erwarten gewesen war, hatte er auch ohne mich Spaß gehabt.

„… Und dann hat Sakura ihm einfach den Drink ins Gesicht gekippt.“, beendete Naruto gerade lachend eine Geschichte. „Echt mal, ich war nur drei Minuten weg und dann sowas!“

„Tja, dann hätte der Typ das eben nicht zu ihr sagen dürfen“, erwiderte ich, völlig auf der Seite der anderen Frau.

„Das ist ja das Witzige – Er hatte gar nichts gesagt. Kiba hat sich das ausgedacht.“

Offensichtlich fand Naruto diese Aktion saukomisch, denn er kriegte sich gar nicht mehr ein vor Lachen. Ich dagegen seufzte nur angestrengt. Genau solche ´Witze` waren der Grund, aus dem ich Clubs nicht mochte. Das, und die Hitze, die Menschenmassen, der Geruch… Einfach alles.

„Wann hast du eigentlich Geburtstag?“, erkundigte Naruto sich, nachdem er sich gebührend über meinen mangelnden Humor beschwert hatte.

„Am 23. Juli.“

„Eh…? Da kannten wir uns schon! Warum hast du nichts gesagt?“

Wir hatten einen kleinen Platz mit einem Brunnen in der Mitte erreicht, um den mehrere Bänke aufgestellt waren. Im Moment floss kein Wasser über die Stufen vor der Kriegerfigur, was Naruto als Aufforderung verstand, in das Römerbecken zu klettern.

Ich blieb mit verschränkten Armen am Rand stehen und sah zu ihm runter.

„Weil ich keinen Aufstand wollte“, erklärte ich, als er einen ebensolchen anzetteln wollte. „Es reicht schon, wenn meine Familie antanzt.“

„Oh man… Du kannst es nicht mal an einem Tag im Jahr ertragen, wenn es um dich geht.“ Nachdenklich die Stirn runzelnd sah er zu mir hoch, nahm Anlauf und sprang die Wand hoch, an der er sich wieder hochzog. Wäre ja auch zu einfach gewesen, die Stufen zu nehmen. Als er wieder neben mir stand, nickte er, als hätte er eine Entscheidung getroffen und irgendwie ahnte ich jetzt schon, dass diese mir nicht gefallen würde. „Wir müssen die Party nachholen.“

„Nein.“

„Nichts ´Nein`! Seinen zwanzigsten feiert man, aus“, beharrte Naruto auf seiner Schnapsidee.

Leicht aggressiv rieb ich mir über die Augen. „Ich mag keine Clubs, keinen Alkohol und keine Partys. Ich denke nicht, dass das die beste Idee wäre.“

Der Spazierweg endete an einer breiten Brücke im barocken Stil. Zu unserer rechten stieg die Straße zu einigen Hochhäusern an, während sie zur Linken in Richtung der Fußgängerzone führte. Wir schlugen letzteren Weg ein und beendeten unseren Ausflug in einem China-Restaurant, in dem Naruto sich gleich Vor- und Nachspeise zu seiner großen Portion Nudeln bestellte.

„Warst du überhaupt schon mal in ner Disko?“, wollte er wissen, während er auf das Essen und ich auf meinen grünen Tee warteten.

Ich ließ den Blick auf der Suche nach etwas, das ihn schweigen lassen würde, durch das kleine Lokal mit den orange gestrichenen Wänden wandern. „Kannst du nicht einfach ein nein akzeptieren?“

„Das heißt, du hast es noch nicht mal versucht?“

„Hast du schon mal versucht, weniger zu essen? Irgendwann rächt sich das“, bemerkte ich, als die Bedienung den ganzen Tisch mit Narutos Mittagessen vollstellte.

„Lenk nicht vom Thema ab“, murrte er und ich grinste schief.

„Zu offensichtlich?“

Obwohl er nicht lachen wollte, zuckten Narutos Mundwinkel. „Ziemlich.“ Vorwurfsvoll deutete er mit den Essstäbchen auf mich. „Das Problem mit dir ist, dass du nichts Neues ausprobieren willst. Wer weiß? Vielleicht ist das ja voll dein Ding und du wirst noch ein Party Luder.“

Ich zog die Brauen hoch und sein bemüht ernster Blick schwankte, bis er nicht anders konnte als zu lachen. Ich stimmte ein und aß sogar etwas von den Nudeln, die er mir anbot – Vermutlich die erste richtige Nahrung seit einer Woche, abgesehen von etwas Kaffee und ein paar Tomaten.

„Na schön“, gab ich schließlich nach, weil er sonst ja doch keine Ruhe geben würde. „Um dir zu beweisen, dass ich kein… Party Luder bin, gehe ich einmal mit dir feiern.“

Er strahlte und nahm kurz meine Hand, ehe er feststellte: „Weiß du… Aus seinem Mund klingt das Wort ´Party Luder` irgendwie noch bescheuerter.“

Lachend verdrehte ich die Augen und lehnte mich entspannt zurück. Während wir in dem Restaurant saßen und plauderten, dachte ich nicht ein einziges Mal an Itachi, was mir erst auffiel, als wir das Lokal verließen, und diese Freiheit gab mir unglaubliche Kraft. Es war einfach, in Narutos Gegenwart nur an ihn zu denken, denn abgesehen davon, dass er unglaublich laut war, versprühte er eine enorme Leichtigkeit, wohin er auch ging. Ich konnte gut verstehen, wieso so viele seiner Freunde (Der schwule Rothaarige, die schüchterne Blauhaarige, sogar Sakura) ein bisschen verknallt waren in ihn.

Das interessante an der Sache war nur, dass Naruto selbst überhaupt nicht begriff, wenn jemand für ihn schwärmte. Er nahm es einfach als Freundschaft hin und war verwundert, wenn die Partner dieser Leute eifersüchtig wurden. Diese Naivität war wohl mein Glück. Hätte er auch nur geahnt, dass ich ihn mochte, wäre ich ihn wohl nie wieder losgeworden.

Zuerst war Naruto für mich auch wirklich nur der Bruder gewesen, den ich mir als Kind immer gewünscht hatte; immer lustig, immer mit einem liebevollen Auge auf mich. Irgendwann war mir dann aufgefallen, dass ich ihn von mir aus sehen wollte, nicht so wie meine Freunde, deren Einladungen ich mehr hinnahm als selbst initiierte. Ich konnte seine Berührungen in den meisten Fällen nicht nur ertragen, sondern mochte sie sogar. Ich vermisste ihn und ertappte mich in meinem Alltag dabei, an ihn zu denken, wenn ich gerade nichts zu tun hatte.

Ja, ich kannte die Symptome, aber ich wollte nichts dagegen tun oder sie befördern. Ich würde einfach warten, bis sie von selbst weggingen.

Denn egal, was für Gefühle ich mir zu haben einbildete, mir gefiel unsere Freundschaft, wie sie war. Hätten wir eine Beziehung daraus gemacht, hätte das nur Veränderungen, Verpflichtungen mit sich gebracht und ich war nicht bereit, mich jemandem zu verpflichten. Zumal ich oft, wenn wir uns näher kamen, nur Itachi vor mir sah, woraufhin sich dann mein ganzer Körper nur noch vor Ekel schüttelte. Manchmal ging es. Wenn Itachi mich schon lange nicht mehr angefasst hatte. Oder wenn ich ihn völlig verdrängt hatte, so wie in der Nacht, als ich bei Naruto geschlafen hatte.

Natürlich war ich in der Nacht aufgewacht und hätte gehen können. So, wie ich ihn kannte, hätte Naruto mich sogar ohne weitere Erklärung nach Hause gebracht, auch um drei Uhr nachts. Aber ich hatte bleiben wollen. Als ich sein schlafendes Gesicht neben mir sah, hatte ich dort liegen bleiben wollen für den Rest meines Lebens.

Nur Naruto und ich.

Aber das würde nie sein, war mir schneller klar geworden als mir lieb war. Selbst wenn ich diesen Träumen und Hoffnungen auf Nähe zu einem Mann nachgab, die ich wegen Naruto zum ersten Mal hatte, selbst wenn ich mich von meiner Familie lossagte, würden Itachis Taten mich nie loslassen.

Wenn ich in das liebevolle Gesicht eines Mannes blickte, würde ich sein Grinsen sehen.

Wenn ich eine Berührung zuließ, würde ich unter seinen Fingern zusammenzucken.

Wenn ich mit einem Liebhaber schlief, würde er mir die Luft abschnüren und mich mit noch mehr Schmerz strafen.

Nein, dachte ich, als ich mich aus einer ein bisschen zu langen Umarmung mit Naruto löste und mich abwandte. Ich würde nicht zulassen, dass Itachi mir das kaputt machte. Lieber würde ich darauf verzichten.
 

Der Kontrast meiner Empfindungen baute sich in den nächsten Wochen immer weiter auf.

Einerseits war da meine zunehmende Zuneigung zu Naruto. Wir verbrachten viel Zeit miteinander, ob mit oder ohne Freunde. Inzwischen kannte ich seine Clique gut, und seine Großeltern hießen mich freundlich willkommen.

Andererseits war da die ständige Anspannung, der ich zu Hause ausgesetzt war. Mein Vater hatte es zwar nicht mal mit Hausarrest versucht – Dazu war ich wirklich zu alt – Aber er strafte mich mit Schweigen. An sich wäre das nicht schlimm gewesen, er redete auch sonst wenig mit mir. Aber da er noch dazu ständig außer Haus war, war ich oft alleine mit Itachi. Und der verschwieg seine Wut nicht.

Er fasste mich nicht mehr an, was wohl an den blauen Flecken lag, die sein Ausraster bei mir hinterlassen hatte. Aber er terrorisierte mich verbal so oft er mich in die Finger bekam. Ich versuchte, so unauffällig wie möglich zu sein und viel Zeit außer Haus zu verbringen, aber er schaffte es immer wieder, mich abzupassen.

An einem Donnerstag Anfang November war es wieder so weit. Es hatte schon frühen Schnee gegeben und ich beeilte mich mit der Zubereitung meines Mittagessens, um rechtzeitig zur Uni aufbrechen zu können. Gerade, als ich die gefüllten Tomaten aus dem Ofen nahm, hörte ich die Haustür schlagen und erstarrte kurzzeitig in der Bewegung.

Ich zwang mich, das Gemüse auf einen Teller zu legen, obwohl alle meine Sinne auf die Tür hinter mir ausgerichtet waren. Als Itachi dann die Küche betrat, stellten sich meine Nackenhaare auf und jeder Muskel in meinem Körper war zum Zerreißen gespannt.

„Hallo, Sasuke“, begrüßte er mich und legte im Näherkommen die Hände auf meine Hüften. Über meine Schulter hinweg sah er auf den Teller in meiner Hand. „Mhm, sieht ja lecker aus. Hast du…?“

„Hör auf damit“, platzte es urplötzlich aus mir heraus und ich wand mich aus seiner Berührung frei. Seinen verwirrten Blick erwiderte ich trotzig. „Ich möchte das nicht mehr.“

Wir starrten uns eine Weile an, in der Itachis Erstaunen einem feinen, gewinnenden Lächeln wich. „Was genau willst du nicht, Sasuke?“

Ich öffnete den Mund, spürte praktisch schon meine Stimmlippen vibrieren – Aber dann würgte die Scham meine Worte mit einem erstickten Gurgeln ab. Ich konnte nicht, konnte nicht sagen, was für unsagbare Dinge er mir antat, obwohl jede davon auf meinen Wangen brannte und mir die Luft abschnürte. Ich wusste ganz genau, dass es falsch war, was er tat und nicht normal, wie er mir hatte weißmachen wollen als es anfing.

Mit vierzehn hatte ich ihm geglaubt, dass alle Geschwister das taten, obwohl ich es schon damals gehasst hatte. Dann hatte ich herausgefunden, dass es sogar verboten war, aber ich konnte ihn nicht damit konfrontieren, geschweige denn, mich an jemand anderen zu wenden. Zu der Zeit hatte Itachi mich schon systematisch von allen isoliert. Mein Vater war nur allzu bereit, zu glauben, das Schwimmteam wäre Schuld am Abrutschen meiner Noten, und er meldete mich auf Anraten meines Bruders ab. Die wenigen Freunde, die ich hatte, trieb ich in meinem Selbstekel immer weiter von mir weg, bis außer Juugo und Suigetsu keiner mehr da war. Mit dieser Reaktion hatte ich natürlich Itachi voll in die Karten gespielt, denn ich war oft alleine zu Hause.

Es wurde etwas besser, als ich auf die Uni kam, denn ich war öfter unterwegs. Aber seit dem letzten Sommersemester hatten die Übergriffe wieder zugenommen, und ich wusste auch, warum.

Durch Narutos stete Bewunderung und seinen Zuspruch hatte ich ein neues Selbstbewusstsein entwickelt. Zum Beispiel hätte ich Itachi früher nie gesagt, dass er mich nicht anfassen sollte. Ich hatte mich einfach in mein Schicksal gefügt. Jetzt aber gab es einen Umschwung in unserer Beziehungsdynamik, ich entwickelte mich weg von der Abhängigkeit meiner Familie. Und diese Änderung gefiel Itachi nicht, weshalb er Macht demonstrierte. Leider hatte er diese nach wie vor über mich – Deshalb jetzt mein Rückfall ins Schweigen.

Das Lächeln meines Bruders bekam eine süffisante Note, als er die Hände ausstreckte und mein Kinn nach oben zwang. Er wollte in meine Augen sehen, wenn er mich quälte. „Wenn du selbst nicht weißt, was du willst, werden das andere für dich entscheiden, Schwesterherz“, schnarrte er, dann ließ er mich ruckartig los. „Du wirst dich bei Vater entschuldigen.“

Verwirrt von dem plötzlichen Themenwechsel ließ ich mich gegen die Küchenzeile sinken. „Was…?“

„Er war seit vorgestern nicht zu Hause… Aber das fällt dir nicht mal auf, oder?“

Das war es tatsächlich nicht, aber mein schlechtes Gewissen hielt sich in Grenzen. Fugaku hatte es ja darauf angelegt, mich zu meiden.

„Weißt du, früher war er nicht so. Als Mutter noch lebte“, explizierte er sich und ich zuckte leicht zusammen. „Wir waren glücklich. Bis du kamst und alles kaputt gemacht hast. Seitdem ist Vater nicht mehr derselbe.“

„Ist das alles?“, unterbrach ich Itachi mit frisch zurück erlangter Stimme. „Ich muss noch zu einer Vorlesung.“

Natürlich sah mein Bruder alles andere als begeistert aus. Mein Herz begann zu rasen, so, wie er mich anstarrte, doch schließlich obsiegte sein Wunsch nach einem guten Ruf und er nickte langsam.

„Dann bereite dich vor.“

Ohne weiteres verließ Itachi die Küche und ließ mich in meinem Herzrasen zurück. Unglaublich langsam ging ich zum Mülleimer, um mein unberührtes Wegzukippen. Davon würde ich keinen Bissen runterbekommen.

Was ich gerade getan hatte, war riskant gewesen; ich hatte in Itachis Augen gesehen, dass es beinahe schiefgegangen wäre. Aber ich war kein Teenager mehr, und würde lernen müssen zu spielen, wenn ich nicht fliehen konnte.
 

Kaum vierzig Minuten später war ich in einem der Labore an der Uni, in dem mein vierstündiger Kurs stattfinden würde. Ich war eine der ersten, die ihren weißen Kittel, die Schutzhandschuhe und die Brille überstreifte und an meinen Platz ging. An der Tafel standen bereits einige Notizen, die ich abschrieb. Dabei traf mein Blick zufällig den des Professors, der sofort lächelte und in meine Richtung schlenderte.

Seufzend richtete ich mich auf und verschränkte die Arme. Der hatte mir ja gerade noch gefehlt.

„Fräulein Sasuke, immer wieder eine Freude, Sie zu sehen!“, grinste er aus dem breiten Mund in seinem bleichen Gesicht. Das lange, schwarze Haar hatte er aufgrund seiner Arbeit zu einem Pferdeschwanz gebunden, sodass man seinen übergroßen Ohrring noch besser sehen konnte.

Ich ignorierte Tuscheln und Kichern meiner Kommilitonen und nickte. „Guten Morgen, Professor Mitsuki.“

„Aber, aber. Ich habe Ihnen doch schon so oft angeboten, mich Orochimaru zu nennen. Wir kennen uns schließlich, seit sie mir gerademal bis zum Knie reichten.“

Und schon damals, als er noch für meinen Vater arbeitete, hatte ich ihn nicht leiden können. Dann hatte es Gerüchte gegeben, Orochimarus Arbeitsmethoden wären unethisch oder gar gefährlich für seine Mitarbeiter, und mein Vater hatte ihn entlassen. Fugaku hatte zwar nichts gegen Experimente, aber die Öffentlichkeit sollte davon nichts erfahren.

„Was ist das Thema heute?“, wechselte ich selbiges, woraufhin Orochimaru mir den Versuchsablauf schilderte, was sogar recht interessant war.

Langsam trudelte der Rest des Kurses ein und wenige Minuten später konnten wir beginnen. Während der Übung war ich sonst immer hochkonzentriert, aber heute fiel es mir schwer, gedanklich im Labor zu bleiben. Alles hier erinnerte mich an meinen Vater und somit unweigerlich auch an meinen Bruder.

Eigentlich wusste ich, dass er all das nur sagte, um mich zu quälen. Aber ich konnte nicht anders als mich zu fragen, ob Fugaku wirklich so anders gewesen war, als seine Frau noch lebte. Ob ich wirklich Schuld an unserer verkorksten Familie hatte, schon von Geburt an. Das würde zumindest erklären, wieso mein Vater mich so hasste. Ich hatte seine Frau getötet, und weil er sich anders nicht rächen konnte, machte er mir jetzt eben das Leben zur Hölle. Wäre ja nur fair, oder? Natürlich nicht, aber wann war das Leben schon fair? Und ich konnte es zumindest nachvollziehen.

Mir kamen die Bilder meiner Mutter in den Sinn, die ich zu der einen Gelegenheit gesehen hatte, bei der ich in Fugakus Zimmer gegangen war. Alle sagten, ich wäre Mikoto wie aus dem Gesicht geschnitten, aber ihre entspannte, liebevolle Miene war so hübsch im Gegensatz zu meinen verhärmten Augen. Aber das war mir nur Recht. Ich wollte nicht hübsch aussehen. Andere wollten hübsche Menschen anfassen, und das wollte ich nicht.

Ich dachte wieder an den Tag, als ich ins Büro meines Vaters geschlichen war. Dort standen all die Fotos von Mikoto, die im Rest des Hauses fehlten. Sie, als sie so alt war wie ich jetzt und mit Fugaku durch Europa reiste. Sie im Hochzeitskleid, schwanger mit Itachi. Sie, lächelnd an Fugakus Arm. Sie. Alles voll mit Mikoto.

Mein Vater gab sich nicht mal die Chance, über seine Frau hinwegzukommen. Und als er mich in diesem kleinen Schrein seiner verlorenen Liebe fand, das Ebenbild seiner Frau, weinend über den Kleidern ebendieser Frau, die ich nicht gekannte hatte, hatte er mich nicht in den Arm genommen. Fugaku hatte sich entschieden, mich nicht als Andenken an Mikoto zu sehen, sondern als ihre Mörderin, und meine blose Anwesenheit in diesem Zimmer beschmutzte seine Gedenkstätte.

Es war das einzige Mal, dass mein Vater mich schlug, aber es genügte. Ich betrat das Zimmer nie wieder.

„Ha…? Fräulein Uchiha.“

Ich schreckte aus meinen Gedanken hoch und wurde von Orochimarus amüsiertem Blick und dem verhaltenen Kichern meiner Kommilitonen zurück begrüßt. Leicht zerstreut strich ich mir das Haar aus den Augen. „Ja, Professor?“

„Ich würde es, trotz Ihrer ausgezeichneten Noten, begrüßen, wenn Sie meinem Unterricht folgen würden. Vor allem, da sie erst kürzlich zwei Einheiten verpasst haben.“

Natürlich musste er das bei mir extra betonen, obwohl ein Fehlen bei sonst niemandem ein Problem war. Wir waren ja keine Schulpflichtigen Kinder mehr. „Es wird nicht wieder vorkommen“, versprach ich trotzdem und konzentrierte mich den Rest der Stunde tatsächlich hundertprozentig auf die Lektion.

Nach dem Seminar waren wie immer alle schnell dabei, das Labor zu verlassen. Eine Kommilitonin fragte, ob ich noch mit allen etwas trinken gehen wollte, aber ich lehnte ab. In letzter Zeit hatte ich mich schon genug herumgetrieben, das würde nur Ärger geben. Vermutlich hatte sie sowieso nur aus Höflichkeit gefragt.

So zogen die anderen Studenten sich zurück, bis ich alleine war. Beziehungsweise fast alleine; der Professor schob einen Karren mit Proben hinter einem Regal hervor und lächelte, als er mich sah. „Ah, Fräulein Sasuke. Perfekt, dass Sie noch da sind. Würden Sie mir mit dem Wagen helfen? Eines der Räder klemmt.“

Diesen Defekt konnte ich zwar nicht feststellen, trotzdem half ich selbstverständlich, die Proben zu verräumen. Vor dem Büro lächelte er mich wieder so breit an, dass es mich unwillkürlich erschauderte.

„Dann einen schönen Tag noch, Professor.“

„Hätten Sie vielleicht eine Minute, Sasuke?“, unterbrach er mich, als ich schon zur Flucht ansetzte. Am liebsten hätte ich einen Termin vorgeschoben, doch stattdessen folgte ich ihm in seine Arbeitsräume.

Es war ein großes, luftiges Büro mit vielen Büchern an den Wänden und gleich zwei Computern auf dem imposanten Schreibtisch, vor dem er mich Platz Zu nehmen bat. Eigentlich wirkte das Zimmer freundlich, nur leicht übersehbare Details stachen hervor. Ein sehr düsteres Bild einer schreienden Frau, das zwischen Zeugnissen und Diplomen an der Wand hing, ein Glas mit einem eingelegten Tier in einer Vitrine und ein oder zwei Bücher über frühe Psychotherapie im Regal. Alles war so klein und so verstreut zwischen den normalen Utensilien eines Professors, dass es gar nicht weiter auffiel, aber mir jagte es einen Schauder über den Rücken. All diese Gegenstände waren wie Orochimarus Lächeln; möglichst strahlend, damit niemand die unterschwellige Grausamkeit sah. Ich wollte hier so schnell wie möglich raus.

„Also, Professor?“

„Sie wollen mich wirklich nicht Orochimaru nennen, auch nicht um der alten Zeiten willen, nicht wahr?“, fragte er mit betrübtem Lächeln. Scheinbar erwartete er, dass ich einlenken würde, doch als ich es nicht tat, fuhr er fort. „Na schön. Es ist wohl auch besser, keine allzu enge Beziehung zu einem Lehrenden zu haben. Sie sind wirklich eine intelligente junge Frau geworden. Und so schön wie Ihre Mutter.“

Ich ließ ihn nicht aus den Augen. „Sie kannten meine Mutter?“

„Aber ja. Eine tolle Frau.“ Offensichtlich war er froh, eine Reaktion von mir bekommen zu haben. „Ich habe nie verstanden, wieso sie sich mit dem Leben als Hausfrauchen zufriedengab, das Fugaku ihr aufzwang. Sie hätte überall arbeiten können mit ihren Zeugnissen… Aber vielleicht hat sie das sichere Nest genossen.“

Orochimaru zuckte die Schultern, während ich mich fragte, wie ´sicher` dieses Nest wirklich gewesen war. Sagte Itachi vielleicht doch die Wahrheit? Hatte ich meinen Vater so verbittert…?

Ich traute dem Professor zwar nicht, der gerade aufgestanden war, um einen Kaffee aufzusetzen, aber scheinbar wusste er mehr über die Vergangenheit meiner Eltern, und im Gegensatz zu den anderen Leuten, auf die das zutraf, schien er gewillt zu reden.

„Kannten Sie… Kanntest du meine Mutter gut, Orochimaru?“

Das Lächeln, das er mir schenkte, war klebrig wie Honig und viel zu gewinnend. Mein Einlenken, was seinen Namen anbelangte, war für ihn wohl wie ein kleiner Sieg. „Von den Firmenfeiern und den Gelegenheiten, zu denen sie deinen Vater bei der Arbeit besuchte. Fugaku hat sie zwar nie bei Entscheidungen mitreden lassen, aber Mikoto wusste immer, was in der Firma vorging. Sie hat die Mitarbeiter motiviert wie sonst keiner. Ich bin mir sicher, deine Eltern haben sich sehr geliebt.“

Ich war nicht sicher, ob man meinen Vater lieben konnte, so, wie er war, doch das bestätigte nur, dass er sich seit dem Tod seiner Frau verändert hatte. So etwas ging an niemandem spurlos vorbei. Also hatte Itachi Recht. Ich war selbst schuld an meiner Situation.

„Sasuke?“ Orochimarus Stimmer iss mich aus meinen Gedanken und er lächelte mitfühlend, als ich ihn ansah und er mir die Kaffeetasse hinstellte. „Was ist in letzter Zeit mit dir los? Sonst bist du stets hochkonzentrierst und bringst Bestleistungen, aber seit ein paar Wochen wirkst du ständig abgelenkt. Wenn du Probleme hast, solltest du mit jemandem darüber reden. Wenn du möchtest, könnte ich dieser jemand sein.“

Über dieses Angebot dachte ich nicht mal nach, wohl aber über die zugrundeliegende Behauptung. Man merkte mir an, dass ich gedanklich wo anders war, das war nicht gut. Ich musste mich wieder auf meine Pflichten konzentrieren, denn wenn ich nicht funktionierte, würde mein Vater sauer. Und wenn mein Vater sauer war, würde Itachi mich bestrafen.

Die Angst zog mir den Magen zusammen und ich hatte das Gefühl, in dem plötzlich viel zu warmen Büro zu ersticken.

Als habe er meine Gedanken gelesen, stand Orochimaru wieder auf und öffnete die Fenster, sodass kalte Novemberluft hereinströmte. „Weißt du, Sasuke, ich kann deine Situation gut verstehen. Du bist etwas Besonderes. Hochbegabt. Das war mir schon klar, als du noch ein Kind warst.“

Misstrauisch sah ich zu, wie er näherkam, doch als er weitersprach, konnte ich sein Gesicht nicht sehen, da er direkt hinter meinem Stuhl stehenblieb. Ich spannte die Schultern an und sah auf seine Tasse, aus der sich im kalten Zug kleine Rauchschwaden emporschlängelten.

„Ich weiß, wie es sich anfühlt, ständig besser als alle anderen zu sein. Wie sie dich ansehen, beurteilen. Dich in ihrem Neid ausschließen. Ich weiß, wie ihre Dummheit dich langweilt, aber du bist zu gut erzogen, um das zu zeigen.“

Dieses Gespräch hätte er mit Itachi führen sollen, denn ich hatte mich nie derart überlegen gefühlt. Niemand hatte mir je das Gefühl gegeben, meine Leistungen wären Stolz wert.

Orochimaru stand hinter mir wie der personifizierte Schatten meines Bruders, in dem ich lebte. „Menschen wie wir brauchen manchmal Hilfsmittel, um diesem Druck standzuhalten. Das ist nur legitim, immerhin leisten wir auch mehr als andere Menschen. Und der Druck ist immens, nicht wahr, Sasuke?“

„Was willst du von mir?“, fragte ich, die schultern angespannt, um genau diesen Druck tragen zu können, den ich diesem zutiefst suspekten Fremden gegenüber nie eingestehen würde.

Er lachte nur und ließ etwas auf meinen Schoß fallen. „Ich will dir nur ein Geschenk machen. Unter alten Freunden, sozusagen.“

Verwirrt nahm ich das kleine Tütchen – Und ließ es gleich wieder in meinen Schoß fallen, als ich erahnte, was das helle Pulver darin war. Ich wusste nicht, was ich sagen oder tun oder denken sollte. Zwar hatte ich Orochimaru für verschroben gehalten, doch nie hätte ich gedacht, dass er seine Position nutzte, um Drogen an seine Studenten zu verticken.

Polizei. Ich musste mit diesem Tütchen zur Polizei und dafür sorgen, dass Orochimaru niemanden mehr in seinen Sumpf zog. Ich war so verwirrt, dass meine Glieder beim Aufstehen ganz unbeholfen waren. Das Tütchen in meiner Hand wog nicht mehr als ein, zwei Gramm, aber es fühlte sich bleischwer an, weil ich mir seiner so überdeutlich bewusst war.

„Wie viel?“, fragte ich beherrscht, woraufhin er nur lachte und ungefragt meine Tasche öffnete, um das Tütchen darin zu verstauen. Ich schaute wie versteinert zu.

„Es ist ein Geschenk, Sasuke.“

Als er die Schlaufe wieder verschloss, lehnte er sich an seinen Schreibtisch und nahm seine Tasse zur Hand, um einen Schluck zu trinken. Alles an ihm wirkte, als habe er mir gerade Übungsblätter für die nächste Prüfung gegeben, keine Drogen. Und wie sicher er sich seiner Sache war. Sein Blick war amüsiert, als könne er in meinen Augen sehen, dass ich zur Polizei gehen wollte, aber er wüsste einfach, dass ich es nicht tun würde. Pah! Gar nichts wusste er von mir!

„Komm einfach zu mir, wenn du mehr brauchst“, bot er freundlich an.

„Das ist ein sehr großzügiges Geschenk.“

„Ich wusste, du wüsstest es zu schätzen.“ Orochimaru kehrte lächelnd hinter seinen Schreibtisch zurück und sah mich offen an. „Ich bin immer da, um dich zu unterstützen, meine Liebe… Weißt du, wie man damit umgeht?“

Ich nickte, wenn auch nur, weil ich jetzt sicher keine Lehrstunde im Konsum von Kokain wollte. „Danke. Auch für Ihre Zeit.“

„Wir waren beim Du, Sasuke“, erinnerte er mich sanft, doch dann verabschiedete er mich und ich verließ das Büro.

Im Bus zur Polizeistation kam es mir vor, als würden alle Fahrgäste mich anstarren. ´Ich bringe das Zeug nur weg!`, wollte ich am liebsten rufen, aber ich starrte nur angespannt aus dem Fenster. Sah ich aus wie ein Junkie? Ich hatte meine Leistungen alle selbst erarbeitet, mal von Kaffee und Traubenzucker abgesehen, und jetzt kam dieser abgehalfterte Wissenschaftler daher und tat ganz nonchalant so, als hätte ich alles Drogen zu verdanken – Wie er, scheinbar.

Als ich zwanzig Minuten später aus dem Bus stieg und der kalte Wind mir in den Kragen griff, fragte ich mich, wie er überhaupt darauf kam. Klar, in letzter Zeit hatte ich einige Probleme, aber das war doch nicht die Lösung. Andererseits, sagte eine Stimme in meinem Kopf, die ich bis dahin nicht gekannt hatte, hatte ich es auch noch nie ausprobiert. Und die Vorstellung, diese Gedanken loszuwerden, die mich ständig begleiteten und jetzt sogar im Unterricht aufzufressen drohten, war verlockend.

Meine Schritte hatten sich verlangsamt, doch jetzt ging ich wieder energischer. Es war falsch, Punkt. Ich würde dieses Päckchen der Polizei geben, diese würde Orochimarus Büro und seine Wohnung filzen und ihn dann hoffentlich aus dem Verkehr ziehen, denn er war gefährlich.

Aber warum eigentlich? Schon in Blickweite der Polizeistation blieb ich stehen und überlegte, dass Orochimaru (Als einziger) gemerkt hatte, dass es mir schlecht ging und nur hatte helfen wollen. Dass seine Mittel dazu falsch waren, machte es ja nicht zu einer schlechten Tat. Und wieso eigentlich ´Falsch`? Er nahm das Zeug doch scheinbar auch, und er war ein erfolgreicher Wissenschaftler und guter Dozent.

Unschlüssig stand ich eine ganze Weile auf dem Gehweg, starrte die Wache an, die zwischen Einfamilienhäusern lag, ein Schneidereibedarf auf der anderen Straßenseite. Dann, ganz langsam, wandte ich mich ab.

Es konnte nicht falsch sein, vergessen zu wollen. Ich wollte nicht mehr jedes Mal, wenn ich die Augen schloss, an Itachi denken oder an unseren Vater. Es war falsch, dass all mit mir geschah, also wäre es richtig, es, wenn auch nur für ein paar Stunden oder Minuten, auszulöschen. Gänzlich ungeschehen machen konnte ich es ja nicht.

Schon auf dem Heimweg schämte ich mich und drehte doch wieder um, doch die Polizeistation betrat ich nie. Alle paar Meter entschied ich mich um, aber am Ende war ich mit meiner vor Schuld tonnenschweren Tasche zu Hause angekommen.

Ich wollte das Ding nicht mehr sehen und ließ es in meinem Zimmer, während ich mich um den Haushalt kümmerte und kochte. Während der Arbeit kam ich mir vor, als habe ich ein Stigma auf der Stirn und selbst meinem Vater fiel auf, wie angespannt ich war. Zwar fragte er nicht, was los war, aber er musterte mich immer wieder über den Rand seines Tellers hinweg.

In der Nacht schlief ich schlecht. Ich träumte von abgewrackten Drogenhäusern, kaputten Menschen, vom Tod, und dann wieder vom Fliegen und von der Freiheit und von kalter, klarer Luft auf meiner Haut und in meinen Lungen. Immer, wenn ich aufwachte, schien meine Tasche mit ihrem Inhalt näher ans Bett gerückt zu sein, bis ich das kleine Tütchen schließlich in der hintersten Ecke meines Schrankes verbarg. Nur bis zum nächsten Morgen, schwor ich mir, wenn ich es zur Polizei brachte.
 

Aber das tat ich nicht.

Ich nahm die Drogen zwar auch nicht, doch sobald meine Paranoia wegen ihnen nachgelassen hatte, war es ein angenehmes Gefühl, sie in der Nähe zu wissen. Als wäre da ein Ausweg, wenn es zu schlimm wurde, endlich, nach all den Jahren. Wie eine kleine Rebellion war dieses ach so leichte Tütchen, denn was wäre mit dem wertvollen Ruf meines Vaters, wenn seine Tochter ein Drogenproblem hätte? Dass ich mich damit kaputtgemacht hätte, war mir egal. Das war ich doch sowieso schon.

Das einzig Unangenehme war, dass ich Orochimaru jetzt noch weniger loswurde. Er hielt das wohl für unser ´kleines Geheimnis` und beobachtete mich lauernd, wartete, dass ich ihn um mehr bitten würde. Die Vorstellung, von ihm abhängig zu sein, war einer der Gründe, aus denen ich das Kokain nicht nahm. Alles an ihm war mir zutiefst zuwider, vor allem aber, dass er glaubte, mich zu kennen und kontrollieren zu können. Ich würde noch zur Polizei gehen und ihm das Gegenteil beweisen, schwor ich mir jedes Mal, wenn ich ihn sah. Und tat es dann doch nicht.

So ging der November vorbei und ein Dezember begann, der zu kalt war für Schnee. Ich zog den Schal enger um den Hals, als ich über den großen Platz auf das Hochhaus zuschritt, in dem Kyuubis WG lag. Der Anblick war mir inzwischen vertraut, und ich zögerte nicht, als ich aus dem Aufzug stieg und an der Tür klingelte. Einer der Mitbewohner öffnete, ich vergaß immer, wie sie alle hießen.

Ein wenig verwirrt ließ er mich rein. „Naruto ist nicht da.“

„So?“, fragte ich und zog mein Handy aus der Tasche meines Mantels, den ich gerade aufgehängt hatte. Darauf hatte ich eine Nachricht meines besten Freundes, in der er eine Verspätung ankündigte und ich seufzte leicht genervt. Wunderbar, jetzt saß ich hier mit diesen neun Freaks – Oder wie viele von ihnen gerade auch da waren.

„Dann kümmere ich mich eben um die Lady“, meldete sich eine inzwischen auch schon wohlbekannte Stimme zu Wort und Kyuubi kam aus seinem Zimmer. Wie immer waren seine Klamotten absolut unmöglich; er trug Hosen im Reiterstil, ein weißes Shirt mit Rissen und ein rot-schwarzes Sakko darüber, mit dem er wie ein Zirkusdirektor aussah. Aber irgendwie stand es ihm auch.

Seine spitzgefeilten Zähne blitzten in einem Lächeln, als Kyuubi meinen missbilligenden Blick bemerkte. „Gefalle ich der Dame nicht?“

„Seit wann interessiert dich das?“, fragte ich und schüttelte ihm die Hand.

„Bei dir schon immer.“ Er zwinkerte, aber inzwischen konnte ich seine Flirtereien als Scherze hinnehmen. Wir setzten uns auf die Couch in der Mitte des Raums, nachdem er mir ein Glas Wasser ausgehändigt hatte. Ich warf erneut einen Blick auf die Uhr: Naruto wusste ganz genau, wie ich zu Unpünktlichkeit stand, und trotzdem war er jetzt schon zehn Minuten zu spät. Gut, dass wir uns rechtzeitig vor der Reservierung in dem Chinarestaurant verabredet hatten, in dem wir uns mit einigen Freunden treffen wollten.

„Was gibt´s Neues?“, erkundigte Kyuubi sich in dem recht offensichtlichen Versuch, das Schweigen zu durchbrechen. Wir sahen uns zwar oft, aber nie alleine, deshalb war die momentane Situation ungewohnt.

„Nichts“, sagte ich nicht unfreundlich, sondern weil es der Wahrheit entsprach.

Er sah mich amüsiert an. „Es ist echt unglaublich, wie viel gesprächiger du bist, wenn Naruto dabei ist.“

Dessen war ich mir bewusst, weshalb ich nur die Schultern zuckte. „Er redet einen in Grund und Boden, wenn man nicht Kontra gibt.“

„Vielleicht versuche ich das auch, wenn du dann mit mir sprichst.“

„Dafür bist du nicht der Typ“, erklärte ich und holte mein Handy aus der Hosentasche, als ´Never let me go` von Florence and the Machine ertönte. Wenn man vom Teufel sprach, dachte ich beim Abheben. „Naruto.“

„Sasuke, können du und Kyuubi mich vom Bahnhof abholen?“, quengelte er in den Hörer, woraufhin ich die Stirn runzelte.“

„Wieso?“

„Tsunade wollte mir nicht erlauben, Motorrad zu fahren. Es würde glatt werden, blabla.“ Ich sah praktisch, wie er die Augen verdrehte. „Also, kommt ihr?“

„Das hättest du früher sagen können“, seufzte ich und stand auf.

„Ich musste mich erst noch mit meiner Oma streiten und bin gerade erst in die Bahn gestiegen. Beeilt euch, es ist kalt, und ich will nicht draußen rumstehen.“

„Gleich kannst du laufen“, drohte ich, doch er lachte nur.

„Ihr seid die Besten. Bis gleich.“

Ich brummte eine Erwiderung, dann legte ich auf und wandte mich an Kyuubi, der bereits auf dem Weg zur Garderobe war. Er kannte seinen besten Freund eben. „Was hält unseren Chaoten auf?“, wollte er gelassen wissen.

„Er steht unter der Fuchtel eines alten Mütterchens“, erklärte ich ebenso unbeeindruckt, während ich meinen Mantel anzog und dem Mitbewohner (Ich vermutete, dass es Son-Goku war) grüßend zunickte.

Kyuubi rief den Aufzug, der uns kurz danach nach unten brachte. „Du weißt so gut wie ich, dass Tsunade kein ´altes Muttchen` ist.“

„Schon, aber ich dachte, das klänge lustig.“ Ich zuckte die Schultern und er grinste.

„Humor entwickelst du auch noch, das sind ja ganz neue Töne.“

Dazu sagte ich nichts, sodass wir auf dem Weg durch die Tiefgarage des Hochhauses schwiegen. Wie alles in Kyuubis Besitz war auch sein Fiat schwarz, wobei er aus Gründen seines männlichen Stolzes wohl auf rote Akzente verzichtet hatte. Trotzdem vermisste ich das Gefühl von Freiheit, das man auf Narutos Motorrad hatte, als ich in den Wagen stieg. Er hatte mich dazu überredet, im nächsten Sommer selbst den Motorradführerschein zu machen, weshalb ich im Moment mein Gehalt als studentische Hilfskraft sparte. Meinen Vater konnte ich schließlich unmöglich um so etwas bitten, noch dazu, wenn ich mit einem Mann fahren wollte, den er für einen gefährlichen Tunichtgut hielt und Rumtreiber hielt.

Obwohl Naruto hauptsächlich fröhliche Musik der unterschiedlichsten Genres hörte, waren ab und zu auch Rock- oder Metall-Lieder dabei gewesen, und durch das, was ich jetzt zu hören bekam, schloss ich darauf, dass Kyuubis Playlist Einfluss auf ihn genommen hatten.

„Zu hart?“, fragte mein Fahrer, doch ich schüttelte den Kopf.

Schon seltsam: Bevor ich Naruto kennengelernt hatte, wäre mir so etwas nie aufgefallen. Ich hatte Musik nur zum Joggen gehört, oder um lästige Gedanken auszuschließen. Aber seit er behauptet hatte, die Playlist eines Menschen sage viel über diesen aus, ließ ich mir ab und zu Empfehlungen von ihm geben. Natürlich hielt er seinen Geschmack für den besten der Welt.

Unwillkürlich dachte ich wieder an unsere Übernachtungsparty und wie schön es gewesen war, seiner Musik zu lauschen bis ich eingeschlafen war. Wenn diese Lieder wirklich etwas über ihn aussagten, war es Lebenslust, Leichtigkeit, die Sehnsucht nach Liebe, der Wunsch, sich zu beweisen, etwas zu erreichen. Es war ekelhaft kitschig und ich würde es nie irgendjemandem gestehen, aber in diesem Moment war es, als erzählten die Sänger von Narutos Gedanken, und ich genoss es, ihnen zu lauschen.

„Sasuke?“, riss Kyuubi mich aus meinen Gedanken und ich setzte mich etwas gerader hin. Er warf mir einen Seitenblick zu. „Wir kennen uns jetzt schon eine Weile, deshalb möchte ich ehrlich zu dir sein.“

Verwirrt runzelte ich die Stirn. Was kam denn jetzt?

„Naruto hat mir erzählt, wie viel Zeit ihr im Moment miteinander verbringt. Er ist deswegen ganz aus dem Häuschen – Wie du sicher weißt.“

Natürlich wusste ich das, Naruto hatte noch nie einen Hehl aus seinen Gefühlen gemacht. Und dass wir viel Zeit miteinander verbrachten, brauchte er mir auch nicht extra zu erklären, Kyuubi war ja oft genug selbst dabei.

„Und?“, fragte ich vorsichtig.

„Und ich möchte, dass du dir klar machst, wie sehr du ihn verletzen könntest. Er kann nicht gut damit umgehen, Leute zu verlieren, seit seine Eltern gestorben sind. Als du ihn damals abgesägt hast, war er am Boden zerstört – Und da kanntet ihr euch noch nicht so gut.“

„Ich habe ihn nicht ´abgesägt`“, verteidigte ich mich recht lahm, aber Kyuubi ging gar nicht darauf ein.

„Wie auch immer, das ist jetzt ja auch schon eine ganze Weile her. Aber in der Zwischenzeit bedeutest du Naruto eben auch viel mehr. Das solltest du berücksichtigen, wenn du zu ihm läufst, um dich vor deinen Problemen zu verstecken.“

Völlig verblüfft starrte ich den Rothaarigen an, der hier mein Seelenleben offenlegte als könne er geradewegs meine Gedanken hören. Meine Verunsicherung machte mich wütend. „Ich weiß nicht, wovon du redest.“

„Tatsächlich?“, fragte er kühl und warf mir einen mitleidigen Blick zu. „Nun, und ich weiß nicht, was in deinem Leben so los ist, aber es ist offensichtlich, dass irgendetwas nicht stimmt und du dich davor zu Naruto flüchtest. Das ist verständlich. Er tut einem gut, wenn es einem schlecht geht, ich weiß das besser als jeder andere. Aber wenn einem wirklich an ihm liegt, darf man sich von dieser Ader an ihm nicht verleiten lassen, ihn auszunutzen. Ich werde das nicht zulassen. Verstehst du das, Sasuke?“

Er parkte das Auto am Bahnhof, dann sah er mich eindringlich an, die dunkelgrünen Augen eine entfesselte Naturgewalt. In diesem Moment wusste ich, dass er wirklich alles für seinen besten Freund tun und jeden zerstören würde, der ihm schadete.

Gleich danach besiegte aber der Trotz meine Ehrfurcht und ich reckte ein wenig das Kinn. „Stehst du auf ihn?“

Kyuubi schüttelte, erneut mitleidvoll, den Kopf. „Nicht jeden, den man liebt, muss man auch ficken wollen. Wenn du Glück hast, lernst du das auch noch“, belehrte er mich herablassend.

„Ich will nicht… Du…“, stammelte ich verlegen. Wie schaffte er es nur, dass ich mir so dumm vorkam wie ein kleines Mädchen?

„Du bist in ihn verknallt. Das ist doch ok.“ Seine Augen folgten der einfahrenden Bahn, in der wohl auch Naruto sitzen würde. „Er merkt es nicht und ich werde es ihm nicht sagen, also kannst du dein kleines Geheimnis ruhig für dich behalten. Nur möchte ich nicht, dass du ihn mit reinziehst, wenn du dich selbst kaputtmachst.“

Er sah mich wieder an und ich wusste, dass er es wusste. Alles über das kleine, nach wie vor unberührte, aber oft betrachtete Päckchen in meinem Schrank. Darüber, dass ich eigentlich nur auf eine Gelegenheit wartete, es doch noch zu benutzen, weil ich keine Lust mehr auf diesen ständigen Kampf hatte, der mein Leben geworden war. Er wusste, dass Naruto mein Gegenpol zu diesen Wünschen war und ich es ohne ihn schon längst getan hätte.

„Woher…?“, fing ich an, doch dann tauchte eine Goldmähne aus der Dunkelheit auf und der winkende Naruto unterbrach unser Gespräch.

„Über was redet ihr?“, wollte er wissen, als er sich auf den Rücksitz fallen ließ und die angespannte Stimmung zwischen seinem besten Freund und mir spürte.

„Die Vergangenheit“, erwiderte Kyuubi und startete den Motor, ließ dieses Thema weit hinter uns.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Hallo, ihr Lieben :)

meine Motivation für die Geschichte hält sich leider gerade ein wenig in Grenzen, was aber vielleicht auch an anstehenden Prüfungen etc liegen mag. Ich werde sehen, wie sich das entwickelt, aber wahrscheinlich wird es (Noch) länger dauern, bis das nächste Kapitel kommt. Und das wo es (Bild ich mir zumindest ein) langsam etwas spannender wird. x´D Tut mir leid. :<

Trotzdem lg Komplett anzeigen

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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Mysterious
2016-06-26T01:12:20+00:00 26.06.2016 03:12
Whoa... Es wird spannender und wie! Ich glaube, es ist das erste mal, dass ich Itachi wirklich garnicht leiden kann. Es gab in diesem Kapitel unglaublich viele Informationen über Sasuke, da versteht man gleich vieles besser, obwohl man sich wünscht, dass viele Dinge nie passiert wären. Natürlich sind wir nun alle neugierig, woher Kyuubi sein Wissen hat, hoffentlich kommt das noch irgendwann raus. Ich bin unheimlich gespannt auf das nächste Kapitel und wünsche dir viel Glück bei deinen Prüfungen!

Lg Mysterious
Antwort von:  RedRidingHoodie
26.06.2016 18:12
Vielen Dank für deinen Kommentar, ich freue mich sehr, dass du Spaß hattest :) Und auch Danke für die Glückwünsche, ich tue mein Bestes xDD


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