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Rabenkind

Kind der Nacht
von

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Erinnerung I - Weißkristall - Teil IV

Es war ziemlich später Abend, als ich im „Goldenen Wagenrad“ ankam. Schon der Name ließ mich aufhorchen und schien mir wirklich der geeignetste Ort zu sein, an dem ein Händler seine Mitreisenden unterbringen konnte. Ich betrat also die Schenke des Gasthauses, stieß die schwere Holztür auf – von der ich bemerkte, dass sie aus der Werkstatt meines Vaters kam, denn seine und meine Initialen prangten über dem Griff – und ließ den Blick schweifen.

Die Schenke war gut eingerichtet. Mehrere Tische standen im Raum, umgegeben von Stühlen, deren Lehnen aus alten Wagenrädern bestanden. Ebenfalls eine Arbeit meines Vaters und mir... Sie alle waren weiß gemalt und bestanden aus einfachem Eichenholz. Die Tische hingegen waren aus Esche und dunkel gehalten, beständig gegen Flecken und ähnliches. An den Wänden hingen verschiedene Dinge; Ölgemälde von Landschaften, Jagdtrophäen, wie das Geweih eines Hirsches und über dem Tresen hing ein Wagenrad, dass wie der Name schon sagte, golden glänzte. Doch ich war mir fast schon sicher, dass es kein echtes Gold war... Der Boden war ebenso aus Holz, aus heller Eiche, und es knarzte leicht, als ich weiter in den Raum eintrat. Hinten in den Ecken standen ganze Sitzecken, lange Bänke, die mit Stoffen überzogen waren und Platz für mehrere Personen boten.

Es waren nur wenige im Raum anwesend, ein älterer Mann mit grauen Haaren und einer Halbglatze schlief bereits mit dem Kopf auf einem Tisch, vor ihm stand eine Flasche mit bräunlichem Inhalt. Ein anderer saß am Tresen, hatte einen Krug vor sich und trug die Rüstung der Stadtgarden: Einen bronzenen Kürass mit einem Streifenschurz aus Leder, Armschienen und Beinpanzern und je nach Rang einem Helm mit verschiedenen Verzierungen. Er schien jedoch ein einfacher Soldat zu sein, denn an seinem Helm prangte nichts. Er trug kurzgeschorenes, blondes Haar und einen leichten Drei-Tage-Bart.

Der Wirt selbst war alt, sein Haar war ergraut und seine Wangen zusammengefallen. Er hatte buschige Augenbrauen, die ihm fast die Sicht versperrten und eine kleine, knollenartige Nase. Seine Haut war sehr blass und immer wieder übersät mit Altersflecken. Er war wahrlich kein allzu angenehmer Anblick für das Auge... Dazu trug er, wie die meisten, eine weiße Tunika.

Doch ich trat froher Dinge an den Tresen, legte eine Hand auf das Holz und strich sacht darüber, ehe ich ihn anblickte.

„Travia zum Gruße. Sag, haben sich vor einiger Zeit ein Kämpfer, eine Ritterin, ein Zwerg und ein Elf in diesem Gasthaus niedergelassen?“

Ich lächelte, ehe ich näher trat, den Soldaten neben mir einen seichten Gruß zukommen ließ, in dem ich ihm zunickte und mich dann wieder an den Wirten wandte. Er blickte mich etwas verwirrt an, hob eine seiner Brauen in die Höhe – wovon ich nicht weiß, ob es nun ausdrücken sollte, dass er sich wunderte oder ob er es tat, um mich überhaupt sehen zu können... Jedenfalls nickte er seicht, stellte das Glas, das er eben noch in der Hand gehalten hatte, zurück auf die Ablage und lächelte dann freundlich zurück.

„Ja. Warum fragste?“

„Ich will zu ihnen. Welches Zimmer haben sie?“

Der Wirt lachte.

„Na sach mal, denkst du etwa, ich verrate jedem dahergelaufenen Spund, in welchen Zimmern sich meine Gäste aufhalten? Setz dich, bestell dir wat zu trinken und ich werde sehen, ob sie vielleicht nach unten kommen wollen. Aber dich hochlassen? Eher nich´...“

Er lachte erneut, ehe er sich etwas nach vorne beugte und grinste. Ihm fehlten zwei Zähne und der Großteil der anderen war gelblich. Doch trotz des Anblicks war der Ausdruck in seinen Augen freundlich.

„‘Is ja nicht bös´ gemeint, aber wenn ich Fremde auf die Zimmer lasse, verscheucht mir das die Kundschaft. Verstehste doch sicherlich, ‘ne?“

Er lachte wieder, zum dritten Mal, ehe er ein weiteres Glas nahm und es abspülte. Ich nickte sacht, lächelte zurück und setzte mich an den Tresen. Ich war noch immer voller Elan, voller Freude und voller Zuversicht. Und die konnte der Wirt mir auch nicht nehmen, trotz dessen, dass ich nicht nach oben durfte.

„Also, was willste haben?“

Ich überlegte nicht lang und bestellte mir eine Cervisia. Es würde gut tun, denn ich hatte seit dem Nachtmittag nichts getrunken. Abwartend saß ich da, blickte dem Wirt noch hinterher, als er zu den Treppen entschwand, um den Gästen zu sagen, dass jemand auf sie wartete und nahm dann den ersten Schluck meines Getränks.

Hm?

Cervisia? Es ist Bier. Allerdings war Cervisia etwas anders. Es war etwas verdünnter und süffiger. Außerdem trank man es lauwarm. Es schmeckte auch nicht so bitter, wie das Bier, das man heute bekommt. Es hatte fast so etwas wie eine malzige Unternote. Es war angenehm und tat gut nach einem Tag voller Arbeit...

Ich saß also da, wartete auf den Wirt und seine Gäste und beschaute mir die beiden Personen, die noch im Raum waren. Der ältere Mann schlief immer noch und sein Schnarchen war im Hintergrund zu hören. Er röchelte etwas. Der Soldat neben mir schien ebenso gedankenverloren. Er starrte vor sich hin, schwenkte seinen Krug mit dem Getränk und stieß alle paar Minuten einen Seufzer aus, ehe er trank. Kurz war ich verleitet zu fragen, was er hatte – nicht aus Fürsorge, sondern aus reiner Neugierde – doch ich unterließ es, als der Wirt wieder zurückkam, in Begleitung des Elfen und der Ritterin.

„So, das is´ er.“

Kurz deutete der alte Mann auf mich, ehe er sich wieder hinter den Tresen stellte und sich um die Wünsche seiner vermeintlichen Kundschaft sorgte. Ich bemerkte jedoch schnell, dass er eigentlich nur dastand, um unsere Unterhaltung gut belauschen zu können.

Ich stand auf, verneigte mich vor der Dame und hielt dem Elfen die Hand hin, freundlich lächelnd. Er hingegen blickte mich nur verwundert an, schien dann aber zu begreifen und schüttelte mir kurz die Hand. Die Ritterin lachte leise.

„Felarion kennt unsere Sitten noch nicht lange. Verzeih ihm den kurzen Moment der Verwunderung.“

Ich nickte kräftig, lächelte dem blonden Elfen erneut zu, der die Arme vor der Brust kreuzte und mich beobachtete.

„Aber kommen wir zu dir. Du wolltest etwas von uns?“

Sie hob eine Braue und stemmte eine Hand in die Hüfte. Sie war sicherlich fast einen Kopf größer als ich und schien von nordischer Abstammung zu sein. Sie hatte kupferrotes Haar, kurzgeschoren, und grüne Augen. Auf der Wange trug sie eine längliche Narbe. Den Kürass hatte sie abgelegt, doch den Wappenrock trug sie noch immer, nun allerdings etwas lässiger gebunden, durch einen Gürtel gehalten. Das Wappen zeigte einen aufbäumenden Hengst unter einem gewellten Fluss. Erneut nickte ich. Dann ließ ich die Hand auf den Griff meines Schwertes gleiten.

„Ich will gegen Euch kämpfen. Wenn ich gewinne, darf ich mit Euch reisen.“

Ich traute meinen eigenen Ohren nicht. Hatte ich das gerade wirklich gesagt? Hatte ich soeben eine erfahrene Ritterin zum Kampf herausgefordert? Auch sie schien einen Moment verblüfft, ehe sie lauthals lachte. Der alte Mann, der auf dem Tisch schlief, wachte auf und blickte sich verstört um.

„Soso... Du willst also gegen mich antreten? Ganz schön mutig, das muss ich dir lassen. Doch vielleicht verrätst du mir erst mal deinen Namen, hm?“

„Grangorias. Grangorias Kortha.“

Ich spürte geradezu, wie ihr Blick mich musterte. Sie schätzte mich ab, versuchte zu erwägen, was ich konnte, wie ich kämpfen würde... Ob es sich überhaupt lohnen würde, gegen einen solchen Jungspund wie mich anzutreten. Dann kreuzte auch sie die Arme vor der Brust und grinste sacht.

„Grangorias also... Und du willst mit uns reisen? Hm... Ich hab dich doch heute schon gesehen... Ach, an der Wiese, kurz vor den Stadttoren, nicht?“

Sie hob seicht eine Braue, schien sich nicht recht erinnern zu können, winkte dann jedoch ab und wandte sich kurz dem Wirt zu. Sie bestellte zwei Cervisia und deutete mir an einen der Tische, die im Schankraum standen. Wir setzten uns. Ich saß ihr gegenüber, der Elf schob seinen Stuhl etwas abseits und behielt mich stetig im Blick. Seltsamerweise faszinierte mich sein Anblick in diesem Moment so gut wie gar nicht. Er kam mir... normal vor. Als hätte ich ihn jeden Tag gesehen, als würde ich ihn kennen... Und so schenkte ich ihm keine Aufmerksamkeit. Ich hätte damals nicht einmal sagen können, wie er ausgesehen hat, so sehr konzentrierte ich mich auf das andere Geschehen... Der Wirt brachte uns die Getränke, schien ein wenig enttäuscht, dass er unser Gespräch nun nicht mehr so unauffällig belauschen konnte – was ihn allerdings nicht davon abhielt, es dennoch zu tun. Er stellte sich zu dem Betrunkenen, tat so, als würde er versuchen ihn zu wecken, hielt den Blick dabei jedoch stetig auf uns alle gerichtet und wandte ihn nur ab, wenn einer von uns Blickkontakt mit ihm herstellte... Ich beachtete ihn nicht mehr und blickte wieder die Dame an, die vor mir saß. Sie stütze ihren Kopf auf ihre Handrücken und blickte mich erwartungsvoll an. Ich schaute zurück.

„Was kannst du? Sag mir einen guten Grund, warum wir dich mitnehmen sollten.“

Und urplötzlich fielen mir abertausende Gründe ein, die ich hätte sagen können. Tausende! Und unter all denen, die ich hätte sagen können, suchte sich mein Mundwerk den Dümmsten aus.

„Weil ich kämpfen kann.“

Das war meine einzige Antwort. ‚Weil ich kämpfen kann.‘ Lächerlich, nicht? Doch Phex musste mit beigestanden haben, denn ich sagte die Worte mit so einer Selbstsicherheit und auf eine Art und Weise, als wäre es das Alltäglichste der Welt, dass die Ritterin erneut loslachte – allerdings beeindruckt.

„Mutig bist du schon mal und Selbstvertrauen scheinst du auch zu haben. Sehr gut. Aber wir nehmen nicht einfach jeden auf, der meint er könne kämpfen. Immerhin haben wir auch nicht die Zeit, dich dann jedes Mal vor dem Todesstoß deines Gegners zu retten.“

Ich nickte. Dann grinste ich breit.

„Deswegen will ich ja auch gegen Euch antreten. Damit ihr selbst seht, wie gut ich bin. Ich wette, ich kann Euch mit links schlagen.“

Alveran hilf! Was faselte ich da nur?! Mir schien alles zu Kopf zu steigen. Ich war übermütig, ich war zu selbstsicher und schien mir so sicher zu sein, dass sie mich nehmen würden, dass ich es übertrieb. Wie konnte ich derartiges behaupten?! Wenn ich heute an meine Worte denke, dann treibt es mir die Schamesröte ins Gesicht, so dreist war ich..!

Aber gut. Ich war voller jugendlichem Elan, voller Motivation und wäre sogar jetzt noch auf den Platz nach draußen gestürmt, um mich mit der Ritterin zu messen. Die hingegen blickte mich nur ein wenig entgeistert an. Ob es nun daran lag, dass ich mehr als dreist war oder wegen meines großen Mutes, kann ich nicht sagen... Jedenfalls stand sie nach wenigen Augenblicken plötzlich auf, stemmte beide Hände auf den Tisch und beugte sich zu mir herüber. Ihr Blick war fest, sicher und feurig. Irgendwas schienen meine Worte in ihr ausgelöst zu haben...

„Ich habe Orks und Goblins erschlagen, reihenweise! Ich habe sogar schon einem wilden Walddrachen gegenübergestanden! Und du – du behauptest also, du könntest mich schlagen, ja? Du meinst, du wärst mir gewachsen? Der letzte, der derartiges behauptete, endete mit einem gebrochen Arm, einem Finger weniger und kroch im Staub vor mir! Aber schön! Lass es uns herausfinden! Jetzt gleich!“

Und damit richtete sie sich auf, schlug mit der Faust auf den Tisch, dass alle Anwesenden zusammenzuckten und ging zur Treppe, nach oben zum Zimmer, um ihre Klinge zu holen... Und erst da schien mir erst zu dämmern, was ich gerade getan hatte. Und sofort bereute ich es... Ich hatte soeben eine Thorwalerin zum Kampf herausgefordert! Eine Nordfrau! Wie sollte ich das überstehen?! Und doch, in mir war eine Gewissheit. Der Gedanke, nein das Gefühl, dass ich gewinnen würde. Denn es sollte mein Schicksal sein – so hatte mir die Boroni es doch prophezeit, nicht wahr? Mein Schicksal war es, durch eine Klinge zu sterben, im Kampfe. Durch eine schwarze Klinge. Das hieß, ich müsste reisen. Weit reisen, denn in Bosparan hatte ich noch nie jemand gesehen, der eine schwarze Klinge besaß. Na also..! Als sie jedoch wieder nach unten kam, verging mir alles schlagartig.

Das Schwert der Ritterin war schwarz.

Jeglicher Gedanke war aus meinem Haupt verflogen. Ich saß einfach da und starrte vor mich hin. Ihre Klinge war schwarz. Nur gefärbt, durch Poliermittel und anderen Behandlungen, doch es war schwarz. Ich schluckte schwer. Sehr schwer. Mein Hals fühlte sich schlagartig trocken an, ich spürte, wie mir heiß wurde, denn mein Herz begann zu rasen. Meine Hände wurden taub, mein Körper entglitt mir, und ich zitterte leicht. Hinter der Ritterin kam noch der andere Mann mit hinab, ein verschmitztes Grinsen auf seinen Lippen. Er lehnte sich seitlich an der Frau vorbei, um einen Blick auf mich zu erhaschen, ehe er seicht lachte. Auch er schien mich wiederzuerkennen... Direkt vor mir blieben beide stehen, blickten mich einen Moment an und gingen dann zur Tür.

Ich müsste ihnen folgen – doch meine Beine bewegten sich nicht.

Der Elf saß noch immer nur auf dem Stuhl, hatte die Arme vor der Brust gekreuzt und blickte mich starr und ohne Mimik an. Nur seine Lippen bewegten sich leicht. Redete er etwa mit mir? Hatten mir meine Ohren versagt, vor Angst? Würde ich gleich etwa vom Stuhl kippen, mich lächerlich machen, ehe ich dann sterben würde? Rückgängig machen konnte ich es nicht mehr. Dafür war es zu spät. Die Thorwalerin war aufgebracht und ich würde all meinen Stolz, all meine Ehre verlieren, wenn ich nun gehen würde. Außerdem wusste ich, dass Menschen, die ihren Tod gesehen hatten und ihn vermieden, schneller von Uthars Pfeil getroffen wurden, als ihnen lieb war... Boron holte sie zu sich, ob man wollte oder nicht. Es gab einfach kein zurück.

Und das war der Punkt, an dem sich alles von mir löste. Sämtliche Angst und Verzweiflung perlte von mir ab und zurück blieb der Wille zu kämpfen. Zu leben. Alles wurde klar. Wenn ich schon an diesem Tage sterben würde, durch ihre Klinge, durch meine eigenen Worte angestachelt, dann mit Würde. Mit Stolz. In einem ehrenhaften Kampf, den man nicht vergessen würde. Wenn Boron mich schon so früh zu sich holen wollte, dann würde ich es ihm nicht leicht machen, bei Rahja! Ich würde an diesem Tage sterben – doch nicht als Feigling durch Uthars Pfeil, sondern in einem erbitterten Kampfe mit einer erzürnten Nordfrau. Wenn das mein Schicksal sein sollte, bitte!

Und so griff ich an meine Klinge, stand auf und schob den Stuhl zurück, atmete tief ein und ging zur Tür, um mich meinem Schicksal zu stellen.



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