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Rabenkind

Kind der Nacht
von

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Erinnerung I - Weißkristall - Teil I

Mein Leben war einfach, ich war der Sohn eines Tischlers und seiner Frau. Mein Vater verdiente nicht viel, doch es reichte, um ein einigermaßen gutes Leben zu führen. Meine Eltern waren zufrieden, und ebenso war ich es als Kind auch. Doch ich muss gestehen, dass ich nicht mehr viel weiß von dem, was war, zumindest nicht aus jener Zeit, als ich klein war. Doch ich bin auch alt...

Lacht nicht, ich bin älter als ihr denkt. Viel älter. Doch ich schweife ab. Ich denke, ich werde euch einfach von jenem Momenten erzählen, die in meinem Gedächtnis blieben.

Die Praiosscheibe lag noch tief am Horizont, als ich hinabstieg, um meinem Vater in der Tischlerei zu helfen. Ich zählte zu diesem Zeitpunkt gerade siebzehn Sommer, mein Tsatag war erst vor wenigen Tagen. Die Luft war noch frisch, geschwängert von der Kälte der Nacht und Feuchtigkeit, die jedoch im frühen Sommer nicht unüblich für die Gegend war, in der ich lebte. Dennoch war es immer wieder ein wunderbares Gefühl früh morgens vor die große, schwere Eichenholztür zu treten und die kühle Morgenluft einzuatmen. Wie jeden Morgen blieb ich einen Moment vor der Tür, machte ein paar Schritte gerade hervor, auf jene Straßen, in denen ich meine Kindheit verbracht hatte und die ich noch zu jenem Zeitpunkt so liebte. Sie waren weiß, gepflastert und gerader erbaut, als sie sich jeder Architekt heute wünschen könnte. Die Häuser waren ebenso weiß verputzt und beides zusammen ließ die Stadt beim Aufgang der Praiosscheibe erstrahlen und so wundervoll majestätisch erscheinen.

Doch das war sie auch, die wunderbarste aller Städte. So majestätisch, so rein, so bezaubernd... Bosparan. Wie ein weißer Kristall erschien sie damals noch aus den grünen Weiden im heutigen Horasreich. Wie ein reiner, weißer Kristall. Doch damals wusste ich auch nicht, welch frevelndes Werk die Kaiserin trieb, welch frevelhafte Taten die Stadt ins Verderben stürzen würden...

Ich genoss den Anblick an diesem Tag, wandte mich dann jedoch zu dem Nebengebäude um und ging meiner Arbeit nach. Ich half meinem Vater bei seinen Aufträgen, wenngleich ich das Werken mit Holz nicht als etwas ansah, dass mich erfüllte. Nein, ich hatte anderes im Sinn, andere Dinge, die ich tun wollte, als mein Lebtag in der Schreinerei zu arbeiten und das Erbe meines Vaters anzutreten.

Ich muss auch zugeben, ich war ein Tagträumer, ein junger Spund, der nichts besseres zu tun hatte, als nach der Arbeit mit einer Klinge den Kampf zu üben und der nicht besseres zu tun hatte, als die geliebte Heimatstadt immer und immer wieder zu durchstreifen auf der Suche nach Abenteuern.

Fast jeden Abend kundschaftete ich Tavernen und Gasthäuser aus, von denen ich wusste, dass sich jene Wesen darin aufhielten, die ihr Geld mit allerlei Aufträgen und abenteuerlichen Geschichten verdienten. Fündig wurde ich jedoch selten, meist waren es nur Vagabunde, Streicher oder einfach Wandernde, die das große Bosparan sehen wollten, ehe sie zu Boron mussten.

Doch ich gab nicht auf und folgte meinem Traum weiter, auch wenn ich manches Mal das Gefühl hatte, er wäre unerreichbar...

Und auch an diesem Abend sollte ich wieder durch die Tavernen wandern, wollte wieder mein Glück versuchen. Die ersten Anläufe waren erfolglos, wie immer. Phex schien einfach nicht an meiner Seite. Doch dann, es war spät in der Nacht und das Madamal war am Firmament aufgegangen und ließ die weißen Gassen abermals in einem Leuchten erstrahlen, wie nur das wunderschöne Bosparan es hatte, da sollte sich alles wenden...

Doch eilen wir nicht zu schnell vor, die Nacht ist noch jung und euer Weinbecher noch voll, wie ich sehe.

Es war also später Nachmittag, als mein Vater mich aus dem Dienste entließ und mir den Rest des Tages freigab. Ob es nun daran lag, dass ich sein Sohn war, oder ich mal wieder vor lauter Tagträumerei etwas an der Arbeit verrissen hatte, das weiß ich nicht mehr... Doch ich war froh, endlich aus der Tischlerei zu kommen. Die Luft war dick und die Sägespäne in ihr ließen die Arbeit unerträglich werden.

Ich entschloss mich ein wenig zu entspannen – ein kleines Nickerchen unter einem der vielen Bäume auf den Schafswiesen außerhalb der Stadt – und danach vielleicht wieder ein wenig Übung mit der Klinge... Wie gesagt, ich war ein junger Spund, ein Tagträumer und vielleicht auf eine ganz eigene Weise ein Nichtsnutz. Ich konnte zwar mit Holz umgehen, es in Formen bringen und meinem Vater aushelfen, doch es war ohne leben, wie er es immer sagte. Doch wie erwähnt, es füllte mich auch nicht aus...

So ging ich also dann, die Klinge vorher noch aus dem Haus geholt und um die Hüfte gelegt, gen einer der vielen Wiesen, außerhalb der Stadt. Die Schäfer kannten mich, mit einigen war ich befreundet und sie duldeten es, wenn ich mich unter die Bäume der Wiesen legte, denn soviel ich auch Tagträumen mochte – ein Geräusch entging mir nie. Und so sorgte ich auf eine gewisse Weise für die Sicherheit ihrer Herden mit.

Meine Erinnerung an die folgenden Stunden sind verblasst, nur schwach, doch ich weiß, dass ich im Gras saß, die Arme hinter dem Kopf, den Wolken nachsehend und den Vögeln ihre unbeschreibliche Freiheit neidete, als mich ein Geräusch aus der Lethargie riss.

Es war das Geräusch von Wagenrädern.

Nicht, dass das etwas Besonderes war – es war Frühsommer und die Händler fuhren tagein und tagaus in die Stadt hinein oder hinaus. Nein, es waren die begleitenden Geräusche, die mich aufhorchen ließen, die mich dazu bewegten, mich hinzusetzen und mich zu sehen, wer da kam.

Pferdehufe. Wiehern. Und ein völlig unbekanntes Geräusch. Etwas, dass ich nicht kannte und doch irgendwie wusste, was es war: Bestandteil einer Rüstung.

Ich sprang also förmlich auf, bahnte mir meinen Weg durch die Herde von Schafen und ging, mit dem Schäferjungen zusammen, zur Straße.

Es war ein Händler, mit seinem beladenen Karren, wie ich es mir gedacht hatte. Zumindest stimmte dies zur Hälfte. Denn der kleine, dickliche Mann wurde begleitet von vier anderen Wesen: Einem jungen Mann mit kinnlangen, schwarzen Haaren, einem Harnisch aus Bronze und einer Reihe von Wurfdolchen am Gürtel. Einer etwas älteren Frau mit kurzgeschorenen, roten Haaren, einem Kürass, allerdings dazu einen Wappenrock, auf dem scheinbar das Symbol eines Adligen abgebildet war. Sie trug ein Kurzschwert, hatte jedoch am Gürtel noch eine kleine Axt. Dann noch ein Elf, mit langem, blonden Haar und meeresblauen Augen – damals etwas, was ich mir in meinem Leben nie erträumt hätte zu sehen! Welch Faszination packte mich in diesem Moment, welch einzigartiger Anblick war der Mann in diesem Moment... Ich konnte meine Augen nicht abwenden, konnte meinen Blick dem Elfen für einige Minuten nicht entziehen.

In Bosparan erzählte man sich viel. Sehr viel. Elfen seien böse, hieß es. Elfen hätten sich den Göttern gefrevelt und wären deshalb untergegangen, hieß es. Elfen wären weichliche, unerfahrene Kämpfer, hieß es. Andere behaupteten wiederum das genaue Gegenteil. Man wusste also nie, was man nun glauben sollte und was nicht.

Und so wusste auch ich damals nicht, was wahr und was nicht wahr war, doch der Anblick des Elfen faszinierte und fesselte mich einfach. Es war... atemberaubend. Und erst, als der Elf meinen Blick erwiderte und lächelte, da entzog ich mich seines Bannes und senkte den Blick, ehe ich ihn weitergleiten ließ, zu dem letzten der Wesen, die den Händler folgten.

Es war ein Zwerg, der auf dem Karren saß, eine scheinbar viel zu große Axt auf seinem Rücken, eine Rüstung aus Metall und darunter... Ein Kettenhemd.

Ihr lacht, doch damals war ein Kettenhemd etwas seltenes, etwas, was aufwändig und teuer war.

Ein Rüstungsteil, das sich nur Adlige und Ritter leisten konnten. Und der Zwerg trug ein solches, kostbares Stück. Viel mehr als das Kettenhemd nahm ich in dem Moment von dem Zwergen nicht wahr, denn als ich endlich alle Eindrücke in meinem Haupte vereinen konnte, als ich begriff, warum sie die Rüstungen trugen und warum der Zwerg ein solches Kettenhemd besaß, da waren sie fast schon vorbeigezogen.

Abenteurer.

Helden.

Was auch immer sie waren – sie waren meine Chance. Meine Chance, meinen Traum zu erfüllen und mein Glück zu finden. Das zu finden, das mich ausfüllte. Dass meine Leidenschaft war.

Kämpfen.

Reisen.

Dere sehen.

Mein Elan war geweckt! Ja! Ich würde mich an diesem Abend wieder in einen Streifzug begeben und die Tavernen durchsuchen, ich würde ihnen begegnen und mich ihnen anschließen!

Doch natürlich wusste ich schon, dass sie nicht einfach jeden dahergelaufenen Kerl mitnehmen würden. So verträumt war ich nicht, dass ich dieser Fantasie anhing. Aber ich wusste auch, dass ich mich unterschied, von all den dahergelaufenen Tölpeln. Von den Nichtsnutzen und Tagträumern – denn ich konnte kämpfen. Ich konnte mit dem Schwert umgehen, konnte mit der Klinge kämpfen.

Was?

Ihr meint, dass könnte jeder behaupten?

Ja, das mag stimmen. Doch ich wusste es. Ich WUSSTE dass ich kämpfen konnte.

Woher?

Ihr stellt ja eine Menge Zwischenfragen... Geduld, keine Angst, ich erkläre es euch.

Als ich jung war, acht Götterläufe vielleicht, traf ich beim Spielen auf einen kleinen Jungen, im selben Alter wie ich. Arthasias war sein Name. Er war als Knappe vorgesehen, sollte in die Fußstapfen seines Vaters treten und Ritter werden. Ritter, am Hofe eines Adligen. Wir verstanden uns auf Anhieb gut, trafen uns immer wieder und eines Tages traf ich ihn etwas abseits der Stadt, beim Üben mit einem Holzschwert. Wie es weiterging, könnt ihr euch sicherlich denken...

Mein Interesse ward geweckt, ich schnitzte mir ein Schwert, wie er es besaß, und wir übten zusammen. Zuerst nur aus Spaß, doch mit der Zeit half ich ihm, seine Techniken zu erlernen, seine Fähigkeiten zu verbessern und seine Prüfungen zu bestehen. Wir wechselten von Holz zu Metall, von Kinderspielereien zu ernsthafter Übung. Und irgendwann wurde ich immer besser. Ich weiß bis heute nicht, aus welchem Grund, doch vielleicht liegt es mir einfach. Vielleicht war ich geboren, um mit dem Schwert zu kämpfen. Wer weiß das schon, außer den Göttern selbst? Und ab dem Moment, an dem ich begann, ihn bei jeder Übung zu schlagen, ihn immer nach Augenblicken schon zu entwaffnen und aus fast jedem Kampf siegreich hervortrat, da war mir klar, was meine Bestimmung war. Und ab dem Moment war mein Wunsch geweckt, in die Ferne zu reisen – und Abenteurer zu werden...

Doch zurück, denn der Abend ist jung und meine Geschichte lang...

Ich war mir also bewusst, dass ich die ideale Voraussetzung besaß, um mich ihnen anzuschließen.

Ich konnte kämpfen, war gut in Form und scheute nichts – zumindest in jenem Moment.

Mein Entschluss stand fest und nichts hätte mich daran hindern können, diesem auch nachzugehen..! An ein Nickerchen war nach dieser Begegnung natürlich nicht mehr zu denken und so nutzte ich den restlichen Tag, um meine Technik mit dem Schwert ein letztes Mal zu üben...
 

Erst am Abend, als die Praiosscheibe langsam unterging und die Stadt wieder in ein Licht tauchte, dass die majestätischen Bauten wie aus Kristall erscheinen ließ, machte ich mich auf den Weg zurück. Ich rannte und ich lief, voller Vorfreude, und kam keuchend an den Stadttoren an, doch ich hatte das Gefühl meine Energiereserven wären unerschöpflich! Das was nun zuerst? Nach Hause? Oder zu den Tavernen? Noch immer trug ich die Arbeitskleidung. Sicherlich, es würde keinen guten Eindruck machen, in der Kleidung der Handwerker aufzutauchen und zu sagen, man könne kämpfen und wollte mitreisen... Nein, sicherlich nicht.

Also nach Hause.

Ich eilte durch die Gassen, die zu dieser Stunde erneut von Menschen überquollen. Überall waren Stimmen, Geräusche von Tieren, die man über die Straßen scheuchte, Kinder die lachten, Kinder die weinten, Frauen die schrien und Männer die sangen. Schweine quiekten, Pferde wieherten, Hunde bellten und ein Bettler flehte um eine milde Gabe. Zwischen alle dem, und doch deutlicher als alles andere, riefen die Praiospriester zur Abendpredigt, läutete die Glocke des Tempels laut und hallend und eine Gruppe von Stadtwachen marschierte an mir vorbei.

Oh, ich weiß noch genau, wie wundervoll der Duft dieser Stadt war. Tausende von Gerüchen lagen in der Luft – da war das süßliche Parfüm einer Adligen, der liebliche Duft einer Rahjageweihten, die an mir vorbeiging und es sich nicht nehmen ließ, ihren Leib in der Masse an mich zu drücken, da waren die Düfte von Blumen, der Geruch von frischem Heu und die seichte, vertraute Note von frischem Holz. Natürlich gab es auch unangenehme Gerüche, die sich in den einzigartigen Duft der Stadt mengten... Der Schweiß der Menschen, die Schweine, die ihre Notdurft auf den Straßen verrichteten, der Geruch von Blut aus den Metzgereien, der beißende Qualm von Tabakstangen und Zigarren und immer unterschwellig der seichte Geruch des Todes aus den Nebengassen. Und nicht zu vergessen das seicht-betörende Rauschkraut, dessen Duft man meist aus dem Rahja- oder Borontempel vernahm. Und trotz alledem habe ich niemals wieder eine Stadt betreten, die so wunderbar, so einzigartig roch, wie Bosparan... Es war wie eine Symphonie – ein Orchester aus Stimmen und Geräuschen, unterlegt mit einzigartigen Düften und Gerüchen.

Ich drängte mich also durch die Menschenmassen, durch die unterschiedlichsten Arten von Leuten, gefährlich nahe an Pferden vorbei, an Wagenkarren und immer in der Gefahr, dass einer der Zugbullen mir auf dem Fuß treten würde. Ich tänzelte geradezu durch die Massen, schob mich an Bettlern vorbei, drängte ein paar Kinder beiseite und huschte an einem Praioten vorbei, um nicht in die Andacht zu müssen... Ich hatte anderes vor. Mal ganz davon abgesehen, dass damals mein Leben vielmehr nach den Sätzen Rahjas und Phexens richtete. Und so empfand ich auch keine Scham, als ich im Vorbeigehen einen Apfel ergriff, ihn mir zwischen die Zähne klemmte und mit einem kurzen Blick auf die Rahjageweihte, die am Eingang des Tempels stand, schlussendlich ins Handwerkerviertel abbog.

Allem in allem war es ein normaler Abend für mich, wie jeder andere auch. Nur, dass ich an diesem endlich eine Erfolgsaussicht hatte und wusste, nach wem oder was ich suchen müsste...



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