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Der Wolfsprinz

Wenn das kälteste Eis zu schmilzen beginnt
von

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Der verbotene Wald

Neunjahre vergingen und immer wieder war Rene Zeuge, wie eine Familie ihre Tochter aus dem Dorf zum Wald brachte. Dabei bemerkte er, je älter und aufmerksamer er wurde, dass dies immer geschah, wenn der Mond voll und rund am Himmel stand. Und wie verschwiegen dann das Dorf war. Wie in tiefer Trauer versunken. Zu Anfang hatte er sich gefragt, was das bedeuten konnte, dass die Familien schwiegen und wochenlang schwarz trugen.

Hatte in seiner kindlichen Unschuld seine Mutter gefragt, doch diese hatte darauf nur mit knappen Worten reagiert und ihn ins Bett geschickt.

Sie wollte nicht darüber reden. Auch sein Vater nicht. Und Flora?

Immer wenn er sie fragte, brach sie in Tränen aus und schlug sich die Hände vors Gesicht. Rene fühlte sich dann immer schlecht, weil er glaubte, er habe sie irgendwie verletzt und irgendwann hörte er auf, sie oder seine Eltern zu fragen.

So vergingen die Jahre und aus dem kleinen Jungen Rene, wurde ein junger Mann, der allerdings nur Blödsinn im Kopf hatte.

„Rene…Rene. Wo steckst du schon wieder?“, rief seine Schwester aufgebracht und lief im kleinen Obstgarten hin und her. Doch Rene blieb verschwunden, dabei hätte sie schwören können ihn hier gehört zu haben. Sicher versteckte er sich wieder und drückte sich somit vor der Arbeit. Flora stieß einen frustrieten Seufzer aus und stemmte die Hände in die Hüften. Sie war so Leid, ständig ihrem kleinen Bruder hinterher zu jagen, nur damit er ihr half.

Wütend pustete sie sich eine Strähne aus dem Gesicht und schaute sich um. Stapfte dann weiter. „Rene. Ich zähle bis drei. Dann bist du hier und hilfst mir, oder Mutter wird dir wieder mal die Ohren lang ziehen!“, drohte sie und ging weiter. „Eins! Zwei!“

Sie kam an einem Baum und blieb sogleich stehen als sie ein verdächtiges Rascheln hörte und blickte in die Baumkronen. Kniff ihre Augen zusammen. „Zweiundhalb…!“

Da brach plötzlich aus dem Geäst von dem danebenstehenden Baum und Flora stieß einen spitzen Schrei aus. Von einem der dicken Äste, kopfüber hing Rene. Mit einem Apfel im Mund und dennoch lachend. Nachdem sie sich von ihrem Schrecken erholt hatte, versetzte sie ihm einen Stoß, sodass ihm der Apfel aus dem Mund fiel. „Hey, mein Apfel!“, rief er und sprang auf den Mund. Klopfte sich den Schmutz von den Kleidern und hob den angebissenen Apfel auf. „Anstatt in den Bäumen zu hängen, wie ein Affe und Äpfel zu futtern, könntest du mir ruhig helfen!“, keifte seine Schwester. „Das habe ich doch!“, sagte er frech. „Das habe ich gesehen. Aber besser wäre es mit den Händen und nicht mit dem Mund, Trottel!“

Rene sah sie mit beleidigter Miene an, dann streckte er sich und verschränkte die Arme hinter dem Kopf. „Nö, keine Lust!“

Flora war kurz davor gewesen, die Beherrschung zu verlieren. So sehr sie ihren kleinen Bruder auch liebte, manchmal brachte er sie zur Raserei. Wieso müssen alle Jungs in dem Alter solche Idioten sein, fragte sie sich. „Mir egal ob du Lust hast oder nicht. Mutter will das du mir hilfst!“, sagte sie und reichte ihm einen Korb. „Los fang an. Und beeil dich. Großmutter kommt heute!“

„Großmutter?“, fragte Rene und seine Augen wurden groß. „Ja, Großmutter. Also los fang an, oder sie zieht dir noch die Ohren lang!“

Diese Drohung war nicht nötig, denn Rene grinste wieder von einem Ohr zum anderen und griff sich den Korb. „Wieso hast du das nicht gleich gesagt, Schwesterchen!“, warf er ihr schon fast vor und begann in Windes Eile die reifen Äpfel zu pflücken. Flora sah ihm nur nach und schüttelte den Kopf. „Jungs!“, dachte sie.
 

Wie angekündigt kam die Großmutter. Sie war eine kleine Frau, mit einem ebenso kleinen Buckel. Hatte weißes Haar, welches sie mit einem Tuch bedeckt hatte und war in dicke Winterkleider gewickelt. Sie stützte sich auf einen knorrigen Ast und hatte immer einen Korb in der Hand. Manchmal trug sie etwas darin, manchmal auch nicht. Als Rene sie mal gefragt hatte, warum sie stets den Korb bei sich hatte, hatte sie mal gesagt:„ Man weiß nie, wann man was bekommt!“

Für die anderen, war sie einfach eine verrückte alte Frau. Aber für Rene war sie was Besonderes. Sie scheute sich nicht, sich über die anderen alten Frauen und ihre Macken auszulassen. Er musste immer darüber lachen, während seine Mutter ihre Mutter immer bat, sich zurück zu halten. So wie auch heute. „Bah, diese alte Ziege von Metzgerin. Soll sich erstmal selber im Spiegel anschauen, bevor sie andere als hässlich beschimpft. Sieht aus, wie ein Eimer Fleischabfälle!“, schimpfte sie, kaum das sie im Haus war und die Tür hinter sich schloss. „Mutter, hör endlich auf damit. Die Leute reden schon!“

Renes Großmutter winkte ab. „Pah, die Leute. Was scheren mich diese Hohlköpfe, die sich für was Besseres halten und nicht mal in der Lage sind, ihren verkommenen Nachwuchs erziehen zu können!“

„Mutter!“

„Ach, lass mir doch die kleine Freude. Auf meine alten Tage!“, erwiderte sie schroff, konnte sich aber ein Lächeln nicht verkneifen, woraufhin Rene umso mehr lachte. „Siehst du. Du bringst den Jungen noch auf dumme Gedanken. Schon schlimm genug, dass ich wegen dir immer Probleme mit dem Nachbarn habe. Eine Wunder das überhaupt noch jemand bei uns was kauft!“

„Das liegt eben daran, dass ihr die einzigen seid, die wirklich gutes Brot zustande bringt, Elsa!“, sagte die Großmutter und tätschelte den Arm ihrer Tochter. „Gutes Brot wiegt kaum den Ärger auf, den ich wegen deiner spitzen Zunge habe!“, konterte Renes Mutter, die sich von den süßen Worten ihrer Mutter trösten lassen wollte. „Seine Meinung frei äußern zu dürfen ist nicht verboten!“

„Aber meistens nicht gerade erwünscht!“

„Es macht mich eben wütend, dass Menschen über andere Menschen lästern, die es nicht so gut im Leben haben!“, sagte Renes Großmutter inbrünstig. „Genauso ärgert es mich, dass diese Feiglinge es nicht endlich einsehen, dass ihre Vorväter einen Fehler begangen haben und stattdessen weiterzulassen, dass ihre Töchter…!“

„Mutter, hör auf. Sprich nicht weiter!“, flehte nun Renes Mutter und warf einen ängstlichen Blick zu Flora, die wie erstarrt dasaß. Rene runzelte die Stirn. Eine beklemmende Stille legte ich über sie, in der keine es wagte, zu atmen. Rene schaute von seiner Mutter zu seiner Großmutter und dann zu seiner Schwester, die zitterte. Schnell ging sie zum Ofen und warf einige Holzscheite hinein. Dabei zitterten sogar ihre Hände und ihre Lippen bewegten sich zu einem stillen Gebet. Ihre Mutter schlug sich schnell ein Kreuzzeichen auf der Brust und der Vater biss sich auf die Unterlippe. Das Messer, das er zum Schnitzen einer Holzfigur benutzte, hielt er verkrampft in der Hand. Rene schien der einzige zu sein, der von dem, was in ihnen allen vorging, nichts wusste und das behagte ihm nicht. „Was meint Großmutter damit, Mutter?“, fragte er schließlich. Elsa legte sich kurz die Hand auf die Brust und atmete einige Male tief durch. Dann sagte sie:„ Nichts. Geht doch bitte in den Keller und den holt den Kuchen, den ich gebacken habe!“

Rene wollte schon fragen, wieso, aber Flora ergriff ihn am Ärmel und zerrte ihn mit sich.

„Was hat Großmutter damit gemeint, Flora?“, fragte er flüsternd, während sie in den Keller gingen. „Nein!“, sagte seine Schwester, ein wenig gereizt, was Rene noch mehr stutzte. Ohne sich nach ihm um zu drehen, ging sie zu dem Regal, auf dem der Kuchen stand und nahm ihn.

Schob sich an ihm vorbei und stieg die Treppe hinauf. Rene blieb einige Minuten stehen, schaute seiner Schwester nach, dann ging er ihr nach.

Das gemeinsame Essen des Kuchens verlief im Schweigen und von der ausgelassenen Stimmung vor einigen Minuten war nichts mehr geblieben. Immer wieder schaute Rene zu seiner Mutter und zu seiner Schwester, die seinen Blicken wiederum auswischen. Seine Großmutter hingen sah ihn an und in ihren Blicken sah er deutlich, was die anderen ihn verheimlichen wollten.

Als es Abend wurde und die Großmutter der beiden nachhause gehen wollte, bat sie Rene, sie zu begleiten. Rene zögerte nicht und zog sich schnell an. Seine Mutter sah dies mit einer Spur von Misstrauen. Sagte jedoch nichts.

Kaum dass sie draußen waren und einige Schritte gelaufen sind, schaute Rene über die Schulter, um sich zu vergewissern, dass sie keiner hörte und beugte sich dann zu seiner Großmutter. „Was meintest du damit, Großmutter?“, flüsterte er. Seine Großmutter machte ein verbittertes Gesicht und schaute hinunter, während sie weitergingen. Deutlich sah er ihr an, wie sich ihr Körper anspannte und zu zittern begann. So als würde sie mit sich kämpfen. Dann aber blieb sie stehen und schaute zu einigen Bäumen, die langsam aber sicher ihre Blätter verloren. „Es wird bald wieder der Winter kommen!“, sagte sie wie zu sich selbst und in Gedanken versunken. Rene wurde immer verwirrter. Was hatte das jetzt zu bedeuten?

Natürlich würde der Winter kommen. So war es ja immer. Also wieso sagte sie so etwas?

„Wieso sprichst du jetzt vom Winter, Großmutter?“

„Weil der Winter das Leid wiederbringt, in dieses Dorf und in das Haus einer armen unglückseligen Familie!“, erklärte sie und langsam dämmerte es Rene. „Du meinst, dass wieder ein Mädchen gehen muss!“

Sein Magen wurde zu Eis als er sich schaudernd an den letzten Winter erinnern musste, bei dem ein junges Mädchen, die Tochter eines Nachbarn, fortgebracht wurde und dessen toter Körper nur wenige Tage später wieder ins Dorf gebracht wurde um sie zu beerdigen. Trotz dass viele Menschen sich um die Tote versammelt hatten und seine Mutter versucht hatte, ihn daran zu hindern, konnte er einen flüchtigen Blick auf sie werfen und glaubte, man hätte ihn mit Eiswasser übergossen. Der zarte Körper des Mädchens war grausig zu gerichtet worden. Überall klafften tiefe Wunden und ihr weißes Kleid war blutbeschmiert.

Die Menschen begannen aufgebracht zu tuscheln und die Familie brach bei dem Anblick ihrer toten und geschundenen Tochter zusammen. Renes Mutter zerrte ihn mit sich. Fort von dem grausigen Fund. Dabei schnappte Rene einige Wortfetzen auf.

„Das war er!“

„Dieser Teufel!“

„Verflucht soll er sein. Er und seine Bestien von Wölfen!“

Wölfe, schoss es ihm damals durch den Kopf und auch jetzt wieder, als er sich daran erinnerte. Wie als habe man einen Schleier von seinen Augen genommen, sah er jetzt all die Zusammenhänge. Die wolfartige Wolke, das Heulen, das Schreien eines Mädchens. Der alljährliche Marsch durch das Dorf, der damit endete, dass eine Tochter aus dem Dorf, als Braut verkleidet, in den Wald geschickt wurde und dann nie wieder gesehen wurde. Der Schnee, der auf sie niederging und sich, wie eine alles Leben erstickende weiße Decke über das Dorf legte.

Jahr für Jahr. Und bald würde es wieder soweit sein. Rene schauderte.

Nun verstand er Floras Angst und die Aufgebrachtheit seiner Mutter. Und ihm kam ein schrecklicher Gedanke.

„Flora!“, keuchte er entsetzt und blickte in das Gesicht seiner Großmutter. In diesem las er bitteres Wissen. Panisch schüttelte er den Kopf. „Nein! Nicht Flora!“, keuchte er. Seine Großmutter fasste ihn an der Hand. Drückte sie. „Bete, dass es nicht sie sein wird. Was anderes kannst du nicht tun!“, sagte sie.
 

Kaum dass er wieder im Elternhaus war, eilte er hoch zu dem Zimmer seiner Schwester. Sie war gerade dabei gewesen, sich für die Nacht fertig zu machen, als er ohne an zu klopfen durch die Tür stürzte. „Rene, was soll das denn?“, fragte sie aufgebracht. „Wusstest du es?“, fragte er sie ebenso aufgebracht und Flora wusste zu nächst nicht, was er damit meinte. Minutenlang sahen sie sich an, dann wandte sich Flora von ihm ab und bürstete sich weiterhin ihr Haar. Schweigend blickte sie in den Spiegel, während Rene einfach nur dastand und seine Schwester ihn ignorierte. Das sie schwieg und in aller Seelenruhe die Haare machte, ließ Ärger in ihm hoch kommen. Immerhin war sie seine Schwester und er hatte ein Recht zu erfahren, ob sie von ihrem möglich nahenden Ende wusste.

„Flora. Ich habe dich was gefragt!“, fuhr er sie an. Flora schmetterte die Bürste auf den Nachttisch und sprang auf. „Ja, ich wusste es. Spätestens als meine beste Freundin geholt wurde. Letztes Jahr, wenn du dich erinnerst!“

Rene erinnerte sich. Seine Schwester war seit diesem Tag sehr in sich gekehrt und hatte kaum gesprochen. Er hatte versucht, sie irgendwie aus ihrem Kummer zu holen. Hat ihr Tricks vorgeführt, Späße gemacht über die sie sonst immer gelacht hatte. Doch es hatte nichts genutzt.

Sie war wie unter einem Bann, der langsam von ihr wich. Dennoch, wenn der erste Schnee gefallen war, hatte sich ein Ausdruck von Kummer und Sorge auf ihr Gesicht gezeigt.

Und Rene verstand es nun besser, als ihm lieb war. „Wieso hast du es mir nicht gesagt?“, flüsterte er. Floras Schultern sackten nach unten und sie schüttelte traurig den Kopf. „Ich wollte nicht, dass du dir Sorgen machst!“

Rene schnappte nach Luft. Soll das ein Witz sein?

Keine Sorgen?

Nach allem was er heute mitbekommen und von seiner Großmutter gehört hatte, hatte er doch jeden Grund dafür. Sie war seine Schwester. Seine kleine Schwester um genau zu sein und doch war sie es immer gewesen, die ihn wie einen kleinen Jungen gescholten hatte, wenn er Blödsinn gemacht hatte. Was oft zu Zankereien gesorgt hatte, aber dennoch liebte er seine Schwester. Und sie ihn. Aber er verstand dennoch nicht, warum sie so handelte. „Aber jetzt mache ich mir noch mehr Sorgen. Wenn jedes Jahr ein Mädchen geholt wurde, was garantiert mir, dass es dieses Mal nicht dich trifft!“

„Es gibt noch andere Mädchen. Ich bin nicht die einzige!“

Flora wusste, dass es grausam klang und egoistisch. Aber sie wollte ihn beruhigen. Auch wenn ihr klar wurde, dass es nichts bringen würde. Er würde sich trotzdem um sie sorgen. Sie wusste selbst, dass irgendwann ihre Zeit kommen würde und Rene nichts dagegen unternehmen konnte. „Und was wenn doch?“, warf er ein, als habe er ihre Gedanken gelesen. Flora sah ihn nur. Dann lächelte sie traurig und strich ihm über die Wange. „Dann kannst nicht mal du mich retten!“

„Und ob ich das kann!“, rief Rene aufgebracht. Sofort sah in ihm den kleinen Jungen wieder, der mit einem Holzschwert durch den Garten tollte und in seiner Fantasie gegen Drachen kämpfte, um die in notgeratene Prinzessin, die sie spielte, zu retten. Fast schon wollte sie lächeln. Aber sie konnte einfach keins zustande bringen. „Nein, ich fürchte nicht!“

Rene wollte wiedersprechen, doch Flora schüttelte wieder den Kopf und machte damit verständlich, dass das Gespräch beendet war.

Die ganze Nacht lang lag Rene wach in seinem Bett und starrte an die Zimmerdecke. Das was er an diesem Tag erfahren hatte kam ihm alles viel zu viel vor. Sein Kopf schmerzte. Ebenso seine Brust. Der Gedanke, dass seine Schwester als nächstes erwählt wird und Opfer dieser Bestien wird, ließ sein Herz vor lauter Angst zu Eis werden. Seine einzige Hoffnung bestand darin, dass Flora Recht behielt und sie es nicht sein würde.

Zwar wäre es schlimm, wenn es eine andere Familie treffen würde, aber Rene wäre erleichtert und die Angst, die ihn nun mit solcher Wucht traf, für dieses Jahr gebannt. Dennoch warf er sich immer wieder vor, dass er nichts gemerkt hatte und es eher erkannt hatte.

Mit schwerem Seufzer drehte er sich auf die andere Seite und versuchte in dieser Nacht Schlaf zu finden.
 

Nach diesem Tag war nichts mehr so, wie es zwischen Rene und Flora war. Die kleinen Sticheleien zwischen ihnen blieben aus und wann immer Rene versuchte das Gespräch auf das eine bestimmte Thema zu bringen, wich Flora aus. Entweder mit irgendeiner Ausrede, sie müsse etwas zu erledigen oder wenn es sich nicht mehr vermeiden ließ, sperrte sie sich in ihrem Zimmer ein und egal wie sehr Rene sie anflehte oder ihr drohte, sie öffnete nicht.

„Gibt es denn nichts, womit wir das verhindern können?“, fragte Rene eines Tages seine Eltern, als er sich zu ihnen in der Küche gesellte. Seine Mutter spülte ab, während sein Vater Teig für neues Brot machte und ihn in die Form brachte.

Beide schienen seine Frage erstmal nicht gehört zu haben, aber dann stützte sich seine Mutter an der Spüle ab, als würde es ihr schwerfallen, aufrecht zu stehen.

Sie schluchzte und wischte sich mit dem Handrücken über das Gesicht. „Mutter?“

„Es gibt nichts, womit wir es verhindern können!“, sagte sein Vater mit schwerer Stimme. So wie er es sagte, klang es endgültig, als habe er sich schon damit abgefunden. „Wie kannst du sowas sagen, Vater?“, kam es entsetzt von Rene. „Willst du etwa zulassen, dass sie geholt wird?“

„Nein natürlich nicht. Aber das einzige was wir tun können ist beten!“

„Beten!“, fauchte Rene wütend und stürmte dann enttäuscht aus der Küche.

Kaum das er draußen war begann er wütend auf und ab zu laufen und wild zu fluchen.

Wie die Einstellung der Eltern der anderen Mädchen, die fortgeschickt wurden, wusste er nicht.

Ob sie genauso gedacht hatten, wie seine Eltern nun und gleich die Flinte ins Korn warfen?

Oder ob sie versucht hatten, es zu verhindern?

Er versuchte sich daran zu erinnern und zu seiner wachsenden Frustration konnte er sich nicht erinnern, dass es jemals eine Familie gegeben hatte, die die Tochter mit allen Mittel verteidigt hatte. Oder gar den Versuch gewagt hatte zu fliehen.

Zum einen war er fassungslos über die Feigheit und Unfähigkeit der Dörfler und der Eltern, einschließlich seiner und zum anderen fragte er sich, was es so schlimmes sein, dass sie so handelten.

Rene wusste, dass er, wenn er noch lange hier rumlief und sich den Kopf darüber zerbrach, irgendwann verrückt werden würde. Er musste sich wieder beruhigen. Wie ein wilder Stier zu toben und sich aufzuregen würde nichts bringen. Auch wenn es ihm nicht gefiel, musste er abwarten und hoffen, dass es nicht sie traf. Dennoch musste er raus. Sich bewegen. So zog er sich an und verließ das Haus.

Ohne dass er auf seine Schritte geachtet hatte, hatte er das Dorf verlassen und blieb erst stehen, als sich ein dunkler Schatten über ihn legte. Er schaute auf und musste feststellen, dass er vor dem Wald stand. Er blickte hinauf und ein Schauer rann ihm den Rücken.

Wie eine Mauer ragten die unzähligen Baumstämme auf und erhoben sich unendlich hoch in den Himmel. Trotz dass er strahlendblau war und die Sonne ihre wärmenden Strahlen hinunterschickte, vermochte sie nicht das Dunkel, welche in ihm herrschte zu durchdringen. Nicht ein Blatt leuchtete auf. Es war gerade zu unheimlich. Rene versuchte sich vor zustellen, was da in diesem dunklen Wald lauern könnte. Tiere? Dämonen?

Man erzählte sich einige Dinge über diesen Wald. Besonders die kleinen Kinder werden davor gewarnt oder gedroht, dass die bösen Waldgeister sie holen würden, wenn sie in den Wald gehen würden oder sich nicht benahmen.

Und Rene konnte nicht leugnen, dass ihn nun die Neugier packte. Zum einen weil er wissen wollte, was die Mädchen holte und weil er wissen wollte, ob man was auch immer es war, aufhalten konnte. Es musste so sein. Doch irgendwas hielt ihn davon ab, einen Schritt in den Wald zu machen. Etwas hielt ihn zurück. Als würde ihn eine unsichtbare Macht von ihm fernhalten wollen. Waren es Angst oder Unsicherheit. Rene konnte es nicht sagen. Vermutlich war es eine Mischung aus beiden.

Minutenlang stand er da und blickte zu den Bäumen. Zu seiner wachsenden Nervosität hin zu kommend musste er feststellen, dass nicht einmal der Wind es vermochte die Äste zu bewegen. Als würde der Wald schlafen oder gar tot sein. Wieder lief es Rene den Rücken hinunter.

Was nur lebte dort, dass dem Wald solch eine Wirkung verlieh?

Nun siegte die Neugier doch und Rene wagte den ersten Schritt zu machen. Kaum dass er in den Wald trat wurde er auch schon von der Dunkelheit verschluckt.

Die Wärme der Sonne verschwand und Kälte umwehte ihn. Als würde ein Hauch des Winters bereits in der Luft liegen.

Rene fröstelte und bereute nun, dass er sich keinen Mantel oder eine Jacke mitgenommen hatte. Und es wurde kälter mit jeder Minute, in der er an Ort und Stelle stehen blieb. Erneut blickte er hoch und musste feststellen, dass die Bauwipfel tatsächlich so dicht aneinander stehen, dass es die Sonne wirklich nicht vermochte mit ihren Strahlen hindurch zu dringen. Und doch entdeckte Rene einige Wildblumen und Büsche, die aus dem mit dunklem Gras bewachsenen Boden wuchsen.

Das hier überhaupt etwas wuchs, glich einem Wunder.

Aber das sagte ihm immer deutlicher, dass hier nichts mit rechten Dingen zuging.

Es war nicht nur dunkel, sondern auch still. Man hörte weder die Vögel zwitschern, noch irgendwelches Kleintier über den Boden huschen. Nicht mal Insekten waren zu hören.

Es herrschte neben der undurchdringlichen Dunkelheit auch eine gespenstische Stille.

Und ein beklemmendes Gefühl erfasste ihn. Kroch ihm wie eisige Kälte den Rücken hinauf und stach wie ein Dolch in seinen Schädel. Die Kälte drang in seinen Körper und breitete sich rasend schnell aus. Zugleich spürte er wie er zu Eis erstarrte und unfähig war, sich zu rühren. In seinem Kopf hämmerte es jedoch: „ Lauf…Lauf so schnell du kannst!“

Mit zittrigen Beinen machte er einen Schritt zurück. Vermochte es nicht den Blick von dem Wald vor sich zu nehmen, aus Angst, dass ihn etwas aus dem Unterholz packen und mit sich nehmen könnte.

Ihn beschlich nun auch ein Gefühl beobachtet zu werden. Es bohrte sich wie Nadeln in sein Herz und ließ es langsamer schlagen.

Und ihm kam ein furchtbarer Gedanke. Ließ seine Beine immer mehr zittern, dennoch ging er weiter.

Was wenn dieser Wald nicht so verlassen zu sein scheint, wie er dachte?

Was wenn darin etwas lebte, was nur darauf wartete, sich auf ihn zu stürzen?

Vielleicht ein Ungeheuer oder mehre?

Rene wollte nicht hier wie angewurzelt stehen bleiben und es herausfinden.

Als er endlich aus dem Wald trat, blieb er noch einigen Minuten stehen, dann aber drehte er sich um rannte, als sei der Teufel hinter ihm her zum Dorf hinunter. Und obwohl er immer mehr Abstand zwischen sich dem Wald brachte, hatte er dennoch das Gefühl, dass sich etwas an seine Ferse heftete und ihn verfolgte.



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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Von: abgemeldet
2015-02-08T20:21:24+00:00 08.02.2015 21:21
Die letzten Absätze haben es in sich. Sie sind sehr spannend geschrieben und mir ist bei der Vorstellung dieses Waldes ein kalter Schauder über den Rücken gelaufen. Mich hätten da keine zehn Pferde reingebracht und Rene hat es offensichtlich auch nicht weiter gebracht bzw. wenn ihn tatsächlich etwas unsichtbares verfolgt/beobachtet, hat er damit die Situation eher verschlechtert.
O man, die Dorfgemeinschaft kann einem schon leid tun, weil klar ist, dass immer ein Mädchen gehen muss (auch wenn mir nicht ganz einleuchtet, warum das Dorf dann noch nicht 'ausgestorben' ist) und es die eigene Tochter treffen kann. Und Rene bohrt in dieser Wunde rum...aber nur so ändert sich vll mal was. Ob zum Guten oder Schlechten für die Mädchen wird sich noch zeigen.
Ich bin schon sehr gespannt, was im nächsten Kapitel auf uns zu kommt!
Antwort von:  Mad-Dental-Nurse
09.02.2015 17:26
Es wird ja nur ein Mädchen pro Jahr ausgewählt. Aber freut mich, dass sie dir gefällt ^^
Von:  furaushi
2015-02-06T20:29:23+00:00 06.02.2015 21:29
Die story ist so wundervoll geschrieben!♥bin schon total gespannt wie es weiter geht!! (*-*)
Antwort von:  Mad-Dental-Nurse
07.02.2015 18:31
Freut mich, dass Sie dir gefällt ^^
Von: abgemeldet
2015-02-01T12:25:11+00:00 01.02.2015 13:25
Renes Neugier hat ja gesiegt, aber zu welchem Preis am Ende? Bei solch einem Wald würde es mir auch nicht besser gehen.
Wunderschönes Kapitel wieder. Hoffentlich kann er seine Schwester wirklich vor dem Tod bewahren.
Antwort von:  Mad-Dental-Nurse
07.02.2015 18:31
Das liest du im nächsten Kapitel ^^
Freut mich dass es dir gefällt


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