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1oo Times

・One-Shot Sammlung・
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Hallo!
Schön, dass du dich hierhin verirrt hast und vielleicht findest du was für dich.
Die erste Geschichte meiner >1oo Themes Challenge< habe ich direkt in zwei Teile aufteilen müssen, weil es mir sonst zu viel geworden wäre. (Ich hoffe, dass ich mich dem Schreiben schnell hinterher komme!!)

Achja, die Einleitung machen Kazuki & Byou. :p
Viel Spaß damit.
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o44 Two Roads (Pt. I)

You’re screwed up and brilliant

Look like a million dollar man
 

So why is my heart broken?
 

Aus dem geöffneten Briefkasten fiel ihm eine weitere Mahnung entgegen. Er hatte es erahnt, vielmehr gewusst, bevor er den vierstelligen Zahlencode überhaupt eingegeben hatte. Warum er den Briefkasten dennoch öffnete, war ihm selbst ein Rätsel. Vielleicht, weil es einfach dazugehörte, vielleicht weil er auf eine gute Nachricht auf dieser schier endlosen Durststrecke wartete.

Kazuki war gerade einundzwanzig geworden, hatte seine Schule beendet und die Uni geschmissen, bevor sie überhaupt richtig losgegangen war.

Seinen Träumen wegen. Denn wie man Musiker wurde, lernte man nun einmal nicht in der Schule. Zwar hatten seine Lehrer ihn nicht nur einmal dazu überreden wollen, sein Potential nicht einfach wegzuwerfen, doch für Kazuki hatte vom Kindesalter an festgestanden, welchen Weg er irgendwann einmal einschlagen wollte.

Musikalische Menschen gab es in Japan genug und in Tokyo nur zu Hauf. Noch dazu waren seine Chancen als einzelner Gitarrist nicht gerade die Größten.

Zwar konnte er schon die ein oder andere Erfahrung auf kleinen Gigs sammeln und hier und da war mal eine Stelle als Support Gitarrist in kleinen Indie Bands frei, allerdings lösten diese sich wieder auf, bevor man bis zehn zählen konnte.

Gegen Bürojobs hatte sich der gut aussehende, junge Japaner immer schon gesträubt, würde lieber den Müll seiner Nachbarn nach Essbarem durchsuchen, als tagtäglich in Anzug zehn Stunden und mehr auf dem selben Schreibtischstuhl zu sitzen.

Seine Eltern waren gewillt gewesen ihm die Miete zu zahlen, solange er auf die Uni ging und fleißig weiter BWL studierte. Eine Finanzspritze, die ihm nun fehlte. Und kaum hatte man ihn enterbt, zur Hölle geschickt und ihm die Pest an den Hals gewünscht, flatterten ihm Rechnungen und Mahnungen ins Haus von denen er nicht einmal wusste, dass sie existierten. Wie einfach war das Leben, wenn die Eltern noch die Hände über ihre Sprösslinge hielten? Nun schlug die Realität ein, wie der Blitz in einen Ableiter. Unsanft und verdammt laut. Er hinterließ ein Kribbeln, dass sich über die Haut ausbreitete und in seinem Kopf festsetzte;

Ohne einen Job und vor allem ohne Geld würde Kazuki bald nicht einmal mehr Nachbarn haben, deren Müll er durchwühlen konnte!
 

Murrend schlug er den Briefkasten zu und drehte das kleine Rädchen, welches man sich wie eins an einem Tresor vorstellen konnte, blind gegen den Uhrzeigersinn. Es war ihm egal, ob jemand seinen Code irgendwann herausfinden würde. Rechnungen würde man ihm wohl kaum stehlen. Nicht einmal, wenn er sie in schönes Geschenkpapier einpackte und eine hübsche, rote Schleife drumwickelte. Zum Teufel damit!

Angefressen und ziemlich genervt, quetschte er sich zu der jungen Mutter und ihrem Kinderwagen in den Fahrstuhl, brachte nicht einmal ein >Entschuldigung< über die Lippen, dass sie ihm so lange die Tür aufgehalten hatte.

Sollte die Welt es doch sehen. Das große >Fuck you<auf seiner Stirn.

Auf der achten Etage stieg er aus, zückte den Schlüssel und öffnete die Tür zu seiner 40m² Singlewohnung.

Und kaum der Kälte entkommen, entledigte er sich hastig seiner Schuhe, kickte den Zweiten energisch durch den halben Raum und traf somit das große Regal im angrenzenden Wohnzimmer. Für einen Augenblick war es ruhig, einen Augenblick, den der Brünette genutzt hatte, um einige seiner Mantelknöpfe zu öffnen. Allerdings wurde die seelige Ruhe nicht viel später von einem lauten Scheppern durchschnitten, das dem jungen Mann einen erschrockenen Laut entlockte.

Es brauchte nicht lange um den Ursprung des Übels auszumachen.

Der hinab gefallene Bilderrahmen hatte nicht nur eine tiefe Macke in den Laminatboden gehauen, sondern sich noch dazu in ein Meer aus Scherben verwandelt.

Kazukis Schultern sackten hinab und er stieß einen gedehnt-genervten Seufzer aus. Kopfschüttelnd schlüpfte er in seine schwarzen Hausschuhe und nahm, im Wohnzimmer angekommen, das hinunter gefallene Bild an sich.

»Dass früher alles besser war weiß ich auch, ohne von Fotos angesprungen zu werden«, nuschelte er sich trotzig zu.

Das schwarz-weiße Bild zeigte seine letzte Schulklasse der Mittelschule. Ihn und seine damaligen besten Freunde.

Was aus den dreien wohl geworden war? Yuuto und Jin, ein Herz und eine Seele. Zwei, die es ohne einander nicht gab, die niemals alleine anzutreffen waren. Ob diese Konstellation bis heute angehalten hatte? Immerhin war es schon ganze fünf Jahre her, dass Kazuki sie gesehen hatte.

Und Byou? Byou war, nachdem die beiden auch die erste Klasse der selben Oberschule besucht hatten, abgegangen. >Er sei nun alt genug< und habe >wichtigere Dinge zu tun, als Kanji und Englisch zu lernen<. Kazuki hatte diese Worte als Scherz abgetan, jedoch von diesem Tag an, vergeblich auf seinen Freund gewartet. Der Platz neben ihm blieb leer. Am nächsten Tag und an allen darauf folgenden.

Von allen seinen Kumpels damals, bis hierher, war Byou ihm immer der Liebste gewesen. Mit seinen frechen Sprüchen und diesem süffisanten, selbstgefälligen Grinsen, welches er niemals abzulegen schien. Noch dazu war Byou der Erste gewesen, der es gewagt hatte, mit gefärbten Haaren und gepiercten Ohren in der Schule aufzutauchen.

Und nach seinem Verschwinden, hatte sich alles geändert.

Kazukis Augen ruhten auf den hinteren Reihen der Schulklasse, auf den vier Jungen, die ihn breit angrinsten. Er lächelte, drehte es kurz auf die Rückseite und stellte es wieder zurück ins Regal. Dieses Mal jedoch ohne Rahmen.

Er schaffte es endlich, sich von seinem Mantel zu trennen und diesen ordentlich an den dafür vorgesehenen Haken zu hängen. Erst dann machte er sich daran, die Scherben des zersplitterten Glases zu beseitigen. Brachten Scherben kein Glück? Oder verhielt es sich da wie zerbrochenes Spiegelglas? Kazuki hatte es vergessen.

Wie auch immer. Wenn er sich selbst nicht schnellstmöglich mit einem Job half, würden er und seine Pechsträhne ein böses Ende nehmen.
 

Es war Winter. Und auch, wenn es noch immer nicht geschneit hatte, zerrte die Kälte ungemein an ihm. Kazuki hasste die kalten Jahreszeiten. Und das nicht aus dem Grund, weil er alleine war und sich jemanden wünschte, mit dem er zusammen im Bett liegen und Kakao trinken konnte. Wenn es darum ging, beneidete er seine Freunde, die schon seit Jahren vergeben waren, nicht. Immerhin konnte er sich nur zu gut vorstellen, dass es niemand lange bei ihm aushalten würde. Noch dazu konnte er sich nicht daran erinnern, jemals wirklich verliebt gewesen zu sein.

Er hasste den Winter, weil ihm in dieser tristen Jahreszeit immer am deutlichsten wurde, wie wenig er in seinem bisherigen Leben erreicht hatte.

Kazuki schloss den Mülleimer und begab sich ins Badezimmer. Ein heißes Bad würde ihn und sein gefrorenes Hirn vielleicht wieder auftauen. Eigentlich war er nicht der Typ, der sich gerne oder überhaupt bemitleidete. Viel mehr versuchte er alles zu überspielen, zu jeder Zeit ins Lächerliche zu ziehen und Witze über seine Situation zu reißen. Jetzt allerdings, wo es ernster denn je war, fiel es ihm plötzlich ungemein schwer, alles so auf die leichte Schulter zu nehmen.

Während die Wanne sich geräuschvoll füllte, entledigte der schlanke Mann sich seiner Klamotten, stieg derweil unter die Dusche.

Das heiße Wasser auf seiner Haut zu spüren tat gerade besser denn je, entspannte seine Muskeln und ließ ihn für einen Moment vergessen, was ihn plagte.

Die letzte Begegnung mit Byou musste nun drei Jahre zurückliegen...
 

Es war ein Samstag Abend gewesen, den er mit seinen Freunde hatte ausklingen lassen wollen. Alles, was auf dem Plan gestanden hatte, war das ein oder andere Bier in einem Izakaya eines Kumpels, in dem es nicht schwer gewesen war, an alkoholische Getränke zu kommen. Die Mädels, hübsch zurecht gemacht, hatten darauf gedrängt tanzen zu gehen.

Es war kein Problem für Kazuki in den ein oder anderen Club zu kommen, selbst mit seinen, damals erst Achtzehn Jahren. Wer ältere Kollegen hatte, der konnte sich zu jeder Zeit einschleusen lassen und ja, er besaß auch einen gefälschten Ausweis.

War er ehrlich, sträube sich an diesem Samstag alles in ihm dagegen, seinen gemütlichen Platz zu verlassen und ein paar Straßen hinab in den nächsten Club zu ziehen. Doch das Drängen ließ nicht nach und verwandelte sich nach und nach in ein regelrechtes Betteln.

Sie ließen sich breit schlagen und wenn Kazuki nun ehrlich zu sich war, hatte er auch ein bisschen angeben und gut dastehen wollen. Und wer konnte Rina schon eine Bitte ausschlagen?

Kazuki jedenfalls hatte sie an besagtem Abend nur all zu leicht in die Tasche stecken können.

Roppongi hatte um diese Zeit viel zu bieten, vor allem für Leute ihres Alters.

Es war warm gewesen, so hatten sie auf ein Taxi verzichtet und waren zu Fuß gegangen. Die Stimmung war ausgelassen und der Schulstress, der hinter ihnen liegenden Woche, vergessen. Alles, was sie gewollt hatten, war ihren Spaß, eine Nacht außer Haus. Ohne Eltern, ohne Regeln.
 

Sie waren ohne Probleme in den gewünschten Club gekommen. Etwas, was die anderen gewundert hatte, Kazuki so überhaupt nicht. Er war sich der Funktionstüchtigkeit seines falschen Ausweises bewusst, hatte ihn nur zu oft genutzt. Dahintergekommen war bis dato noch niemand. Glücklicherweise.

Die Mädchen waren verschwunden, kaum nachdem sie den Club betreten hatten und Kazuki konnte sich nicht daran erinnern, sie den Abend auch nur einmal wiedergesehen zu haben.

Ein Freund hatte ihm ein paar Tage später darauf berichtet, dass sie sich anderweitig hatten abschleppen lassen.

Betrachtete Kazuki die Ganze Sache nun, war es vielleicht besser für sie gewesen, dass sie gegangen waren, bevor der Abend in einem heillosen Durcheinander geendet war.

Während die Mädchen auf die Tanzfläche verschwunden waren und Kazukis männliche Verstärkung, bestehend aus Asuka und Keita sich um die Drinks kümmerten, suchte Kazuki in der Sitzecke nach einem freien Tisch. Er wurde fündig, auch wenn er erst ein wenig hatte umherschleichen müssen.

Es war ein einfacher schwarzer Hochglanztisch mit zwei bequemen Ledersesseln vor Kopf und einer durchgezogenen, ebenfalls schwarzen Ledercouch auf der anderen Seite des Tisches.

Er setzte sich auf die Couch und ließ den Blick schweifen, während er in seiner Jackentasche nach seinen Zigaretten suchte.

»Was denn, bist du etwa ganz allein da?«, vernahm er plötzlich eine Stimme aus unmittelbarer Nähe.

Mit der Kippe zwischen den Lippen, sah er auf, musste jedoch zwei mal hinsehen, um zu verstehen, dass er gerade der Angesprochene war.

Die junge Frau, einen Tisch weiter kicherte, schob sich das hüftlange blondierte Haar zurück über die Schultern. Die dunkel geschminkten braunen Augen, blickten ihn unverwandt an, während ein verspieltes Lächeln die vollen Lippen umspielte.

Kazuki schluckte, ließ die Zigarette augenblicklich sinken. »Eigentlich ist es meine Aufgabe solche Fragen zu stellen. Also gebe ich sie höflich an dich zurück.« Er rang sich zu einem undurchsichtigen Grinsen, auch wenn er sich im Augenblick nich sicher war, ob er seine Gesichtszüge überhaupt noch im Griff hatte.

War sie sich sicher hier gerade den Richtigen anzusprechen? Oder war sie bloß gelangweilit?

Solche Frauen sprachen nun einmal keine Typen wie ihn an.

»Vielleicht«, antwortete sie ihm geheimnisvoll, zwinkerte ihm kurz zu, ehe sie sich erhob und ihren Platz verließ. Jedoch nicht, ohne Kazuki noch einen, fast auffordernden, Blick über die Schulter zu zuwerfen.

Verwirrt und regelrecht perplex, blieb Kazuki zurück. War das nun eine Aufforderung gewesen, ihr zu folgen? Oder hatte sie ihre bloße Wirkung auf ihn testen wollen?

Er hatte schon ein paar Bier intus, sodass sein Kopf sich wunderbar leicht anfühlte und die Hemmschwelle nur auf ein Minimum gesunken war. Aber sie waren mit den Mädchen hier und noch dazu musste er auf Asuka und Keita warten, die eigentlich jeden Moment zurück kommen mussten.

Und kaum, dass er einen Gedanken an die beiden verschwendet hatte, kamen sie um die Ecke, heftig am diskutieren. »Alter, hast du gesehen?!«

Mit zusammengezogenen Augenbrauen sah er die beiden an, merkte er jetzt, dass er die Zigarette immer noch unangezündet zwischen Zeige- und Mittelfinger hielt.

»Wenn ihr die extrem scharfe, blondierte Alte da gerade gemeint habt, dann ja. Ich hab sie allerdings nicht nur gesehen«, meinte er mit einem überlegenen Unterton, steckte sich die Kippe letztendlich an. Asuka schob Kazuki sein Glas zu und setzte sich ihm erwartungsvoll gegenüber. Er wusste, dass er nicht fragen brauchte, was passiert war. Kazuki würde von selbst reden, wenn er Dinge hatte, von denen er meinte sie wären erzählenswert.

»Ich bin hier ne ganze Weile auf und ab gelaufen, wie ein Hirnverbrannter, anfangs war hier alles belegt gewesen. Irgendwann wurd aber dann doch noch was frei und ich hab mich hier hingesetzt. Such in meiner Jackentasche nach ner Kippe und will sie mir gerade anstecken, da fragt die Kleine mich, ob ich alleine hier wäre. War ne total seltsame Situation, also hab ich die Frage an sie zurück gegeben.. Darauf hin hat sie nur dämlich gegrinst und ist abgedampft.«

Kazuki zuckte ratlos mit den Schultern, wusste immer noch nicht recht was er von der Sache halten sollte. Keita brach schließlich in Gelächter aus, steckte Asuka sogleich an. Natürlich klang das unglaubhaft, warum sollte Kazuki von einer Frau angemacht werden? Noch dazu von so einem Ausnahmeexemplar.

»Hast du auch nur die geringste Ahnung, wer das war?«, fragte Keita, wischte sich mit dem Handrücken über den rechten Augenwinkel. Ihm kamen immer gleich die Tränen, wenn er lachte.

Noch immer ratlos, schüttelte Kazuki bloß mit dem Kopf, sah zwischen den beiden fragend hin und her.

»Das war Rikki! Hast du keine Augen im Kopf? Die kleine, die vom Nachwuchsmodel direkt die dicken Werbeverträge eingesteckt hat! Du siehst sie auf fast jedem Plakat in Tokyo und da willst du behaupten sie hätte dich angesprochen? Wovon träumst du Nachts?«

In Kazukis Kopf begann es zu arbeiten. Rikki.. Namen und Gesicht zusammen zu ordnen war gerade wie ein Puzzlespiel, wenn auch ein recht simples. Und trotzdem brauchte er einen ganzen Moment, in denen er die Teile gedreht und gewendet hatte, bis sie schließlich zueinander passten. »Bist du dir sicher? In so einem Stink-Normalen Club bekommt ein Sternchen wie sie doch kein Bein mehr an die Erde ohne sofort aufzufliegen!«

»Sieh’s ein, Kazu. Die hast die Chance deines Lebens verpasst, die wohl schärfste Frau Tokyos flachzulegen«, meinte Asuka trocken, nahm als erster einen Schluck aus seinem Glas.

»Das glaubst du! Ich hol sie mir!«

Euphorisch, wie das schon immer in seiner Natur gelegen hatte, sprang der junge Japaner auf, überhörte das gezetere seiner besten Freunde gekonnt und bahnte sich schon bald einen Weg durch die eng zusammen stehenden Menschenmassen. Ob er sie jetzt noch finden würde, war fraglich. Wahrscheinlich hatte sie schon längst jemand anderes aufgelesen, angesprochen und abgeschleppt. Etwas, was Kazuki sich wohl niemals verzeihen würde. Mit solchen Dingen würde er nämlich irgendwann noch vor seinen Enkeln prahlen können! Er musste nun nicht nur sich, sondern auch Keita und Asuka etwas beweisen, die ihm nach wie vor kein Wort glaubten.

Blondierte Mädchen in seinem Alter waren keine Sonderheit mehr, ging der Trend in Japan doch immer mehr zu hellen Haarfarben, und auch Kazuki hatte sich vor kurzem die Haare färben lassen.

Eine ganze Weile lief er auf und ab, dachte sie einmal gefunden zu haben, schrak jedoch gleich wieder zurück als sich die junge Frau mit dem Pferdegebiss zu ihm umdrehte.

Erst, als er fast aufgeben und zum Tisch zurückkehren wollte, machte er sie in einem etwas ruhigeren Abschnitt ausfindig. Sie war noch immer alleine. Rührte an einem Stehtisch in der Ecke gelangweilt in ihrem Drink herum. Ihre Lippen glänzten im schummrigen Licht verführerisch und auch ihre Wangen schienen etwas rosiger. Wahrscheinlich hatte sie sich in der kurzen Zeit etwas frisch gemacht. Kazuki nahm seinen Mut zusammen, ging sich einmal durch die Haare und schlenderte dann zu ihr herüber.
 

»Einer so schönen Frau steht keine Schmollschnute. Ich nehme an, meine Frage von eben erübrigt sich dann, deine Begleitung wäre sonst dumm, dich einfach so in der Ecke stehen zu lassen«, meinte er keck und stellte sich ungefragt zu ihr.

Sie schien Kazuki nicht mehr zu erkennen, zumindest blieb ein Lächeln aus. Viel mehr wirkte sie erschrocken, entfernte sich augenblicklich einen Schritt von ihm und senkte den Blick auf ihr Glas. Ihre langen falschen Wimpern berührten beinahe ihre Wangen, Kazuki konnte einen Augenblick nicht anders, als sie anzustarren. »Das ist kein guter Zeitpunkt, du solltest besser gehen«, nuschelte sie ihm zu, wagte einen kurzen Seitenblick auf Kazuki.

Und dieser fiel aus allen Wolken. Hatte sie ihn nicht gerade angesprochen, viel mehr angeflirtet? Jetzt tat sie so, als wäre nichts passiert, spielte das angeschossene Reh. Frauen! Versteh einer Frauen! Vielleicht wollte sie einfach erobert werden?

Kurzentschlossen legte er den Arm um sie, beugte sich etwas zu ihr herunter. »Komm schon, die Masche kauf ich-«

Und dann ging alles ganz schnell. Kazuki vernahm einen schrillen Schrei, wurde ihm selben Augenblick grob aus der Ecke gezogen und am Kragen gegen die nächste Wand gepinnt. Der Typ im Anzug, der sich vor ihm aufbäumte, war so ziemlich das doppelte von ihm. Geballte Muskelmasse. Leute aus der näheren Umgebung hatten sich aus dem Staub gemacht, beobachten das Schauspiel entweder aus der Ferne oder machten sich gleich vom Acker. Spätestens jetzt, konnte Kazuki sich ausmalen, warum sie niemand angesprochen hatte. Mit diesem Typen hier wollte wohl niemand Stress haben. Er verstand warum. Spätestens jetzt.

»Nur weil ich mein Hündchen von der Leine lasse, heißt es nicht, dass jeder daherkommen darf um es zu streicheln. Ähnlich verhält es sich mit ihr«, er nickte in die Richtung, in der Rikki noch immer am Tisch stand. Mittlerweile völlig in sich zusammengesunken. »Hast du das verstanden, du Armleuchter?!« Für einen Augenblick festigte er den Griff, sodass Kazuki sein Handgelenk packte.

»Hab ich, Meister. Dann pass nur auf, dass dein Hündchen nicht anderswo Schwanzwedelnd ankommt und gestreichelt werden will. Das vermittelt nämlich ein falsches Bild.«

Kazuki war noch nie ein Herr der Wort gewesen und so musste er nur wenig später rausfinden, dass er sein Gegenüber nur noch mehr verärgert hatte, als dieser ihn runterließ und zum Schlag ausholte.

»Hey, Hiro! Nun mach mal halblang, lass den Kleinen laufen! Er gehört zu mir.«

»Byou, was-«

Zu verwirrt um zu verstehen, was gerade passierte, verweilte Kazuki in seiner gekrümmten Schutzhaltung, die Arme erhoben und vors Gesicht gehalten. Doch einen Augenblick lang passierte gar nichts, als wäre die Zeit stehen geblieben und schlussendlich wagte der Brünette es sich, einen Blick zu riskieren.

Die Schlägertype, die ihn vorher noch so ins Visir genommen hatte, wandte sich mit einem genervten Schnauben von ihm ab. Allerdings nicht, ohne ihm vorher noch einen warnenden Blick zu zuwerfen. So dumm er auch manchmal sein mochte und so unüberlegt er ich in manche Dinge hineinstürzte, er hatte verstanden, was man ihm damit hatte sagen wollen.

Der Kerl, der allen Anscheins auf den Namen Hiro hörte, schob sich an ihm vorbei, gab einen Blick auf Kazukis vermeindlichen Retter frei.

Vor ihm stand ein junger Mann, ungefähr sein Alter mit dunkelblonden, etwa Schulterlangen Haaren. Er trug ein schwarzes Hemd unter einem Blazer mit Lederärmeln, hatte sich allerdings nicht die Mühe gemacht, es zu schließen. Seine enge Jeans, getragen mit einem silbernen Nietengürtel, war ebenfalls schwarz.

Sein Gesicht zeigte keinerlei Regung, selbst wenn er Kazuki zu kennen schien.
 

»Spinn ich? ..Byou?« Kazuki stieß sich von der Wand ab, ging ein paar Schritte auf den Anderen zu.

»Ich habe nie daran gezweifelt, dass du spinnst, Kazuki«, meinte der Blonde ruhig »Und du reitest dich anscheinend immer noch genau so in die Scheiße, wie damals in der Schule.«

Kein Zweifel mehr. Der Mann hier vor ihm, war Byou. Der Byou, der von heute auf Morgen die Schule geschmissen hatte und von dem er nie wieder ein Wort gehört hatte. Und jetzt? Jetzt stand er ihm gegenüber und verhielt sich, als wäre das alles eine Lapalie gewesen. Gerade wusste Kazuki nicht, wo ihm der Kopf stand, ganz zu schweigen von dem Alkohol, der alles noch viel mehr durcheinander schmiss. Sollte er sich nun freuen? Oder sauer sein, dass sein damaliger bester Freund so einfach von der Bildfläche verschwunden war? Und warum zur Hölle sah er immer noch so unverschämt gut aus?

»Byou, ich..«, begann er schließlich, schüttelte aber kurz darauf den Kopf und zog die Augenbrauen zusammen. »Verdammt noch mal, du warst einfach weg! Ich hab versucht dich anzurufen! Keiner wusste, was du machst oder wo du hingegangen bist..«

Byou grinste. Es war das selbe, süffisante Grinsen, welches Kazuki nur zur Genüge von ihm kannte. Gerade allerdings machte es ihn allerdings eher rasend vor Wut, als dass es ihn ansteckte. Kaum zu glauben, dass die beiden wirklich gleichaltrig waren.

»Komm schon, du tust als wäre dein Leben von mir abhängig gewesen. Du hattest Yuuto und Jin, alles war in Ordnung.«

»Und wenns das nicht war?«

Ein amüsiertes Lachen. »Kazuki! Wie alt bist du, um mir Dinge aus der Vergangenheit vorzuwerfen? Komm, setz dich zu mir, wir trinken zusammen.«

Byou nickte, brachte den zunehmend verwirrten Kazuki in einen Teil des Clubs, den er vorher noch nie gesehen hatte. Sie durchschritten einige Türen, fanden sich kurz darauf ein einer Art Flur wieder. Wahrscheinlich der VIP Bereich. Von hier aus war die Musik nur noch dumpf zu vernehmen, was Kazuki gerade mehr als nur willkommen hieß. »Hier.« Byou stieß eine weitere Tür auf, ließ Kazuki eintreten. Der Raum dahinter, war mit hellen Möbeln ausgestattet, wirkte um einiges freundlicher und einladender, als der Club an sich. Kazuki ließ sich auf einem der weißen Hocker sinken, während er den Blick schweifen ließ. Byou kümmerte sich derweil um ihre Getränke, bediente sich an der Minibar als wäre es seine eigene. Kazuki stellte keine Fragen.

Eine beringte Hand reichte ihm schließlich ein Glas. Zur Hälfte gefüllt mit Eis und einer Bernsteifarbenen Flüssigkeit. »Ich hoffe, du magst Whisky.« Byou ließ sich ihm gegenüber auf einem Hocker nieder, legte die Füße auf dem Glastisch vor ihm ab. »Und nun lass hören, was hast du in der Zeit getrieben? Ich will alles wissen..«
 

Einfallendes Sonnenlicht gepaart mit unnormalem Durst rief ihn am nächsten Tag zurück ins Leben. Wie oder wann er nach Hause gekommen war, war ihm ein Rätsel. Jedenfalls konnte er es nicht aus eigener Kraft geschafft haben. Jemand musste ihn hergebracht und sich sogar noch den ein oder anderen Gedanken für den darauf folgenden Tag gemacht haben. So fand er neben seinem Bett sowohl eine Flasche Wasser als auch einen leeren Eimer wieder. Hatte er sich übergeben? Er setzte sich vorsichtig auf, spürte Schwindel und Übelkeit direkt zuschlagen. Es dauerte eine Weile, bis er sich wieder gefangen hatte und sich weiter umsehen konnte. Auf seinem Nachtschränkchen, stand eine neue Packung Schmerztabletten, von der er sicherlich gleich gebraucht machen würde. Daneben eine Post-it Notiz: “Im Kühlschrank ist was zu Essen. Pass auf dich auf. P.s: Du Pussy!” Byou?

Kazukis Kopf war wie leer gefegt, abgesehen von dem pochenden Schmerzen in seinen Schläfen. Das konnte nur der Whisky gewesen sein, der ihn so zugerichtet hatte. Aber was in aller Welt war passiert? Die Schmerzen ignorierend, sprang er plötzlich auf, verlor zu allem Übel noch das Gleichgewicht und konnte sich nur noch mit Glück an seiner Kommode abfangen. Er trug nur seine Shorts, wahrscheinlich ging das auch noch auf Byous Rechnung. Wie peinlich. Aber gerade hatte er besseres zu tun, als sich darum zu Sorgen, wie das alles passieren konnte. Wo war seine Jacke? Und vor allem.. Sein Handy? Er fand beides zusammen im Wohnzimmer auf seinem Zweisitzer, durchsuchte sofort seine Kontakte. Keine neuen Nummern. Keine Anrufe von Unbekannt. Und auch in seinen Taschen fand er keine Zettel, auf denen Byou vielleicht seine Rufnummer hinterlassen hatte. War das wirklich sein Ernst? Hatte Kazuki ihm nicht deutlich genug gemacht, wie sehr er sein Verschwinden damals bedauert hatte?

Aber gut. Byou wusste nun, wo er wohnte. Vielleicht kam er ihn bald besuchen.

Doch die Tage verstrichen und aus den Wochen wurden Monaten und die Hoffnung schwand.

So weit, dass sich Kazuki irgendwann schmerzlich bewusst machen musste, dass es keine Chance geben würde, den Anderen so schnell wieder zu sehen. Denn auch in den Club, in den er bisher immer ohne Probleme rein gekommen war, verwehrte man ihm jetzt den Eintritt. Eines falschen Ausweises wegen.
 

Mit einem gedehnten Seufzten, ließ Kazuki sich in die Wanne gleiten, tauchte das Gesicht gleich bis zur Hälfte ins warme Wasser. Warum in Gottes Namen war es nun wieder Byou, der ihn beschäftigte und nicht seine missliche Lage? Seine Jobsuche, die auf keinen grünen Zweig zu kommen schien und das Geld, das ihm wie Wasser durch die Finger floss und immer knapper wurde. Kazuki musste nun Nägel mit Köpfen machen, alles andere trieb ihn nur noch mehr in die Enge. Er konnte seine Zeit nicht weiterhin mit irgendwelchen Vorstellungsgesprächen bei Firmen verschwenden, bei denen er wusste, dass er keinerlei Chancen hatte. Ihm fehlte der Universitätsabschluss. Noch dazu waren seine Noten auf dem Abschlusszeugnis der High School auch nicht die Besten gewesen. Das waren keine rosigen Voraussetzungen um überhaupt an etwas anderes, als einen Supermarktjob zu kommen. Es musste schnelles Geld sein, ein gutes Gehalt wäre natürlich ein weiterer Bonus. Er hatte schon Gedanken an die ein oder andere Branche verschwendet, allerdings immer wieder den Schwanz eingezogen, wenn er sich dazu entschieden hatte, einen Blick zu riskieren. Kazuki war nicht dumm und war sich seines guten Aussehens bewusst, auch wenn er bisher viel zu wenig Vorteile daraus gezogen hatte. Allerdings war er auch viel zu verunsichert, hatte Angst etwas zu riskieren. Nur was gab es jetzt noch zu verlieren? Einen Monat noch, wenn er Glück hatte zwei und dann würde man ihn auf die Straße setzen. Seine Eltern würde es das wenig kümmern. Vielleicht konnte er bei seinem Bruder unterkommen, aber bei dem liefen die Hochzeitsvorbereitungen im vollen Gange, kein guter Zeitpunkt um sich ihm aufzudrängen.

Er verließ das Bad etwa eine halbe Stunde später mit Handtüchern um Kopf und Hüfte gewickelt. Im Schlafzimmer angekommen, schlüpfte er in Shorts, eine hellgraue Jogginghose und in ein altes T-Shirt seiner Lieblingsband, dessen Druck immer weiter abbröckelte. Bald schon würde darauf nichts mehr zu lesen sein. Er rubbelte seine Haare einigermaßen trocken und brachte die Handtücher wieder zurück ins Bad, wo sie augenblicklich in die Wäschetrommel fanden. Sein Spiegelbild betrachtend, kämmte er sich das Haar nach hinten, hatte keine Lust mehr, jetzt noch den Föhn anzuschmeißen.

Erst dann setzte er sich ins Wohnzimmer auf den ledernen Zweisitzer, stöpselte das Stromkabel des Laptops in die Steckdose und ließ den Pc hochfahren. Sollte er es sich wirklich wagen? Oder viel mehr; würde man ihn überhaupt einstellen?
 

tbc.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Tut mir leid, dass das Mädel nur Sinn und Zweck dafür war, um die Story ins Rollen zu bringen.. hoffe, das nimmt mir keiner übel. Komplett anzeigen

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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Siamese_Almeida
2014-12-14T20:09:54+00:00 14.12.2014 21:09
"Aber was in aller Welt war passiert?" ....ja was (* ̄- ̄)

Ein Rätsel das ungelöst bleibt?
Ich mag gern wissen wie es weiter geht.

Dein Schreibstil lässt sich gut und einfach lesen. Obwohl ich mir persönlich manchmal ein paar mehr Absätze wünsche - das macht das Lesen noch etwas leichter ;]

Gefällt mir :3
LG


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