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Early Endings

von

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Aus der Schule, aus dem Sinn

Schon kurz nach dem Aufstehen wusste ich, dass es ein guter Tag werden würde. Ich pulte mich aus der zu großen Boxershorts und dem irrwitzig großen T-Shirt, das mal meinem Vater gehört hatte und zog mir die Sachen an, die ich schon gestern in der Schule getragen hatte. Ich stand schon damals auf die Tarnfarbenpullover, die ich auch heute noch gerne trage. Ich bin eben gerne unauffällig und ja, ich weiß: Tarnfarben tarnen einen im normalen Leben nicht. So meine ich das nicht, aber das tut hier nichts zur Sache.
 

Ich kletterte die schmale Treppe zu meinem Dachzimmer runter in den Flur unserer kleinen Wohnung, ging in die Küche und kramte eine Schüssel, etwas Milch und eine Packung Cornflakes hervor. Mein Vater war längst bei der Arbeit und meine Mutter stand meist nach mir auf. Sie war den ganzen Tag zuhause und hatte es nicht eilig, aus dem Bett zu kommen, also schaufelte ich mir die Cornflakes alleine in den Mund. Rückblickend kann ich eigentlich nur den Kopf schütteln, wie gut ich an diesem Tag gelaunt war, aber hinterher ist man eben immer schlauer.
 

Nach dem spärlichen Frühstück machte ich mich im Bad fertig. Ich putzte mir die Zähne, benutzte mein neues Deo und gelte meine Haare vorne ein wenig hoch. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich wenigstens raus, wie diese Frisur annehmbar aussah. Nicht, dass ich das großartig gemocht hatte, aber so trugen eben alle Jungs in meiner Klasse die Haare und ich wollte nicht herausstechen. Wollte ich nie.
 

Ich holte mir meinen Rucksack aus meinem Zimmer und stiefelte los, um Mike abzuholen. Wir hatten den selben Schulweg, naja, fast. Ich wohnte nur ein paar Straßen weiter weg als er, aber morgens machte ich immer  den kurzen Schlenker zu seinem Haus. Mike und Marianne waren unzertrennlich. Schon seit ich mich an sie erinnern kann und das ist schon verdammt lange. Wir gingen zusammen zur Schule, verbrachten die Pausen zusammen und gingen zusammen nach Hause. Nur, wenn ich mich mit Mike zum Spielen traf, war Marianne nicht immer dabei. Wir waren eben Jungs und mal hieß das, dass wir die coolsten waren, mal hieß es, dass wir „eklig und doof“ –nicht meine Worte!- waren. Diese Logik verstehe ich bis heute nicht.
 

Gähnend klingelte ich bei den Gärtners und streckte mich, während ich wartete, dass Marianne die Tür öffnete und ihren Bruder hinter sich her nach draußen schleppte. Man sollte meinen, allmählich wäre ich wach, aber nach dem Aufstehen hatte ich meist immer nochmal eine kurze Phase, in der ich einfach unendlich müde war. Gelegt hat sich das erst vor ein paar Jahren, seitdem bin ich im Grunde sofort wach. Muss man wohl sein, wenn man mein Leben führt…
 

Tatsächlich war es Marianne, die die Tür an diesem Morgen öffnete, aber Mike stand nicht wie sonst verpennt und mit halbherzig über die Schulter geworfenem Rucksack hinter ihr. Irgendwas stimmte nicht. „Morgen.“, sagte ich mit vorsichtiger Zurückhaltung und einer gehörigen Portion Skepsis in der Stimme.  „Hey, Candle. Wir könn‘ los.“, sagte Marianne hastig, wandte den Blick ab und stratzte durch die Tür an mir vorbei. „Ähm.“, merkte ich an, doch Marianne unterbrach mich. „Na los, wir komm‘n noch zu spät!“, sagte sie energisch und zog die Tür zu. „Was ist denn mit-“ Wieder fiel sie mir ins Wort –so aufbrausend kannte ich sie gar nicht… „Micha kann bleib‘n, wo der Pfeffer wächst!“, knurrte sie und stampfte auf, bevor sie mir den Rücken zuwandte und losstiefelte. Ihre roten Haare hingen ihr glatt bis auf die Schultern und wippten bei jedem wütenden Schritt.
 

Ich schüttelte seufzend den Kopf und steuerte die kleine Seitengasse zwischen dem Haus und dem benachbarten Wohnblock an. Dass die beiden Zwillinge sich stritten, kam nur selten vor und dass sie sich so schlimm zankten, dass Marianne nachtragend war, hatte ich bisher nicht erlebt. Sie bewunderte ihn doch so! Was konnte er also getan haben, dass sie so unfassbar sauer auf ihn war? Es bestand für mich kein Zweifel daran, dass Mike es irgendwie verbockt haben musste, denn Marianne war erst einmal grundsätzlich von allem überzeugt, was ihr Bruder tat. Sei es nun, dass er an einem Hot Dog-Stand hochkletterte, um eine Katze zu retten und dann selbst dort oben festsaß oder dass er eine Wärmflasche in den Schnee legte, damit sie eine heiße und eine kalte Seite hatte, Marianne unterstützte ihn immer. Kein Wunder, dass ich neugierig war, als sie es heute nicht tat.

Aus Mikes Zimmer hörte ich viel zu lauten Hip-Hop, dessen Text ich selbst als gebürtiger Amerikaner und obwohl ich zweisprachig aufgewachsen war, nicht verstand. Dass das Fenster offen stand, war wohl nur Glück, denn bei der Lautstärke hätte er mich nicht klopfen hören.
 

Mike büchste oft aus und ich kannte seinen Fluchtweg. An der Regenrinne runter auf die Mauer, die aus der Seitenstraße eine Sackgasse machte, auf den Fenstersims der Nachbarn, von da aus rüber auf den großen Müllcontainer und dann auf den Boden springen. Sowohl Mike als auch ich waren den  Weg schon oft genug in beide Richtungen gegangen und diesen Weg nahm ich auch jetzt. Auf die Mülltonne, auf den Fenstersims, hochziehen, auf die Mauer, die kurze Strecke Regenrinne, dann saß ich auf Mikes Fensterbrett.
 

„Mike?“ Er saß auf seinem Hochbett, noch in Boxershorts und T-Shirt, die roten Haare wild verstrubbelt, als stünde sein Kopf wirklich in Flammen. Bei so einem Holzkopf kein Wunder! Entschuldigung, der musste raus.
 

„Hey, Mike! Was soll denn-“ Mike fuhr herum und starrte mich erschrocken an. „Boah, Danny! Schleich dich doch nich‘ so an, ey! Ich krieg‘ ja noch’n Herzinfekt von dir!“, rief er gegen das Wummern der billigen Musikanlage. Meine Antwort ging unter dem Hip-Hop vollkommen unter und Mike quittierte sie nur mit einem lauten „WAS?!“ Er sprang vom Bett und drehte die Musik leiser, bevor er wieder nachfragte. „Ich hab‘ gefragt, warum du nicht mit zur Schule kommst.“, wiederholte ich meine Frage. Krank sah er nicht aus, aber das musste ja noch nichts heißen. Dann wäre Marianne allerdings auch anders drauf gewesen. Wahrscheinlich hätte sie geschwänzt, um sich um Mike zu kümmern und das hätte sie mir an der Tür auch gesagt.
 

Mike verdrehte die Augen und stöhnte genervt. „Man, muss dat sein?! Du nich‘ auch noch!“ Es war also definitiv seine Schuld. „Willst du schwänzen?“, fragte ich und noch in dem Moment wurde mir klar, wie blöd diese Frage war. Was hatte Mike denn bitte sonst vor?

„Nee, nich‘ so wirklich.“, sagte Mike und kletterte wieder auf sein Bett. Ich folgte ihm ein paar Schritte, bis ich mitten im Zimmer stand und schob die Hände in die Hosentaschen. „Sondern?“, fragte ich, als Mike nicht weitersprach. War ihm das unangenehm? Wahrscheinlich, weil Marianne auch schon gegen ihn gewesen war. Das verunsicherte ihn, immerhin war er das nicht gewöhnt und nun überdachte er seinen Plan noch einmal. Gut. Wobei die Erfahrung gezeigt hat, dass es manchmal gar nicht so klug ist, Mike Garden Zeit zum Nachdenken zu geben.
 

„Ich geh da nich‘ mehr hin. Gar nich‘ mehr.“ Ich starrte ihn perplex an, denn damit hatte ich nun nicht gerechnet. Zugegeben: Mikes Noten waren nicht die besten, er schwänzte in letzter Zeit öfter und vor ein paar Monaten hatte er sogar angefangen, zu kiffen. Mir gefiel das nicht und auch Marianne war nicht unbedingt glücklich, um es mal vorsichtig zu formulieren, aber er war trotzdem brav weiter hingegangen. „Äh…“, war das erste, was ich herausbrachte und es motivierte Mike glücklicherweise, weiterzusprechen, denn mir fiel tatsächlich nichts ein, was ich dazu spontan sagen konnte. Die Schule abzubrechen kam irgendwie nicht in Frage. Man trat in eine Gang ein, machte seinen Abschluss und suchte sich dann einen Job, so lief das eben. Von diesem Weg abzuweichen, erschien mir völlig… Naja, das ist jetzt offensichtlich, aber: abwegig.
 

„Dat is‘ doch alles kacke. Ich lern‘ da doch eh nix, wat ich später mal brauch’n kann. Dat is‘ doch pure Zeitverschwendung!“ „Wie bitte?“, war meine unkreative Antwort, aber ich war schon froh, überhaupt etwas zusammenhängendes formuliert zu haben. „Wat denn?! Is‘ doch wahr…“, schmollte Mike. „Und wie willst du deine Zeit stattdessen nutzen? Was hast du jetzt vor?“, fragte ich und mein Blick huschte zu der Uhr. Zu spät war ich jetzt so oder so…
 

„Weiß ich noch nich‘… Aber mir fällt da schon noch wat ein! Ich kann mich halt mit so’m Scheiß nich‘ mehr aufhalt’n. Bringt mir doch eh nix!“ Kein Wunder, dass Marianne so wütend war. Mike hatte hohe Ziele gehabt, aber ohne vernünftige Bildung konnte er sich die allesamt in seine widerspenstigen Haare schmieren. Ich seufzte und ließ die Schultern hängen. „Das gefällt mir nicht, Mike. Das ist ‘ne blöde Idee.“ Er sah mich trotzig an. „Muss dir ja auch nich‘ gefall’n! Ich mach dat so. Punkt.“ Er griff sein Kissen und warf es nach mir. Ich wich aus und trat einen Schritt zurück. „Pass mir inner Schule bloß gut auf Marianne auf!“, sagte er mit einem drohenden Unterton, an den ich mich noch gewöhnen würde und ich schluckte. „Ja, is‘ ja gut.“, murmelte ich und hob das Kissen auf, um es ihm wieder hoch zu werfen. „Dann wohl bis später…“, sagte ich unsicher. Diese Situation war befremdlich und sie war mir unangenehm. Ich konnte Mike ja schlecht befehlen, wieder zur Schule zu gehen und auf mein Bitten würde nicht hören, wenn selbst Marianne nichts aus ihm herausbekommen hatte.
 

„Nee, ich treff‘ mich noch mit Tobi un‘ den Jungs. Kanns‘ ja mitkomm’n.“ Tobi und die Jungs waren ein Haufen Neuntklässler, die sich mit Jüngeren umgaben und in diesen Kreisen ihre Drogen verkauften. Sie waren seit zwei Jahren in der Westside und ließen das bei jeder Gelegenheit raushängen. Widerlich. „Nee, danke. Ein anderes Mal, vielleicht.“, murmelte ich und ging wieder zum Fenster. „Dann, ähm, bis dann.“, sagte ich unsicher und schwang mich an der Regenrinne wieder nach draußen. Ich hörte Mikes demotiviertes „Jo, bis dann.“ Noch, dann wurde die Musik wieder lauter und ich machte mich auf den Schulweg.
 

Plötzlich kam mir wieder dieser Gedanke von vorhin. Dass das ein wirklich guter Tag werden würde… Am Arsch…


Nachwort zu diesem Kapitel:
Ich muss zugeben, auf den "Herzinfekt" bin ich ein kleines bisschen stolz xD Komplett anzeigen

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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  WhiteCatHeather
2014-12-08T15:22:03+00:00 08.12.2014 16:22
"Ich pulte mich aus der zu großen Boxershorts und dem irrwitzig großen T-Shirt, das mal meinem Vater gehört hatte und zog mir die Sachen an, die ich schon gestern in der Schule getragen hatte."
--> zu viele Nebensätze :P das kann manchmal sehr nützlich und schön sein, aber nicht bei normalen Aufzählungen eines einfachen Vorgangs (hier: das Anziehen)

"Ich stand schon damals auf die Tarnfarbenpullover, die ich auch heute noch gerne trage. Ich bin eben gerne unauffällig und ja, ich weiß: Tarnfarben tarnen einen im normalen Leben nicht. So meine ich das nicht, aber das tut hier nichts zur Sache."
--> ein bisschen zu viel "herumgelabert". Was Candle erzählt ist grundsätzlich nicht schlecht und du lässt ihn nach wie vor echt unglaublich authentisch wirken, aber ab einen gewissen Punkt will der Leser dass Candle mal endlich hinne macht :D



"(...) aber so trugen eben alle Jungs in meiner Klasse die Haare und ich wollte nicht herausstechen. Wollte ich nie."
--> dieses klitzekleine "Wollte ich nie" ist ein schönes Beispiel, dass manchmal ein einziger Satz die Wirkung reduziert. Um trotzdem dieses Detail herauszustellen könnte man den Satz bespielsweise so verändern, ohne viele Worte zu benutzen: "(...) aber so trugen eben alle Jungs in meiner Klasse die Haare und ich wollte nicht herausstechen - nie"
Das war jetzt nur ein kleines Beispiel. Sowohl der Satz als auch mein Vorschlag :D Außerdem kann man sich dann auch als Leser die Betonung der Worte besser im Geiste vorstellen und das macht lebendiger ^^

Es liegt übrigens nicht an der Erzählperspektive, obwohl der Ich-Erzähler gerne dazu einlädt ^^

Hoffe du verstehst mich besser :) Hab einfach mal kleine Beispiele aus den ersten paar Absätzen genommen :D Der größte Teil besteht schließlich aus dem Dialog mit Mike ^^


Antwort von:  Shinosuke
08.12.2014 19:55
Ja, ich glaube, ich verstehe, was du meinst :) Ich werde beim Schreiben mal drauf achten, vielen Dank.
Von:  WhiteCatHeather
2014-12-07T17:39:49+00:00 07.12.2014 18:39
Hey ho! Bin vor ein paar Tagen auf deine FF gestoßen und hab mir endlich die Zeit genommen mal die ersten zwei Kaptiel zu lesen ^^

Ich find deinen Schreibstil wirklich gut und vor authentisch(!). Was ich damit meine ist, dass du die Charaktere, so wie man sie aus dem Manga kennt, wirklich gut rüber bringst. Marianne könnte vielleicht sogar in dieser Situation noch einen Ticken zickiger sein, aber eigentlich sollte ich da nix bemängeln ;)
Sogar die Umgebung und Atmosphäre sind gut getroffen!

Das einzige, was ich als klitzekleine Kritik äußern muss ist, dass du wenn Candle von sich selbst erzählt, du ihn ein wenig zu viel reden lässt. Hier und da einen kleinen Satz oder einen Halbsatz könnte man vielleicht streichen - meiner Meinung nach. Du beschreibst viel und gut. Aber manchmal einen Tick zu viel.
Aber das wollte ich nur so mal geäußert haben :)

Ich hoffe ich erschlage dich jetzt nicht mit meinem Kommi :D

Freue mich schon auf die nächsten Kapitel!!

Lg
WhiteCatHeather
Antwort von:  Shinosuke
07.12.2014 19:08
Vielen Dank für diesen ausführlichen Kommentar und für das Lob natürlich ;)
Von Mariannes Reaktion gibt's im nächsten Kapitel etwas mehr, so viel kann ich schon verraten, denn das ist bald fertig~

Ist das mit den Beschreibungen ein Problem der Erzählperspektive? Eher allwissender Erzähler als Ich-Erzähler? Ich versuche, zu verstehen, wie du das meinst ^^° Während der nächsten Kapitel werde ich mal drauf achten :)

Danke für deine Kritik, das freut mich wirklich sehr.


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