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Konoha Gangs II: Game On

Das Spiel hat gerade erst begonnen
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Viel Spass! ;D

glg ximi Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Heii meine Lieben!
Es hat wieder einen Moment gedauert, ich weiss. Dafür ist es ein langes Kapitel geworden (über 9000 Wörter ;D), ich hoffe, es wird das Warten wert sein.
Ich möchte mich wieder einmal herzlich bei euch allen bedanken, für all die Kommentare und Favoriteneinträge. Ihr spornt mich jedes Mal aufs Neue an!
Und nun wünsche ich euch frohe Festtage und ein gutes neues Jahr (auch wenn es etwas früh ist ;D), aber das hier war das letzte Kapitel im Jahre 2016. Wir sehen/lesen und hoffentlich im neuen Jahr! =D

Bis bald

Eure ximi

(ENS wie immer ;D) Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Das letzte Mal bei Konoha Gangs:

Die Lage für die Gangs spitzt sich zu. Während Hinata und Naruto einem Keller festsitzen, in dem die Temperatur steigt und die Luft immer dicker wird, haben Tomcat und Sakura ihre Widersacher fürs Erste besiegt. Doch sie haben einen Preis dafür bezahlt, der sie ihr Leben kosten kann, wenn sie nicht schnell aus dem Keller rauskommen.
Sasuke ist auf der Suche nach Sakura, die er irgendwo in den Kellergewölben vermutet, doch bisher blieb er erfolglos.
Und an der Erdoberfläche brodelt ein Kampf, der in dieser Nacht alles entscheiden kann. Die Kuramas und Takas schlagen sich wacker. Es gibt nur ein Problem: Crow, der Riot-Leader, ist nicht auf einen Sieg aus. Das war er nie. Und in Begleitung einer unerwarteten Geisel ist er nach wie vor auf bestem Weg dazu, Konoha erneut ins Chaos zu stürzen. Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Das letzte Mal bei Konoha Gangs:

Crow und seine Leute befinden sich in den letzten Zügen. Doch mit einer Geisel in der Hand scheint es beinahe unmöglich, ihn zu besiegen. Sasuke kämpft, trotz seiner Wunden. Naruto und Hinata leben, doch auch sie sind angeschlagen.
In einer ganz anderen entfernten Welt, realisiert Sakura, dass Yohei einen Ort betreten hat, von dem es kein Zurück mehr gibt.
Und in all dem Feuer, Blut un Rauch denkt Crow nicht daran, aufzugeben. Denn sein grösster Schlag steht noch bevor. Komplett anzeigen

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Mission bei Nacht

„Warum tun wir uns das nochmal an?“

„Schnauze!“

„Ach, komm schon, die hören uns nie. Sind ja genug andere Leute da.“

„Halt einfach deine Klappe. Wir sind nicht zum Plaudern da, Holzkopf.“

„Jaja, weil der Boss will, dass wir sie im Auge behalten. So viel zur Auszeit.“

„Er hat uns nur drum gebeten, weil die Riots laut dem Outer heute in der DDM abhängen. Die sind ja in letzter Zeit fast nie gesichtet worden. Wie willst du ‘nen Feind bekämpfen, den du nicht kennst? Er braucht das, damit er hoffentlich endlich Ruhe haben kann.“

„Schon gut.  Pah, du bist einer, der auch mitten in der Nacht noch Action braucht, nicht wahr? Alle bis auf den Boss pennen schön und du meldest dich freiwillig für sowas und schleppst mich auch noch mit.“

„Je eher du aufhörst zu jammern, desto schneller kannst du pennen! Du warst mir halt ‘nen Gefallen schuldig. Und wir alle sind Big Fox einen Gefallen schuldig, wenn du mich fragst. Der hat ja mehr als genug Scherereien.“

„Jaja, schon gut, ich sag ja nichts mehr. Gehen wir jetzt rein oder wie?“

Die Antwort seines Gegenübers fiel lediglich als ein Hochziehen der Kapuze seiner schwarzen Lederjacke aus, dann bewegte er sich bereits unauffällig in Richtung Eingang des Clubs. Ihrer Clubs.

Kankuro blieb nichts anderes übrig, als leise vor sich hinzuwettern und sich dann seinem Bruder an die Fersen zu heften.

Die Dance Devil Mansion, ihr Stammclub, war wieder einmal restlos überfüllt. Dass heute die Nacht von Heiligabend auf Weihnachten war, trug auch überhaupt nichts zur Verbesserung der Situation bei. Diese vielen Leute hatten früher nie ein Problem dargestellt, denn die Kuramas hatten bei dem Inhaber des Schuppens mehr als nur einen Stein im Brett gehabt. Platzprobleme hatten ihnen gestohlen bleiben können. Ob sich das allerdings auch jetzt noch so verhielt, war fraglich. Wohl kaum, nach all dem Geschehenen.

Der gewohnt laute Bass dröhnte ihnen schon von Weitem entgegen und als sie den Club betraten, benötigten sie wie immer einen Moment, um sich an diese höllische Lautstärke zu gewöhnen. Tanzende, betrunkene und vor allem laute Menschen füllten die gesamte Fläche der DDM aus und machten es umso schwieriger, irgendetwas Brauchbares erkennen zu können.

Eigentlich war es das feste Ziel der Kuramas, die Riots für einmal Riots sein zu lassen, aber für Naruto kam eine Auszeit nur dann in Frage, wenn er vorher wusste, wie es im Moment um ihre Gegner stand und mit welcher Einstellung sie unterwegs waren.

Ein Verdacht, den sie schon hegten seit sie zu dieser, zugegebenermassen ziemlich spontanen Mission aufgebrochen waren, bestätigte sich, als die Lounges in das Blickfeld der Brüder gelangten. Die Taka- und Kurama-Lounges, die eigentlich auch nur die namensgebenden Gangs beherbergen sollten, waren gefüllt mit Riots. Riots.

Das Allerschlimmste war noch, dass die Kurama- und Taka-Flaggen, die vor nicht allzu langer Zeit noch als Dekoration gedient hatten, entfernt worden und nun einem langweiligen Riot-Wappen gewichen waren.

Nun gut, es war jetzt nicht der Zeitpunkt, sich über die gottverdammte Arroganz ihrer Kontrahenten und die Anstalten des Barbetreibers, das alles auch noch zu unterstützen, aufzuregen, sondern unauffällig zuzuhören, was diese Typen da so alles von sich gaben.

Also stellten sie sich so nahe wie möglich an der Lounge hin und lauschten. Es erforderte eine ganze Menge Geduld von den Beiden, einfach nur da herumzustehen und dem belanglosen, natürlich völlig unbereichernden Gelaber zweier Weiber zuzuhören, welche ziemlich eindeutig mit dem Riot-Virus infiziert zu sein schienen. Das versprachen jedenfalls ihre Tattoos.

Sie redeten irgendwas über ihre Macker und Nagellack, soviel waren die Beiden noch gerade willens, aufzuschnappen. Wie spannend.

Das Warten aber, zahlte sich schlussendlich aus, als die viel zu stark geschminkte Brünette mit dem riesenhaften Dekolleté dann doch endlich das gewünschte Thema anschnitt.

„Ich find‘s ja so geil, dass wir es hingekriegt haben, diese Idioten vom Plan zu wischen.“ Die Tusse klang so beschränkt, dass es schon fast wehtat. Hatte wohl nebst ihrer natürlichen Blödheit auch einiges an Alkohol intus.

„Ja, schon fast traurig, dass die sich mal die „Grossen“ nannten. Zahlenmässig waren sie uns ja nicht einmal zu zweit richtig ebenbürtig.“ Das hellblonde Mädchen daneben schien schon etwas mehr Grips im Kopf zu haben und trotzdem war sie eine dumme Pute. Es erforderte von den Jungs ein hohes Mass an Selbstbeherrschung, um die beiden Fingernagelschnecken nicht sofort zum Schweigen zu bringen.

„Die werden uns diesen Titel nicht wieder abnehmen. Jetzt sind wir diejenigen, die den Ton angeben.“

Natürlich waren ihre Behauptungen lächerlich. Jeder konnte mit einer Überzahl an Leuten in einen schon halb gekämpften Krieg eintreten und sich dann gross mit dem davongetragenen Sieg aufspielen. Solche selten dämliche Aussagen waren ein weiterer Beweis dafür, wie sehr sich diese Typen überschätzten. Aber das konnte man im Kampf durchaus zu seinem Vorteil nutzen.

„Der Boss hat ja gesagt, wir werden alles toppen, was die bisher gemacht haben. Ja, wir werden wieder ein richtiges Gangzeitalter einläuten, in dem wir das Sagen haben. Indem nicht nur mal so all Halbjahr mal eine BZ stattfindet.“

Wenn die wüssten, wie sehr ihr Leader seine Leute bei „Drop Down“ hintergangen hatte, dann würden sie vielleicht nicht mehr so bewundernd von ihm sprechen. Nun gut, so wie die einzuschätzen waren, könnte der Typ denen auch glaubhaft machen, dass die Erde flach sei. Keiner würde widersprechen.

„Ich bin sicher, die geben noch keine Ruhe. Aber da legen sie sich mit den Falschen an. Wir werden gewinnen, egal, was sie versuchen. Denn eine richtige Gang gewinnt jedes Battle, egal, was es kostet. Das sagt der Boss ja auch immer.“

In diesem Gespräch hatten die Brüder bereits genug über die Einstellung der  Riots erfahren, damit Naruto zufrieden war und sich hoffentlich auch ein wenig Auszeit gönnte.

Die Riots wollten also ein völlig neues Gangzeitalter beginnen, indem ungewiss war, wie weit sie gehen würden und sie wollten ohne Rücksicht auf Verluste gewinnen. Schon das zeigte, dass sie grundlegend die falsche Einstellung hatten, aber die beiden Brüder hatten auch nichts anderes erwartet. Keiner von denen hatte begriffen, worum es eigentlich ging.

Es war nicht ein Sieg, der eine Gang ausmachte. Es war die simple Überzeugung, dass man alles tun musste, damit die eigenen Leute überlebten. Sei es nun im Battle oder im ganz alltäglichen Leben eines Kuramas. Es ging um mehr, als um das Gewinnen. Aber die Riots litten erheblich an einer grossen Portion Selbstüberschätzung. Auch gut zu wissen.

Bei dem Alkohol- und Lärmpegel war wohl sonst nicht mehr viel rauszuholen. Jedenfalls hatten sie genug gehört, um ihren Boss fürs Erste einigermassen zu besänftigen.

Die beiden Brüder verliessen schnurstracks die DDM, um sich auf den Heimweg durch die nächtliche, kalte Stadt zu machen. Sie sprachen zwar nicht darüber, aber es traf beide wie ein Messerstich, zu sehen, wie jegliche Spuren der Kuramas und Takas urplötzlich aus der DDM verschwunden waren.

Wie wenn sie gar nie existiert hätten.

 

Die Niederlage sass noch tief in den Knochen. Fest stand, dass sich an dieser Tatsache baldmöglichst etwas ändern musste.

An der Spitze zu stehen hiess, auf der Strasse und in der Szene respektiert zu werden. Je weniger man respektiert wurde, desto weniger Chancen hatte man, sich in der rauen Welt der Strasse, der Verbrecher und dem ganzen Sumpf zu behaupten.

Als gefallene Gang dazustehen, war alles andere als günstig und wenn sie weiterhin ein gutes Leben führen wollten, sei es auch als kriminelle Strassengang wie eh und je, dann mussten sie zusehen, dass sie wieder rauf kamen.

Ganz an die Spitze des Sumpfes, wo die Luft frisch und das Leben besser war.

Eine ungewöhnliche Bitte

Das Geräusch von klapperndem Geschirr drang dumpf durch ihre Zimmertür an sie heran und holte sie sanft aus ihren Träumen zurück in ihre weichen Bettlaken. Durch die kleinen Ritzen zwischen den Rollladen drang Tageslicht. Ein Blick auf ihren Wecker verriet ihr, dass es bereits viertel vor zehn Uhr morgens war. Kein Wunder, sie war gestern ja auch ziemlich spät nach Hause gekommen.

Bei dem blossen Gedanken an die vergangene Nacht überkamen sie die unterschiedlichsten Gefühle und sie fragte sich, ob dieses emotionale Chaos auch irgendwann mal wieder seine Ordnung finden würde - vermutlich nicht in nächster Zeit.

Seufzend drehte sie sich noch einmal auf die andere Seite. Eigentlich war es viel zu gemütlich hier, um aufzustehen, aber sie konnte ja wohl schlecht den ganzen ersten Weihnachtstag in ihren Federn verbringen.

Ihre Gedanken schweiften erneut in Richtung letzter Nacht ab. Wie lange sie noch schweigend vor dem Grabstein gesessen hatten, wusste sie nicht mehr. Fakt war, dass sie irgendwann einmal aufgestanden waren und sich nach wie vor schweigend auf den Weg ins West, zu Sakuras Block gemacht hatten. Das alles war ohne auch nur ein klitzekleines Wörtchen abgelaufen, aber es war irgendwie genau richtig so gewesen. In Sasukes Anwesenheit hatte sie schon oft die Erfahrung machen dürfen, wie angenehm Schweigen eigentlich sein konnte. Er hatte sich an der Tür mit einer Umarmung von ihr verabschiedet und war schneller weg gewesen, als sie auf zehn hätte zählen können, so wie es nun mal typisch für ihn war.

Um das nicht falsch zu verstehen, sie war überhaupt nicht enttäuscht gewesen. Gestern Nacht war sie weiter zu ihm vorgedrungen, als sie es sich überhaupt erhofft hatte. Noch immer war spürbar gewesen, welche Welten sie trennten. Aber gestern schien das keine Rolle gespielt zu haben. Wenn dem gestrigen Abend nicht derart traurige Geschehnisse zugrunde liegen würden, dann hätte sie ihn wirklich gerne als magisch bezeichnet.

Wie es mit ihnen weitergehen würde, wusste sie nicht. Zuerst musste sie sich überhaupt klar darüber werden, was sie denn überhaupt wollte. Liebte sie ihn, liebte sie ihn nicht? Was war mit ihm? Alles Fragen auf die es für sie keine Antwort gab. Was sie aber wusste war, dass sie ihm helfen wollte. Als gute Freundin. Dabei stiess sie bereits auf das nächste Problem. Sie konnte ja schlecht einfach mal ins Taka-HQ hineinspazieren und so tun als wäre das der völlig normale Alltag. Dazu müsste sie auch zuerst einmal wissen, wo sich ihr Hauptquartier befand. Wahrscheinlich würde sie nicht mehr tun können, als ihm ab und an mal schreiben und ihm anbieten, zusammen auf den Friedhof zu gehen oder sonst was in dieser Art. Eigentlich jämmerlich.

Gähnend setzte sie sich an den Bettrand und blieb einen Moment so sitzen. Himmel, war sie heute faul. Irgendwie wäre sie gerne noch ein wenig in ihrem Zimmer geblieben, in Ruhe mit ihrem Gedankenwirrwarr alleine. Aber wie gesagt, es war langsam aber sicher Zeit ihr Bett zu verlassen und sich den Tatsachen zu stellen. So versuchte sie es sich zumindest einzureden, aber das hatte bei ihr noch nie geklappt. Ihr eigenes Zureden war auf sie so wirkungslos wie ein Stück Traubenzucker bei Kopfschmerzen.

Um diesem faulen Zustand ein Ende zu setzten riss sie die Rollladen hoch, nur um zu sehen, dass es letzte Nacht tatsächlich geschneit haben musste. Das war ja klasse!

Wenn sie sich recht erinnerte waren gestern Abend noch Wolken aufgezogen, aber dass es gleich so schön schneien würde, hätte sie nie gedacht. Weisse Weihnachten also.

Als sie zu ihrer Tante in die Küche trat, um sich ein Glas Orangensaft zu holen, war ihr natürlich bereits klar, dass sie sich jetzt erst einmal vor ihrer Tante erklären musste. Aber besser, das hier war schnell vorbei.

„Guten Morgen.“ Ihrer Tante war schon anzuhören, dass heute nicht alles wie immer war. Wer konnte es ihr auch verübeln?

„Morgen, Tantchen.“ Sakura liess sich nicht beirren, so gut es ihr möglich war und füllte sich unverzüglich ein Glas mit Orangensaft.

„Wie ist denn der gestrige Abend noch verlaufen?“ Es war ein Hauch von Vorwurf zu hören. Einerseits musste sie Tsunades Sorge verstehen, aber andererseits konnte sie es nicht haben, wenn ihr ihre Tante solche Fragen stellte. Immer dieses Misstrauen.

„Gut und bei dir?“, antwortete Sakura in ganz beiläufigem Ton. Sie konnte es nicht lassen, ihr Gegenüber ein wenig zu provozieren.

„Du weisst, wovon ich rede, meine Liebe.“

Himmel. Was sollte sie denn darauf jetzt sagen?

„Tsunade, ich glaube nicht, dass dich das etwas angeht.“ Sie mochte es zwar überhaupt nicht, so mit ihrer Tante zu reden, aber sie konnte hier schlecht all das ausplaudern, was sie gestern Wertvolles mit Sasuke erlebt hatte.

„Mäuschen, ich will keine Details. Lediglich wo du warst, das wüsste ich gerne. Mit wem ist mir schon klar“, stimmte Tsunade nun einen versöhnlicheren Ton an. „Es tut mir leid, ich sorge mich halt einfach sehr um . Ich hoffe du verstehst das. Wenn du einmal eine Tochter hast, dann wird es dich auch interessieren, wohin sie am Heiligabend spät alleine gehen will, in einer Grossstadt wie Konoha.“

Ach, sie hatte ja Recht. Was benahm sie sich hier auch so zickig? Es war echt nicht nötig mit Tsunade zu streiten. Ihre Tante war die eine Person aus ihrer Gang, neben Ino, die sie verstehen wollte und ihre Entscheidungen, was Takas betraf, nicht ständig in Frage stellte.

„Mir tut es auch leid, Tsunade.“ Sie seufzte. „Ich war auf dem Friedhof.“

Das schien für ihre Tante bereits genug Antwort gewesen zu sein. „Ein etwas trauriger Ort, um das Weihnachten zu feiern. Aber du wirst deine Gründe dazu gehabt haben“, meinte sie, liess das Thema dann aber erstaunlicherweise fallen. Naja, ihre Tante konnte ja eins und eins zusammenzählen und sich selbst einen Reim drauf machen.

Die beiden assen gemeinsam Frühstück, danach musste Tsunade los. Immer am 25. Dezember mittags trafen sich einige Ehemalige Kuramas, darunter auch Shizune und Jiraiya, um gemeinsam etwas zu unternehmen. Heute war anscheinend Kino mit anschliessendem Essen geplant.

Ihr sollte es recht sein. Konkrete Pläne für heute hatte sie nicht, aber ein Besuch im HQ gehörte bestimmt dazu. Vielleicht auch nur das. Ja, sie verspürte das dringende Bedürfnis, bei ihren Freunden zu sein. Nachdem sie die Kuramas gestern Abend einfach so verlassen hatte, wollte sie auf keinen Fall, dass sie glaubten, sie würde Sasuke ihnen immer vorziehen. Was wäre sie denn ohne ihre Gang?

Bevor sie sich auf den Weg machte, nahm sie noch eine Dusche und versuchte sich danach vor dem Spiegel irgendwie so herzurichten, damit sie nicht aussah wie frisch aus dem Bett gestiegen. Ein Seufzen entwich ihr, als sie ihr nach wie vor mies aussehendes Spiegelbild betrachtete. Manchmal machten ihr ihre Komplexe wirklich richtig zu schaffen. Heute sah sie wieder einmal nur das im Spiegel, was an ihrem Gesicht nicht stimmte. Die Nase, die Zähne, die definitiv zu hohe Stirn… konnte es echt sein dass Sasuke das alles nicht störte? In seiner Gang gab es so viele schöne Mädchen, Hotaru, Shion, Karin… sie alle waren bildhübsch und dann kommt so ein Mauerblümchen wie sie und glaubte, sie könne in diesem Rennen mithalten. Wie lächerlich.

Rasch schlüpfte sie in ihre Kleider und föhnte sich im Eiltempo ihre Haare, die inzwischen auch schon wieder um ein paar Zentimeter gewachsen waren.

Gegen halb Zwölf verliess Sakura die Wohnung und nahm die U-Bahn in Richtung des Easts. Der Zug war entsprechend voll, heute war immerhin Weihnachtstag und da zog es viele Leute raus auf die Strasse, sei es zum Shoppen, Essen oder wozu auch immer. In Konoha hatten die Geschäfte selbstverständlich 365 Tage im Jahr geöffnet.

Als die Bahn endlich die gewünschte Station erreichte, wäre Sakura beinahe sitzen geblieben, so sehr war sie während der Fahrt in ihre Gedanken versunken. Der vergangene Abend geisterte immer noch wie ein Poltergeist in ihrem Kopf herum und machte dort gehörig Radau.

Die Luft draussen fühlte sich jetzt, nach der warmen U-Bahn, noch einmal einige Grade kälter an. Glücklicherweise war es nicht mehr allzu weit bis zum HQ, heute entschloss sie sich sogar dafür, den normalen Weg zu nehmen und sich nicht wieder durch diese müffelnden, dunklen Tunnel zu quälen. Die Gefahr, entdeckt zu werden, sollte zumindest im Moment nicht ein allzu grosses Problem darstellen. Zudem war ja auch der normale HQ-Eingang nicht einfach so offensichtlich zu erkennen und mit einigen Sicherheitsvorkehrungen ausgestattet.

Als sie durch die Seitengassen hindurch die Kellertreppe und somit die Tür zum HQ erreichte, klopfte sie wie gewohnt dreimal kurz, einmal lang und wieder zweimal kurz gegen die Tür, welche sich wie gehabt öffnete. Für einen Moment hatte sie sich gefragt, ob Shikamaru vielleicht den Klopfcode geändert hatte, aber glücklicherweise war nichts dergleichen passiert. Bei ihrem Zustand in den letzten Wochen wäre ihr das bestimmt glatt entgangen, wenn Shikamaru die Gang darüber informiert hätte.

Innen angekommen schnappte sie sich routinemässig das Walkie-Talkie, sprach deutlich ihren Bandennamen hinein und bald darauf gelangte sie über die knarrende Holztreppe ins HQ.

Dort schien der Morgen auch erst gerade angebrochen zu sein, jedenfalls waren noch nicht allzu viele Leute auf den Beinen oder zumindest nicht im Aufenthaltsraum. Gerade mal Temari, Sai, Hinata und Lee, welche das Chaos von gestern aufräumten und Naruto, der am kleinen Tisch in der Ecke über einigen Blättern brütete, fand sie in der Halle vor.

„Hi, Leute!“

Erst jetzt schienen die fünf sie zu bemerken und grüssten lächelnd zurück. Keiner guckte sie auch nur komisch an, alle taten so, wie wenn nichts gewesen wäre. Eigentlich war es ihr gerade recht so, aber ein gewisses Unwohlsein spielte schon mit. Sie hasste es, wenn solche unausgesprochenen Dinge zwischen ihr und ihren Leuten im Raum schwebten. Früher oder später würde sie sowieso noch irgendwem über den gestrigen Abend Auskunft geben müssen.

„Hey, Saku, alles klar?“, rief Hinata lächelnd zu Begrüssung, während sie eines der weissen Tücher vom Tisch zog und es über eine Stuhllehne hängte. Die mussten dringend gewaschen werden.

„Ja, danke, bei euch auch? Wo habt ihr die anderen gelassen?“ Sie schlüpfte aus ihrer Jacke und begann dann sofort damit, Hinata beim Abräumen des restlichen schmutzigen Geschirrs zu helfen.

„Viele sind bereits in der Stadt unterwegs, die anderen schlafen noch. Ist ganz schön spät geworden gestern.“ Ihre Freundin zuckte mit den Schultern und lächelte.

Sakura grinste in sich hinein. Manche waren echte Langschläfer. Aber einen Kater sollte eigentlich keiner von ihnen haben, denn an Weihnachten galt die goldene Regel, nur so viel zu trinken wie man vertrug. Und das war besonders bei den Jungs eigentlich ganz schön viel.

„Sag mal, Hina, wo habt ihr eigentlich Flowie gelassen? Die pennt doch nicht allen Ernstes so lang?“, kam es aus Lees Richtung, der die herumstehenden Becher und Gläser einsammelte.

„Sie ist heute Morgen los, in die Kurklinik, wo ihre Mom ist.“ Sie sandte Sakura einen vielsagenden Blick und Sakura nickte leicht.

„Ach, kommt schon, wir wissen alle, dass in Flowies Haus gründlich der Haussegen schief hängt. Weiss ihre Mom immer noch nichts von den Affären ihre Mannes?“, kam es aus der teilweise offenen Küche, wo Temari den Abwasch machte. Einen Geschirrspüler gab es im HQ leider nicht. Die anderen wussten natürlich auch über Inos Lage Bescheid, anscheinend waren sie auch darüber informiert, dass sie vorhatte, diese Sache ihrer Mutter zu erzählen. Also mussten sie keine Geheimniskrämerei vornehmen, was ihnen auch deutlich lieber so war.

Hinata schüttelte den Kopf. „Nein, sie weiss noch nichts. Find’s auch nicht okay, dass das Inos Job sein soll, nur weil ihr Vater nicht den Mumm dazu hat.“

„Der möchte sowieso am liebsten, dass das alles geheim bleibt, aber das kann ja wohl nicht die Lösung sein“, ergänzte Sakura. „Aber heute, an Weihnachten wird sie es ihr wohl kaum sagen. Wäre definitiv der falsche Zeitpunkt.“

Die anderen nickten zustimmend, wenn auch allesamt etwas besorgt, da das Ino verständlicherweise sehr zu schaffen machte.

„Wir müssen einfach bei ihr sein“, sprach Temari aus, was alle dachten und widmete sich dann wieder den schmutzigen Tellern im Spülbecken.

Sakuras Blick fiel auf den nach wie vor in seine Blätter vertieften Naruto. „Big Fox, worüber brütest du denn da?“

Erst jetzt hob Naruto seinen Blick. „Ob du’s glaubst oder nicht, die Takas und wir sind jetzt Brieffreunde.“

Sakuras erste Reaktion war ein Kichern, jedoch fasste sie sich schnell wieder, als sie Narutos genervten Gesichtsausdruck bemerkte. „Wie bitte?“

Zuerst einmal hörte sich das zwar wirklich absurd an, aber wenn sie genau darüber nachdachte, dann mussten sie sich ja irgendwie mit den Takas verständigen. Handy-Kontakt war zu persönlich, und das Schreiben per E-Mail zu unsicher. Wer wusste schon, was die Polizei alles versuchte, um die Gangs zu schnappen?

Und einander zu jeder Besprechung treffen war wohl einfach nicht das, was die Leader unbedingt wollten, war ja auch wieder verständlich. Niemand war ein grosser Fan davon, jetzt mit dem Erzfeind zusammenspannen zu müssen.

„Wir tauschen Briefe über die Outers. Die fungieren zurzeit nebenberuflich als Postboten.“ Naruto kratzte sich am Kopf und schien gerade ziemliche Mühen damit zu haben, die Schrift auf dem Blatt Papier in seiner anderen Hand zu entziffern.

„Wer zur Hölle hat denn so eine Klaue?!“, brummte er verärgert und Sakura grinste in sich hinein. Jedoch machte es ihr schon ein wenig Sorgen, dass Naruto erneut wieder mit dem Gang-Kram beschäftigt war.

„Du solltest dir endlich mal eine Auszeit gönnen, Naruto.“ Sie nahm ihm das Blatt Papier sanft aus der Hand und legte es auf den Tisch.

„Sakura, die Scheisse regelt sich leider nicht von alleine. Scheisse regelt sich selten von alleine.“ Er schnappte sich den Brief wieder und versuchte weiter, die Nachricht darin zu entschlüsseln.

„Wirklich, Naruto… wenigstens heute. An Weihnachten.“ Als sich nun auch die, in seiner Gegenwart immerzu schüchterne Hinata zu Wort meldete, legte er mir einem Seufzer das Blatt weg. Heute war anscheinend nebst Weihnachten auch noch der Tag der Seufzer. Toll.

„Hey, ich weiss was! Wir gehen heute ins Kino! Da läuft irgend so ein Streifen, der soll verdammt gut sein! Wir haben ja sonst nicht viel zu tun“, stellte Lee als Vorschlag in den Raum und die anderen waren sofort einverstanden. Das war in der Tat eine gute Idee um den Kopf frei zu bekommen
 

Gegen Abend also, machten sich einige Kuramas auf den Weg in Eastside-Kino, wo sie sich eine ziemlich witzige Komödie anguckten, die sie tatsächlich auch etwas von ihrer misslichen Lage ablenkte.

Im Moment hing alles so in der Luft, dass keiner auch nur im Ansatz wissen konnte, wie das alles ausgehen würde. Dieses unangenehme Gefühl der Ungewissheit verfolgte sie die nächsten Tage, jedoch war allen bewusst, dass sie jetzt unbedingt Kraft sammeln mussten, um auch nur eine Chance zu haben, wieder an die Spitze zu kommen. Sie mussten das jetzt einfach durchstehen. Sakura verbrachte ihre Zeit vorwiegend damit, sich von ihren Gedanken an Sasuke und die damit verbundene Machtlosigkeit, die sie empfand, abzulenken.

Es war Mittwochabend, als sich ihr eine einmalige Chance bieten sollte, das zu ändern.Gegen halb zehn brachte Naruto Sakura mit seinem Bike nach Hause. Als sie gerade an der Treppe zu U-Bahn-Station in der Nähe von Sakuras Block einbiegen wollten, bemerkte Sakura das Motorrad, welches dort stand und eine blauhaarige Frau, die ihr zuwinkte. Konan.

„Naruto, dort drüben! Brems mal, bitte!“

Naruto tat wie geheissen. „Weisst du was die wollen, Sakura? Ich weiss nicht ob…“

„Wir sind jetzt Partner Big Fox und das dort drüben ist Konan. Sie ist in Ordnung“, versuchte sie ihren misstrauischen Leader zu überzeugen. „Bitte, Naruto. Das ist Pain bei ihr, also ihr neuer Vize. Der wird keinen Mist bauen.“

„Na, also, aber nur kurz. Du solltest echt nicht zu sehr mit dem Feind sympathisieren“, brummte er mürrisch, aber lenkte sein Motorrad langsam in die Richtung der Takas.

„Konan!“, rief Sakura und sie musste sich eingestehen, dass sie sich wirklich freute, sie zu sehen. Das letzte Mal war in dieser verhängnisvollen Nacht bei „Drop Down“ gewesen…

Allerdings legte sich die Freude ziemlich rasch, als sie ihr Gesicht sah. Es erinnerte sie ein wenig an Sasukes: Blass, dunkle Ringe unter den geröteten Augen, bei ihr kam noch das etwas wirre Haar dazu. In ihrem Gesicht stand der Verlust, den sie vor kurzem erlitten hatte mehr als deutlich geschrieben.

„Sakura.“ Die Taka rang sich ein hart erkämpftes Lächeln ab. Pain seinerseits, tat nicht viel dergleichen, nickte lediglich Naruto zu, der es ihm ziemlich reserviert gleichtat. Sakura übersah nicht die Hand, die ihr Leader immer in der Nähe seines Gürtels und somit seines Messers hielt.

Sakura beobachtete kurz den hochgewachsenen Taka. Pain hatte ziemlich viele Piercings im Gesicht, nichts desto trotz war er ein ziemlich stattlicher Kerl. Sie liessen ihn nicht abstossend, sondern eher verrucht und geheimnisvoll wirken.

„Was machst du hier, Konan? Du…“, begann sie, jedoch wurde sie sogleich von der jungen Frau unterbrochen.

„Ich weiss, dass ich schrecklich aussehen muss, Sakura. Aber das hier ist wichtig für mich.“ Ihre Stimme zitterte minimal in diesem Versuch, Humor ins Spiel zu bringen. Es war unglaublich, wie viel Fassung diese Frau bewahren konnte. Man durfte ja bekanntlich nie das Gesicht vor seinem Gegner verlieren.

Konan strich sich eine wirre Haarsträhne hinters Ohr. „Als Sasuke letzten Samstag vom Friedhof kam, da hat er mich zum ersten Mal seit Itachis Tod gegrüsst. Daraufhin hat er wieder eine ganze Woche so ziemlich geschwiegen. Sag, warst du bei ihm auf dem Friedhof?“

Sakura nickte langsam, verstand aber nicht so recht. Worauf wollte sie hinaus?

Für einen Moment dachte sie, Konan würde gleich einknicken, aber da war Pain, der sie stützte. Es tat richtig weh, sie so zu sehen. Schliesslich war sie es gewesen, die damals im Taka-HQ, als sie eine Geisel gewesen war, sich so lieb um sie gesorgt hatte und das würde sie ihr bestimmt nie vergessen. Aber ihre starke und reife Präsenz war einer angeschlagenen und müden Traurigkeit gewichen. Sie hatte Itachi sehr geliebt. Und er sie genauso.

„Sakura, ich glaube… ich glaube du könntest ihm helfen. Ich weiss nicht, was ich tun soll um ihn wieder unter die Lebenden zu holen. Soweit ich weiss bist du bist die Einzige, die wohl richtig zu ihm durchdringen konnte, sei es auch nur für eine kurze Zeit gewesen.“

Naruto in ihrem linken Augenwinkel verspannte sich sichtlich. Anscheinend wusste er bereits, worauf das hinauslief.

„Auch wenn es keiner von ihnen zugeben würde, du hast uns allen erstaunlich gut getan, das letzte Mal. Unser HQ braucht frischen Wind. Hier mein Anliegen: Sakura, wäre es möglich, bessergesagt, könntest du für die nächste Zeit ins Taka-HQ kommen? Natürlich nicht als Geisel… aber ich sehe keinen anderen Weg mehr im Moment…“ Ihre Augen glänzten, weshalb sie den Kopf rasch abwandte.

Eine gebrochene Frau.

Sakura war wie erstarrt. Natürlich war sie überrascht und klar schossen ihr gerade hunderttausend Pros und Kontras durch den Kopf, die mit dieser Bitte einhergingen. Aber am Ende sah sie den entscheidenden Vorteil: Sie würde bei Sasuke sein können und versuchen, ihn wieder auf die Beine zu bringen. Und vielleicht würde sie auch Konan etwas helfen können.

„Was erwartet ihr jetzt? Das wir Cherry einfach so in euer HQ spazieren lassen? Nach all dem, was ihr getan habt?“ Narutos Ton war mehr als abfällig. „Wir können verdammt nochmal nichts dafür, dass euer Leader gefallen ist! Weshalb sollten sich nun Kuramas um eure Probleme kümmern?“

Er versuchte ruhig zu bleiben, aber seine angespannte Haltung sprach für sich. Sakura konnte ihn verstehen, Konans Bitte war ja auch mehr als nur aussergewöhnlich.

„Naruto…“

„Nee, Sakura. Die Typen haben dich vor nicht allzu langer Zeit hinterhältig verschleppt. Wir übergeben dich denen doch nicht auch noch freiwillig.“

Eigentlich wollte sie ihm unter keinen Umständen noch mehr Sorgen bereiten, er hatte bereits genug zu denken, mit all den Kriegsangelegenheiten.

Aber ihr Bauchgefühl schrie sie förmlich an, diese Gelegenheit beim Schopf zu packen. Das hier war wichtig.

Konan nickte traurig und wandte sich ab. „Tut mir leid… ihr habt ja vollkommen Recht… es war eine blöde Idee...“

Sakura hörte ihre ehrliche Niedergeschlagenheit so deutlich heraus, dass es wehtat. Das hier war ihre Chance, alles ein bisschen zum Besseren zu wenden. Selbst wenn sie nichts ausrichten konnte, so war es doch ein Versuch wert.

„Warte, ich mach‘s!“, rief Sakura als Konan schon wieder hinter Pain auf das Motorrad steigen wollte.

Naruto neben ihr war natürlich überhaupt nicht begeistert von dieser Sache und klang auch dementsprechend verärgert. „Sakura, ist das jetzt dein Ernst? Du läufst denen freiwillig in die Fänge?“

Die Kurama drehte sich zu dem blonden Leader um und wollte gerade etwas erwidern, als sich zu aller Überraschung Pain einmischte.

„Hör zu, Big Fox. Ist gerade gut, dass du hier bist. Ich kann vollkommen verstehen, dass du das für eine absolut hirnrissige Idee hältst. Ich und Konan versuchen im Moment einfach nur unsere Leute über dem Nullpunkt zu halten und dabei geht es uns nicht um den Gangstreit. “

Er stellt sich vor die völlig fertige Konan, um von Angesicht zu Angesicht mit Naruto verhandeln zu können. „Wenn Konan es für eine gute Idee hält, dann werde ich ihr nicht im Weg stehen, weil ich ihrem Urteil voll und ganz vertraue. Ich verspreche dir, dass Cherry Blossom bei uns gut behandelt wird und wir sie euch auch wohlbehalten zurückbringen, ist das für dich ein Deal? Heiliges Bandenehrenwort, Big Fox.“

Naruto focht gerade einen inneren Kampf mit sich selbst aus, das lag auf der Hand. Pains Worte schienen ihn zwar ein wenig milder stimmen zu können, aber all das schlechte Vergangene im Zusammenhang mit dem Taka-Lager liess sich nun mal nicht so einfach aus der Welt schaffen.

Aber der neue Vize der Takas hatte genau die richtigen Worte gefunden, denn Naruto würde selbstverständlich auch alles für seine Gang tun, wenn es ihnen schlecht ging. Zudem waren seine Worte mehr als nur ehrlich und wenn man ein Bandenehrenwort gab, dann war das schon eine hohe Stufe des Ernstes.

„Ich würde mich niemals so tief fallen lassen und euch um Hilfe anbetteln, wenn es nicht absolut wichtig wäre.“ Er blieb ruhig, betonte aber mit seiner Art mehr als deutlich, wie ernst ihm das war.

Naruto seufzte schon wieder. Eigentlich wollte sie ihn doch nicht ständig zum Seufzen bringen, aber irgendwie schien sie ein ziemliches Problemkind bei den Kuramas zu sein. Und das tat ihr leid. Mehr als sie vielleicht dachten.

„Wenn du ihm glaubst und du dir sicher bist, dass es zum Besten der Gangs ist und dir nicht schaden wird, dann von mir aus, Sakura. Auch wenn ich dir davon abraten würde.“

Sakura musste die Freude am Gesicht deutlich anzusehen sein, denn Naruto hob beim ihrem Anblick eine Augenbraue. „Nicht so voreilig. Du solltest zuerst noch Tsunade fragen, bin ja nicht dein Dad.“

Das war wohl oder übel wahr aber irgendwie würde sie ihre Tante schon überzeugen können von dieser, zugegebenermassen ziemlich verrückten Idee. Sie musste einfach.

Schnell noch tauschte sie mit Konan Handynummern aus, damit sie ihr Bescheid geben konnte, wenn sie es schaffte, Tsunade zu überzeugen.

Bevor die beiden auf ihrer Maschine davonbrausten, musste Sakura noch eine Frage loswerden. „Sag mal, woher wusstet ihr eigentlich, wo ich wohne?“

Pain grinste schelmisch. „Wenn man in Konoha etwas herausfinden will, dann findet man es auch heraus. Wo genau du wohnst wissen wir nicht, nur ungefähr. Wir haben hier fast zweieinhalb Stunden gewartet.“

Dann warf er den Motor an und die beiden verschwanden aus ihrem Sichtfeld in die Dunkelheit.

Was für seltsame Dinge am späten Abend manchmal geschahen.

Gleich am nächsten Morgen wagte Sakura die Konfrontation mit ihrer Tante, schliesslich gab es keine Zeit zu verlieren. Sie erwartete keineswegs eine positive Reaktion, eher das genaue Gegenteil, aber zu ihrer Überraschung blieb Tsunade erneut erstaunlich ruhig.

„Und Naruto hat da eingewilligt?“

Sakura nickte. „Wohl, weil er auch alles tun würde, um seiner Gang zu helfen.“

„Hm, ich sehe das. Sakura, ich bin weder deine Mutter noch habe ich sonst irgendein Recht, dir zu sagen, was du tun sollst. Eigentlich bin ich überhaupt kein Fan dieser Idee, das wird dir klar sein. Aber ich vertraue Narutos und einem Urteil, deshalb werde ich dir nicht im Weg stehen.“

Sakura sagte nichts mehr und fiel ihrer Tante um den Hals. „Danke, Tsunade. Ich glaube, dass ich das tun muss.“

Tsunade streichelte ihr durchs Haar. „Aber schreib mir jeden Tag eine SMS, ja? Ich will wissen, dass du wohlauf bist. Und länger als eine Woche wirst du dort nicht bleiben, zumal die Schulferien dann auch zu Ende sind.“

Als Sakura weg war, um im HQ Naruto zu informieren, musste sich Tsunade erst einmal setzen. In ihr sträubte zwar sich alles mit aller Kraft dagegen, Sakura in diese Taka-Höhle gehen zu lassen, aber ihr war genauso gut bewusst, dass sie ihr nichts Gutes tun würde, wenn sie es verbot.

Sakura musste ihre eigenen Entscheidungen treffen und auch die Folgen davon tragen, selbst wenn sie sich als falsch entpuppen würden.
 

Die Blicke waren eindeutig und sie hasste es. Gerade fühlte es sich an wie damals, als ihre Gang sie wegen Sasuke so komisch behandelt hatte und die Einsamkeit ein stetig unangenehmer Begleiter für sie gewesen war. Aber ihre Entscheidung war getroffen und Konan hatte sie bereits auf dem Weg hierher per SMS über die Sachlage informiert. Noch heute Abend würde sie im HQ der Takas sein.

„Bist du dir da auch ganz sicher?“, fragte Tenten vorsichtig. Klar, für sie musste sie sich schon wieder anhören wie ein naives, kleines und wahrscheinlich auch noch verliebtes Mädchen, aber Sakura war das vollkommen ernst, deshalb nickte sie zur Antwort nur deutlich.

Glücklicherweise stiess daraufhin endlich Naruto zu der Versammlung hinzu. „Hört auf, sie zu löchern. Ich find‘s auch nicht gerade gut, was ich aber sagen kann ist, dass ihnen der Krach mit uns im Moment links und rechts am Arsch vorbeigeht. Wenn ihr es euch genau überlegt, dann machen solche Tricks gerade jetzt sowieso wenig Sinn. Die Takas brauchen uns schliesslich genauso wie wir sie, um mit diesen Riots fertig zu werden.“

Die anderen konnten daraufhin zwar nichts erwidern, aber das zu akzeptieren und einzusehen war nicht dasselbe. Es war eigentlich auch nicht elementar, dass ihre Gang damit einverstanden war. Die Entscheidung war sowieso schon gefallen, jedoch legte Sakura Wert darauf, was ihre Freunde davon hielten. Aber sich in dieser Sache Zustimmung zu erhoffen, war wohl genauso blöd wie in der Wüste auf Regen zu warten. Und das tat trotz ihrer Überzeugung weh.

„Egal was du machst, Cherry, zögere nicht, uns anzurufen wenn diese Typen dich mies behandeln oder was auch immer. Aber ich habe überhaupt keinen Zweifel daran, dass du das kannst. Die Takas können sich ruhig mal geehrt fühlen.“ Lee hielt ihr seinen erhobenen Daumen entgegen und grinste breit. „Na los, Leute! Einer unserer Füchse geht auf Mission! Wünscht ihr Glück!“ Lees Worte und die darauffolgende Reaktion der anderen Balsam für ihre Seele – sie lächelten. Keineswegs gekünstelt, sondern richtig echt.

Es waren die letzten Zweifel an ihrer Aktion, die sich gerade jetzt im Eiltempo aus dem Staub machten und in ihr eine gesunde Zuversicht weckten. Ihre Gang war vielleicht nicht begeistert von der Idee, aber sie standen hinter ihr. Am liebsten hätte sie Lee vor Freude einen Kuss auf die Wange gedrückt.

„Danke, ich muss jetzt los, lass aber bestimmt etwas von mir hören!“

Und damit verliess die Füchsin ihren Bau für eine ganze Weile, um sich erneut in die Höhle der Schlange zu begeben.

Sakura verliess den Wohnblock so rasch wie möglich, da sie Tsunade nicht mehr allzu lange sehen wollte. Ihre Tante stresste das Ganze sehr, weshalb sie es ihr erleichterten wollte, so gut es auch nur ging.

Es war gegen halb acht und bei sich trug sie ihre allergrösste Handtasche, die alles beinhaltete, was sie für die nächste Woche brauchte. Sie hatte sich auf das Nötigste beschränkt, es sollte ja nicht so aussehen, als ob sie bei den Takas Ferien machen wollte.

Es waren wieder Pain und Konan, die sie an der Treppe zur U-Bahn-Station abholten. Konan fuhr heute anscheinend selbst.

„Ich wäre froh, wenn du bei Yahiko mitfahren könntest, Sakura. Ich bin nicht allzu erprobt mit Beifahrern und eigentlich fahre ich auch selten Motorrad“, meinte sie nachdem sie sich begrüsst hatten.

„Kein Problem.“ Es war ihr zwar nicht ganz wohl dabei, hinter Yahiko aufzusteigen, aber die gute Konan sah immer noch so fertig aus, dass sie auf solche Aufstände verzichtete. Würde sie wohl auch nicht tun, wenn es Konan blendend ginge. Es musste schrecklich für die Arme sein. Soweit sich Sakura erinnern konnte, war Konan immer Itachis Beifahrerin gewesen. Könnte sie ihr doch nur irgendwie helfen.

Kurzentschlossen schwang sie sich hinter Pain auf dessen Maschine, welcher sich umdrehte und ihr die Augen mit einem Tuch verband. Schlimmer als mit Hidan oder Deidara konnte diese Fahrt sowieso nicht werden. Im Gegensatz zu denen war Pain einer, der nicht so offensichtlich klarmachte, wie sehr es ihm der nahe Körperkontakt gefiel.

Ihr Fahrer schien es zu ihrer Erleichterung nicht wirklich zu kratzen, wer denn da jetzt hinten drauf saß. Gut so.

Ihr Ziel war das nun Taka-HQ in der Hoffnung, irgendetwas für die Gang und vor allem für ihren frischgebackenen Leader tun zu können. Als sie losbrausten und Sakura sich im Geiste lobend auf die Schulter klopfte, weil sie sich nach langem hin- und herüberlegen doch für die dicken, gefütterten Handschuhe entschieden hatte, drifteten ihre Gedanken schnurstracks zu dem ab, was bevorstand.

Wie genau stellte sie sich das eigentlich vor? Mal so schnell ins Taka-HQ reinschneien mit den Worten „Hallöchen, lang nicht mehr gesehen, wie geht’s?“

Also bitte. Was genau würde sie denn eigentlich machen? Schwierig. Vielleicht sollte sie zuerst einmal checken, wie die Lage bei den Takas denn effektiv war. Wie auch immer, sie war laut Konan da, um Sasuke irgendwie zu helfen, fragte sich nur wie. Super, das hatte sie sich natürlich nicht vorher überlegt. Aber vielleicht war das wiederum auch besser so, denn erfahrungsgemäss waren intuitive Handlungen sowieso die besten.

Anscheinend herrschte dichter Verkehr auf den Strassen, da Pain oftmals zum Stehen kam und die vielen Autos hier nicht zu überhören waren. Die Fahrt verlief erst flüssiger, als sie sich auf einer Umfahrung befanden, so vermutete das jedenfalls Sakura. Höchstwahrscheinlich die Nordumfahrung.

Ungefähr zwanzig Minuten später bremste Pain abermals ab und sie vernahm das Geräusch von einem elektrischen Tor, welches sich öffnete. Das musste das Garagentor des HQs sein.

Sie fuhren die Senkung hinunter und wie erwartet spürte sie die etwas wärmere Luft hier im Keller des Gebäudes in ihrem Gesicht, worauf Pain seine Maschine zum Stehen brachte und den Motor ausschaltete.

Sakura entfernte die Augenbinde ohne Aufforderung, schliesslich waren sie ja jetzt da. Hinter dem schwarzen Tuch kam ein ziemlich vertrauter Raum zum Vorschein, nämlich die alte Werkstatt, die den Takas als Garage und im hinteren Teil als Trainingsraum diente.

In der Ecke standen immer noch die zwei lädierten Stoffpuppen, welche wohl schon ziemlich lange als Ziel für Wurfmesser und Schusswaffen dienten.

Die Staubschicht auf dem herumliegenden Gerümpel war unverändert dick geblieben, nur die Werkbank an der Wand schien ab und zu mal abgestaubt worden zu sein. Wurde anscheinend auch noch für Reparaturen und Anderweitiges gebraucht, den herumliegenden Schraubenschlüsseln und Leimtuben nach zu urteilen.

Ausser ihnen hielt sich hier niemand auf. Ein komischer Anblick, da sie das letzte Mal, bei vor dem dritten Battle und der Geiselrückgabe nahezu überfüllt gewesen war. Aber jetzt? Noch nie hatte sie diese Garage so leer gesehen.

Nun war sie ja mal gespannt, was sie da oben erwartete.

„Alles klar, Sakura?“ Konan strich sich ihre, vom Fahrtwind zerzausten Haare zurecht.

Die Angesprochene nickte. „Alles okay.“

„Gut.“ Konan brachte ein schwaches Lächeln zu Stande. „Dann lass uns hoch gehen. Bitte nimm es einfach nicht ernst wenn Karin wieder ihre Giftpfeile in deine Richtung abschiesst. Sie ist eine der wenigen, die meine Idee nicht befürwortet hat. Das konntest du dir wahrscheinlich bereits denken.“

Natürlich hatte sich Sakura bereits innig Gedanken über Karin, den Taka-Schreck, gemacht und sich überlegt, wie sie damit umgehen sollte. Sniper hatte das unangenehme Talent, sie mit ihren Attacken genau dorthin zu treffen, wo es am meisten wehtat. Ob es wirklich eine Strategie gab, damit irgendwie umzugehen, hatte sie leider nicht herausgefunden, aber das würde sich hoffentlich noch zeigen.

„Ich gebe mein Bestes“, erwiderte sie so unbeschwert wie möglich. Unter keinen Umständen, wollte sie Konan noch mehr Sorgen bereiten, als sie ohnehin schon mit sich herumtrug.

Gemeinsam verliessen sie die Garage durch den etwas düsteren Gang und erklommen die Treppe ins Erdgeschoss.

Dort schien alles unverändert. Der Eingangsbereich sah nach wie vor verlassen, schmutzig und unordentlich aus, so wie es nun mal sein musste. Bei genauerem Hinsehen erkannte sie, dass der Haupteingang, ein hölzernes Tor, verrammelt war.

Da sie aber in die entgegengesetzte Richtung gingen, blieb ihr nicht mehr länger Zeit das alles hier zu begutachten. Vor der Tür zum Aufenthaltsraum der Takas blieben sie stehen. Was würde sie da drin nun erwarten?

„Bist du soweit, Sakura?“, fragte Konan mit einem prüfenden Blick in ihre Richtung und sie nickte nach wie vor überzeugt. Jedoch platze sie innerlich fast vor Nervosität.

Morgendämmerung in der Schlangenhöhle

Ruckartig stiess Pain die grosse Tür auf und gab den Blick auf den Raum vor ihnen frei. Bereits in diesem einen Moment wurde Sakura bewusst dass hier ganz und gar nicht mehr alles so lief, wie es vor nicht allzu langer Zeit zu tun gepflegt hatte.

Zuerst einmal: Wo war denn der ohrenbetäubend laute Sound abgeblieben?

Gut, das hätte sie sich auch schon vor der Tür fragen können. Jedenfalls befand sich der selbsternannte Gang-DJ Suigetsu nicht auf seinem Posten bei der Bar-Theke. Stattdessen war dort nur gähnende Leere vorzufinden.

Ihr Blick schweifte sofort in die andere Richtung, zu den Sofas. Dort erhob sich gerade der blonde Deidara gähnend von der Couch und rieb sich verschlafen die Müdigkeit aus den Augen. Aber es war doch nicht so spät, dass ein nahezu nachtaktiver Mensch wie Womanizer sich einfach so am frühen Abend bereits aufs Ohr haute?

„Cherry Blossom?“ Er legte den Kopf schräg und gähnte dazu noch einmal herzhaft. „Wieder da, was?“

Sakura beschloss, einfach mal mit einem Lächeln zu reagieren und die Schnarchnase zu begrüssen, auch wenn sich das Ganze irgendwie etwas komisch anfühlte. „Hi. Lange nicht mehr gesehen.“

Wenigstens schien Konan schon Einige darüber unterrichtet zu haben, dass sie ihnen hier in den nächsten Tagen Gesellschaft leistete. Ob das auch für Sasuke galt?

Wohl eher nicht. Sie konnte sich kaum vorstellen, dass er damit einfach einverstanden gewesen wäre. Da meldete sich nämlich sein Stolz zu Wort, von dem er eine ganze Menge besass. Er, Demon Eye, der Leader der Takas brauchte keine Gesellschaft von einem Mädchen und schon gar keine Hilfe. Schliesslich hatte er auch die harten Zeiten auf der Strasse überlebt. Warum also sollte er Hilfe benötigen?

„Kommt mir vor wie ‘ne Ewigkeit. Dass du auch freiwillig hierher kommst…also nicht, dass es mich stört“, meinte der blonde Taka rau, drehte daraufhin sein Gesicht aber rasch von ihr weg. Zu spät für Sakura, denn sie hatte längst die dunklen Ringe unter seinen Augen und sein bleiches Gesicht ausmachen können. Er löste in ihr überhaupt kein Unbehagen oder gar Furcht aus, wie beim letzten Mal. Nein, diesmal… diesmal war er einfach nicht besonders zum Fürchten. Seine Aura war vor all dem viel einschüchternder und dominanter gewesen, als es jetzt der Fall war. Wo war denn Womanizer, der blonde Frauenheld abgeblieben? Fast schon vermisste sie sein anzügliches Grinsen und seine frechen Sprüche, obwohl sie nie ein Fan davon gewesen war.

Jetzt zündete er sich grummelnd eine Zigarette an und zog einmal kräftig. Es gelang ihm tatsächlich, ein bisschen von seiner sonst so unnahbaren und coolen Attitüde an den Tag zu legen, jedoch war das kaum der Deidara, den sie kannte.

Gangmitglieder waren meist nicht die schlechtesten Schauspieler, was ihre Gefühle betraf, aber ihm gelang es beim besten Willen nicht, so zu tun als wäre alles in Butter. Nicht, dass sie es ihm verübeln konnte, aber ungewohnt war es doch definitiv.

Langsam wurde ihm die Sache hier wohl zu prekär, jetzt verzog er sich nämlich hinter die Bar, wo Pain sich bereits am Kühlschrank bedient hatte und ihm nun ebenfalls eine Flasche Bier entgegenstreckte.

„Mach zwei draus“, brummte Deidara, worauf Pain nur den Kopf schüttelte, aber so ausdrucksneutral wie immer blieb.

„Ich möchte ja auf keinen Fall mit deiner Leber tauschen.“

„Meine Leber kann mich mal.“ Mit diesen Worten verschwand der sonst so lebhafte Taka durch die zweite Tür, die zum eigentlichen bewohnten Teil des HQs führte, aus dem Aufenthaltsraum.

„Ich hoffe, du nimmst ihm das nicht übel“, sagte Konan vorsichtig hinter ihr und Sakura schüttelte den Kopf. „Aber nein.“

„Du wirst schnell merken, dass die Nerven gerade so ziemlich bei allen blank liegen. Selbst bei denen, von denen du es nicht für möglich gehalten hättest.“ Sie seufzte und Sakura wünschte sich einmal mehr, dass sie etwas hätte für sie tun können.

„Komm, ich zeig dir, wo du schlafen kannst.“

Konan führte sie dort aus dem Aufenthaltsraum heraus, wo Deidara vorhin verschwunden war. Auf dem Gang war es kühl, zwar nicht so kalt wie draussen, jedoch liessen die alten Mauern und die schlechten Fensterdichtungen schon einen frischen Luftzug eindringen. Im Kurama –HQ war das nicht anders, jedoch hatten sie es geschafft, für die Zimmer und den Aufenthaltsraum, sowie den Krankentrakt die Heizung in Gang zu bringen. Sie vermutete, dass die Takas es ähnlich arrangiert hatten.

Konan schlug eine ihr ziemlich bekannte Richtung ein, an dem Frauenduschraum und der Treppe zum Untergeschoss vorbei. Ihr Verdacht bestätigte sich, als sie vor den Käfigen Halt machten und sie musste unwillkürlich grinsen.

Ihre Begleiterin bemerkte das natürlich und lächelte ebenfalls. „Tut mir leid, wir haben leider keine anderen Räume für Frauen. Und dass du mit Karin in einem Raum schlafen willst, das bezweifle ich.“

Mit einem Ruck stiess sie die Tür auf und Sakura schoss sofort wieder durch den Kopf, wie viel Mühen ihr das bei ihrem letzten „Besuch“ im HQ bereitet hatte. Konan schien darin um einiges erprobter zu sein.

„Schau, ich habe wirklich versucht, den Käfig so umzugestalten, dass er eben gerade nicht wie einer wirkt. Die Gitterstäbe vor dem Fenster konnte ich leider nicht demontieren.“

Tatsächlich hatte sich Konan grösste Mühe gegeben, den ungemütlichen Käfig so angenehm wie möglich zu gestalten.

Auf ihrer ach so geliebten Rückenbrecher-Liege, die sie noch bestens in Erinnerung hatte, war nun eine etwas dickere Matratze platziert, mehrere Kissen standen ihr zur Verfügung und für zwei anständige Wolldecken war gesorgt.

„Es ist wirklich enorm zweckmässig und das tut mir leid. Und dass es hier drin tagsüber so düster ist konnte ich leider auch nicht ändern. Ich hoffe, du kommst so zurecht, wie es ist, sonst kannst du dich selbstverständlich bei mir melden.“

Sakura lächelte Konan warm an.  „Es ist wirklich toll, Konan, danke. Aber du solltest jetzt erst einmal ein bisschen zu dir schauen, weisst du…“

Sie besass bestimmt nicht die Frechheit, hier auch noch Ansprüche zu äussern. Zudem war sie wirklich zufrieden so, mehr brauchte sie ja auch nicht, schliesslich war sie hier nicht in den Ferien.

Konan schüttelte den Kopf und lächelte etwas gezwungen, jedoch war die Bitterkeit deutlich aus ihrer Stimme herauszuhören. „Ich brauche Ablenkung… sonst werde ich in naher Zukunft noch  die Wände hochgehen.“

Das wiederum verstand Sakura auch. Sich vorzustellen, wie Konan sich nach dem Tod ihres geliebten Freundes fühlen musste, war für sie ein Ding der Unmöglichkeit. Solchen Schmerz musste man selbst erleben, um zu wissen, wie er sich anfühlte. Die beiden schienen eine ganz besondere Vergangenheit geteilt zu haben und zu gerne hätte Sakura auch gewusst, was sich zwischen ihnen so alles abgespielt hatte. Aber da musste sie wohl noch einen Moment warten. Das Thema war definitiv zu heikel, um Konan jetzt damit zu konfrontieren.

„Sakura, noch wegen Sasuke… ich habe ihm noch nichts von dir erzählt, ansonsten hätte er sich bestimmt vehement dagegen gewehrt, dass du kommst. Das hat nichts damit zu tun, dass er dich nicht sehen will. Aber er hat nun mal seine Würde und die will er nicht einbüssen. Das ist so typisch Uchiha, weisst du, wie Itachi…“ Natürlich stockte sie in dem Augenblick, als sie seinen Namen aussprach. Es war ihr förmlich anzusehen, wie gewaltsam sie die aufkommenden Gefühle zurück in ihr Herz drängte und dann tief durchatmete.

„Sag mal, hast du Hunger? Wir haben sicher noch irgendetwas für dich da“, fragte sie. Sakura war klar, dass sie sofort das Thema ändern wollte.

„Ich könnte etwas vertragen.“ Sakura ging sofort auf sie ein, zudem hatte sie wirklich ziemlichen Hunger, da sie vor lauter Packen und Duschen nicht mehr zum Essen gekommen war.

„Na dann, komm mit“, wies Konan sie mit einer einladenden Geste an, jedoch war ihr anzusehen, dass ihr Lächeln für sie der reinste Kampf war.

Unterwegs zum Aufenthaltsraum liess Sakura ihren Blick nervös nach links und rechts schweifen. Zum einen suchte sie nach Sasuke, auch wenn sie sich fragte, wie sie ihm denn genau gegenübertreten sollte. Wie standen sie denn überhaupt zueinander?

Und zum anderen hatte sie panische Angst vor der roten Zora, alias Karin oder auch Sniper. Die giftige Zunge und der abwertende Blick dieser Frau waren einfach nur zum Davonlaufen, anders konnte sie es nicht ausdrücken.

Schliesslich war Sakura ein Eindringling hier, der alles durcheinander brachte und ihr ohnehin noch in ihrem Kampf um Sasuke vermeintlich Konkurrenz machte. Dabei kämpfte Sakura überhaupt nicht um Sasuke, jedoch sah Karin das völlig anders.

Glücklicherweise war sie weder auf dem Gang anzutreffen, noch im Aufenthaltsraum sie vorzufinden. Dafür hatten sich dort überraschenderweise aber einige andere eingefunden, die sie beim Eintreten ausgiebig musterten. Neben Juugo und Suigetsu erkannte sie Zetsu, Shion, Hotaru, Sasori. Warum das wohl so schnell gegangen war?

Nun gut, dass sie hier angekommen war bedeutete eine Veränderung, vielleicht keine grosse, aber sie konnte sich vorstellen, dass man in einem Zustand wie ihrem nur darauf wartete, dass etwas passierte. Irgendwas, was einen ablenkte von all dem Mist.

Dass sie heute die Hauptattraktion darstellte war keine Frage, jedoch kümmerte es sie wenig. Besonders als sie Notiz davon nahm, wie fertig jeder aussah. Wieder die dunklen Ringe unter den Augen, die müden Gesichter. Die Mädchen hatten sich nicht einmal ein bisschen geschminkt und das war für Taka-Frauen etwas ziemlich Merkwürdiges.

Die Musik blieb nach wie vor aus und nach kurzer Zeit wandten die Takas ihre Blicke wieder von ihr ab und widmeten sich ihren Tätigkeiten. Darunter ging fernsehen, trinken, schlafen. Hotaru las ein Buch, Shion tippte auf ihrem Handy herum.

„Juugo, hast du noch was Essbares da für Sakura da?“

Der Taka nickte und grinste müde. Sie gaben sich wirklich alle Mühe, freundlich zu Sakura zu sein. Er verschwand in der Abstellkammer und kam kurz darauf mit etwas Brot und Cola zurück. „Sorry, unsere Vorräte sehen miserabel aus.“

„Das ist okay, vielen Dank“, meinte sie freundlich. Nein, ihre Ansprüche sollten hier jetzt kein Problem darstellen.

Sie wünschte sich vielmehr, sie hätte irgendetwas gegen die gegenwärtige, miserable Stimmung hier tun können. Aber was konnte sie schon ausrichten? Ihr Leader lebte noch, also hatte sie auch keine Ahnung, wie es sich anfühlte, ihn zu verlieren.

Nicht, dass sie es herauszufinden wollte.
 

Gegen zehn Uhr war es im Taka-HQ bereits ziemlich still. Das hiess, noch stiller als es ohnehin schon die ganze Zeit gewesen war. Die meisten hatten sich entweder in ihre Zimmer verzogen oder waren unterwegs zur DDM. Es gab viel Mist, den man im Alkohol ertränken konnte, auch wenn das Sakuras Ansicht nach natürlich nicht unbedingt die optimale Lösung für das Problem war.

Den Anruf an die Kuramas hatte sie längst getätigt und sie war heilfroh, dass sich ihre Freunde trotz ihrer Besorgnis Mühe gaben, am Handy neutral und vor allem normal zu klingen.

Sasuke war nach wie vor nicht aufgetaucht, dabei hätte sie so gerne gewusst, wie es ihm ging und vor allem, wie er auf sie reagieren würde. Irgendwie fühlte es sich an, als ob sie den Abend auf dem Friedhof nur geträumt hatte. Wenn sie daran zurückdachte, war alles ein wenig verschwommen und irgendwie unwirklich, jedoch nicht weniger wertvoll.

Wie auch immer, sie wägte sich also aufgrund des mehrheitlich ruhigen HQs ziemlich in Sicherheit, als sie noch einmal den Gang entlang schlenderte und nach Konan suchte. Die Taka hatte irgendwie ihren silbernen Ohrstecker bei ihr im Zimmer verloren und den wollte sie ihr noch schnell bringen, bevor auch sie sich schlafen legte.

Ehrlichgesagt wusste sie nicht genau, wo Konans Zimmer lag, deshalb spähte sie zuerst vorsichtig in den Aufenthaltsraum hinein. Dort war zwar niemand,  aber sie konnte den Ohrstecker ja zu Konans Buch legen, welches in der hinteren rechten Ecke auf einem Regal lag. So würde sie ihn auf jeden Fall finden.

Als sie sich umdrehte erschrak sie so sehr, dass sie zurücktaumelte und auch noch hinfiel. Himmelherrgott, warum hatte sie denn das Licht nicht eingeschaltet? Sie hatte zwar genug gesehen, um durch den Raum zu gelangen ohne zu stolpern, aber ihn hatte sie nicht gesehen.

Und nun sass sie da, auf dem Hosenboden, immer noch leicht zitternd und mit allerhöchster Wahrscheinlichkeit puterrot im Gesicht, darauf hoffend, dass sie sich das alles nur einbildete.

Aber nichts da. Dort auf dem Sofa sass er, in Fleisch und Blut, total echt und nicht im Mindesten eine Einbildung, Sasuke. Heilige Scheisse.

„Tut… tut mir leid, ich…“ Konnte man sich eigentlich noch blöder ausdrücken? Aber was sollte sie ihm denn auch sagen?

„Was machst du hier?“ Zu ihrer Erleichterung klang er weder kalt noch wütend. Ja, er fragte das irgendwie so sachlich, dass es fast unheimlich war. Eigentlich sollte er doch ziemlich überrascht sein? Schneite ja nicht jeden Tag eine Kurama ins Taka-HQ.

„Konan hat mich gebeten… naja, hierher zu kommen…“

Seine Silhouette im Mondlicht, welches von draussen durch die trüben Fenster drang, bewegte sich kaum. Hastig erhob sie sich und klopfte sich den Staub aus den Kleidern.

„Und da bist du einfach so auf Bitte einer Taka ins HQ des Feindes spaziert?“

In seinen Ohren musste sie sich anhören wie ein kleines naives Mädchen, welches ohne weiteres bei einer fremden Person ins Auto stieg. Aber eigentlich war es ja auch verrückt, was sie da tat.

„So ungefähr?“ Inzwischen hatte er wohl jegliche noch verbliebene Achtung vor ihr verloren, so dämlich musste sie sich aufführen. Jedoch rief sie sich in Erinnerung, dass sie nicht hier war, um sich über ihre eigene Naivität zu ärgern. Es gab ja einen Grund, weshalb sie hier war.

Er rauchte. Der glühende Zigarettenstummel war das Einzige, was sie wirklich von ihm ausmachen konnte. Sie mochte es überhaupt nicht, wenn man in ihrer Gegenwart rauchte, aber sie konnte ihm wohl schlecht in seinen eigenen vier Wänden sagen, was er zu tun und zu lassen hatte. Aber irgendwie konnte sie es dann trotzdem nicht lassen.

„Du solltest nicht rauchen.“

Zuerst kam kein Kommentar seinerseits. Gerade schon wollte sie die Hoffnung aufgeben, dass er überhaupt noch irgendeinen Ton von sich gab, jedoch belehrte er sie, wie schon so oft eines Besseren. Es war schon beeindruckend, wie undurchschaubar er war.

„Ich weiss.“ Er rauchte weiter.

Sakura war so hibbelig, dass sie am liebsten aufgesprungen wäre und ihn in den Arm genommen hätte. Sie konnte förmlich fühlen, wie er seine angestaute Wut, die Trauer und den Verlust einfach so in sich hineinfrass, gegen aussen scheinbar völlig kalt und unnahbar. Aber ihn zu umarmen, das wäre zu viel des Guten. Nein, das würde definitiv nicht gut ankommen.

Gerade jetzt musste sie stark sein und beweisen, dass sie wenigstens reif genug war, für den Moment richtige Entscheidungen zu treffen. „Ich gehe jetzt schlafen. Tut mir leid für die Störung… und gute Nacht, Sasuke.“ Schnell steuerte sie die Tür, durch die sie gekommen war an und verliess den Raum. Es brachte absolut nichts, wenn sie ihn jetzt mit Fragen löcherte oder auf eine andere Art versuchte, an ihn heran zu kommen. Der Moment war vollkommen unpassend, kein Vergleich zu diesem Abend auf dem Friedhof. Er war überhaupt nicht zum Reden aufgelegt.

Als sie schon fast zur Tür hinaus war, hörte sie ihn noch leise etwas murmeln, das er wohl mehr zu sich selbst sagte.

„Willkommen in der Hölle, Cherry Blossom.“
 

Wenige Minuten später sass sie in ihrem Käfig auf dem Bett, während sie verbissen versuchte, irgendeine bescheuerte algebraische Bruchrechnung mit gefühlt tausend Klammern und nicht weniger Potenzen zu lösen. Wer zum Geier erfand denn solchen Blödsinn?

Natürlich konnte sie die Rechnung nicht lösen, sie kam partout nicht auf das richtige Resultat, sodass sie nach einiger Zeit das Mathebuch in die Ecke pfefferte. Schuld an ihrer nicht vorhandenen Konzentration waren natürlich nicht nur diese elenden Rechnungen. Der Hauptgrund war wohl Sasuke. Immer und immer wieder Sasuke.

Geistesgegenwärtig nahm sie den Roman zur Hand, den sie hierher mitgeschleppt hatte, wenigstens der konnte sie ein wenig von dem frischgebackenen Taka-Leader ablenken.

Es war schon gegen Mitternacht, als sie auch dieses Buch weglegte und beschloss, mal vorsichtig ins Bad zu gehen. Die Wahrscheinlichkeit, dass dort zu dieser späten Stunde niemand anzutreffen war, war gross.

Ihre Hoffnungen erfüllten sich voll und ganz, so war in der Frauendusche keine Menschenseele anzutreffen. Sie putze sich rasch die Zähne wusch sich das Gesicht mit etwas Wasser, nur um dann so schnell wie möglich wieder zu verschwinden. Auf keinen Fall wollte sie es riskieren, Karin oder Shion alleine über den Weg zu laufen.

Als sie etwa zehn Minuten später wieder auf den Gang trat, vernahm sie vom Aufenthaltsraum her Geräusche, die sich bei genauerem Hinhören als Klaviertöne entpuppten. Der einzige Gedanke, der in ihrem Kopf nun wie eine Leuchtreklame aufblinkte war: Sasuke. Er spielte Klavier? Musste ihm das denn nicht schändlich wehtun, weil er diese vertrauten Töne bestimmt mit Itachi verknüpfte? Er hatte ihr doch vor langer Zeit mal erzählt, dass sie früher zu Hause ein Klavier gehabt hatten und Itachi ihm das Spielen beigebracht hatte.

Ihre Neugier war nun zu stark, als dass sie sich einfach hätte abwenden und seelenruhig schlafen gehen hätte können. Sie musste sehen, ob es tatsächlich er war, der spielte. Nun gut, wer denn sonst?

Natürlich blieb sie auf dem Weg zum Aufenthaltsraum auf der Hut, da sie sich kaum vorstellen konnte, dass jeder schon tief und fest schlief.

Als sie die angelehnte Flügeltür erreichte, schlich sie sich leise heran und spähte durch den Spalt. Ihr Herz raste schon wieder.

Was sie sah jedoch, löste in ihr alles andere als ein Herzhüpfen aus. Am Klavier sass nicht Sasuke, nein. Jeder verdammte Taka aus diesem HQ hätte es sein können und es wäre ihr egal gewesen, aber jetzt spielte da doch tatsächlich die rote Zora höchstpersönlich.

Für sie war es wie ein Schlag ins Gesicht, als sie auch Sasuke wahrnahm, der auf dem Sofa sass, während er den Kopf in den Nacken gelegt hatte und lauschte.

Es brannte nur die verstaubte Lampe auf dem einst ebenso verstaubten Klavier, welches sie beim letzten Mal geputzt hatte. Sie hatten es anscheinend wieder in Betrieb genommen und gestimmt.

Die konnte Klavier spielen? In Sakura Brust sammelten sich unangenehme Gefühle. Ja, auch sie hatte es vor langer Zeit mal mit dem Klavier versucht, jedoch hatte das bei ihr einfach nicht geklappt und irgendwann hatte sie es hingeschmissen. Und ausgerechnet Karin konnte das?

„Du musst etwas länger auf dem linken Pedal aushalten“, hörte sie Sasuke plötzlich sagen. Seine Stimme klang müde. Dumpf. Genau wie vorhin.

Aber er redete. Ja eigentlich hätte sie das jetzt freuen sollen, aber der Fakt, dass es diese blöde Karin sein musste, die ihn dazu brachte, liess alle Freude wieder hinfällig werden.

„Du meinst so?“ Karin spielte den Part noch einmal und Sasuke nickte daraufhin. „Jap.“

Er nahm einen Schluck aus einer Flasche, aber Sakura konnte nicht erkennen, was es war.

„Bist du eigentlich noch jobben gegangen, in letzter Zeit? Oder haben sie dich rausgeschmissen?“, fragte Karin nach einer längeren Sprechpause, während sie auf den Tasten herum klimperte. Ihre Worte klangen beiläufig und selbst Sakura erkannte, dass sie Sasuke aus dem Schweigen herausholen wollte, in das er sich dauernd hüllte.

„Nee. Kennst Hayate ja.“

„Der Inhaber der Werkstatt? Ist das der, der andauernd so muffig drauf ist?“

Er nickte.

Sakura hatte gar nicht gewusst, dass Sasuke auch jobbte, aber bei genauerem Überlegen stellte sie fest, dass sie sich das ja hätte denken können. So ziemlich jedes Gangmitglied musste irgendwie seine Brötchen verdienen, die Gang beherbergte niemanden einfach so. Jeder musste selbst dafür sorgen, dass er zu seinem Zeug kam. Aber er hatte ihr das ja gar nie erzählt…

„Mhm.“ Er nahm noch einen Schluck aus der Flasche.

Karin lachte trocken. „Typisch. War ja klar, dass der dich nicht rauswerfen würde, ohne dich wäre der doch sowieso komplett aufgeschmissen. Du machst ja manchmal fast mehr dort, als er.“

Was das wohl für eine Werkstatt war, in der er arbeitete?

Irgendwie versetzte es ihr einen fiesen Stich, zu merken wie viel Karin über ihn wusste und vor allem, dass er mit ihr redete! Das hatte er bei ihr vorhin zwar auch getan, aber irgendwie klang er bei ihr nicht ganz so kalt und war irgendwie…redseliger, wenn man das überhaupt auch nur im Ansatz so bezeichnen konnte. Das machte sie traurig. Auf eine gewisse Art und Weise schienen sich die beiden schon gut leiden zu können. Das war ihr ja schon öfters aufgefallen.

Karin spielte wieder ein paar Akkorde.

„Mach ‘ne längere Pause zwischen den letzten zweien“, wies er sie an. Karin tat wie geheissen und er hatte Recht. Er schien das genau im Gefühl zu haben.

„Wenn man dazu noch singt hat man sonst zu wenig Zeit, was?“

Er nickte erneut.

„Du solltest mal mit mir rauskommen. Wir würden allen anderen im City Park die Show stehlen.“

Was sollte das denn jetzt heissen? Im Park den anderen die Show stehlen?

„Du musst länger warten, Sniper. Stress nicht so durch das Stück.“ Er ging nicht auf ihren Vorschlag ein.

„Noch langsamer? Da pennen ja die Leute weg, bevor das Lied zu Ende ist.“

Es war der Moment in dem sich Sasuke von Sofa erhob und sie bestimmt vom Klavier zur Seite schob. Karin blieb trotzig auf dem Hocker davor sitzen und verschränkte die Arme. Sasuke seinerseits beugte sich einfach zu den Tasten vor und spielte das Ende des Liedes selbst noch einmal, jedoch deutlich langsamer als Karin. Und er hatte wiederum Recht! So wie er es spielte klang es einfach… richtig gut.

„Schon gut, schon gut, ich weiss jetzt wie du meinst.“ Karin hob beschwichtigend die Hände. Er beendete sein Spiel und liess sich danach wieder auf die Couch sinken. Karin versuchte es erneut und nun brachte sie es tatsächlich genauso hin, wie Sasuke es ihr vorgemacht hatte.

„Aber nochmal zu vorhin: Würdest du nicht mitmachen? Ich weiss, man verdient nicht besonders viel, aber immerhin macht es Spass und man muss nebenbei weniger arbeiten.“ Karin hörte sich in diesem Moment schon fast nett an. Bei ihm schien sie viel weniger zickig zu sein und das wiederum, nagte an Sakura.

„Ich spiele nicht auf die Strasse, Sniper“, brummte er nur abweisend.

Karin seufzte. „Na dann eben nicht. Aber lass es mich wissen, wenn du es dir trotzdem noch anders überlegst, zu zweit könnten echt ‘ne ziemliche Menge Kohle machen.“

Wieder ein Nicken seinerseits, dann erhob er sich vom Sofa. „Ich geh‘ pennen.“

„Nacht“, meinte Karin noch in seine Richtung und widmete sich wieder dem Klavier.

Schlagartig wurde Sakura bewusst, dass er gerade exakt auf sie zusteuerte und sie flüchtete sich so schnell sie konnte in den rechten Gang, wo sie ein Stück die Treppe zum Krankentrakt hinunter spurtete, damit er sie nicht sehen konnte.

Er schlug den Weg nach links ein und verschwand in der Dunkelheit. Erst als sie das Geräusch seiner zuschlagenden Zimmertür vernahm, traute sie sich, wieder hinauszukommen.

Aus dem Aufenthaltsraum war nach wie vor Karins Klavierspiel zu hören, aber das hatte für sie natürlich überhaupt keinen Anreiz mehr.

Im Bett dachte sie noch lange über ihre Beobachtung nach. Es war schwierig zu verstehen, wie Sasuke zu Karin stand. Schliesslich war er oft auch so grob und abweisend zu ihr und im nächsten Moment war sie es, die es schaffte ihn wenigstens ein ganz kleines bisschen aus der Versenkung zu holen.

Was machte sie denn bitte hier? Er hatte ja Karin!

Ihr war schon klar, warum sie so fühlte, aber es sich eingestehen war dann die Kehrseite der Medaille. Sie war eifersüchtig. Und zwar so was von. 
 

Sakura schlief in dieser Nacht schlecht. Das war oft so, wenn sie an fremden Orten war, zudem war die quietschende Liege natürlich nach wie vor nicht unbedingt das Gelbe vom Ei. Und dann kam da noch Klavier-Karin und an einen tiefen Schlaf war sowieso nicht mehr zu denken.

Als sie zum gefühlt hundertsten Mal erwachte, war es draussen noch ziemlich finster, ihr Wecker zeigte gerade mal zehn nach sieben. Gähnend setzte sie sich auf und rieb sie sich die Augen. Trotz dem wenigen Schlaf in der letzten Nacht, war sie hellwach. Die Liege hatte ihr Übriges getan und Sakura fühlte sich dementsprechend steif wie ein Brett.

Rasch schlüpfte sie aus ihren Schlafsachen in ihre Jeans und den schwarzen Strickpullover, den sie schon bei ihrer Ankunft hier getragen hatte.

Vielleicht konnte sie ja irgendjemandem etwas helfen? Und wenn noch niemand wach war, dann konnte sie sich noch einmal den Aufenthaltsraum vornehmen, welcher schon wieder ziemlich dringend eine Grundreinigung nötig hatte. Aber sie wollte etwas tun, denn gerade nach dem gestrigen Erlebten fühlte sie sich nutzloser denn je. Für irgendwas war sie schliesslich auch hierhergekommen, oder etwa nicht?

Nachdem sie sich also im Bad etwas zurechtgemacht hatte, machte sie sich auf den Weg in den Aufenthaltsraum. Es war Freitagmorgen und auch jetzt schien kaum jemand auf den Beinen zu sein. Sicherheitshalber öffnete sie die Tür zu dem grossen Raum erst vorsichtig und linste hinein, bevor sie eintrat. Das Erlebnis von gestern hatte sich mehr als nur in ihr Gedächtnis eingebrannt.

Jetzt, wo sie den ganzen Raum für sich hatte, sah sie sich erst einmal gründlich um. Soweit sie es nun bei Tageslicht erkennen konnte, hatte sich seit ihrem letzten Besuch nicht allzu viel verändert. Gut, die Staubschicht auf den Regalen und den kleinen Tischen war definitiv wieder dicker geworden, aber sie hatte auch nichts anderes erwartet.

Nur das imposante Schlangen-Graffiti an der Wand, zwischen zwei der riesigen Fenster, sah noch genauso meisterhaft furchteinflössend aus, wie sie es in Erinnerung hatte. Deidara hatte in diesem Kunstwerk wirklich ein Wahnsinns-Talent bewiesen.

Ein Blick auf das Klavier und die damit verbundenen Erinnerungen an gestern Abend genügten, damit ihre Stimmung in den Keller rasselte. Sasuke und Karin verband irgendetwas, was ihr Angst machte. Sie schienen sich näher zu stehen, als sie bisher geglaubt hatte und das tat ihr weh.

Am Boden lag wieder das altbekannte Getümmel von Bierflaschen, leeren Gläsern und sonstigem Kram, der achtlos einfach liegen gelassen worden war. Der Aschenbecher auf dem kleinen Tisch quoll vor lauter Zigarettenstummeln über, war dazu führte, dass sie neben dem Aschenbecher über den ganzen Tisch verteilt lagen. Dementsprechend war die Holzfläche auch voller Brandflecken, aber auch das war wohl nichts Neues.

Sie schnappte sich den Aschenbecher und leerte seinen Inhalt in den Abfalleimer hinter der Bar-Theke, dasselbe tat sie in einem zweiten Gang mit den übrigen Kippen. Die Bierflaschen sammelte sie ein und warf sie in einen ohnehin schon mit Flaschen gefüllten Plastiksack, den sie in der Abstellkammer hinter der Bar fand. 

Vertieft in ihre Gedanken an Sasuke und Karin, bemerkte sie nicht, wie sich nach einer Weile jemand zu ihr gesellte.

„Diesmal machst du das aber freiwillig, ja? Nicht dass du den Kuramas noch was Verkehrtes erzählst.“

Wie von der Tarantel gestochen fuhr Sakura herum und blickte in das Gesicht von Juugo, der gerade einige Einkaufstüten auf der Theke platzierte. „Himmel, hast du mich jetzt erschreckt!“

„Sorry.“ Er grinste ein wenig. „Danke fürs Aufräumen. Musst uns ja langsam für die grössten Chaoten halten.“

„Tu ich auch“, entgegnete sie frech, jedoch war ihr klar, dass die Kuramas keinen Deut besser waren, was das betraf. Nur gab es dort ab und zu gute Seelen, die aufräumten, aber in Sachen Ordnung waren die meisten mit den Takas vollkommen gleichauf.

„Aber das ist gern geschehen. Irgendwie kann ich mich ja auch nützlich machen, wenn ich schon da bin.“

Der gross gewachsene Juugo lachte leise und fuhr sich durch das orangefarbene Haar. „Es ist schon schräg, Cherry Blossom. Im ersten Moment kidnappen wir dich und im Nächsten kommst du freiwillig hierher.“

Sakura wusste, was er meinte. Sie selbst hatte sich ja oft genug gefragt, warum sie das machte und immer wieder war ihr die gleiche Antwort in den Sinn gekommen: Sasuke. Natürlich war sie wegen ihm da. Aber je mehr sie von der Stimmung hier im Taka-HQ mitbekam, desto mehr spürte sie, wie sehr sie auch den anderen helfen wollte. Fragte sich nur wie? Bis jetzt hatte sie ja noch nicht einmal mit Sasuke gesprochen.

„Komisch, was? Ich verstehe es selbst nicht so richtig“, meinte sie nur schulterzuckend und Juugo lachte abermals. „Du bist echt interessant, Kurama.“

Je länger sie ihn so hörte, desto mehr drängte sich ihr eine Frage auf. „Sag mal Juugo, wann war die Stimmung hier eigentlich zum letzten Mal wirklich angenehm?“

Die Frage kam aus dem Nichts und Juugo schaute sie zuerst einmal nur etwas perplex an. „Du bist ja mal direkt. Aber wenn du es wissen willst, das ist jetzt ungefähr einen Monat her. Wieso?“

„Einfach so. Hättest du nicht auch Interesse, irgendetwas daran zu ändern?“

Er seufzte. „Wer schon nicht. Hast du denn eine Idee wie?“

Sakura schüttelte den Kopf. „Nein. Aber vielleicht kriegen wir etwas raus? Überleg dir doch, was ihr manchmal gerne gemacht habt?“

Juugo schien daraufhin wirklich nachzudenken und es sah so aus, als ob er tatsächlich einen Einfall hatte. „Was wir oft gemacht haben, war gemeinsames Frühstück am Wochenende. Das heißt, Konan oder Hotaru, die haben mich dann immer beauftragt, einzukaufen. Das haben immer alle ziemlich gerne gemocht.“

„Hättest du denn die nötigen Sachen da? Kann man ja auch machen, wenn nicht Wochenende ist.“ In Sakuras Kopf nahm Juugos Idee zunehmend Formen an.

„Hm, also so die wichtigsten Sachen schon. Konnte nicht mehr pennen heute Morgen und dachte mir, ich stocke gleich mal wieder ein wenig unsere Vorräte auf. Also ich bin dabei, Cherry. Die anderen sind sowieso nicht vor neun auf den Beinen und wenn es irgendetwas zu Verbesserung der gegenwärtigen Weltuntergangsstimmung beiträgt, dann umso besser.“

Das war es. Sie konnte etwas tun, auch wenn es nicht viel war. Aber man musste ja bekanntlich klein anfangen.

Und so machte sich Sakura daran, den Tisch zu decken, während Juugo damit begann, Milch zu wärmen und Kaffee zu kochen. Es war erstaunlich, wie schnell der Taka in diesen Plan eingestimmt hatte. Wahrscheinlich studierte auch er schon lange an irgendeiner Möglichkeit herum, wie man die Takas  aus der Versenkung holen konnte.

Dass Leute wie Konan momentan ausfielen, sorgte für ein ziemlich gestörtes Gleichgewicht in der Bande, das wäre bei den Kuramas kein bisschen anders. Wenn jemand wie zum Beispiel Temari und Tenten zu lange ausfielen, dann würde es nicht allzu lange dauern, bis im HQ Chaos herrschte.

Bei den Takas hiess das für sie nun, dass sie das Gleichgewicht irgendwie wieder herstellen musste. Und da begann man am besten damit, alte Gewohnheiten wieder einzuführen.

Es war Juugo, der etwas später das Radio einschaltete und einen Sender suchte, der gut reinkam, was man leider von den wenigsten behaupten konnte.

„Scheiss-Radio…“, brummte er, während er an dem Gerät rumschraubte, bis er es tatsächlich schaffte, einen Sender auf einer guten Frequenz zu erwischen. „Seit Demon das Ding letzte Woche auf den Boden geschmissen hat funktioniert nichts mehr.“

Diese Aussage löste wiederum einen Schwall an Fragen in ihrem, ohnehin schon überfüllten Kopf aus. „Warum hat er das denn gemacht?“

„Keine Ahnung“, meinte Juugo schulterzuckend. „Er war sowieso ziemlich aggressiv in den vergangenen Wochen. Meistens hat er gar nichts gesagt oder war einfach ziemlich wortkarg und im nächsten Moment hat er die Nerven verloren, wenn ihn etwas aufgeregt hat. In unserem Fall hier war es das Radio.“

Dass Sasuke aggressiv reagierte, verwunderte sie nicht im Geringsten. Damit hatte sie nämlich gerechnet, denn irgendwie mussten Wut und Trauer ja raus, da konnte er noch so sehr versuchen, alles in sich hineinzufressen.

Auf dem Sender lief zwar gerade eine Sendung über Oldies, weshalb man etwas modernere Hits wohl vergessen konnte, aber das machte nichts. Es gab so viele gute Lieder aus vergangener Zeit, die gute Stimmung verbreiten konnten.

Mit Juugo kam sie immer mehr ins Gespräch und die beiden amüsierten sich zusehends. Er wurde immerzu einfallsreicher, bis er neben Spiegelei und Speck auch noch Pfannkuchenteig anrührte. Juugo konnte echt gut kochen und schien es auch richtig gerne zu machen. Man müsste ihn und Choji mal zusammen in die Küche stellen, das würde ein wahres Festmahl ergeben, von dem sie, mit ihren mässigen Kochkünsten, nur träumen konnte.

Juugo warf die Pfannkuchen gekonnt auf und fing sie mit der Pfanne wieder auf, daneben hielt er Speck und Spiegeleier in Schach, die er zum Warmhalten alle in einen alten Backofen stellte, der aber anscheinend noch gut funktionierte.

Aus dem Radio erklang nun ABBA und das war für Sakura ein Grund, mit zu summen. ABBA war echt ein Stimmungsmacher, da konnte sie nicht anders, als mit dem Takt mit zu wippen. Der Chefkoch hatte sichtlich seinen Spass daran, Sakuras Getanze zuzusehen. Er lachte, begann dann aber selbst, mitzumachen und als dann „Waterloo“ aus dem Radio dröhnte konnten beide nicht mehr anders als auch mitzusingen. Ehrlichgesagt überraschte es sie ziemlich, wie sehr Juugo aus sich herauskam und wie gut sie sich mit ihm verstand. Aber seine Offenheit war nur ein weiteres Zeichen dafür, wie gerne er wieder Lachen wollte. Eigentlich überraschte sie sich auch selbst, irgendwie fiel es ihr nicht schwer, mit Juugo herumzualbern. Das wäre wohl ziemlich anders, wenn hier Sasori oder Hidan stehen würden. Aber mit Juugo hatte sie bisher ja auch keine Erfahrungen gemacht, die man irgendwie negativ nennen konnte.

Es klang vielleicht nicht gerade schön, aber gerade jetzt merkte Sakura, wie von Juugo diese müde Fassade abfiel und er wieder einmal richtig Spass hatte. Piepegal, wie schlecht sie beide singen konnten, im Moment fühlten sie sich gut. Und hoffentlich würden sie die Stimmung auch etwas auf die anderen übertragen können.

Sakura füllte einige Gläser mit Orangensaft und Juugo wurde zusehend gewagter mit seinen Pfannkuchen-Manövern, jedoch gelang jedes einzelne. Er schaffte es sogar das Ding über sich selbst drüber zu werfen und auf der anderen Seite wieder aufzufangen, worauf Sakura lachend applaudierte.

„Echt beeindruckend!“, rief sie zu ihm rüber, während sie den Orangensaft wieder in den Kühlschrank in die Abstell-, beziehungsweise Vorratskammer stellte.

Und wie sie so in ihre Kocherei vertieft waren, bemerkte keiner von beiden, dass am Ende des Raumes längst die Tür offen stand und drei Nasen ziemlich ungläubig das Geschehen beobachteten.

Erst, als die drei etwas näher kamen bemerkte Sakura sie im Augenwinkel und fuhr  herum.

„Juugo, was geht denn hier ab?“ Deidara streckte sich verschlafen. Auch die beiden anderen, Zetsu und Hidan sahen aus, als kämen sie frisch aus Federn.

„Frühstück! Bedient euch!“, rief Juugo und selbst Sakura wunderte sich über seinen zufriedenen Ton. Sie hatten die besten Voraussetzungen, hier für diesen Morgen eine gute Stimmung zu schaffen.

„Deshalb duftet schon der ganze Gang so gut.“ Es war Hotaru, die an den etwas verwirrten  Jungs vorbei den Kopf in den Raum streckte. „Wow, echt genial!“

Sie schien nicht halb so verdattert wie die anderen drei zu sein. Nein, sie schien sich richtig zu freuen, dass jemand etwas gegen diese triste Stimmung hier unternahm, als ob sie schon lange darauf gewartet hätte.

„Heilige Scheisse, ihr habt euch aber ganz schön ins Zeug gelegt! Danke!“ Hotaru lächelte Sakura freundlich an und Sakura erwiderte das Lächeln. Hotaru hatte sie irgendwie schon immer gemocht.

„Es ist genug für alle da, also schlagt zu!“, forderte Sakura die Umstehenden auf. Natürlich wollte sie nicht so tun, als ob sie hier dazugehörte. Aber auf keinen Fall durfte sie jetzt schlapp machen, sie musste ihre gute Laune den anderen irgendwie mitgeben.

Inzwischen hatte so ziemlich jeder geschnallt, dass das kein Witz war und nun breiteten sich zusehends zufriedene, wenn auch etwas ungläubiges Lächeln auf den Gesichtern der andern aus.

Nach ungefähr einer Viertelstunde war der ganze Aufenthaltsraum voller Takas, die von Oldies begleitet ein nahezu perfektes Frühstück genossen. Es war in diesem Moment, als würden sie alle für dieses eine Mal aus ihrer Trance erwachen. Es wurden lauthals Gespräche geführt, Sprüche gemacht, Witze gerissen und irgendwie wirkte alles von einer Sekunde auf die andere wieder viel mehr wie das HQ der Taka Snakes. Das hier waren die Takas, wie man sie kannte und… ja, vielleicht auch liebte.

Hinauf ins Lichtermeer

Sakura half Juugo weiterhin, Nachschub bereitzustellen und genoss es einfach, zu sehen wie die Takas wieder Takas waren. Wie lange dieser Zustand anhalten würde, war fraglich, aber das hier war definitiv ein guter Anfang, oder?

Nach einer Weile entdeckte sie Konan angelehnt im Türrahmen, wie sie dastand und das ganze Geschehen ungläubig begutachtete. Es war ihr aus dem Gesicht abzulesen, wie viel gerade in ihr vorging: Itachis Platz war leer. Und das war eine Lücke, die so nicht zu füllen war. Niemand könnte Itachi einfach so ersetzen. Das musste schmerzen. Und wie.

Vorsichtig ging Sakura in ihre Richtung und als Konan sie bemerkte, brachte die Arme sogar ein schwaches Lächeln zu Stande.

„Morgen, Konan. Möchtest du dich nicht auch dazusetzen?“ Sie stellte diese Frage äusserst bedacht und beobachtete Konans Reaktion genauestens.

„Ach, Sakura, ich weiss nicht was ich sagen soll. Ich war ja von Anfang an sicher, dass es richtig war, dich hierherzuholen.“ Sie klang einerseits sehr froh, aber andererseits schien sie kurz davor, in Tränen auszubrechen.

„Komm, setz dich zu uns, Konan. Ich bin sicher, das wird dir gut tun“, versuchte sie sanft, sie zu überzeugen. Auch Hotaru und Juugo winkten fröhlich aus dem Hintergrund in Konans Richtung, worauf diese immer noch mit einem schwachen Lächeln im Gesicht seufzte.

„Ich weiss nicht…“ Sie presste es mehr hervor, als dass sie es sagte. „Ich kann das jetzt glaube ich noch nicht…“

Natürlich. Bei genauerem Nachdenken wurde Sakura erst richtig klar, wie schrecklich es für Konan sein musste, zu sehen, wie alle versuchten über den Tod ihres Freundes richtig wegzukommen.  Auf eine Weise freute sie sich sicher, aber  so gesehen war es doch viel zu viel von ihr verlangt, wenn man sie dazu bringen wollte, Itachi  jetzt schon hinter sich zu lassen. Das Ganze war ja auch erst einen knappen Monat her und solche Dinge brauchten nun mal Zeit.

„Kein Problem, ich verstehe das. Möchtest du denn zurück auf‘s Zimmer?“

Konan nickte. Es schien der Taka mehr als recht zu sein. Verstohlen wischte sie sich die Tränen aus den Augen. Ja, auch sie war jemand, der nicht gerne Schwäche zeigte. Es war die wohl effektivste Abwehr gegen jeden, der einem Schaden zufügen wollte, wenn man seine Gefühle tief in sich drinnen vergraben hielt. Paradebeispiel dafür: Sasuke.

Konans Zimmer lag überraschenderweise der Tür zum Aufenthaltsraum direkt gegenüber. Sie hatte das Privileg, ein eigenes Zimmer zu haben und musste somit nicht im Mädchenschlafraum nächtigen.

„Es tut mir leid, Sakura…“, begann Konan als Sakura die Tür hinter ihnen schloss. „Ich kann ihn einfach nicht wegdenken…“

Die Kurama strich ihr sanft über den Rücken. „Das sollst du ja auch nicht.“

„Es war wirklich nicht der Sinn der Sache, dass du mich jetzt trösten musst.“ Sie lächelte beschämt, bevor sie ihren Kopf seufzend in den Händen vergrub. Für sie war es wohl auch ziemlich neu, ihre Emotionen nicht mehr so richtig  kontrollieren zu können. „Hast du Sasuke schon gesehen?“

Sie nickte. „Der scheint sich ganz gut mit Karin abgeben zu können.“

Sofort hob Konan ihren Blick wieder und schaute sie durchdringend an. „Was hast du gesagt?“

Jetzt war es an Sakura, zu seufzen. „Ich sagte, er hat Karin, da braucht er mich nicht.“

Sie hätte sich viele Reaktionen seitens Konan vorstellen können, aber dass sie nun laut lachte, war mehr als unerwartet. „Sakura! Du glaubst doch nicht allen Ernstes, dass er Karin dir vorziehen würde? Das Ding ist  bloss, dass sich die beiden schon lange kennen und somit eine dementsprechend guten Draht zueinander haben. Aber zu ihm durchdringen kann Karin nicht. Sie redet zwar mit ihm, aber weiter gekommen ist sie bisher nie. Versuch es mit ihm. Bitte.“

Himmel, kam sie sich in diesem Moment doof vor. Vor Konan musste sie wohl gerade wirken wie eine eifersüchtige Zicke, also eigentlich kein Stück besser, als Karin. Zumal lief zwischen Sasuke und ihr ja gar nichts. Es war nicht nur dämlich, sich so zu geben, sondern auch egoistisch. Und Sasuke kümmerte es wohl im Moment herzlich wenig, wie er zu wem stand.

Nachdem sich Konan etwas beruhigt hatte und Sakura zurück auf den Gang trat, wäre sie doch beinahe auch noch in die rote Zora hineingelaufen. Ausgerechnet! Das war jetzt peinlich und sie fühlte sich unter ihren scharfen Blicken wieder einmal mehr als nur unwohl.

„Hi…“, meinte sie leise.

„Kurama.“ Abfällig wanderte Karins Blick an ihr herunter, dann drehte sie sich weg und warf einen Blick in den Aufenthaltsraum. „Was geht denn hier ab?“

Sakura nutzte diesen günstigen Moment, um sich aus dem Staub zu machen. Vor dieser Frau hatte sie Angst. Nicht, weil sie extrem furchteinflössend oder so war, nein, aber ihre Worte trafen immer genau dort, wo es wehtat. Dafür besass sie wahrlich ein Talent.

Ihr Weg führte sie aber nicht in den rechten Gang, zurück zu ihrem Käfig. Mit Konans Worten immer noch im Hinterkopf, machte sie sich schnurstracks auf den Weg zu Sasukes Zimmer. Es war jetzt genug mit ihrer Eifersucht, es war an der Zeit, etwas zu tun.

Die Tür war nur angelehnt, trotzdem klopfte sie vorsichtig an, bevor sie in das Chef-Zimmer eintrat.

„Hm?“

Ihr Herz begann schon wieder mit diesem verrückten Rasen und irgendwie zweifelte sie langsam echt daran, dass das jemals vergehen würde.

„Darf ich reinkommen?“, fragte sie mit Bedacht, im vollen Bewusstsein dessen, dass nicht  jedem der Zutritt in diesen Raum erlaubt war. Es war das Territorium der Uchiha-Brüder, für einige wohl schon fast ein Mysterium. Sie hatte bereits das Privileg gehabt, sich dort drin umsehen zu dürfen, wie es allerdings jetzt um ihr Zutrittsrecht stand, konnte sie nicht sagen.

„Mhm.“

Ziemlich überrascht, jedoch heilfroh schob sie die Tür nun so auf, damit sie eintreten konnte.

Er stand ihr bereits inmitten einer ziemlichen Unordnung gegenüber, als sie eintrat, jedoch verriet seine Aufmachung, dass er erst kürzlich dem Bett entstiegen sein musste. Er trug ein graues Shirt, eine schwarze Trainerhose und seine pechschwarzen Haare standen etwas zerzaust vom Kopf ab. Erstaunlicherweise sah das bei ihm immer noch irgendwie frech aus, während das bei ihr einfach nur total bekloppt rüberkommen würde. Aber Sasuke konnte wohl machen was er wollte und er machte immer noch eine gute Figur.

Was sie gestern im Dunkeln nicht erkannt hatte, das erkannte sie nun jetzt. Leider hatte sich sein Zustand rein äusserlich seit Heiligabend kaum verändert. Er sah nach wie vor irgendwie müde aus, was wohl auch noch daher rührte, dass er frisch aus den Federn kam. Aber seine Augen drückten immer noch diese Verlorenheit aus, welche Sakura als fast noch schlimmer empfand, als Traurigkeit.

Schlagartig wurde ihr bewusst wie offensichtlich und vor allem lange sie ihn jetzt gerade angestarrt hatte. Peinlich berührt, bestimmt schon wieder knallrot im Gesicht, versuchte sie ihm nun in die Augen zu schauen.

„Da…da vorne gibt es Frühstück, falls du auch was haben möchtest…einfach nur so.“

Toll. Und was machte sie jetzt? Nebst dem, das sie sich vollkommen bescheuert anhören musste, stand sie jetzt auch noch dämlich in der Gegend herum.

„Danke“, war seine einfache Antwort darauf und sie rang sich ein Lächeln ab, obwohl sie sich so blöd vorkam.

Dann drehte sie sich auf dem Absatz um und verliess schnurstracks das Zimmer. Er machte zwar keine Anstalten, ihr zu folgen, aber vielleicht kam er ja doch noch?

Wohl eher nicht. Da ging es ihm wahrscheinlich wie Konan und das verstand sie. Ja, bei genauerem Überlegen wurde ihr bewusst, dass sie in Sasukes Situation jetzt wohl auch wenig Lust auf ein heiteres Beisammensein hätte. Zum einen war es das Wichtigste, wieder Normalität ins Taka-HQ  zu bringen, aber von der anderen Seite her betrachtet musste es Sasuke ziemlich wehtun, alle anderen langsam wieder zum gewohnten Ablauf zurückgehen zu sehen, während ihm der Verlust seines Bruders wie ein riesiges Brandmal auf der Seele lastete.

Denn er würde länger brauchen, um sich wiederzufinden. Um die Lücke zu füllen, die Itachi in ihm hinterlassen hatte.

Was seine Stimmung betraf hatte sie leider noch kaum Abhilfe schaffen können. Aber vielleicht würde morgen ja noch etwas draus werden. Denn morgen war Silvester und da hatten ihr Juugo und die anderen bereits lautstark erzählt, wie sie das feierten.

So war doch Sasukes Onkel Madara tatsächlich ein Anwalt bei einer Grossbank. Keiner wusste wirklich, wann und wie er diese Ausbildung gemacht hatte, Fakt war, dass man auf dem Dach dieser Grossbank einen wunderbaren Ausblick über die ganze Stadt und somit auch das Feuerwerk hatte. Und dort oben feierten die Takas immer.

Zurück im Aufenthaltsraum gesellte sie sich noch ein bisschen zu den Takas, jedoch gingen dann doch einige noch arbeiten, schliesslich war ja erst Freitag. Die Zahl der Takas schrumpfte also bis auf fünf, welche dann allesamt noch beim Aufräumen halfen.

Innerlich klopfte Sakura sich währenddessen lobend auf die Schulter und freute sich, dass ihr diese kleine Überraschung gemeinsam mit Juugo gelungen war.

 

 „Glaubst du, es geht ihr gut?“ Hinata hatte es sich auf der Couch bequem gemacht und sah nun Ino fragend an, welche gerade dabei war, mit Nadel und Faden verbissen ein Brandloch in einer Decke zu flicken.

„Sicher, Cherry kommt schon klar. Letztes Mal hat sie es ja wirklich auch super hingekriegt und dieses Mal ist sie ja auch freiwillig dort..“ Diese Aussage bescherte ihr einige unzufriedene, leicht missbilligende Blicke aus manchen Seiten des HQs ein,

„Was denn? Blue war ja diejenige, die sie darum gebeten hat und ihr alle wisst, dass Blue sauber ist.“

Das war in der Tat wahr, denn Blue alias Konan war von Natur aus ein ruhiger Mensch, der immerzu an das Gemeinwohl dachte und die nervigen Takas auch ab und zu Mal in die Schranken wies.

„Können wir die Takas jetzt mal vergessen? Ich kann ihre Lage zwar schon verstehen, aber das ist nicht unser Kampf. Er wird es erst werden, sobald wir den Gegenschlag für die Riots an der Reihe ist“, brummte Kiba, der mit geschlossenen Augen am Boden lag und den Kopf an seinen wuscheligen Hund Akamaru gelehnt hatte.

„Ich rede hier über was ich will, Fiffi! Sollte es dir entgangen sein, ich versuche gerade mal wieder deine Decke zu flicken, weil du es ja nicht lassen kannst, im Bett zu paffen! Ganz ehrlich Big Fox, das ist doch ekelhaft! Dann stinkt euer Schlafraum ja dauernd nach Kippen!“ Ino hatte sich schnippisch von Kiba weggedreht und schaute ihren Leader nun erwartungsvoll an.

Kiba hatte sich inzwischen verärgert aufgesetzt. „Du schuldest mir noch was, weil ich kürzlich dein Handy repariert habe, Flowie! Und ich kann nicht nähen, ganz ehrlich!“

„Dann lernst du es besser endlich, wenn du weiterhin vorhast in deinem Bett zu qualmen! Ich werde dir nicht bei jedem Brandloch einen Gefallen schulden.“ Gerade hatte Ino die Naht sauber vernäht, schnitt den Faden ab und schmiss dann dem grummelnden Kiba die Decke schnaubend ins Gesicht.

„Habt ihr jetzt genug gekeift, da drüben?“, kam es ziemlich laut und vor allem gereizt vom grossen Tisch her, an dem Naruto bis vorhin noch über einer Stadtkarte gebrütet hatte. „Wenn nicht, dann geht woanders streiten!“

„Schon gut, Big Fox! Aber das mit dem Rauchen in eurer Bude ist noch nicht vom Tisch! Fehlt nur noch, dass ihr das HQ aus Versehen in Brand steckt. Das kann man nämlich dann nicht einfach mehr mit ein paar Nähten beheben!“

Naruto seufzte. „Verstanden und notiert, Chief. Aber hört jetzt endlich auf mit dem Affentheater.“

Ino verstaute ihr kleines Näh-Set wieder in ihrer lila Handtasche, erhob sich und machte sich auf zum grossen Tisch. „Worüber zerbrichst du dir denn schon wieder den Kopf, Big Fox? Ich dachte, dass hier sei eine Erholungszeit für alle?“

Keine Antwort seitens Naruto, der im Moment wirklich mit dem Kopf woanders zu sein schien, als hier im Kurama-HQ.

„Hallo? Jemand zu Hause?“, versuchte Ino es nun etwas forscher.

Naruto schlug daraufhin vor Wut mit der Faust voller Kraft auf die Holzplatte des Tisches und stand energisch auf. „Verfluchte Scheisse nochmal, Flower Power, halt endlich deine Klappe!“

Hinata auf der Couch zuckte erschrocken zusammen, aber Ino konnte so schnell kein Wässerchen trüben.

„Nee, nee Big Fox, so redest du nicht mit mir. Ich will dich ja nicht nerven, aber da Sakura dir momentan nicht ins Gewissen reden kann, muss ich das wohl tun.“

Naruto liess sich zurück auf den Stuhl fallen und fuhr sich gestresst mit der Hand durch das blonde Haar.

„Na, also. Die Auszeit hier gilt auch für dich. Ganz ehrlich Naruto, du machst dich selbst noch wahnsinnig. Ich meine, klar können Pain und du euch ‘ne Strategie ausdenken, müsst ihr wohl auch. Aber doch nicht den ganzen Tag! Und abends gehst du in der Bar arbeiten, das kann es doch nicht sein!“

Inzwischen konnten sich die beiden sicher sein, dass ihnen die ganze Halle zuhörte und das war mehr als der halbe Inner.

„Flowie, jetzt hör mal zu: Wenn diese Gang jemals wieder an der Spitze stehen soll, dann müssen wir uns ranhalten und eine Plan bereit haben, sobald die Gangs wieder kampffähig sind. Je früher desto besser.“

„Ganz ehrlich, Naruto, das letzte Mal, als du entspannt warst, das war an Heiligabend und seit dem Tag arbeitest du entweder oder brütest über Stadtplänen oder deiner Brieffreundschaft mit den Takas.“

„Pah. Als ob ich freiwillig mit denen zusammenarbeiten würde“, brummte er verächtlich. Aber klar war ihm bewusst, dass sie Recht hatte. „Ich kann mich dann entspannen, wenn der Plan steht.“

„Dann wechsel dich mit Shika oder Shino ab, Naruto. Du musst nicht das ganze Gewicht dieser Niederlage alleine tragen.“ Sie legte ihm beruhigend eine Hand auf die Schulter und lächelte. „Das hast du uns doch immer eingetrichtert. Gewichte werden alleine nur im Trainingsraum gestemmt. Die anderen tragen wir gemeinsam.“

Menschen mit ihren eigenen Waffen zu schlagen war Inos Spezialität. Und auch hier bei Naruto erzielten ihre gut gewählten Worte die erwünschte Wirkung.

Er schob also den Stadtplan kapitulierend zur Seite und meinte: „Wer hat Bock auf zocken?“
 

Sakura hatte den Takas noch beim Aufräumen des Aufenthaltsraumes geholfen, danach war sie aber schnurstracks in ihrem Zimmer, Käfig, was auch immer, verschwunden.

Wie um sich selbst ein Alibi zu schaffen, nahm sie das Mathebuch aus ihrer Tasche und blätterte darin, während ihre Gedanken wieder einmal unaufhörlich Achterbahn fuhren.

Wie konnte man an Sasuke herankommen? Sie hatte es doch an Heiligabend kurz fertiggebracht, ein Loch in seine Mauer zu machen, jedoch schien genau dieses Loch wieder verschlossen wie eh und je. Wie hatte sie das geschafft?

Wahrscheinlich war es simpel. Sie hatte ihn in einem mehr als nur ein bisschen emotionalen Moment erwischt und so war er natürlich auch zugänglicher geworden. Das, was sie da an Itachis Grab zu sehen bekommen hatte, war wohl schon eine der höchsten Stufen von der Gefühlsregung namens Trauer, die man bei einem Uchiha überhaupt erwarten konnte.

Dann musste sie ihn also in einem emotionalen Augenblick erwischen? Na toll. Das war bei ihm ja wohl die reinste Seltenheit, egal, wie mies es ihm ging und hier im HQ vor all den anderen sowieso. Es musste doch irgendeinen anderen Weg geben…

Erschrocken fuhr sie hoch, als es plötzlich an der Tür klopfte. Wer das wohl sein mochte?

Den aufkommenden Gedanken, dass es sich bei ihrem Besucher um Sasuke handeln könnte, verbannte sie so schnell wie möglich wieder in die hinterste Ecke ihres Kopfes. Natürlich war es nicht Sasuke. Da würde auch jede kindische Hoffnung nicht helfen.

„Ja?“, sagte sie also stattdessen laut. Kurz darauf trat Juugo ein.

„Hey.“ Sein Blick fiel auf ihr Mathebuch. „Oh sorry, ich kann auch später…“

Hastig winkte Sakura ab. Um Himmels Willen, bloss das nicht.  Ihr Mathebuch war im Moment für sie ungefähr so interessant, wie ein Kiesel auf einem Kiesweg.

„Nein, nein, bleib nur. Ich raffe da momentan sowieso gar nichts“, meinte sie also mit einem schiefen Lächeln und er grinste.

„Ginge mir wohl ähnlich, keine Sorge.“ Er räusperte sich. „Also, ich wollte mich nur bei dir bedanken, das war wirklich cool heute Morgen. Hast es ja gesehen.“

Sakura konnte nicht verhindern, dass sich eine zarte Röte auf ihren Wangen ausbreitet und sie lächelte. „Das ist gern geschehen. Weisst du, ich mache das gerne. Ich frag mich zwar zwischendurch, warum ausgerechnet ich hierhergekommen bin, um euch ein wenig unter die Arme zu greifen. Ich sollte wohl eine der letzten Personen sein, die so etwas tut. Und trotzdem fühlt es sich nicht dämlich an.“

In der Tat beschäftigte sie diese Sache schon eine ganze Weile. Sie war es doch, die eine Kurama war, sogar einst als Geisel für die Takas gedient und ihnen obendrauf noch ihren Vize-Leader etwas abspenstig gemacht hatte. Warum also sie?

„Konan hat für jede ihrer Entscheidungen immer stichhaltige Begründungen. Gut, in diesem Fall hat sie wohl weniger einen klaren Grund, aber wenn sie keinen Grund hat, dann hört sie auf ihre Intuition und die kann sich sehen lassen, glaub mir. Sie hat sich richtig entschieden, wie es zu erwarten gewesen war.“

Er lehnte sich gegen die Wand und verschränkte die Arme. „Wir haben uns auch schon gefragt, warum sie ausgerechnet dich darum gebeten hat, hierherzukommen. Die Antwort ist ja wohl Demon oder?“

Ehrlich gesagt wusste Sakura nicht, ob sie das jetzt als Frage oder Feststellung auffassen sollte. Deshalb nickte sie nur.

„Jedenfalls sind wir dir alle dankbar für heute und wenn wir irgendwas für dich tun können, Cherry, dann sag’s einfach, ja?“

Es war schon seltsam, welch warmes Gefühl sie bei Juugos Worten überkam. Aber es reichte schon nur einen einzigen Gedanken an Karin, um das schlagartig zu ändern.

 

Der nächste Tag und somit auch Silvester kam erstaunlich schnell. Ein bisschen wehmütig wurde sie schon bei dem Gedanken, Silvester nicht mit ihren Freunden verbringen zu können, schliesslich war sie sich schon seit einer ganzen Weile nichts anderes mehr gewohnt. Ja, die Kuramas verbrachten den Jahreswechsel immerzu auf der Glade’s Terrace, da man von dort aus eine hammermässige Aussicht auf das alljährliche Feuerwerk hatte. Den Countdown in der Innenstadt verpassten sie absichtlich, da das Ganze in einer so grossen Menschenmenge etwas unpersönlich wurde. Auch die Glade’s war immer ziemlich gut besetzt, aber da für die Gangs sowieso immer Platz gemacht wurde, stellte das kein Problem dar. 

Das zu verpassen war für eine Kurama hart. Die Takas waren zwar alle wirklich nett zu ihr, jedoch war ihre Familie woanders. Aber dieses Jahr hatte sie sich nun Mal für die Takas entschieden und ihr Bauchgefühl sagte ihr, dass es richtig so war.

Die Takas würden so ziemlich alle mit dem Motorrad zu Madaras Bank fahren, während Sakura mit jemandem im Auto, welches den gesamten Alkoholvorrat geladen hatte, dorthin fuhr. Man war sich einig geworden, dass es einfacher war, mit verbundenen Augen auf dem Beifahrersitz zu verweilen, als sich hinten auf dem Motorrad ausbalancieren zu müssen. Ihr war es nur recht so, schliesslich war es draussen immer noch klirrend kalt.

„Wo ist den Demon?“, fragte Karin laut und ungeduldig, als Sakura gerade in die Garage trat. Natürlich, sie würde selbstverständlich Sasukes Beifahrerin sein. Wer auch sonst?

„Keine Ahnung, Sniper, aber hör auf dich hier so aufzuspielen!“, brummte Sasori genervt auf Karins Königinnen-Gehabe.

Ehrlichgesagt hatte Sakura bislang sogar daran gezweifelt, dass er überhaupt auftauchen würde, aber diese Zweifel verflogen überraschenderweise ziemlich schnell, als Sasuke ebenfalls über die Schwelle in die Garage trat.

„Ah, Demon. Ist dein Bike startklar?“, fragte Karin in gar ungewöhnlich freundlichen Tonfall. So eine falsche Schlange. Vorhin noch in schneidendem Ton allen auf den Wecker gegangen, jetzt wieder die Freundlichkeit in Person.

„Nee, ich fahr das Gesöff“, brummte er im Vorbeigehen und schenkte der immer röter werdenden Karin keine weitere Aufmerksamkeit. Ja, die Gute würde jetzt aus den Ohren rauchen, wenn das möglich wäre und Sakura musste sich alle Mühe geben, um nicht laut loszulachen.

Sekunden später wurde ihr bewusst, was das aber für sie hiess: Sasuke und sie würden gemeinsam dort raus fahren. Hoffentlich würde diese Fahrt nicht allzu lange dauern. Auf dieses altbekannte peinliche Schweigen konnte sie getrost verzichten.

Warum hatte sie auch solche Hemmungen davor, mit ihm alleine zu sein, geschweige denn, mit ihm zu sprechen? Schliesslich war sie ja da, um ihm zu helfen?

Wie auch immer, es machte  kaum Sinn, sich jetzt darüber den Kopf zu zerbrechen. Das Gute daran war natürlich, dass Karin dabei vor Neid zergehen würde und das war ihr nur recht so.

Gerade konnte sie im Augenwinkel beobachten, wie die Sniper widerwillig auf Suigetsus Motorrad stieg, welcher nur amüsiert und ziemlich schadenfreudig grinste, weswegen er sich auch gleich darauf einen ziemlich unsanften Klaps auf den Kopf einfing.

„Sakura, schau, du kannst dort einsteigen.“ Konan legte ihr die eine Hand auf die Schulter, mit der anderen wies sie auf einen schwarzen Audi, der seine Glanzzeiten zwar schon längst gesehen hatte, so wie sie die Takas kannte aber wohl schneller fuhr, als es ein fabrikneues Modell jemals tun könnte.

Als sie näher heranging, fielen ihr sofort zwei feuerrote, blitzförmige Streifen seitlich des Wagens auf, welche echt cool aussahen, aber nichts über die Bandenherkunft verrieten. Perfekt also.

Sasuke und Hidan wurden gerade fertig damit, Kisten mit Bier, anderweitigem Alkohol und Knabberzeugs in den Kofferraum zu laden als Sakura etwas unschlüssig hinzu trat.

„Hallihallöchen, Cherry! Na, ready?“ Hidan begrüsste sie natürlich wieder auf seine ganz typische Art. Sasuke hingegen zeigte keine Anstalten, irgendwie zu reagieren, was auch Hidan nicht entging. „So, ich geh dann mal. Bis später!“

Und weg war er, was Sakura im Moment gerade sehr bedauerte, da sie nun alleine mit Sasuke hierstand und irgendwie nicht wusste, was sie tun sollte. Wann um Himmels Willen war es eigentlich zu etwas Unangenehmem geworden, in seiner Nähe zu sein?

Er schloss nun endlich die Heckklappe des Audis und sein Blick traf ihren. „Kannst einsteigen.“

Er klang so unbeteiligt, dass es Sakura schon fast traurig machte. Zu gut erinnerte sie sich daran, wie Sasuke vor Itachis Tod zu ihr gewesen war. Natürlich hatte er schon immer eine kühle Maske getragen, das hatte einfach dazugehört. Aber wenn sie zusammen gewesen waren, alleine, dann hatte sich das geändert. Zu deutlich hatte sie in diesen Momenten seine Zuneigung und seine Wärme erfahren dürfen, sein Bedürfnis nach Nähe gespürt. Und auch wenn dies alles nur von relativ kurzer Dauer gewesen war, hatte sie es schaffen können, ihm nicht nur körperlich, sondern auch seelisch irgendwie viel näher zu sein. Aber jetzt? Es schien ein Ding der Unmöglichkeit, seiner Abwehrhaltung zu trotzen.

Sie stieg also in den Audi ein und rutschte dann unbehaglich auf dem feuerroten Sitz hin und her, bis sich auch Sasuke zu ihr gesellte. Sie beobachtete, wie er sich anschnallte und dann kurz mit einem herumliegenden Zigarettenpäckchen auf dem Armaturenbrett liebäugelte, jedoch schien er sich zu besinnen und liess es dann doch bleiben. Wahrscheinlich wegen ihr.

Stattdessen schaltete er das Autoradio ein, aus dem irgendwelche Songs der Hitparade quäkten, warf den Motor an und manövrierte sie geschickt zwischen den herumstehenden Takas und ihren Motorrädern hindurch, bis vors Garagentor. Einmal kurz auf die Hupe gedrückt, sodass Deidara endlich in die Gänge kam und den elektrischen Toröffner betätigte.

Gerade wollte er losbrausen, da fiel ihm noch etwas ein, was selbst Sakura vergessen hätte.

Grummelnd kramte er in seiner Hosentasche und holte den altbekannten Stoffstreifen hervor, welcher dazu bestimmt war, ihr die Orientierung zu nehmen. So gut sie im Moment auch mit den Takas zurechtkam, das änderte selbstverständlich nichts daran, dass sie aus dem feindlichen Lager stammte.

Er drehte sich zu ihr und sie liess ihn die Augenbinde anbringen. Nun sah sie einmal mehr nichts.

Jetzt drückte Sasuke aufs Gas und verliess so das Taka-HQ, hinter ihnen das Geräusch von aufheulenden Motoren.

Was ihr aber schon nach einigen Metern auffiel war, dass er ziemlich vorsichtig fuhr. Sie war es sich eigentlich gewohnt, dass die Jungs meistens einen ziemlich rasanten Fahrstil hatten, ganz zu schweigen von Tsunade.

„Geht’s?“, fragte er, jedoch immer noch ziemlich unbeteiligt. Natürlich, er fuhr wegen ihr so! Mit der Augenbinde sah sie ja nicht, wann er abbog oder bremste. Das war ja wirklich rücksichtsvoll von ihm.

„Es geht gut, danke. Ich bin mir da von meiner Tante anderes gewohnt.“ Sie sagte das bewusst mit einem Lächeln auf den Lippen, denn von Tsunade hatte sie ihm schon lange erzählt. Leider konnte sie sein Gesicht nicht sehen, sie musste also auch noch blind erraten, wie er auf sie reagierte

Er erwiderte darauf nichts, aber das machte auch nichts. Sie musste jetzt einfach gleich damit weiterfahren, mit ihm zu reden.

„Wie ist Madara denn eigentlich dazu gekommen, Jura zu studieren, wenn ich fragen darf?“

Das darauffolgende Geräusch hörte sich ein bisschen wie der Ansatz eines Lachens an. „Weiss keiner. Soweit wir wissen hat der nur den normalen Schulabschluss so wie die meisten von unserem Inner. Aber wie er es an die Uni geschafft hat? Keine Ahnung.“

Das war gut, das war sogar sehr gut. Er redete von sich aus mehr als eigentlich nötig war.

„Verdient er denn nicht ziemlich gut?“ Vielleicht war es eine etwas freche Frage, aber es interessierte sie wirklich, wie man es vom Gangleader zum Anwalt schaffte und was man dann mit dem Geld anfing.

„Er verdient nicht schlecht. Hat eine eigene Wohnung, die sich schon sehen lassen kann, aber er steckt auch viel davon in die Gang.“

Das war ziemlich interessant. Aber sie verstand, dass man im Herzen auch als Ehemaliger immer noch zur Gang gehörte. Würde sie viel Geld haben, dann könnte sie auch nicht mit gutem Gewissen in Saus und Braus leben, im Bewusstsein, dass andere froh darüber wären, überhaupt etwas zwischen die Zähne zu bekommen, besonders, wenn es Nahestehende waren.

Was Madara betraf, wusste sie es nicht. Der Mann war so undurchschaubar wie Sasuke, wenn nicht noch schlimmer. Und vielleicht verdiente er ja auch gar nicht so viel. War auch egal.

Jetzt machte sich wieder Stille breit. Nach ungefähr fünf Minuten versuchte Sakura noch einmal, das Schweigen zu brechen. „Darf ich die Augenbinde abnehmen? Wir sind doch bestimmt schon weit genug vom HQ weg oder?“

„Ja, nimm sie ab.“

Sie tat wie geheissen und versuchte sich als aller erstes zu orientieren. Ein Blick nach draussen verriet, dass sie auf die Downtown zufuhren, der Verkehr wurde zusehends dichter und die Anzahl Passanten auch. Hochhäuser, nach wie vor geschmückt mit Weihnachtsbeleuchtung, ragten neben ihnen in die Höhe und die Strasse war nass und matschig von den verbliebenen Schneeresten.

Bevor sie aber gänzlich in die Downtown fuhren, bog Sasuke ab in Richtung Nordumfahrung. Richtig, in der Stadt waren ja die Feierlichkeiten sicher bereits in vollem Gange.

„Wir müssen auf die andere Seite der Downtown, dort ist die Bank“, informierte er sie, als sie auf die Umfahrung gelangten.

Ein Blick nach hinten verriet ihr, dass die Motorräder ihnen nicht mehr folgten. „Wo sind denn die anderen?“

„Die nehmen den kürzeren Weg, welchen wir aber mit dem Auto nicht benützen können, weil in der innersten Downtown alle Strassen bis auf die Seitengassen gesperrt sin.“

„Ach, deshalb.“ Hätte sie sich ja auch denken können.

Sasuke beschleunigte nun zusehends und sie bemerkte, dass er nun auch etwas rauer, aber nicht weniger dynamisch über die Strassen brauste. Jetzt hatte sie ja auch keine Augenbinde mehr.

Himmel, es graute ihr schon davor, Autofahren zu lernen. Wenn man ihm dabei so zusah, dann konnte man meinen, es sei das Leichteste der Welt.

Sie erschrak beinahe, als es plötzlich er war, der sich zu Wort meldete. „Sag mal, wolltest du Silvester nicht mit deinen Leuten verbringen?“

Er klang zwar immer noch genauso kühl wie bis jetzt, aber die Freude darüber, dass er von sich aus mit ihr redete war grösser als dieses Detail.

„Nun ja, das wäre wohl der Plan gewesen. Aber dann hat mich Konan gebeten, zu euch zu kommen und irgendwie hat es sich halt richtig angefühlt.“ Sie musste wieder einmal so naiv und dumm klingen. Ob sich das jemals ändern würde?

„Und das ist dir echt wichtiger, als das neue Jahr mit deinen Leuten abzuwarten?“

Sakura begann nervös mit ihren Fingern zu spielen. „Hm, kann man so nicht sagen. Natürlich wäre ich auch gerne bei ihnen, aber genauso interessiert es mich auch, wie ihr feiert und ob ich vielleicht etwas dazu beitragen kann, dass es euch ein wenig besser geht.“

Sie wollte sich nicht so darstellen, als wäre sie hier bloss wegen einem übermässigen Helfersyndrom. Nein, eigentlich war sie da um Sasuke zu helfen weil… weil sie ihn einfach gerne mochte. Gut, das war untertrieben. Aber jetzt war sie noch nicht bereit, sich wirklich darüber klar zu werden, wie sie ihm gegenüber fühlte.

Sie verliessen nun die Umfahrung und begaben sich noch ein Stück weiter in die Downtown hinein, soweit es möglich war. Glücklicherweise war die Strasse zu Madaras Firma nicht gesperrt und sie konnten problemlos bis vor den grossen Betonbau mit den riesigen Glasfensterfronten fahren. Sasuke brauchte genau einen Anlauf, um in diese verdammt enge Parklücke auf dem Parkplatz neben dem Gebäude hinein zu kommen. Da wollte sie sich gar nicht vorstellen, wie das bei ihr ausgesehen hätte.

Wie die vielen Motorräder auf dem Platz schon verkündeten, waren die Takas bereits da, die meisten vermutlich auch schon auf dem Dach. Nur Hidan und Deidara waren zur Stelle, die anscheinend beim Tragen helfen sollten. Beim genaueren Hinsehen entdeckte sie auch Karins Rotschopf hinter den Beiden, sie tippte gerade irgendetwas auf ihrem Handy herum. War ja klar gewesen, dass sie Schmiere stehen würde, damit auch ja niemand ihrem Sasuke zu nahe kam.

Nichts desto trotz stieg Sakura nun aus dem Wagen, während Sasuke schon hinten beim Kofferraum war und mit den Dreien die Kisten auslud, mit denen sie dann im Gebäude verschwanden. Gerade wolle auch Sakura eine der Kisten fassen, da spürte sie plötzlich seine Hand, die sie am Handgelenk nahm und wieder weg zog.

„Ich mach das“, war sein simpler Kommentar und stellte die beiden Kisten aufeinander, bevor er sie hochhievte. „Kannst du abschliessen?“

Er warf Sakura den Schlüssel zu und sie tat wie geheissen, kurz darauf betraten sie gemeinsam das Gebäude. Nach dem grossen Raum mit den Bankautomaten kamen sie in die riesige Haupthalle, welche wie ausgestorben aussah, so ganz ohne Krawatten und Aktentaschen, die man an solchen Orten normalerweise vorfand. Die Lifte befanden sich links des Empfangstresens, gesäumt von je zwei grossen Zimmerpflanzen in strengen, schwarzen Töpfen.

„Sag mal, dürfen wir hier überhaupt sein?“, fragte sie etwas verunsichert, denn irgendwie war es schon ein wenig seltsam, dass Madara einfach so das Gebäude seiner Bank benutzen konnte.

„Lass das mal Madaras Sorge sein. Wir machen das jetzt seit vier Jahren und es hat sich noch keiner beklagt.“ Sasuke schien es herzlich wenig zu interessieren, ob das erlaubt war oder nicht. Hätte sie sich ja auch denken können.

Die Anderen hatten den Lift bereits gerufen und warteten nur noch auf sie. Eine gefühlte Ewigkeit lang standen sie dann also in dem Lift, der sie bis ins oberste Stockwerk bringen sollte, während Deidara und Hidan Witze rissen und Karin aufs Korn nahmen. Sasuke liess sich zwar nichts anmerken, aber dass die Beiden wieder ein wenig mehr in ihr gewohntes Verhaltensmuster zurückgefallen waren, musste ihm schon auffallen.

Oben angekommen mussten sie noch eine kleine Treppe hochsteigen, welche sie dann schlussendlich auf das Dach des Gebäudes führte.

Und dort war die Party schon voll im Gange. Musik dröhnte aus den aufgestellten Boxen, viele waren sogar schon am Tanzen. Nebst den ihr bekannten Takas fielen ihr noch einige andere auf, die Ehemalige sein mussten. Madara war selbstverständlich auch anwesend.

Ein Jubel ging los, als man die Fünf und vor allem ihr Mitbringsel entdeckte und kaum waren die Kisten abgestellt, stürzte sich die feierwütige Meute auch schon darauf und bediente sich.

Etwas verloren stand Sakura nun dazwischen, bis sie Konan in der Menge ausmachen konnte und sich zu ihr gesellte. Diese war gerade in ein Gespräch mit einigen Ehemaligen vertieft, die sie alle neugierig musterten.

„Ah, Sakura!“ Konan winkte ihr schon zu.

„Neuzugang, Blue?“, fragte eine schlanke Frau mittleren Alters.

Jetzt war sie aber gespannt, wie Konan das erklären würde.

„Lange Geschichte. Sagen wir mal, sie besucht uns vorläufig.“

Die Frau schien zu verstehen, dass weiteres Fragen jetzt gerade nicht besonders angebracht wäre, deshalb nickte sie Sakura nur freundlich zu und begab sich dann in Richtung der anderen Takas.

„Hat alles geklappt? Ich hoffe, es war dir nicht unangenehm mit dem schweigenden Sasuke durch die Gegend zu fahren“, sagte Konan mit einem entschuldigenden Lächeln im Gesicht.

Sakura schüttelte nur den Kopf. „Natürlich nicht. Zudem hat er nicht die ganze Zeit geschwiegen. Ich konnte eigentlich nicht schlecht mit ihm reden.“

Nun, das war vielleicht etwas geflunkert, denn unangenehm war es ihr definitiv gewesen. Aber rückblickend musste sie sagen, dass es gut gewesen war, mit ihm zu fahren. Schliesslich hatte sie im Laufe der Fahrt sogar selbst das Gespräch mit ihr gesucht.

Das schien Konan sichtlich zu freuen. „Wirklich? Das ist echt super, Sakura. Ich hoffe, du kannst noch etwas mehr aus ihm rauskitzeln.“

„Hey Cherry!“ Hotaru kam lachend angerannt und packte sie an der Hand. „Schon mal die Aussicht von hier gesehen? Komm!“

Sakura musste über ihren Übermut richtiggehend lachen, als sie von ihr bis zu der dicken Betobrüstung gezogen wurde, welche das Dach säumte. Es war erstaunlich, wie gut die allgemeine Stimmung hier gerade war und sie war wirklich froh darüber.

„Schau mal!“

Erst jetzt, auf Hotarus Aufforderung hin, schaute Sakura sich richtig um und schlagartig wurde ihr klar, dass Suigetsu ihr nicht zu viel versprochen hatte, was die hammermässige Aussicht vom Dach der Bank betraf.

Beeindruckend erhob sich die Stadt in ihrer ganzen Pracht vor ihr aus dem grauen und dunklen Untergrund, so schön, wie sonst nie. Es gab zwar viele Dinge an der Stadt Konoha, die weder schön noch angenehm waren, was aber die Weihnachtsbeleuchtung betraf, hatte sie die Nase weit vorn. Es war ein wahres Lichtermeer.

Für einmal hell.

Hier störte es kaum noch, dass man wegen den Lichtern die Sterne nicht mehr sah, die ganze Stadt schien nämlich inmitten von Sternen zu schweben, leicht, rein und fröhlich. Auch wenn das auf Konoha eigentlich überhaupt nicht zutraf, war die Vorstellung davon einfach herzerwärmend. Unten auf dem grossen Downtown Square, auf dem an normalen Tagen eigentlich Autos fuhren und in den Läden ausgiebig eingekauft wurde, war alles voller Menschen, die hier den Jahreswechsel verbringen wollten.

Am höchsten Gebäude, nämlich dem ganz oben, zwischen zwei Strassen, die sich teilten, befand sich eine riesige, geschmückte Uhr, die mit Mitternacht das neue Jahr verkünden würde. Im Moment war es aber gerade mal halb Zehn.

Sie erinnerte sich daran, wie sie mit Tsunade in ihrem ersten Jahr in Konoha an Silvester hier gewesen war. Schon damals hatte sie die warme Atmosphäre hier trotz Minustemperaturen richtig gespürt und genossen.

Mit den Kuramas hatte sie die Stadt immer von der Glade‘s aus beobachtet, was auch wunderbar gewesen war, aber von dem Dach dieses Hauses war es noch einmal etwas ganz anderes. Auf eine andere Art toll.

„Hammer, nicht?“ Hotarus gute Laune war richtig ansteckend und Sakura freute sich, dass sie mit ihr so freundschaftlich umging. „Weisst du, ich habe gedacht, dieses Jahr wird es vielleicht nichts mit einem schönen Silvester. Aber Madara hat alles organisiert und dann bist du gekommen und hast nochmal richtig gute Stimmung verbreitet. Danke.“

Zutiefst gerührt lächelte Sakura. „Ich habe euch zu danken. Hier oben ist es echt der Wahnsinn!“

„Nicht wahr? Silvester ist für mich immer das Schönste. Ich stelle mir immer vor, dass man mit jedem neuen Jahr auch eine weitere Chance im Leben bekommt. Für andere ist der Jahreswechsel nichts Spezielles, aber für mich bedeutet er, dass ich weiterleben darf.“ Verträumt starrte sie in die Nacht hinaus, während sie das sagte. Es klang irgendwie so daher gesagt, dabei hatten ihre Worte in so schweres Gewicht und sprachen für sich. Sie war ein Mensch, der gelernt hatte, zu schätzen was man hatte und immerzu sein Bestes im Leben zu versuchen. Hotaru hatte sie ja eigentlich immer gemocht und auch jetzt wurde sie ihr zusehends sympathischer.

„Es so zu betrachten ist echt schön. Für mich hat Neujahr lediglich immer ein Jahreswechsel bedeutet. Mehr nicht“, meinte sie nachdenklich.

Sie lächelte. „Verstehe ich. Aber weisst du, auf der Strasse ist es ja so, dass man nie weiss, ob man das nächste Jahr, geschweige denn den nächsten Tag noch erleben darf. Besonders in der Zeit des Gangkriegs.“

„Ich verstehe, was du meinst. Gangs müssen sich hochkämpfen, da sie sonst elend zu Grunde gehen, aber niemand garantiert ihnen ihr Überleben in besagtem Kampf. Irgendwie ironisch.“ Sakura merkte mehr und mehr, wie Hotaru ihre Sichtweise mit ihr teilte, als sie nickte. Naruto und die anderen waren so im Gangleben drin, dass sie sich manchmal gar nicht mehr hinterfragten, was sie taten. Vielleicht einfach, weil sie sowieso keine Wahl hatten. Jetzt nach Itachis Tod, schien das aber einigen nach und nach mehr ins Bewusstsein zu rücken.

Plötzlich kreischte Hotaru laut auf, als sie von hinten gepackt und einmal schwungvoll von Deidara herumgewirbelt wurde, der natürlich schon wieder einiges intus hatte. „Na, Ladys, wer will mit mir tanzen?“, fragte er breit grinsend, den Kopf auf Hotarus Schulter aufgestützt.

Diese verdrehte nur die Augen und lachte. „Ich mache das, Sakura. Den Typen darf ich dir nicht zumuten.“

Deidara verzog empört das Gesicht, bevor er aber etwas sagen konnte, zog Hotaru ihn zu den anderen Tanzenden.

Kopfschüttelnd liess sie ihren Blick über das Getümmel an feiernden Takas schweifen, nur um drüben, etwas abseits den rauchenden Sasuke auf zwei alten Holzkisten sitzend zu entdecken. Bei ihm waren Karin, Suigetsu, Hidan und Juugo.

Sie näherte sich ihm langsam, wohlwissend, dass er sie schon längst im Augenwinkel bemerkt hatte. Zu ihrem Erstaunen nahm er die Zigarette sofort aus dem Mund und warf sie hastig weg.

Da konnte sie sich ein kleines Grinsen beim besten Willen nicht verkneifen. Irgendwie war es ihr egal, dass auch Karin dort sass. Nun gut, egal war es ihr nicht. Sie hatte jetzt einfach beschlossen dieser Frau zu zeigen, dass sie keine Angst vor ihr hatte.

„Hey, da ist ja unsere süsse Kurama!“, rief Hidan ihr bereits leicht angesäuselt entgegen und sie musste lachen. „Na, wie gefällt dir Taka-Silvester?“

„Bis jetzt ist es super“, meinte sie und setzte sich zu ihnen hin. „Tolle Aussicht von hier oben.“

„Bestimmt allemal besser, als mit den Kuramas“, meinte Karin ziemlich herablassend und obwohl das Sakura enorm störte, sagte sie nichts.

„Halt die Klappe, Sniper.“ Hidan sprach aus, was sie gerade dachte.

„Was ist  eigentlich mit dir los? Du gehst uns in letzter Zeit echt auf den Sack“, brummte Suigetsu und Karin zog einen Schmollmund. Sie sah echt gut aus, mit ihrer wallenden, roten Mähne und ihrem hübsch geschminkten Gesicht. Da konnte sie nebendran einpacken.

„Geht euch einen Dreck an, Idioten“, fauchte sie sauer.

„Na toll, dann geh uns einfach nicht mehr auf die Nerven. Versteh manchmal echt, warum sie dich damals Teufelstochter genannt haben! Der Name passt wie die Faust aufs Auge.“ Suigetsu schien sich wirklich ziemlich über die launische Karin aufzuregen.

Gerade, als Sakura sich innerlich grinsend auf eine zickige Situation seitens Karin gefasst machte, fuhr Sasuke scharf dazwischen. „Suigetsu, es reicht!“

Als ihr Blick auf Karin fiel, verging in ihr jegliche Schadenfreude. Karin starrte Suigetsu an. Sie sah geschockt aus. Irgendwie traurig. Und verletzt. Dann erhob sie sich ohne ein weiteres Wort, ging davon und verschwand im Bankgebäude.

Was war denn jetzt passiert?

Unerwartet

Gerade hätte Sakura nicht in Suigetsus Haut stecken wollen. Sasuke bedachte ihn mit einem vorwurfsvollen, eisigen Blick, den er zuerst einmal gekonnt ignorierte. Schlussendlich seufzte er aber. „Jaja, ich weiss schon. Das wär jetzt nicht nötig gewesen.“

Hidan nickte nur bekräftigend. „Du hast das überhaupt heikelste Thema angeschnitten, das es für Sniper gibt. Wie geschickt.“

„Ah, halt die Klappe. Ich geh ja schon“, grummelte Suigetsu, erhob sich und verschwand dann dort, wo Karin eine Minute zuvor.

Irgendwie schienen hier alle außer ihr zu begreifen, worum es ging. Sasuke entschuldigte sich daraufhin kurz und sie wusste auch gleich wieso: Soeben war Madara auf die Dachterrasse getreten und Sasuke steuerte ihn direkt an.

„Suigetsu ist manchmal einfach zu direkt.“ Juugo schüttelte nur den Kopf, dann schien er Sakuras fragenden Blick zu bemerken.

„Oh shit, Cherry versteht gar nichts.“ Er blickte sich vorsichtig um. „Da der Boss grad weg ist, erzählen wir es dir, aber schön Klappe halten, ja?“
 

„Komm schon, Sniper! Ich habs nicht so gemeint, okay?“

Im obersten Geschoss des Bankgebäudes befand sich ein riesiger Büroraum, voller Schreibtische, Computer, Aktenvernichter und Drucker. Inmitten des Ganzen sass Karin etwas verloren auf einem der Tische an der gläsernen Fensterfront. Dadurch fiel sanft das Licht von der ganzen Weihnachtsbeleuchtung und verlieh dem Raum eine ruhige Atmosphäre.

„Verschwinde doch einfach, Fangs!“, kam es von  ihr und obwohl es definitiv gereizt hätte klingen sollten, verfehlte sie die gewünschte Wirkung. Ihre Stimme versagte gegen Ende.

„Nee, sonst hab ich ein schlechtes Gewissen, okay?“ Natürlich, es tat ihm längst leid. Aber er vertrug einfach ihre angriffslustige und zickige Art nicht, die sie besonders dann drauf hatte, wenn Cherry in der Nähe war. Er setzte sich also ziemlich frech einfach neben sie auf den Tisch, worauf sie so tat, als würde sie ihn nicht bemerken.

„Okay, es war scheisse, dich so zu nennen. Ich weiss ja, dass es für dich übel ist. Tut mir leid.“ Er wollte ehrlich klingen und wusste ehrlich gesagt nicht, ob es ihm auch gelang.

„Nein, weisst du was?“ Urplötzlich schaute sie ihm direkt ins Gesicht. „Ich dachte eigentlich, dass ich das längst hinter mir gelassen habe! Das war die alte Karin und von der will ich nichts mehr wissen! Und dann kommst du mit diesem dummen Namen und plötzlich ist alles wieder da!“

Aus ihrer Stimme hörte er so viel Verzweiflung heraus, dass es selbst ihn irgendwie erreichte, obwohl er eher weniger ein emotionaler Typ war. „Na hör mal, jetzt du nicht so, als ob du verantwortlich dafür bist, wie alles gekommen ist. Das waren deine Alten, die dich in die Scheisse hineinschlittern haben lassen!“

Sie schüttelte nur energisch den Kopf und wandte sich wieder ab. Irgendwie schien sie mit den Tränen zu kämpfen und das sah Taka-Sniper überhaupt nicht ähnlich. So sagte sie einen Moment nichts, bis sie sich dann wieder aufraffen zu können schien.

Jetzt war es die pure Resignation in ihrer Stimme, die ihn beunruhigte. „Den Namen und all diese üblen Dinge, die damit verbunden sind, kleben irgendwie an mir. Ich werd sie nicht mehr los, Suigetsu!“

 

„Karin hat in ihrer Vergangenheit sehr unter ihren Eltern gelitten. Die waren zwar oft zu Hause, jedoch musste Karin immer die ganze Hausarbeit machen, schon in jungem Alter. Waschen, putzen, einkaufen, kochen. Ihre Eltern waren streng und haben sie geschlagen, wenn sie sich nicht so verhalten hat, wie gewünscht. Ansonsten haben sie sich wenig um sie gekümmert.“

Schon nur das liess Sakura das Blut in ihren Adern gefrieren. Sie hatte ja selbst nicht die besten Erfahrungen mit ihren Eltern gemacht, jedoch konnte sie sich ganz gut an die Zeit erinnern, in der noch alles glatt gelaufen war und sie als Familie viel Spass gehabt hatten. Aber bei Karin schien es das nie gegeben zu haben.

Schon jetzt klang ihre Geschichte absolut scheusslich. Auch wenn sie Sniper nicht mochte, kein Kind hatte es verdient, so aufzuwachsen. Juugo räusperte sich. „Sie hat auch nie Geld gekriegt und ist immer in denselben Kleidern rumgelaufen. Ihre Eltern waren oft weg, der Vater war dauernd am Arbeiten, die Mutter wurde mehr und mehr zu Alkoholikerin, die nebenbei auch noch psychische Probleme entwickelte. Die ist zeitweise auch in der Psychiatrie gewesen deswegen. Und deshalb hat sich Karin nach Arbeit umgesehen, aber als Fünfzehnjährige ohne Einverständnis der Eltern findet man so schnell nun mal keinen Job. Dadurch, dass sie schon gelernt hatte, sich viel älter aussehen und wirken zu lassen, als sie eigentlich war, bekam sie dann doch ein Jobangebot – in einem Striplokal. Natürlich nahm sie den Job an, das versteht sich von selbst. Eine Wahl hatte sie ja nicht. Und von da an arbeitete sie in dem heruntergekommenen Schuppen. Jetzt zu diesem Namen: Wegen ihrer feuerroten Haare nannte man sie ganz einfach „Devil’s Daughter“ oder eben auch Teufelstochter. Das war ihr Pseudonym und sie hatte viele Fans in dem Lokal. Nicht, dass sie sich darüber gefreut hätte.“

Sakura tat in diesem Moment so vieles leid, was sie bisher von Karin gedacht hatte. Natürlich mochte sie sie immer noch nicht, aber was sie da hörte, war ein ganz schön hartes Stück Realität.

Urplötzlich tauchte Shion hinter Hidan auf, sie hatte anscheinend schon etwas länger zugehört und setzte nun dort ein. „Der Inhaber des Lokals hat seine Angestellten echt kacke behandelt und Karin war in dieser Zeit unglücklicher denn je. Sie hasste es, von diesen Männern angefasst und angestarrt zu werden, sich zu räkeln und sich selbst nach der Arbeit noch von ihnen belästigen zu lassen. Und dann waren ihre älteren Stripperkolleginnen allesamt noch neidisch auf ihren sogenannten ‚Erfolg‘ und haben sie oft grob behandelt und manchmal auch geschlagen. Sie hat getrunken, gekifft und alles Mögliche gemacht, um dem Ganzen irgendwie zu entfliehen… echt scheusslich.“

Shion klang sehr traurig. Ihr musste Karin das haarklein erzählt haben. Irgendwie hatte sie die blonde Taka noch gar nie so nachdenklich und mitfühlend erlebt. Sie musste eine enge Freundschaft zu Karin pflegen.

„Es war glaube ich Schicksal, als sich an diesem Abend einige Takas in der Nähe des Schuppens aufhielten und mitbekamen, wie der Inhaber Karin hinter dem Gebäude auch noch zur Prostitution mit Kunden nötigen wollte. Und als sie sich geweigert hat… ich geh jetzt nicht ins Detail ja? Es war übel. Aber dann sind die Jungs dazwischen gegangen und haben sie gleich mit ins HQ genommen. Sie war so fertig… ich war damals auch neu bei den Takas und gerade dabei, als sie ankamen und hab ihr gleich einen Platz zum Duschen und Schlafen gezeigt.“

Je länger die Erzählung andauerte, desto mehr merkte Sakura, wie viel Glück sie in ihrem Leben hatte, obwohl auch ihres nicht immer einfach gewesen war. Was Shion ihr hier erzählte war schockierend. Kam noch dazu, dass die Takas ihr schätzungsweise nur gerade mal einen kleinen Bruchteil von Karins ganzem Leid mittgeteilt hatten und dass da noch viel mehr Schlimmes passiert war. Ja, vielleicht war das hier der Punkt, an dem sich ihre Sichtweise über Sniper verändern würde, auch wenn sie sie immer noch nicht mochte.

 

„Als ich dann endlich zu euch ziehen konnte, hat sich alles geändert. Weisst du, von da an ging es bergauf. Aber all der Mist kreiste mir dauern im Kopf herum, doch irgendwann schaffte ich es, mich irgendwie neu zu finden…“ Karin wischte sich verstohlen mit der Hand über die Augen.

Suigetsu grinste und starrte dabei nach draussen. „Als Strassensängerin bis du echt gut. Du hast as Zeug zum Singen. Damit bist du nämlich auch entspannter geworden und zu der Sniper, die die Takas heute auch ausmacht.“

„Ach was…“, grummelte sie, lächelte aber dabei. „Ich werde niemals diejenige sein, die ich eigentlich sein könnte. Selbst wenn ich es versuche, am Ende bin ich immer zickig und abweisend. Liegt wohl in meiner Natur.“

„Das ist schon okay so.“ Er klopfte ihr sanft auf die Schulter. „Mann, Karin, die Takas brauchen dich und du brauchst uns. Wir sind verdammt noch mal mehr als der Abschaum dieser Gesellschaft und diejenigen, die halt Pech gehabt haben. Es braucht jeden Einzelnen von uns. Was würden wir nur machen, ohne deine fantastischen Songs, die du uns immer mit der Gitarre vorsingst oder deine Schiesskünste? Du bist verdammt wichtig, da kann niemand was dran rütteln. Seien es nun deine gestörten Eltern oder das, was du früher gemacht hast. Wichtig ist, was du heute tust und dass du heute eine Taka bist.“

Suigetsu erkannte sich selbst nicht wieder. Er redete sonst eigentlich nie in solchen Tönen, aber irgendwie schien es gerade richtig zu sein. „Komm schon, ein bisschen Lockerheit hat noch keinem geschadet.“

Er gab ihr einen neckischen Schubs. „Wir werden dir immer helfen, all den Mist aus dem Kopf zu kriegen. Wenn wir alle nach dem beurteilen würden, was wir waren, dann wären wir alle allein. Wichtig ist, dass wir hierhergefunden haben, wo man uns nimmt, wie wir sind und zu nichts zwingt, was wir nicht sein wollen.“

Langsam nickte sie und lehnte ihren Kopf gegens eine Schulter. Ja, sie lächelte sogar ein wenig. „Solche Reden passen gar nicht zu dir.“

Er grinste. „Stille Wasser sind tief. Sagt man doch so, oder?“

„Jep“, meinte Karin spöttisch grinsend.

Er seufzte daraufhin nur. „Ich war ‘ne Niete in der Schule.“

 

Sasuke kam erst gegen elf wieder zurück. Sakura hatte in der Zwischenzeit bereits mit Juugo und Hidan getanzt und sich sogar noch ein wenig näher mit Shion unterhalten. Ganz ehrlich, trotz der Kälte war ihr warm. Es war so schön zu sehen, wie die Takas wieder Takas waren, ohne sich dabei irgendwie komisch zu fühlen. Inzwischen konnte sie kaum mehr leugnen, dass ihr ihre Erzfeinde irgendwie ans Herz gewachsen waren.

Ino hatte sie eine lange SMS zukommen lassen, die sie den anderen hatte vorlesen können, in denen sie ihnen bereits ein gutes neues Jahr wünschte. Ja, sie vermisste sie im Moment schon ziemlich, zumal sie nicht wusste, wie viele von ihnen auch an nächstem Silvester noch dabei sein konnten. Schliesslich befanden sie sich gerade in einer Zwischenkriegszeit und bald würden es wieder erbitterte Battles sein, die ihren Alltag prägten.

Den blossen Gedanken daran liess sie erschauern. Und dann ging ihr auch noch Karins traurige Geschichte nicht aus dem Kopf.

Solche Gedanken waren definitiv nicht das, was man  zum Jahreswechsel im Kopf haben sollte. Am besten verbannte sie den ganzen Gangkrieg jetzt in die hinterste Ecke ihres Kopfes.

Als sie sich endlich von diesen trüben Gedanken losreissen konnte, musste sie urplötzlich feststellen, dass die anderen sich irgendwo ins nirgendwo verzogen hatte, tanzten oder sonst was taten. Wer zurückblieb waren sie – und Demon.

Wie auf Kommando setzte ihr altbekanntes, aber deshalb nicht weniger schlimmes Herzrasen ein. Er sass direkt neben ihr, mit einer Bierflasche in der Hand in die Nacht hinausstarrend. Es war so kalt, dass sich ihr Atem in Form von kleinen Wölkchen in der Luft abzeichnete und langsam spürte Sakura die Kälte auch zu ihr durchdringen. Wenn man sich bewegte oder Alkohol trank, sollte das weniger ein Problem sein, aber jetzt, da sie nur an eine der Holzkisten gelehnt dasass, wurde ihr doch allmählich kalt. Aber sie konnte ja wohl schlecht einfach aufstehen und davonlaufen.

Sakura musste sich langsam richtig Mühe geben, damit sie nicht zitterte oder mit den Zähnen klapperte. Bloss nicht! Wenn Sasuke das bemerkte, dann käme sie sich wieder so dermassen klein und schwach vor, dass sie es selbst nicht aushielt.

Aber was machte sie sich auch vor? Es brauchte weitaus mehr nur ihre Anstrengungen, damit Sasuke solche Sachen entgingen.

Ehe sie es sich versah war er wortlos aufgestanden und verschwand im Gebäude, nur um dann kurz darauf mit einer Decke zu ihr zurück zu kommen.

„Da.“ Auffordernd streckte er ihr die Decke hin und sie nahm sie ihm dankbar ab, auch wenn sie immer noch nicht genau wusste, wie sie sich ihm gegenüber eigentlich verhalten sollte.

„Danke“, meinte sie daraufhin leise, während er sich wieder hinsetzte.

Auf dieses unangenehme Schweigen, welches sich mit Sicherheit wieder breitmachen würde, wenn sie nichts unternahm, hatte sie echt keine Lust. Nein, nur das nicht.

Also musste sie irgendetwas machen.

„Was ist das eigentlich für eine Werkstatt, in der du arbeitest?“ Keine zwei Sekunden später hätte sie sich ohrfeigen können. Sie wusste das ja nur, weil sie Karin und Sasuke vorgestern belauscht hatte. Wie bitte sollte sie jetzt eine glaubhafte Ausrede finden?

„Woher weisst du das?“ Wie zu erwarten gewesen war wurde sie sofort zum Opfer von diesem stechenden Röntgenblick, den er so gut beherrschte. Diesen Blick bekam man dann ab, wenn man in fremdes Territorium vordrang.

„Ähm… also Konan hat da was erwähnt…“ Wenn das nicht rekordverdächtig war. Hiermit war sie also offiziell die schlechteste Lügnerin im Universum. Hurra.

Es war nicht so, dass er ihr das jetzt abkaufte, ganz im Gegenteil. Aber zu ihrem Glück beliess er es dabei und wandte seine dunklen Augen wieder von ihr ab. Gerade als sie dachte, die immer noch ausstehende Antwort in den Wind schiessen zu können, überraschte er sie wider Erwarten.

„Es ist ‘ne Autowerkstatt. Arbeite da schon seit vier Jahren.“

„Und wie bist du dazu gekommen?“ Irgendwie musste sie jetzt einfach weitermachen.

Die kurze Stille vor seiner Antwort sagte ihr längst deutlich genug, wie deplatziert ihre Frage gerade gewesen war.

„Itachi.“

Na toll, war heute eigentlich Fettnäpfchen-Tag? Die Art wie er seine Antwort hervorpresste sagte genug darüber aus, wie sehr es ihm zusetzte, sobald sein Bruder ins Spiel kam. Er schien es vielleicht vor den anderen gut verstecken zu können, wie sehr er trauerte, aber bei so direkten Fragen konnte auch Sasuke nicht ständig seine Maske aufbehalten.

„Tut mir leid“, flüsterte sie nur. Da war sie doch hier um zu helfen und nicht um alles noch schlimmer zu machen.

Er schüttelte nur den Kopf, aber es war ihm anzusehen, wie viel Mühe es ihm bereitete, hier und jetzt nicht die Beherrschung zu verlieren.

„Weisst du… meinetwegen musst du dich nicht verstellen. Es ist viel Schlimmes passiert, aber es totzuschweigen… das hilft doch niemandem.“ Es war schwer in Worte zu fassen, wie viel Mut es gerade erfordert hatte, das zu sagen. Zu erwähnen, welche Angst sie vor seiner Antwort hatte, erübrigte sich wohl. Er war so schwierig einzuschätzen, dass so ziemlich jede mögliche Reaktion von ihm hätte kommen können.

Er entschied sich offensichtlich dafür, aufzustehen und sich nach vorne zu der Betonbrüstung zu begeben. Gedankenverloren starrte er in die Nacht hinaus und Sakura verspürte in der Herzgegend einen Stich, als sie ihn da stehen sah. So verloren irgendwie. Das musste sie ändern.

Sie wusste nicht, ob er damit jetzt einverstanden war, aber sie begab sich unbeirrt, nach wie vor in die Decke gewickelt, zu ihm.

Für einen Moment standen sie da, schauten auf das nächtliche Konoha hinaus, welches jedoch noch so gar nicht müde zu sein schien. Aber so kompliziert auch alles zu sein schien, auf eine Art fühlte sie sich immer noch genauso wie eh und je, als sie so neben ihm stand und dem Treiben da unten zusah. Bei ihm zu sein löste in ihr etwas aus, was so schwer zu beschreiben war. Seine Anwesenheit bewirkte, dass sie sich geborgen fühlte. Dass sie sich trotz klopfendem Herzen wohlfühlte.

„Schön nicht?“, fragte sie nach geraumer Zeit.

Er nickte. „Aber eigentlich ist es eine Lüge.

Nun war sie etwas verdutzt. „Warum denn?“

Als sie sich das genauer durch den Kopf gehen liess, wusste sie aber sofort was er meinte.

„Das ganze Jahr  lang ist es in dieser Stadt dunkel. Vor allem im äusseren Ring. Und dann, an einem Tag ist plötzlich alles vergessen und man feiert so, als gäbe es all das Schlechte gar nicht." Sein abfälliger Ton machte Sakura traurig.

„Hm, sieh es doch mal so: Wenigstens  an einem Tag in diesem Jahr spürt man hier den guten Willen der Menschen und die Wärme, die sie verbreiten können. Das ist doch immerhin etwas, oder nicht?“

Er schüttelte nur den Kopf. „Deine Zuversicht sollte man haben.“

„Was bringt es mir, alles immer so schwarz zu malen? Konoha wird sich nicht ändern, dass weiss ich. Aber genau deswegen sollte man doch die schönen Momente geniessen, die es uns bietet“, meinte sie nachdenklich.

„Du lebst ein wenig in ‘ner Seifenblase“, sagte er rau, ohne sie anzusehen.

Eigentlich hätte das Sakura sauer machen sollen, aber in Anbetracht dessen, was er für dunkle Seiten Konohas gesehen hatte, stimmte das wohl sogar.

„Kann sein.“

„Nicht dass es schlecht wäre. Ich glaube, es ist sogar besser so.“

Jetzt stutze sie. „Warum denn?“

„Bleibt dir vieles erspart.“ Nach einer kurzen Pause meinte er etwas leiser. „Dir soll kein solcher Mist passieren…“

Da war es wieder. Dieses nervöse Pochen ihres Herzens. Aber trotzdem machten seine Worte sie traurig.

„Ich hätte lieber ein bisschen mehr Mist im Leben gehabt, wenn du dafür nicht so viel hättest erleben müssen.“

Wieder ein Kopfschütteln. „Sag sowas nicht.“

Er klang traurig. Natürlich, er war ja auch traurig. Itachis Tod war erst ein paar Wochen her und hier feierte man ausgelassen Silvester. Seine Selbstbeherrschung war wirklich unglaublich.

„Sag mal…“, sie holte tief Luft. Das brauchte jetzt ziemlich viel Überwindung. „Kann ich irgendetwas tun? Irgendwas, das dir hilft, Sasuke?“

Ein dicker Kloss bahnte sich in ihrem Hals an und sie spürte bereits, wie dieser verfluchten Tränen sich in ihre Augen stahlen. So nahe wie sie hatte wohl selten einer am Wasser gebaut.

Jetzt wanderte sein Blick zu ihr. Es kostete sie ihre ganze Kraft, seinem intensiven Blick Stand zu halten, aber das musste jetzt sein. „Warum, Sakura? Warum machst du das?“

Himmel, wenn es möglich gewesen wäre, dann hätte ihr Herz in diesem Moment einen Salto gemacht. Es war ja wahr. Warum tat sie das? Nachdem sie ihm erklärt hatte, dass das mit ihnen nicht funktionierte, nach all dem Geschehenen? Zudem war sie Himmelherrgott nochmal eine Kurama und keine Taka. Was also tat sie hier?

„Es macht mich fertig… dich so zu sehen“, presste sie hervor. Sie durfte ihn jetzt nicht mehr anschauen, ansonsten würde sie definitiv zu Heulen anfangen. Das alles ging ihr doch näher, als sie es für möglich gehalten hätte.

Es war, wie wenn all die verwirrenden Gefühle auf einmal hochkamen. In ihrer Verlegenheit warf sie einen Blick auf die Uhr, die zu ihrer Überraschung bereits einige Minuten vor zwölf zeigte.

Ihr war gar nicht aufgefallen, dass sich inzwischen so ziemlich alle am Geländer versammelt hatte, lachten, tranken und scherzten, während sie dem neuen Jahr entgegen fieberten. Die Musik hatten sie ausgemacht, das würde von nun an von da unten geregelt werden. Sogar Karin und Suigetsu waren wieder da und schienen sich soweit wieder zu vertragen.

Sasuke und sie standen nach wie vor etwas abseits, aber das war gerade gut so. Solche Gespräche musste nicht jeder mitbekommen.

„Ich möchte dir helfen, wieder auf die Beine zu kommen… aber wenn du willst, dann gehe ich, weisst du...“ Diese wenigen Worte waren so schwer über die Lippen zu kriegen, dass sie es langsam aber sicher deutlich fühlte.

Der Zeiger der Uhr rückte langsam aber sicher vor. Noch eine Minute. In der Minute würde sich entscheiden, ob sie morgen noch bei den Takas war oder ob sie nach Hause gehen würde.

Sie erschrak fürchterlich, als sie eine Hand auf ihrer spürte. Zuerst wagte sie es gar nicht, sich zu ihm umzudrehen.

Es war eine sanfte, stille Geste, die aber für sie längst Antwort genug war. Eine Träne kullerte ihr über die Wange, einerseits vor Freude über das Gefühl seiner warmen Hand auf ihrer, andererseits weil gerade jetzt all die Erinnerungen an Itachis Tod in ihr hochkamen. Sie erinnerte sich an den Abend bei der DD-Area und Sasukes Leid, dass sie mit eigenen Augen gesehen hatte. An all den Schmerz, den er in sich trug.

Als er ihre Hand drückte, wurde sie urplötzlich aus den trüben Gedanken gerissen, gerade um noch zu sehen, wie der Zeiger vorrückte und die Menge unter ihnen losjubelte. Der Applaus und der Jubel waren gigantisch und das Feuerwerk, welches plötzlich den Nachthimmel in allen Farben erhellte, war einfach nur atemberaubend - Musik ertönte über den ganzen Square, ein Song von Coldplay, der dem ganzen Geschehen eine unglaubliche Magie verlieh.

Erst jetzt konnte sie ihn anschauen. Er hatte den Blick in den Himmel gerichtet, so nachdenklich, dass es einfach nur schön war, ihn anzusehen. Er sah immer noch traurig aus, aber das würde sich in nächster Zeit auch nicht ändern.

Seine simple Geste, die ihr ganz warm ums Herz werden liess, hatte gerade mehr gesagt, als dass er es jemals mit Worten hätte ausdrücken können. Er sagte damit „Danke“, sagte damit, dass sie bleiben sollte. Er liess sie hiermit gewähren, verschanzte sich für einmal nicht hinter meterdicken Mauern. Kein bisschen Zurückweisung, wie er das bisher gemacht hatte. Hier und jetzt wollte er versuchen, für einen kurzen Moment den Blick mit ihr nach vorne zu richten.

Ihr wurde so vieles klar in diesem einen Augenblick. Dieser Taka hatte immer noch einen enorm wichtigen Platz in ihrem Herzen. Er war es, der ihr Herz zum Rasen brachte, er war es, um den ihre Gedanken andauernd kreisten. Sein Blick brachte sie aus der Fassung, wie kein anderer je zuvor, seine Anwesenheit liess sie nervöser werden, als dass sie es jemals für möglich gehalten hätte. Und seine Berührungen machten sie ganz kirre.

Es war an der Zeit sich einzugestehen, dass sie ohne diesen Taka nicht sein konnte. Dass sie ihn brauchte und bei ihm sein wollte.

Nach all der Zeit, in der sie versucht hatte, ihr Gefühle herunter zu spielen und ihn aus ihrem Kopf zu verdrängen, hatte sie dennoch immer dasselbe gefühlt: Sie liebte ihn.

Es war einfach so. Dieser junge Mann hatte ihr von Anfang an den Kopf verdreht und nie mehr damit aufgehört.

Hier und jetzt stand er so nahe bei ihr. Nach all dem Erlebten im vergangenen Jahr, nach all dem kämpfen, nach all dem Zwiespalt und all den schlimmen Dingen, die sich ereignet hatten, war er immer noch da.

Sie konnte einfach nicht anders und umarmte ihn ganz vorsichtig. Gerade jetzt war er so zugänglich, dass sie ihm zeigen wollte, wie froh sie war, dass es ihn gab.

Er legte nach kurzem Zögern auch seine Arme um sie. Ihr kamen jetzt endgültig die Tränen. Das fühlte sich so vertraut und dennoch abenteuerlich an. So wie es schon immer ein Abenteuer mit ihm gewesen war.

„Es tut mir leid. Alles“, flüsterte sie an seinem Hals.

Als Antwort drückte er sie nur noch etwas fester an sich.

 

Auch Konan stiegen die Tränen in die Augen, als sie Sasuke und Sakura eng umschlungen dort drüben stehen sah, so vertraut und liebevoll.

Sie war so froh, dass Sakura ihn hatte erreichen könnten. Sie in den Himmel hinauf und fragte in Gedanken: „Siehst du das, Itachi? Du brauchst dich nicht zu sorgen. Er wird es schaffen. Sie ist da. Und wir alle auch.“

„Hör auf zu weinen, Blue.“ Urplötzlich stand Yahiko neben ihr. Und ehe sie es sich versah umarmte er sie ganz fest. „Frohes neues Jahr, Konan.“

„Wünsch ich dir auch“, presste sie schniefend hervor und erwiderte seine Umarmung.

Und sie genoss es.

Über Yahikos Schulter machte sie Karin aus. Natürlich hatte auch sie Sasuke und Sakura gesehen, dementsprechend unerfreut sah sie aus. Und trotzdem drehte sie sich nach einem Moment weg und widmete sich den anderen, die wie wild feierten. Aus mehreren Neujahrsküssen war gleich ein richtiges Neujahrs-Geknutsche geworden und sie musste lächeln.

Die Takas – so wie es sein sollte.

 

Sakura wusste nicht, wie spät es war als sie das Bankgebäude verliessen. Jedenfalls ziemlich spät. Die Jungs hatten gerade mal so viel getrunken, dass sie noch im Stande waren, zu fahren, ohne jemanden zu gefährden - der Beweis dafür, dass sich auch die Takas beherrschen konnten.

Nun gut es gab da zwei Ausnahmen, nämlich Deidara und Zetsu, welche man auf die Rückbank des Wagens verfrachtete, wo sie gleich einpennten.

Sasuke und sie sprachen auch auf der Rückfahrt nicht viel, aber das war auch nicht nötig. In den letzten Stunden hatten sie mehr miteinander geteilt, als sie es sich je hätte träumen lassen.

Erst, als sie an einer besprayten Hausmauer vorbei fuhren, brach er das Schweigen. „Fällt es dir auch auf?“

„Was?“

„Die Riots. Schau mal nach draussen. Seit wir losgefahren sind, habe ich zwei Riot-Gruppen und ungefähr fünf Graffitis mit ihrem Bandensymbol gesehen. Die Typen machen sich breit“, brummte er rau.

Es war beeindrucken, was für Adleraugen er hatte. Sakura selbst war nichts aufgefallen, was unter anderem mit der Müdigkeit zusammenhing, die sie momentan gerade heimsuchte.

Aber was er sagte war mehr als nur beunruhigend. „Meinst du, wir können die überhaupt noch schlagen? Es sind so viele…“

Sasuke wartete nicht, bis sie zu Ende gesprochen hatte. „Wir werden sie schlagen.“

Sein Ton liess keine Widerrede zu. Sasuke würde alles tun, um diese Typen zu schlagen, das wusste sie. Sein Hass gegen diese Gang war grösser, als sie es sich überhaupt vorstellen konnte. Aber wie weit war er bereit, zu gehen?

Wie auch immer, seine arge Entschlossenheit war also deutlich, daran konnte man nicht zweifeln.

„Stärker als sie sind wir. Ihre Zahl ist das Problem.“

Tja, sie wusste genau, was er meinte, so hatte sie es doch mit eigenen Augen gesehen. Eigentlich war es schon verzwickt: Wenn die Riots nicht wären, dann hätten sie diesen ganzen Stress nicht. Andererseits würden die Kuramas anstelle der Riots immer noch gegen die Takas kämpfen. Was besser war konnte sie nicht sagen. Sie tendierte allerdings auf Ersteres…

Im HQ angekommen weckten sie Deidara und Zetsu und begleiteten sie nach oben in den Aufenthaltsraum, wo einige Takas noch etwas assen oder tranken, während andere bereits die Schlafräume ansteuerten. Juugo und Sasori nahmen ihnen die beiden lallenden Jungs, um sie dorthin zu bringen, wo sie hingehörten, nämlich ins Bett.

Es war süss, dass Sasuke sie noch bis zu ihrem Käfig begleitete und ihr sogar die schwere Tür aufmachte. Bevor sie aber eintreten konnte, schob er sie zurück. „Geh da nicht rein. Ist wie im Gefrierfach. Scheiss-Heizung fällt manchmal aus.“

„So schlimm wird’s nicht sein. Das überleb ich schon.“

Er schüttelte den Kopf. „Nein.“

Ohne weitere Worte packte er ihre Tasche, nahm sie am Handgelenk und zog sie mit sich in die entgegengesetzte Richtung, wo er beim Aufenthaltsraum in den linken Gang einbog.

Sie ahnte schon, wohin ihr Weg sie führen würde und gleich darauf wurde sie wieder nervös. Noch nervöser, als sie es ohnehin schon war, in seiner Anwesenheit.

Wie erwartet stellte sich das Zimmer der Bosse als das Ziel heraus. Konnte es tatsächlich sein?

Das war echt ein grosser Schritt für Sasuke, wenn er jemanden in diesem Zimmer übernachten liess…

Er stiess die Tür auf. „Du kannst in meinem Bett schlafen, wenn‘s dir nichts ausmacht. Sorry für die Unordnung“

Erst jetzt fiel es ihr auf. Sasukes Bett war unberührt, während Itachis benutzt aussah. Ja, genau, schon gestern war das so gewesen.

Sasuke schlief also in Itachis Bett? Sakura musste sich ganz schön zusammenreissen, um nicht wieder traurig zu werden, bei diesem Gedanken. Warum hatte Itachi auch gehen müssen? Es war doch einfach nicht fair…

Es war wohl schwer vorstellbar, wie sehr er ihn vermisste.

„Nein, wenn es dir nichts ausmacht. Du musst nicht, wenn du nicht willst.“ Auf keinen Fall wollte sie, dass er das nur aus Mitleid für sie machte.

„Nein.“ Er trat ein und stellte ihre Tasche auf den Boden. „Du schläfst sicher nicht in dem Kühlschrank.“

Sie beschloss, nicht weiter nachzufragen. Aber es freute sie so sehr, dass er ihr dieses Vertrauen entgegenbrachte.

Er ging für einen Moment raus, damit sie ihr Schlafshirt und ihre Trainerhose, anziehen konnte. Die waren zum Glück in der Tasche gewesen.

Er selbst hatte sich wohl im Bad umgezogen, er kam jedenfalls auch in einem schwarzen, etwas weiteren Shirt und Trainerhose zurück.

Sie hatte sich inzwischen schon aufs Bett gesetzt und das ziemlich chaotische Zimmer ein wenig unter die Lupe genommen.

Auf dem Boden lagen diverse Kleidungsstücke herum, inmitten dessen leider auch ein paar Bierflaschen. In einer Ecke stand immer noch die Gitarre. Sie erinnerte sich noch gut an das letzte Mal, als sie ihn hatte spielen hören und wünschte, er würde es wieder tun. Das Gefühl, welches in ihr ausgelöst hatte war….naja auf eine schöne Art intensiv gewesen. Aber darauf konnte sie wohl noch lange warten.

Als er ihren Blick bemerkte, verengten sich seine Augen schlagartig und er schob das ganze Zeug mit seinen Füssen unter sein Bett

„Vergiss das, ja?“, brummte er. Es war ihm peinlich und das brachte Sakura zum Lächeln.

„Schon vergessen“, meinte sie daraufhin und das schien ihn zu beruhigen. Danach machte sie sich schnell auf den Weg ins Frauenbad zum Zähneputzen und als sie zurückkehrte blieb sie noch einmal stehen und musterte etwas zögerlich sein Bett. „Ist es echt okay, wenn ich hier schlafe?“

Das Zimmer der Bosse war ein derartiges Tabu im ganzen HQ, dass sie sich wirklich mehr als nur unsicher war,  sich hier in irgendeiner Form breit zu machen. Für jeden Taka hier galt das stillschweigende Gebot, dieses Zimmer nur im absoluten Notfall zu betreten und ausgerechnet sie durfte hier schlafen? Zugegeben, ein bisschen geehrt fühlte sie sich schon.

„Ja. Leg dich hin und schlaf.“ Er klang nicht verärgert.

Sie tat also wie geheissen und schlüpfte unter seine Decke. Sasuke löschte das Licht und sie hörte, wie er sich ebenfalls hinlegte.

Himmel, ob sie überhaupt schlafen konnte? Irgendwie war sie ihm so lange fern gewesen und jetzt schlief er im selben Raum wie sie, ganz nahe bei ihr. In seinem Kissen konnte sie ihn riechen. Vielleicht war das dämlich, aber immer, wenn sie seinen Duft roch, dann roch sie auch Abenteuer. Und Geborgenheit.

Irgendwie wünschte sie sich in dem Moment, dass er direkt neben ihr liegen würde. Damit sie ihn noch besser riechen konnte. Und fühlen konnte.

Kurz ging sie in Gedanken zurück zu dieser Silvesternacht. Wie schön es gewesen war, seine Nähe zu spüren und zu wissen, dass er sie hier haben wollte. Es war wieder einer dieser magischen Momente gewesen, die man irgendwie sehr selten erlebte, aber genau deshalb so kostbar sind. Und für sie war er jemand, der solche Momente herbeiführen konnte.

 

Als sie am nächsten Morgen die Augen öffnete, wusste sie erst nicht, wo sie war. Erst als sie den Geruch des Kopfkissens wahrnahm, dämmerte es ihr.

Etwas erschrocken fuhr sie hoch, nur um zu sehen, dass das Bett neben ihr leer war. Durch das schnelle Aufsetzen war ihr für einen Moment ziemlich schwindelig und sie verfluchte sich gleich dafür.

Als sich ihr Schwindel legte, erhaschte sie einen Blick auf den Wecker, der auf der alten Kommode stand. Halb Zwölf?

Himmelherrgott, ausgeschlafen hatte sie jetzt definitiv. Hastig  schlüpfte sie in frische Kleidung, welche sich glücklicherweise in ihrer Tasche befand und machte sich auf den Weg ins Bad, damit sie ihre zerzausten Haare etwas richten und sich das Gesicht waschen konnte.

Kurze Zeit später begab sie sich zum Aufenthaltsraum. Gerade als sie eintreten wollte, hielt sie aber inne, weil sie  ihren Namen vernahm.

„…in seinem Zimmer geschlafen, echt! Ich frag mich ja, was wir falsch machen“, lachte Hidan. „Ich meine, wir dürfen da eigentlich nie rein und dann kommt Cherry anspaziert und darf gleich dort pennen.“

„Pah, du willst also beim Boss pennen? Haste Angst vor Albträumen oder was?“ Suigetsu. Typisch, er lachte sich ab seinem eigenen Witz kaputt, während alle anderen wohl gerade nur die Köpfe schüttelten.

„Zu deiner Info, du Flasche, die Heizung in beiden Käfigen ist wiedermal ausgefallen. Juugo und ich  wurden heute schon dazu verdonnert, uns darum zu kümmern, aber ganz ehrlich? Das Teil ist am Arsch, zumindest die Leitungen dort.“ Das klang nach Kakuzu.

„Wie auch immer. Wo ist denn der Boss überhaupt?“

Es war ziemlich gewöhnungsbedürftig, dass die Takas nun Sasuke „Boss“ nannten. Bisher hatte sie den Begriff immerzu mit Itachi verbunden. Sasuke wahrscheinlich auch.

Kurzerhand beschloss sie, sich endlich bemerkbar zu machen und trat ein. Sofort wechselten die Takas schon beinahe professionell das Thema, aber zuerst begrüssten sie sie natürlich.

„Hey, Cherry! Na, Hunger?“ Juugo schob ihr etwas zu Essen hin und sie setzte sich an die Bar-Theke. „Hat‘s dir gefallen gestern?“

So wie er fragte, war ihm dieser Moment mit Sasuke gestern nicht entgangen, ja, wahrscheinlich wussten sowieso alle davon.

Deshalb nickte sie nur lächelnd. „Es hat Spaß gemacht. War mal was anderes.“

Juugo nickte zufrieden. Was Sakura gerade Sorgen machte, war Karin. Sie war zwar noch nicht aufgekreuzt, aber wenn sie das erfuhr, würde sie ihr die Hölle heiß machen. Aber irgendwie war es nicht mehr dasselbe. Sie wusste jetzt, warum Karin so war, wie sie war  und auch wenn das keine Entschuldigung war, konnte sie es irgendwie verstehen. Wenn man im Leben nichts hatte, dann klammerte man sich doch umso mehr an das, was man hatte, oder? In diesem Fall also auch an Sasuke.

Gerade wollte sie sich etwas mit Juugo unterhalten, als urplötzlich die Tür aufgerissen wurde und ein, ihr unbekannter junger Mann keuchend in den Raum stürmte. An seinem rechten Arm war sein Pullover blutdurchtränkt. Hinter ihm erschien in diesem Moment noch jemand, der dem ihm glich wie ein Ei dem anderen. Das mussten Zwillinge sein! Vermutlich stammten sie vom Taka-Outer.

„Sakon, was ist denn passiert?“

Sofort waren einige Takas bei ihm und halfen ihm zum Sofa, Konan holte sofort Verbandszeug.

„Riots…verfluchte Scheisse…“

„Ukon, sag schon, was ist!“, drängte Hidan.

Der Zweite, der unverletzt zu sein schien, setzte sich ebenfalls hin. „Holt den Boss! Sofort.“

Riot

Es dauerte keine zwei Minuten, bis Sasuke im Aufenthaltsraum erschien. Selbst in dieser schlimmen Situation merkte man ihm kein bisschen Stress an. Nur die Verärgerung stand ihm ins Gesicht geschrieben.

Sakura vergass manchmal fast, das er jetzt der Leader war, deshalb wurde es ihr dieses Mal umso klarer. Es lag nun an ihm, Situationen zu beurteilen und entsprechende Handlungen in die Wege zu leiten. Aber jetzt schon? War es vielleicht nicht doch ein bisschen zu früh?

Gerade in diesem Moment betrat auch Yahiko den Raum und gesellte sich zu ihm. Anscheinend wollte er ihm das nicht alleine zumuten, aber Sasuke wirkte ganz und gar nicht so, als ob er das alles jetzt an seinen Vize abwälzen wollte.

„Was ist passiert?“, fragte er scharf in die Runde, während er seinen Blick über den verletzten Sakon schweifen ließ und schlussendlich bei Ukon innehielt. Die beiden unterschieden sich lediglich dadurch, dass Ukon links ein Unterlippen-Piercing trug, währen Sakon seine rechte Augenbraue gepierct hatte.

„Riots, Boss. Ganz ehrlich? Die sind doch alle durchgeknallt! Sakon und ich waren in der Stadt beim alten Güterbahnhof, aber nicht als Takas oder so zu erkennen. Hatten Jacken an, die die Tattoos verdeckten. Jedenfalls sind da dann so ‘n paar Riots auf den Plan getreten, etwa sechs an der Zahl und die haben uns zuerst nicht beachtet. Aber dann haben sie plötzlich begonnen, zu uns rüber zu glotzen und irgendwann sind sie dann auf uns zugekommen und mit Messern auf uns los. Keine Ahnung, kann sein dass die uns noch von dem grossen DDM-Battle her kannten, anders kann ich mir das nicht erklären. Und Sakon haben sie am Arm erwischt, bevor wir uns in Sicherheit bringen konnten.“ Er holte einmal Luft inmitten seiner langen Erzählung. „Fakt ist: Die greifen jeden Taka an, den sie kriegen können und das gilt bestimmt auch für die Foxes. Selbst wenn man sich friedlich verhält, die wollen uns alle auslöschen, egal wie und unter welchen Umständen.“

Sasuke hatte aufmerksam zugehört. Sein Blick verriet absolut nichts darüber, was er dachte. Irgendwie erinnerte er sie so noch viel mehr an Itachi…

„Ich muss mich mit Big Fox unterhalten und zwar sofort. Wenn wir noch länger damit zuwarten, aktiv zu werden, dann werden sie uns allen die Hölle heiss machen. Die werden unter allen Umständen versuchen, unsere HQs ausfindig zu machen.“ Er klang ruhig, aber bestimmt.

Was er sagte war allerdings mehr als nur beunruhigend. Konnte es tatsächlich sein, dass die Riots nach ihrem Sieg nun versuchten, jeden einzelnen Taka oder Kurama auszuschalten, auch wenn diese gar nichts taten?

Wie wenn es nicht schon genug des Guten wäre, kam jetzt auch noch Hotaru aufgeregt in den Raum gelaufen.

„Hey, Demon! Da hat mich gerade Tayuya vom Outer angerufen und gesagt, sie seien in der Nähe der DDM von Riots angegriffen worden, keine Ahnung, wieso!“ Ihr Blick wanderte über die versammelte Menge und die beiden Zwillinge. „Hey, was ist denn hier los?“

Die Unruhe machte sich im ganzen Raum breit, in ihr schwang Wut und Ärger mit. Inzwischen hatte sich wohl der gesamte Inner hier versammelt.

„Reisst euch zusammen. Wenn es euch hilft, die Aktionen der Riots beweisen nur, wie sehr sie sich vor uns fürchten. Ihnen ist bewusst, dass die Gefahr, die von uns ausgeht noch längst nicht gebannt ist, auch wenn sie gerne so tun.“

Sasuke war wirklich erstaunlich besonnen. Man merkte ihm an, dass er schon ziemlich viel Erfahrung aus seinen Vize-Jahren mitbrachte.

„Sakura.“

Erschrocken fuhr sie aus ihren Gedanken hoch. „Ja?“

„Das hier muss schnell gehen, also können wir den Kuramas nicht einfach einen Brief schreiben. Kann ich dein Handy haben? Ich brauche Big Fox‘ Nummer.“ Er klang jetzt, wo er mit ihr sprach überhaupt nicht mehr streng.

„Natürlich.“ Das war ja keine Frage. Naruto musste das genauso wissen, wie alle anderen. Sie kramte ihr Handy aus ihrer Hosentasche hervor und suchte in den Kontakten nach Narutos Nummer, bevor sie es Sasuke überreichte.

Dieser nahm es, stellte auf Lautsprecher und wartete, bis Naruto ranging. Als sich nach dem gefühlt hundertsten Läuten immer noch keiner meldete, wollte Sasuke schon wieder auflegen.

„Warte noch! Naruto braucht immer ewig, bis er rangeht. Er lässt sein Handy immer irgendwo im nirgendwo liegen, deshalb dauert es einen Moment.“

Wie aufs Stichwort war ein Klicken in der Leitung zu hören. „Cherry?“

„Nee.“

„Ah. Demon.“ Er klang verständlicherweise nicht besonders erfreut. „Was verschafft mir die Ehre?“

Sakura war sich sicher, dass Naruto sich im HQ befand und somit auch einige andere dieses Gespräch mitbekamen. Schliesslich hatten sie alle letzte Nacht ordentlich gefeiert, deshalb lag es auf der Hand, dass sie nicht schon wieder unterwegs waren.

„Hör zu, Big Fox: Ich ruf dich nicht an weil es mir Spass macht. Ganz und gar nicht. Aber das hier ist nicht nur für uns wichtig. Sorg dafür, dass all deine Leute besonders vorsichtig sind, wenn sie nach draussen gehen. Bandensymbole unbedingt verstecken. Soeben wurden zwei unserer Outer-Mitglieder von Riots angegriffen und das so ziemlich ohne Grund. Sie haben sich nicht einmal als Takas zu erkennen gegeben, anscheinend hatten sie sie aber noch von dem DDM-Battle her in Erinnerung oder so, keine Ahnung. Dasselbe bei einer anderen Outer-Gruppe. Ich weiss nicht, wie du das interpretierst, aber wenn du mich fragst, dann jagen die uns, weil sie verdammt noch mal Schiss haben, dass wir bald zurückschlagen.“

Sie hatte Sasuke selten so ernst und auf eine ziemlich besondere Weise besorgt erlebt, wie es jetzt der Fall war. Vielleicht tat es ihm ja ganz gut, sich seinen Leader-Aufgaben zu widmen, damit er nicht immer an seinen Bruder denken musste.

„Fuck. Klingt übel, ich werde es meinen Leuten sagen. Aber wenn du mich fragst heisst das, dass es Zeit wird, in die Gänge zu kommen. Auch wenn es vielleicht noch früh ist, aber wir können ja wohl nicht einfach tatenlos zusehen, wie sie unsere Leute schikanieren. Wenn wir nichts unternehmen, dann werden sie uns fertigmachen, was bei ihrer Zahl durchaus möglich ist.“ Naruto klang ruhig, auch wenn er sich bestimmt tierisch aufregte. Aber er war ein guter Leader und schaffte es eigentlich immer, in solch schwierigen Situationen einen kühlen Kopf zu bewahren.

„Meine Rede.“ Sasuke fuhr sich nachdenklich mit der Hand durch das pechschwarze Haar. „So sehr es mir auch missfällt, aber wir müssen uns wohl oder übel mal treffen und ‘nen Schlachtplan ausarbeiten. Möglichst bald.“

Naruto schien am anderen Ende der Leitung nachzudenken, das liess jedenfalls die vorübergehende Stille verlauten. „Hmm, heute Abend im ‚Toad‘s‘? Nicht, dass Takas dort extrem erwünscht wären, aber Riots hängen dort bestimmt keine rum.“

In Jiraiyas Bar? Nun, der würde sich garantiert nicht besonders freuen, aber wie sagte er selbst immer? Die Gang ging vor. Und das hier war definitiv wichtig.

„Wir sind um neun dort“, erwiderte Sasuke.

„Alles klar.“ Naruto war drauf und dran, aufzulegen, jedoch schien ihm noch etwas einzufallen. „Gib mir noch für einen Moment Cherry. Und schalt den Lautsprecher aus.“

Sasuke tat wie geheissen und reichte ihr ohne einen weiteren Kommentar das Handy.

Ehrlichgesagt war es ihr etwas unangenehm, hier von all den Takas bei dem Telefonat belauscht zu werden, weshalb sie den Aufenthaltsraum nun auch schnurstracks verliess.

„Frohes Neues, Cherry.“

„Danke, das wünsche ich dir auch, Naruto.“

„Ist alles okay bei dir?“ Genau jetzt begann sie die Kuramas wieder richtig zu vermissen. Es tat irgendwie so gut, zu hören dass sie sich um sie sorgten. Sie hatte schon Angst gehabt, dass es ihnen langsam aber sicher egal war, was sie tat und mit wem sie  herum hing, aber das schien glücklicherweise nicht der Fall zu sein.

„Es geht mir gut, Naruto. Wirklich. Und danke dass du fragst.“

Er lachte leise. „Wie könnte ich auch nicht?“

Irgendwie brannte ihr dieser Zwist zwischen den Gangs gerade jetzt richtig auf der Seele. Es war so eine verzwickte Sache, dass sie manchmal selbst nicht darüber im Klaren war, wo sie stand.

„Weisst du, es tut mir leid, dass ich euch immer solche Sorgen bereite. Ich denke oft an euch, aber irgendwie war das hier wichtig für mich, auch wenn es vielleicht blöd klingt. Ich will einfach, dass ihr wisst, dass ich Kurama bin und Kurama bleiben werde, okay?“

„Das ist schön zu hören. Komm bald nach Hause, okay?“ Sie hörte ihn erneut lachen, jedoch klang er nicht so befreit, wie sonst immer. „Hey, du bist heute Abend auch dabei, oder? Sag Demon, ich will das so, falls er sich quer stellt.“

Sie grinste. „Wird er bestimmt nicht, aber ich werde es ihm sagen, falls doch. Dann bis heute Abend, ja?“

„Bis dann, Cherry und pass auf dich auf.“

 

Der Abend kam überraschend schnell. Am Nachmittag setzte sie sich noch mit einigen der obligaten Algebra-Aufgaben auseinander, wobei sich ihr Hidan als überraschend grosse Hilfe entpuppte. Es war wirklich erstaunlich, wie leicht ihm der Umgang mit den Zahlen, beziehungsweise Buchstaben fiel. Er erzählte ihr sogar, dass er  in der Schule immer Klassenbester in Mathe gewesen war, leider hatte es aber in anderen Fächern massiv gehapert. Laut ihm hätte man seine abgelegten Französisch-Prüfungen nur „rauchen“ können.

Man gab es ihm vielleicht nicht, aber wenn er so neben ihr sass und ihr mit Engelsgeduld jede Aufgabe erklärte, dann war sie sich sicher, dass er einen guten Lehrer abgegeben hätte. Als sie ihm das aber gesagt hatte, hatte er das lediglich mit einem Lächeln abgetan und gemeint, dass dieser Zug längst abgefahren sei.

Es war oft sehr hart, mitanzusehen, wie in so vielen Leuten hier ein enormes Potenzial steckte, aus welchem sie nie wirklich etwas machen können würden. Nur weil es das Leben mit ihnen nicht gut gemeint hatte.

Um zwanzig vor neun versammelten sich Sasuke, Yahiko, Deidara und Hidan in der Garage. Sasuke hatte nichts gegen Sakuras Bitte, mitkommen zu dürfen einzuwenden gehabt. Warum sollte er auch?

Sicherheitshalber würden sie sich aber alle getrennt zum „Toad’s“ begeben, da man in einer Gruppe definitiv schneller auffiel, als alleine. Die Riots würden sie nicht als Gegner erkennen, solange sie vermummt unterwegs waren.

Sasuke band Sakura wie gehabt die Augenbinde um, als sie ihren Platz hinter ihm auf dem Motorrad eingenommen hatte.

„Hey, von mir aus kann Cherry-Füchslein auch bei mir mitfahren!“ Es erübrigte sich, zu fragen woher dieser Spruch kam. Typisch Deidara.

„Klappe, Blondie.“ Sasukes Antwort fiel wie gewohnt schroff aus, was sie hierbei insgeheim schon ein bisschen freute.

„Jaja schon gut.“ Deidara sagte das hörbar belustigt. „Ich nehme dir dein Kirschlein schon nicht weg.“

Himmel, zum Glück musste sie jetzt dank der Augenbinde nicht in die Runde schauen, ansonsten wäre sie noch röter geworden, als sie es sowieso schon war. Die Jungs sollten doch bitte die Klappe halten.

Sasuke schien das wie immer nicht zu kratzen. Er ignorierte diesen Spruch und das darauffolgende Gelächter seiner Jungs eiskalt. „Wenn ihr euch jetzt nicht zusammenreisst, nehme ich Fangs und Shark an eurer Stelle mit, klar?“

Damit war die Sache gegessen und sie machten sich auf den Weg. Sakura hatte ihre Kapuze hochgezogen, damit ihre rosa Haare nicht auffielen.

Soweit sie es spüren konnte, fuhr Sasuke immer noch ziemlich behutsam, was ihn ihr wiederum ein kleines Freudengefühl auslöste. Seit sie sich eingestanden hatte, dass sie ihn immer noch liebte, suchte sie richtiggehend nach Zeichen seinerseits, die ihr etwas über seinen Gefühlsstand ihr gegenüber verrieten. Aber bei einem Uchiha wie ihm konnte man lange warten. Es waren wohl eher die kleinen Gesten, die verrieten was in ihm vorging und wer ihm am Herzen lag. Jetzt musste man sie nur noch richtig deuten, was aber leider schwieriger war, als man vielleicht dachte. Zudem hatte Sasuke im Moment wahrscheinlich alles andere im Kopf, als seine Beziehung zu ihr.

Konoha jedenfalls, war wieder in sein altbekanntes Muster zurückgefallen und die Magie war bis auf einige Lichter in der Downtown fast gänzlich verschwunden. Durch den Tag war wieder ein wenig Schnee gefallen, jedoch hatte man die Strassen bereits wieder geräumt.

In diesem Sinne hatte Sasuke eigentlich schon recht: Die Atmosphäre in der Neujahrsnacht war eine Lüge.

Nach ungefähr einer Viertelstunde erreichten sie das „Toad’s“, Jiraiyas Bar am Rande der Downtown, nahe dem West. Naruto verrichtete hier normalerweise seinen Barkeeper-Job, aber heute war er aus anderen Gründen hier. Die Kuramas waren schon da, das verrieten jedenfalls ihre Motorräder vor der Bar, die sie bestens kannte. In der Seitengasse stand auch noch eines ihrer Bandenautos.

Deidara, Hidan und Yahiko trafen allesamt fast gleichzeitig ein und gemeinsam betraten sie die Bar. Um diese Uhrzeit waren nur wenige Leute anzutreffen, das würde sich aber in den späteren Abendstunden ändern.

Das „Toad’s“ hatte in der Stadt einen ziemlich guten Ruf. Im Inneren war es etwas düster, die Beleuchtung bestand vorwiegend aus schummrigen Lichtern, die aber dank ihrer Anzahl ziemlich viel hermachten. Links von der grossen Bar-Theke befand sich eine Tanzfläche auf der rechten Seite fand man den mit Bildern von alten Autos und Motorrädern ausgeschmückten Gang, der einen zu den Toiletten führte. Irgendwelche Musik quäkte aus der Stereoanlage, Jiraiya hatte sie aber noch nicht auf das volle Volumen hochgeschraubt. Das machte er erst, wenn die tanzfreudigen und partylustigen Nachtschwärmer eintrafen.

Sakura mochte solche Lokale eigentlich nicht besonders, aber hier fühlte sie sich schon fast zu Hause, da diese Bar nebst der DDM eine wichtige Anlaufstelle für Kuramas war. Hier hatte man mehr Ruhe, hierhin ging man um sich zu unterhalten. In der DDM war man, um zu feiern. Manchmal besuchten sie hier auch Naruto, wenn er Wochenendschicht hatte.

Hinter der Bar machte sie Jiraiya aus, welcher alles andere als einladend aussehend hinter der Bar stand und die Takas eindringlich musterte. In dieser Angelegenheit war er genauso misstrauisch wie die anderen, allen voran Naruto. Nun gut, er hatte damals mit Madara ja auch einen Gegenspieler gehabt, dem selbst sie nicht wirklich über den Weg traute. Obwohl sie gerne daran glauben wollte, dass Madara kein übler Typ war, so war er ihr trotz allen Bemühungen immer noch ziemlich suspekt.

Um die ganze Sache etwas zu lockern winkte sie Jiraiya zu, auf dessen Gesicht sich sofort ein breites Lächeln abzeichnete.

„Hi, Cherry!“, rief er sofort zurück. Wie genau er zur Tatsache stand, dass sie zurzeit im Taka-HQ zugegen war, wusste sie nicht. Was sie aber wusste war, dass er Tsunade und somit auch ihren Entscheidungen traute. Kam noch dazu, dass er längst aufgehört hatte, Naruto zu belehren, schliesslich stand die Gang schon seit mehr als einer Generation nicht mehr unter seiner Führung.

Die Kurama-Truppe sass wie gewohnt in der hinteren rechten Ecke, wo man so ziemlich seine Ruhe hatte, selbst wenn die Bar voll war. Dabei waren nebst Naruto auch Kiba, Shikamaru, Shino und Neji dabei. Ihre Freude, sie zu sehen wurde noch grösser, als sie hinter ihnen auch noch Ino ausmachen konnte, welcher sie sofort lachend um den Hals fiel.

„Saku, Himmel, du lebst ja noch!“, rief Ino freudig und drückte ihre Freundin fest an sich.

„Frohes Neues, Flowie!“

 Als sie sich von Ino löste fiel sie auch noch Kiba um den Hals, bis sie merkte dass die Takas die ganze Zeit beobachtend daneben gestanden hatten. Das war jetzt wieder peinlich. Ihnen musste sie sowieso wieder einmal vorkommen, wie das naive kleine Mädchen, für das sie sich zwischenzeitlich auch selbst hielt.

Sogar Akamaru streckte ihr noch seine Schnauze entgegen und Sakura wuschelte ihm belustigt mit beiden Händen durch das weisse Fell. „Hi, Grosser. Na, alles klar?“

Nun gut, sie war jetzt nicht hier, um mit dem Hund zu kuscheln. Jetzt war sie gespannt, wie das Ganze hier von Statten gehen würde. Als sie Sasukes Blick sah, musste sie ein Lachen unterdrücken. Sein Blick galt dem Hund, dem Köter, mit dem er damals in einem der Battles solche Scherereien gehabt hatte. Er schaute so befremdet und misstrauisch aus der Wäsche, dass sie sich jetzt wirklich von ihnen abwenden musste, um nicht laut loszulachen.

„Setzt euch“, wies Naruto an. Der Tisch war gross genug, damit alle darum herum Platz fanden.

Ino brachte von der Bar her Bier, welches die Takas wortlos annahmen. Nein, unter verfeindeten Banden sprach man nicht mehr als nötig und auf höfliche Umgangsfloskeln verzichtete man strikte.

„Folgendes vorweg“, holte Naruto aus. „Tatsächlich wurden heute auch einige unserer Outer-Mitglieder verfolgt. Die Typen machen wirklich ernst.“

„Immerhin sind wir Bedrohung genug für sie, damit sie das Gefühl haben, uns ausschalten zu müssen, um weiterzukommen. Ist ja auch so“, meinte Sasuke. Es war wirklich erstaunlich, wie gut er sich bereits in der Leader-Position zurechtfand. Ja, sie wiederholte sich, aber er erinnerte sie enorm an Itachi und wenn sie sich so die Gesichter der anderen Takas ansah, dann wusste sie, dass es ihnen genau gleich erging.

Es war gut, dass er jetzt eine Aufgabe hatte, so hatte er etwas, um sich von seinem eigenen Schmerz abzulenken.

„Jep. Die Frage ist nur, was wir jetzt unternehmen. Es wird Zeit zu handeln, ansonsten glaube ich, dass die alles in Bewegung setzten werden, um unsere HQs ausfindig zu machen. Wenn man uns alle auslöschen will, dann muss man schliesslich den Bau erwischen“, mischte sich Shikamaru jetzt auch ein und er sagte eigentlich so ziemlich das, was Sasuke auch vermutet hatte. „Oder meinetwegen eben die Höhle.“

Kiba und Neji war deutlich anzusehen, dass es ihnen überhaupt nicht passte, mit den Takas am Tisch zu sitzen, Shika und Shino hingegen hatten das perfekte Pokerface auf.

Sakura streichelte weiterhin Akamaru. Es war das erste Mal, dass sie an so einer Besprechung dabei war. Nun gut, es war ja auch die erste Besprechung in diesem Rahmen zwischen Taka und Kurama überhaupt. Aber allgemein war sie bisher kaum in die Planung und die Organisation von Gangaktivitäten involviert gewesen. Umso spannender war das hier nun natürlich für sie.

„Hm, ist das grundlegende Problem denn nicht eigentlich, dass noch nicht alle wirklich bereit sind, wieder in diesen bescheuerten Krieg zu ziehen? Ich meine, schau dich doch mal an, Demon, auch wenn du‘s nicht zugibst, aber dein Rücken killt dich tagtäglich aufs Neue.“ Hidan hob fragend eine Augenbraue, Sasuke reagierte aber nur, indem er diese letzte Bemerkung ignorierte.

Natürlich! Sasukes Rücken hatte richtig übel ausgesehen nach dem Kampf bei der DD-Area und der Explosion. Die Brandwunden waren so schlimm gewesen, dass Sakura gar nicht richtig hatte hinschauen können. Wie hatte sie das einfach vergessen können? Und sein Bein war ja noch zusätzlich angeschlagen gewesen. Deswegen wäre er den Flammen ja beinahe vollständig ausgeliefert gewesen.

Das war wieder so ein Grund, weswegen sie sich jetzt gerade hätte ohrfeigen können.

„Das ist in der Tat ein Problem. Ein weiteres ist die Überzahl der Riots. Ohne einen guten Plan können wir diese Arschgeigen nicht schlagen.“

„Deswegen sind wir ja heute hier.“ Naruto kratzte sich nachdenklich am Kopf. „Also, besonders scharfsinnig sind sie nicht, das hat man ja bei  ‚Drop‘ schon gemerkt. Deshalb sollte es nicht allzu schwierig sein, sie irgendwie dranzukriegen.“

Pain nickte. „Was sind ihre Schwächen? Lasst und die mal zusammentragen.“

„Selbstüberschätzung“, rief Deidara wie aus der Pistole geschossen.

„Nicht unbedingt Genies im Planen“, fügte Neji an.

Auch Sakura fiel dazu etwas ein. „Sie sind nur stärker als wir, weil sie in der Überzahl sind.“

„Ergo, im Kampf sind die viele von ihnen nicht so gut wie wir“, schlussfolgerte Ino daraus.

Shino nahm einen Schluck Bier. „Unsere Leute, die sie ausspioniert haben sagen, dass sie ihrem Boss blind vertrauen und wohl kaum über die eigene Nasenspitze hinaus denken.“

Kiba nickte zufrieden. „Na, das sind doch mehr als genug Schwächen. Aber wie nutzen wir sie alle sinnvoll?“

„Big Fox und ich haben uns da vorgängig schon Gedanken gemacht“, warf Pain ein. „Grundsätzlich tendierten wir auf einen Hinterhalt und den altbekannten Überraschungseffekt, oder Big Fox?“

Naruto seufzte. Er sah müde aus. „Es ist zwar nicht unbedingt originell, aber bei den Riots ziemlich sinnvoll. Frontalangriffe nützen bei ihrer Anzahl nicht viel.“

„Ich sehe, worauf ihr hinaus wollt“, meinte Sasuke während er langsam die Etikette seiner Bierflasche abkratzte. „Aber wenn man ihre Zahl bedenkt, dann müssten es mehrere Hinterhalte zu selben Zeit sein, meint ihr nicht? Ohne sie irgendwie zu trennen, kriegen wir es nicht hin.“

„Na klar!“ Deidara schlug mit der Faust so hart auf die Tischplatte, dass Akamaru darunter erschrocken den hoch fuhr. „Die Typen verfolgen uns ja sowieso, wenn sie uns also jagen sollte es eigentlich nicht allzu schwer sein, sie irgendwo hin zu locken!“

„Wir können das zwar nicht mit allen auf einmal machen, aber wenn das klappen würde, dann wäre ihre Zahl fürs Erste bereits erheblich verringert.“

„Das klingt nach einer guten Basis für einen Plan.“ Pain nahm den letzten Schluck von seiner Bierflasche.

Dann begann eine riesige Diskussion. Vorschläge wurden gebracht, abgelehnt oder weiterverfolgt und sie alle versuchten aus dieser Idee einen sinnvollen Plan zu basteln.

Sakura und Ino sagten wenig dazu, da sie auch nicht gross Erfahrung in diesen Gebieten vorweisen konnten. Es war erstaunlich, an was die andeten alles dachten und wie geübt sie darin waren, solche Sachen aufzugleisen.

Trotz diesem Talent schien es aber selbst für sie schwierig zu sein, eine Strategie zu erstellen, die möglichst wenige Verluste seitens Takas und Kuramas beinhaltete und trotzdem effizient war.

Irgendwann wurde es Ino und Sakura zu kompliziert und zu anstrengend und sie verabschiedeten sich kurz nach draussen. Ihre Köpfe rauchten bereits vom Zuhören, zudem wollte Sakura sich noch ein wenig mit ihrer Freundin unterhalten, bevor sie wieder getrennte Wege gehen mussten.

Das Planen von solchen Sachen war definitiv nicht ihr Fachgebiet, das überliessen sie besser denen, die auch etwas davon verstanden.

„Wo hast du eigentlich Hina gelassen?“, fragte Sakura, als sie sich im Hinterhof der Bar auf eine hüfthohe, besprayte Mauer setzten. Von der Strasse her fiel das Licht der Strassenlaternen durch die Gasse und erhellte den Hof so wenigstens ein bisschen. Sonst hätten sie ganz im Dunkeln gesessen, abgesehen vom Mondlicht. Kalt war es selbstverständlich immer noch, aber gerade jetzt störte es sie nicht. Irgendwie tat es sogar gut.

„Ihr Vater war heute wiedermal zu Hause. Du weisst ja, wie sie es geniesst wenn er mal da ist. Aber er arbeitet halt dauernd und reist durch die Gegend.“ Ino seufzte. „ Ich wünschte, ich könnte ihr irgendwie helfen, weisst du. Sie sagt immer, dass sie so froh ist, bei Nejis Familie wohnen zu dürfen, sonst würde sie in dem riesigen Apartment ihres Vaters vereinsamen.“

„Und dazu vermisst sie ihre Mutter immer noch. Natürlich am meisten, wenn sie alleine ist. Deshalb müssen wir auf sie aufpassen. Himmel und ich bin nicht da…“ Sakura wurde in diesem Moment bewusst, wie sehr sie sich in letzter Zeit auf die Takas fokussiert hatte, so sehr, dass sie ihre Freundinnen einfach so zurückgelassen hatte. „Es tut mir leid, Ino…was bin ich auch für eine Freundin, einfach abzuhauen…“

„Hey, was soll denn das jetzt? Ich bin ja auch noch bei Hina und du kümmerst dich mal schön darum dass man die Takas im Kampf zu etwas gebrauchen kann. Aber wenn ich mir da den blonden und den Jashin-Typ angucke, dann sehe ich da wenige Probleme. Sogar Demon scheint es auf die Reihe zu kriegen.“

Das stimmte so nicht. Sasuke spielte einfach meisterhaft Theater und das den lieben langen Tag lang.

„Das täuscht, Ino. Sein Bruder ist noch nicht lange tot und er ist nicht einer, der alle wissen lässt, wie miserabel es ihm geht. Wenn jemand noch nicht so weit ist zu kämpfen, dann er.“

Ino lachte leise. „Du scheinst ihn echt gut zu kennen. Schon krass.“

„Was meinst du?“

„Gute Frage. Ich glaube ich meine deine ganze Story, Saku. Weisst du noch wie all das angefangen hat, letzten Sommer? Es ist noch gar nicht mal lange her und trotzdem hat sich so vieles geändert, seit ihr da zusammen über die Tanzfläche geschwebt seid.“

Da hatte sie Recht. Es war in der Tat einiges Geschehen seit damals.

„Aber was läuft denn da eigentlich? Manchmal kommt es mir so vor, als ob du selbst nicht weisst, was abgeht. Du folgst einfach deinem Gefühl, nicht wahr?“

Sakura nickte nachdenklich. Ino sah das glasklar richtig. „Hör zu, ich kann dir das auch nicht so genau sagen. Er ist im Moment schwerer zu lesen, als je zuvor. Zurzeit will ich nur, dass er nicht in ein Loch fällt, verstehst du?“

„Mhm, das war jetzt von seiner Seite. Aber was fühlst du denn dabei?“

Sollte sie das Ino hier und jetzt einfach so sagen? War das richtig?

Ja, das war es. Sie hatte nämlich beschlossen, keine solchen Geheimnisse mehr vor ihren Freundinnen zu haben, nur weil er ein Taka war.

„Ich kriege ihn nicht aus dem Kopf, Ino. Ich krieg Herzrasen wenn er da ist, ich werde neidisch wenn Sniper bei ihm ist, ich bin traurig, wenn er traurig ist. Und trotzdem fühlte ich mich bei ihm wohl.“ Zum Glück war es dunkel, ihr Gesicht musste nämlich knallrot sein, zumindest fühlte es sich so an.

„Das klingt ja eindeutig.“ Ino lächelte nur zufrieden. Keine Spur von Missgunst gegenüber dem, was sie gerade gesagt hatte. „Ich weiss nicht, wie das passieren konnte, Sakura. Eine Kurama und der Taka-Boss? Dass das nicht alle gut finden muss ich dir ja nicht sagen.“

Sie legte ihr den Arm um die Schultern. „Aber ich finde es gut. Ja, ich habe am Anfang auch gezweifelt, nicht grundlos, da musst du mir Recht geben. Aber inzwischen sehe ich es als Chance, dass sich diese verdammten Gangstreitereien zwischen Kuramas und Takas vielleicht entschärfen...ich habe einfach angefangen, so zu denken seit…“

Hier brach sie abrupt ab und schaute etwas beschämt von ihr weg.

„Seit?“ Das interessierte Sakura jetzt zu sehr, obschon sie merkte, dass es Ino unangenehm war.

Ihre Freundin strich sich eine lose blonde Strähne hinters Ohr und holte hörbar tief Luft. „Du erinnerst dich an den Tag der Kriegserklärung? Bei der DDM, als Demon und Naruto sich geprügelt haben?“

Natürlich erinnerte sie sich daran.  Besser gesagt, wie hätte sie es auch vergessen können? Dieser Tag und die Ereignisse, die er mit sich gebracht hatte, waren nicht nur für die Gangszene einschneidend gewesen. Nein, auch für sie, in ihrem Privatleben hatte sich von da an einiges verändert. Damals war sie ja mit Sasuke im Gold Park gewesen und…

„Dort im Gold Park habe ich euch gesehen. Demon und dich meine ich.“ Ihre blauen Augen fixierten Sakura schon beinahe ängstlich. „Werde jetzt nicht sauer, okay? Ich hatte Angst, als er dir nachgelaufen ist und deshalb habe ich mich halt an seine Fersen gehängt. Und da habe ich gesehen, wie er im Park zu dir war. Ganz ehrlich, dass er so sein kann hätte ich mir nicht einmal in meinen kühnsten Träumen auszumalen gewagt. Selbst jetzt glaube ich manchmal, ich habe halluziniert, wenn dich daran zurückdenke. Man gibt ihm diese liebevolle Art, die er dir gegenüber an den Tag gelegt hat, überhaupt nicht, wenn man ihn nur als Gangleader kennt. Und von da an habe ich erst verstanden, warum du ihn so mochtest.“

Für Sakura war Inos plötzliche Beichte  verständlicherweise schon sehr überraschend. Aber warum sollte sie auch wütend sein? Schliesslich hatte sie sich nur um sie gesorgt, ja inzwischen konnte sie das auch sehr gut nachvollziehen. Sie hatte sich auf gefährlichem Terrain bewegt, wie auch ihre nachfolgende Entführung durch die Takas gezeigt hattet, aber rückblickend war es das alles mehr als wert gewesen.

„Ich verstehe schon, wenn du jetzt sauer bist, Saku, es tut mir ja auch leid…“

„Ach was, Ino. Ganz ehrlich, damals wäre ich vielleicht sauer gewesen, das ist schliesslich schon ein ziemlich…naja persönlicher Moment gewesen, wenn du verstehst was ich meine. Aber jetzt bin ich froh, denn so hast du zu verstehen angefangen, warum er mir so wichtig war und immer noch ist.“ Kurzerhand umarmte sie ihre Freundin. „Danke, Ino. Danke, dass du dich um mich sorgst.“

„Das ist doch selbstverständlich“, schniefte sie an ihrer Schulter und Sakura musste leise lachen.

„Du fängst jetzt aber nicht an zu heulen, ja?“

„Nee, bestimmt nicht. Ich heule nie, wenn Takas in der Nähe sind.“

Als sie sich wieder voneinander lösten sah Ino aber immer noch nicht vollends erleichtert aus.

„Ist noch was, Flowie?“

„Mhm…wie geht es dir? Ich meine bezüglich all dessen was in der Schule passiert ist, damals? Du hattest damals im Gold Park wieder Angst alleine zu sein. Hast du die immer noch?“

Sakura erinnerte sich so klar an diesen Tag, als wäre es gestern gewesen. In der Tat hatte sie sich einsam gefühlt, weil sie nicht mehr gewusst hatte, was richtig und was falsch war. Damals war alles noch ziemlich frisch gewesen und somit waren auch die Erinnerungen an ihre miserable Schulzeit hochgekommen.

„Ich glaube, ich habe es einfach nicht wirklich verarbeitet gehabt und deshalb ist es wieder hochgekommen, als ich mich irgendwie nicht mehr bei euch zugehörig fühlte. Es ist so unglaublich schmerzhaft gewesen zu sehen und zu fühlen, wie sehr ihr mir plötzlich misstraut habt. Ich habe mich in diesen Momenten wieder richtig einsam gefühlt, wie zur der Zeit, als Kin, Zaku und all die anderen so auf mir herum getrampelt sind. Aber jetzt nicht mehr. Manchmal weiss ich immer noch nicht, was richtig und was falsch ist, aber ich weiss, dass ich immer zu euch gehöre. Das Einzige, was sich da ändern könnte wäre, wenn ich die Fronten wechsle.“

Auf Inos erschrockenen Blick hin winkte sie ab. „Wird nicht passieren, keine Sorge. Wie könnte ich auch? Ihr seid meine Familie, auch wenn es kitschig klingt. Ich würd euch niemals den Rücken kehren. Nie.“

„Na, da bin ich aber froh.“ Ihrer Freundin war die Erleichterung anzusehen.

„Hey, Mädels!“, ertönte es plötzlich von der Tür her und sie erkannte Kiba, der mit Akamaru die Bar verliess. „Unser Grosser hier muss mal für kleine Hunde.“

Er kam etwas näher. „Will euch ja nicht stören, aber wir machen für heute Schluss. Irgendwie kriegen wir nichts Sinnvolles mehr hin, wir machen morgen weiter.“

Die beiden Mädchen sprangen von der Mauer. „Dann morgen wieder, okay, Saku? Gibt noch viel zu vieles, was du mir erzählen musst. Es interessiert mich brennend, wie das mit den Takas und dir funktioniert!“

„Klar, erzähl ich dir gerne!“

Die Beiden begaben sich zurück in die Bar, wo die Jungs bereits dabei waren, ihre Sachen zusammenzupacken.

Sie steuerten direkt den Ausgang an und als sie nach draussen traten, nahm Naruto Sakura noch für einen kurzen Moment zur Seite. „Alles klar, Cherry?“

„Ja, alles bestens. Bei euch hoffentlich auch.“

„Das ist jetzt rein informativ, aber wann gedenkst du, nach Hause zu kommen? Tsuna löchert mich damit andauernd und sie will dich nicht fragen, weil sie dich nicht drängen will. Mach ich’s halt.“ Er grinste breit. Himmel, wie sie dieses Grinsen vermisst hatte. Trotz all der Müdigkeit schaffte er es immer wieder, ihr ein gutes Gefühl zu bescheren.

„Habe ich mir bereits überlegt. Spätestens in drei Tagen war so mein Plan.“

„Okay.“ Er drängte überhaupt nicht. Sie wusste, wie schwer es ihm fiel, den Takas zu trauen und deshalb schätzte sie es, wie wenig er sich davon anmerken liess. Er wollte einfach das Beste für sich und seine Mitmenschen, so war es schon immer gewesen.

 

Als sie sich verabschiedet hatten und sich wieder in verschiedene Richtungen aufmachten, fühlte sie sich gut. Das klärende Gespräch mit Ino hatte wirklich gut getan und auch zu spüren, dass Naruto ihr vertraute, war einfach schön.

Zurück im HQ war alles noch beim Alten. Weder Kakuzu noch sonst irgendwer hatte die Heizung wieder in Gang gebracht und das bedeutete, dass sie eine weitere Nacht im Zimmer des Taka-Bosses vor sich hatte.

Sasuke schien nach all der mühsamen Kopfarbeit ziemlich erledigt zu sein und so lag er bereits bäuchlings schlafend auf dem Bett, als sie vom Zähneputzen zurückkam. Er hatte immer noch seine Kleider an und lag auf Itachis Bett.

Wahrscheinlich roch das Bett noch nach seinem Bruder. Es war wohl der Ort, an dem er Itachi am nächsten sein konnte. Wenn sie ihn so betrachtete, sah er einfach nur friedlich, wenn nicht sogar ein wenig süss aus.

Einen kurzen Moment spielte sie mit dem Gedanken, ihn zu wecken, damit er sich noch umziehen konnte, aber dann liess sie es bleiben. Was bestimmt nicht die erste Nacht, die er in seinen Kleidern verbrachte.

Also deckte sie ihn vorsichtig zu, löschte das Licht und trat ans Fenster, um die Rollladen zu schliessen. Draussen hatte es wieder zu schneien begonnen, aber dieses Mal waren es schöne, dicke Flocken, die garantiert liegen bleiben würden. Der Mond stand hoch oben am Himmel, er war sogar fast voll.

Leider konnte sie auch von hier aus nicht erkennen, wo sie sich befand, da dem Fenster etwas weiter gegenüber eine Mauer in die Höhe ragte. Keine Hausmauer, aber sie war ziemlich hoch. Es würde sie schon brennend interessieren, wo sich das Taka-HQ genau befand. So viel Zeit hatte sie hier bereits verbracht und trotzdem wusste sie nicht, wo sie war.

Der Himmel war immer so hell, wenn es schneite und das liebte sie. Sobald Schnee lag, war selbst die tiefste Nacht nicht mehr wirklich dunkel. Es wirkte alles so viel friedlicher und sanfter.

Hoffentlich würde auch Sasuke in seinem Herzen irgendwann einen solchen Frieden verspüren können, wie er sich gerade da draussen zeigte. Wenn er so schlief, dann machte es fast den Anschein, als ob es bereits so wäre.

Sie beschloss, die Rollladen nicht hinunterzulassen. Die Nacht war so schön, dass es fast schade wäre, nicht ein wenig von dem Licht in den Raum fallen zu lassen.

Die Müdigkeit machte sich langsam aber sicher auch bei ihr in einer schleichenden Schwere bemerkbar, weshalb sie sich nun auch endlich ins Bett legte. So auf die Seite gedreht, konnte sie ihn wunderbar beobachten. Auch wenn es im Zimmer düster war, das Mondlicht fiel in einem perfekten Winkel durch das Fenster, damit sie ihn sehen konnte.

Während sie also so dalag, musste sie sich eingestehen, dass sie eigentlich gerne näher bei ihm gelegen hätte. Irgendwie sehnte sie sich nach ihm, obwohl er kaum zwei Meter von ihr entfernt war.

Schluss jetzt. Seine Gedanken waren bestimmt bei Itachi. Für Beziehungen hatte Sasuke gerade in dieser Zeit bestimmt keine Nerven. Das war auch gut so, denn jetzt war es wichtig, dass er in seinem Herzen einen Platz für seinen Bruder fand, der ihm nicht mehr so wehtat.

 

Hinata war auch am nächsten Abend nicht dabei. Während die anderen sich um die Pläne sorgten, beschlossen Ino und Sakura wieder nach draussen zu gehen und zu reden.

Es gab so vieles zu sagen, wozu in all den vergangenen Tagen kaum Zeit geblieben war. Sie sprachen über Gott und die Welt und Sakura verspürte ein so gutes Gefühl, wie schon lange nicht mehr.

Und wie sie so ins Gespräch vertieft waren, bemerkten sie die Schatten im ersten Moment nicht, welche sich ihnen langsam von der Strasse her näherten. Doch als sie ihnen endlich im Augenwinkel erschienen, war es bereits zu spät, um sich in die Bar zurückzuziehen.

„Was machen denn so n‘ paar Prinzessinnen wie ihr hier in diesem dunklen Hinterhof? Na, ‘ne Schulter zum Anlehnen gefällig?“ Eine Gruppe bestehend aus sechs zwielichtigen Typen trat ekelhaft grinsend aus der Dunkelheit hervor.

Sakura war froh, Ino dabei zu haben. Sie war in solchen Situationen immer viel cooler und auch jetzt liess sie sich von solchen Idioten nicht aus der Ruhe bringen. Hatten wahrscheinlich etwas zu viel intus.

„Haut ab“, sagte sie ruhig aber bestimmt.

„Warum denn, Blondie? Keine Lust auf  n‘ bisschen Spass?“

„Ich sagte, verschwindet.“ Als die Typen unbeirrt näherkamen, wurde ihre Freundin zusehends forscher.

„Hey, die da mit den rosa Haaren! Die kenn ich von irgendwoher! Die war bei der DD-Area als wir ‚Drop‘ gespielt haben!“

Erster Gedanke: Riots. Zweiter Gedanke: Woher wussten die das? Alle Riots, die bei Drop mitgespielt hatten, waren ihres Wissens tot. Also waren sie doch beobachtet worden!

Sakura wurde immer nervöser und als sie auch Ino neben sich langsam unruhig werden sah, sprang sie von der Mauer. Diese Idioten hatten ihnen den Weg in Richtung Bar abgeschnitten!

„Wieso, warst du unter den Spionen?“, fragte der eine Riot denjenigen, der sie erkannt hatte.

„Jap. Wegen der ist Demon nicht verreckt an dem Tag. Wäre ja auch zu geil gewesen, wenn es beide dieser verfluchten Brüder am selben Abend erwischt hätte.“

Ein Dritter nebendran wurde langsam ungeduldig. „Und was machen wir jetzt? Das sind wohl Taka-Weiber oder so. Wisst ihr, was der Boss und gibt, wenn wir ihm zwei so saubere Geiseln ausliefern? Eine glatte Rangerhöhung!“

Langsam aber sich war klar, worauf das hier hinauslaufen würde. Bedrohlich kamen sie ihnen immer näher und Sakura kämpfte mit der nackten Panik. Neben ihr ging es Ino inzwischen wohl auch nicht mehr viel anders.

 „Genau! Er hat gesagt, die Kerle und die rauen Weiber sollen wir killen, die Mädchen, die so sind wie die sollen wir fangen.“

Dem anderen schien diese Idee sichtlich zu gefallen. War jedenfalls nach seinem Grinsen zu urteilen. „Geiseln machen sich immer gut und mit ein wenig Glück lässt er uns sogar noch unseren Spass mit ihnen haben. Also los, hauen wir ab.“

Jetzt war es an der Zeit, auf sich aufmerksam zu machen, aber als sie beide laut nach den anderen riefen, hielten sie ihnen ganz einfach mit ihren Pranken den Mund zu.

Ihre festen Griffe machte es beinahe zu einem Ding der Unmöglichkeit, irgendwie von ihnen loszukommen.

Der Typ, der sie festhielt griff ihr schnell in den Ausschnitt und zog ihre Kette hervor. „Kurama? Hey, das ist gar keine Taka!“

„Die hier auch!“

„Was? Naja, scheissegal, macht  keinen Unterschied!“

Es benötigte nur einen kurzen Moment der Unaufmerksamkeit des Riots, den Sakura voll ausnutzte. Mit voller Kraft trat sie ihm auf den Fuss und für einige Sekunden lockerte sich sein Griff. Dieses Zeitfenster nutzte sie, um an ihm vorbei zu tauchen, leider hatte er ihr Handgelenk immer noch in seiner stählernen Hand, welches er nun so drehte, dass sie vor lauter Schmerz aufschrie.

„Du entkommst mir nicht du kleines Miststück!“

„Gib‘s auf, Kleine“, kommentierte ein anderer lachend.

Er drehte ihren Arm weiter und langsam sah sie nur noch Sternchen vor Augen. Die Panik gewann mehr und mehr die Überhand. Wenn doch die Jungs kämen…

Nein. Sie durfte jetzt nicht aufgeben. Dieses Mal würde sie sich selbst befreien und nicht auf die Hilfe anderer warten, dieses Mal wollte sie selbst stark sein. Sollte sie sich etwa ihr Leben lang auf die anderen verlassen?

Flink drehte sie sich so zurück, dass es auf ihrem Arm eine leichte Entlastung gab, schnappte sich seinen Finger und biss mit voller Kraft hinein. Jetzt war es an dem Riot, laut aufzujaulen und er liess sofort ihre Hand los. 

„Fick dich, du kleine Bitch!“

„Naruto!“, schrie sie so laut sie konnte. „Naruto!“

Hoffentlich war das laut genug gewesen, damit die Jungs es über die Musik hören konnten.

Der Riot knurrte vor lauter Wut auf und stapfte erneut auf sie zu.  Ihr Herz raste und sie spürte das Adrenalin in ihren Adern pulsieren. Wenn sie das hier nicht hinkriegten, dann würden sie zu den Riots gebracht werden. Mehr wollte sie sich gar nicht vorstellen.

Sie hatte wohl Glück im Unglück, dass der Typ ziemlich gross und daher auch nicht besonders geschickt unterwegs war. Als er erneut zupacken wollte, duckte sie sich hastig und trat ihm mit voller Kraft gegen sein Schienbein und bevor er wusste, wie ihm geschah, rammte sie ihm auch noch ihren Ellenbogen in  die Magengegend.

Er taumelte hustend und würgend zurück, ehe er unsanft auf dem Hosenboden landete. Seine Kumpane lachten nur. Ihre Chancen, hier zu entkommen standen schlechter als schlecht, in Anbetracht dessen, dass da noch fünf andere Riots waren.

Gerade wollte sie Ino zu Hilfe eilen, die es partout nicht schaffte, sich aus dem Griff des Riots zu befreien. Sie hatte das wesentlich schlauere Gegenüber erwischt. Es war so qualvoll anzusehen, wie er sie brutal gegen die Wand warf und sie schrie, trat und biss, dass in Sakura die Wut wie eine Flutwelle aufbrandete. 

Doch dann kam die Erlösung: Sie hörte die Tür hinter sich ruckartig aufgehen und wenige Sekunden später waren die Jungs da.

„Bastarde! Finger weg!“

Nur wenige Sekunden und Ino war frei. Zitternd sank sie an der Mauer zusammen und schaute erstarrt zu, wie der Riot nun brutal von Sai gegen die Wand gedrückt wurde und er ihm ein Messer an die Kehle hielt.

„Hast du ihn, Tamer?“

„Jep.“

Der Andere lag immer noch stöhnend auf dem Boden und war deshalb wohl wesentlich leichter in den Griff zu kriegen. Hidan kümmerte sich um ihn.

„Cherry, gehts?“, neben ihr ging Kiba in die Knie und sie nickte.

„Alles klar, es geht schon.“ Natürlich war das eine Lüge, sie konnte ihren Arm kaum bewegen, so weh tat er und der Schock sass ihr in den Knochen, aber die Jungs sollten sich nicht um sie sorgen.

„Was für eine Lüge, du zitterst am ganzen Körper und bist total ausser Atem. Sieht sogar Akamaru.“

Kaum war sein Name gefallen, schon spürte sie die feuchte Hundeschnauze an ihrer Hand. „Ich komm klar, okay? Was ist mit Ino?“

Langsam aber sicher wurde sie der Umgebung um sich herum wieder gewahr. Dort waren die ihre Leute. Sai hatte den Riot an seine Gangmitglieder abgegeben und kniete nun bei Ino. Und die Anderen?

Die verprügelten die übrigen Riots. Und wie. Sasuke, Naruto, Deidara und Shikamaru zeigten gar keine Gnade. Die Typen hatten absolut keine Chance gegen ihre überlegenen Gegner, die sowieso noch in der Überzahl waren.

Besonders Sasuke, schlug mit voller Kraft, völlig kalt auf den Riot ein, welcher sie vorhin festgehalten hatte. Selbst als er sich gar nicht mehr rührte machte er einfach weiter.

„Demon, wollen wir die denn jetzt alle killen?“

Sasori hätte diese Frage besser bleiben lassen. Als sich Sasuke kurz zu ihm umdrehte, sahen sie es. Es war Antwort genug

Sakura zuckte richtiggehend zusammen, als ihr bei seinem Anblick schlagartig wieder der Abend bei der DD-Area durch den Kopf schoss, als er den Mörder seines Bruders regelrecht hingerichtet hatte.

Seine Dämonenaugen. Es war, als wäre sein Gesicht nicht mehr das seine, sein Ausdruck hatte sich vollkommen verändert. Seine schwarzen Haarsträhnen hingen ihm teilweise ins Gesicht, seine Augen verengt, während sich in ihnen pure Kälte, Gnadenlosigkeit und ein entsetzlicher Hass wiederspiegelten. So seelenlos.

Kurz darauf zückte er ein Messer und setzte es dem Riot an die Kehle.

„Fahr zur Hölle.“

Sakura konnte gar nicht mehr hinsehen, als er ihm das Messer über den Hals zog.

Der Dämon in ihm

Als sie die Augen langsam wieder öffnete, war der Riot tot. Wenn sie vorher nicht wirklich gezittert hatte, dann tat sie es jetzt. Es war schon das zweite Mal, das Sasuke jemanden einfach so, eiskalt, vor aller Augen hingerichtet hatte.

Wenn sie ihn jetzt so anschaute, wie er den Riot einfach liegen liess wie ein gebrauchtes Handtuch, erschauderte sie. Zu wenig war sie wohl bisher bei BZ’s dabei gewesen, als dass sie hätte verstehen können, wie einem der Tod eines Anderen so egal sein konnte. Vor allem unter diesen Umständen. Es war nicht dasselbe, ob jemand in einem Kampf starb, im Bewusstsein, das man nun mal ein Risiko einging oder ob er einfach kaltblütig ermordet wurde, ohne dass er sich noch in irgendeiner Weise wehren konnte.

Wenigstens war er bewusstlos gewesen – ein schwacher Trost. Vielleicht war das komisch, aber obwohl die Riots ihnen beinahe Schlimmes angetan hätten, konnte sie ihnen einfach nicht den Tod wünschen. Niemand verdiente es, so zu sterben.

„Ehm…Demon“, begann Hidan vorsichtig, der auf einem Riot kniete und ihn zu Boden drückte. „Willst du die jetzt alle umlegen? Ich mein, drei haben das Weite gesucht, einer ist tot und zwei sind noch da.“

Man sah dem Taka an, das ihm überhaupt nicht wohl dabei war, Demon in diesem schwierigen Moment anzusprechen. Gerade jetzt sah sie sein Gesicht zwar nicht, aber das war wohl auch besser so. Es war so verstörend, in diese Augen zu blicken, die ihr eigentlich bekannt sein sollten und doch fremder waren, als je zuvor.

Er kniete jetzt einfach so über dem leblosen Riot und schaute ihn an. Oder schaute er vorbei?

Den Kuramas war förmlich anzusehen, dass sie nicht so recht wussten, wie sie mit dieser Situation umgehen sollten. Was ihr Sorgen machte war aber Narutos Blick, der immerzu kritischer wurde. Sie ahnte schon, was er dachte: Sasuke hatte keine Kontrolle über sich. Und das konnte sie leider nicht einmal abstreiten, da es offensichtlich genau so war. Wenn es zum Zusammenstoss mit Riots kam, schien er sich irgendwie nicht mehr zu spüren.

Es war scheusslich, einfach dazusitzen und zu zuschauen, wie Hidan zu ihm hinging, doch bevor er auch nur seine Hand auf Demons Schulter legen konnte, stiess der sie hart weg.

Wenigstens liess er jetzt von dem Riot ab und erhob sich wieder, jedoch atmete er immer noch ziemlich schwer und sie sah ihm an, dass sein Körper bis in jede letzte Faser angespannt wie ein Bogen war.

Naruto reagierte geistesgegenwärtig und trat zwischen Sasuke und die übrigen beiden Riots. „Wir nehmen sie als Geiseln.  Die Typen können uns vielleicht noch was über ihre Pläne verraten oder sonst wie nützlich sein. Wir nehmen sie zu uns, haben ja auch gleich ‘ne Karre da.“

Narutos Reaktion war wirklich perfekt gewesen. Irgendwie schien Sasuke in dem Moment aus diesem erschreckenden Zustand aufzuwachen, jedenfalls blickte er sich nun etwas mehr um und fixierte sich nicht mehr so auf sein Messer. Soviel konnte sie von hinten erkennen.

„Alles klar. Dann lasst uns verschwinden. Wetten, dass hier bald noch andere Riots aufkreuzen?“ Shikamaru half Sai einen Riot auf die Beine zu ziehen und die Beiden machten sich mit dem Gefangenen auf den Weg.

Als auch Sasuke sich umdrehte, war dieser ganz verstörende Blick endgültig verschwunden und einer offensichtlichen Erschöpfung gewichen. Aber wahrscheinlich war sie die Einzige, die das sah, für die Anderen musste er wieder genauso ausdruckslos aussehen, wie immer.
 

Wie es Naruto bereits angetönt hatte, war es Zeit, das Weite zu suchen. Fakt war, dass das „Toad’s“ nicht länger für Kriegsbesprechungen in Frage kam. Es wäre ein zu grosses Risiko, wieder hierhin zu kommen, jetzt wo die Riots wussten, dass sie sich hier gemeinsam aufgehalten hatten.

Sowieso waren die Jungs verärgert, dass ihre Gegner jetzt exakt wussten, dass sie gemeinsam am Planen waren. Davon konnten sie ausgehen, denn ansonsten würde man Kuramas und Takas bestimmt nicht bei einem gemeinsamen Bier in einer Bar treffen.

Sasukes Verhalten vorhin ging ihr auf der Rückfahrt nicht mehr aus dem Kopf. Obwohl sie es eigentlich immer genoss, bei ihm mitfahren zu dürfen und ihm so nahe zu sein, so war es jetzt gerade nicht mehr dasselbe. Seine Augen gingen ihr einfach nicht aus dem Kopf und sie spürte zwischen ihnen eine gewisse Distanz.

In ihren Gedanken formte sich langsam eine Erklärung für das Ganze. Vielleicht war es eher eine Theorie, aber plausibel wäre sei definitiv.

Sasuke unterdrückte seine Trauer und seine Wut immerzu. Den ganzen Tag ging er seiner Leader-Funktion nach und machte den Eindruck, als ginge nicht besonders viel in ihm vor. Und in solchen Momenten wie dem heute Abend, da verlor er die Kontrolle. Es war sein Ventil. Und wenn es ein Riot war, der ihm gegenüber stand, dann war ihr sonnenklar, dass sein Hass über alle Massen wuchs und ihn richtiggehend übernahm. All das Leid, welches er gerade erfahren musste, wäre ohne die Riots nicht passiert – so dachte er und er hatte ja eigentlich Recht. Aber wenn die Riots es nicht gewesen wären, dann vielleicht sogar ein oder eine Kurama und das war eine so grauenhafte Vorstellung, dass sie diesen Gedanken gleich wieder verdrängte.
 

Im HQ angekommen wurden sie allesamt nett begrüsst, nur Sasuke steuerte im Aufenthaltsraum wortlos das Sofa an, wo er sich hinsetzte.

„Was ist denn genau passiert?“, fragte Karin und bedachte Sakura mit einem scharfen Blick. Wahrscheinlich waren die Takas bereits über die Vorfälle in der Bar informiert worden.

„Ich erzähl’s euch“, brummte Hidan und setzte sich auf die Bar-Theke.

Sasuke hatte schon vorher in der Bar einen Bandenarzt ins HQ beordert, der jetzt schon auf sie wartete. Wie der Zufall es wollte, war es Kimimaro, der sie in Empfang nahm und ihren Arm jetzt unter die Lupe nahm. Er schmerzte immer noch ziemlich stark bei jeder Bewegung und als sie die Jacke auszog sah sie erst, wie geschwollen er im Schulterbereich war.

„Na, da hast du aber Glück gehabt“, meinte er, als er ihn vorsichtig, aber routiniert abtastete. „Du hast ihn dir ziemlich übel gestaucht, aber gebrochen ist nichts.“

Aus seinem Koffer zog er eine schwarze Schlinge und eine Tube mit einer Salbe gegen Verstauchungen und Prellungen. „Zieh die an für die nächsten zwei, drei Wochen, damit du ruhig hältst und streich deinen Arm grosszügig mit der Salbe ein, dann sollte das wieder werden.“

Er half ihr dabei, die Schlinge korrekt anzuziehen und verabschiedete sich dann ziemlich rasch mit den Worten: „Hab Pikett-Dienst im Krankenhaus.“

Sobald Kimimaro verschwunden war, erhob sich Sasuke und verschwand wortlos aus dem Aufenthaltsraum.

„Sakura, ist sonst alles klar bei dir?“, fragte Konan besorgt. „Ihr hattet da ja eine ganz schön unangenehme Begegnung.“

Sakura winkte ab. Sie wollt hier jetzt nicht auf armes Opfer machen, welches Mitleid ernten wollte, obwohl sie tatsächlich noch ziemlich durcheinander von all den schlimmen Geschehnissen war.

„Da bin ich aber froh. Am Besten gehst du dich ein wenig ausruhen. Und wirf ein Auge auf Sasuke, ja? Ich mache mir Sorgen.“

Da war sie definitiv nicht die Einzige.

Im Zimmer fand sie Sasuke nicht vor, wahrscheinlich war er im Jungs-Bad oder sonst wo. Deshalb legte sie sich aufs Bett, wo sie, ohne dass sie es wollte einfach einnickte.
 

Ein leises Knarren von Bodendielen weckte sie irgendwann aus ihren zugegebenermassen ziemlich wirren Träumen. Vorsichtig öffnete sie die Augen, nur um zu sehen, wie Sasukes Bett leer war. Langsam suchte sie den düsteren Raum ab, um zu sehen, dass er dort am Fenster stand und gedankenverloren in die verschneite, helle Nacht hinausstarrte.

Er hatte bisher nicht bemerkt, dass sie aufgewacht war und nicht einmal, als sie sich langsam aufsetzte, machte er irgendwelche Anstalten, sich vom Fenster abzuwenden. Sofort meldete sich ihr Arm in Form von stechendem Schmerz bei ihr und sie musste einen Laut unterdrücken. Am besten schmierte sie nachher noch ein wenig von der Salbe drauf.

Etwas überrascht stellte sie fest, dass sie ja immer noch ihre Kleider trug. Himmel, da war sie wirklich einfach eingeschlafen.

Er machte nach wie vor keine Anstalten, als würde er sie bemerken, dabei war sie todsicher, dass er ihre Bewegungen längstens wahrgenommen hatte. So wie er dastand, nach vorne gelehnt und mit den Händen am Fensterbrett aufgestützt konnte sie sehen, dass ihm sein Rücken immer noch zu schaffen machte. Die Verbrennungen, die er sich bei „Drop Down“ zugezogen hatte, waren einfach nicht ohne gewesen, zumal er schon vorher die Narbe noch vom Kampf mit Naruto mit sich herumgetragen hatte.

Und nun hatte er sich wieder geprügelt, logische Folge davon: Schmerzen. Er sollte sich echt länger schonen, ansonsten würde das ganze nie richtig abheilen.  

Sicher war jedenfalls, dass er nicht wollte, dass sie es bemerkte. Aber in solchen Sachen war sie nicht leicht zu täuschen.

„Schön, nicht?“, fragte sie leise, als sie erst richtig das sanfte Schneegestöber vor dem Fenster bemerkte.

Es brauchte einen Moment, bis er etwas sagte. „Kannst du nicht schlafen?“

„Jetzt nicht mehr.“ Das war zwar keine Antwort seinerseits gewesen, aber immerhin sprach er mit ihr.

Sie setzte sich an den Bettrand. „Ist es wegen mir? Weisst du, wenn es dir unangenehm ist, dann kann ich ja…“

„Nein.“ Er schüttelte nur der Kopf. „Himmel, Sakura, such die Probleme doch nicht immer bei dir.“

Wenn sie so genauer darüber nachdachte, hatte er ja eigentlich Recht. Ständig hatte sie Angst, dass sie ihm im Weg stehen könnte oder ihm auf den Wecker ging, dabei gab es für so etwas überhaupt keine Anzeichen.

Es war jetzt wieder ganz schön still im Raum, aber irgendwie passte es. So ruhig und friedlich.

„Und wie habt ihr weiter entschieden?“, fragte sie leise, um das Thema zu wechseln. „Ich meine, was die Riots angeht?“

Er seufzte. „Ein Plan steht. Aber sicher sein, dass er funktioniert kann man nie. Zudem es wirklich schnell gehen muss, denn wenn wir zuwarten, werden mehr Leute verletzt werden.“

Die Lage war im Moment wirklich prekär. Man konnte nicht mit voller Kraft in den Kampf ziehen, aber ohne zu kämpfen wurde es trotzdem gefährlich. Vor ihnen stand eine harte Zeit, wohl noch härter als die bisher. Viel Leid, Wut und Verluste würde es geben, wobei sie Letztere immerzu aus ihrem Kopf verdrängte. Es war einfach nicht wirklich greifbar.

„Am liebsten würde ich davonlaufen“, rutschte es ihr heraus, bevor sie darüber nachdenken konnte, dass das wahrscheinlich ziemlich feige und bescheuert klingen musste. Aber es war genau so. Sie fürchtete sich vor dem was bevor stand und dass sich alles verändern würde. Jeder konnte in diesem Krieg zu Schaden kommen und verhindern konnte man es nicht.

Umso mehr überraschte sie seine Antwort, die er mehr flüsternd zu sich selbst sagte, als zu ihr. „Ich auch.“

Nicht im Geringsten zweifelte sie daran, dass jeder in seiner Situation am liebsten das Weite gesucht hätte, aber es erstaunte sie wirklich enorm, dass er das ihr gegenüber so offen gestand.

Es tat ihr so weh, ihn da stehen zu sehen. Gerade jetzt sah sie die Lücke an seiner Seite richtiggehend, die Lücke, die derjenige schliessen sollte, der jahrelang Sasukes einziger Halt im Leben gewesen war. Es musste die pure Hölle für ihn sein, ohne Itachi dazustehen.

Aber was konnte sie schon tun, ausser hier zu sein, falls er sie brauchte? Er war nicht der Typ, der Beistand verlangte, oh nein. Und trotzdem wollte sie ihm irgendwie zeigen, dass sie da war.

Langsam erhob sie sich aus ihrem Bett und tapste über den knarrenden Dielenboden zu ihm hinüber. Er tat nichts dergleichen und schaute weiterhin unbeirrt in die verschneite Nacht hinaus.

Ganz instinktiv legte sie die Arme um ihn, als sie hinter ihm stand und legte ihren Kopf vorsichtig gegen seinen Rücken. Ihr Herz klopfte immer schneller, so sehr fürchtete sie sich vor seiner Reaktion. Das hier war ein ziemlich gewagtes Unternehmen, aber es fühlte sich richtig an. Fast schon erlebte sie ein Déjà-vu, als ihr die Nacht durch den Kopf schoss, als Sasuke bei ihr übernachtet hatte. Das war an dem Tag gewesen, als sie, Hina und Ino von einigen Taka-Outers verfolgt worden waren. Ein gutes  halbes Jahr war das jetzt her und trotzdem erinnerte sie sich daran, als ob es gestern gewesen wäre.

Draussen vor dem Fenster hatte ein Sturm sein Unwesen getrieben und irgendetwas hatte dafür gesorgt, dass er ziemlich aufgebracht gewesen war. Eigentlich fast wie jetzt, nur dass der Sturm eher in ihm selbst tobte.

Aber eigentlich fühlte es sich nicht mehr an wie damals. Es hatte sich vieles geändert und auch sie beide hatten sich verändert. Dabei war es doch noch gar nicht einmal so lange her.

Es war so still, dass sie seine ruhigen Atemzüge hören und richtig spüren konnte. Auf und ab.

„Sasuke“, flüsterte sie. „Lauf nicht weg, okay? Es gibt hier zu viele Menschen, die dich brauchen.“

Dass das im übertragenen Sinn gemeint war, verstand sich von selbst. Wohin hätte er auch laufen können? Nicht einmal sie hätte einen anderen Ort, an den sie gehen könnte, als Konoha.

Kein bisschen von dieser unheimlichen Energie, diesen Abgründen in ihm war noch zu spüren, was es umso schwerer machte, sich an diesen Wutausbruch heute zu erinnern. Eigentlich wollte sie das ja auch gar nicht. Zu sehr genoss sie die Stille und das Gefühl, ihm nahe sein zu dürfen. Aber was wohl in ihm vorging?

Urplötzlich spürte sie seine warmen Hände auf ihren, mit denen er sie sanft löste. Bevor er ihre Hände aber wegschob, drückte er sie noch einmal. Sie erhaschte keinen Blick mehr in sein Gesicht, bevor er wortlos aus dem Zimmer verschwand.

Natürlich war es schade, dass er so urplötzlich verschwand, aber sie verstand es.

Sie beschloss deshalb, in ihre Schlafsachen zu schlüpfen und zurück ins Bett zu gehen.

Als sie dann aber wieder in den Federn lag, konnte sie einfach nicht schlafen. Wohin er wohl gegangen war?

Ruhelos wälzte sie sich von einer Seite auf die andere, so  gut es nun mal ging, mit ihrem angeschlagenen Arm. In Gedanken bei diesem kurzen und zerbrechlichen Moment von vorhin. Wie schön es wäre, wenn er sie wieder so an sich heranlassen würde, wie vor all diesen Ereignissen.

Seufzend beschloss sie nach einiger Zeit, einen kurzen Spaziergang auf die Toilette zu machen.

Gerade als sie sich die Hände wusch, bekam sie Gesellschaft, leider Gottes keine angenehme. Sofort spürte sie, wie sie sich anspannte, als Karin durch die Tür trat und ihr scharfer, missbilligender Blick sie fixierte. Warum um Himmels Willen schaffte sie es eigentlich, exakt zu derselben Zeit wie Karin das Frauenbad aufzusuchen? Und dabei war es ja mitten in der Nacht!

Möglichst unauffällig, aber auch schnell trocknete sie sich die Hände ab, um so schnell wie möglich zu verschwinden.

„Hast du eigentlich Angst vor mir?“, fragte Karin aber, bevor sie den Raum verlassen konnte. Sie klang weder spöttisch, noch fies, noch belustigt. Es war eine simple Frage, die Sakura aber sofort Kopfzerbrechen bereitete. Eigentlich hatte sie doch keine Angst vor Karin. Aber vor ihren Worten und ihrer Wirkung. Immer wenn sie ihr begegnete fühlte sie sich dämlich, naiv und wie der letzte Trampel, da sie sie aber auch gerne so dastehen liess. Karin war hübsch, elegant, weiblich und charakterstark, währenddessen sie neben dran wie ein Geist verblasste. Doch sie war auch kalt und arrogant, zickig und fies, was ihrer Meinung nach das alles wieder vollkommen abwertete.

Aber ihr das ins Gesicht sagen? Bestimmt nicht. Das konnte sie nicht.

„Ich hab dich was gefragt, Cherry Blossom.“ Es war wohl das erste Mal, dass Karin sie mit ihrem Bandennamen ansprach und sie nicht „Püppchen“ oder so nannte. Sie schien anders.

„Ich habe keine Angst vor dir.“ Ob das überzeugend klang? Wohl eher nicht.

„Kannst schon ehrlich sein. Es ist so der Effekt den ich auf andere habe. Aber es ist auch meine Absicht, von dem her kann ich mich nicht beklagen.“

Seit wann sprach sie denn so mit ihr? Noch nie hatte sie mit ihr Worte gewechselt, die nicht bissig oder herablassend gewesen waren.

„Du kannst mich nicht leiden. Und weisst du was? Ich kann dich auch nicht leiden. Passt ja, oder?“ Sie strich sich eine rote Haarsträhne hinters Ohr. „Und weisst du warum? Weil du ein Prinzesschen bist, ganz einfach. Nur weil du zu einer Gang gehörst heisst es nicht, dass du automatisch nicht mehr naiv bist. Keine Ahnung wie du dazu kamst, dich den Füchsen anzuschliessen, aber ich sage dir eins: Das hier ist keine Welt für Prinzessinnen. Besonders nicht mehr jetzt, wo ein Krieg vor der Tür steht.“

Sakura stutzte. Was sollte das bitte? Wahrscheinlich wollte sie sie einfach loswerden, damit sie wieder freie Bahn bei Sasuke hatte.

„Warum sagst du mir das?“, fragte sie so bestimmt, wie es ihr möglich war.

„Tja, warum. Natürlich könnte man jetzt sagen, damit du verschwindest. Stimmt gewissermassen auch. Aber vielleicht auch, weil ich einfach zu nett bin. Und deshalb sage ich dir das jetzt: Hier hat jeder Dreck am Stecken und zwar eine ganze Menge. Auch Sasuke und zwar mehr als genug. Es gibt so vieles, das du zumindest über die Takas und vor allem ihn nicht weisst und das ist auch besser so. Bei manchen kannst du dir gar nicht vorstellen, was in ihrer Vergangenheit alles abgegangen ist und deshalb rate ich dir einfach, zieh dich zurück bevor es zu spät ist. Auf der Strasse geschehen Dinge, die niemals wieder rückgängig zu machen sind und die auch du ewig bereuen würdest. Du bist viel zu feinfühlig für dieses Milieu hier. Und von Sasuke hast du Illusionen, die so nicht sind.“

Sakura schüttelte den Kopf. „Solange ich gebraucht werde, werde ich meinen Leuten zur Seite stehen, sei es auch nicht auf dem Schlachtfeld. Ich weiss nicht, wie du dazu kommst zu glauben, ich wüsste nichts. Ich bin nicht nur zum Spass in einer Gang, Karin, das kannst du mir glauben. Warum sagst du mir überhaupt solche Sachen, wenn du mich doch überhaupt nicht leiden kannst?“

Es war der Moment als für einen kurzen Augenblick Karins so obercoole und unnahbare Fassade etwas bröckelte. „Das geht dich nichts an.“

„Also. Dann lass mich endlich in Ruhe. Lange wirst du mich nicht mehr hier am Hals haben.“

Sakura wandte sich nun endgültig zum Gehen ab.

Kurz bevor sie die Tür passieren konnte, vernahm sie hinter sich Karins Stimme, ziemlich viel leiser als vorhin, wie wenn sie hoffen würde, dass Sakura es nicht hörte. „Weil ich einmal so war wie du.“

Jetzt hielt sie inne. Wie bitte? „Wie meinst du das?“

„Genau so wie ich es sagte.“

Diese Frau war ja noch dreister, als ursprünglich gedacht! Jetzt, wo sie merkte, dass ihre zickige Art nicht zog, versuchte sie es also auf die rührselige Tour!

Eigentlich war Sakura ganz und gar nicht jemand, der Annäherungsversuche von Menschen, mit denen sie nicht besonders gut klarkam, abblockte. Dazu war sie viel zu gutgläubig. Aber Karin war ein ganz anderes Kaliber.

„Karin, glaubst du eigentlich wirklich, dass ich so dumm bin? Ich wirke vielleicht naiv und unerfahren, aber das kaufe ich dir bestimmt nicht ab.“ Sie klang leider nicht halb so stark bei diesen Worten, wie geplant, aber das war jetzt auch egal. „Du willst mich loswerden, wie schon von Anfang an, um freie Bahn zu haben. Und weisst du was? Die hast du bald wieder. Aber du wirst schon sehen, dass du mehr tun musst, als mich aus der Bahn zu schaffen, wenn du ihn unbedingt willst.“

Karin grinste nur spöttisch und schüttelte den Kopf. „Kleine Miss-Oberschlau, was?“

Diese Frau machte sie so dermassen wütend. Die herablassende Art, welche sie an den Tag legte war einfach nur komplett daneben. Dieses Biest wusste genau, welche Wirkung sie mit welchen Worten erzielen konnte, besonders bei ihr, wo das auch nicht wirklich schwierig war. Ihr gesamtes Selbstvertrauen sackte schnurstracks in den Keller hinunter und sie fühlte sich wie der letzte Trottel.

Ohne weitere Worte machte sie auf dem Absatz kehrt und machte sich schnellen Schrittes wieder auf den Weg in ihr Zimmer.  Bis sie sich soweit beruhigt hatte, um einschlafen zu können, dauerte es lange. Doch irgendwann fielen ihr doch die Augen zu.
 

Man konnte nicht wirklich sagen, dass sich in den nächsten Tagen viel veränderte. Sasuke war die ganze Nacht weggeblieben, sie vermutete, dass er Itachis Grab einen Besuch abgestattet hatte.

Die Takas rüsteten sich, was auch einige Einkäufe bei Orochimaru beinhaltete. Anscheinend hatten ihn Yahiko und die anderen auf den Sprengstoff angesprochen, den die Riots in der Drop Down Area angewendet hatten. Er meinte dazu aber nur, dass er damit nichts zu tun habe. Ob das nun wahr war oder nicht, es änderte nichts. Oro war der beste und sicherste Waffenhändler, den es für die Gangs gab, eine Alternative kam nicht in Frage. Illegaler Waffenhandel war nicht etwas, was man an jeder Ecke betreiben konnte.

Zu diesem Rüsten konnte Sakura nicht wirklich viel beitragen und deshalb passierte nicht mehr wirklich viel Bemerkenswertes. Dachte sie zumindest, bis zum Tag ihrer Abreise.

Schon als sie den Aufenthaltsraum betrat, merkte sie, dass irgendetwas nicht stimmte.

Juugo wühlte gehetzt in einer alten Kiste herum und schien fieberhaft etwas zu suchen, während Karin mit ihrem Handy am Ohr nervös auf und ab ging.

„Scheisse nochmal, warum geht hier eigentlich kein Schwein ran?!“, wetterte sie aufgebracht und stampfte wütend mit ihren Stilettos auf dem Boden auf.

„Glaubst du eigentlich, die haben jetzt Zeit zu telefonieren?“, rief Juugo gereizt von der Kiste her zu ihr rüber.

„Also bitte, wenn die unsere Hilfe brauchen, sollen sie doch wenigstens…Hallo?“ Anscheinend schien am anderen Ende endlich jemand ranzugehen.

Im nächsten Moment kamen Suigetsu und Sasori in den Raum gerannt, von Kopf bis Fuss bewaffnet und ehe sie es sich versah waren sie schon in Richtung der Garage verschwunden. Was um Himmels Willen war hier los?“

„…Verstärkung ist unterwegs. Der Stützpunkt liegt im alten Industriegebiet in den nördlichen Vororten richtig? ...Ja, genau. Sind ja echte Wichser, wie haben die das rausgefunden?... Ja, sorry, ich verschwend deine Zeit nicht länger…“ Sie legte auf. „Arrogantes Kurama-Pack! Da hilft man ihnen und dann würgen sie einen einfach ab!“

„Nicht, dass ich mich auf ihre Seite schlagen will, Sniper, aber die haben jetzt wirklich keine Zeit, jedem zu erklären wie das von Statten gegangen ist. Bist du soweit?“ Juugo schien endlich fündig geworden zu sein. In der Hand drehte er ein Butterfly-Messer.

„Na klar!“

„In diesen Latschen?“ Er verwies mit einer Handbewegung auf ihre Bleistiftabsätze.

„Ich hab in der Garage noch andere, Holzkopf! Los jetzt!“

Und da waren sie weg. Anscheinend hatten sie Sakura nicht einmal bemerkt. Was zu Hölle ging gier vor? Die Kuramas wurden attackiert? Und von welchem Stützpunkt hatten sie gesprochen?!

Sofort schloss sich die Furcht wie eine kalte Hand um ihr Herz. Hier musste doch noch irgendwer sein! Wahrscheinlich in der Garage.

Hastig folgte sie Karin und Juugo in die Garage hinunter, wo das Spektakel in vollem Gange war.

Gerade, als sie eintrat verliessen die ersten Gruppen des Taka-Inners mit aufheulenden Motoren das HQ, die anderen waren drauf und dran, hinterher zu rasen. In einer Ecke bei seiner Yamaha entdeckte sie Sasuke. In ein Battle? Mit seinem Rücken? Das war eine ziemlich schlechte Idee!

Ehe sie darüber nachdachte war sie zu ihm hingelaufen und fasste ihn an der Schulter an. „Sasuke, was ist denn passiert?“

Er drehte sich um. „Weiss der Geier warum, aber Riots haben ein Quartier des Kurama-Outers ausgemacht. Die brauchen Hilfe dort.“

„Aber du kannst doch nicht mit deinem Rücken schon wieder in ein Battle gehen!  Ich seh doch, dass es immer noch verdammt wehtut!“

„Ach, was, das geht schon. Ich werde dorthin gehen.“ Die Art wie er abwinkte und sich wieder wegdrehte, völlig gleichgültig, was sie davon hielt und wie gefährlich es war, angeschlagen in einen Kampf zu ziehen, machte sie sauer. Ihr Bauchgefühl schrie sie nahezu an, ihn davon abzuhalten.

„Sasuke, hör mir zu, ich habe da echt ein mieses Gefühl! Du hast genug Leute, die gehen können, bleib bitte hier!“

Langsam drehte er sich um und erst jetzt bemerkte sie seine geballten Fäuste. „Sakura, was soll die Scheisse?!“, fuhr er sie urplötzlich an und sie zuckte zusammen. Die Augen zusammengekniffen, die Gesichtszüge angespannt. Noch nie hatte sie ihn ihr gegenüber so wütend gesehen.

„Ich möchte…“, setzte sie an und hob beschwichtigend die Hand, doch er packte sie nur grob am Handgelenk.

„Verschwinde und misch dich hier nicht ein!“

„Das tut weh…“, presste sie hervor, während die Angst wie ein Gift durch ihren Körper schoss.

Er hätte sie genauso gut dreimal ohrfeigen können. Noch nie hatten Worte so wehgetan, wie diese hier. Nicht einmal  die ihrer Widersacher aus der Schule, trafen sie so hart mitten ins Herz. Er machte ihr Angst. Schreckliche Angst.

Und als ob das noch nicht genug wäre, stiess er sie jetzt unsanft zurück, sodass sie ins Taumeln geriet und unsanft auf dem Boden landete. Ein schmerzhaftes Stechen raste durch ihren verletzten Arm und sie konnte einen Schmerzenslaut bei bestem Willen nicht unterdrücken.

„Hau ab und hör auf, hier alles durcheinander zu bringen“, sagte er ihr direkt ins Gesicht, seine Augen kalt, die  Wut am ganzen Körper sichtbar.

Fassungslos starrte sie ihn an, unfähig auch nur ein Wort über die Lippen zu bringen. Sie zitterte und in ihrem Hals bahnte sich langsam ein dicker Kloss an.

Inzwischen ruhte auch die Aufmerksamkeit der anderen auf ihnen, aber sie vermochte nicht, ihnen ins Gesicht zu schauen. Einen Moment – ihr kam es vor wie eine halbe Ewigkeit- sagte niemand etwas.

„Sag mal, hast du eigentlich noch alle Zacken in der Krone, Demon?!“ Jeder hätte das sagen können. Wirklich jeder. Aber dass es ausgerechnet sie war, die sich hier zwischen sie und Sasuke stellte, hätte sie niemals gedacht.

Karin trat zu ihm hin. „Du kannst dir ja vieles leisten, Leader! Aber so springt man bei uns nicht mit Mädchen um, klar?“

„Verzieh dich, Sniper!“ So wie Sasuke das sagte, schien er kurz vorm Explodieren zu sein.

Sie ertrug es kaum, ihm so zuzuhören. Er wandte sich ab, stieg auf seine Maschine und startete den Motor. „Wir gehen. Jetzt.“

Der Nachdruck in seiner Stimme, liess keinen Widerspruch zu und alle anderen machten sich auf den Weg. Sie riefen ihr noch einige entschuldigende Abschiedsworte zu, an ihren Blicken war abzulesen, dass sie gerade selbst nicht glauben konnte, was hier passiert war. Hidan war einer der Letzten und rief ihr noch zu. „Komm gut Heim, Cherry! Und lass den Kopf nicht hängen.“

Karin half ihr aufstehen. „Du bist so ein naives Püppchen, aber echt! Du musst aufpassen bei ihm! Wenn‘s um Battles geht, dann hält ihn niemand davon ab, besonders nicht wenn Riots die Zielscheiben sind.“

„Er wird sich verletzten…“, flüsterte sie.

„Lass das sein Problem sein, Prinzesschen. Vielleicht verstehst du jetzt, dass mit ihm nicht unbedingt gut Kirschen essen ist. Er ist unberechenbar.“

Sie wandte sich zu den anderen. „Hotaru! Du und Deidara sorgt dafür, dass sie heil nach Hause kommt“, rief sie ihnen zu, dann lief sie zu Suigetsu hin, der ungeduldig auf sie wartete und stieg hinter ihm auf die Maschine.

Hotaru kniete neben ihr und das seit einer ganze Weile, aber sie hatte sie kaum wahrgenommen.

„Es tut mir so leid, Cherry…tut es sehr weh? Komm, wir schauen uns deinen Arm an. Und dann holen wir deine Sachen und ich sag Blondie, er soll dich fahren, okay?“

Zwanzig Minuten später sassen sie im Audi der Takas, neben ihr Deidara, sie auf dem Beifahrersitz. Hotaru kam nicht mit, da jemand im HQ die Stellung halten musste.

Ihr Arm tat immer noch weh, wieder viel mehr, als gestern, aber optisch hatten sie keine Verschlechterung feststellen können.

Ehrlich gesagt war sie überhaupt nicht dazu aufgelegt, ein Gespräch zu führen und Deidara merkte das wohl. Hotaru musste ihm von dem Vorfall erzählt haben. Deshalb schaltete er wohl das Autoradio ein, als sie losfuhren.
 

…die Debatte um die Gangs weiter. In den letzten Tagen kam es erneut zu einigen Auseinandersetzungen einer der grössten Gangs mit der Polizei, aufgrund von Krawallen und kriminellen Aktionen. Diese gingen soweit, dass sogar hilflose Menschen einfach ausgeraubt und ein Tankstellenshop, sowie ein Elektronikwarengeschäft überfallen wurden. Die Gang scheint nach den Ereignissen vom vergangenen Dezember auf dem Gelände der ehemaligen Grant-Fabrik die Überhand zu haben. Andere Gangs wurden seither kaum noch gesichtet…“
 

„Idioten“, brummte ihr Fahrer genervt. „Unsere Leute heizen denen hoffentlich richtig schön ein, dann berichten die vielleicht mal etwas mehr über richtige Gangs.“

Sakura sagte nichts. Das Geschehene von vorhin ging ihr nichtmehr aus dem Kopf. Er hatte sie abgewiesen. Eiskalt. Gesagt, sie solle verschwinden.

Es tat so höllisch weh.

Deidara schaltete indes auf einen  Kanal um, der Musik sendete. Er schien so ruhig zu sein, so locker, obwohl seine Freunde gerade in einen Kampf gezogen waren. Gerade jetzt wünschte sie sich, sie wäre ein bisschen wie er.

„Alles klar?“, fragte er plötzlich.

Sie nickte nur. Was sollte sie denn ihm auch schon sagen?

„Sieht aber nicht so aus.“  Er bog ab und schlug die Verbindungsstrasse zur Westumfahrung ein.

Sakura schaute zum Fenster hinaus. Sie wollte einfach nicht immer dieses schwache Mädchen mimen, auf welches sie andauernd reduziert wurde. Aber vielleicht war sie ja auch einfach schwach.

„Weisst du, seit der Boss Heim gegangen ist, ist er zu uns allen manchmal so. Gibt Tage, da ist er eigentlich ganz normal drauf und Tage, da ist er eben genau so. Zwar nicht handgreiflich, aber sehr aggressiv. Zu dir war er noch nie so, bis auf heute und dazu auch noch grob. Deshalb ist es auch für uns echt überraschend.“

Das hatte sie nicht gewusst. Eigentlich hatte sie geglaubt, dass er sich einfach in sich selbst zurückzog, damit niemand seinen inneren Schmerz sehen konnte, aber dass er aggressiv reagierte war ihr wirklich nicht bewusst gewesen. Das war gar nicht gut.

„Es scheint irgendwie nicht besser, sondern schlimmer zu werden mit ihm. Ich meine, an der Beerdigung vor ‘nem Monat war er ja kaum ansprechbar. Hab noch nie ein so totes Gesicht gesehen wie seins an diesem Tag. Und seit er wieder unter den Lebendigen weilt, ist er entweder still oder stinksauer.“

Das klang echt scheusslich. Der Tod seines Bruders trieb ihn immer weiter in die Dunkelheit.

Aber es verzieh sein Verhalten nicht im Geringsten. Verschwinden sollte sie. Aus der Garage? Dem HQ? Seinem Leben?

Vielleicht war es das. Vielleicht war das endgültig das Signal dafür, dass es ihr nicht bestimmt war, Sasuke zu helfen, noch an seiner Seite zu sein. Lange hatte sie an ihrer Entscheidung gezweifelt, ihm näher zu kommen und jeder hatte ihr gesagt, dass es keine gute Idee war. Nur hatte sie ihnen nicht zugehört.

„Von Sasuke hast du Illusionen, die so nicht sind “, hatte Karin gesagt. „Er ist unberechenbar.

„Habe ich was falsch gemacht, Deidara?“, fragte sie, den Blick starr aus dem Fenster in den wolkenverhangenen Himmel gerichtet. Es lagen immer noch Schneereste auf den Strassen, die langsam aber sicher eher braunem Matsch, als einer weissen Winterpracht glichen. Es war sowieso Zeit für Frühling, wenn man sie fragte.

Er seufzte. „Ich bin echt nicht gut in solchen Sachen, das musst du wissen. Aber falsch gemacht hast du nichts. Unser Boss ist einfach so. Auf die Battles mit den Riots brennt er, das weiss ich und als du ihn davon überzeugen wolltest, nicht zu gehen, hat es ihm halt ausgehängt, schätze ich. Und du hattest ja Recht. Er ist noch nicht besonders fit.“

Das war zwar ein schwacher Trost, aber immerhin etwas. Und trotzdem flüsterte eine Stimme in ihr kontinuierlich, dass sie viel zu aufdringlich gewesen war.

„Raven war auch so, weisst du? Sobald man seinen Sachen oder eben auch seinen Plänen und Vorhaben zu nahe kam, legt irgendeiner ein Schalter bei ihm um und er wurde ungemütlich. Und das ist auch bei Demon so.“

Sie nickte. „War es ein Fehler, zu euch zu kommen?“

„Glaube ich nicht. Hast uns allen ja ziemlich geholfen und ihm auch. Was auch immer es gerade war, Cherry, es lag nicht an dir. Aber ich versteh, dass es bei dir ziemlich eingefahren sein muss. Es tut mir wirklich leid… ich weiss auch nicht wirklich, was manchmal in ihn fährt…“

„Du musst dich ganz bestimmt nicht entschuldigen“, meinte sie leise und spielte an einem ihrer Haargummis herum, die sie ums Handgelenk trug.

„Jetzt mach  nicht so ein Gesicht, Süsse. Ich mag das nicht.“

Deidara setzte sie an der U-Bahn-Station ab und sie sah ihm an, dass ihm nicht wirklich wohl dabei war, sie jetzt alleine zu lassen. „Kommst du klar?“, fragte er deshalb und sie nickte. „Geh zurück und kümmere dich um deine Leute. Sie werden deine Hilfe brauchen.“

„Mach ich. Pass auf dich auf und...“ Er schien nach richtigen Worten zu suchen. „Nimm es nicht zu schwer, ja?“

Sie nickte und wandte sich dann ab. Nach Hause wollte sie, nur noch nach Hause. „Danke fürs Heim bringen.“
 

Als er davongefahren war musste sie erst einmal die Augen schliessen. Einfach für einen kurzen Moment ausklinken. Ruhe finden. Die Ereignisse ordnen.

Selbstverständlich gelang ihr das nicht. Kalter Wind drang unaufhaltsam durch ihre Jacke und trieb sie dazu, ihren Wohnblock anzusteuern. Das Wetter unterstrich ihre Laune und ihre Gefühle nahezu perfekt, das hatte sie schon vorhin im Auto gedacht. Grau, kalt, windig. Keine Aussicht auf baldige Besserung.

Sie nahm die Strasse um sich herum nicht wirklich wahr, als sie am alten Fitnessstudio vorbeiging und dann in die Seitenstrasse abbog, wo die Eingangstür zum Block lag. Ihr Blickfeld reichte gerade mal, um Autos und rote Ampeln zu erkennen, damit sie wenigstens nicht angefahren wurde. Hatte sie nicht nötig, sie fühlte sich schon längst, wie vom Auto überfahren. Alles tat irgendwie weh.

Die Wohnung fand sie leer vor. Gut so. Denn gerade jetzt könnte sie es nicht ertragen, von Tsunade ausgefragt zu werden. Ja, noch heute Morgen hatte sie ihr gute Nachrichten aus dem Taka-HQ überbringen wollen, aber das hatte sich schlagartig geändert.

In ihrem Zimmer legte sie sich aufs Bett, drückte ihren Teddy an sich und rollte sich mit geschlossenen Augen wie eine Katze zusammen.

Sie fühlte sich so leer. Nur in ihrem Kopf rasten tausend Gedanken und Fragen um die Wette, unaufhörlich. Hatte er das die ganze Zeit über gedacht? Das sie am besten abhauen sollte? Dass sie alles durcheinander brachte?

Himmel, aber warum hatte sie sich denn an Silvester so gut gefühlt, warum hatte er sie umarmt? Und das, ein paar Nächte zuvor? Warum hatte er das alles zugelassen, nur um sie jetzt so brutal abzuweisen?

Vielleicht reagierte sie einfach über. Vielleicht war ihr das viel schlimmer reingekommen, als es eigentlich gewesen war.

Aber andererseits war er grob zu ihr gewesen. Richtig grob, so wie sie es niemals von ihm gedacht hätte. Das tat man nicht. Was hatte ihre Tante ihr denn immer eingetrichtert?

„Mäuschen, Jungs, die grob oder unanständig zu dir sind, haben dich ganz einfach nicht verdient. Lass die Finger von solchen Burschen.“

Und sie behielt Recht. Wenn Ino einen Freund hätte, der sie so behandeln würde, dann riete sie ihr ganz bestimmt auch davon ab. Und Sasuke war ja nicht einmal ihr Freund.

Nebst all dem schoss ihr plötzlich noch etwas durch den Kopf. Die Kuramas! Himmel, da war in just diesem Moment ein Battle am Laufen und sie vergass es einfach so. Irgendwie verlor sie langsam aber sicher alles, was nicht mit Sasuke zu tun hatte aus den Augen.

Selbst jetzt, als sie hastig Hinatas Nummer wählte, fragte sie sich, wie es Sasuke mit seinem Rücken im Kampf erging, obwohl sie sich nicht einen Hauch mehr um ihn scheren sollte.

Schliesslich hatte sie ihn heute nicht nur gesehen, sondern auch gespürt – den Dämon in ihm.

Zwischenfälle im Rift

„Da drüben sind die Kuramas! Jetzt geht’s rund!“, rief Zetsu hochmotiviert, vielleicht schon einen Ticken zu freudig in Karins Richtung. Für diesen Hohlkopf hatte sie aber nur ein genervtes Augenverdrehen übrig. Der Typ hatte bisher in jedem Battle so ein verdammtes Glück gehabt und war immer wieder schnell auf den Beinen gewesen. Irgendwann würde er noch böse unter die Räder kommen und dann wäre es das dann mit dieser kindlichen Vorfreude gewesen.

Der Kurama-Leader stand da vorne, umringt von einigen seiner Füchslein und sah alles andere als zufrieden aus. Verständlich.

Als sie ihre Motorräder zum Stehen gebracht hatten und die Motoren aus waren, vernahmen sie aus der Ferne das Knallen von Knarren und den altbekannten Lärm, der ihnen nur zu gut vertraut war. Der Klang eines Battles.

Sie befanden sich im Vorortgürtel, hier in einer heruntergekommenen Gegend, die nicht wirklich viel Anreiz zum Wohnen bot. Hier kamen nur die hin, die keinen besseren Ort hatten, an den sie gehen konnten, eine Gegend, in der der Untergrund mehr zu sagen hatte, als jegliche staatliche Macht.

Big Fox schien auch nicht lange hadern zu wollen und kam gleich zum Punkt. „Zwei Strassen weiter um die Ecke ist das Quartier, davor geht ziemlich die Post ab. Mit euch sind wir nun in der Überzahl, also sollte das zu machen sein. Wir sollten von beiden Seiten kommen, dann geht’s besser. Sind deine Leute bereit?“

Die Frage war eindeutig an Demon gerichtet und er meinte: „Jap.“

Dafür erntete er von Big Fox ein fast schon wertschätzendes Nicken. Wenn der wüsste…

„Fangs, ich hab da ein Hühnchen zu rupfen, also entschuldige mich, ja?“ Karin nutze den günstigen Moment, um sich schnell von Suigetsus auf Sasukes Motorrad zu stehlen.

„Mach was du willst, Sniper“, grinste er nur kopfschüttelnd. „Das einzige Huhn hier bist du.“

Sasuke tat nichts dergleichen, als sie sich ziemlich frech hinter ihm breit machte. „Siehst du ihn, Demon? Siehst du Big Fox? Der würde dich jetzt gleich so was von auseinandernehmen, wenn er wüsste, was du gerade eben im HQ für Scheisse geboten hast.“

„Sprich weiter, wenn du gerne hier bleiben willst“, kam seine Antwort, schroff, kalt und nicht im mindesten betroffen. Typisch.

„Der würde dich windelweich prügeln, so wie du mit deinem Rücken unterwegs bist, Opa“, provozierte sie weiter. Nein, sie hatte keine Angst vor ihm. Nicht mehr. Inzwischen kannte sie ihn zu gut, ja, war ihm zu nahe gewesen, als dass sie sich noch fürchten konnte.

„Halt dich da raus, oder du bleibst hier.“

„Schon gut, ich halt jetzt die Klappe, aber auch nur, weil hier gleich ‘ne Party steigen wird. Will ein paar gute Treffer landen, also fahr anständig.“ Sie nahm das Gewehr, welches sie auf dem Rücken trug in die Hände und machte sich bereit.

Langsam spürte sie den aufkommenden Kick, den ihr jeden Kampf bescherte. Das hatte jeder hier, ansonsten würde man sich bestimmt nicht mitten auf ein Schlachtfeld werfen.

Als Sasuke endlich losfuhr, schnellte ihr Puls schlagartig in die Höhe und sie legte an, um zwei Hausecken weiter einige präzise, tödliche Schüsse anzugeben.

Hier würden die Riots keinen Triumph davontragen. Ganz bestimmt nicht.
 

Hinata konnte Sakura nicht viel mehr Bescheid geben, als das, was sie bereits von Sasuke erfahren hatte. Es handelte sich also um einen Aussenstützpunkt ihres Outers, von dem die Riots irgendwie Wind bekommen hatten und angriffen. Es sollte also keine allzu grosse Sache werden. Das habe jedenfalls Naruto gesagt, aber von welchem Battle konnte man denn schon behaupten, dass es keine grosse Sache war? Natürlich nahm es nicht derartige Ausmasse an, wie Drop Down oder das DDM-Battle vor Weihnachten. Und trotzdem würde es verletzte geben. Und Tote.

Hinata fragte sie noch, ob sie nachher mit Tsunade ins HQ kommen konnte, welche sich bereits dazu bereiterklärt hatte, ein Auge auf die Verletzten zu werfen.

Als Tsunade gegen sieben nach Hause kam, machte Sakura ganz brav gute Miene zum bösen Spiel. Sagte, dass alles glatt gelaufen sei und dass sie eine gute Zeit gehabt habe. Ja, eigentlich war das ja sogar die Wahrheit, wenn man einfach nur von ihrer letzten halben Stunde im Taka-HQ absah.

Tsunade war glücklicherweise selbst nicht allzu erpicht darauf, Einzelheiten ihres Aufenthalts im feindlichen Lager zu erfahren, weshalb sie ihr Schauspiel wohl ziemlich gut aufrechterhalten konnte.

Die Beiden verzichteten auf Abendessen und machten sich stattdessen auf dem Weg zum HQ, bei einem Hot Dog-Stand einen kurzen Zwischenhalt, um sich wenigstens nicht mit komplett leerem Magen dem zu widmen, was sie im HQ erwartete.

Als sie in die Garage einfuhren fühlte sie sich gut. Es war ein bisschen wie ein zweites nach Hause kommen, der Ort, an dem ihr nirgendwo Sniper mit bissigen Bemerkungen über den Weg laufen konnte oder Sasuke ihr Kopfzerbrechen bereitete.

Die Motorräder der Anderen waren, soweit sie das erkennen konnte, grösstenteils zurück. Aber wie sah die Lage der Kuramas denn jetzt aus?

Nun, sie würden es in Kürze erfahren. Sie passierten die Verbindungstür zum Flur, an dessen Ende die Tür zum grossen Aufenthaltsraum bereits offen stand und man ziemlich laute Stimmen vernehmen konnte.

„…verdammte Drecksschweine!“

Tsunade bedachte Sakura mit einem vielsagenden Blick. „Die Umgangsformen hier werden sich wohl auch in hundert Jahren nicht ändern.“

Sie trat schwungvoll in den Raum ein. „Guten Abend allerseits! Wo brennt’s?“

Ihre Tante verstand es, mit einer aufgebrachten Gruppe Kuramas umzugehen und zog deshalb sofort die gesamte Aufmerksamkeit auf sich. Anwesend waren im Moment mur Ino, Kiba, Gaara und Choji.

„Wo habt ihr denn Big Fox gelassen? Ich hätte gerne Bericht.“

Shikamaru trat hervor. „Ich mach das heute, Flame.“

In Sakura bahnte sich ein ungutes Gefühl den Weg an die Oberfläche. Was war mit Naruto?

„Keine Sorge, der steht nur unter der Dusche. Flame, Shizune ist bereits da und könnte deine Hilfe wohl gebrauchen. Im Inner nur Verletzte, also Lee, Tenten und Shino, den Outer hat es etwas härter erwischt…“ Die Beiden gingen währendem sie redeten bereits in Richtung des Lazaretts. Dies führte wiederum dazu, dass die Anderen sie nun endlich bemerkten.

„Hey, Cherry!“, rief Kiba grinsend. „Na, Mission erfüllt?“

Konnte man so nicht sagen, nein, ganz und gar nicht, aber sie nickte nur. „Hey, Leute, schön euch zu sehen! Wie ist das Battle denn gelaufen?“

Es dauerte keine Sekunde, bis ihr Ino übermütig um den Hals fiel und sie so sehr an sich drückte, dass sie kaum mehr Luft bekam.

„Flowie, jetzt pass doch mal auf! Da hat sie gerade das Taka-HQ hinter sich und erstickt schlussendlich doch bei uns“, protestierte Kiba laut gegen Inos Übermut.

„Saku! Wie ist es gelaufen, was…“

Sakura schob sie sanft aber bestimmt von sich weg. „Ino, ich erzähle dir das gerne später, aber im Moment möchte ich eigentlich nur wissen, wie es um euch alle steht und wie das Battle ausgegangen ist, okay? Und wo hast du überhaupt Hina gelassen?“

„Sorry, du hast ja Recht. Also, Hina hilft Tsunade und Shizune im Krankentrakt. Hund, du warst dabei, also könntest du vielleicht mal Fakten zum Battle liefern?“, ordnete sie an und bedachte Kiba mit einem auffordernden Blick.

„Naja, es ist ungefähr so gelaufen, wie erwartet. Es waren einige Riots, keine Ahnung ob Inner oder Outer. Die haben ja unsere Leute angegriffen, aber mithilfe der Takas haben wir sie in die Flucht geschlagen. Hört sich für dich jetzt an wie ein Triumph, was?“

Sakura nickte unsicher. „Schon ja.“

„War es aber nicht. Wie soll ich sagen, die Riots haben wir zwar ziemlich schnell besiegt, aber irgendwie kam es uns vor, als ob sie uns an der Angel haben. Es scheint, dass sie immer die Schnelleren sind, diejenigen, die die Nase vorne haben. Naruto und Demon sind beide ziemlich sauer, versteht sich. Sie vermuten, dass da irgendwas nicht stimmt. Dass wir einen Maulwurf unter uns haben, der den Riots laufend erzählt, was bei uns so läuft. Anders können es sich die Bosse nicht erklären. Ständig sind sie dort, wo sich unsere Outers aufhalten und finden sogar ihre Quartiere, die man nun wirklich nicht einfach so vom blossen Hinschauen sehen kann.“

Ungeheuerlich. Anders konnte Sakura es nicht ausdrücken. Einen Maulwurf? Wer tat denn so etwas?

„Nee oder? Dann heisst das, jeder hier könnte ein verdammter Verräter sein?“, platzte es ungläubig aus ihrer Freundin heraus und Kiba schüttelte den Kopf.

„Jetzt halt mal die Luft an, ja? Nicht dass du mir jetzt hier rumrennst und jeden verdächtigst. Der Boss wird euch nachher schon noch sagen, was Sache ist.“

„Was treibt der denn überhaupt so lange?“, maulte Ino und warf sich aufs Sofa. „Keiner braucht so lange zum Duschen.“

„Halt mal die Luft an Flower Power, ich will gar nicht wissen wie lange du am Morgen im Bad brauchst, also beklag dich nicht wegen einer Viertelstunde Duschen, ja?“ Naruto trat schwungvoll in den Raum. Müde sah er aus, aber es schien zum Glück so, als ob er in diesem Kampf nicht wirklich viel abbekommen hatte.

„Hey, Sakura, schön dich zu sehen!“ Er umarmte sie zur Begrüssung. „Alles klar?“

Sie nickte. „Danke, alles Bestens. Und bei euch? Wie ist das Ganze gelaufen?“

Er seufzte etwas müde. „Nun da gibt es ein paar Sachen zu erzählen.“

Naruto berichtete, dass im Kampf nicht viel Nennenswertes passiert sei und dass sie die Riots ziemlich schnell am Boden gehabt hatten. „Demon hat ganze Arbeit geleistet. Der war zwar nicht besonders gut gelaunt, aber was den Kampf anging in Hochform. Das war ziemlich hilfreich, denn das hat seine Leute umso mehr angestachelt.“

Ganz ehrlich? Sie hatte sich wirklich fest vorgenommen, nicht mehr an Sasuke zu denken. Wirklich. Aber wie sollte ihr das auch gelingen? Er und die Takas waren selbst im Kurama-HQ viel zu präsent, als dass das einfach so klappen würde.

„Ist ja schön und gut, Big Fox. Aber was mussten wir da hören? Ein Maulwurf?“ Ino konnte wieder einmal nicht warten und Narutos Blick verfinsterte sich auf der Stelle, bevor er in Richtung Kiba wanderte.

„Was habe ich dir vorhin gesagt, Wauwau?!“

„Sorry, Boss. Hab ich schon wieder vergessen.“ Entschuldigend hielt er ihm seine Chipstüte hin. „Nimm ‘nen Chip.“

Naruto schlug sich mit der Hand gegen die Stirn und schüttelte den Kopf. „Ist ja nicht zu fassen.“

„Wie auch immer, wir wissen es jetzt und deshalb wollen wir Details, Naruto.“ Ino lehnte sich zufrieden in der Couch zurück und zerbiss genüsslich einen Kartoffelchip, den sie sich vorhin von Kiba geangelt hatte.

„Ino jetzt hör doch auf…“, setzte Sakura an doch Naruto, winkte ab.

„Ach, ist ja jetzt auch egal. Ja, Pain, Demon, Genius und ich haben darüber nachgedacht, wirklich. Aber es macht keinen Sinn. Gäbe es einen Maulwurf, dann hätten die längst unser HQ angegriffen.“

Das war wohl wahr. Soweit hatte sie selbst noch gar nicht nachgedacht, aber es stimmte: Es machte wenig Sinn.

„Und wie geht das denn jetzt weiter?“, fragte sie deshalb.

Naruto seufzte. „Wenn ich das wüsste. Trotz allem haben wir uns gesagt, dass allgemeine Infos nicht mehr über den Inner hinausgehen sollen, es sei denn, es ist nötig. Nur Sora wird davon erfahren, zudem wird er ein Auge auf die Outers haben. Aber lasst uns noch einen Moment Zeit, dann haben wir vielleicht endlich einen guten Plan, ja? Morgen ist wieder Treffen mit den Takas angesagt, dieses Mal aber beim ’Rift‘. An einem Ort, wo sie uns nicht vermuten. Und am übernächsten Samstag werden sich beide Inners möglichst vollzählig dort einfinden, damit die Gesamtlage einmal geklärt werden kann. Solange ist es einfach wichtig, dass ihr das hier jetzt für euch behaltet.“

„Und Hina?“, fragte Ino sofort.

„Klar, die darf das wissen.“ Er gähnte herzhaft und drehte sich um. „Ich geh jetzt ‘ne Runde pennen, ja?“

Sakura grinste. „Tu das. Du siehst nicht gerade aus, als ob du Bäume ausreissen könntest.“

Beim Verlassen des Raumes meinte er nur noch: „Nicht einmal ein kleines Sträuchlein.“
 

Es war gegen zehn Uhr abends, als Hinata endlich den Krankentrakt verliess. Ino und Sakura spielten seit fast zwei Stunden mit Gaara und Kankuro „Mario Kart“, da man im Lazarett keine Hilfe mehr benötigt hatte.

Fröhlich begrüsste Sakura ihre Freundin, die sie schon seit geraumer Zeit nicht mehr zu Gesicht bekommen hatte und auch Hinata umarmte sie stürmisch.

„Seid ihr fertig mit der Versorgung?“, fragte Ino beiläufig, aber Hinata nickte. „Ja, schon. Aber Tsunade und Shizune arbeiten morgen und von den anderen Ehemaligen konnte keiner aufgeboten werden. Deshalb lassen sie fragen, ob wir nicht die Nachtschicht machen könnten? Wisst ihr, im Moment sind alle soweit einbandagiert und niemand ist in grösserer Gefahr. Es geht lediglich darum, dass jemand da wäre, um zu helfen, falls nötig.“

Das war keine Frage. Sie hatten nicht gekämpft, dafür hatten sie jetzt Zeit und Energie, diese Aufgaben auf sich zu nehmen.

„Machen wir, Mädels, oder?“ Ino war schon aufgestanden und meinte noch zu Kankuro: „Jetzt musst du Gaara alleine besiegen, Shooter.“

Daraufhin begaben sie sich in den Krankentrakt, wo Tsunade und Shizune bereits ihre Sachen packten.

„Das ist wirklich lieb von euch“, flüsterte Shizune, um auch ja keinen der schlafenden Kuramas zu wecken.

Kurz gab sie ihnen eine Instruktion, welche Schmerzmittel sie den Leuten geben durften, falls nötig und wer welche Verletzungen hatte. Das schrieb sie, nebst dem Namen der Person sowieso immer auf ein Blatt Papier und legte es neben die Matratze desjenigen, damit auch keine Verwechslungen passierten.

Und so verschwanden die beiden Frauen kurz darauf, während Sakura, Ino und Hinata es sich etwas abseits in der Material-Ecke auf einer Matratze bequem machten, wo die ganzen Verbandssachen und Konsorten aufbewahrt wurden. Eine kleine Bürolampe erhellte den Platz schwach, aber das reichte auch.

„Sag mal, Saku, wie war das denn jetzt genau, bei den Takas?“, fragte Ino leise. Es reichte, hier in der Ecke nicht allzu laut zu sprechen, damit sie die anderen nicht weckten.

Sakura seufzte und lehnte sich gegen die Holzwand. Bis vor kurzem hatte sie diese prekäre Angelegenheit erfolgreich verdrängt. Aber so blieb ihr wohl nichts anderes übrig, als sich wieder damit auseinanderzusetzen. Und so begann sie zu erzählen. Von ihrer Ankunft an über das Frühstück, welches sie mit Juugo organisiert hatte, bis hin zu der Silvesterfeier auf dem Dach von Madaras Bank. Sasuke liess sie bewusst aus und auch die Sachen mit Karin verschwieg sie.

„Das klingt irgendwie überhaupt nicht so, wie ich mir das mit den Takas vorstelle. Aber das die nicht genau so sind, wie sie sich immer geben, war mir ja bereits klar.“ Ino schüttelte den Kopf.

„Aber was gab es denn da vorhin zu seufzen?“, fragte Hinata nun. „Ist irgendwas mit Demon passiert?“

Wahrscheinlich war es einfach leicht herzuleiten oder sie war so durschaubar. Sollte sie jetzt wirklich mit ihren Freundinnen darüber reden? Aber eigentlich war doch klar, was sie sagen würden. Denn in ihren Augen würde sich nur wieder das alte Bild des Taka-Leaders einfügen, dasjenige, welches sich langsam aber sicher zu verändern begonnen hatte. So lange hatte sie doch genau das erreichen wollen – dass sie ihn endlich in einem anderen Licht sehen konnten – und nun war sie es, die das ganze wieder rückgängig machen sollte?

„Nichts, was ich euch jetzt erzählen möchte…“, flüsterte sie. In die Augen schauen konnte sie ihnen dabei nicht.

„Zu spät, Saku. Du musst vor uns keine Geheimnisse haben, auch nicht was ihn angeht. Über diesen Punkt sind wir inzwischen weg, oder etwa nicht?“

Natürlich. Aber es war so schwer, einzusehen, was passiert war.

„Es lief gut…“, begann sie. „Besser als ich erwartet hatte. Nach dem Tod seines Bruders hat er sich ziemlich in sich selbst zurückgezogen, aber irgendwie gab es Momente, da war er wieder da…wenn ihr versteht, was ich meine. Aber heute Morgen war es anders…“

Kurz beschrieb sie ihnen, was geschehen war und leider erntete sie auch genau den verständnislosen Blick, den sie von Ino erwartet hatte.

„Echt jetzt? Ich meine, der hat sich doch ganz einfach nur vor den anderen in seiner Autorität angezweifelt gefühlt, nur weil du ihm als Einzige gesagt hast, wie dumm es ist, angeschlagen in ein Battle zu ziehen! Das geht echt gar nicht!“

Hinata wies die aufgebrachte Ino mit einer Handbewegung, wieder etwas leiser zu sprechen. „Meinst du? Ich glaube nicht, dass es nur das war. Sakura, Sasuke hat Bindungsprobleme, nicht wahr? Es mangelt ihm an Vertrauen in andere.“

Sakura nickte. „Richtig…liegt vermutlich auch daran, dass ihm die Menschen, zu denen er die engsten Bande in seinem Leben geknüpft hat, allesamt genommen wurden.“

„Dann…dann hat er bestimmt einfach nur Angst, Saku. Angst davor, dass ihm jemand zu nahe kommen könnte. Und da bist du blöd gesagt eine grosse Gefahr für ihn.“

Hinatas Worte gingen ihr unter die Haut. Daran hatte sie bisher nicht wirklich gedacht, dabei war es eigentlich gar nicht einmal weit hergeholt. Nein, eigentlich lag es auf der Hand.

Wie oft war ihr schon bewusst geworden, wie unangenehm es ihm war, wenn sie zu viel fragte und zu viel über ihn wusste. Er hatte Angst davor, dass jemand zu tief in sein Territorium vordrang und er diesen jemand plötzlich noch mögen könnte.

„Und trotzdem ist das doch keine Entschuldigung“, brummte Ino, jedoch schien auch sie nun ein wenig ruhiger zu sein.

„Natürlich nicht. Aber jemanden zu mögen, Saku…und vielleicht sogar zu lieben, ist die grösste Schwäche…sie macht einen verwundbarer, als alles andere“, flüsterte Hinata noch leiser, als es eigentlich nötig gewesen wäre. „Und verwundbar zu sein ist gefährlich.“

Dazu blieb wohl nichts zu sagen, denn es stimmte von vorne bis hinten. Und irgendwie beruhigten diese simplen Worte Hinatas ihren inneren Krieg ein wenig. Zumindest für den Moment. Von all den möglichen Gründen für Sasukes Verhalten heute Morgen, war diese hier zweifellos die Angenehmste.

Wie auch immer, was sie irritierte war, wie Hinata diese Worte ausgesprochen hatte. Im fahlen Licht konnte sie leider nur wenig von ihrer Mimik erkennen, aber ihre Tonlage sprach eindeutig dafür, dass diese Worte ihr selbst sehr nahe gingen.

„Ist etwas, Hina?“, fragte sie deshalb vorsichtig, aber Hinata schüttelte hastig den Kopf.

Ino seufzte. „Ach, hör doch auf. Ist es wegen Big Fox? Hast du Angst, dass ihm was passiert?“

Sakura konnte gerade jetzt mit hundertprozentiger Sicherheit sagen, dass ihre Freundin ziemlich rot im Gesicht wurde. Was das anging war Hinata noch schlimmer als sie. Da brauchte Naruto nur aufzutauchen und sie wurde schlagartig zur Tomate.

„Ja…das wird es wohl sein“, murmelte sie und Ino legte den Kopf schräg.

„Ich mach mir auch Sorgen um alle hier…die kommende Zeit wird uns viel abverlangen.“ Es war nicht zu leugnen, dass irgendwie jeder solche düsteren Gedanken im Hinterkopf hatte, die leider schneller als sie dachten Realität werden konnten.

Aber irgendwie schien es ihr so, als ob Hinata etwas anderes beschäftigte. Es machte den Eindruck, als ob sie die Sache mit der Angst um Naruto nur als Ausflucht benutzt hatte, um nicht sagen zu wollen, was sie damit wirklich meinte. Jedoch machte Hinata nicht den Eindruck, als ob sie darüber reden wollte, deshalb war es wohl sinnvoll, sie später noch einmal darauf anzusprechen. Vielleicht ging es ja um ihren Vater, der inzwischen schon wieder für seine Firma irgendwo in der Weltgeschichte herumreisen musste. Ihr ging es nach seiner Abreise meistens nicht besonders gut, aber ihr Vater brauchte diesen Job nun einmal.

Es war eine komplizierte Sache.

„Und um wen hast du besonders Angst?“, flüsterte Sakura neckisch in Inos Richtung, um das Thema zu wechseln und die reagierte genau wie erwartet.

„Um wen sollte ich den besonders Angst haben? Gibt niemanden!“

Ino schaffte es nie, unbeteiligt zu klingen, wenn man sie am richtigen Punkt erwischte und Sakura lachte leise. „Ich weiss noch nicht wer genau, aber ich tippe auf Shika oder Sai.“

Fassungsloser hätte Ino nicht in die Gegend starren können, soviel erkannte sie auch bei schummrigen Lichtverhältnissen.

„Ach, halt die Klappte, Saku.“ Doch dann stimmte sie doch in Hinatas und Sakuras leises Lachen ein. „Aber Gangleadern hechle ich bestimmt nicht hinterher. Die sind nämlich entweder schwer zu verstehen oder schwer von Begriff.“

Fast die ganze Nacht lang unterhielten sie sich so, wenn auch mit kleineren Unterbrüchen durch Verletzte, die nach Schmerzmitteln fragten oder denen man die Verbände erneuern musste.

Wie sehr sie es vermisst hatte, so vertraut mit ihren Freundinnen zu sprechen, wurde ihr erst jetzt richtig bewusst. Zu lange waren ihre Gedanken doch stets im Taka-HQ gewesen, als dass sie noch Zeit gefunden hätte, mit Ino über ihre Eltern oder mit Hinata über ihren Vater zu reden. Vielleicht war es an der Zeit, aufzuwachen.
 

Leider entpuppte sich dieses Aufwachen als schwierig, das bekam sie wieder einmal richtig deutlich zu spüren, als die folgenden zwei Wochen ihren Lauf nahm und sie mit gemischten Gefühlen dem Samstag entgegen schaute. Nebst dem, das die Schule wieder begann, passierte in der Zeit nicht viel Bemerkenswertes. Nur wurde Sakura langsam aber sicher bewusst, dass es endlich an der Zeit war, herauszufinden, was sie nach dem College machen wollte. Aber ehrlich gesagt, hatte sie noch keinen blassen Schimmer, was das sein könnte. Das Thema bereitete ihr Kopfschmerzen.

Als sie sich dann an jenem Samstagabend für das Treffen bereit machte, wusste sie beim besten Willen nicht, wie sie Sasuke gegenübertreten sollte. Geschweige denn, ob es überhaupt dazu kam, dass sie mit ihm sprechen musste. In den zwei Wochen hatte sie etwas Zeit gehabt, Distanz von all dem Mist zu bekommen, aber trotzdem schwebte der dunkle Schatten von Sasukes Verhalten immer noch wie ein drohender Geist über ihr.

Getrennt machten sie sich auf den Weg zum „Rift“, einem Ort, an dem man sich normalerweise nicht freiwillig aufhielt. Es befand sich ausserhalb der Downtown und den Hauptvierteln, im West Village und somit an einem der gefährlichsten und dreckigsten Orte im gesamten westlichen Vorortgürtel. Einer der Orte, an dem die Polizei längst aufgegeben hatte, für Gerechtigkeit sorgen zu wollen, da ohnehin alles in den Händen von Untergrundorganisationen ruhte. Die spottbilligen Preise der oft abgehalfterten Wohnungen brachten einzig und allein die Einkommensschwächsten dazu, hier zu leben.

Vielleicht war es treffend, die Vororte und besonders West Village als Auffangbecken für Menschen, die nicht viel hatten, zu bezeichnen. Nebst solchen mafiösen Organisationen traf man hier auch auf Strassenkinder, Opfer von Drogen und Alkohol, sowie kleinere Gangs, die es nicht in die höheren Sphären geschafft hatten. Zu letzteren galt es zu sagen, dass es die wenigsten Gangs an einen vergleichbaren Platz schafften, wie die Kuramas und Takas.

Nein, als Gang zu überleben war schwerer, als man es sich vorstellte.

Sakura war mit Kiba unterwegs, da es viel zu auffällig gewesen wäre, wenn sich die ganze Gang geschlossen auf den Weg gemacht hätte.

Immer, wenn sie aus irgendeinem Grund durch West Village fuhren, konnte Sakura nicht anders, als sich umzusehen, obwohl es für sie bestimmt besser gewesen wäre, nicht hinzusehen.

Der Anblick von Alkoholleichen, frierenden Kindern und müde aussehenden Menschen, der man hier, am späten Abend antraf, war einfach kaum auszuhalten. Wie gerne würde sie irgendetwas für sie tun, besonders für die Kinder. Unschuldig waren sie in diese Welt gekommen und mussten sich schon in solch zartem Alter auf so eine unmenschliche und grausame Weise behaupten.

Dass die Regierung so wenig Kontrolle über all das hatte war schlimm genug, aber dass sie dann auch noch Opfer von solchen Organisationen wurden, die sie für Botengänge engagierten und sie schamlos ausnutzen war dann echt das Letzte. Aber als Strassenkind musste man doch irgendwie zusehen, dass man etwas zum Beissen zwischen die Zähne bekam. Und Sasuke war eines dieser Kinder gewesen…

Es war schon unglaublich, wie dieser Taka es schaffte, ständig in ihrem Kopf herumzuschwirren. Egal, wie sehr sie versuchte, ihn aus ihren Gedanken zu schubsen, so fand er doch immer wieder einen Weg zurück.

Im nächsten Moment bog Kiba ab und sie passierten einen alten Fabrikhof, der sich bei genauerem Hinsehen als die verkohlten Überreste der Drop-Down-Area entpuppte.

Anscheinend hatte man hier nach dem Löschen des Feuers überhaupt nicht aufgeräumt, weil es einfach keinen kümmerte. Der Anblick des Gebäudes liess sofort einige schlimme Erinnerungen an diese kalte Dezembernacht aufkommen, in der sich alles geändert hatte.

Fast gezwungenermassen musste sie ihren Blick von dem Platz abwenden, als ihr vor ihrem geistigen Auge die Szenarien von dieser Nacht durch den Kopf schossen. Da war sie richtig froh, dass sie diese Area des Schreckens endlich hinter sich liessen.

Das „Rift“ war nichts anderes, als eine verwahrloste Skating-Halle mit einer riesigen, ziemlich heruntergekommenen Half-Pipe.

Man nannte das Rift so, weil mitten durch die Half-Pipe ein grosser Riss verlief, welcher sie der Länge nach in zwei Hälfte gespalten hatte und somit das Skaten unmöglich machte. Es war eigentlich nichts anderes, als der namensgebende Mittelpunkt dieses Gebietes des West Villages.

Es war nicht ein Ort, an dem man gerne seine Besprechungen abhielt, aber in einem Fall wie diesem, wo ziemlich viele Leute antrabten, war es ganz praktisch und vor allem: weit weg vom Stadtzentrum und somit hoffentlich auch von den Riots. Die hatten an einem Samstagabend wahrscheinlich sowieso nichts Besseres zu tun, als sich in der DDM volllaufen zu lassen.

An den vielen Leuten, die sich schon eingefunden hatten zu urteilen, ging sie davon aus, dass sie zu den Letzten gehörten.

Vor dem Eingang standen Shikamaru und Pain, die wohl sicherstellten, dass keine ungebetenen Gäste der Versammlung beiwohnten oder lauschten. Schliesslich kannten die beiden den Plan bestimm bereits.

Kiba parkte seine Maschine neben den anderen in der Halle, es waren bereits geschätzte 25 Stück. Ironischerweise befand sich direkt neben ihnen auch gleich Sasukes schwarze Yamaha, welche sie wohl aus zehn Kilometern Entfernung noch erkennen würde.

Gleich war es soweit, aber er würde sie vermutlich nicht einmal eines Blickes würdigen. So gut kannte sie ihn bereits, da würde selbst Karins gutes Zureden nichts helfen.

Wenn sie es genau nahm, dann wusste sie ja selbst nicht, was sie von ihm erwartete. War jetzt auch egal.

Gemeinsam mit Kiba steuerte sie auf die Kuramas zu, die es sich auf der rechten Seite der Half-Pipe gemütlich gemacht hatten, während die Takas die linke in Beschlag nahmen. Es war immer noch kalt und zwischen den Ritzen der morschen Holzwände zog ein kühler Wind. Stimmengewirr erfüllte den Raum mit der hohen Decke, an der sich sechs kaputte Dachflächenfenster befanden und die Sicht auf den klaren Sternenhimmel freigaben.

Sie winkte den Takas möglich unauffällig zu, aber dass diese kleine Geste von den Kuramas unbemerkt blieb, war vergeblich zu hoffen.

„Cherrylein!“, säuselte Hidan und schicke einen übertriebenen Luftkuss in ihre Richtung, worauf sie am liebsten im Boden versunken wäre.

„Juhu, Sakura-Mäuschen!“, flötete jetzt auch noch Deidara in ihre Richtung und sie wurde röter und röter. Es war ja so klar gewesen, dass die Takas es nicht lassen konnten, ihre Erzfeinde wieder einmal aufs Äusserste zu provozieren.

„Na, wie geht es denn unserer Ehren-Taka-Prinzessin?“ Wenn sie einen Stein zu Hand gehabt hätte, dann hätte sie ihn jetzt definitiv ohne zu Zögern in Suigetsus Richtung geschmissen. Himmelherrgott, diese Jungs waren einfach zum Heulen!

So schnell wie möglich gesellte sie sich zu Hinata und Ino, wobei ihr leider auch die wenig amüsierten Gesichter der Kuramas begegneten. Mist.

Aber damit nicht genug. Die Jungs schienen erst gerade in Fahrt zu kommen. „Wann kommst du denn das nächste Mal ins…“

„Schluss mit der Scheisse, sofort!“

Sie hatte ja gewusst, das Sasuke ziemlich durchsetzungsfähig war. Aber dass er mit so einer Autorität und so einem scharfen, zurechtweisenden Ton auftrat, das war sie sich weder gewohnt, noch hatte sie es erwartet. Er konnte laut werden, ohne zu Brüllen, doch der Effekt war ein und derselbe.

Hidan, Deidara und Suigetsu hielten von einer Sekunde auf die andere die Klappe.

„Könnt ihr verdammten Kindsköpfe euch wenigstens einmal benehmen?!“

Sasuke kam die lädierte Half-Pipe entlang gelaufen, zwischen den Lippen eine Zigarette. Es war unglaublich, wie sehr sich seine ganze Aura veränderte, wenn er in seiner Leader-Funktion unterwegs war. Genau wie Itachi legte er eine enorm autoritäre Ausstrahlung an den Tag und schien somit auch die allergrösste Präsenz im Raum zu haben.

Wie sie bereits erwartet hatte, würdigte er ihr keines Blickes, ehrlichgesagt fragte sie sich sogar, ob er sie überhaupt bemerkt hatte.

„Von mir aus kannst du anfangen, Big Fox.“

Naruto erhob sich. „Takas, Kuramas, wie ihr wisst, haben wir in den letzten Tag einen Plan ausgearbeitet, an dem wir vorerst nur die Inners teilhaben lassen wollen. Sagt uns, was ihr davon haltet, wenn ich fertig bin. Alles klar?“

Zustimmendes Murmeln ging durch die Reihen der Anwesenden und nun war die Aufmerksamkeit ganz auf Naruto gerichtet.

„Der Plan ist folgender: In den nächsten Tagen werden Spähposten aufgestellt und zwar an all den Schlüsselpunkten in der Stadt, an denen sich die Riots oft aufhalten. Beinhaltet also unter anderem die DDM, die Glade’s, der Güterbahnhof und neuerdings auch das Toad’s und andere Orte, die wir zuteilen werden. Wir wissen, dass Spähmissionen eigentlich eher Outer-Sache sind, aber in diesem Fall wird der Inner daran teilnehmen. Für diese Spähmissionen ist es wichtig, dass ihr nicht zu erkennen seid, aber auch keine Aufmerksamkeit erregt. Wir wissen nicht, wie viele die Riots von uns aufgrund jüngster Ereignisse kennen und wollen deshalb nichts riskieren. Soweit alles klar?“ Fragend blickte er in die Runde, er erntete nur Nicken.

„Gut. Grundsätzlich ist es das Ziel, sie in kleineren Gruppen zu erwischen, damit wir in Überzahl angreifen können. Das Ziel dieses Beobachtens ist es, ein System in ihren Bewegungen und Aufenthaltsorten herausfinden zu können. Wir gehen nämlich davon aus, dass sie die oben erwähnten Orte so ziemlich als ihre Stützpunkte verwenden, von denen aus sie gut agieren können. Die sind nämlich ziemlich gleichmässig über die einzelnen Stadtteile verteilt und viele davon kennen wir wahrscheinlich noch nicht. Wissen wir erst einmal, wie viele sich ungefähr zu welchen Wochentagen wo aufhalten, können wir mit dem eigentlichen Plan beginnen.“

Naruto räusperte sich. „Jetzt kannst du weitermachen, Demon.“

Sasuke, der sich gar nicht erst hingesetzt hatte, warf seine Zigarette weg und zertrat sie mit dem Fuss. „Der eigentliche Plan ist so angelegt, dass er wenn möglich auf kein Battle hinauslaufen sollte, um unsere Kräfte zu schonen. Das wiederum bedeutet aber auch, dass er etwas riskant ist. Wissen wir nämlich erst, wo man die Riots am Besten erwischt, geschieht ein Scheinangriff. Das alles soll wenn möglich an einem Samstagabend geschehen, da dann der Riot-Inner immerzu in der DDM herumhängt. Ein Grossteil unserer Leute wird um diese Zeit den Anschein machen, als ob sie einen direkten Angriff auf die DDM verüben wollen, was sie aber im Endeffekt nicht tun. Bis auf einige Schüsse und Rauchpetarden soll nichts passieren. Sobald die Bullen dann auf den Plan rücken, machen sie sich allesamt aus dem Staub. Im Vorherein wird einer von unseren Mitgliedern die Reifen ihrer Maschinen zerstechen, damit sie auch ja nicht so leicht davonkommen und so möglichst viele von ihnen der Polizei zum Opfer fallen. Ihr seht das hier richtig, wir möchten also die Cops die ganze Arbeit machen lassen. Das sollte unsere Reihen schonen, insofern wir uns aus dem Staub machen können, bevor die Bullen uns auch noch kriegen. Hier ist also das Risiko: Die rücken seit der Sache mit der DD-Area auch schneller auf den Plan, als früher. Die Möglichkeit, dass sie auch einige von uns erwischen, besteht.“

„Und das war’s? Wozu denn die ganze Beobachterei?“, fragte Suigetsu geradeaus und erntete von seinem Boss einen tadelnden Blick.

„Du könntest echt viel Luft sparen, indem du mich mal ausreden lässt“, knurrte Sasuke verärgert in seine Richtung. „Die Riots werden also mit diesem Scheinangriff beschäftigt sein. Kurz nach Beginn dieses Feldzugs werden so viele der äusseren Stützpunkte in Überzahl angegriffen und eliminiert, wie es möglich ist. Somit sollte sich ihre Zahl ziemlich drastisch verkleinern und unsere geschont werden.“

Er blickte prüfend in die Runde. „Sie haben diese Stadt zu ihrem Territorium gemacht, jetzt gilt es, sich dort langsam und unauffällig wieder einzuschleichen, um es dann wieder zu unserem zu machen. Was haltet ihr davon?“

Sakura wusste nicht, was sie sagen sollte. Der Plan war wirklich ziemlich ausgeklügelt, benötigte viel Timing und Abstimmung. Aber er klang gut und verlieh einem das Gefühl, den Riots doch nicht chancenlos unterlegen zu sein. Es galt, ihnen ihre grössten Vorteile zu nehmen: Ihre Kontrolle und ihre Überzahl.

Die anderen schienen das ähnlich zu sehen, denn bis auf einige Fragen zum Ablauf, wurde nichts bemängelt oder kritisiert. Die Leaders, Vizes und auch die anderen Mitwirkenden hatten ganze Arbeit geleistet. Wirklich beeindruckend.

„Genauere Gruppen- und Spähposteneinteilungen erhaltet ihr von mir oder eben Big Fox dann zurück in den jeweiligen HQs. Wir werden bereits ab morgen damit beginnen, die Spähposten festzulegen.“
 

Wahrscheinlich tat man es, um den Zusammenhalt zweier Rivalen irgendwie zu festigen, jedenfalls gab es nach dieser Verkündung noch Bier für alle, währenddessen die Leader weitere Fragen beantworteten.

„Sasuke hat sich echt verändert, oder? Ich meine so ein einschüchternder Typ war er ja schon immer, aber jetzt ist der ja zu ‘nem richtigen Alpha-Tier geworden“, flüsterte Ino ihr ins Ohr uns Sakura konnte dem nur zustimmen.

„So sieht es aus.“

Hinata verhielt sich seltsam ruhig heute. Es war nicht so, dass sie sonst zu den grossen Rednerinnen gehörte, aber irgendwie schien sie heute abwesend.

Bevor sie sie aber darauf ansprechen konnte, wurde sie zu Seite gezogen. Konan führte sie ein wenig aus den Leuten heraus, in eine Ecke der Halle, etwas von der Half-Pipe entfernt.

„Konan!“ Sakura fiel ihr stürmisch um den Hals, jetzt wo die anderen sie nicht sahen. Sie wollte ja nicht noch zusätzlich die Missgunst zwischen den beiden Gangs schüren. Konan sah immer noch ziemlich müde und angeschlagen aus. Aber was erwartete sie denn? Dass sie hier mit einem riesigen Grinsen durch die Gegend spazierte?

„Sakura, ich habe vernommen, was letzte Woche passiert ist. Es tut mir so leid. Ich kann Sasuke einfach nicht verstehen. Da kommst du ins HQ, hilfst wo du kannst und so dankt er es dir? Himmel, es war meine Idee, dass du ins HQ kommst, aber ich wollte doch nicht, dass du es bereuen musst.“

„Ich bereue es doch nicht, Konan. Ich meine, wir hatten ja eine gute Zeit oder etwa nicht?“

„Natürlich. Und trotzdem. Ich habe mit Sasuke sprechen wollen, aber er blockt ab, jetzt mehr denn je. Dabei wäre er dir dringend eine Entschuldigung schuldig.“ Sie seufzte. „Ich mach mir immer mehr Sorgen um ihn. Da dachten wir, es ginge bergauf mit ihm und scheint alles wieder wie zuvor zu sein.“

Das tat weh. Sosehr sie sein Verhalten auch verletzt hatte, es änderte nichts daran, dass ihre Gefühle für ihn noch immer stark waren und sie nicht wollte, dass er wieder in seiner Dunkelheit versank.

„Mach dir bitte keinen Kopf deswegen, ja? Das ist Sasukes und meine Baustelle, nicht deine“, versuchte sie ein wenig, sie aufzumuntern.

„Sakura du warst bisher das Einzige, was Sasuke wirklich geholfen hat. Ich kann es nicht ertragen, wenn er jetzt alles hinschmeisst. Ich habe Itachi immer versprochen, noch lang bevor er von uns gegangen ist, dass ich immer ein Auge auf ihn haben werde, falls eben genau das mit Itachi passiert, was passiert ist.“

Das hatte sie nicht gewusst. Die arme Konan trug so viele Lasten mit sich herum, wie sollte es ihr denn da möglich sein, jemals aus ihrer Trauer hinauszufinden?

Das alles schien irgendwie ein Labyrinth ohne Ausweg zu sein.

Gerade als sie irgendetwas sagen wollte, wurde sie von Shikamaru unterbrochen, der in die Halle stürmte. „Boss! Sora meldet, dass ein Haufen Riots auf dem Weg ins West Village sind! Sie kommen aus der Richtung des Norths.“

Naruto und Sasuke fuhren fast gleichzeitig herum. „Was?“

Wenn die Situation nicht so ernst gewesen wäre, hätte sie jetzt über die beiden Leader lachen müssen, welche mit dem genau gleichen Gesichtsausdruck im Chor dasselbe verkündeten. „Sofort weg hier!“

Natürlich, sie hatten nicht unbedingt viele Waffen dabei, bis auf die Knarren und Messer der Jungs.

Also blieb ihr nichts anderes übrig, als sich von Konan zu trennen und sich schnellstens zu Kiba zu begeben, der seine Maschine bereits gestartet hatte und ihr nun seine Pistole in die Hand drückte „Aufsteigen, Cherry, jetzt gilt es, schneller zu sein, als sie. Benutz die Knarre für den Fall, dass sie uns finden.“

Himmel, wie ihr Herz raste. Da konnte man sagen, was man wollte, aber in einer Gang zu sein, war der Adrenalinkick schlechthin.

Einen Blick erhaschte sie noch auf Sasuke, welcher ebenfalls bereits seine Yamaha angeworfen hatte und mit Karin hinter sich bereit zum Start war.

„Teilt euch in kleinere Gruppen auf ! Kann sein, dass die auch noch aus anderen Richtungen anrücken, also seid bereit!“, wies er noch an und dann begann für Sakura eine rasante Fahrt. Sie waren hier nicht weit vom Ende des Stadtteils entfernt, würden also nicht lange haben, um die Gefahrenzone zu verlassen. Kiba wählte unglücklicherweise genau die Gruppe, in der auch Sasuke und Sniper waren. Nebst ihm waren auch noch Naruto mit Hinata und Deidara mit Hotaru mit von der Partie.

Trotz den heiklen Umständen spürte Sakura während der Fahrt und dieses unglaubliche Gefühl von Abenteuer und Aufregung ins ich, als das nächtliche West Village an ihr vorbeizog und sie bis auf verschwommene Lichter gar nicht viel mitbekam. In ihrem Körper spürte die die Vibrationen des Motors unter sich und in ihren Ohren war das einzig Hörbare das Geräusch ihrer Maschinen. Den kalten, zerrenden Wind nahm sie überhaupt nicht mehr wahr.

Ohne Zwischenfälle gelangten sie an den Rand des West Village und somit der Stadt. Sakura war schon lange nicht mehr ausserhalb Konohas gewesen, das wurde ihr erst jetzt wirklich richtig bewusst. Früher war sie oft mit Tsunade hinaus gefahren, für Picknicks oder einen Ausflug an den See, aber je älter sie geworden war, umso mehr war das alles in den Hintergrund gerückt.

Aber jetzt hatte sei nicht die Zeit, über solche Sachen nachzudenken, da die Jungs ziemlich hastig in einen verwahrlosten Hinterhof mit einigen alten Blumenbeeten einbogen und ihre Maschinen hinter einem verlotterten Schuppen abstellten.

„Was ist denn los, Kiba? Warum..“

„Psst, Cherry.“ Er legte einen Finger an die Lippen. Ihre Frage beantwortete sich von selbst, als sie von weitem Motorengeräusche vernahm. Sie hatten Verfolger und sie hatte es nicht einmal bemerkt?

Schnell stiess Naruto sie die Schuppentür auf sie und traten ein. Sasuke sah sich hastig um, schien aber fündig zu werden. Eine alte, löcherige Regenplane war es, die er hinter einem Tisch voller kaputter oder verstaubter Blumentöpfe hervorzog, mit nach draussen nahm und somit so gut es ging die vier Maschinen überdeckte. Darauf schloss er die Tür wieder. „Auf den Boden kauern und keinen Mucks, ja? Da sind irgendwelche Riots hinter uns her. Werden jeden Moment hier auftauchen und mit etwas Glück fahren sie vorbei.“

Die anderen taten wie geheissen. Kiba blieb nahe bei Sakura und nahm ihr vorsichtig die Waffe aus der Hand. Neben Naruto sah sie Hinata kauern, sie schien noch viel mehr Angst zu haben, als sie. Der Kurama-Leader hatte ihr zur Beruhigung den Arm um die Schulter gelegt, aber nicht einmal das schien sie wirklich zu bemerken. Komisch.

Ihr Herz klopfte ganz schön heftig und ihre Hände zitterten. Sie gab sich alle Mühe, ruhig zu atmen, aber irgendwie haute das nicht wirklich hin. Um sich abzulenken versuchte sie, sich den Raum etwas näher anzuschauen. Es war wohl so eine Art verkommene Gartenlaube, an die Wände gelehnt standen einige Schaufeln und Harken, in einer Ecke stapelten sich staubige Säcke mit Blumenerde. Durch ein trübes Fenster fiel ein wenig Mondlicht.

Die Motorengeräusche kamen immer näher und Sekunden später fiel etwas Licht durch das Fenster, vermutlich von Scheinwerfern. Sie befanden sich hier an einer Kreuzung von Nebenstrassen, weshalb die Riots nun anhielten. Dadurch dass sie ziemlichen Abstand zu ihnen gehabt hatten, wussten sie jetzt natürlich nicht, welche Richtung von ihren Gegnern gewählt worden war. Sie hielt die Luft an.

Es schien, als hätten die Riots beschlossen, sich aufzuteilen und das Licht am Fenster verschwand wieder. Jetzt konnte sie erleichtert ausatmen, jedoch gab Naruto noch keine Entwarnung. „Woher zur Hölle wussten diese Typen davon? Das ist ja echt wie verhext." Er seufzte. " Also ich würde sagen, wir bleiben vorerst hier. Könnte sein, dass die Typen zurückkommen oder noch mehr Riots auf dem Weg hierher sind. Solange sie sich hier herumtreiben, ist es nicht sicher, weiterzufahren. Siehst du das auch so, Demon?, flüsterte er in Sasukes Richtung und dieser nickte, sofern sie das anhand seiner Silhouette erkennen konnte.

„Genau meine Meinung. Ich würde sagen, mindestens eine Stunde bleiben wir hier.“

Es erübrigte sich zu sagen, wie sehr es am Stolz der Jungs nagte, hier zu sitzen und sich zu verstecken. Aber jetzt ein Risiko einzugehen, war vollkommener Blödsinn, nachdem sie doch endlich einen Plan hatten, der funktionieren konnte.

Tja, nun sassen sie da und verhielten sich still. Was blieb ihnen auch anders übrig?

Operation Rückschlag: Start

Es war ein komisches Gefühl, mitten in der Nacht mit sieben Anderen in einer verlotterten Gartenlaube zu sitzen, sich anzuschweigen und zu lauschen.

Und wie wenn das Schicksal ihr eins auswischen möchte, musste es ausgerechnet Sasuke sein, der mit von der Partie war und noch besser: Karin. Bis jetzt wusste sie nicht wirklich, wie sie zu dieser Frau stand, sie war sich aber sicher, dass sie bei ihr längst untendurch war. Dass sie sich vor zwei Wochen in der Garage so für sie eingesetzt hatte, war eine Ausnahme unter den Ausnahmen gewesen, anders konnte sie sich das nicht erklären.

Hotaru war inzwischen fast schon friedlich an Deidaras Schulter eingenickt und Hinata hatte die Augen geschlossen, während sie immernoch zitterte. Kiba schnitzte mit seinem Messer an einem Stück Holz herum und schien sich nach wie vor höllisch über ihre verflixten Gegner aufzuregen.

In regelmässigen Intervallen fiel Scheinwerferlicht durch das kleine Fenster, begleitet von Motorengeräusch. Warum zogen die hier ihre Kreise? Sollten die nicht denken, dass sie längst über alle Berge waren?

Als sie für den Moment wieder weg waren, wagte Sakura es Naruto danach zu fragen. „Was wollen die noch hier, Naruto?“

„Ich vermute, die haben inzwischen ziemlich viele Leute im West Village positioniert und haben mehrere Gruppen von uns nicht entkommen sehen. Und jetzt patrouillieren sie in der Hoffnung, dass sie noch einen Fang machen“, flüsterte er ihr zu. „Vorhin hat mir Gaara geschrieben, er und seine Gruppen haben sich auch verstecken müssen, Temaris Gruppe ist bereits zurück im HQ.“

„Und wie lange meinst du, wird das hier dauern?“

„Vielleicht bis morgen. Schlaf ruhig etwas, Sakura, wir passen schon auf.“

Das war zwar ein nett gemeinter Vorschlag, aber an Schlafen war für sie gerade jetzt nicht zu denken. Sie war nicht halb so entspannt wie Hotaru.

Für sie schien gerade jede Minute eine Stunde anzudauern. Vor lauter Nichtstun begannen ihre Gedanken wieder ihre Kreise zu ziehen und wanderten – wie nicht anders zu erwarten war – zu Sasuke. In ihrem Kopf ratterte es, wie in einem alten Uhrwerk und somit konnte sie auch nicht anders, als ihn unauffällig zu mustern, so gut das im Halbdunkeln nun einmal ging.

Er schien selbst in seinen eigenen Gedanken versunken zu sein und spielte gedankenverloren am Lederband mit der Feder um seinen Hals herum. Das Band war eines der Dinge, die sie immer an den Abend der Strassenparty erinnern würde. Es war etwas vom Ersten, was ihr damals an ihm aufgefallen war. Dieses Lederband war schlicht und einfach mit den Erinnerungen an diesen Sommerabend verbunden und löste deshalb ein Gefühl von Traurigkeit, ja schon fast ein bisschen Sehnsucht in ihrer Brust aus.

Dieses altbekannte Gefühl, ihn zu vermissen, obwohl er direkt ihr gegenüber sass, gewann die Oberhand. Dabei war er keineswegs nett zu ihr gewesen und trotzdem wünschte sie sich gerade nichts sehnlicher, als ihm wieder nahe zu sein. Das konnte doch einfach nicht wahr sein.

„Hina, was ist los? Ist dir kalt?“, durchbrach Narutos Stimme ihre wirren Gedankengänge und lenkte ihre Aufmerksamkeit sofort wieder auf ihre Freundin.

„Nein, es geht schon…ich weiss auch nicht…“

Nichtsdestotrotz zog Naruto seine schwarze Jacke aus und gab sie Hinata, welche sie ihn sofort wieder zurückgeben wollte. „Die brauchst du doch selbst.“

„Ach was.“ Er bestand darauf, dass Hinata die Jacke überzog, was sie dann auch tat, das Zittern klang aber nur minimal ab. Für sie musste das Ganze ziemlich einschüchternd sein, schliesslich war sie nun einmal von sanftem Gemüt. Und das war auch gut so.

Eine halbe Stunde später, Sakura fühlte sich, als ob sie schon seit Tagen da drin waren, rührte sich Hotaru und meinte gähnend: „Mann, ich muss mal für kleine Taka-Mädchen.“

„Frauen und ihre Teesieb-Blasen“, brummte Deidara. „Kannst du nicht noch etwas warten?“

Hotaru stöhnte genervt. „Glaubst du eigentlich, ich habe nicht schon so lange gewartet, wie es mir möglich war? Du bist manchmal so ein Schwachkopf.“

„Ja, aber…“

„Deidara.“ Sasukes fiel ihm scharf und bestimmend, aber immer noch leise genug ins Wort. „Caramelle, wenn du leise bist, zur Tür rausgehst und auch hinter dem Schuppen bleibst, dann geht das. Wenn du aber die Riots hörst, dann wartest du mucksmäuschenstill an Ort und Stelle, ohne dich zu bewegen. Du kommst dann erst wieder rein, wenn sie ausser Sicht- und Hörweite sind. Klar?“

„Klar wie Klossbrühe, Boss.“ Wenn es Deidara gewesen wäre, der ihr diese Anweisungen gegeben hätte, dann war Sakura sicher, dass sie das Ganze mit einem Augenverdrehen untermalt hätte. Aber bei Sasuke klang sie einfach nur ernst und schien es auch so zu meinen.

Vorsichtig stand sie auf, spähte zu dem Fenster hinaus und nickte, als die Luft rein war. Leise schlich sie sich zur Tür, schob den Riegel, den Sasuke vorhin verschlossen hatte zur Seite und öffnete sie. Ein leises Knarren konnte sie nicht vermeiden, aber hier drin, in dieser Stille, kam es ihnen sowieso tausendmal lauter vor, als es eigentlich war.

Sie schloss die Tür nicht, um unnötige Geräusche zu vermeiden und verschwand sogleich hinter der Wand des Schuppens.

Hoffentlich kamen nicht in dem Moment Riots um die Ecke. Nicht, dass sie Hotaru von der Strasse aus sehen könnten, aber da draussen zu sein, während die Riots in der Nähe waren, musste beängstigend genug sein.

Gerade, als Hotaru zurückkam und im Begriff war, die Tür zu schliessen, ertönten die Motoren von der Strasse her und Hotaru ging sofort in die Hocke, ohne die Tür zumachen zu können. Das wäre zu gefährlich. Das Gute daran war, dass man jetzt besser hören konnte, was die Riots sagten, als sie auf der Kreuzung anhielten.

„So eine Scheisse. Wie lange will der Boss noch, dass wir hier in dieser Arschkälte rumkurven? Die sind doch längst zurück in ihren Höhlen, diese Schlappschwänze“, meinte einer, mit einer ziemlich quengelnden, nervigen Stimme.

„Halt deine Fresse. Der Boss weiss schon, was er tut. Der glaubt nicht, dass sie schon alle entkommen sind“, meinte nun ein zweiter, eher müde klingender Riot.

„Wo sollen die den sonst sein? Sich mitsamt ihren Mühlen hier irgendwo verstecken? Vielleicht sind sie ja einfach aus der Stadt rausgefahren und in einem riesigen Bogen wieder rein? Mir vergeht nämlich langsam aber sicher die Lust auf das Herumkurven.“

„Hör auf dich zu beschweren, sonst kannst du die Gang ja verlassen, oder?“

Dass man in einer Gang überhaupt so etwas so leichtfertig sagte, war für Sakura und wohl auch für die Anderen etwas ziemlich Unverständliches. Es klang, als handle es sich um einen Schachclub, dabei war das wohl das Letzte, was man mit einer Gang vergleichen konnte. Einer Gang beizutreten hiess, sich voll und ganz in eine Gruppe von Menschen hinein zu begeben, für die man von da an alles gab. Freunde zu haben. Mit ihnen zu kämpfen und zu überleben, egal, was kam. So war das zumindest bei ihnen.

Aber da schienen die Riots ein wenig anders gepolt zu sein, das war ja von Beginn weg so.

„Hier haben wir sie verloren. An dieser Gabelung und wir sind doch schon in jede mögliche Richtung gefahren. Und wir haben sie nirgends gefunden. So können wir ja noch bis morgen durch die Gegend rennen. Bringt doch überhaupt nichts.“

Als Sakura ihren Blick zu Hotaru schweifen liess, erschrak sie urplötzlich. Diese sah so aus, als müsste sie jeden Moment niesen und schien mit aller Kraft dagegen anzukämpfen.

Ein Blick in die angespannten, unheilverkündenden Gesichter der Anderen und ihr war klar, an was für einem seidenen Faden ihr Versteck hier gerade hing.

Hotaru hielt sich mit zusammengekniffenen Augen die Nase zu und vergrub ihr Gesicht in ihrem Schal, genauso wie die Anderen inständig hoffend, dass die Riots endlich das Weite suchen würden.

Und wie wenn sie es gespürt hätten, warfen die Riots die Motoren an. „Lass und mal die Anderen suchen. Hier waren wir wohl oft genug.“

Und damit brausten sie davon, was Hotaru von ihrem Kampf mit dem Niesreiz erlöste und sie dann innerhalb der Laube endlich in ihren Ärmel niesen konnte, natürlich immer noch so leise wie möglich.

„Shit, war das knapp.“ Ihre Augen tränten, aber sie grinste nichtsdestotrotz. „Wenn die wüssten, dass wir quasi neben ihnen waren und sie sich auf ihren Maschinen den Arsch wund fahren.“

„Mit dir hat man schon immer Nervenkitzel, Caramelle“, meinte Deidara und sie lächelte etwas verschämt, bevor sie sich wieder neben ihn setzte. Sie hatte Hotaru immer für eine eher feine und scheue junge Frau gehalten, was sie auch war, aber sie bewies zwischenzeitlich echt ziemlich viel Besonnenheit und vor allem auch Nerven. Sakura an ihrer Stelle hätte wohl vor Angst nicht mehr klar denken können.

Nun, es war alles glatt gelaufen. Die Riots kamen tatsächlich die ganze Nacht nicht mehr wieder, jedoch beschlossen die sechs, bis zum Tagesanbruch hierzubleiben.
 

Nach vier Uhr morgens hörten und sahen sie nichts mehr von den Riots, weshalb sie wohl auch endlich alle eine Mütze voll Schlaf abbekamen.

Als dann aber die ersten Sonnenstrahlen dieses Januarmorgens durch das Fenster fielen, erwachten sie alle wider Erwarten ziemlich schnell.

„Oh Mann, ich will nur noch nach Hause pennen gehen“, stöhnte Karin, stand auf und gab Sasuke einen Schubs. „Demon, Zeit in die Gänge zu kommen.“

Dieser war aber gerade dabei, irgendwelche Nachrichten auf seinem Handy zu checken und deshalb wies er sie nur mit einer abweisenden Handbewegung zum Schweigen an.

Auf eine Art war sie froh, dass er sich von Karin nichts sagen liess, andererseits wirkte er in letzter Zeit andauernd so bestimmend. Musste eine Nebenwirkung von einer Neu-Gangleaderschaft sein.

Vorsichtig traten sie nach draussen, da aber der Morgen längst angebrochen war und ihnen bereits von anderen Gruppen mitgeteilt worden war, dass die Riots aus dem West Village verschwunden waren.

Die Jungs deckten die Motorräder ab und schmissen die Plane wieder zurück in die alte Laube.

„Den Platz werde ich mir auf jeden Fall merken“, meinte Kiba, als er liebevoll seine wendige Honda-Maschine tätschelte.

Naruto schüttete nur. „Also ich habe nicht vor, noch viel öfter in diese Gegend zu kommen. Lasst uns jetzt verschwinden. Wir teilen uns übrigens wieder auf, das heisst jeder für sich alleine. Eine Gruppe wäre viel zu auffällig, falls sich diese Schwachmaten doch noch irgendwo rumtreiben sollten.“

Als Sakura einen Schritt in Kibas Richtung machte, passierte wieder einmal etwas, was nur ihr passieren konnte. Genau in diesem Moment, als wohl wirklich jeder hinsah, verfing sie sich mit dem Fuss in einer, halb aus der Erde ragenden Wurzel einer der Bäume und wäre geradewegs auf die Nase gefallen. Doch bevor sie überhaupt richtig hinfallen konnte, spürte sie, wie sie von jemandem aufgefangen wurde. Ihr schwante bereits Böses und als sie wieder gerade auf den Beine stand, bestätigte sich ihr Verdacht: Es war natürlich Sasuke gewesen. Wie hätte es auch anders sein sollen.

Klischeehafter hätte das hier wohl sowieso nicht ablaufen können. Das tollpatschige Mauerblümchen wurde von dem obercoolen Typen aufgefangen und blamierte sich dabei bis auf die Knochen. So kam es ihr jedenfalls vor und man sah es ihr wohl auch an, denn sie spürte wieder einmal die wohlvertraute Hitze in ihre Wangen schiessen.

Ein Blick zu Karin, die nur mit hochgezogener Augenbraue herablassend den Kopf schüttelte. Als würde sie sagen: „Du bist echt ein hoffnungsloser Fall, Prinzesschen.“

Sasuke wandte sich sofort wieder ab, nachdem er sie wieder ordentlich hingestellt hatte.

„Danke“, murmelte sie nur verwirrt und vor allem beschämt, bevor sie sich endlich zu Kiba begab und hinter ihm auf seine Maschine stieg.

„Dann findet die Party also nächsten Samstag statt“, meine Naruto in Sasukes Richtung, welcher nickte.

„Der Plan steht und ich werde meine Leute über alles informieren“, bestätigte er und warf seinen Motor an. Und das waren auch die einzigen Worte, die noch gewechselt wurden.

Hotaru winkte ihr zum Abschied und Deidara verabschiedete sie mit einem Kopfnicken, dann machten sie sich auf – vorerst alle in eine andere Richtung.
 

In dieser Nacht waren die Kuramas und Takas allesamt heil davongekommen. Einige ihrer Ganggenossen verbrachten die Nacht wie sie in einem Versteck, andere hatten es ins HQ geschafft, ohne dass ihnen jemand gefolgt war.

Erstere legten sich grösstenteils sofort schlafen, so auch Sakura und Hintata. Noch immer schien ihre Freundin nicht wirklich zu grossen Gesprächen aufgelegt zu sein, jedoch bemerkte Sakura, wie sie irgendwie völlig in Gedanken versunken war. Dass es hierbei nicht um Naruto ging, war eigentlich klar, ansonsten wäre Hinata entweder rot oder lächelte glücklich. Dabei war dem Gangleader heute Nacht so nahe gewesen. Ein Grund zu Freude, oder etwa nicht?

Und an reiner Müdigkeit lag es bestimmt nicht. Sie beschloss, Hinata auf jeden Fall darauf anzusprechen, wenn sie ausgeschlafen waren, aber jetzt war sowieso ein völlig falscher Zeitpunkt, für solche Sachen.

Als sie in ihren Betten lagen, brauchte es keine zwei Minuten bis Sakura tief und fest schlief. In ihrem Kopf die Bilder von letzter Nacht und vor allem – wie hätte es auch anders sein sollen – die von Sasuke. Schlau aus ihm zu werden war ungefähr so schwierig, wie mit verbundenen Augen über ein Seil zu balancieren, unter dem der Boden brannte.

Er hatte sich gestern nicht einmal im Ansatz dafür interessiert, sich zu entschuldigen oder sie wenigstens richtig wahrzunehmen. Wobei letzteres für sie tausendmal schlimmer war.

Gefühle liessen sich nicht abschalten. Ja, trotz allem hatte sich für sie nichts geändert.

Jetzt wieder in die Schule zu gehen war überraschenderweise eine ziemliche Abwechslung. Irgendwie machte es die Welt ausserhalb des Geschehens um die Gangs wieder greifbarer und Sakura wurde bewusst, dass auch schon bald ihr Abschluss bevorstand. Dabei wusste sie immer noch nicht, was sie danach machen wollte. Von der Schule wollte sie unbedingt eine Pause machen, weshalb ihr ein Jahr arbeiten oder so etwas gar nicht einmal so abstossend erschien. Das College war hier nach der High School eine Art dreijähriger Übergang, der die Eintrittskarte zu einem Studium an der Uni oder einer Hochschule war. Und jetzt war sie drauf und dran die ganze Sache zu beenden, hatte aber ausser einigen wagen Vorstellungen noch keine Ahnung, was sie tun wollte. Das alles war im letzten Jahr unter all dem Rummel und den Veränderungen in ihrem Leben einfach untergegangen.

Die Lehrer kündeten natürlich wieder haufenweise Prüfungen an und manchmal fragte sich Sakura, wie sie das eigentlich alles schaffen wollte. An einer Hochschule würde das alles noch viel, viel strenger werden und sie fühlte sich schon jetzt oft ziemlich gestresst. Nicht, dass sie schlechte Note schrieb, aber sie war einfach jemand, der noch Luft für Gedanken, Gangsachen und einen Hauch vom Leben haben wollte.

Vielleicht war es wirklich ratsam, zuerst einmal eine Pause zu machen, bevor sie sich wieder aufs Lernen stürzte.

„Mann, Saku! Ich krieg noch die Krise! Wetten, ich schaff den Abschluss eh nicht! Mathe bereitet mir einfach schlaflose Nächte, seit der die Prüfung angesagt hat. Wie soll das den erst beim Abschlussexamen aussehen?“, jammerte Ino und zupfte sie dabei nervös am Ärmel ihres weissen Wollpullovers.

„Ach, Ino, jetzt hör doch auf! So schlecht bist du überhaupt nicht. In Wirtschaft und Rechtskunde bist du dafür ein totaler Überflieger und in den Sprachen hast du es auch raus!“, meinte sie mit einem beruhigenden Lächeln in Inos Richtung. Und sonst hilft dir Hinata. Was, Hina?“

Die Angesprochene schreckte hoch und schaute sie fragend an. „Was meintest du, Saku?“

„Ach, nichts. Du kommst wahrscheinlich wieder super klar mit diesen Gleichungen, nicht wahr?“

Hinas Antwort war ein Nicken und sie errötete. Obwohl Sakura bereits auf ihr Verhalten angesprochen hatte, war dabei nicht viel rausgekommen, was Sakura dabei geholfen hätte, Hina zu helfen. Entweder legte sie irgendwelche fadenscheinige Gründe an den Tag, von denen Sakura sicher war, dass sie Ausreden waren oder sie umging es und wechselte das Thema.

Ino und Sakura vermuteten, dass es um ihren Vater ging, der wieder weit weg auf Reisen war, aber Hinata wollte sich nun mal nicht dazu äussern. Und gerade weil sie ihre Freundinnen waren, bohrten sie auch nicht länger nach.
 

Samstag war der Tag, an dem alles beginnen würde. Dass es der Anfang vom Ende der Riots sein würde, das hoffte wohl so ziemlich jeder Kurama oder Taka.

Naruto hatte bereits am Vortag damit begonnen, die verschiedenen Gruppeneinteilungen, Standorte und Aufgaben bekanntzugeben. Auf einem Plakat an der Wand hingen die Beschriebe, jeweils den Beobachtungsstandort und den Namen des Gruppenführers.
 

Standort 1 Verlassener Block (DDM und Umgebung): Sandman

Standort 2 Eisenbahnwagon (Güterbahnhof West und Umgebung): Fangs

Standort 3 Toad’s, Obergeschoss (Downtown) : Big Fox

Standort 4 Bruchbude (West Village): Demon

Standort 5 Kellergeschoss Eastside (East): Ripper

Standort 6 Skating-Platz (South): Bug

Standort 7 Sechzehnte (North): Monster

Kurama-HQ: Genius

Taka-HQ: Pain
 

Sie ging davon aus, dass die in Klammern gesetzten Orte die Zuständigkeitsbereiche der jeweiligen Gruppe signalisierten.

„Also hört mal her“, rief Naruto laut, um das Stimmengewirr im Aufenthaltsraum irgendwie einzudämmen, jedoch mit wenig Erfolg. Aber er wäre nicht Big Fox, wenn er seine Leute nicht im Griff hätte.

„Haltet verdammt nochmal eure bescheuerten Fressen!“, brüllte er in den Raum, in einem Ton, der die Kuramas schon zum Herhören brachte und schlagartig verstummten alle.

„Ihr könnt euch von mir aus noch den ganzen Abend euer Kaffeekränzchen fortführen, aber jetzt wird erst einmal zugehört!“

Seufzend liess er sich auf der Sofalehne nieder. „Wir haben diesen Plan nicht so lange ausgearbeitet, nur damit ihn vermasselt, weil ihr nicht zugehört habt. Also.“ Er wies mit der Hand auf das Plakat. „Dort seht ihr, welche Standorte wir ausgewählt haben. Es sind alles gut überlegte Orte, an denen man unbemerkt die Umgebung im Auge behalten kann und nebenbei auch noch Platz, um die Mühlen zu verstecken hat. Wer mit euch in der Gruppe ist, erfahrt ihr wenn ihr dort seid. Die Gruppen wurden absichtlich gemischt, aus einem einfachen Grund: damit ihr bei der Sache bleibt.“

Ein Raunen ging durch die Inner-Kuramas. Das gefiel ihnen natürlich nicht, aber Naruto hatte schon Recht. Dadurch, dass sich die beiden Gangs nach wie vor voneinander distanzierten, würden wohl die wenigsten auf dumme Ideen kommen.

„Mir egal, ob euch das passt oder nicht, es ist jetzt einfach so, also kommt damit klar. Die Gruppen bestehen aus jeweils sechs Leuten. Aus reinem Personalmangel haben wir beschlossen, einige bewährte Outers mit einzubeziehen. Die Gruppen bestehen aus jeweils vier Personen, zwei machen den Nachmittag und Abend, zwei die Nachtschicht. Der Tag interessiert uns herzlich wenig, weil wir sowieso bei Nacht zuschlagen werden. Bis wir aber einige Muster in ihren Aufenthalten entdeckt haben, werden wir das nun tagtäglich durchziehen, also macht euch bereit – es wird anstrengend.“

Daraufhin wandte er sich an Sakura, Ino und Hinata. „Euch drei haben wir nicht eingeteilt, weil ihr unter der Woche ja in der Schule seid. Aber am Wochenende wäre zusätzliche Unterstützung nicht schlecht, wenn ihr also Zeit habt, wären wir also auch um eure Hilfe froh.“

Die Drei nickten. Das war doch selbstverständlich. Zudem witterte Sakura darin ziemlichen Nervenkitzel und darauf hatte sie im Moment einfach riesengrosse Lust. Eine willkommene Abwechslung zu ihren aufreibenden Gedanken und der Schule.

„Morgen geht die Sache los. Ihr werdet euch alle einzeln, im zeitlichen Abstand von einer Viertelstunde zu euren Beobachtungsposten begeben. Es werden je ein Taka, je ein Kurama die Schichten machen, ihr könnt also nachher bereits entscheiden, wer als erstes gehen will. Jede Sichtung von Riots wird notiert. Es ist auch so gedacht, dass einer der Schicht sein Motorrad schnappt und das ihm zugeteilte Gebiet im Auge behält. Zwischendurch sollte also immer jemand mal raus und die Sache erkunden. Soweit alles klar?“

Das allgemeine Schweigen bedeutete, dass es nichts mehr zu klären gab.

„Nun noch ein ganz anderes Thema“, begann er. „Wie ihr wisst sind die Vorfälle der letzten Wochen ziemlich…naja auffällig. Die Riots scheinen viel mehr über uns zu wissen, als sie eigentlich sollten und das macht uns Sorgen. Die Theorie, dass wir einen Maulwurf unter uns haben, ist schon seit längerer Zeit im Raum. Ich will niemanden verdächtigen, aber von unserem Treffen im Rift wussten nur die Inners und einige ausgewählte Outers. Zudem denke ich, dass ein Maulwurf längst den Standort unseres HQs verraten hätte, was aber nicht der Fall zu sein scheint. Haltet einfach Augen und Ohren offen.“ Strenge liess er seinen Blick über die Kuramas wandern. „Und wenn es hier tatsächlich einen geben sollte, dann schwör ich, dass ich ihm für seinen Verrat eigenhändig den Hals umdrehen werde.“

Das waren harte Worte. Aber in solchen Sachen war mit Naruto absolut nicht zu spassen.

Aber der Gedanke, dass an dieser Maulwurf-Geschichte etwas dran sein könnte, war mehr als nur beängstigend. Wenn sie hier so um sich blickte, war es kaum vorstellbar, einen Verräter unter sich zu haben. Sie waren doch alle ein eingespieltes Team. Oder etwa nicht?
 

Am Samstag nahm das Unternehmen seinen Anfang. Sakura und Ino wollten unbedingt dabei sein, damit sie für später Bescheid wussten, während Hinata sich verabschiedete, da sie ihrer kleinen Schwester Hanabi heute versprochen hatte, einen Film mit ihr anzuschauen.

Ino begleitete Neji zur dem Kellergeschoss, welches inzwischen leer stand und früher vom Outer benutzt worden war. Dort befand man sich so ziemlich in der Mitte des Easts und deshalb eignete sich der Platz bestens als Basis.

Sakura entschied sich, mit Naruto mitzufahren, der sich oberhalb von Jiraiyas Bar einrichten würde. Wer von den Takas zu ihnen stossen würde, wussten sie genauso wenig, wie alle Anderen. Dass es nicht Sasuke sein würde stand fest und sie war sich nicht ganz im Klaren darüber, ob sie das nun gut fand oder nicht.

Sie begaben sich so unauffällig wie möglich zum Toad’s, da es ja noch gar nicht einmal so lange her war, dass sie hier im Hinterhof einen unangenehmen Zusammenstoss mit den Riots gehabt hatten.

Es war nach wie vor ziemlich kalt und Sakura spürte die Kälte besonders während der Fahrt unaufhaltsam durch ihre Kleider dringen. Zurzeit wünschte sie sich nichts sehnlicher, als die warmen Sonnenstrahlen des Frühlings auf ihrer Haut spüren zu können, aber das war wohl etwas viel erhofft, wenn man bedachte, dass sie gerade Mal Ende Januar hatten.

Das zweite Geschoss des Toad’s bestand aus einem Büroraum, sowie einem leeren Zimmer mit Bett und Bad, das Jiraiya manchmal benutzte, wenn er spät Abends nicht mehr nach Hause fahren wollte. In dem Gebäude gab es noch zwei Wohnungen, deren Eingang sich aber auf der Hinterseite des Hauses befand. Von der Bar aus kam man über die Treppe aber gleich zu dem Zimmer und dem Büro.

„Onkel hat extra jemanden neuen angestellt, weil ich in letzter Zeit viel weniger zum Helfen komme“, informierte Naruto sie, bevor sie die Bar betraten. „Und rate mal, wen?“

Sakura lachte. „Keine Ahnung, sag schon.“

„Wirst es gleich sehen.“

Als sie eintraten und hinter der Bar tatsächlich ein vertrautes Gesicht zu finden war, freute sich Sakura richtiggehend. „Ayame! Schon lange nicht mehr gesehen! Wie geht es dir?“

Während Naruto bereits nach oben verschwand, unterhielt sie sich noch kurz mit Ayame, welche ziemlich zufrieden aussah. Das letzte Mal hatte sie die Tochter des DDM-Besitzers in der Drop-Down-Area gesehen und da hatte sie alles andere, als einen guten Eindruck gemacht.

Ayame erzählte ihr, dass sie während ihres Studiums nicht mehr in der DDM jobben wollte, wegen den Riots, die sich dort oft aufhielten. Dummerweise konnte sie sich nicht mehr an die Riots erinnern, die sie in jener Nacht im Dezember entführt hatten. Ihr waren die Augen verbunden worden und somit hatte sie weder von ihren Entführern noch von ihren Aufenthaltsorten etwas mitbekommen.

Aber inzwischen schien die junge Frau wieder ausgeglichener zu sein, obwohl sie dieses Erlebnis bestimmt für immer prägen würde.

Als dann von draussen die Stimmen der ersten Gäste zu hören waren, huschte Sakura sofort über die Treppe nach oben. Wer wusste, ob hier seit dem Vorfall im Hinterhof auch wieder Riots ihr Unwesen trieben?

Naruto hatte sich bereits in dem kleinen Zimmer breit gemacht. Er hatte eine Karte von Konoha vor sich ausgebreitet und studierte diese vertieft. Von einem Taka war noch weit und breit keine Spur.

„Was meinst du, wer mit dir eingeteilt ist?“, fragte sie neckisch und seufzte.

„Brauchbar sind sie ja alle. Aber auf Womanizer oder den Jashinisten könnte ich echt verzichten. Demon wird schon wissen, wie es am besten ist.“

Beim Gedanken an die beiden Unruhestifter der Takas musste sie unwillkürlich grinsen, auch wenn sie ihnen ihr dummes Verhalten im Rift noch nicht ganz verziehen hatte. Das war wirklich peinlich gewesen, anders konnte man es nicht sagen.

Just in dem Moment hörte man die Holztreppe knarren, was wohl das Eintreffen ihres Partners ankündigte. Kurz darauf stand er in der Tür und Sakura wünschte sich sofort Hidan oder Deidara an seine Stelle: Sasori.

Obwohl dieser Vorfall nahe der DDM nun schon mehr als ein halbes Jahr her war und seit dem auch viel passiert war, fühlte sie sich in seiner Anwesenheit immer noch unwohl. Sasori war sturzbetrunken gewesen und kurz davor, in seiner Trunkenheit Grenzen zu überschreiten, die nicht überschritten werden sollten. Zum Glück war damals Sasuke noch rechtzeitig aufgetaucht.

„Hi“, brummte er zur Begrüssung. Naruto und er wechselten kurz ein paar Worte zum Vorgehen, aber anscheinend war schon so ziemlich alles klar.

Zu ihrem Leidwesen beschloss Naruto, die Gegend auf der ersten Runde alleine zu erkunden, einfach nur, um sich einen Überblick zu verschaffen. Das wäre ja an sich gar keine schlechte Sache, aber die Vorstellung, hier alleine mit Sasori die Stellung halten zu müssen, machte sie nervös. Von allen Takas, die es hätten sein können, hatte es also unbedingt Sasori sein müssen.

Sasori schien es irgendwie weniger zu kümmern. Ob er sich überhaupt noch daran erinnerte? Wahrscheinlich schon. Aber er war aus einem anderen Holz geschnitzt, als sie. Taka-Holz.

Naruto hatte sie beauftragt, am Fenster die Stellung zu halten und zwischendurch von der Treppe aus einen Blick in die Bar zu werfen. Ayame hatte ihnen versprochen, Augen und Ohren offen zu halten. Jedoch war es ja nicht so, dass die Riots immer einfach so herumliefen und ihre Identität preisgaben. Wenn sie in kleineren Gruppen unterwegs waren, hielten sie sich genauso verdeckt, wie die Kuramas und Takas.

Als Naruto weg war, nahm Sakura ihre Position am Fenster ein, während Sasori auf dem Bett weiterhin über den Karten brütete. Ehrlich gesagt interessierte es sie ziemlich, was dort drauf denn so spannend sein konnte, aber sie hatte riesige Hemmungen, ihn zu fragen.

Er war jedoch nicht auf den Kopf gefallen und bemerkte ihre neugierigen Blicke sofort.

„Da sind Standorte drauf, an denen die Riots gesichtet wurden. Hier in der Downtown gibt es einige Bars und Treffpunkte, die Typen wie diese anlocken, deshalb wird sich Big Fox diese besonders genau anschauen. Ich merke mir die Standorte für nachher auch.“

Deshalb hatte Naruto sich vorhin also so in diese Karte vertieft.

Hastig richtete sie ihren Blick wieder auf die Strasse, wo sich inzwischen viele Leute eingefunden hatten, die tranken, redeten und lachten. Es war Samstagabend die Downtown brummte vor lauter Nachtschwärmer förmlich.

Verdächtig war aber im Moment nichts. Das würden einige lange Wochen für alle werden. Beobachten und ruhig sein war für Gangs nicht unbedingt einfach. Sie waren sich gewohnt zu handeln und nicht nur abzuwarten.

„Sag mal, hast du Angst vor mir, kleine Kurama?“

Gerade jetzt wusste sie nicht, was sie auf diese ziemlich direkte Frage des Takas antworten sollte. Angst? Nein, es war eher Unbehagen.

„Nein“, meinte sie, wohl aber wenig überzeugend.

„Natürlich hast du das. Hör damit auf. Ich tu dir nichts.“ Er sagte das in dieser unbeteiligten Art, die man von ihm kannte. Aber dass er es ernst meinte, war keine Frage.

Das war sie sich schon bewusst und trotzdem fühlte sie sich einfach unwohl. In dem Moment tat sich auf der Strasse etwas. Eine Gruppe von sechs Personen auf Motorrädern steuerte auf den Parkplatz vor dem Toad’s zu und hielt an.

„Sasori, komm mal her“, flüsterte sie in seine Richtung, wobei das Flüstern völlig überflüssig war.

„Was ist?“ Er kam zum Fenster und sah sich die Sache selbst an. „Das sieht ziemlich gang-mässig aus. „Was hältst du davon, schön verdeckt in die Bar zu gehen und einmal zu lauschen? Dann wissen wir, ob es Riots sind. Wenn deine Haare nicht zu sehen sind, dann werden sie sich nicht erkennen.“

Schon fast unheimlich war die Begeisterung, die sie für diesen Vorschlag verspürte.

„Ich werde irgendwo in einer Ecke stehen und die Sache im Auge behalten. Du musst nicht, wenn du nicht willst, aber ich glaube, dass dich weniger Riots kennen, als mich.“

Da hatte er schon recht und Sakura war sowieso Feuer und Flamme. Sie wollte unbedingt etwas tun, was ihrer Gang gegen diese verfluchten Riots half.

„Alles klar.“ Sie band sich ihre Haare straff nach hinten und zog sich die Kapuze ihres Pullovers über den Kopf. Sasori nickte. „Ich glaube, da würde selbst ich dich auch erst auf den zweiten Blick erkennen.“

Gemeinsam verliessen sie das Zimmer und begaben sich zur Treppe, die mit einer Tür von der Bar getrennt wurde. „Also, du weisst, wie die Typen aussehen, oder?“

Sie nickte.

„Also. Dann stellst du dich einfach in ihre Nähe. Ach ja, bitte Ayame doch um einen Drink oder so, damit es nicht auffällig wirkt. Okay?“

„Jep. Dann gehe ich jetzt nach unten.“

Unten angekommen öffnete sie die Tür. Der Laden war inzwischen ganz schön voll und den Bass der lauten Musik hatte man schon oben im Zimmer gehört. Die Luft war stickig und das Stimmengewirr half auch nicht gerade dabei, mehr zu hören.

Möglichst unauffällig liess sie ihren Blick durch den grossen Raum schweifen, während sie sich zur Bar begab. Ayame hatte alle Hände voll zu tun und spielte super mit, als Sakura sie um eine Cola fragte. Sie verzog keine Miene und tat so, als ob Sakura ein Gast von vielen war. Perfekt.

Mit der Cola in der Hand bewegte sie sich in Richtung eines freien Stehtisches, der ganz nahe bei dem Tisch der sechs Verdächtigen stand. Dort zog sie ihr Handy aus der Tasche und öffnete ein SMS-Fenster so dass es aussah, als ob sie gerade mit jemandem schreiben würde. Ein schnellen Blick zur der Tür, die zur Treppe führte und sie erkannte, dass Sasori dort an der Wand gelehnt stand, ebenso unter einer Kapuze versteckt, wie sie.

Dann konnte sie zu lauschen beginnen.

Erst einmal hörte sie nichts als testosteron-geschwängertes Gerede über Autos, Frauen und Alkohol. Zum Zuhören war es die reinste Folter, richtig machohaft. Sie bewerteten sogar von ihrem Platz aus Frauen in der Bar nach ihrem Hintern und Vorbau und lachten wenn sie eine als „hässlich“ abstempelten. Was für Idioten.

Aber nach ungefähr zehn Minuten bekam sie ihr erstes Indiz, dass es sich bei dieser Gruppe tatsächlich um Riots handelte.

„Warum müssen wir eigentlich immer noch hier her kommen? In der DDM hat es viel die geileren Schnitten. Da kann man aufreissen gehen“, fragte ein langer blonder, der nebst dem, dass er schon sein drittes Bier soff, auch noch ziemlich unangenehm Kaugummi kaute.

„Halt die Schnauze. Weil hier welche gesichtet worden sind“, antwortete ein braunhaariger und nahm einen Schluck von seinem Drink. Er sprach und gab sich etwas intelligenter als der Blonde.

„Ja, vor drei Wochen oder so. Ganz ehrlich, die sind doch nicht so doof um wieder hier hin zu kommen“, nörgelte der Andere wieder.

Jetzt meldete sich ein Dritter. „Der Boss wird schon wissen was er tut. Falls diese Typen eines Tages wiederkommen, sind wir jedenfalls schon zu Stelle.“

Der Blonde schüttelte den Kopf. „Ich find’s Schwachsinn.“

„Es zwingt dich keiner, einer von uns zu sein. Aber wenn du zu den Stärksten gehören willst, bist du hier richtig.“

Inzwischen war wohl jeder Zweifel aus dem Weg geräumt, dass es sich hier in der Tat um Riots handelte. Was für ein Glücksfang, gleich am ersten Tag.

„Und trotzdem.“

„Du tust ja so, wie wenn du den ganzen Tag hier sein müsstest. Es ist ja nur Freitag und Samstag und du bist vielleicht jedes dritte Mal dabei, als mecker nicht rum.“ Dem Braunhaarigen schien das Genörgel seines Kumpels langsam mächtig auf die Nerven zu gehen.

„Mittwochs auch. Das war doch der Tag, an dem sie gesichtet wurden.“

„Halt jetzt den Rand! Willst du, dass das hier jeder mitbekommt. Willst du, dass die ganze Stadt davon weiss? Wenn es die ganze Stadt weiss, dann wissen es nämlich auch die Füchse und Schlangen.“

„Jaja, schon gut. Hey, haste die bei der Bar gesehen? Ich sage nur, Holz vor der Hütte!“

Von da an drehten sich die Gespräche wieder um dieselben Themen, wie vorhin. Das wollte und musste sich Sakura nicht anhören und begab sich deshalb langsam wieder in Sasoris Richtung.

Doch bevor sie dort ankam, wurde sie plötzlich zur Seite gezogen. Es war ein Typ, etwas älter als sie. „Na, Süsse? Bist du alleine hier?“

Gerade wollte sie ihm in ihrer Erschrockenheit vorlügen, dass sie mit ihrem Freund da sei, aber Sasori kam ihr zuvor und stiess den Typen bestimmt zurück, ohne erhebliches Aufsehen zu erregen. „Sie ist nicht allein da und jetzt hau ab.“

Es schien, als ob Redhead in solchen Sachen eine ähnliche autoritäre Ausstrahlung wie Sasuke hatte, denn der Mann suchte sofort das Weite.

„Danke“, flüsterte sie, immer noch etwas erschrocken, als sie gemeinsam zur Tür gingen, die glücklicherweise etwas weiter in die Wand eingelassen war und man so unauffälliger aus der Bar verschwinden konnte.

Sasori warf noch einen prüfenden Blick, als er sie plötzlich zur Seite zog und an die Wand drückte. Zuerst übermannten Sakura Erinnerungen an die Nacht bei der DDM und ihr ganzer Körper wurde in Alarmzustand versetzte. Plötzlich war sein Gesicht so nahe bei ihrem und seine Hände auf ihren Hüften. Beinahe hätte sie geschrien, doch dann kapierte sie.

Sasori war ihr zwar nah, aber kam ihr nicht näher. Von aussen musste es jedoch so aussehen, als ob er sie gerade küssen würde. Dabei sah man ihre Gesichter nicht.

„Da ist gerade ein Riot reingekommen, der mich kennt. Spiel mit.“

Das war natürlich etwas anderes. Schnell legte sie ihm die Hände in den Nacken und verharrte so bei seinem Gesicht, bis er die Entwarnung gab.

Schnell verschwanden sie nach oben, bevor noch irgendetwas anderes passieren konnte. Erst jetzt spürte sie, wie schnell ihr Herz schlug.

„Tut mir leid“, meinte Sasori entschuldigend, als sie wieder im Zimmer waren. „Ich wusste gerade keine andere Möglichkeit und der musste an uns vorbei. Er kennt mich, weil wir bei der DDM einen ziemlich heftigen Kampf hatten. Der ist einer der besseren Kämpfer unter ihnen.“

„Ist schon okay“, sagte sie leise. „Zum Glück hast du ihn rechtzeitig gesehen.“

Er schmiss sich aufs Bett und sie setzte sich wieder auf ihren Stuhl vor dem Fenster.

„Du hast also wegen der Sache bei der DDM wirklich noch Angst vor mir, oder? Ich hab deinen Blick schon gesehen.“ Er klang nicht wütend oder vorwurfsvoll. Er fragte einfach.

Tja, was konnte sie das noch leugnen?

„Ja, habe ich.“

„Es tut mir leid.“

„Was?“

„Das, was damals geschehen ist. Ich war besoffen und dumm, aber ein Vergewaltiger bin ich nicht. Es tut mir Leid“, sagte er aufrichtig und sah ihr dabei in die Augen.

Gerade fühlte es sich an, als ob ihr ein Stein vom Herzen fiel. Diese Entschuldigung hatte ihr noch gefehlt und jetzt war sie ausgesprochen. Von einem Moment auf den anderen rückte das Ereignis von vergangenem Sommer in den Hintergrund und irgendwie konnte sie Sasori wieder so vor sich sehen, wie er war, ohne dieses ungute Gefühl in der Brust.

Sein Verhalten in der Bar und diese simplen Worte der Entschuldigung wirkten befreiend für ihre Seele.
 

Sasori übermittelte die Infos per Handy an Yahiko, welcher wie Shikamaru dafür zuständig war, sich alles zu notieren, was herausgefunden wurde. Bereits jetzt einen Schritt weitergekommen zu sein, war ein Riesenglück und wirkte richtig motivierend auf sie beide.

Und als Naruto zurückkam, sprach sie ganz locker mit Redhead, als ob dieses Ereignis im Sommer nie vorgefallen wäre.

Nun hatte sie ihn wohl kennengelernt: Den wahren Sasori.

Der Dämon bricht aus

Ganz ehrlich? Beschatten machte ihr richtig Spass. Das wurde ihr erst richtig bewusst, als sie in jener Nacht mit Naruto auf dem Motorrad unterwegs war und sie sich in diversen Bars und Clubs der Downtown umhören gingen, um mehr über die Riots herauszufinden.

Die Spannung und den Nervenkitzel konnte sie im Moment wirklich gut gebrauchen, einfach nur, um von all den anderen Dingen in ihrem Kopf abgelenkt zu werden.

 

Die darauffolgende Woche zog leider Gottes nur quälend langsam an ihnen vorbei und für Sakura war das Wochenende der einzige Lichtblick. Und als sie am Freitagabend endlich mit Naruto beim Toad’s eintraf, war sie einfach nur erleichtert. Komisch, im Moment schien ihr Leben ausserhalb der Gang so viel an Bedeutung zu verlieren, wie selten zuvor. Ihr fehlte vollkommen das Interesse an jeglichen Dingen, die sich in der Welt abspielten und alles, was nicht ihre Freunde, die Takas oder die Riots anging, langweilte sie.

Nicht einmal an ihre Eltern verschwendete sie noch wirklich Gedanken, ausser als Tsunade ihr vorgestern mitteilte mit, dass die monatlichen Unterhaltszahlungen von ihren Eltern für sie eingetroffen seien. Von ihrem Vater hatte sie schon seit ihrem Umzug hierher nichts mehr gehört und ihre Mutter hatte sie ja sowieso zu den Akten gelegt. Projekt Sakura war gescheitert.

Als sie in das Zimmer eintraten, entdeckte sie einige klare Indizien dafür, dass dieses Zimmer fast die ganze Woche, mehr als zwölf Stunden am Tag bewohnt war. Überall lagen leere Chips-Tüten und auch Jacken und irgendwelche Comichefte am Boden, auf dem Tisch standen ungefähr zwanzig Bierdosen, daneben die Karte, die inzwischen aussah, als hätte eine Kuh darauf rumgekaut.

Sakuras erste Handlung war, das Fenster aufzureissen und die kalte, aber wenigstens frische Winterluft in das muffige Zimmer hineinzulassen und wieder frei durchatmen zu können. Wie konnte man bloss so unordentlich sein?

„Da habt ihr schon den komfortabelsten Beobachtungsposten von allen und trotzdem bringt ihr es nicht fertig, ihn wenigstens ein bisschen sauber zu halten“, brummte sie vor sich hin.

Lee und der blauhaarige Kisame waren gerade im Begriff, ihre Schicht zu beenden und das Zimmer zu verlassen und kratzen sich verlegen am Kopf.

„Ist uns gar nicht aufgefallen.“

Sakura verdrehte die Augen. „Wundert mich null.“

„Ach Cherry, sei doch nicht so streng. Wir sind halt wilde Jungs“, meinte Lee und streckte ihr breit grinsend seinen erhobenen Daumen entgegen und jetzt war es an Kisame, die Augen zu verdrehen.

„Na dann, ich geh jetzt“, meinte er genervt. „Willst du hier Wurzeln schlagen, Augenbraue?“

Sie verstand Kisame, den Lee konnte manchmal schon ziemlich anstrengend sein. Er war nun einmal voller Energie und Tatendrang und das war für einen tendenziell eher ruhigeren Typen wie Kisame nicht unbedingt einfach. Aber vielleicht hatten die Bosse diese Kombination mit Absicht so eingerichtet.

Als die Beiden sich endgültig verabschiedet hatten, machten Sakura und Naruto sich bereit, um auf Streife zu gehen, während Sasori hier die Stellung hielt.

Zum Glück hatte sie heute ihre wärmste Winterjacke angezogen, denn es schien, als wollte der Februar ihnen selbst noch einmal beweisen, wie kalt er sein konnte. Und auf dem Motorrad war man bei dem starken Fahrtwind sowieso froh um jedes bisschen Stoff am Körper. Dafür war wenigstens der Himmel sternenklar und hatte schon fast etwas Romantisches.

Zuerst drehten sie ihre Runden auf den Strassen der Downtown, den Blick aufmerksam auf das Geschehen auf der Strasse gerichtet, danach machten sie ihre Runden in den Bars. Naruto erzählte ihr zwischendurch, dass sie in der letzten Woche einige beliebte Aufenthaltsorte von Takas hatten ausfindig machen können, jedoch war es noch zu früh, sich bereits auf Orte festzulegen, die später im aktiveren Teil des Planes zum Zug kommen würden.

Gerade bevor sie in die vierte Bar an diesem Abend eintreten konnten, summte Narutos Handy plötzlich.

„Yo?“

„Big Fox?“

„Demon?“

„Sag mal, habt ihr an eurem Posten Erste-Hilfe-Zeug?“

„Was ist passiert?“

„Zwei Riots haben Shooter attackiert und er hat eine etwas tiefere Wunde am Arm davongetragen. Hab ihm einen Druckverband mit einem Stofffetzen gemacht, am besten wäre es wohl, wenn er in euer HQ gebracht werden könnte, aber zuerst brauchen wir saubere Verbände. Warst der Erste, den ich erreicht hab.“

„Alles klar, wir kommen und sehen uns das Mal an. Hält Shooter es aus?“

„Er hält es gut aus, keine Sorge, wichtig sind die Verbände.“

Nachdem er aufgelegt hatte, erklärte er Sakura kurz die Lage. Es klang nicht so, als ob es eine schlimme Sache wäre, aber mit einer Stichwunde im Arm liess es sich schlecht mit dem Beobachten weitermachen.

„Warum er wohl attackiert worden ist?“

Naruto hatte bereits wieder das Handy am Ohr und zuckte mit den Schultern. „Ich gehe davon aus, dass es wieder so was war, wie im vergangenen Monat. So ein Angriff aus heiterem Himmel, weil ihn irgendjemand wiedererkannt hat.“

Zurück im Toad’s gab ihnen Jiraiya sein Erste-Hilfe-Set und eine Flasche Wasser mit und damit machten sich die Beiden auf den Weg. Mit Sasori einigten sie sich darauf, dass er von jetzt an das Auskundschaften übernehmen würde.

Als sie auf dem Weg in Richtung West Village waren, wurde ihr bewusst, zu wem sie hier gerade unterwegs waren. Sie würde Sasuke wieder gegenübertreten und hatte ehrlich gesagt keine Ahnung, wie sie das bewerkstelligen sollte, ohne sich vor Nervosität bis auf die Knochen zu blamieren.

Nun denn, es war, wie es war und vor allem war es jetzt wichtig, Kankuro mit seiner Verletzung zu helfen. Der Stützpunkt der Beiden lag an der Grenze zum West Village und wurde von allen nur die „Bruchbude“ genannt. Da war der Name durchaus Programm.

Als sie so vor dem verlotterten Gebäude standen wurde Sakura erst bewusst, wie komfortabel das Obergeschoss des Toad’s doch war, denn hier gab es weder Heizung, noch Toilette oder ähnliches.

Naruto versicherte sich zuerst, dass sie niemand beobachtete, als er in einen kleinen Innenhof einbog, sein Motorrad gleich zwischen zwei stinkenden, übervollen Müllcontainern unter einem mehr schlecht als rechten Unterstand abstellte, der zur Bruchbude gehörte.

Dort stand bereits Sasukes Yamaha und Kankuros Maschine unter einer Plane versteckt, mit der Naruto nun auch seine versteckte.

Nach einem weiteren Kontrollblick führte er sie hinter dem Unterstand hindurch zu einer abgewetzten Holztür. Ohne zu Klopfen trat er ein und pfiff stattdessen kurz, wahrscheinlich als abgemachtes Zeichen, damit die Leute im Gebäude sicher sein konnten, dass es einer von ihnen war.

Schnell schlossen sie die Tür hinter sich wieder und er führte sie eine Treppe hinauf, die sie wohl niemals betreten hätte, wenn er nicht so selbstsicher vorangegangen wäre, denn das Ding war wohl die Definition von „instabil“ schlechthin

Oben angekommen betraten sie einen schmalen Flur, an dessen Ende ein Zimmer war, in dem schwaches Licht brannte.

Hastig liefen sie über den knarrenden Boden und Sakura hielt das Erste-Hilfe-Köfferchen bereit. Als sie in den Raum eintraten war das Erste, was ihr auffiel natürlich Sasuke, der an einem zerkratzen Tisch sass. Sein Blick fand sofort den ihren, wenn auch nur für den Bruchteil einer Sekunde, aber es genügte bereits, um ihre Nervosität ins Unermessliche zu steigern.

Im Raum lag jede Menge Schutt und wenn es nicht Dunkel gewesen wäre, dann hätte sie bestimmt eine dicke Staubschicht auf den alten Holzbalken und dem ganzen Gerümpel erkennen können. Die Wände waren löcherig und sahen alles andere, als stabil aus und der Holzboden war inzwischen uneben und schmutzig geworden.

Kankuro lag  neben dem Tisch am Boden, da es keine Heizung gab mussten die Beiden mit Decken klarkommen.  An seinem Arm konnte sie sofort den notdürftigen Verband aus einem Stofffetzen ausmachen. Sie begrüssten einander nur kurz und ohne Sasuke danach noch weitere Aufmerksamkeit zu schenken, kniete sie sich neben den Verletzten und klappte die Erste-Hilfe-Box auf. Sie entnahm ihr ein Verband und Desinfektionsmittel.

„Was genau ist passiert?“, fragte Naruto du Sasuke erklärte kurz, dass zwei Riots sich zwei Strassen weiter rumgetrieben hatten und Kankuro irgendwie als Kurama identifizieren konnten. Jedenfalls war er angegriffen worden, hatte aber beide Gegner erledigen können, bevor ihm schlimmere Verletzungen zugefügt werden konnten.

„Und was habt ihr danach mit ihnen gemacht?“, fragte Naruto leise, mit einem Seitenblick zu ihr. Jedoch hatte Sakura alles verstanden. Ihr Leader versuchte konstant, sie vor solchen Sachen irgendwie auszuklammern, dabei war ihr schon klar, dass Kankuro seine Gegner getötet hatte und ihre Körper nun einmal irgendwo versteckt werde mussten. Aber sie nahm das Naruto nicht übel, denn sie wusste, dass er immerzu nur das Beste für seine Leute wollte.

Sasuke meinte nur, dass er sich nicht zu Sorgen brauche. Was auch immer das jetzt heissen sollte. Aber wahrscheinlich hatten sie die leblosen Körper irgendwo versteckt, dass sie nicht gleich auf der Strasse aufgefunden wurden. Darüber wollte sie jetzt aber nicht mehr nachdenken, denn Naruto hatte schon Recht, wenn er sie mit solchen Sachen verschonen wollte, denn das war wirklich kein Thema, über das sie nachdenken wollte.

Das Licht hier im Raum wurde hauptsächlich von drei Taschenlampen gespendet und deshalb nahm sie sich jetzt eine vom Tisch, um sich damit Kankuros Arm etwas genauer anzusehen, während die Bosse immer noch irgendetwas besprachen.

„Ich nehm dir jetzt den Verband ab“, informierte sie Kankuro und er nickte. Sasuke hatte den Druckverband mithilfe eines Steins angelegt, um die Blutung zu stoppen, jedoch war der schwarze Stofffetzen inzwischen mit bereits halb getrocknetem Blut durchtränkt.

Die Stichwunde war ungefähr sechs Zentimeter lang und tatsächlich ziemlich tief. Es wurde allerhöchste Zeit, dass man sie desinfizierte.

Schnell träufelte sie ein wenig Desinfektionsmittel auf ein Wattepad. „Das wird jetzt vermutlich etwas brennen, ja?“

Kankuro lachte. „Cherry, da war vorher ein ziemlich unsauberes Messer drin. Keine Sorge also.“

Diese Aussage entlockte ihr ein kleines Grinsen. „Na, dann.“

Gründlich tupfte sie die blutverkrustete Wunde ab und liess sogar noch ein klein wenig Desinfektionsmittel in den Schnitt hineinlaufen, damit auch alles gesäubert wurde. Danach legte sie ihm sauberen Verband an. „Geht das so?“

„Alles klar. Vielen Dank, Cherry, du bist echt der Hammer.“

„Aber so bleibst du jetzt nicht hier, ja?“

Er schüttelte den Kopf. „Ist nicht der Plan.“

„Was meinst du, Shooter, kannst du hinten auf der Mühle mitfahren oder soll ich Shika mit der Karre herbeordern?“, fragte Naruto in Richtung des Verletzen, doch Kankuro winkte ab. „Shika hat besseres zu tun, als mich durch die Gegend zu fahren. Motorrad ist gut.“

Sekunden später wurde ihr bewusst, was das hiess: Naruto würde Kankuro ins HQ bringen und sie… sie würde hier bleiben. Mit Sasuke.

„Cherry, ist das okay für dich? Für heute Kankuros Platz zu übernehmen? Dann komm ich dich um etwa halb Fünf Uhr morgens abholen? Tut mir echt leid, hier ist es halt etwas unbequemer, als im Toad’s.“

Mechanisch nickte Sakura. Was sollte sie auch sagen? Im Endeffekt ging es jetzt darum, dass Kankuro ins HQ kam und nicht darum, dass sie nicht in unangenehme Situationen kam.

„Kein Problem“, versuchte sie so ruhig und gelassen wie möglich zu sagen, jedoch gab es mindestens eine Person hier im Raum, die sie durchschaute.

„Gut, dann machen wir uns auf den Weg. Demon, Cherry bleibt auf jeden Fall hier in der Bude und wird nicht alleine fürs Spionieren rausgeschickt, klar?“ Naruto sagte das mit Nachdruck und wenn er nicht Sasuke gewesen wäre, dann hätte er bestimmt die Augen verdreht.

„Big Fox, ich bin nicht bescheuert. Haut jetzt ab.“

Kurz darauf waren die Beiden verschwunden und man hörte von der Strasse her das Geräusch eines aufheulenden Motors, der aber sofort wieder verstummte. Im nächsten Moment hörte sie laute Stimmen und ehe sie es sich versah, war Sasuke aufgesprungen und auf dem Weg nach unten. Hastig eilte Sakura hinterher, die Treppe hinunter und zu der schäbigen Tür hinaus, vorsichtig darauf bedacht, nicht über herumliegenden Müll oder Schutt zu stolpern.

Was sie da draussen sah, jagte ihr einen kalten Schauer über den Rücken. Naruto und Sasuke rangen in dem kleinen Hinterhof verbissen mit zwei dunklen Gestalten. Kankuro stand etwas abseits und hielt sein Messer bereit. Natürlich hätte er sich auch in die Schlägerei hineingeworfen, wenn es nötig gewesen wäre, aber anscheinend war es das nicht.

„Kankuro, was ist passiert?“, rief sie ihm entgegen.

„Schon wieder zwei von den Mistratten“, meinte er schon fast etwas zu gelassen für eine solche Situation. Aber eigentlich hatte er ja Recht, denn in dem Moment war das Gerangel vorbei. Sasukes Gegner war tot, Naruto hielt seinem Kontrahenten bedrohlich sein Messer an die Kehle und hielt ihn mit der anderen Hand am Kragen gepackt.

„Wer hat euch gesagt, wo wir sind?“, fragte er und die Wut in seiner Stimme brachte die Luft um ihn herum förmlich zum Vibrieren. „Wer, verdammt nochmal!“

Der Riot sagte nichts und starrte den Leader nur mit aufgerissenen Augen an.

„Du willst nicht reden? Ich sage dir jetzt mal was: Ich habe kein Problem damit, dir diese Klinge über den Hals zu ziehen und dich hier verbluten zu lassen, weil ihr Hunde mich so gottverdammt wütend macht!“

Naruto redete sich richtig in Rage und Sakura verstand es vollkommen. Die Riots hatten ihm so lange Kopfzerbrechen bereitet und taten es auch jetzt noch. Da musste sich enorm viel Wut aufgestaut haben.

„Ihr kriegt uns nie!“, spuckte ihm der Riot entgegen und Narutos Körper war die zunehmende Anspannung förmlich anzusehen. „Eure Zeit ist vorbei, Schlangen und Füchse, wir sind  euch haushoch überlegen!“

„Manchmal frag ich mich echt, woher ihr auf diese hirnrissige Idee kommt. Euer Boss muss tatsächlich ein ganz schöner Hohlkopf sein, wenn er das wirklich glaubt.“ Sasuke war nicht halb so aufgebracht wie Naruto, nein, dafür klang er doppelt so herablassend. „Nur weil ihr euch in einen Krieg eingemischt habt, der schon halb gekämpft war und euch dann als Sieger präsentiert habt, heisst nicht im Mindesten, dass ihr uns überlegen seid. Es zeugt mehr von Feigheit, aber auch das ist bei euch nichts Neues.“

Sasukes harte Worte und das ziemlich wütende Gesicht des Riots verschaffte Sakura ein gewisses Gefühl von Genugtuung. Sollten sie ruhig wissen, dass sie ihnen nicht einmal ein kleines bisschen Eindruck machen konnten.

„Ihr kriegt uns nicht. Wir werden euch immer einen Schritt voraus sein!“

„Was macht dich da so sicher?“, fragte Naruto unbeeindruckt.

Der Riots grinste dreckig. „Vielleicht solltest du zuerst einmal in den eigenen Reihen für Gehorsam sorgen, als mich hier zu löchern.“

„Raus damit! Ich verliere langsam die Geduld“, knurrte Naruto sauer und packte ihn noch enger um den Kragen an. Langsam aber sicher fiel es dem Riot schwerer, seine Angst zu verbergen.

„Die Infos…“, presste der Riot hervor, der so sichtlich Mühe mit Atmen hatte, „…stammen vom Boss. Über die Quellen wissen nur die engsten Mitglieder und er Bescheid…mehr weiss ich nicht.“

Ein kurzer Blickwechsel mit Sasuke führte dazu, dass Naruto seinen Griff wieder lockerte. „Himmeltraurig, wie schlecht euch euer Boss informiert. Aber weisst du was? Du kannst ihm war ausrichten: Nur weil ihr hier unser schäbigstes Aussenquartier ausgemacht habt, heisst das immer noch nicht, dass wir Angst vor euch haben. Ihr seid Kinder, die sich den falschen Spielplatz ausgesucht haben, auch wenn ihr das bis jetzt noch nicht geschnallt habt. Und jetzt lauf so schnell du kannst, ansonsten knallen wir dich ab.“

Er liess von dem Riot ab, welcher sich sofort aufrappelte und dann in Windeseile das Weite suchte. Ehrlich gesagt verstand Sakura jetzt nicht, warum sie ihn einfach so laufen liessen. Konnten sie ihn den nicht einfach als Geisel nehmen, so wie sie das nach wie vor mit denen taten, die sie vor einiger Zeit beim Toad’s angegriffen hatten?

Naruto schien ihren fragenden Blick zu bemerken. „Keine Sorge, Cherry. Der wird jetzt schön unsere Nachricht überbringen und die Riots hoffentlich ein wenig anstacheln, sich noch mehr in der Stadt zu zeigen. Die glauben, die Bruchbude hier sei ein Aussenquartier von uns und wittern keinen Verdacht, dass das einer unserer Beobachtungsstützpunkte ist. Oder besser gesagt, war.“

Das machte definitiv Sinn. Die Riots hatten bei der letzten Geiselnahme kein Interesse an Verhandlungen gezeigt, deshalb war es wohl kaum lohnenswert, noch mehr von diesen Idioten bei ihnen im HQ durchzufüttern.

„Also jetzt müssen wir hier abhauen, vermutlich wird hier in kurzer Zeit ein Haufen Riots sein Unwesen treiben. Ich würde sagen, dass du mit Sakura ins Toad’s fährst, Demon und ich Shooter ins HQ bringe.“

Sasuke nickte. „Alles klar.“

Jetzt drehte er sich um und wies sie mit einem Kopfnicken an, mitzukommen. Manchmal fragte sie sich wirklich, warum sie immer in solche Situationen geraten musste. Es hätte doch jeder andere Stützpunkt Hilfe brauchen können, aber gerade heute musste es Sasukes sein. Aber da musste sie jetzt durch.

„Dann bis später, Cherry!“, rief Naruto noch in ihre Richtung und fuhr mit Kankuro davon. Der vorgängige kurze Blickwechsel mit Sasuke war ihr nicht entgangen, jedoch wusste sie nicht, wie sie ihn deuten sollte.

Sasuke ging nur noch einmal kurz nach oben, um die Karten zu holen, die Decken und die anderen Sachen liess er aber oben, um ihre Lüge mit dem Aussenquartier noch etwas glaubhafter wirken zu lassen.

Wieder draussen, begab er sich zu dem Unterstand, holte seine Yamaha unter der Plane hervor und machte sich bereit. Es fühlte sich mehr als komisch an, sich nun hinter ihm auf die Maschine zu schwingen und sich dann auch noch an ihm festzuhalten. Wie wenn sie einfach die derzeitige Distanz zwischen ihnen mit Gewalt zu verkürzen versuchte.

„Bereit?“, fragte er und klang dabei so sachlich wie ein Pilot zu seinem Co-Piloten vor einem Start.

„Ja.“

Sasuke startete den Motor und nahm dann sofort die Fahrt auf, denn viel Zeit blieb ihnen vermutlich nicht mehr. Als sie auf der Strasse dann erst einmal ein richtiges Tempo erreichten, musste Sakura regelrecht mit aufkommender Nostalgie kämpfen. Noch gar nicht mal lange her war es, als sie gemeinsam so unterwegs gewesen waren, mit dem Unterschied, dass sie sich ihm damals richtig nahe gefühlt hatte. So nahe bei ihm, konnte sie auch wieder seinen allzu vertrauten Duft nach Freiheit und Abenteuer einatmen. Obwohl es dämlich war, nach dem Geschehenen immer noch so viel für ihn zu empfinden, konnte sie nicht anders, als sich nach ihm zu sehnen. Was brachte körperliche Nähe denn, wenn die seelische Distanz so riesig war?

Völlig in ihren Gedanken versunken, vergass sie den Lärm der nächtlichen Downtown um sich herum  und schwebte völlig in ihren eigenen Sphären.

War es eigentlich egoistisch, so zu denken? Auch wenn man es ihm inzwischen nicht ansah, aber Sasuke musste immer noch höllisch unter den Ereignissen des vergangenen Jahres leiden. War es da denn nicht einfach normal, manchmal die Kontrolle über sich zu verlieren?

Dass er sie so grob geschubst hatte, war wirklich etwas, was ihr Angst gemacht hatte und auch immer noch machte. Weniger das Schubsen selbst, sondern sein finsterer Blick und seine kalte Art taten ihr schon beim blossen Gedanken im Herzen weh. Würde er jemals wieder zu dem Sasuke werden, den alle einst gekannt hatten?

Sie hatte so viele Dinge, über die sie nachdenken konnte, dass ihr die Strecke bis zum Toad‘s erstaunlich kurz vorkam.

Sasuke parkierte seine Maschine im Hinterhof und Sakura hoffte inständig, dass Sasori da war, denn sonst würde sich diese unangenehme Stimmung zwischen ihnen noch lange breit machen. 

Als sie in die Bar eintraten, behielten sie ihre Kapuzen nach wie vor oben, damit sie auch ja niemand erkennen konnte. Sakura ging voran und zeigte ihm den Weg über die Treppe nach oben. All ihre Befürchtungen bestätigten sich, als sie das Zimmer dunkel und leer vorfanden.

„Hier ist es“, sagte sie leise und drückte auf den Lichtschalter. Das Chaos war nach wie vor dasselbe, anscheinend hatte wirklich niemand auch nur ein bisschen Interesse daran, hier Ordnung zu halten.

„Ist schon etwas edler, als die Bruchbude“, brummte Sasuke und setzte sich an den Tisch, wo er zuerst einmal die Karte unter die Lupe nahm.

Aus ihm schlau werden würde sie wohl nie. Irgendwie schien er einfach so zu tun, als wäre zwischen ihnen nie etwas gewesen. Weder die schönen, noch die unschönen Dinge.

Schweigend setzte sie sich ans Fenster und beobachtete, was draussen vor sich ging, jedoch liess ihre Konzentration zu wünschen übrig.

Er machte sie so traurig. War sie ihm eine kleine Entschuldigung denn nicht wert? War sie ihm denn überhaupt je etwas wert gewesen, wenn es ihm so leicht fiel, das alles plötzlich einfach zu ignorieren? Einfach unter den Teppich zu kehren, als ob es nie existiert hätte?

Er tat ihr weh, in dem er einfach nichts tat.

Dass sie mit ihm abschliessen musste, das war ihr klar. Aber das ging beim besten Willen nicht, wenn noch so viel Unausgesprochenes im Raum hing, wie ein böser Geist.

Im nächsten Moment musste sie an Ino denken. Sie hätte das alles bestimmt nicht auf sich sitzen lassen und ihn sofort zu Rede gestellt. Ino war normalerweise jemand, der klare Verhältnisse forderte und sie nötigenfalls selber schaffte, ihre Familie einmal ausgenommen. Und sie? Sie sagte nicht einmal etwas zu Sasukes Verhalten, liess ihn einfach so gewähren. Vielleicht war es ja an der Zeit?

„Was ist eigentlich los mit dir?“, fragte sie leise in den stillen Raum hinaus und wandte dabei ihren Blick nicht vom Fenster ab.

Ihr Herz klopfte. Es war praktisch unmöglich, Sasukes Reaktionen auf solche Sachen vorauszusagen und deshalb war sie umso nervöser. Wut? Reue? Kaltes Ablehnen?  Schweigen? Es gab so viele Möglichkeiten.

Zuerst sagte er nichts und als sie schon daran zweifelte, überhaupt noch eine Antwort zu erhalten, meinte er: „Was soll los sein?“

Wenige Worte, jedoch trafen sie sie wie ein Fausthieb ins Gesicht. Tat es ihm den wirklich gar nicht leid, dass er sie so grob behandelt hatte? Einen Augenblick lang blieb ihr die Luft weg, so enttäuscht und traurig war sie über seine Antwort. Der Raum hier drin begann sie auf einmal beinahe zu erdrücken und irgendwie war es plötzlich richtig stickig geworden.

Zeit um sich eine Antwort auf seine Frage zu überlegen blieb ihr nicht, denn auf einmal sprach sie ganz von selbst.

„Das weisst du ganz genau“, presste sie hervor und versuchte so gut wie möglich, den Kloss in ihrem Hals loszuwerden. „Gute Nacht.“

Damit stand sie auf, nahm ihre Jacke und ohne einen Blick zurück liess sie den Raum hinter sich. Sie wollte nur noch nach Hause und weinen. Wieder einmal fragte sie sich, warum er es immer schaffte, in ihr eine solch schreckliche Verwirrung hervorzurufen, ja, warum sie das überhaupt zuliess. Es war einfach nicht zu fassen.

Gerade als sie die Treppe hinuntersteigen wollte, wurde sie etwas unsanft von hinten am Oberarm gepackt und herumgerissen. Ein Blick in sein Gesicht verriet ihr, dass sie ihn in einem, alles andere als umgänglichen Moment erwischt hatte. Selten hatte sie ihn ihr gegenüber zornig erlebt, wen sie genauer darüber nachdachte eigentlich nie. Aber jetzt war er wütend und das war mehr als nur beängstigend. Einmal mehr verstand sie, woher sein Bandenname stammte, denn diese Augen würden kurzen Prozess mit einem machen, wenn Blicke töten könnten. Nie hätte sie gedacht, dass dieser Blick einmal ihr zu Teil werden könnte. Sein ganzer Körper war bis in die letzte Faser angespannt und sie merkte, wie sehr er sich selbst beherrschen musste, um nicht vollkommen auszurasten.

„Du läufst jetzt nicht davon!“, sagte er laut und mit so viel Nachdruck, dass Sakura regelrecht Gänsehaut bekam. „Sonst krieg ich den Ärger mit Big Fox ab!“

Was war aus dem Sasuke geworden, den sie vor nicht allzu langer Zeit noch gekannt hatte?

„Das kann dir doch egal sein“, stiess sie hervor und versuchte, sich loszureissen. „Was ist passiert, Sasuke?“, fragte sie leise und spürte, wie ihre Augen brannten. Auch wenn sie wütend war, kamen ihr normalerweise die Tränen, als ob sie nicht schon sonst genug weinte.

„Was passiert ist, fragst du?!“ Seine Hand schloss sich noch fester um ihren Oberarm, sodass es richtig begann, wehzutun. „Muss ich dir das allen Ernstes noch erklären?!“

Bald wurde ihr klar, dass ihre Frage natürlich schon etwas dumm platziert gewesen war und trotzdem sollte er eigentlich wissen, dass sie damit nicht Itachis Tod gemeint hatte.

„Das meinte ich nicht…“, setzte sie an, doch er fuhr ohne Rücksicht dazwischen.

„Hör auf damit!“ Er wurde zunehmend lauter. „Du machst mich verdammt nochmal wahnsinnig mit deinem Herumbohren!“

Sakura fehlten zunehmend Worte, die sie für eine Antwort gebraucht hätte. Seine Hand um ihren Oberarm tat inzwischen so weh, dass sie nur noch versuchte, ihren Arm aus seinem stählernen Griff zu befreien, jedoch ohne Erfolg. Das erinnerte sie alles so an diesen Moment in der Garage im Taka-HQ. „Bitte lass los… ich möchte dir doch nur helfen…“

„Ich brauche keine Hilfe! Bleib wo du bist in deiner heilen Welt!

„Sasuke…warum...“, brachte sie noch hervor und gerade als der Schmerz unerträglich wurde und sie nicht mehr tun konnte, als sich mit aller Kraft loszureissen versuchen, wurde Sasuke zur Seite gerissen.

„Boss, hast du sie noch alle?!“

Noch nie war sie so froh gewesen, Sasori zu sehen, wie in diesem Moment. Ihr Herz raste und in ihrem Kopf drehte sich alles wie in einem Karussell. Neben ihr war plötzlich auch Naruto aufgetaucht und legte ihr die Hand auf die Schulter. „Alles in Ordnung, Cherry?“

Jedes Nicken wäre die reinste Lüge gewesen. Sie liess sich auf den Boden sinken und blieb dort wie gelähmt sitzen. Sasukes Worte hallten unermüdlich in ihrem Kopf wieder, versetzen ihr jedes Mal wieder einen brutalen Stich ins Herz.

„Sakura?“

„Nein…“, murmelte sie. „Nichts ist in Ordnung.“

In ihren Ohren rauschte das Blut wie ein Wasserfall, den Blick zu heben und Sasuke anzusehen traute sie sich gar nicht.

„Hat er dir etwas getan?“, fragte Naruto und trotz ihrem tranceähnlichen Zustand bemerkte sie, wie aufgebracht er war und welche Mühe er sich gab, um sich zurückzuhalten.

„Nein…nein..“

„Dein Arm sieht aber nicht danach aus.“ Vorsichtig sah er sich ihrem Arm an. „Das gibt einen ziemlichen blauen Fleck. Sakura, Demon ist weg. Du kannst mich also ansehen, okay?“

Tatsächlich waren Sasuke und Sasori verschwunden.

„Naruto, es tut mir leid…“

„Was denn bitte?“, fragte er verblüfft.

„Dass ich so naiv und dumm bin…“ Bis jetzt hatte sie gar nicht gemerkt, dass sie weinte.

Er liess sich neben sie auf den Boden sinken. „Sakura, anderen helfen zu wollen ist weder naiv noch dumm. Wenn sich aber jemand nicht helfen lassen will, dann kannst du nichts dagegen tun. Aber diesen Typen kaufe ich mir nachher, da kannst du sicher sein. Shit, ich hätte dich nicht mit dem alleine gehen lassen sollen,“

Sie wusste nicht, warum in ihr plötzlich das Gefühl aufkam, ihn in Schutz nehmen zu müssen, nach all dem, was er getan hatte. „Naruto bitte…die vergangenen Ereignisse…er ist einfach nicht mehr er selbst…zudem habe ich ihn wohl unwissentlich etwas provoziert…“

„Und deswegen darf er dir einen blauen Arm verpassen? Nee, Cherry, da muss er früher aufstehen. Du musst ihn nicht mehr in Schutz nehmen, das hat er gar nicht verdient.“

„Ich weiss. Und trotzdem Naruto…ich möchte einfach, dass du weisst, dass er vorher nie so zu mir war, im letzten Jahr. Seit Raven tot ist, ist er einfach unberechenbar.“

Naruto nickte. „Das glaube ich dir, Cherry. Ich muss zugeben, dass ich den Takas in Bezug auf dich inzwischen traue. Aber Demon war schon immer einer der undurchschaubarsten Typen in ihren Reihen.“

„Hör zu, Naruto…was eben passiert ist,  hat weder mit dir, noch mit den anderen Kuramas etwas zu tun. Das ist etwas zwischen mir und ihm und ich will auf keinen Fall, dass jetzt die ganze Zusammenarbeit deswegen den Bach runter geht. Versprich mir, dass das jetzt nicht zwischen euch steht.“

Es war Naruto anzusehen, dass er das nicht unbedingt gut fand, aber er wusste auch, dass Sakura Recht hatte. „Darf ich ihm wenigstens noch sagen, was ich davon halte?“

„Von mir aus…aber nachher will ich heim. Ich kann die U-Bahn nehmen, damit du hier weitermachen kannst.“

„Komm mit runter, dort kannst du warten. Ich brauche fünf Minuten.“

Er zog sie auf die Beine und gemeinsam verliessen sie das Toad’s durch den Haupteingang. Naruto verschwand dann kurz in den Hinterhof, wo sich Sasori und Sasuke aufhalten mussten. Sie selbst lehnte sich gegen die Hausmauer und schloss die Augen, nach wie vor unfähig, irgendeinen klaren Gedanken fassen zu können.

Als Naruto wieder auftauchte, sah er ziemlich verärgert aus, sagte jedoch nichts weiter und startete seine Maschine. „Komm, Cherry.“

Es hätte sie wirklich interessiert, was Naruto Sasuke gesagt hatte, aber vielleicht war es besser, wenn sie es nicht wusste. Von der Fahrt nach Hause bekam sie nicht mehr wirklich viel mit. Vor dem Block setzte Naruto sie ab. „Kann ich noch irgendwas für dich tun?“

Sie schüttelte den Kopf. „Erzähl einfach den Anderen nichts davon, okay?“

Er nickte. „Werde ich nicht.“

Als er weg war schleppte sie sich die Treppe zu ihrer Wohnung hinauf. Tsunade schlief zum Glück bereits, damit kam sie wenigstens um ein Zusammentreffen herum.

Eigentlich wollte sie nur noch ins Bett, jedoch stellte sie sich trotzdem noch schnell unter die Dusche. Ihr Arm schmerzte höllisch und sie fragte sich, woher Sasuke eine solch immense Kraft nahm.

Das warme Wasser tat ihr gut und half ihr, ihren angespannten Körper wenigstens ein bisschen zu lösen. Als sie trocken war und sich ihre Schlafsachen angezogen hatte, strich sie sich noch etwas Wallwurz-Salbe auf die schmerzende Stelle an ihrem Arm und bandagierte ihn ein. Ein Blick in den Spiegel verriet ihr, dass sie erbärmlich aussah. Ihre Augen waren gerötet und ihre Haare zerzaust. Nein, sie sah nicht nur erbärmlich aus, sie war es auch. Es war dumm von ihr gewesen, zu denken, dass sie und Sasuke etwas Besonderes miteinander teilten. Wenn sie Sasuke wirklich so viel bedeutet hätte, wie sie einst gedacht hatte, dann wäre das heute nicht passiert. Oder er hätte sich zumindest bei ihr für den Vorfall in der Garage entschuldigt, damit es gar nicht zu diesem Ereignis heute gekommen wäre.

Langsam schlurfte sie in ihr Zimmer und warf sich aufs Bett. In ihrer Brust fühlte es sich an, als ob Krämpfe über ihr Herz herfallen würden und sie rollte sich unter ihrer Decke zusammen. Es half wenigstens ein bisschen, ihren Teddy an sich zu pressen. Jetzt konnte sie ihren Tränen freien Lauf lassen. Hier war niemand, den es stören konnte.

Sasukes Verhalten ihr Gegenüber hatte viel mit Itachi zu tun, das wusste sie. Seit Itachis Tod hatte sie zwar eine kurze Zeit lang geglaubt, die Distanz zu ihm irgendwie überwinden zu können. Das hatte sie jedenfalls an Weihnachten am Friedhof und an Silvester auf dem Dach des Hochhauses gedacht. Aber dann hatte er sich schneller denn je von ihr zu entfernen begonnen. Und jetzt war er weg.

Eigentlich war es gut so, das sagte ihr jedenfalls ihr Verstand. Das Gefühlswirrwarr, das er sie durchlaufen liess, war nicht immer angenehm für sie gewesen. Jedoch hatte es genauso das Gegenteil gegeben, nämlich die Momente, in denen sie sich bei ihm so unendlich wohl und glücklich gefühlt hatte. Das war jetzt alles einfach so vorbei?

Das konnte sie noch kaum glauben. Darum herumkommen, das zu akzeptieren würde sie aber nicht. Ja, vor ihr lag eine schwere Zeit. Die Zeit, in der sie Sasuke vergessen musste.

 

Von diesem Abend an, fiel ihr Leben in Muster zurück, die sie vor etwas mehr als einem halben Jahr noch als normal bezeichnet hätte. Lange hatte sie so gelebt, doch jetzt konnte sie sich beim besten Willen nicht mehr daran gewöhnen. Es fehlte etwas und sie fühlte sich leer.

Gerne redete sie sich ein, dass es einzig und allein daran lag, dass sie sich für geraume Zeit von der Gang distanzierte. Es fehlte ihr schlicht und einfach die Lust, in irgendeiner Form wieder mit den Takas und somit Sasuke in Kontakt zu kommen.

Morgens stand sie auf, ging zur Schule und bereitete sich auf die Abschlussexamen vor, abends kochte sie für Tsunade, schaute fern oder hörte Musik. An den Wochenenden kam meistens Ino vorbei, die sich natürlich ziemliche Sorgen um sie machte. Einzig und allein ihr hatte Sakura von dem Vorfall erzählt. Hinata bekamen sie nur einmal kurz zu Gesicht, als sie sie in der Stadt antrafen, jedoch war das nicht der Moment, um ihr von alldem zu erzählen.

Ino tat das Ganze unendlich leid. Sie selbst hatte gesehen, wie gut sie sich mit Sasuke verstanden hatte und deshalb war auch sie etwas fassungslos. Ihre Freundin half ihr so gut sie konnte und das schätzte Sakura, jedoch konnte sie ihr nicht viel zurückgeben, dabei hatte auch Ino ihre Probleme. Sie beteuerte zwar immer, dass bei ihr alles klar sei, aber das kaufte sie ihrer Freundin nicht ab.

Manchmal, wenn sie alleine war, dann schrieb sie Stück für Stück ihrer Geschichte mit Sasuke in ein altes Notizheft, mit der schwachen Hoffnung, dass es ihr irgendwie so gelang, damit abzuschliessen. An diesen Abenden war es meistens am Schlimmsten. Es war eine Einsamkeit, die sie partout nicht erklären konnte, da sie de facto gar nicht einsam war. Auch die Gangleute schrieben ab und zu eine SMS, ihre Freundinnen waren da und sogar von Konan erhielt sie eine SMS, in der sie sich bei ihr entschuldigte und ihr gute Besserung wünschte, obwohl sie überhaupt keine Schuld an all dem trug. Sasori musste ihr von dem Vorfall erzählt haben und wie Konan nun einmal war, suchte sie die Fehler in diesem Fall bei sich.

Nein, über einen Mangel von Mitgefühl konnte sie sich nicht beschweren und trotzdem liess sich das Gefühl dieser unendlichen Leere einfach nicht leugnen.

Oft erwischte sie sich, wie ihre Gedanken zu Sasuke gingen, fragte sich, was er machte, wie es ihm ging. Dabei wusste sie, dass sie genau das nicht tun sollte. Jedoch war es schwierig, wenn der Fleck an ihrem Arm, der inzwischen mehr gelb als blau war, sie unaufhörlich an ihn erinnerte. Aber sie musste das jetzt durchstehen.

Und von da an ging Zeit ins Land. Zeit, in der sie sich ihrem trockenen Alltag widmete und mit aller Kraft versuchte, keinen Gedanken mehr an diesen Taka zu verschwenden.

Was die Gangs anging bekam sie nur mit, dass Naruto seit dem Zusammenstoss mit den Riots bei der Bruchbude die Gangmitglieder allesamt scharf kontrollierte. Ansonsten wurde die Beobachtungsphase weitergeführt, währenddessen sich die Schlüsselpunkte der Riots mehr und mehr herauskristallisierten.
 

Sakura pendelte sich indes langsam aber sicher wieder in einen halbwegs normalen Alltagsrhythmus ein, jedoch ahnte sie nicht, dass dieser schon bald wieder gehörig durcheinandergebracht werden sollte.

Bye Bye

Soweit sie wusste, schritt der Plan zum Rückschlag der Gang gut voran. Ino brachte sie jede Woche in der Schule auf den neusten Stand. Auch Hinata sahen sie endlich wieder öfters, da die Schule ihnen nun sehr viel Kraft abverlangte und sie oft gemeinsam für die Prüfungen lernten. Ohne Hina wären die Beiden in Mathematik sowieso verloren gewesen, aber gemeinsam schafften sie es, dass sie wenigsten den grundlegenden Stoff richtig verstanden. Ihre Freundin schien endlich wieder ein wenig mehr sie selbst zu sein und dass genossen Ino und Sakura sehr. Sie erzählte ihnen von den vergangenen Wochen, in denen ihr Vater wenigstens für einige Tage zu Hause gewesen war und sie und Hanabi diese Zeit einfach mit ihm geniessen wollten. Besonders Hanabi habe sich schwer getan, als er wieder abgereist ist und Hinata wollte ihre Schwester damit nicht alleine lassen.

Nun wurde auch sie über den Vorfall mit Sasuke unterrichtet und in ihren Augen las Sakura viel Mitgefühl. Sie hatte die Gabe, solche Sachen mit glasklaren Augen zu sehen und zu verstehen, was die Beteiligten fühlten. Wenn sie das Temari erzählt hätte, dann hätte sie mit hundertprozentiger Sicherheit damit begonnen, sich über Sasuke und die Takas auszulassen. Das war auf eine gewisse Weise auch verständlich. Aber Hinata sah immer die zwei Seiten der Medaille und ging mit Sakura in der Vermutung einher, dass er sich zurzeit einfach nicht mehr spürte. Nichtsdestotrotz änderte das nichts an der Tatsache, dass das mit Demon vorbei war. Er hatte mehr als deutlich gezeigt, dass sie ihm nicht so wichtig war, wie sie immer geglaubt hatte.

Nun, ihnen stand jetzt jedenfalls eine harte Zeit voller Prüfungen bevor, diesbezüglich fühlte sie sich aber erstaunlich sicher. Gemeinsam würden sie das schon hinkriegen. Es war Mitte April, als der Frühling endlich durchdrückte und ihnen einige wärmere Sonnentage schenkte. Im März war Sakura neunzehn geworden, was sie aber nur im kleinen Rahmen gefeiert hatte. Erstens hatte sie keine Lust gehabt und zweitens feierte sie sowieso nicht besonders gerne. Von ihrer Mutter hatte sie weder einen Anruf, noch eine SMS erhalten und das tat weh. Richtig weh. Wenigstens ihr Vater rief kurz an um sie zu beglückwünschen, aber ihre Beziehung zu ihm war sowieso nur noch ein Scherbenhaufen. Sie wusste kaum, was sie ihm sagen sollte, hatte sie doch kaum eine Ahnung, was er zurzeit überhaupt machte. Aber sie hatte Tsunade und die war besser, als ihre Eltern zusammen. Ja, ihre Tante war ihr mehr Mutter gewesen, als es ihre richtige Mutter jemals sein könnte.

Tja, ansonsten verbrachte sie die erste Ferienwoche hauptsächlich damit, mit Ino zu lernen oder gemeinsam etwas anderes zu unternehmen. Nach und nach konnte sie sich sogar dazu durchringen, dem HQ einige Besuche abzustatten. Hinata war schon seit zwei Wochen mit ihrer Schwester auf den Kanarischen Inseln bei ihrem Vater, das hatte sie mit der Schule so regeln können.

Naruto berichtete, dass der Plan zum Rückschlag inzwischen in der finalen Phase angelangt sei, was bedeutete, dass es nicht mehr lange dauern würde, bis es losging. Etwa zwei Wochen nach seiner Schätzung. Man merkte den Leuten deutlich an, dass sie nur so darauf brannten, endlich loslegen zu können. Das lange Beobachten und das damit einhergehende Versteckspiel war nicht unbedingt die Lieblingsbeschäftigung der Gangs. Aber es war es wert gewesen, denn anscheinend hatten die Leaders genau das bekommen, was sie wollten: Klare Muster über die Aufenthaltsorte der Riots. Naruto hatte gelacht, als er ihr das erzählt hatte, denn anscheinend gab es wirklich bestimmte Wochentage, an denen sich die Riots an ganz bestimmten Orten aufhielten. Kurz gesagt, die Sterne standen gut für ihren Plan. Wenigstens etwas Positives.
 

Im Taka-HQ herrschte trotz den gut voranschreitenden Vorbereitungen gedrückte Stimmung. Der Tod von Red Raven hing nach wie vor in den Köpfen der Takas fest, jedoch hatte man sich soweit arrangiert, dass man klar kam. Wer verständlicherweise nach wie vor die grössten Probleme mit diesem Verlust hatte, waren Konan und Sasuke. Wobei letzterer das eigentliche Problem der Takas darstellte. Demon tat zwar seine Pflichten, jedoch war er nebst diesen Tätigkeiten alles andere, als ein angenehmer Zeitgenosse. Er war launisch, aggressiv und man konnte kaum noch mit ihm reden. Aus dem Alltag der Takas zog er sich fast gänzlich zurück, ging zu seinem Job und verschwand danach immer sofort in seinem Zimmer. Einmal, als er bei der Arbeit war entdeckte Konan durch die halboffene Zimmertür eine Plastiktüte voller leerer Bierflaschen und Ähnlichem, was sie mehr und mehr in Sorge brachte. In solchen Momenten vermisste sie Itachi noch tausendmal mehr, einfach nur, weil sie sah wie sehr Sasuke ohne ihn litt. Es tat so weh zu sehen, wie er sich vor anderen einfach nichts anmerken liess, sich aber dann alleine mit Alkohol ins Vergessen zwang. Er musste so einsam sein.

Oft dachte Konan an Sakura. So lange war dieses Mädchen ihr einziger Hoffnungsschimmer für Sasuke gewesen. Für ihn war sie etwas Besonderes und deshalb hatte sie ihn immerzu irgendwie erreichen können, egal, wie sehr er sich in sich selbst zurückgezogen hatte. Und das mit dem Alkohol hatte auch erst nach dem Vorfall in der Garage richtig angefangen. Sasori hatte die gesamte Gang darüber unterrichtet, was im Toad’s vorgefallen war, einfach nur um zu verhindern, dass Sakura oder Sasuke in unangenehme Situationen gerieten, wenn die Takas auf Sakura trafen. Konan tat es unheimlich Leid für das junge Kurama-Mädchen. Sie war so gutmütig und hatte Sasuke immerzu so viel gegeben. Ganz bestimmt war es niemals einfach für sie gewesen, sich auf ihn einzulassen, besonders deswegen, weil sie eine Kurama war. Und trotzdem hatte sie es immer wieder getan, bis er sie eiskalt von sich gestossen hatte. Warum? Das wusste sie nicht. Vielleicht war es seine Mauer, die seit Itachis Tod mehr denn je an Durchmesser gewonnen hatte. Er wollte niemanden an sich heranlassen.

Nein, Konan wusste nicht, wie das mit ihrem Leader weitergehen sollte, aber was sie wusste war, dass sich etwas ändern musste. Ansonsten würde er vollkommen an seinem Verlust kaputt gehen.
 

Eines Abends, als Sasuke wieder einmal nach Hause kam und wortlos in seinem Zimmer verschwand, war es Karin, die schnurstracks aufstand und ihm hinterherlief. Die anwesenden Takas im Aufenthaltsraum sahen sich nur fragend an, aber anscheinend schien keiner zu wissen, was die junge Frau vorhatte. Nun, vielleicht würden sie es später von ihr erfahren. Karin blieb nicht wie gewohnt vor dem Zimmer stehen, sondern trat direkt und ohne zu fragen in den Raum ein, wo Sasuke sich blitzartig umdrehte und sie mit einem scharfen Blick förmlich zur Tür hinaus schmiss.

„Nee, nee, so brauchst du mich jetzt gar nicht erst anzugucken, Demon. Ich gehe jetzt nicht einfach.“ Frech setzte sie sich auf sein Bett, wohlwissend, dass Itachis Bett für sie eine strikte Tabuzone darstellte.

„Was willst du?“, blaffte er sie in scharfem, abweisenden Ton an.

„Mit dir reden, Demon. Machen Menschen so. Und jetzt hör auf mich so anzuschnauzen.“ Karin hatte keine Angst vor ihm. Schon immer war sie es gewesen, die Demon Paroli hatte bieten können, ohne dass er ihr an die Gurgel gegangen war. Bei Mädchen war er da erstens ziemlich viel nachsichtiger und zweitens kannten sie sich wirklich schon lange. Es liess sich nicht leugnen, dass sie ein ganz spezielles Band zueinander teilten.

„Es gibt nichts zu reden, Sniper und jetzt verschwinde.“

„Nein. Hab ich doch schon gesagt. Ich gehe nicht einfach.“ Die zunehmende Spannung in seinem Körper machte ihr nichts aus. Sie hatte keine Angst vor ihm.

„Ich habe keine Lust, dir dabei zuzusehen wie du langsam vor dich hinvegetierst und irgendwann den Verstand verlierst. Du bist nämlich auf bestem Wege dazu, wenn ich das mal so sagen darf.“ Nie hatte sie bei Demon ein Blatt vor den Mund genommen und das würde sie auch jetzt nicht tun. „Ich dachte, es wird vielleicht mit der Zeit besser, aber wie ich sehe ist genau das Gegenteil der Fall.“

Sasuke funkelte sie zusehends wütender an. „Ich brauche keinen Seelenklempner, Sniper, es ist alles klar und jetzt hau endlich ab.“ Karin grinste nur kopfschüttelnd.

„Gehen kann ich, wenn ich hier fertig bin. Bin ich aber noch nicht. Also, ich dachte ja, dass du bereits einen tiefen Punkt erreicht hast, als du in der Garage so grob zu dem Kurama-Prinzesschen warst. Aber dann hast du noch einen draufgesetzt im Toad’s. Und jetzt denke ich, du zerstörst dir selbst noch alles was du hast.“ Vorsichtig beobachtete sie seine angespannte Mimik und er schien wirklich immerzu aufgeladener zu sein.

„Machst du das mit Absicht? Ich wette, du willst gar nichts Gutes mehr erleben. Du bestrafst dich selbst für alles, was passiert ist. Gibst dir für alles die Schuld. Ist es nicht so? Du hast dir schon immer selbst den schwarzen Peter zugespielt. Sei es beim Tod deiner Eltern, bei der Scheisse, die Itachi und du habt durchmachen müssen oder bei Itachis Tod. Eigentlich bei allem.“ Sie konnte ihm ansehen, wie jede ihrer Aufzählungen ihm einen Schlag ins Gesicht verpasste, jedoch musste er da jetzt durch. „ Aber weisst du was? Du solltest das alles endlich hinter dich bringen. Warst du seit der ganzen Sache jemals wieder in Otogakure?“

Er schüttelte nur den Kopf. Worte waren eine effektive Waffe gegen Sasuke, wenn man genug über ihn wusste und sie richtig einzusetzen wusste. Eigentlich wollte sie ihm nicht wehtun, aber im Moment wusste sie keinen anderen Weg.

„Also. Warum gehst du dort denn nicht wieder hin? Gehst das Heim besuchen? Euer altes Haus? Einfach um endlich damit abzuschliessen? Sasuke, der grosse Tag ist erst in knapp zwei Wochen, da hast du doch noch Zeit, oder etwa nicht?

Er hatte sich längst von ihr abgewandt und war dabei, eine Bierflasche zu öffnen. Auf eine Antwort wartete Karin vergebens. Sie seufzte.

„Demon, ganz ehrlich: Willst du wirklich so weiterleben, wie du es jetzt tust? Ist es das, was Itachi gewollt hat? Ich bin sicher, genau das wollte er nicht.“

Sasuke sagte dazu nichts, jedoch wusste er genau, dass sie leider Recht hatte.
 

„Es gibt viel zu viele Dinge auf dieser Welt, die dieses Leben lebenswert machen, das habe ich inzwischen kapiert, auch wenn es verdammt lang gebraucht hat.“
 

Das hatte er in seinem Brief geschrieben. Nichtsdestotrotz schüttelte Sasuke weiterhin den Kopf. „Verschwinde endlich, Karin.“

„Dann habe ich also Recht! Stand das in diesem sagenumwobenen Brief von Raven? Egal. Ich lass dich jetzt in Ruhe, weil man mit dir ja einfach nicht reden kann. Aber merk dir meine Worte, Sasuke. Ich habe das auch gemacht, gerade letzten Monat. Zum Haus meiner Alten fahren meine ich und ihnen die tote Maus in den Briefkasten zu legen, die ihr fetter Kater Archie gerade dabei war zu verspeisen. Hat gut getan.“ Bei dem Gedanken grinste sie. „Ach ja und noch etwas: Du schuldest mindestens einem Menschen in dieser Stadt noch eine Entschuldigung. Hör auf, ständig alle Menschen, die dich mögen zu vergraulen, Sasuke, von denen gibt’s nämlich nicht viele“, stichelte sie, jedoch in sanftem Ton. Demon und sie hatten sich früher immer gegenseitig aufgezogen, so waren sie einfach. Nahm auch keiner persönlich. Jedenfalls nahm sie Sasuke daraufhin ohne zu fragen die Bierflasche aus der Hand und nahm noch einen Schluck daraus, bevor sie aus dem Zimmer verschwand. „Und nimm jemanden mit falls du gehst. Bin auch mit Suigetsu gegangen, ansonsten hätte ich das nicht hingekriegt. Der ist immer zu haben für solchen Mist.“
 

Es war eine Woche vor dem Start der Operation „Toter Jaguar“, so wie sie im Spass von vielen Gangleuten genannt wurde, als Sakura mit einigen Kuramas auf dem Weg zum Toad’s war. Heute war geschlossen, aber Jiraiya drückte für die Kuramas ausnahmsweise ein Auge zu. So konnten sie ungestört beisammen sitzen und einfach mal ausspannen. Es war Montag in Sakuras zweiter Ferienwoche und heute hatte sie sich endlich einmal wieder dazu aufraffen können, mit den Kuramas etwas zu unternehmen. Die Beobachtung an Montagen hatte man schon vor ungefähr einem Monat aufgegeben, da die Riots an diesen Tagen kaum in der Stadt zu finden waren. Genau dafür war die Beobachtung so wichtig, damit sich herauskristallisierte, wann sich der Feind wo aufhielt und wann eben nicht.

Jedenfalls hatten Ino und Hina ganze Überredungsarbeit geleistet und sie dazu bringen können mitzukommen. Zurzeit war ihr nämlich nach wie vor nicht besonders nach ausgehen zu Mute. Aber da Hinata endlich wieder aus den Ferien zurück war, wollte Sakura gerne wieder etwas Zeit mit ihr verbringen.

Im Hinterhof des Toad’s standen bereits haufenweise Motorräder und Sakura fragte sich ernsthaft warum es so viele waren. Die Zahl der Maschinen überstieg bei weitem die Zahl der Inner-Kuramas, die heute hier sein würden.

„Kommen auch einige Outers?“, fragte sie Ino und Hina verwundert und diese schauten sie etwas schuldbewusst an.

„Saku, sorry, dass ich dir das nicht von Anfang an gesagt habe, aber heute wird nicht einfach ein gemütlicher Bar-Abend.“ Es war ihrer Freundin anzusehen, dass ihr ziemlich unwohl bei der Sache war.

„Was ist denn los?“ Sakura ahnte schon etwas, doch irgendwie wünschte sie sich, die Beiden würden jetzt dafür sorgen, dass sie sich irrte.

„Weisst du, wir hatten Angst, dass du ansonsten nicht mitkommst, dabei ist das heute doch so wichtig. Heute ist die definitive Bekanntgabe des Plans. Und die Takas…“

„…werden natürlich auch anwesend sein. Schon klar“, beendete sie Hinas Satz. Eigentlich sollte sie jetzt sauer auf ihre Freundinnen sein, die sie einfach im falschem Glauben gelassen hatten, damit sie sich hierher begab. Aber irgendwie konnte sie das nicht, weil sie wusste, dass ihre Freunde ihr allesamt nur das Beste wollten. Auf der anderen Seite musste sie sich jetzt schnell darauf einstellen, Sasuke sehen zu müssen, dabei graute ihr davor mehr, als sie es bisher vermutet hätte.

Die drei Mädchen begaben sich als letzte in die Bar hinein, wo schon ein ziemliches Getümmel an Leuten herrschte. Sakura ertappte sich schnell dabei, wie sie versuchte, möglichst niemandem in die Augen sehen zu müssen. Nur Konan grüsste sie mit einem kurzen Kopfnicken und einem wohl mehr schlecht als rechten Lächeln. Aber mehr brachte sie nicht zu Stande. Ihr fiel auf, dass auch die Takas sich eher distanziert von ihr hielten, kein Vergleich mehr zu dem Abend im Rift, als sie die albernen Sprüche fast im Boden versinken lassen hatten.

Sie machten es sich möglichst weit hinten an einem Tisch bequem und Sakura war froh, dass sie im schummrigen Licht etwas in der Menge untertauchen konnte. Vielleicht würde so wenigstens Sasuke keine Notiz von ihr nehmen.

Als sie ihn erblickte wurde ihr schlagartig bewusst, dass alles Bemühen umsonst gewesen war. In den vergangenen Monaten hatte sie es mit viel Kraft geschafft, Sasuke in die hinterste Ecke ihres Kopfes zu verbannen, hatte sich bei jedem Gedanken an ihn sofort wieder abgelenkt und nun war alles für die Katz. Ihn so vor sich zu sehen öffnete sofort und unwiderruflich wieder alle Türen in ihrem Kopf, die sie so verbissen zu schliessen versucht hatte. Es war wie ein Messerstich direkt ins Herz und sie musste kurz die Augen schliessen, um sich wenigstens halbwegs ein wenig ordnen zu können. Viel Zeit blieb ihr nicht, denn die Leader begannen sofort, als alle da waren.

„Also Leute. Wir sind soweit“, fing Naruto an. „Ihr habt ganze Arbeit geleistet und dafür sind wir euch wirklich dankbar. Das Beobachten ist noch besser gelaufen, als wir es uns gedacht haben.“ Ein zufriedenes Murmeln ging durch die Reihen der Anwesenden.

„Bevor ich aber zu unseren Ausführungen komme, möchte ich noch einmal auf etwas Unangenehmeres zu sprechen kommen. Wie ihr wisst hängt schon lange die Vermutung im Raum, dass es unter uns ein Spitzel der Riots geben soll. Ich kann mir das nach wie vor nicht vorstellen, besonders, weil weder HQs noch sonst irgendwas Grosses angegriffen worden ist. Und seit dem letzten verdächtigen Vorfall ist jetzt schon einige Zeit verstrichen und trotzdem wurde mir von so einem beschissenen Riot unterschwellig gesagt, dass bei uns etwas nicht stimmt. Ich kann mir auch vorstellen, dass sie nur Zwietracht säen wollen. Jedenfalls, haltet Augen und Ohren offen. Falls etwas ist, das auch nur ein klein wenig verdächtig ist, kommt zu mir oder Demon. Wobei die Gefahr wohl eher bei den Kuramas liegt, aufgrund der Vorfälle. Und jetzt zum Plan.“

Eigentlich war der Plan genauso ausführbar, wie es schon im Rift vorgesehen war. Der Scheinangriff bei der DDM würde an einem Samstagabend, genauer gesagt dem 25. April stattfinden. Dazu wurden die Inner-Kämpfer strategisch in Gruppen von Outers aufgeteilt, die sie auch leiten würden. Während die Scheinangriff-Truppe startete und die Riot-Inners, die sich jeden Samstag in der DDM breit machten, beschäftigten, starteten die anderen Gruppen ihre Angriffe auf die Stützpunkte und Aufenthaltsorte der Riots, die vor allem von Riot-Outern besetzt worden waren.

Es waren unglaublich viele Infos, die in den letzten zwei Monaten zusammengetragen wurden und oft mit ziemlich viel Risiko geholt worden waren. Kiba zum Beispiel war sogar in den Güterbahnhof eingedrungen und hatte sich dort einige Gespräche der Riots anhören können, jedoch wäre er um ein Haar erwischt worden. Solche Aktionen waren zwar sehr gefährlich, aber der Ertrag daraus konnte sich sehen lassen. Durch das Belauschen dieses Gespräches hatte er sogar noch einen weiteren, den Gangs bisher unbekannten Stützpunkt ausmachen können. Aber auch die Anderen hatten sich nicht auf die faule Haut gelegt und nebst Stützpunkten waren auch beliebte Aufenthaltsorte entdeckt worden, an denen sie sich sogar an bestimmten Tagen in der Woche aufhielten. Kurz und gut: Phase 1 des Planes war ein voller Erfolg gewesen und bot ihnen tolle Voraussetzungen für das Gelingen der zweiten Phase.

Die Einteilung der Anführer sah wie folgt aus:
 

DDM, Scheinangriff: Demon, Sniper, Weapon, Ripper

Güterbahnhof: Dog, Lioness, Redhead,

Glade’s: Fangs, Angel, Sandman

Stützpunkt Zwölfte, altes Lagerhaus: Big Fox, Tamer, Bug

High Skies Club (East): Blue, Pain

Unter grosser South-Brücke: Lee, Womanizer

Stützpunkt Kellergeschoss West: Jashinist, Monster
 

Es war schon interessant, was ihre Leute alles über die Riots herausgefunden hatten. Unter der Brücke zum Beispiel, dealten sie jeden zweiten Abend mit Drogen. Sie gaben den Junkies das Zeug zu Spottpreisen, verlangten dafür aber, dass sie als Informanten für sie tätig wurden. Auf der Glade’s andererseits, hingen fast täglich irgendwelche Riots herum, die nichts Besseres zu tun hatten. Glück für sie. Und der High Skies Club war nebst der DDM einer der berühmtesten Clubs der Stadt, also war es eigentlich nichts Besonderes, dass sich dort viele Riots die Nächte um die Ohren schlugen.

Für jeden einzelnen Ort gab es einen speziellen Plan zum Ablauf mit genauen Zeitangaben. Schliesslich konnten sie ja nicht einfach in den High Skies Club hineinmarschieren und ein Battle beginnen, deshalb mussten sie zuerst hinaus gelockt werden. Also brauchte es für jeden Ort ein anderes Vorgehen. Auch dabei hatten sich die Jungs selbst übertroffen: Sie schienen wirklich an alles gedacht zu haben. Die Banden waren in dementsprechend guter Laune und tranken allesamt noch etwas. Die Zusammenarbeit funktionierte inzwischen ziemlich gut und die Gangs hatten ihre Differenzen für diese wichtige Sache beiseite legen können.

Sakura jedoch, zog es aus der Bar hinaus, möglichst weit weg von Sasuke. Als sie aufstand und unauffällig zur Hintertür hinausgehen wollte, bemerkte sie urplötzlich Sasukes Blick in ihre Richtung. Vorsichtig drehte sie den Kopf und musst feststellen, dass er sie tatsächlich anschaute. Aber nicht wütend oder so emotionslos, wie sie es kannte, nein. Sein Blick war fragend. Nicht an sie gewandt, es sah eher so aus, als ob er sich selbst gerade eine Frage stellte. Aber warum sah er sie denn dabei so an?

Hastig verschwand Sakura durch die Hintertür aus der Bar, während sie immer noch diesen Blick auf ihrer Haut spürte. Wie sie das jetzt einordnen sollte, wusste sie nicht. Konnte ja auch ein dummer Zufall gewesen sein, denn sie wusste aus eigener Erfahrung, dass man ziemlich lange jemanden anstarren konnte, ohne es zu merken, wenn man nachdachte.

Wie auch immer, es hatte sie einmal mehr aus der Fassung gebracht.
 

Die Takas verabschiedeten sich bereits gegen halb neun Uhr. Beste Freunde waren die Gangs nach wie vor nicht und deshalb bestand auch nicht das Bedürfnis, miteinander bis in die späten Abendstunden herumzuhängen. Darüber war Sakura mehr als nur froh, nicht weil sie die Takas nicht mochte, sondern einfach wegen Sasuke.

Einige Kuramas gesellten sich ebenfalls nach draussen zu ihr, da die Nächte inzwischen schon ziemlich viel lauer waren, als sie es noch vor drei Monaten zu pflegen getan hatten. Es war unglaublich gemütlich und erinnerte schon richtig an die Zeiten vor dem Krieg, die schon Lichtjahre entfernt zu sein schienen. Konnte es sein, dass damals irgendwie alles so viel simpler gewesen war? Jedenfalls war es mehr als nur angenehm, auf der Mauer zu sitzen, einfach wieder diesen vertrauten Gesprächen zu lauschen, zu lachen und sich nicht allzu viele Gedanken über das Morgen machen zu müssen.

Wahrscheinlich wären sie noch lange so dagesessen, wenn nicht auf einmal ein Motorrad von der Strasse her zu hören gewesen wäre. Die Maschine wurde vor dem Toad’s abgestellt und Sakura wäre am liebsten unsichtbar geworden, als sie sah, wer da zurückgekommen war. Schnurstracks kam er auf die Gruppe zugelaufen, ohne sich gross darum zu scheren, was sie dachten.

„Demon? Ist was passiert?“

Sasuke schüttelte nur den Kopf und blieb vor ihnen stehen. „Sakura?“

Sakura zuckte richtiggehend zusammen und in ihrem Kopf begann das Blut wie ein Sturzbach zu rauschen. Was wollte er denn jetzt von ihr?

„Was?“, brachte sie knapp hervor. Eigentlich war es total umsonst gewesen, dass Naruto den Anderen nichts von dem Vorfall vor einigen Monaten erzählt hatte, denn aufgefallen war ihnen die neue Distanz zwischen ihr und Demon bestimmt. Und auch ihr Verhalten in diesem Moment trug nicht gerade dazu bei, die Differenzen zwischen ihnen versteckt zu halten.

„Ich brauche mal deine Hilfe.“ Rau. Direkt. Ohne grosse Emotion. Es klang ganz nach ihm.

Worin um Himmels Willen brauchte er denn ihre Hilfe? Das war das Erste, was Sakura sich fragte und schlagartig fiel ihr ein, dass sie sich eher fragen sollte, warum er die Frechheit besass, nach all dem Geschehenen hier aufzutauchen und sie um Hilfe zu bitten. Aber irgendwie empfand sie überhaupt nicht so. Natürlich hatte sie nichts von dem vergessen, was passiert war, aber er wirkte aufrichtig.

Naruto sah das aber ganz und gar nicht so. Gerade als er seinem Ärger Luft machen wollte, wies ihn Sakura mit einer sanften Handbewegung dazu an, das ihr zu überlassen.

„Worin denn?“, fragte sie leise

Er fixierte sie mit einem seiner durchdringenden Blicke. Manchmal bildete sie sich ein, er versuche damit, in ihren Kopf hineinzusehen, um zu wissen, was sie dachte. „Sage ich dir nachher.“

„Sag’s jetzt!“, sagte Kiba herausfordernd. „Wir können das bestimmt alle hören.“ Demon bedachte ihn mit einem dieser Blicke, mit denen er ganze Massen zum Schweigen bringen konnte, wenn er wollte. „Ich habe nicht mit dir gesprochen.“

Jetzt sah er sie erneut fragend an. Sakura befand sich, wie schon so oft in letzter Zeit, mitten in einem inneren Dilemma. Einerseits wusste sie, dass sie ihm das was er getan hatte auf keinen Fall einfach so durchgehen lassen konnte. Einfach so tun, als wäre nichts geschehen, das ging gar nicht. Der blaue Fleck war zwar inzwischen nicht mehr zu sehen, aber die Erinnerung blieb hart und unwiderruflich in ihren Kopf bestehen. Andererseits schrie sie etwas förmlich an, hier nicht zickig zu spielen und mit ihm zu gehen. Vielleicht war es das was sie brauchte, um mit ihm endlich richtig abschliessen zu können. Ja, vielleicht war das die Chance, das alles irgendwie bereinigen zu können und die wollte sie nicht verpassen. Denn so weiterleben, wie bisher, nur halblebendig, das wollte sie unter gar keinen Umständen. Diese Möglichkeit zu verpassen, war eigentlich gar keine Option. Zudem musste es ihm wichtig sein, denn Demon bat normalerweise niemanden um Hilfe, wirklich niemanden. Schon gar nicht vor seinen Feinden. Das hier musste etwas Grösseres sein.

Ehe sie es sich versah, war sie von der Mauer hinuntergesprungen und hatte ihre Handtasche geschnappt. Die Gesichter der Anderen sprachen für sich, waren sie doch voller Misstrauen, besonders Narutos und Inos. Hinata hingegen nickte ihr unauffällig zu. Sie verstand

„Cherry!“, rief Naruto bestimmt. „Willst du das wirklich?“ Er gab sich alle Mühe, sich zurück zu halten und Sakura verstand das. Wenn sie Naruto wäre, dann würde sie nicht anders reagieren, schliesslich war er dabei gewesen, als es passierte. Gerne hätte er aus Sasuke rausgequetscht, wohin er mit Sakura wollte und wozu er denn ihre Hilfe brauchte, aber er wusste, dass es nicht seine Angelegenheit war. Er hatte aufgehört, sich einzumischen, um Sakuras Willen und nicht zuletzt, hatte er ihr versprochen, den Vorfall geheim zu halten. Würde er hier zu argumentieren beginnen, wüssten alle schnellstens Bescheid.

„Ja, Naruto. Mach dir keine Sorgen. Ich werde mich bei dir melden.“ Etwas resigniert nickte Naruto. „Mach das bitte.“

„Und bei mir auch“, bat Ino und sah sie eindringlich an. Ihre Freundin machte sich genauso grosse Sorgen, wie Naruto. Sie nickte und schenkte ihren Leuten ein Lächeln, obwohl ihr nicht wirklich danach zu Mute war. Schliesslich war sie hier die Unruhigste von allen. „Werde ich, versprochen. Bis bald, Leute.“ Die Kuramas verabschiedeten sich von ihr und man merkte ihnen mehr als nur ein bisschen an, dass ihnen ganz und gar nicht wohl bei der Sache war.

Aber Sakura musste das jetzt tun. Sie ging an Sasuke vorbei, nur um gerade noch einen ziemlich mit Energie geladenen Blickwechsel der beiden Leader zu sehen. Danach drehte Sasuke sich ebenfalls um und folgte ihr zu seiner Yamaha, die er vorne an der Strasse geparkt hatte. Auf der schwarzen Maschine lag ein schwarzer, abgewetzter Rucksack, der in Sakura nun tausend neue Fragen hervorrief. Wozu denn das?

„Wohin gehen wir?“; fragte sie vorsichtig und blieb vor dem Gefährt stehen. „Otogakure.“ Gerade wollte sie weiter darauf eingehen, aber da klingelte es bei „Otogakure“ in ihrem Kopf. Das war dort, wo Sasuke aufgewachsen war. Warum genau er dorthin wollte, wusste sie nach wie vor nicht, aber sie beschloss, dass es besser war, nicht zu fragen.

„Wie lange haben wir bis dorthin?“, erkundigte sie sich stattdessen.

„Eineinhalb bis zwei Stunden. Hast du ein Problem damit, draussen zu schlafen?“ Sie schüttelte den Kopf. Es war erstaunlich warm für April und sie wollte das hier auf keinen Fall abbrechen, obwohl draussen eigentlich nicht unbedingt ihr bevorzugter Schlafplatz war. Aber sie war ja keine Puppe.

„Wir fahren zuerst zu dir, da kannst du einige Sachen holen. Rechne mit einem Tag, mehr nicht“, meinte er und setzte sich auf das Motorrad. „Könntest du den Rucksack nehmen? Sonst hast du ein bisschen wenig Platz.“ Sie tat wie geheissen und schwang sich hinter ihn, worauf er losfuhr. Eigentlich sollte sie ihn auf die vergangenen Ereignisse ansprechen, aber irgendwie schien es der falsche Zeitpunkt. Ja, sie glaubte, dass es ihr möglich war, das alles für die Zeit zu vergessen, in der er nun einmal ihre Hilfe brauchte.

Was ihre Tante dazu sagen würde, wusste sie nicht. In diesem Fall würde sie Tsunade wohl oder übel anlügen müssen, denn sie in Sorge zu wissen, würde sie nur beunruhigen. Die Fahrt durch die hereinbrechende Nacht war wie immer berauschend. Mit ihm zu fahren war immer etwas ganz anderes, als mit jedem anderen Fahrer, den sie bisher hatte erleben dürfen.

Bald erreichten sie Sakuras Block, wo sie absprang und hastig die Treppe hocheilte, während Sasuke unten wartete. Ihre Tante sass vor dem Fernseher und schaute sich irgendeinen Actionfilm an. „Sakura! Na, wie war die Besprechung?“

Also hatte sogar ihre Tante davon gewusst? Nun, dann kam sie sich wenigstens nicht ganz so schlecht vor, wen sie ihrer Tante jetzt eine Ausrede auftischte. Sakura versuchte so normal wie möglich zu klingen, was sich leider als erstaunlich schwierig herausstellte. „Gut, der Plan steht. Nächste Woche findet die Sache statt.“ Sie verschwand in ihrem Zimmer und riss ihre Umhängetasche aus dem Schrank hervor, die sie normalerweise in der Schule dabei hatte und schmiss all das Schulzeug auf ihren Schreibtisch

„ Ach ja, Ich schlaf heute und morgen bei Ino, okay?“, rief sie laut, sodass Tusnade es hören konnte. Schnell packte sie saubere Unterwäsche und ein frisches T-Shirt hinein, die Jeans, die sie trug musste hinhalten. Dazu kam ihr Portemonnaie, ihr Handy und ein Hausschlüssel, so wie ein Beutel mit Pflastern und Schmerztabletten – man wusste ja nie. Für den Fall, dass ihren Hosen etwas zustiess, packte sie noch ein paar Leggins ein, die waren nicht so platzraubend wie Jeans.

„Natürlich, Mäuschen. Ich arbeite morgen sowieso länger.“ Sakura schlüpfte in einen etwas dickeren Pullover und begab sich schnurstracks ins Bad, wo sie Deo, Zahnbürste und Zahnpasta, sowie eine Haarbürste und einige Haargummis einpackte. Einen Kajalstift liess sie auch mitgehen.

„Okay, aber übernimm dich nicht, ja?“

„Keine Sorge, ich mach das schon!“, rief Tsunade aus dem Wohnzimmer.

Ach, ihre liebe Tante. Wie sie es hasste, sie anzulügen, aber in diesem Fall war es das Beste. Himmel, sie selbst war eigentlich kein Fan solcher spontaner Aktionen, aber bei dieser hier war es anders. Sie wollte unbedingt mit Sasuke mitgehen und dabei sollte Tsunade sich keine Sorgen machen müssen.

Mit Sasuke konnte ihr nichts passieren – es sei denn, die Gefahr ging von Sasuke selbst aus. Aber daran wollte sie jetzt auf keinen Fall denken.

In der Küche füllte sie eine Flasche mit Wasser und warf noch einige Getreideriegel in ein Seitenfach, dann schnappte sie sich die vollgefüllte Tasche und schlüpfte in ihre bequemsten Sneakers. An der Garderobe hing ihre Frühlingsjacke aus faserpelzartigem, hellgrauem Stoff und schlüpfte hinein. So würde sie auf dem zugigen Motorrad nicht frieren.

Hastig gab sie ihrer Tante einen Kuss auf die Wange. „Ciao, Tsunade und schlaf schön!“ „Gleichfalls, Mäuschen und viel Spass!“ Und damit schloss sie die Wohnungstür hinter sich. Das war ja gut gegangen.

Unten an der Tür stand Sasuke und rauchte, schmiss die Zigarette aber sofort weg, als er sie kommen sah. „Alles klar?“ Sie nickte.

„Na dann los.“

Damit begann die Reise. Eigentlich wusste Sakura nicht wirklich, was sie da gerade machte und noch weniger, warum sie es überhaupt machte. In sich spürte sie aber das starke Gefühl, dass sie das Richtige tat.

Bald liessen sie das West und später auch die Vororte hinter sich, bis sie endlich aus der Stadt raus waren und Konoha sich selbst überliessen. Wenn sie genau überlegte, dann war es lange her, seit sie zum letzten Mal die Stadt verlassen hatte und ganz ehrlich? Es fühlte sich gut an. Sie hatte die früheren Jahre ihres Lebens in einer kleinen Ortschaft verbracht und hatte sich deshalb nie wirklich mit dieser hellen, lauten Stadt identifizieren können. Und trotzdem war Konoha das Beste, was ihr je passiert war, denn mit Konoha kamen auch ihre Freunde und Tante Tsunade. Aber es war nicht schlecht, endlich einmal aus dieser rauen und hektischen Stadtwelt hinauszukommen. Was sie in dem Moment von Sasuke denken sollte, war ihr selbst nicht klar, doch sie gab die Hoffnung nicht auf, ihre Antworten bald finden zu können. Leugnen konnte sie nicht, dass sie die gemeinsame Fahrt richtiggehend genoss.

Es fühlte sich fast an wie früher, als noch kein blauer Fleck und böse Worte zwischen ihnen gestanden hatten. Aber gäbe es eine Möglichkeit, die Zeit zurückzudrehen, dann hätte sie das sowieso schon längst getan.
 

Knapp zwei Stunden zuvor. Karin beobachtete durch seine offene Zimmertür, wie Sasuke hastig irgendwelche Sache in einen Rucksack packte. Natürlich konnte sie eins und eins zusammenzählen, aber dass er sich doch so schnell dazu entschlossen hatte, wunderte sie doch ehrlich gesagt schon ein bisschen. Wie auch immer, wichtig war, dass er es tat. Es wäre wirklich schön, wenn ihm das irgendwie helfen würde. Und jetzt war der Moment, denn niemand wusste, wie er nach diesem ersten Rückschlag auf den Beinen sein würde, besonders Demon, der ja mit ihr für den Scheinangriff eingeplant war und sich somit nicht nur mit den Riots, sondern auch mit den Bullen zu tun haben würde.

Kurzerhand beschloss sie, in der Garage auf ihn zu warten, damit sie noch ihre Neugier stillen konnte.

Etwa eine Viertelstunde später kreuzte er tatsächlich in der Garage auf. Karin hatte es sich auf der alten Hobelbank bequem gemacht und lehnte sich gegen die bereits bröckelnde Wand.

„Na, konntest du dich dazu aufraffen?“ Er sagte nichts, die Frage war auch eher rhetorisch gemeint gewesen, denn Offensichtliches musste man ja nicht noch beim Namen nennen.

„Und Pain hast du das Zepter in die Hand gedrückt?“

„Sniper, ich bin doch nicht bescheuert, natürlich hab ich das. Er hält die Klappe und du gefälligst auch!“

„Jaja, schon gut“, meinte sie und winkte ab.

Er seufzte. „Ach, was bilde ich mir ein, du kannst ja eh nichts für dich behalten.“

Karin grinste. „Richtig erkannt. Aber ich gebe mir trotzdem ein bisschen Mühe, okay?“ „Reizend“, brummte er, während er seine Mühle startklar machte.

„Gehst du jetzt etwa alleine dorthin?“, fragte sie neugierig.

„Voraussichtlich nicht.“

Sofort wusste sie, was das bedeutete. Die Begleitung stand fest, aber sie liess sich nichts anmerken.

„Alles klar. Aber bau keine Scheisse, ja? Irgendwann gibt die Chancen-Bank auch dir keinen Kredit mehr.“ Er sagte nichts, aber das musste er auch nicht. Sie wusste, wann ihre Worte bei ihm ankamen und wann nicht. Dieses Mal hatten sie ihr Ziel erreicht.

Als Sasuke dann den Motor startete und per Knopfdruck das Garagentor öffnete, sprang Karin von ihrer Hobelbank runter und umarmte ihn einfach ganz ungefragt, ohne dass er sie wegstiess. Das war ein Privileg, das lange Zeit nur sie gehabt hatte, aber Zeiten änderten sich. Leider.

„Mach’s gut. Ich hoffe, du findest was du suchst“, sagte sie leise und versuchte sich nicht anmerken zu lassen, dass es ihr wehtat, ihn einfach so ziehen zu lassen.

„Bis bald, Sniper.“

Er liess sie los und gab Gas. Ehe sie es sich versah, war er aus der Garage verschwunden. Auf dem Weg zu ihr.

„Bye bye“, flüsterte sie und versuchte mit aller Kraft, den Schmerz in ihrem Herzen auszublenden. Das war nun wirklich nichts, was ihr wehtun sollte. Nicht ihr. Und trotzdem schmerzte es höllisch. Die plötzlich eingekehrte Stille in der Garage war erdrückend, jedoch nicht so erdrückend, wie das langsam aber sicher einkehrende Wissen, dass sie ihm nie mehr nahe sein würde. Das war endgültig vorbei.

An der Tür zum HQ tat sich was und im nächsten Moment trat Suigetsu ins Licht der Neonröhren an der Decke. Ihm konnte sie nichts vormachen, das wusste sie bereits, als sie sein Gesichtsausdruck sah.

„Er gehört mir, Fangs oder?“, murmelte sie leise, mehr zu sich selbst. Suigetsu schenkte Karin nur einen mitfühlenden Blick und schüttelte den Kopf.

„Er gehört mir…“, flüsterte sie, wie wenn es helfen würde, diese Worte immer wieder zu wiederholen, um die Realität irgendwie zu verändern. Langsam sank sie in die Knie und spürte, wie ihr die Tränen über die Wangen liefen.

Suigetsu kniete sich wortlos neben sie hin und drückte sie sanft an sich. „Du bist eben auch nicht aus Stein, Karin. Auch wenn du das immer allen weis machen willst.“

Das Haus mit den blauen Läden

Wie ein seidenes Sternentuch lag der Nachthimmel über ihnen, ruhig und leuchtend, während sie die nahezu leeren Landstrassen entlang brausten. Es war anders, als in Konoha und seiner Umgebung. Hier durchschnitt die Strasse die Landschaft nicht einfach so, sondern wandte und schlängelte sich mit ihr, ohne sie in irgend einer Weise zu zerstören. Zwischen den Ortschaften lagen oft mehrere Kilometer Land, das grösstenteils von Wäldern oder Feldern überzogen war und somit einen starken Kontrast zu der dicht bebauten Stadt und Stadtumgebung darstellte.

Sakura war schon froh, dass sie sich so dick angezogen hatte, denn wenn es dunkel wurde, dann sanken die Temperaturen schon ein wenig tiefer, besonders bei dem Fahrtwind auf dem Motorrad.

Während sie so hinter ihm sass, hatte sie viel Zeit, um ihre Gedanken zu ordnen. Sie erinnerte sich, wie er sie vorhin im Toad’s mit diesem Blick gemustert hatte und jetzt wusste sie auch, warum. Es war kein blosser Zufall gewesen, nein, er hatte über genau dieses Vorhaben hier nachgedacht. Und darüber, ob er sie mitnehmen sollte oder nicht.

Gerne hätte sie gewusst, was ihn dazu veranlasst hatte, mitten in der Woche an einem Abend so spontan zu seinem alten zu Hause aufzubrechen. Aber für Fragen blieb noch genug Zeit. Und die würde sie stellen, denn dazu hatte sie schlicht und einfach das Recht. Nachdem er sie so schlecht behandelt hatte und sie ihm trotzdem kompromisslos ihre Hilfe angeboten hatte, schuldete er ihr eigentlich alle Antworten, die sie dazu haben wollte. Und irgendetwas sagte ihr, dass er diese Schuld auch ohne grossen Widerstand begleichen würde.

Er musste einen Grund haben, warum er ausgerechnet sie auf diese, für ihn bestimmt sehr wichtige Reise mitnahm. Ungeachtet dessen, was vor einigen Monaten geschehen war, wollte sie ihm immer noch helfen, seine Vergangenheit und den Tod seines Bruders zu bewältigen. So etwas konnte sie nicht einfach abhaken.

Es gab viel zu sagen, aber sie wusste nicht, inwiefern sie bezüglich seiner groben Art ihr gegenüber an ihn rankommen würde. Aber das war jetzt nichts, worüber sie sich den Kopf zerbrechen wollte.

Am besten war es jetzt, die nächtliche Fahrt und die frische Luft hier draussen zu geniessen. Zudem brauchte es schon ein wenig Konzentration, nicht müde zu werden, denn inzwischen war es sicher bereits halb elf und der Tag war lang gewesen. Die Führung ihres kleinen Ausflugs - wenn man es denn so nennen konnte - überliess sie voll und ganz Sasuke. Sie hatte ja nicht einmal eine Ahnung, wo genau sie sich gerade befanden.

Inzwischen waren sie bestimmt bereits mehr als eine Stunde unterwegs, das schätzte sie jedenfalls. Auf der Fahrt durch diese ruhige, fast schon entspannende Nacht, hatte sie vollkommen ihr Zeitgefühl verloren.

Aber nicht nur bei ihr gewann die Müdigkeit langsam die Überhand, sondern auch bei Sasuke.  Bald spürte sie, dass er langsam abbremste und die Strasse über einen Kiesweg verliess. Bei genauerem Hinsehen führte der Weg sie zu einem einsamen Baum auf einer kleinen Anhöhe, unter der eine Bank stand. Rund um sie herum befanden sich nur Felder und etwas entfernt eine kleine Scheune, die vermutlich für landwirtschaftliche Fahrzeuge da war. In der Ferne erkannte Sakura die Lichter des nächsten Ortes.

Sasuke hielt neben der Bank an und meinte. „Bis nach Oto sind es doch noch einige Kilometer mehr, als gedacht. Geht das für dich, hier zu schlafen?“

Sakura nickte. Ehrlich gesagt war es sogar ziemlich verlockend, unter dieser Sternendecke, auf einer Anhöhe, irgendwo zwischen Konoha und Oto zu schlafen. „Kein Problem.“

„Gut. Hier stört das keinen.“

Sie stiegen ab. Die Atmosphäre war schon etwas speziell, aber inzwischen war Sakura so müde, dass sie sich darüber keine Gedanken mehr machen wollte. Sasuke wies ihr mit einer Handbewegung, dass sie sich auf die Bank legen solle. Er selbst schien kein Problem damit zu haben, mit dem Rucksack als Kopfkissen auf dem Boden zu schlafen.

„Schreibe Naruto, dass alles okay ist. Ich will keinen Ärger mit ihm“, sagte er. Er klang weder kalt noch herzlich. Irgendwie sachlich, aber es war okay so.

Um diese Erinnerung war sie jetzt mehr als nur froh, hätte sie doch diese SMS glatt vergessen. Sie tippte eine SMS, in der stand, dass es ihr gut geht und sie sich keine Sorgen zu machen brauchen. Die Nachricht schickte sie dann gleich an Ino und Naruto, wobei sie aber nicht verlauten liess, wo sie war.

Nun machte sie es sich auf der Bank bequem und  nahm dabei auch ihre Tasche als Kopfkissen. Sie hätte im Moment wahrscheinlich überall schlafen können, so schwer waren ihre Glieder inzwischen geworden.

„Geht das so für dich?“, fragte er rau.

„Natürlich.“

„Dann gute Nacht.“

„Gute Nacht.“

Ein knapper Dialog, aber mehr hatte sie auch nicht erwartet. Die Situation war mehr als nur verzwickt.  Und jetzt war definitiv der falsche Zeitpunkt, um lange Gespräche zu beginnen. Das konnte bis morgen warten.

 

Angenehmes Vogelgezwitscher weckte Sakura am nächsten Morgen sanft aus ihren wirren Träumen. Als sie die Augen öffnete, musste sie sich zuerst einmal wieder orientieren und stellte fest, dass sie tatsächlich mit Sasuke auf dieses kleine Abenteuer aufgebrochen war. In ihrem Traum hatte sie ihn zum Teufel geschickt und dabei ein ziemlich schlechtes Gefühl verspürt. Wie froh sie darüber war, dass ihr Traum keine Realität geworden war, bestätigte ihr nur einmal mehr, dass sie das Richtige tat.

Langsam wurde sie sich der Umgebung gewahr und merkte, dass Sasuke bereits wach war. Er sass in der aufgehenden Frühlingssonne etwas weiter vorne im Gras und rauchte. Vielleicht war jetzt der Zeitpunkt, herauszufinden, was er in Oto genau vorhatte.

Im Licht des anbrechenden Tages, konnte man viel weiter sehen und es war wunderschön. Der Frühling brachte die ganze Landschaft zum Leuchten. Als sie aufstand, musste sie sich zuerst einmal ausgiebig strecken, so versteift war ihre Rücken- und Nackenmuskulatur. Aber damit hatte sie gerechnet, denn eine Bank war nun einmal kein Bett.

„Guten Morgen“, sagte sie zur Begrüssung, als sie sich neben ihm ins Gras setzte.

„Morgen“, sagte er und schmiss die Zigarette vor sich ins Gras und trat sie aus. Hatte er sie etwa nicht bemerkt? Ansonsten warf er die Zigarette immer dann weg, wenn er sie bemerkte. War er dermassen in Gedanken versunken gewesen? Das passte gar nicht zu ihm, zu jemandem, der immerzu seine Abwehr aktiviert hielt.

Es war ein nahezu ungewohnter Anblick, ihn einmal vor einer anderen Kulisse, als der Stadt zu sehen, aber es war schön. Er wirkte ein kleines bisschen entspannter.

Einen Moment schwieg sie, bis sie sich endlich ein Herz fassen konnte und fragte. „Was hast du in Oto denn eigentlich genau vor?“

Es dauerte einen Augenblick, bis er ihr antwortete, aber das war schon okay so. „Ein paar Dinge sehen, die ich ein letztes Mal sehen will.“

So etwas hatte sie bereits geahnt. Vielmehr stellte sich die Frage, was ihn dazu bewogen  hatte. Sie konnte sich kaum vorstellen, dass das auf seinem eigenen Mist gewachsen war, nichtsdestotrotz fand sie die Idee grossartig. Vielleicht war es ja Konans Idee gewesen?

„Um es abzuhaken“, fügte er leise an.

„Finde ich gut“, meinte sie daraufhin. Warum er sie mitgenommen hatte, traute sie sich irgendwie nicht zu fragen. Das konnten sie später besprechen, schliesslich hatte das noch Zeit. „Und wo willst du als erstes hin?“

„Zum Heim. Das liegt in einer Kleinstadt, zwei Dörfer von Oto entfernt.“ Er stand auf. „Aber nicht lange. Ich hasse diese Anstalt.“

Das verstand sie. Soweit sie wusste, hatten die Jungs im Kinderheim kaum gute Erfahrungen gemacht. Konan hatte ihr damals ja einiges an haarsträubenden Fakten erzählt.

„Okay. Ist es noch weit bis da?“

Er schaute sie prüfend an. „Etwa eine Viertelstunde. Hast du Hunger?“

Sie nickte. Ihre letzte Mahlzeit war das gestrige Abendessen gewesen und das lag ja dann doch einige Zeit zurück.

„Dann lass uns aufbrechen.“

Die beiden machten sich auf, ihre Sachen zusammenzuraffen. Sakura checkte noch kurz ihr Handy, wo sie zwei SMS entdeckte. Eines von Ino und eines von Naruto, beide etwa mit dem gleichen Inhalt: Sie wollten wissen, wo sie war und wie lange sie weg bleib.

Seufzend liess sie das Gerät in ihrer Tasche verschwinden, denn darauf zu antworten hatte sie jetzt ganz einfach keine Lust.

Sie beobachtete Sasuke, wie er sich einen Kaugummi zwischen die Zähne steckte, wahrscheinlich wegen dem vorgängigen Rauchen. Interessant, dass er ihr gegenüber nach wie vor nicht eingestehen wollte, dass er wieder mit dem Rauchen begonnen hatte. Nein, freuen tat es sie nicht, aber bei genauerem Nachdenken wurde ihr auch bewusst, dass sie das eigentlich gar nicht mehr beschäftigen musste. Schliesslich war sie hier, um abzuschliessen und ihm zu helfen, nicht um ihm in seine Angelegenheiten reinzureden.

Sasuke hatte bereits den Motor gestartet, als Sakura hinter ihm auf die Maschine stieg.

Der Morgen war so herrlich frisch, dass Sakura gar nicht genug von diesem wunderbaren Frühlingsduft bekommen konnte, den die blühenden Blumen überall verbreiteten. 

Es war so unglaublich schön hier. Wahrscheinlich wirkte die Sanftheit der Landschaft bei ihr doppelt heftig, weil sie die ganze Zeit über in einer brummenden Grossstadt lebte und dabei fast vergass, wie schön es ausserhalb sein konnte.

Der nächste Ort, den sie erreichten, war wohl besagte Kleinstadt. Iwagakure hiess der Ort, welcher alleine viermal in der Downtown von Konoha Platz gehabt hätte. Auf der Strasse waren nur einige Passanten zu sehen, einige Mütter mit Kinderwagen und ältere Ehepaare, die Einkäufe tätigten oder den angebrochenen Frühling bei einem gemütlichen Morgenspaziergang genossen.

Sasuke fuhr auf den Parkplatz vor einem kleinen Gebäude, das in leuchtenden Buchstaben mit „Sandy’s Diner“ angeschrieben war. Neben dem Diner war ein Teil der Strasse aufgerissen und abgesperrt, jedoch waren weit und breit keine Bauarbeiter zu sehen Es schien perfekt für sie. Nicht zu teuer und vor allem nicht zu herausgeputzt, sodass keiner schräg guckte, wenn man sich auf der Toilette halt kurz einmal die Zähne putzte und frisch machte.

Gemeinsam betraten sie das Diner. Die Uhr zeigte gerade Viertel nach Neun, als sie sich an einen Tisch setzten. Im Raum waren kaum Leute zu sehen, nur einige Bauarbeiter, die bereits ihre erste Pause machten und wahrscheinlich zu der Baustelle direkt neben dem Diner gehörten. Als allererste ging Sakura auf die Toilette, das war jetzt wirklich dringend. Mit Absicht hatte sie gestern Abend nichts mehr getrunken, damit sie auch ja bis jetzt durchielt.

Die beiden beliessen es beim Frühstück bei einigen Brötchen, er trank schwarzen Kaffee, sie Kakao, da sie dieses braune, bittere Gebräu überhaupt nicht ausstehen konnte. Tsunade sagte immer, Kaffeetrinken sei etwas, was man mit der Zeit lerne, aber sie zweifelte, daran, dass es jemals soweit kommen würde.

„Was hast du deiner Tante erzählt?“, fragte er sie unerwartet zwischen zwei Schlucken Kaffee und sie lief rot an.

„Dass ich bei Ino schlafe. Ich glaube, anders hätte sie es mir nicht erlaubt. Seit der Sache der Entführung im letzten Jahr, ist sie noch viel schlimmer geworden, mit ihrer Angst.“

„Verständlicherweise“, ergänzte er.

So miteinander zu reden ging erstaunlich gut. Es schien, als hätten sie stillschweigend die Abmachung getroffen, das Geschehene erst einmal nicht anzuschneiden. Die Zeit dazu würde schon noch kommen.

„Und bei euch ist Pain jetzt vorübergehend der Chef oder wie?“

Er nickte. „Gibt sowieso nicht allzu viel zu tun für ihn. Nur heute muss er zu Oro einige Waffen abholen gehen und mit Big Fox den Kontakt halten. Das ist alles.“

Richtig. Naruto hatte erwähnt, dass sie für die bevorstehenden Battles ihr Waffenarsenal etwas aufstocken wollten. Dafür hatten alle Mitglieder zusammengelegt, denn es galt, alles dafür zu tun, damit dieser Rückschlag ein Erfolg wurde.

Trotz ihrem Protest übernahm Sasuke die Rechnung. Vielleicht glaubte er, zumindest das sei er ihr schuldig? Konnte gut sein.

Bevor sie aber endgültig aufbrachen, suchten die beiden die Toiletten auf damit sie sich die Zähne putzen konnten. Sakura hatte schon vorhin, als sie sich hier die Hände gewaschen hatte, dass sie einfach nur furchtbar aussah und jetzt versuchte sie das Beste daraus zu machen. Ihre Haare kämmte sie sorgfältig band sie zusammen und mit etwas kaltem Wasser erfrischte sie sich das Gesicht. Naja, es ging ja nicht darum, hier irgendwem zu imponieren und trotzdem nervte sie sich. Ino zum Beispiel, sah auch frisch aus dem Bett entschwunden immer noch hübsch aus und sie selbst erinnerte dabei mehr an einen Höhlenmenschen.

Wie auch immer, mehr als etwas Kajal unter die Augen, konnte sie jetzt nicht tun. Bevor sie da Bad verliess, ging sie noch einmal auf die Toilette und verliess dann das Diner, wo Sasuke schon bei seiner Maschine wartete.

„Alles okay?“, fragte er und sie nickte bestätigend.

„Lass uns zu diesem Heim gehen.“

Eben besagtes Heim befand sich nur knapp fünf Minuten von hier entfernt und war ein grosses, altertümlich gebautes Backsteinhaus, das von einer Mauer, ebenfalls aus Backstein, umgeben war. Es erinnerte schon fast klischeehaft an ein Waisenhaus aus Film und Fernsehen, jedoch wirkte es richtig freundlich. Die Fensterscheiben der oberen Stöcke waren allesamt mit Scherenschnitten und anderer Dekoration geschmückt.

Aus dem Innenhof war lautes Kindergeschrei zu hören und als sie das offene Tor erreichten, sahen sie auch den Ursprung des Lärms. Der gepflasterte Innenhof war voll mit spielenden, lachenden Kindern, die allesamt zufrieden aussahen.Es gab einen kleinen Spielplatz mit Rutsche, Schaukeln und einem grossen Sandkasten, Massen an Spielzeugen wie kleinen Tretautos und Steckenpferden, Schaufeln und Eimer für den Sandkasten und viel Weiteres. Die Mauern waren an den Innenseiten von Kinderhand angemalt worden und zeigten wunderbar farbige Landschaften, Muster, Tiere und Menschen. Es war richtig schön.

Neben dem Eingangstor aus Eisen hing ein Schild auf dem stand: „Ein zu Hause mit Sonnenschein – Iwagakure Kinderheim“

Sasuke hielt vor dem Tor an und starrte ziemlich ungläubig in den Hof hinein. „Wenn ich es nicht besser wüsste, dann würde ich sagen, dass wir hier am falschen Ort sind.“

Es schien sich also einiges verändert zu haben, seit er das letzte Mal hier gewesen war.

„Wir hatten damals ausser ein paar alten Puppen und kleinen Spielzeugautos nichts zum Spielen. Und so herumrennen wie die durften wir schon gar nicht.“

Sie konnte ihm förmlich anhören, wie viele Erinnerungen bei dem Anblick des Gebäudes  und der Kinder in ihm hochkamen.

„Es muss sich einiges verändert haben, seit ihr hier wart, was?“

„Mhm.“ Er konnte sich gar nicht sattsehen an dem ganzen Innenhof. Wahrscheinlich verglich er das Bild vor seinen Augen gerade intensiv mit dem in seinem Kopf, welches er jahrelang immerzu bei dem Gedanken an das Heim gesehen hatte.

Gerade, als sie etwas sagen wollte, löste sich seine Starre ur und er sagte schroff: „Ich fasse es nicht.“

Sakura hätte gerne widersprochen, jedoch verstand sie es. Ja, ehrlich gesagt stellte sie sich wohl gerade dieselben brutalen Fragen wie er: Wäre alles anders gekommen, wenn dieses Heim schon zu Sasukes und Itachis Zeit so gewesen wäre?

 

Orochimaru war ein Versicherungsvertreter, wie er im Buche stand – jedenfalls im Telefonbuch. Wenn er vordergründig sein Büro am Rande des West im West Village betrieb, drehte er eigentlich im hinteren Teil des Gebäudes, der Garage, krumme Geschäfte.

Drei weitere Leute arbeiteten für ihn, aber ganz bestimmt nicht in seinem Büro, sondern überall in der Stadt, wo man gut Ware verticken konnte und deshalb war es komisch, als es Kidomaru war, der Naruto und Tenten heute in dem grossen Büroraum empfing.

„Dich sieht man hier ja nicht grad oft.  Was machst du hier?“, fragte Naruto und sah sich um.

„Den Mist vom Boss. Der ist gerade in der Gruft beschäftigt, sollte aber jeden Moment bereit für euch sein“, brummte Kidomaru und tippte irgendwas in den Computer vor sich ein, während der seine Füsse auf Orochimarus zerkratztem Schreibtisch ruhen liess. Die Gruft war der Ort, an dem der zwielichtige Geschäftsmann einen grossen Teil seiner Ware lagerte.

Keine zwei Sekunden später klingelte das Telefon vor Kidomaru, welcher abnahm. „Ja, schon klar, Boss.“

Und schon hatte er wieder aufgehängt und meinte genervt: „Also, ihr könnt nach hinten gehen. Euch muss ich ja den Weg nicht mehr erklären.“

Die beiden taten wie geheissen. In der Tat waren ihnen Oros Räume vertraut. Zu Gangs hatte er schon immer ein ganz spezielles Verhältnis gehabt. Schliesslich verdiente er an ihnen seit Jahren gutes Geld und hatte somit eine relativ zuverlässige Einkommensquelle. Nicht, dass er das heute noch nötig hatte, denn Geld machte er inzwischen auch mit anderen Kunden mehr als genug, aber früher, in seinen Anfangsjahren, waren die Gangs seine wichtigsten Kunden gewesen. Das war kurz vor dem Ende von Jiraiyas Zeit als Gangleader gewesen.

Im Flur stiessen sie die Verbindungstür zur Garage auf, die auf den ersten Blick auch gar nicht einmal verdächtig aussah. Das lag daran, dass Oro seine Ware in einem verstecken Kellergeschoss unterhalb der Garage lagerte. Der Raum war fensterlos und dunkel, einige schummrige Glühbirnen spendeten gerade mal noch genug Licht, damit man nicht über die eigenen Füsse stolperte. Hinten stand Oros Mahagoni-Schreibtisch, an dem eine etwas stärkere Lampe brannte. Und dort sass er, wie eh und je. Langes schwarzes Haar, violetter Kaschmiranzug, blasser Teint  und ein schleimiges Grinsen im Gesicht.

„Na, ihr Schlingel?“ Orochimaru war bekannt dafür, dass er rauchte wie ein Kamin und das war keineswegs eine Untertreibung. Er war nicht jemand, der sich einfach so auf das Niveau von klassenlosen Strassengangstern herabliess und stattdessen grossen Wert auf stilvolles Auftreten legte. Genau deshalb rauchte er auch keine herkömmlichen Zigaretten, wie man sie an jedem Kiosk kaufen konnte. Er inhalierte am liebsten den Rauch edelster Zigarren.

Naruto schenkte ihm nur ein knappes Kopfnicken. „Oro.“

„Na, na, sind wir heute schlecht gelaunt, mein lieber Big Fox, Anführer der zweitstärksten Gang in Konoha? Sich den Platz mit den Takas teilen zu müssen ist doch ganz schön mühsam, nicht wahr?“ Er sagte das federleicht und in einem so provozierenden Ton, dass Naruto sich schwer zusammenreissen musste.

„Wo ist die Ware?“

„Hast du es denn so eilig, mein liebes Goldköpfchen?“

„Ja“, antwortete er trocken. „Aber nur, weil ich nicht länger als nötig mit dir in einem verqualmten Raum sein will.“

Orochimaru hob eine Augenbraue und grinste breit. „Darf ich euch auch eine anbieten?“

Er hielt ihnen die Zigarrenschachtel auffordernd hin. „Edelste kubanische Zigarren, meine Kinder. Die kosten mehr, als ich für euch beide auf einem Sklavenmarkt bekommen würde.“

Er lachte selbstgefällig über seinen lahmen Witz. Geschmackloser Humor war eines der Markenzeichen des Gangsters.

„Erhol dich mal wieder“, brummte Naruto. „Wo ist jetzt das Zeug?“

Seufzend drehte Orochimaru seine Zigarre auf einem überquillenden Aschenbecher aus, der mindestens so teuer aussah, wie die Zigarren selbst.

„Setzt euch doch erst einmal. Willst du mir vielleicht noch sagen, warum du heute so ein unangenehmer Gast bist?“ Immer noch grinste er schleimig. Tenten musste schon wegsehen, so sehr ging ihr das auf die Nerven.

„Vielleicht, weil du einer halbstarken Gang letzten Winter Sprengstoff verkauft hast?“

„Waaaas?“, sagte er mit einem überraschten Unschuldslächeln im Gesicht, das so gestellt aussah, dass man es ihm schon fast wieder abkaufte. „Wie kommst du denn darauf, dass ich ihnen C4 aus den Händen meines guten Freundes Sergeant Clint aus der Armee verkauft haben sollte?“

„Du bist so ein Arschloch, Oro“, knurrte Naruto sauer und begann, ungeduldig mit den Fingern auf dem Schreibtisch herum zu trommeln. „Also warst du es tatsächlich.“

„Geschäft ist Geschäft und Gangs sind Gangs. Da mache ich keinen Unterschied. Und das weisst du.“

Wütend schlug Naruto mit der Faust auf den Tisch, sodass Tenten zusammenzuckte. „Schon mal was von Respekt gehört? Respekt gegenüber denjenigen, ohne die du niemals zu dem geworden wärst, was du heute bist?!“

„Ohne mich würdet ihr Gangs euch wahrscheinlich noch gegenseitig mit Steinen bewerfen, mein junger Big Fox.“ Es schien ihn nicht im Mindesten zu kratzen, was Naruto gerade gesagt hatte.  Sein Tonfall blieb locker und unangenehm freundlich, als ob sie hier gerade ein gemütliches Kaffeekränzchen abhalten würden.

„Irgendwelchen Möchtegern-Gangs einfach so Sprengstoff zu verkaufen“, fluchte Naruto vor sich hin. „Du hast sie ja nicht mehr alle!“

„Wie gesagt, Geschäft…“

„Von wegen! Wie viel Kohle haben dir diese Typen dafür denn geboten?! Ich bin doch nicht bescheuert, um Sprengstoff zu besorgen muss man schon einen grösseren Aufwand betreiben! Das hat dich bestimmt einige Mühen gekostet!“ Naruto dachte nicht daran, sich auch nur ein bisschen zu beruhigen.

„Nun, sie haben mir geholfen, einige neue Kunden an Land zu ziehen. Indem sie Stoff vertickt haben zum Beispiel.“ Oro erhob sich schwungvoll und in dem Moment schoss seine kleine Hausschlange Jeanette aus der Tasche seines violetten Kaschmir-Sakkos hervor und züngelte Naruto bedrohlich an. Irgendwie sah der Besitzer ein bisschen aus, wie sein Tier. Wie eine Schlange halt.

„Ich hab doch keine Angst vor deinem blöden Vieh, Oro“, meinte er nun ziemlich verärgert. „Und jetzt bring mir endlich das Zeug!“

Orochimaru seufzte. „Big Fox, wenn ich dir Angst machen wollte, dann würde ich dir meine neueste Errungenschaft unter die Nase halten. Eine nagelneue, goldene Desert Eagle. Unverkäuflich, falls es dich interessiert.“

Damit ging er schwungvoll in die andere Ecke des Raumes und wies ihnen an mitzukommen. Dort standen bereits zwei unscheinbare Holzkisten, in denen die von Naruto angeforderte Ware bereits auf sie wartete.

„Na, also.“ Naruto öffnete die Kisten und begutachtete deren Inhalt. In der einen fanden sich Gewehre, in der anderen Messer und einige Pistolen. Das sah gut aus. Dann konnten sie die ältesten Dinger im HQ einmal entsorgen und ersetzen.

„Tenten, würdest du die Sache schnell prüfen? Dann geb‘ ich Oro die Knete und wir verduften hier endlich.“

Tenten nickte. Das war der ganz einfache Grund, warum Tenten so gut wie immer mitkam. Ihr ausserordentlich gutes Gespür und Wissen über Waffen war unheimlich praktisch.

 „Geht klar.“

Naruto übergab Orochimaru das Geld, dieser rieb sich zufrieden die Hände. „So gefällt mir das.“

„Alles in Ordnung, Big Fox. Die Ware ist gut“, rief Tenten aus der Ecke und Naruto meinte zufrieden: „Dann lass und verschwinden.“

„Aber, aber, soll ich Kidomaru rufen? So eine Last zu eurem Auto zu tragen ist doch nichts für eine Lady, meine Hübsche“, meinte er und grinste sie mit seinem Schleim-Lächeln an.

Tenten bedachte ihn mit einem genervten Blick. „Ich kann gar nicht in Worte fassen, wie sehr du mich manchmal anekelst. Ist nicht jede Frau aus Porzellan, okay? Nur weil deine Betthäschen allesamt solche Puppen sind.“

Dann schnappte sie sich die Kiste, hob sie hoch und verliess die Garage.

„Da hast du es, Oro. Und tschüss!“ Damit hatte auch Naruto die Garage verlassen.

„Richte Kurama-Flame einen schönen Gruss aus und dass sie wie immer umwerfend ist!“, rief Oro ihm noch hinterher, doch Naruto antwortete nicht mehr. Kopfschüttelnd blieb der Dealer zurück und steckte sich erneut eine Zigarre an.

„Die Jugend von heute. Immer in Eile. Nicht wahr, Jeanette?“

Naruto war tierisch über Orochimaru verärgert. Normalerweise brachte der Typ ihn nicht derart auf die Palme, aber in letzter Zeit lagen seine Nerven sowieso blank.

Als sie die Kisten schnell in das Auto eingeladen hatten und losfuhren meinte Tenten nur: „Die Seele dieses Typen ist ja noch schwärzer, als seine Lunge. Hätte nicht gedacht, dass das möglich ist.“
 

Ein paar Schritte vom Heimeingang entfernt, setzte sich still Sasuke auf eine Bank und starrte vor sich in die Leere. Erst wusste sie nicht, ob sie ihn einfach in Ruhe lassen oder irgendetwas sagen sollte, aber sie entschied sich dann doch, sich zu ihm zu setzen.

Tja, was sagte man denn in so einer Situation? Kopf hoch, das Leben ist nun mal unfair? Wohl kaum.

„Die Vergangenheit ist nun einmal geschehen, Sasuke. Auch wenn es nicht gerecht ist, aber ich glaube du hast mehr davon, wenn du dich für diese Kinder freust“, sagte sie vorsichtig und hoffte, dass sie nicht total altklug und verständnislos klang. „Weisst du, ich glaube, eigentlich ist das hier doch ein gutes Zeichen. Hier hatte das Schlechte zu deiner Zeit die Überhand, aber es hat sich nicht durchgesetzt. Das zeigt doch, dass schlechte Dinge von den guten vertrieben werden. Und das ist doch gut, nicht?“

Himmel, sie hoffte, dass sie sich hier nicht zu weit aus dem Fenster lehnte. Er sagte nichts und das beunruhigte sie zusehends. Natürlich hatte sie nicht vergessen, wie unberechenbar er war. Besonders in den letzten Tagen hatte er ihr das mehr als nur schmerzhaft bewiesen und deshalb fürchtete sie seine Reaktion immer mehr, je länger sie auf sich warten liess.

„Deine Art zu denken ist manchmal echt zu nett. Aber das ist schon gut so.“ Er sagte das nicht spöttisch oder herablassend, sondern eher feststellend.

Sakura atmete auf. „Naja, das kann schon sein. Nur, dass du das nicht falsch verstehst, fair ist es keineswegs, dass ihr es nicht so gut gehabt habt, wie diese Kinder hier. Aber wäre es nicht viel schlimmer, wenn das Heim jetzt noch so wäre, wie damals?“

„Da hast du schon Recht.“ Er stand auf. „Lass uns gehen.“

Keine zwei Minuten später befanden sie sich auf dem Weg zu ihrem eigentlichen Ziel: Otogakure. Weit war es nicht mehr, es dauerte ungefähr noch eine halbe Stunde, bis sie das Ortschild erreichten. Vielleicht bildete sie es sich nur ein, aber sie glaubte tatsächlich, zu fühlen, wie Sasuke sich richtiggehend verspannte, als sie kurz nach Mittag in das Dorf einfuhren.

Sie nahm an, das Sasuke zuerst ihr altes Haus ansteuerte. In dieser Vermutung bestätigt wurde sie dadurch, dass er je länger je mehr unter der Geschwindigkeitsbegrenzung fuhr, was für ihn eher untypisch war. Er hatte Angst und zwar gewaltige, aber zugeben würde er das sowieso nicht.

Oto war kleiner als Iwagakure und irgendwie auch noch einmal einen Ticken gemütlicher. Ein richtiges Dorf halt. Bald erreichten sie einige Quartierstrassen, die in Sakura eine gewisse Sehnsucht nach einem solchen Leben hier auslösten. Es sah so ruhig, gemütlich und einladend aus, die Häuser waren schön, die Gärten gross und vor allem war hier kein bisschen Stress spürbar, so wie es in der grauen, lauten Grossstadt ein Dauerzustand war.

Sasuke schien nach wie vor genau zu wissen, wohin er musste, obwohl es nun schon einige Zeit her war, seit er diese Strassen hier entlang gelaufen war.

Am Ende einer kleineren Strasse, auf der linken Seite, stand ein weiss verputztes Haus mit blauen Fensterläden und einer genauso blauen Tür, zu der eine kleine gepflasterte Treppe hinaufführte. Es hatte eine kleine Garage und einen gepflasterten Vorplatz, auf dem unter einer Buche ein silbergrauer Hyundai geparkt war. Die Fenster waren mit Blumenkisten geschmückt und auch an der Hausmauer entlang verliefen mehrere Blumenbeete, die jetzt im Frühling allesamt aufblühten. Ein Gartenzaun mit Tor war an der linken Seite des Hauses angebracht und vierhiess, dass es wahrscheinlich auf der Rückseite des Hauses noch einen Garten geben musste. Dass Sasuke hier anhielt, hiess wohl, dass sie angekommen waren. Dann musste dieses hübsche Haus also sein ehemaliges zu Hause sein.

Vorsichtig stieg sie vom Motorrad und begutachtete weiterhin das Haus, während sie Sasuke unauffällig beobachtete.

„Ist es das?“, fragte sie leise und er nickte. Die Erinnerungen mussten ihn in diesem Moment nur so überfluten, schliesslich gehörte das hier zu dem Teil seines Lebens, in dem er glücklich ein behütetes Leben hatte führen dürfen. Und wahrscheinlich vermisste er seinen Bruder gerade noch viel mehr. Wie sie sich wünschte, ihm irgendwie helfen zu können.

Hinter dem Haus waren Stimmen von Kindern zu hören, vermutlich lebte hier inzwischen eine Familie. Das Haus war perfekt dazu.

Wahrscheinlich tat es Sasuke unendlich weh, zu wissen, dass hier jetzt eine Familie wohnte, die eigentlich genau das Leben führte, welches ihm und seiner Familie grundlos genommen worden war. Ein Leben, das sie genauso verdient hatten, wie alle anderen.

„Es sieht noch fast genauso aus wie früher…nur waren die Läden und die Tür grün und  in den Beeten andere Blumen“, murmelte er, mehr zu sich selbst, als zu ihr.

Gerne hätte sie etwas gesagt, jedoch spürte sie, dass jetzt jedes Wort fehl am Platz gewesen wäre.  Er musste das hier alles erst einmal aufnehmen.

Ein lauer Wind strich Sasuke einige Haarsträhnen aus der Stirn, so als ob das Universum wollte, dass er sich das hier ganz genau ansah. Vielleicht würde es ihm helfen, das hier endlich hinter sich zu lassen, in dem er es noch einmal sehen konnte und nicht nur die dunklen Erinnerungen aus seiner Kindheit bestimmten, wie er sein ehemaliges zu Hause verinnerlichte.

Es waren fast zehn Minuten verstrichen, als sich auf einmal abrupt die Haustür öffnete  und ein kleines Mädchen mit dunkelbraunen Zöpfen kichernd hinausgerannt kam und hastig die Stufen hinunterlief, gerade mal so schnell, dass es nicht stolperte und hinfiel. Es schien Sasuke und Sakura gar nicht zu bemerken, als es zum Gartentor hinlief. Im nächsten Moment erschien ein ebenso braunhaariger Junge an der Tür, der aber ein kleines bisschen älter zu sein schien. Auch er lachte ausgelassen, als er ziemlich viel schneller als das Mädchen die Stufen hinuntersprang, sie schlussendlich am Gartentor einholte, packte und im Rasen sanft zu Boden warf.

„Gewonnen!“, schrie der Junge ausgelassen und das Mädchen kicherte noch viel lauter und fröhlicher, als zuvor.

„Das ist gemein, Hiro, du bist sowieso viel schneller als ich!“, rief es, leicht trotzig, aber nicht im Mindesten wütend.

„Musst halt noch etwas wachsen!“, meinte der Junge dazu und liess das Mädchen los. Bevor Sakura Sasuke etwas von dem ganzen wegziehen konnte, trat nun auch eine Frau zur Tür hinaus „Shina! Takahiro! Es ist Zeit!“ Die Mutter der beiden hatte langes braunes Haar und trug einen hübschen, frühlingsfarbenen Rock und eine dazu passende Bluse. Die Kinder verschwanden immer noch lachend und ohne sich zu beschweren im Haus.

Sakura wollte nicht, dass man sich über sie ärgerte, schliesslich war es ja nicht normal, zehn Minuten lang einfach so ein Haus anzustarren. Deshalb war sie im Begriff, mit Sasuke etwas ausser Sichtweite zu gehen, jedoch war es dazu bereits zu spät.

„Guten Tag!“, rief die Frau erstaunlich freundlich in ihre Richtung und kam langsam auf sie zu. „Kann ich Ihnen helfen?“

Sakura war sich aus der Stadt eigentlich vorwiegen unfreundliche oder gereizte Leute gewohnt, aber die Frau klang überhaupt nicht irgendwie vorwurfsvoll oder so, sondern im Gegenteil – hilfsbereit.

Sakura musste sich jetzt schnell überlegen, was sie der Frau sagen sollte. Sie konnte ihr ja schlecht erzählen, warum sie wirklich hier waren, aber ihr war klar, dass sie hier am besten redete, denn Sasuke war vermutlich in Gedanken immer noch ziemlich weit weg.

„Nein, nein, wir…haben uns nur ihr Haus angesehen, im Vorbeigehen. Ein wirklich schönes Haus.“ Das war vielleicht nicht die beste Ausrede, aber immer noch besser, als gar keine.

Die Frau lächelte warm. Sie hatte ein so freundliches Gesicht, dass Sakura auf einen Schlag überhaupt keine Sorgen mehr darum machte, dass diese Frau ihr Auftauchen hier falsch interpretieren würde.

„Vielen lieben Dank dafür! Mein Mann und ich sind vor acht Jahren hierhergezogen. Ihr Kompliment freut mich wirklich sehr, denn lange gab es da Stimmen, die anderes laut machten.“ Sie seufzte. „Das Haus hat eine unangenehme Vorgeschichte, wissen Sie.“

Sakura musste sich Mühe geben, ihre Überraschung im Zaum zu halten. Diese Frau wusste von der Sache? Auch Sasuke schien inzwischen wieder da zu sein, denn er spannte sich zusehends an.

„Ach wirklich?“ Das klang wahrscheinlich nicht halb so überrascht, wie sie es erhofft hatte. Bevor sie etwas anderes fragen konnte, wich der Blick der Frau zu Sasuke ab. Ja, Sasuke war auch nicht eine Erscheinung, die man so jeden Tag traf. Es war schwierig zu sagen, aber ihm sah man einfach an, dass er kein Durchschnitts-Zwanzigjähriger war. Sein Gesicht sprach Bände, sein Tattoo zog schon ab und an einige Blicke auf sich und seine Lederbändchen, die er um die Handgelenke gewickelt hatte, waren auch etwas Spezielles. Zudem war er auch einfach hübsch. Sein schwarzes Haar sah wild aus, jedoch keineswegs zerzaust oder sonst irgendwie unvorteilhaft, sein Gesicht war markant und gleichmässig und seine dunklen Augen hatten etwas Hypnotisches. Und wahrscheinlich entgingen einem Beobachter auch die mehr oder weniger feine Narbe oberhalb seines Auges nicht, welche er sich letztes Jahr zugezogen hatte.

Kein Wunder, dass die Frau ihn erst einmal musterte. „Und was führt euch junge Leute hier in die Gegend? Wohne Sie in Otogakure?“

Sakura schüttelte den Kopf. „Nein, wir sind auf... auf der Durchreise und wollten uns etwas die Beine vertreten.“

„Ach, wie schön, dann haben Sie Ferien?“

Sakura und Sasuke nickten bekräftigend. Himmel, Sakura hoffte, dass sie ihnen das abkaufte. Die Frau liess sich zwar nichts anmerken, aber irgendwie hatte Sakura das ungute Gefühl, dass die Frau sich nicht so einfach für dumm verkaufen liess. Aber das hier musste sein, denn Sasuke würde wohl kaum wollen, dass sie hier und jetzt seine gesamte Geschichte preisgab.

Auffordernd streckte sie ihr nun die Hand hin. „Das freut mich. Ich bin Ami Iwasawa, aber nennt mich bitte Ami. Wenn ihr etwas benötigt für eure Weiterreise, dann sagt es ruhig.“

Sakura gab ihr freundlich die Hand. „Ich bin Sakura. Vielen Dank, aber das wird nicht nötig sein.“

Dann streckte sie Sasuke die Hand hin, welcher ebenfalls einschlug. „Sasuke.“

Jetzt hielt Ami  ganz plötzlich inne, ohne seine Hand loszulassen. Ihre braunen Augen musterten ihn nun noch ausgiebiger, diesmal sah es mehr aus, als versuchte sie jemanden in ihm zu erkennen, als dass es um sein Aussehen ging.

Sasuke schaute Ami etwas unverständlich an und schien nicht recht zu wissen, was er davon jetzt halten sollte.

„Sasuke sagtest du?“, fragte sie noch einmal, als wollte sie sich von etwas vergewissern. Er nickte nur verwirrt.

„Aber… nicht per Zufall Sasuke Uchiha, oder?“

Das warf Sasuke jetzt verständlicherweise völlig aus der Bahn und er zog seine Hand zurück, bevor er zwei Schritte rückwärts machte.

Ami hob beschwichtigend die Hände, jedoch wirkte sie nicht mehr halb so entspannt wie noch eine halbe Minute zuvor. „Also doch…es tut mir leid, ich wollte dich nicht erschrecken, Sasuke… es ist nur…wie soll ich dir das sagen… wir warten schon so lange darauf…“  

Ami hielt sich die Hand vor den Mund und schüttelte immer wieder ungläubig den Kopf. Sakura verstand inzwischen gar nichts mehr. Ami kannte Sasuke?

„Haru! Haru, bitte komm hieher!“, rief Ami plötzlich in Richtung Haus und als keine Antwort kam rief sie noch einmal lauter, bemüht, dass ihre Stimme nicht versagte. „Haru! Komm! Er ist da! Er ist tatsächlich gekommen!“

Von der offenen Haustür her hörte man, wie jemand eine Treppe hinunterrannte. Keine zehn Sekunden später erschien ein Mann Mitte dreissig im Türrahmen und blieb dort stehen, um sich das ganze erst einmal anzusehen. Doch schon nach kurzer Zeit starrte er Sasuke genauso ungläubig an, wie seine Frau. „Heilige Mutter Gottes.“

Und bevor es sich Sasuke versah, umarmte ihn Ami ungefragt, aber herzlich und voller Wärme. Er jedoch schien nicht die Kraft zu haben, auf all das zu reagieren, ja, er schien noch viel weniger zu verstehen, was eigentlich los war, als Sakura.

Unsicher erwiderte er halbpatzig die Umarmung, aber sein perplexer Blick über Amis Schulter verriet genug darüber, was er dachte und fühlte.

Er verstand gar nichts mehr.

Die verlorenen Jungen

Es war wahrscheinlich selbstverständlich, dass Sasuke und Sakura in dieser Situation nicht ganz folgen konnten. Ami hatte Sasuke inzwischen wieder losgelassen, aber ihre Augen glänzten verdächtig.

Haru, ihr Mann stand inzwischen auch neben ihnen und grinste übers ganze Gesicht.

„Darf ich fragen, was hier eigentlich los ist?“, fragte Sakura vorsichtig und Ami nickte, immer noch überwältigt.

„Es tut mir wirklich leid, Sasuke. Ich hoffe, du hältst mich jetzt nicht für verrückt. Darf ich es dir erklären?“

Sasuke nickte langsam, immer noch ziemlich verwirrt.

„Dann kommt doch bitte rein, wenn das für dich geht, Sasuke. Ach ja, das hier ist mein Mann, Haru.“

Haru schüttelte den Beiden die Hand. Er schien mit seinem breiten Lächeln und dem freundlichen Tonfall mindestens genau so nett wie Ami zu sein.

Sasuke schien schon etwas Mühe zu haben, das Haus einfach so zu betreten. Durch die Tür zu gehen, durch die seine ganze Familie Tag ein Tag aus gegangen war. Aber er tat es, denn auch ihn trieb vermutlich die Neugier.

Sakura blieb dicht bei ihm, einfach weil sie nicht wollte, dass er sich alleine fühlte. Im Haus betraten sie einen kleinen Flur mit einer Garderobenstange, an der einige Erwachsenen- und Kinderjacken hingen, unterhalb befand sich gleich ein Schuhregal mit geschätzt fünfzehn Paar Schuhen. Von hier aus konnte man sogleich ins Wohnzimmer sehen, welches einige grosse Fenster hatte, die zum Garten führten. Links nebendran konnte Sakura einen Blick in die moderne Küche erhaschen, rechts führte eine Treppe aus hellem Holz in den zweiten Stock hinauf. Von dort her hörte man, dass eines der Kinder duschte und das Andere sich gerade irgendein Kinderhörspiel anhörte. Das Haus war im Allgemeinen sehr freundlich und hell gebaut, es hatte viele Fenster und vorwiegend weisse Wände, an denen einige passende Bilder mit Landschaften und anderen Motiven hingen.

Da kam Sakura natürlich nicht umhin, sich zu fragen, wie das Haus zur Zeit der Uchihas ausgesehen hatte. Es musst sich ganz schön verändert haben.

Ami und Haru führten sie ins Wohnzimmer, das auf der linken Seite auch gleich als Esszimmer diente. Die Beiden schienen wahrlich Geschmack für Inneneinrichtung zu haben, denn die Möbel und das ganze Ambiente passten wirklich gut und verlieh dem Raum eine angenehme Wirkung. Was ihr sofort auffiel, war ein braunes Klavier in der hinteren Ecke.

Sasuke musterte den ganzen Raum, die Einrichtung und auch den Garten. Selten hatte sie ihn mit so grossen Augen gesehen und noch seltener in so einer Umgebung wie dieser.

Ami und Haru liessen ihm Zeit, sich umzusehen. Es mussten wahnsinnig viele Erinnerungen sein, die das aller hier hervorrief, wahrscheinlich sogar etliche Sachen, die Sasuke längst vergessen hatte. Ami und Haru beobachteten ihn dabei schweigend und Sakura hätte gerne auf der Stelle gewusst, warum die beiden Sasukes Namen kannten und wieso um Himmels Willen sie zu verstehen schienen, warum er so reagierte.

„Setzt euch ruhig“, sagte Haru nach einer Weile und holte Sasuke so aus seinen Gedanken hierhin ins Wohnzimmer zurück. Die Beiden taten wie geheissen, jedoch sah man wohl besonders Sasuke an, dass er sich nicht besonders wohl fühlte.

Ami und Haru setzten sich ihnen gegenüber hin und schienen selbst ziemlich nervös zu sein. Sakura hatte gar nicht bemerkt, dass Ami vorhin kurz in der Küche verschwunden war und ihnen je ein Glas Wasser hingestellt hatte.

„Kann mir jetzt mal einer sagen, was hier läuft?“ Sakura war erstaunt, dass sich Sasuke zu Wort meldete, jedoch klang er eiskalt und abweisend. Er war wieder vollkommen auf Abwehr eingestellt, aber das war verständlich.

„Sasuke, hör zu. Ich erzähle dir das Ganze jetzt von Anfang an“, begann Ami. „Als wir vor einigen Jahren auf der Suche nach einem Haus waren, stiessen wir auf eine Ausschreibung hier in Oto. Die Immobilienagentur machte einen seriösen Eindruck und als sie uns dieses Haus hier vorschlugen, freuten wir uns, es zu besichtigen. Und es gefiel uns. Genau das war es, was wir uns vorgestellt hatten. Als wir die Maklerin fragten, warum es denn zwei Jahre leer gestanden hatte, aber mehr als dass es sich um Renovierungsarbeiten gehandelt habe, konnte sie uns nichts sagen. Wir dachten uns nicht allzu viel dabei.“ Sie nahm einen Schluck aus ihrem Glas. Sie schien aufgeregt zu sein.

„Als wir hier eingezogen sind, waren wir sehr zufrieden damit. Da der Garten ziemlich verwildert war, gab es einiges zu tun und wir brachten es richtig auf Vordermann. Tapezierten neu, gestalteten es vollkommen nach unserem Geschmack. Eigentlich war alles gut, bis wir einige Leute hier im Quartier kennenlernten. Diese erzählten uns dann die Geschichte, die uns die Maklerin vorenthalten hatte.“ Sie seufzte. „Die Geschichte von deiner Familie Sasuke. Man erzählte uns, dass eure Eltern durch einen entlaufenen, psychisch Kranken ermordet wurden und dass du und dein Bruder danach in ein Heim gebracht wurden. Und von da an behaupteten einige spitze Zungen, dass dieses Haus Unglück bringe. Dass in diesem Haus immer noch Seelen lebten, die keine Ruhe fanden und solchen Blödsinn.“

Jetzt meldete sich Haru zu Wort. „Es war nicht so, dass wir das glaubten. Aber die Geschichte deiner Familie beschäftigte uns so sehr, dass Ami nicht selten Mühe hatte, einzuschlafen. Sie erzählte mir oft, dass sie ständig daran denken müsse, wie ihr hier gelebt habt und wie es wäre, wenn das Schicksal deiner Familie eine andere Wende genommen hätte. Und mir ging es nicht wirklich anders. Wir hatten grosse Mühe, uns damit abzufinden. Und dazu kontaktierten wir die Maklerin, um uns über die mangelhafte Aufklärung zu beschweren. Die Frau kam sogar extra bei uns vorbei, um das mit uns auszudiskutieren. Wir waren natürlich wütend, schliesslich hat man bei einem Kauf, besonders so einem grossen, ein Recht auf alle Informationen, die etwas am Entscheid ändern könnten. Die junge Maklerin hörte sich unsere Beschwerden ruhig an und schien ziemlich verständnisvoll zu sein. Als sie dann zu Wort kam, sagte sie aber etwas, womit wir nicht gerechnet hatten.“
 

„Mr. und Mrs. Iwasawa, es tut mir leid, dass ich Ihnen diesbezüglich etwas vorenthalten habe. Ich verstehe, dass Sie wütend sind und biete Ihnen hier und jetzt sogleich an, den Kauf rückgängig zu machen. Jedoch möchte ich Sie auch gerne über meinen Standpunkt aufklären. Seit zwei Jahren suche ich nun schon nach einem geeigneten Käufer für dieses schöne Haus und leider war ich nicht erfolgreich. Von so vielen Interessenten, die es am Anfang gab, ist bisher jeder abgesprungen und zwar aufgrund seiner Vorgeschichte. Ich weiss, dass das keine Rechtfertigung für die Unterschlagung dieser Information ihnen gegenüber ist. Jedoch spürte ich seit ich dieses Haus hier zu vertreten begonnen habe, dass ich einen Käufer finden muss. Nicht wegen dem Geld, sondern seinen früheren Bewohnern zu liebe. Diese Familie verdiente jemanden, der sich von nun an richtig um ihr Haus kümmerte. Mich nahm diese Geschichte damals auch sehr mit, müssen Sie wissen und ich wollte meinen Teil dazu tun, diese Menschen in Ehren zu halten. Als ich Sie beide gesehen habe, da wusste ich, dass Sie in dieses Haus passten und ihm neues Leben einhauchen, ihm einen würdigen Neuanfang schenken konnten. Die Angst davor, dass sie abspringen würden, war zu gross, als dass ich mich dazu überwinden konnte, Ihnen die ganze Geschichte zu erzählen. Ich dachte, wenn Sie das Haus erst einmal gerne gewonnen haben, dann würde es nichts ausmachen, wenn Sie das alles von den Nachbarn erfahren. Ich war naiv und möchte mich an dieser Stelle noch einmal in aller Form entschuldigen. Wenn sie den Kauf also rückgängig machen möchten, dann können wir hier und jetzt gerne die Formalitäten besprechen.“
 

Haru grinste und griff nach Amis Hand. „Und darauf sagte Ami, dass sie ihre Blätter gleich im Aktenkoffer lassen könne und wir das Haus behalten.“

Ami strahlte noch heller, als ihr Mann. „Die Maklerin hatte genau die richtigen Worte gefunden. Sie brachte zuerst mich und dann auch Haru dazu, umzudenken. Warum sollten wir uns durch vergangenes Leid runterziehen lassen und nicht versuchen, daraus wieder etwas Gutes zu machen?“

Ein Seitenblick zu Sasuke verriet Sakura, dass er genauso gebannt zuhörte, wie sie.

„Und wir behielten das Haus, all denen zu Trotz, die uns davon abrieten. Das Interesse an der Geschichte deiner Familie, Sasuke, wuchs zusehends und wir versuchten so gut wie möglich, mehr darüber rauszubekommen. Wir wollten mehr über unsere Vorgänger erfahren. Im Fundus der Gemeinde waren einige der Möbel und Gegenstände noch vorhanden, die einst zur Einrichtung des Hauses gehört hatten. Unter anderem auch das alte Klavier dort drüben und Fotos …“

Sasuke war vom Kopf bis in die Zehen gespannt wie ein Bogen. An seinen geballten Fäusten traten schon die Knöchel weiss hervor und Sakura wusste nicht, wie sie ihn beruhigen konnte. Ganz langsam liess sie ihre Hand unter dem Tisch nach drüben wandern und tippte die seine kurz an, damit er merkte, dass er nicht alleine war.

Sie wusste nicht ob es wirklich half, aber wenigstens lockerte er dadurch seine Hände. Leider traf sie im nächsten Moment gleich wieder die Erkenntnis, dass sie solche Sachen nicht machen sollte. Es war wichtig, dass sie sich wenigsten ein bisschen auf Distanz von ihm hielt, ansonsten würde es niemals einfacher werden, in seiner Anwesenheit zu sein.

„Da waren Fotos von dir und deiner Familie.“ Ami beobachtet Sasuke immerzu prüfend, um nicht etwas zu sagen, was das Fass zum Überlaufen brachte, denn seine Anspannung war nicht nur für Sakura seh- und spürbar. „Wir nahmen sie mit zu uns, nachdem wir das Okay dazu bekommen hatten und schauten sie uns an. Immerzu fragten wir uns, was wohl aus euch beiden Kindern geworden war, doch als wir nach einem Jahr endlich den Mut fassten, das Heim zu kontaktieren und nach euch zu fragen, wurde uns gesagt, dass es nach einem Ausbruch von mehr als zehn Kindern von den Behörden ins Visier genommen und kurz darauf geschlossen worden war.“

In Sakuras Kopf fügten sich langsam aber sicher einige Puzzleteilchen zusammen. Dann war der Grund dafür, dass das Heim heute in diesem neuem Glanz erschien also der Ausbruch gewesen, den Itachi und Sasuke angeführt hatten. Ansonsten hätte das Heim in dieser schlimmen Form vielleicht noch einige Jahre weiterbestanden.

„Sag uns, Sasuke, waren du und dein Bruder bei diesem Ausbruch dabei?“, fragte Haru vorsichtig.

Sasuke brauchte einen Moment, um Worte zu finden, aber antwortete dann gegen Sakuras Erwartung erstaunlich gefasst. „Wir haben ihn angezettelt.“

Haru und Ami schauten ihn zuerst etwas ungläubig an, doch dann mussten sie lachen.

„Ich weiss, es ist nicht zum Lachen“, meinte Haru daraufhin. „Aber wir haben uns euch einfach genau so vorgestellt.“

Sakura lächelte. Den Beiden so zuzuhören und zuzuschauen war einfach angenehm. Es fühlte sich nicht gezwungen an, nein, im Gegenteil, sie waren frisch und lebensfreudig und das steckte sie irgendwie an.

„Jedenfalls“, fuhr Ami weiter. „Haben wir uns damals versprochen, dass wir uns um das Haus kümmern. Immerzu in der Hoffnung, dass einer von euch eines Tages einmal zurückkommt und sehen kann, dass man euch nicht vergessen hat. Dass euer Haus noch steht, in guten Zustand ist und wieder Menschen einen schönen Ort zum Leben gibt. Das klingt kitschig, aber für uns war es wie eine Aufgabe. Auch als Takahiro und später Shina zur Welt gekommen sind, haben wir das nie vergessen.“

Sie schenkte Sasuke einen warmen Blick. „Und was geschieht heute? Du stehst tatsächlich vor unserer Tür, nach acht Jahren, in denen wir hier wohnten.“

Das war wirklich eine unglaubliche Geschichte. Sakura konnte es kaum fassen, dass die Beiden wirklich immerzu an die Uchihas gedacht hatten, nachdem man hätte meinen können, dass dieser Ort hier längst vergessen hatte, was vor gut zehn Jahren hier in Oto geschehen war.

„Das ist ja unglaublich“, platzte es aus ihr heraus. „Wirklich unglaublich.“

Ami lachte erneut. „Das kannst du laut sagen! Deshalb bin ich euch wahrscheinlich auch vorgekommen wie eine Verrückte vorhin.“

In dem Moment stand Sasuke plötzlich auf. „Ich bin draussen. Erzähl ihnen was sie wissen wollen, Sakura.“ Damit verschwand er aus dem Esszimmer und zur Tür hinaus. Sakura spielte mit dem Gedanken, ihm nachzugehen, aber sie entschied sich dafür, zu bleiben. Er brauchte Zeit zum Denken und Luft zum Atmen.

„Tut mir leid, wenn er etwas forsch ist…“, sagte sie entschuldigen, aber Ami und Haru schüttelten nur beide die Köpfe.

„Wenn man das nicht nachvollziehen kann, dann weiss ich auch nicht. All das hier muss viel für ihn sein“, meinte Haru dazu. „Wir können es ja noch selbst kaum glauben und er nimmt das alles hier mit einer Fassung, die schon fast filmreif ist.“

Sakura seufzte. „Das kann er gut.“

Ami musterte sie aufmerksam. „Bist du seine Freundin, Sakura?“

Sie schüttelte vielleicht etwas zu hastig den Kopf, als das man ihr abkaufte, für Sasuke nichts zu empfinden. „Nein, nein. Wir sind nur Freunde.“

Die Beiden schienen sich bereits ihren Teil davon zu denken und Haru fragte stattdessen: „Ihr seid nicht aus der Gegend oder? Sonst wärt ihr wahrscheinlich schon hier gewesen.“

„Nein, wir sind beide aus Konoha.“

Amis Augen weiteten sich. „Konoha? Der summende Bienenstock?“

Sakura lachte. „Das kann man so sagen. Also ich bin auch nur zum Teil dort aufgewachsen. Für die Oberstufe und später fürs College bin ich zu meiner Tante gezogen.“ Das war jetzt vielleicht nicht die ganze Wahrheit, schliesslich hatte sie vor allem wegen ihren Eltern das Weite gesucht, aber das spielte ja jetzt keine Rolle.

„Und Sasuke? Lebt er bei seinem Bruder?“ Genau diese Fragen waren heikel. Sie musste gut aufpassen, damit sie nicht Dinge sagte, die für Sasuke privat waren. Obwohl er ihr vorhin die Erlaubnis gegeben hatte, zu erzählen, durfte sie das nicht einfach zu locker nehmen. „Erzähl ihnen, was sie wissen wollen“, hiess in seiner Sprache nicht, dass sie hier alles ausplaudern durfte. Aber es gab ihr die Erlaubnis Ami und Haru über die wichtigsten Dinge zu informieren.

„Also, ich will ehrlich zu euch sein. Sasukes Leben war nicht lustig und ist es auch heute noch nicht. Aber ich kann euch nicht alles erzählen, sondern nur das, was ich für okay halte.“ Ami und Haru nickten verständnisvoll. Die Beiden ahnten wohl, dass Sasukes Leben nicht unbedingt ein Zuckerschlecken gewesen war.

„Also eigentlich ist das Ganze ziemlich kompliziert.“ Und dann erzählte Sakura ihnen die Geschichte, so gut sie sie nun einmal wiedergeben konnte. Sie erzählte ihnen von dem Punkt an, als Sasuke und Itachi in die Stadt gekommen waren und sich mit Botengängen für gemeingefährliche Untergrundbosse und Diebstahl durchgeschlagen hatten. Wie sie in jedem Wetter auf der Strasse gelebt hatten. Wie Madara dafür gesorgt hatte, dass sie bei den Takas aufgenommen worden waren, wie schnell sich die Beiden in der Gang einen Namen gemacht hatten und Itachi zum Leader geworden war. Sie war stets darauf bedacht, die Gangs in ein positives Licht zu rücken und dafür zu sorgen, dass Ami und Haru nicht den gängigen Vorurteilen gegenüber Gangs verfielen. Sie gab ihnen zu verstehen, dass die Gangs für diejenigen eine Familie waren, die keine mehr hatten oder sich keiner mehr zugehörig fühlten. Von Sasuke und ihr erwähnte sie aber nichts und schon gar nicht, dass sie zu einer anderen Gang gehörte. Nein, sich selbst liess sie weitgehend aus dem Spiel.

Die beiden Zuhörer hatten gebannt ihren Erzählungen gelauscht und sahen dementsprechend geschockt aus. Besonders Ami schien das alles sehr mitzunehmen. In all den Jahren musste sie zu den beiden Jungen richtiggehend ein unsichtbares Band geknüpft haben, obwohl sie sie nur aus Bildern gekannt hatte.

„Das ist einfach schrecklich…“, flüsterte sie und Haru streichelte ihr beruhigend die Hand.

„Ich habe mir ja schon gedacht, dass die Jungen ein raues Leben hatten, aber dass sie solche Sachen durchmachen haben müssen… und anscheinend gibt es ja in dieser Gang noch viel mehr solche Schicksale“, meinte er und kratzte sich nachdenklich am Kopf.

„Die gibt es. Obwohl ich finde, dass Itachi und Sasuke eines der Schlimmsten erlitten haben.“

„Und Itachi ist immer noch der Gangleader?“

Jetzt schluckte Sakura. Wie hatte sie das nur vergessen können?

„Wegen Itachi… nun, der ist vergangenen Winter in einer Auseinandersetzung zwischen den Gangs gestorben. Sasuke ist jetzt der Leader.“

Jetzt schienen die Beiden wirklich kurz davor zu sein, rückwärts vom Stuhl zu fallen. Ami nahm das alles sehr mit, mehr, als Sakura erwartet hatte, denn sie weinte. Um einen jungen Mann, den sie gar nie richtig gekannt hatte.

„Sakura…ist das wirklich wahr?“, fragte sie unter Tränen und Sakura nickte. Sie musste selbst aufpassen, dass all diese Gefühle sie nicht auch noch übermannten, sie, die doch so nahe am Wasser gebaut hatte.

„Deshalb solltet ihr in Sasukes Nähe nicht von ihm sprechen. Ich weiss nicht, ob er jemals damit klarkommen wird.“

„Moment mal.“ Ami schien unter Tränen etwas einzufallen. „Manchmal kommen in den Nachrichten Berichte über diese Strassenbanden, eigentlich immer dann, wenn wieder etwas vorgefallen ist. Und gerade letzten Winter erinnere ich mich noch an einen, der ziemlich lang war und bei dem berichtet wurde, dass ein ganzes Fabrikgebäude in die Luft gejagt worden ist. War es das?“

Sakura nickte, auch wenn die Erinnerungen an diese verhängnisvolle Nacht sie beinahe erdrückten. „Ich weiss, es scheint in den Augen der Aussenstehenden nicht ersichtlich, warum sich Gangs bekämpfen“, sagte sie leise. „Aber dabei vergessen Menschen oft, dass sie selbst sich niemals auf der Strasse haben durchschlagen müssen. Denn auf der Strasse muss man stark sein, wenn man ein anständiges Leben führen will und sich gegen seine Gegner durchsetzten. Ansonsten stehen die Chancen gering. Hat etwas von der Wildnis. Fressen oder gefressen werden.“

Für Ami und Haru waren solche Dinge Neuland, das sah man ihnen an. Aber das war auch gut so. Niemandem wünschte sie so eine Vergangenheit wie Sasuke, Itachi, Kiba, Naruto und all die anderen sie hatten.

Sie unterhielten sich noch ein wenig mehr über das Leben in Gangs, wobei die Beiden auch sie darüber ausfragten, wie sie in Kontakt mit den Gangs gekommen war. Dabei verschwieg sie aber geschickt, dass sie und Sasuke nicht dieselbe Gang-Zugehörigkeit teilten.

Nach gut einer Stunde erhob sich Sakura. „Ich werde jetzt einmal nach Sasuke sehen und ihn fragen, wie seine Pläne aussehen, wenn es okay ist.“

Haru tauschte einen vielsagenden Blick mit Ami. „Sakura, wo schlaft ihr heute? In einem Hotel?“

Sakura schüttelte den Kopf. „Wissen wir noch nicht. Bei dem Wetter wahrscheinlich unter freiem Himmel, so wie letzte Nacht.“

Ami schien das ganz und gar keine gute Idee zu finden. „Kein Dach über dem Kopf?"

Sakura verneinte abermals. „Das muss euch wirklich keine Sorgen bereiten. Für Sasuke ist das nichts Spezielles und ich habe kein Problem damit.“ Haru schüttelte entschieden den Kopf.

„Gut, dass wir gefragt haben, Ami. Sakura, wir bieten euch gerne unser Gästezimmer an. Schlaft doch heute Nacht hier.“ Sakura fand es ungeheuer nett von den Beiden, dass sie ihnen so ein freundliches Angebot machten, Leuten, die sie kaum kannten. Aber sie wollte niemandem zur Last fallen.

„Das ist doch nicht nötig, wir sind wirklich…“

„Sakura, wir würden uns freuen“, unterbrach sie Ami lächelnd, während sie sich die Tränen aus den Augen wischte. „Bitte seid unsere Gäste.“

Eigentlich gefiel Sakura den Gedanken an ein warmes Bett und ein Dach über dem Kopf, deshalb stellte sie sich nicht weiter quer. Sasuke allerdings, musste sie schon noch fragen. Wer wusste, ob er nicht so schnell wie nur möglich von hier weg wollte?
 

Wie wenn das Universum ihn ärgern wollte, stand heute Nachmittag wirklich jede verfluchte Ampel in dieser verdammt grossen Stadt auf Rot. Als ob er es nicht schon eilig genug hätte.

Nervös tippte Naruto auf dem Lenkrad des schwarzen, bandeneigenen Suzukis herum, bis endlich das erlösende Grün aufleuchtete und er seinen Weg bis zur nächsten Ampel, fortsetzen konnte, die ihm selbstverständlich auch die Durchfahrt wieder verweigerte. Wo war denn die „grüne Welle“ wenn man sie mal brauchte? Gerade vorhin hatte ihn Hinata angerufen, die ziemlich gestresst geklungen hatte. Anscheinend hatten irgendwelche Typen einen kleinen Strassenjungen verprügelt und die gute Hina war auf ihn gestossen. Wie wenn er nicht schon genug um die Ohren hätte, aber er war ja kein Unmensch. Zudem waren alle anderen entweder ausgeflogen oder pennten und er wollte seinen Leuten alle Ruhe gönnen, die sie vor dem grossen Tag brauchten. Da war es auch dumm, zu denken, dass er sich nach dem heutigen Besuch bei Oro etwas entspannen konnte.

Nach einer gefühlten Ewigkeit erreichte er endlich den South District, der eigentlich nur aus Fabriken und Ähnlichem bestand. Er lag nahe am West Village und deshalb auch gerne einmal ein Ort, an dem sich zwielichtige Typen herum trieben.

Hinata hatte ihm genau gesagt, wo sie sich befand und tatsächlich fand er sie in einer leeren Seitenstrasse. Gut so, denn falls die Missetäter zurückkämen, wäre Hinata womöglich auch noch zum Opfer geworden.

Er stellte den Wagen direkt neben ihnen ab und stieg aus. Hinata kniete neben dem dunkelhaarigen Jungen, der etwas mehr als zehn Jahre alt zu sein schien und ziemlich übel aussah.

„Hinata!“, rief Naruto, als er auf sie zuging. „Was ist genau passiert?“

Hinata hatte den Jungen so gut es ihr möglich war verarztet, jedoch war es schon wichtig, dass ihn sich noch jemand vom Fach anschaute.„Tut mir leid, Naruto, ich habe ansonsten niemanden erreicht. Er wurde zusammengeschlagen. Von Riots.“

Naruto kniete sich ebenfalls neben die Beiden. Und sah sich den Jungen an. „Wer bist du?“

Der Junge sah ihn frech an. Naruto musste kein zweites Mal hinsehen, um zu erkennen, dass er ein Strassenkind war. Das erkannte er sofort an der Art wie er sich gab und vor allem, wie er angezogen war.

„Konohamaru“, sagte der Junge und man hörte ihm an, dass er Schmerzen hatte. Sein rechter Wangenknochen war angeschwollen und auch an den sichtbaren Stellen seines Körpers erkannte er einige Blessuren, die teilweise auch bluteten. „Und du bist Big Fox.“

„Ist ja schön, wenn man mich kennt“, brummte Naruto genervt.

„Komm ich jetzt zu euch ins HQ? So richtig in die Gang-Hood?“ Er grinste immer noch, obwohl ihm das alles ziemlich wehtun musste.

Himmel, dieses Kind nervte Naruto schon jetzt. „Werden wir sehen. Und warum haben dich die Typen verprügelt?“

„Weil sie jemanden Kleinen für einen Einbruch brauchten und ich nicht mitmachen wollte. Und dann haben sie gesagt, es sei ihnen zu blöd und da haben sie mich verprügelt.“ Der Kleine bewies hier gerade eine unglaubliche Stärke, jedes andere Kind hätte an seiner Stelle wahrscheinlich geweint oder wäre total geschockt gewesen.

„Ist nicht das erste Mal, dass ich unter die Räder gekommen bin“, meinte er und hielt setzte sich auf, wobei er kurz das Gesicht verzog. Er wollte aber eindeutig nicht, dass man ihm die Schmerzen ansah.

„Komm, Konohamaru, wir bringen dich jetzt zu jemandem, der dir helfen kann“, sagte Hinata warm und versuchte ihn, so gut wie möglich beim Aufstehen zu stützen. „Ich glaube sein Bein ist entweder böse verstaucht oder sogar gebrochen.“

„Warte, lass mich das machen.“ Naruto schob Hinata sanft weg und half Konohamaru zum Auto zu humpeln.

„Voll cool, jetzt sehe ich das Kurama-Hauptquartier!“, rief Konohamaru erfreut aus und Naruto fuhr wütend herum. „Klappe halten und zwar sofort!“

Er wusste auch nicht, warum, aber der Junge ging ihm auf den Wecker. Er war durch und durch Strassenkind, ansonsten wäre seine Reaktion auf das, was ihm gerade passiert war vollkommen anders und genau deshalb nervte er sich. Der Junge schien ihre Gutmütigkeit auch noch völlig als selbstverständlich anzusehen.

„Können wir den Balg nicht einfach ins Krankenhaus bringen?“, fragte er.

Hinata schüttelte den Kopf. „Er möchte das nicht. Sonst komme er in ein Heim, hat er gesagt. Und das will er unter keinen Umständen.“

„Wäre aber besser für dich, Kleiner“, brummte Naruto.

„Wäre aber besser für dich“, äffte ihn Konohamaru ziemlich frech nach und Naruto riss die Autotür auf.

„Du passt besser auf, was du sagst! Und jetzt rein da!“

Konohamaru humpelte hinein und Naruto schlug die Autotür mit voller Kraft zu. „Halbstarker Bengel.“

Hinata stieg auf den Beifahrersitz und verkniff sich das Lachen. „Warst du nicht einmal genau so? Jiraiya hat mir gesagt du hättest die Erwachsenen immer genauso frech angerempelt.“

„Pff…“ Daraufhin wusste er nichts zu sagen. „Ist Tsuna im HQ?“

Hinata nickte. „Und Shizune kommt heute Abend auch noch vorbei, falls nötig.“

„Gut.“ Naruto wusste selbst nicht, warum seine Laune so im Keller war. Wahrscheinlich lag es einfach daran, dass er so viel zu tun hatte und ständig für jeden verfügbar sein sollte. Jetzt auch noch dieses Gör. Aber wenn er in Hinatas Haut gesteckt hätte, wäre er auch nicht einfach vorbeigelaufen. Schliesslich half man den Schwachen, wenn man stark genug war. Das war nur richtig so.

„Verbind ihm die Augen, Hina. Den Weg werden wir ihm bestimmt nicht zeigen.“
 

Sasuke sass auf der Treppe zu der meerblauen Eingangstür und rauchte, als sie aus dem Haus hinaustrat. Die Atmosphäre dieses wunderbaren, warmen Nachmittags, passte so gar nicht zur Sakuras derzeitiger Stimmung. Es war eine Art Hilflosigkeit, die sie verspürte. Was tat man in so einer Situation? Nicht einmal die verständnisvollsten Worte schienen in dieser Situation angemessen zu sein. Was verstand sie schon davon?

Vorsichtig setzte sie sich neben ihn und er machte keine Anstalten, dass er damit ein Problem haben könnte, aber auch nicht, dass es okay für ihn war.

Zu ihrem Erstaunen war er es, der nach einigen Minuten das Gespräch begann. „Und? Gefällt ihnen die Geschichte?“ Der Sarkasmus in seiner Stimme war nicht zu überhören. So kannte sie ihn gar nicht.

„Ganz und gar nicht“, meinte sie ruhig. „Aber nicht wegen dir, sondern wegen dem Mist, den ihr habt durchmachen müssen.“

Er nickte und zog noch einmal ziemlich stark an seiner Zigarette. Normalerweise schien es ihn zu stören, wenn sie ihn beim Rauchen sah, aber jetzt war das alles wohl eher zweitrangig. Kein Wunder.

„Jedenfalls haben sie uns das Angebot gemacht, dass wir hier übernachten dürfen, wenn du das willst. Aber sie verstehen es bestimmt auch, wenn du das nicht möchtest.“ Sakura schätzte die Chancen, dass Sasuke dieses Angebot annehmen würde, ziemlich gering ein. In einem Haus zu schlafen, das so viele unangenehme Erinnerungen weckte, war wohl kaum sein Wunsch.

„Okay. Wir schlafen da.“

Zuerst traute Sakura ihren Ohren nicht ganz, doch als sie Sasukes Gesicht sah, blieb ihr kein Zweifel mehr: Sasuke meinte das ernst. Und gleich darauf fiel es ihr auch wie Schuppen von den Augen.

„Sasuke, du musst das nicht meinetwegen machen, ja? Ich kann gut draussen schlafen, das ist echt kein Problem.“ Er schüttelte den Kopf und ohne zu ihrer Aussage Stellung zu nehmen meinte er: „Du kannst ihnen sagen, dass wir gerne bleiben.“ Dann stand er auf und ging in Richtung der Strasse davon. Sie rief ihm nicht hinterher, sondern liess ihn ganz einfach ziehen. Er brauchte jetzt einfach Zeit für sich und seine Gedanken.

Sakura ihrerseits, begab sich wieder ins Haus, um ihren Gastgebern die Mitteilung zu überbringen. Sie freute sich, nicht weil sie heute ein Dach über dem Kopf haben würde, sondern vor allem deswegen, weil Sasuke irgendwie die Kraft aufzubringen schien, sich seiner Vergangenheit zu stellen. Und das war so ein grosser Schritt für ihn.
 

Im Kurama-HQ war Konohamaru die Attraktion des Tages und zog mit seiner draufgängerischen und vorlauten Art einiges an Aufmerksamkeit auf sich. Tsunade verarztete ihn mitten im Aufenthaltsraum und das ärgerte Naruto schon wieder ziemlich. Er wusste nicht warum, aber der Junge löste in ihm komische Empfindungen aus. Vielleicht war es, wie Hina gesagt hatte und er erinnerte ihn einfach zu sehr an sich selbst.

Temari und Tenten halfen Tsunade dabei Konohamaru zu verarzten und dieser schien das sichtlich zu geniessen. Auch wenn er es vertuschte, aber wahrscheinlich ging es diesem Jungen auch mental im Moment ziemlich dreckig. Geschockt war er bestimmt, nur war er so, wie viele Strassenkinder einfach ein guter Schauspieler. Das musste man sein, um zurechtzukommen.

„Hey, Big Fox, können wir ihn nicht behalten?“, rief Tenten zu ihm herüber, als er sich gerade an den Tisch gesetzt, seine Beine darauf parkiert und in einer Motorradzeitschrift zu blättern begonnen hatte.

„Ten, er ist kein Hund!“, rief er grimmig, ohne seinen Blick von der Zeitschrift abzuwenden.

„Ach, du weisst wie ich das meine! Komm schon!“

„Wir sind hier keine Kinderkrippe, verflucht nochmal!“ Dieses Mal drehte er sich um.

Daraufhin lachten alle. Was war denn daran bitteschön so lustig?

„Ich sage es dir ja nur ungern, Big Fox, aber du warst etwa genauso alt, als du dazu gestossen bist“, lachte Kiba, der es sich am Boden neben Akamaru bequem gemacht hatte. "Zudem brauchen wir eine neue Generation, oder nicht?"

Für solche Sachen hatte der Leader jetzt gerade echt kein Nerv.

„Wir besprechen das später.“ Er hörte den Anderen nur noch mit halbem Ohr zu, welche sich Feuer und Flamme ausmalten, wie Konohamaru ein waschechter Kurama wurde.

Dass er von den Riots angegriffen worden war, schürte den Ideenreichtum der Anderen nur noch mehr. Irgendwie schienen sie das alle im Moment zu brauchen. Sie wollten sich eine gute Zukunft für die Kuramas ausmalen, die er so nicht garantieren konnte. Das alles würde sich entscheiden, wenn sie gegen die Riots antraten. Um sie zu besiegen, würde mehr als nur ein einziges Battle nötig sein. Aber er liess sie machen. Wer wusste schon, was die Zukunft brachte?
 

Sasuke kehrte auch dann nicht zurück, als Ami und Haru das Abendessen auftischten. Sakura hatte ihnen schon im Voraus gesagt, dass sie nicht mit Sasuke rechnen sollten. So wie sie ihn kannte, brauchte er jetzt Zeit für sich und ging jedem Gespräch aus dem Weg. Deshalb war es wohl kaum zu erwarten, ihn zum Abendessen hier zu sehen.

Sie entschuldigte sich also bei Ami und Haru, welche aber nur abwinkten. „Sakura, wir haben ihn heute echt überrumpelt. Er soll das machen und lassen, was er will.“

Es war wirklich ein ausserordentliches Glück, heute die Bekanntschaft mit dieser Familie gemacht zu haben, die noch dazu so gastfreundlich und warmherzig war. Wer hätte gedacht, dass dieser Trip nach Oto eine so überraschende Wendung nehmen würde?

Während sie also am Esstisch köstlichen Hackbraten, Kartoffeln und Gemüse genoss, erzählte sie den Beiden noch etwas mehr von ihrem Leben und erfuhr im Gegenzug auch Einiges von Ami, Haru und ihren beiden Kindern, die nicht im Mindesten schüchtern wirkten. Beide plauderten ausgelassen, Shina erzählte vom Kindergarten, Takahiro von der Schule. Anscheinend gab es morgen Abend in Oto ein Schulfest, das jedes Jahr in den Frühlingsferien stattfand und schon seit Jahren Tradition war. Die Schulkinder waren dabei auch immer in den Aufbau und die Organisation einbezogen.

Shina fragte Sakura, ob sie auch Zeit hätte, zu kommen und ehrlich gesagt hätte sie wirklich grosse Lust dazu. Das Problem war nur, dass sie sich dann morgen für eine weitere Ausrede bei Tsunade melden musste und vor allem wusste sie nicht, ob Sasuke für so etwas zu haben war. Sie würde ihn auf jeden Fall fragen.

Etwas später, nachdem sie noch bis neun Uhr mit Shina und Takahiro in seinem Zimmer mit der kleinen Lego-Eisenbahn gespielt hatte, zog sich Sakura in das gemütliche Gästezimmer zurück. Schon vorhin, als sie mit Ami die Betten bezogen hatte, war ihre Aufmerksamkeit von dem grossen Fenster auf sich gezogen worden. Es reichte bis zum Boden des Zimmers hin und wenn man durch die Tür kam stand man ihm parallel gegenüber. Weisse Vorhänge waren da, um vor Blicken zu schützen. Sakura gefiel der Ausblick von hier aus, man sah an einigen Hausdächern vorbei erstaunlich weit in die Ferne. Nachts musste es wundervoll sein. Die Wände waren in hellem blau tapeziert, den Boden deckte ein dunkelblauer Teppich.

Sie hatte sich für das Bett auf der linken Seite des Zimmers entschieden und sich bereits darauf breit gemacht. Ami hatte ihr vorhin die Dusche gezeigt und deshalb entschied sie sich jetzt dafür, schleunigst im Bad zu verschwinden. Nach dieser Nacht im Freien kam ihr das mehr als nur gelegen und sie genoss das erfrischend warme Wasser in vollen Zügen.

Frisch angezogen begab sie sich zurück ins Zimmer und erschrak fürchterlich, als dort bereits Sasuke auf dem Bett sass. Sie musste sich ziemlich zusammenreissen, um nicht gleich zu fragen, wo er die ganze Zeit gesteckt hatte. Er sah kurz von seinem Handy auf und schenkte ihr ein Kopfnicken, dann widmete er sich wieder dem Tippen seiner Nachricht zu. Sie fühlte sich im ersten Moment etwas unbehaglich, was eigentlich komisch war, schliesslich waren sie jetzt schon einen ganzen Tag miteinander unterwegs. Und trotzdem blieb diese Distanz zwischen ihnen. Aber das war schon gut so, je näher sie ihm nämlich kam, desto schmerzhafter wurde es im Nachhinein, wenn sie ihm endgültig Lebewohl sagen würde. Und Letzteres war nicht zu vermeiden.

Sasuke verschwand fünf Minuten später ebenfalls unter die Dusche und Sakura fiel ein, dass sie vielleicht einmal ihr Handy checken sollte. Heute Nachmittag hatte sie noch eine SMS von Ino bekommen, auf die bisher noch nicht geantwortet hatte, zudem zeigte das Display eine Nachricht von Naruto und ein verpasster Anruf von Tsunade an.

Zuerst antwortete sie auf die beiden Nachrichten, in denen sie lediglich schrieb, dass alles okay war und sie Genaueres später erzählen würde. Was Tsunade wollte, konnte sie sich jedoch nicht erklären.

Kurzerhand wählte sie ihre Nummer und spürte schon während dem Piepen in der Leitung, wie ihr Herz zu klopfen begann. Jetzt galt es, ihre Lüge aufrecht zu erhalten.

„Sakura?“, meldete sich Tsunade am anderen Ende der Leitung.

„Hi Tsunade, du wolltest mich sprechen?“

Jetzt vernahm sie ein Seufzen, das schon eher einem Schnauben glich. „In der Tat.“

Das klang gar nicht gut.

„Wo bist du, Sakura?“

„Na, bei Ino, habe ich doch…“

„Sakura!“ Sie zuckte zusammen. Langsam ahnte sie, was los war.

„Hör auf mich anzulügen. Du solltest deine Freundin vielleicht darüber informieren, wenn du sie als Ausrede brauchst.“ Heilige Scheisse. Sie hatte Recht! Wie hatte sie denn so etwas vergessen können? Sie hatte es komplett verhängt, Ino darüber in Kenntnis zu setzen, welche Lüge sie Tsunade aufgetischt hatte.

„Du bist mit dem Taka-Boss unterwegs, nicht wahr? So viel habe ich aus Ino rausbekommen.“ Tsunade hatte eine nahezu unerbittliche Art, die jeden noch so starken Charakter in die Knie zwingen konnte. Ino hatte grossen Respekt vor ihrer Tante und deshalb nahm sie es ihr auch nicht übel, dass sie geplaudert hatte.

„Ja, Tsunade… bin ich.“

Eine kurze Pause am anderen Ende. „Sakura, warum machst du das? Warum lügst du mich an?“

Sakura fühlte sich wie vor den Kopf gestossen. Es tat ihr weh, zu hören wie enttäuscht Tsunade von ihrem Verhalten war. Schliesslich war ihr vollkommen bewusst, dass sie Blödsinn gemacht hatte.

„Tsunade… es tut mir leid. Ich bin zurzeit in Otogakure und keine Sorge, es geht mir gut und wir haben ein Dach über dem Kopf. Ich kann dir im Moment einfach nicht mehr sagen, okay? Es ist eine private Sache.“

„Otogakure?! Sakura… warum seid ihr dort?“

„Ich wurde um einen Gefallen gebeten.“

„Aber das mit Demon…“ Ihr Tonfall verhiess, dass sie eben „das“ nicht wirklich als gut empfunden hatte. „Das ist doch vorbei oder nicht?“

Sakura spürte, wie in ihr die unterschiedlichsten Gefühle aufkamen und sie immerzu mehr verwirrten. Dieser emotionale Stress bekam ihr einfach nicht gut und sorgte bei ihr einmal mehr für aufsteigendes Augenwasser.

„Es ist das letzte Mal. Ich muss abschliessen, okay? Ich kann es einfach nicht so stehen lassen, wie es war, aber das verstehst du nicht. Du versuchst es, aber du kannst es schlichtweg nicht. Das ist nicht schlimm, weil ich mich oft selbst nicht verstehe. Und darum bitte ich dich jetzt einfach um etwas, auch wenn es viel verlangt ist.“ Ihr Herz klopfte und ihre Hände zitterten zusehends. „Bitte, lass mich das hier sauber beenden, Tsunade. Das ist mein Abschluss zu einem abenteuerlichen, schwierigen Kapitel, das ich so nicht einfach zu den Akten legen kann. Du musst dir keine Sorgen machen, ich bin wohlauf. Aber bitte lass es mich zu Ende bringen.“

Die Art wie sie das sagte ähnelte vermutlich schon fast einem Flehen, aber es war ihr egal. Ihre Sicht war schon ganz verschwommen und sie musste sich Mühe geben, nicht vollends los zu weinen. Ihre Bitte an Tsunade liess das alles hier noch viel realer werden: Das bevorstehende Ende des bisher aufregendsten, wenn auch schwierigsten Kapitel ihres Lebens.

In ihr machte sich wenigstens ein kleines bisschen Erleichterung breit, als Tsunade leise antwortete:

„Na gut, Sakura. Aber kommt bald nach Hause. Und täglich eine SMS. Bis dann.“ Ein Klicken in der Leitung.

Es tat so weh, dass ihre Tante nun auch noch sauer auf sie war, aber das hatte sie ganz alleine sich selbst zuzuschreiben. Sie hasste es, andere zu enttäuschen. Wie lange Sasuke allerdings schon dagestanden hatte, wusste sie nicht, jedoch wischte sie sich verstohlen mit der Hand über die Augen, als sie ihn bemerkte. Peinlich berührt drehte sie sich von ihm weg und tat so, als würde sie etwas auf ihrem Handy schauen. Himmel, hoffentlich hatte er nicht zu viel gehört.

„Tut mir leid“, sagte er urplötzlich. Mit fragendem Blick im Gesicht drehte sie sich wieder zu ihm.

„Weshalb?“

„Den Mist hast du jetzt wegen mir.“

Sie seufzte. „Nee. Den habe ich mir ganz alleine eingebrockt. Vergiss es.“

Dazu sagte er nichts mehr, löschte das Licht und liess sich selbst in sein Bett fallen. Es war zwar noch nicht besonders spät, aber hundemüde waren sie wohl beide. Als sie dann so dalagen, im sanften Licht des fast vollen Mondes und zu schlafen versuchten, huschten Sakura einige Gedanken durch den Kopf, Dinge, die sie völlig vergessen hatte. Wo war Sasuke gewesen? Hatte er etwas gegessen? Das hatte sie ihn gar nicht gefragt. Und jetzt schlief er hier, in seinem alten Haus. Was ging in ihm vor? Für ihn musste das alles bestimmt höllisch schwierig sein. Und wie stand er allgemein zu diesen vielen Überraschungen heute?

Sie wollte ihn nicht mit Fragen löchern, aber interessieren würde es sie schon. Während sie sich also in die weichen Bettlaken kuschelte, die absolut kein Vergleich zu der Bank waren, auf der sie gestern genächtigt hatte, wägte sie ab, ob sie fragen sollte. Im Endeffekt siegte die Neugier.

„Geht es dir gut?“

Sie zuckte vor Schreck zusammen. Gerade hatte sie ihn das fragen wollen, aber er war ihr zuvorgekommen.

„Ja. Und dir?“

„Jetzt lügst du schon wieder.“

Autsch. Aber er hatte Recht, sie log tatsächlich schon wieder.

„Na gut, es geht mir nicht so toll. Zufrieden?“

„Nein.“ Er sagte das in vollem Ernst und überging ihren etwas zickigen Tonfall einfach. Manchmal fragte sie sich, ob sie eigentlich immer mit demselben Mann sprach oder ob es einfach zwei verschiedene Versionen von Sasuke waren, die sie kennengelernt hatte. Wenn sie sich an den Abend im „Toad’s“ erinnerte erschauderte sie schon wieder, so negativ hatte sich das Ereignis in ihrem Kopf eingebrannt. Und jetzt klang er einfach vollkommen normal, wenn nicht sogar ein kleines, winzig kleines bisschen sanft.

„Dir geht es ja selbst nicht blendend“, murrte sie.

„Was hat das damit zu tun?“

„Eigentlich nichts.“

„Also.“

Eine Weile schwiegen sie. Das Gespräch hatte sie zwar nicht wirklich weiter gebracht, aber irgendwie tat es gut, mit ihm zu reden, als wäre all das Schlechte nie zwischen ihnen vorgefallen. Vielleicht war das dumm, denn vorgefallen war so einiges, aber im Moment war es ihr egal.

„Was hältst du von den Iwasawas?“, fragte sie etwas später vorsichtig.

Er antwortete nicht sofort. „Echt nette Leute.“

Sie wusste sofort, dass ihn die Gedanken an Amis und Harus Beweggründe zutiefst berührt hatten und es ihm schwer fiel, darüber zu reden. Deshalb fragte sie nicht weiter.

„Nicht wahr?“ Sie lachte leise. „Shina hat mich schon gefragt, ob wir sie morgen nicht an ein Schulfest begleiten wollen.“ Sie hoffte, dass es eher wie eine Randbemerkung klang, obwohl sie eigentlich tierisch gerne seine Antwort darauf gehört hätte.

„Hat sie mich vorhin auch gerade. Das Schulfest gab es schon zu unserer Zeit.“

„Und was hast du ihr geantwortet?“

„Dass ich mir es überlege.“ „Okay.“ Sie selbst hatte riesiges Interesse daran, Sasukes alte Schule zu sehen, aber das musste definitiv er entscheiden.

„Möchtest du hingehen, Sakura?“

„Das liegt bei dir“, antwortete sie, etwas überrascht, dass er sie danach fragte. Schemenhaft nahm sie wahr, wie er den Kopf schüttelte.

„Nein. Ich werde dich hier nicht herumkommandieren“, flüsterte er rau. Er klang irgendwie so, als ob er gerade etwas falsch gemacht hätte.

„Tust du doch nicht. Aber wir können uns das morgen ja noch überlegen. Ob ich jetzt noch einen Abend länger wegbleibe oder nicht, spielt sowieso keine Rolle mehr. Und ehrlich gesagt finde ich das hier verdammt abenteuerlich.“

„Du suchst sowieso des Öfteren das Abenteuer oder?“ Es war keine wirkliche Frage seinerseits, denn die Antwort darauf kannte er. Und auch sie wurde sich dessen immer mehr bewusst.

„Ja…“, flüsterte sie. „Ich glaube, das tue ich.“

Die Monster im Kopf bekämpfen

Es war mitten in der Nacht, als Sakura das Geräusch der Tür vernahm. Einen leichten Schlaf hatte sie schon immer gehabt, das war nichts Neues.

Die Frage, wohin er ging, konnte sie sich gerade noch verkneifen. Wahrscheinlich musste er nur zur Toilette.

Als er dann aber nach einer geschlagenen Viertelstunde immer noch nicht aufgetaucht war, begann sie sich langsam aber sicher Sorgen zu machen. Sie wusste nicht einmal, warum sie überhaupt noch wach war, schliesslich fühlte sie sich noch so wunderbar müde. Vermutlich hatte sie schon geahnt, dass er nicht einfach nur auf die Toilette gegangen war.

Etwas hastig warf sie ihre Decke zur Seite und stand auf. Das war wohl etwas zu schnell gewesen, denn kurz wurde ihr schwarz vor Augen und sie musste sich noch einmal hinsetzten. Wo konnte er hingegangen sein?

Als sie wieder klar sah, tapste sie über den Teppichboden auf den Flur hinaus. Durch ein Dachfenster fiel genug Mondlicht, damit sie nicht das Licht anknipsen musste, um heil die Treppe hinunter zu kommen.

Sie fühlte sich etwas unwohl, als sie so alleine durch das fremde Haus tappte, einfach weil sie es nicht für okay empfand. Ami und Haru sollten nicht plötzlich aufwachen und denken, sie würden sich an ihren Sachen zu schaffen machen.

Sicher unten angekommen, war es ihre erste Intention, zur Tür zu gehen, jedoch spürte sie einen schwachen Luftzug aus dem Wohnzimmer. So leise wie möglich schlich sie sich also in die andere Richtung und entdeckte dort sogleich das angelehnte Fenster, welches auf die Terrasse hinausführte.

Vorsichtig ging sie etwas näher und hob den Vorhang ein wenig an. Draussen auf dem Rasen sass Sasuke, kehrte ihr den Rücken zu, hatte die Beine angewinkelt und starrte in die Nacht hinaus. Was ihr sofort auffiel: Er rauchte nicht.

Kurz war sie unschlüssig, was sie jetzt tun sollte. Vielleicht war es besser, ihn in Ruhe zu lassen? Nach all dem Rummel heute benötigte er vielleicht genau das. Und dass er keine Zigarette angesteckt hatte, war ein gutes Zeichen. Das bedeutete eigentlich, dass er nicht aufgebracht war. Oder einfach keine Lust hatte, wie auch immer. Fakt war, dass er bei Stress so gut wie immer rauchte.

Einen kurzen Moment lang beobachtete sie ihn noch, dank dem vollen Mond konnte man zum Glück genug erkennen. Doch als sie beschloss, wieder schlafen zu gehen, vernahm sie ein Klicken. Kurzerhand drehte sie sich wieder um und sah, wie Sasuke ziemlich nervös auf seinem Feuerzeug herumdrückte, bis er es nach einigen Anläufen endlich schaffte, dass er eine anständige Flamme hatte. Natürlich glühte im nächsten Augenblick auch schon etwas in der Dunkelheit auf und bewies Sakura das Gegenteil von dem, was sie gerade so beruhigt hatte: Sasuke war alles andere als entspannt.

Aber konnte sie ihm denn überhaupt irgendwie helfen? Das Letzte, was sie wollte war es, ihm auf die Nerven zu gehen.

Kurz sah sie seine Hand, mit der er die Zigarette hielt und erkannte trotz den eher schwachen Lichtverhältnissen, dass er zitterte. Aber irgendwie sagte ihr ihr Gefühl, dass es für sie jetzt nicht der Zeitpunkt war, ihn anzusprechen. Was sollte sie auch sagen?

Gerade, als sie sich mit einem ziemlich hilflosen Gefühl im Bauch zurückziehen wollte, klingelte plötzlich etwas. Zuerst dachte sie voller Schreck, es wäre ihr Handy, doch bald schon merkte sie, dass es von draussen kam – es war Sasukes Handy.

„Weisst du eigentlich, wie spät es ist?“, meldete er sich genervt, dann schwieg er einen Moment und hörte zu, was am anderen Ende der Leitung gesagt wurde.

„Was? Wie meinst du das?“ Sie wusste nicht warum, aber jetzt klang er beunruhigt. Das war seltsam, da Sasuke eigentlich nicht besonders der emotionale Typ war und man ihm selten gleich anhörte, was er empfand.

„Und das haben die gestern beschlossen? Was sagt Big Fox dazu? Der ist bestimmt an die Decke gegangen oder?“

Was besprachen die da? Nun jetzt war ihre Neugier geweckt.

„Mhm. Wenn du mich fragst ändert das ja an dem ganzen Vorhaben nichts. Wir müssen in dem Fall einfach noch einen Zacken schneller sein. Aber schräg ist es schon, schliesslich haben die jetzt jahrelang kaum etwas getan und jetzt fahren die plötzlich so mit den Einheiten hoch?“

Diese Aussage liess Sakura vermuten, dass es sich in dem Gespräch um die Polizei handelte.

„Denk immer dran, das erschwert die Sache nicht nur für uns, sondern auch für die Drecksäcke. Und die sind weitaus weniger erprobt darin, sich an etwas anzupassen, als wir.“

Sie war erstaunt, wie gut er sich verstellen konnte. Noch vorher hatte er gezittert, jetzt klang er genau so, wie immer, wenn er mit seinen Leuten sprach.

Jetzt hörte er wieder aufmerksam zu.

„Aber das ist jetzt nur ein Gerücht oder? ...okay…“ Er kratzte sich am Kopf. „Ich sehe es mir an wenn ich zurück bin, danke für die Info… ja, bis dann.“

Er legte auf und keine Sekunde später schmiss er sein Handy voller Kraft zwei Meter weiter in den Rasen. „Fuck.“

Was auch immer er gerade per Handy mitgeteilt bekommen hatte, es musste ihn höllisch aufregen. Als wenn er das jetzt noch gebraucht hätte.

Auf einmal war es ihr so ziemlich egal, wie er reagieren würde, sie musste jetzt einfach wissen, ob sie ihm irgendwie helfen konnte. So leise wie möglich schob sie das Fenster auf und huschte hinaus in die Frische der Nacht. Eigentlich hatte sie damit gerechnet, dass er so wie immer keine Anstalten der Überraschung machen würde, doch dieses Mal war es anders: Sasuke zuckte zusammen, wenn auch nur ganz leicht, doch Sakura hatte es ganz deutlich gesehen. Solche Details sprachen dafür, dass er im Moment ziemlich neben der Spur sein musste.

„Tut mir leid…“, flüsterte sie. „Ich wollte dich nicht erschrecken.“

„Ich bin nicht erschrocken.“ Er sagte das mit einem Schuss Trotz und zugleich Stolz in der Stimme, dass sie sich zusammenreissen musste, um nicht zu lächeln. Das war ein Stück des alten Sasuke, den sie so vermisste.

„Was machst du hier draussen? Ist dir nicht kalt?“

„Nebst sitzen? Teer inhalieren.“ Es war ungewohnt, Sarkasmus in seiner Stimme zu hören. Wenn Sasuke sarkastisch war, nervte er sich. Und wenn sich Sasuke nervte, dann war das nicht etwas, womit man leichtfertig umgehen sollte.

Seine Art verletzte Sakura gegen ihren Willen nun doch ein wenig und sie beschloss, sofort den Rückzug anzutreten. Er konnte sie jetzt gerade nicht gebrauchen und sie wollte nicht, dass er sie wieder mit seinen Worten angriff. Zu deutlich drang die Erinnerung an den Vorfall im Toad’s gerade jetzt zu ihr durch.

„Okay…Gute Nacht.“

Vielleicht war es wirklich einfach besser, sich jetzt wieder in ihren warmen, weissen Bettlaken zu verkriechen und ihn einfach mit seinen Gedanken alleine zu lassen.

„Warte.“

Warum auch immer, aber dieses eine simple Wort ging ihr richtiggehend durch Mark und Bein. Möglicherweise, weil sie einfach nicht erwartet hatte, dass er noch etwas sagte. Aber vielleicht auch den Ton in seiner Stimme: Ein leises Bitten und wenn sie sich nicht verhörte auch einen Schuss Reue.

„Was ist?“, fragte sie. Inzwischen war sie stehen geblieben. Der kühle Luftzug strich ihr sanft durchs Haar und liess sie kurz erschaudern.

„Ich hab das nicht so gemeint.“

„So hat es aber geklungen“, flüsterte sie. Im ersten Moment fragte sie sich, ob das jetzt eine schlaue Aussage gewesen war, aber am Ende entschied sie sich dafür, dass impulsive Antworten wie diese hier ehrlich und somit eigentlich auch nicht falsch waren. Sie wollte ihm nicht das Gefühl geben, dass er machen konnte, was er wollte und sie das einfach so hinnahm.

„Tut mir leid.“

„Das sollte es auch.“ Sie war verletzt. In ihr schäumten die Erinnerungen an seine Taten geradezu auf und sie musste sich beherrschen, um nicht zu zittern. Bisher hatte sie es gekonnt verdrängt, war mit ihm auf dieses Abenteuer hier aufgebrochen und hatte ihm zu liebe so getan, als wäre nichts passiert, aber jetzt waren die Bilder in ihrem Kopf wieder da. Das Gefühl seiner geschlossenen Hand um ihr Handgelenk, die schmerzhaft zudrückte, seine zornigen Augen und seine eiskalten Worte.

Sie hörte, dass er sich umdrehte. Damit hatte er wohl nicht gerechnet. Sie blieb aber so stehen, den Blick gegen das Haus gewandt, sicher in der Annahme, dass sie sofort weinen würde, wenn sie ihm jetzt ins Gesicht sah.

„Du musst auf deine Worte aufpassen, Sasuke.“

Soweit sie sich zurückerinnern konnte, hatte sie nie Kritik an Sasuke geäussert, ihn zurechtgewiesen oder sonstiges getan. Aber was sie sagte war wahr: Er verletzte mit seiner Art nicht nur sie. Auch zu seinen Gangmitgliedern war er seit Itachis Tod immer öfters so.

„Gute Nacht“, sagte sie nun ein zweites Mal und ging weiter in Richtung Haus. Eigentlich hatte sie sich vorgenommen, ihn noch nicht mit solchen Sachen zu konfrontieren, aber irgendwie war es einfach passiert.

„Ich weiss“, sagte er leise, machte aber keine Anstalten, ihr noch mehr zu sagen. Dabei spürte sie in den tiefsten Tiefen ihres Herzens, dass sie sich genau das eben gewünscht hatte.

„Lass uns morgen dahin gehen.“

Erneut hielt sie inne. Es war keine Frage, dass er von dem bevorstehenden Schulfest sprach und das überraschte sie ziemlich. Wenn sie ehrlich war, dann hatte sie fest damit gerechnet, dass Sasuke sich das nicht freiwillig antun würde. Aber es schien, als ob er endgültig den Entschluss gefasst hatte, sich diesem Teil seiner Vergangenheit zu stellen.

„Okay“, antwortete sie nun etwas sanfter. „Ich werde dabei sein.“

Und damit machte sie sich endgültig auf den Weg nach oben. Als sie durch das Fenster trat hörte sie ihn noch leise hinter sich.

„Danke.“

 

Der Morgen kam relativ bald, jedoch war es in den Betten so wunderbar bequem, dass sie liegen blieb, bis es an der Tür klopfte und Ami ihr Frühstück anbot. Ein Blick zur Seite verriet ihr, dass Sasukes Bett leer war. Ami sagte, dass er sich ziemlich früh verabschiedet hatte, wohin er aber wollte hatte er nicht gesagt.

Sakura seufzte. Zuerst schlief er in der Nacht kaum und dann machte er sich auch noch so früh auf die Socken. Aber verübeln konnte sie es ihm nicht. Er hatte es zwar nicht explizit gesagt, jedoch war ihr vollkommen bewusst, dass in diesem Haus für ihn nicht gut schlafen war. Da erübrigten sich Erklärungen.

Sie beschloss sich dadurch nicht irritieren zu lassen und begab sich deshalb mit Ami an den wunderbar gedeckten Frühstückstisch. Ein Blick auf die Uhr verriet ihr, dass es bereits halb zehn war.

„Hiro und Shina haben bereits gegessen“, meinte Ami als sie Sakuras Glas mit Orangensaft füllte und wies mit der Hand nach draussen, wo die beiden Kinder die morgendliche Frühlingssonne genossen „Die Beiden sind auch in den Ferien immerzu spätestens um halb neun wach.“

Sakura musste lachen. Nur zu gut erinnerte sie sich daran, wie sie als Kind an den freien Tagen immer um sieben Uhr aufgestanden war, um sich ungestört die Kindersendungen auf dem Kinderkanal ansehen zu können.

„Kann ich verstehen“, sagte sie lächelnd und nahm einen Schluck Orangensaft. „Ich hoffe, ich mache euch keine Umstände, Ami. Ich habe gestern Abend vergessen, einen Wecker zu stellen.“

Ami winkte ab. „Ach was, Sakura, ihr seid unsere Gäste und wir freuen uns, euch hier zu haben. Ihr sollt euch ein wenig von der langen Reise und der Nacht im Freien erholen. Ausserdem bin ich auch erst gerade aufgestanden, wenn ich ehrlich bin. Trinkst du Kaffee?“

Sakura lehnte dankend ab. Sie mochte Ami immer mehr. Die junge Frau hatte so etwas warmes und sympathisches, das schwierig zu beschreiben war. Jedenfalls gab sie ihr überhaupt nicht das Gefühl, eine Last für sie zu sein.

„Habt ihr euch wegen heute Abend eigentlich schon entschieden?“, fragte Ami zwischen zwei Schlucken Kaffee.

Sakura erzählte Ami, dass Sasuke gestern Abend noch zugestimmt hatte, sie aber lieber mit einer endgültigen Zusage noch warten wollte, bis er wieder da war.

Ami schien sichtlich erfreut und beugte sich dann etwas zu ihr vor. „Erzähl mir mehr von Sasuke. Ich habe noch nie so einen mysteriösen jungen Mann getroffen.“

Sie wusste nicht warum, aber es fiel ihr nicht im Mindesten schwer, ein wenig von ihm zu erzählen. Bei Ami machte sie sich keine Sorgen, dass sie etwas Falsches sagen könnte. Sie gab ihr ein vertrautes Gefühl und es war ein kleines bisschen so, wie wenn sie mit Ino oder Hinata redete.

„So war er vermutlich schon seit er in seiner Gang ist. Sie scheinen ihn alle nicht anders zu kennen. Itachi und er seien sich immer sehr ähnlich gewesen. Verschwiegen, kühl und wie du eben sagst, auf eine Art sehr mysteriös.“ Die Beschreibung passte sehr gut, wenn sie so an ihre vergangenen Erlebnisse mit ihm zurückdachte.

„Aber wenn er wütend wird, ist mit ihm nicht gut Kirschen essen. Weisst du, er kann wie auf Knopfdruck eine ganz schön eindrückliche Autorität ausstrahlen, was man als Leader auch braucht. Es gibt mehrere Rabauken in seiner Gang und die widersetzen sich ihm allesamt nicht. Haben alle den grössten Respekt vor ihm.“

Ami nickte. „Das ist alles so interessant. Aber sag mal, Sakura: Du sprichst immerzu von seiner Gang. Dann bist du dort gar nicht dabei?“

Das war jetzt heikel. Eigentlich hatte sie Ami gegenüber den ganzen Bandenkonflikt um Sasuke und sie nicht erwähnen wollen, aber jetzt blieb ihr ja kaum etwas anderes übrig.

„Das ist eine komplizierte Geschichte, ehrlich gesagt. Fakt ist, dass ich eigentlich nicht aus seiner Gang bin, aber sehr wohl einer Gang angehöre. Gut, ich bin nicht das was man unter einem wirklichen Gangmitglied versteht, aber das spielt jetzt keine Rolle. In Konoha gab es immerzu zwei grosse Gangs, seit etwa einem halben Jahr drei. Sasukes Gang, die Taka Snakes sind seit Generationen als die Erzfeinde der Kurama Foxes – meiner Gang – bekannt.“

Amis Augen weiteten sich. „Dann verstehe ich nicht ganz…“

„Ich weiss“, Sakura winkte verlegen lächelnd ab. „Es ist auch nicht einfach zu verstehen. Sasuke und ich…“

Himmel, sie wusste haargenau, dass sie jetzt wieder einmal knallrot im Gesicht wurde. Aber am Ende erzählte sie ihr die Geschichte trotzdem in Kurzfassung. Die intimeren Momente versuchte sie möglichst auszuklammern und beschränkte sich vor allem auf ihre Freundschaft. Jedoch war ihr schon klar, dass Ami eins und eins zusammenzählen konnte. Sie wusste bestimmt, dass sich zwischen ihr und Sasuke mehr abspielte, als nur eine alltägliche Freundschaft.

„Das klingt ein wenig wie die West Side Story.“

Sakura verschluckte sich beinahe an ihrem Brötchen.

„Das kann man glaube ich nicht vergleichen“, hustete sie und goss einen Schluck Orangensaft hinterher. „Aber mehr kann ich dir dazu nicht einmal sagen. Die ganze Sache ist für mich sowieso drauf und dran, abgeschlossen zu werden.“

Ami legte den Kopf schief. „Wie meinst du das?“

„Nun, wie gesagt, es war und ist eben nicht die West Side Story.“ Sie fuhr nervös mit dem Fingernagel über das glatt geschliffene Holz des Esstisches. „Die Gangs kooperieren inzwischen sogar ganz gut miteinander. Das ist halt so, wenn man einen gemeinsamen Feind hat. Die Probleme liegen wo anders. Sasuke ist ein schwieriger Charakter, Ami. So viel gute Seiten er auch haben mag, seine dunklen Seiten wiegen schwer, verstehst du? Das habe ich selbst erfahren müssen und glaub mir, es war nicht schön. Seit sein Bruder tot ist, ist er völlig unberechenbar. Manchmal lässt es sich so gut mit ihm reden und manchmal… manchmal ist er einfach nicht schön mitzuerleben. Das war vor dem Verlust von Itachi noch anders. Jetzt ist er oft auch zu seinen nächsten Leuten ziemlich rabiat.“

„Verständlicherweise“, schlussfolgerte Ami. „Das scheint ein ganz vielschichtiger Junge zu sein. Das war mir klar.“

„Aber niemand kann etwas dafür, dass Itachi weg ist und besonders seine Gang hat damit selbst genug zu beissen.“

„Glaubst du, es ist die Lösung, auf Wiedersehen zu sagen, wenn es einmal schwierig wird?“, fragte Ami sie direkt und Sakura wusste nicht so recht, was sie darauf antworten sollte. Draussen spielten Takahiro und Shina lauthals mit zwei Nachbarskinder fangen.

„Natürlich nicht. Sonst hätte ich das alles bis hierhin nicht durchgezogen. Ich habe mein Bestes getan, um Sasuke zu helfen. Und das habe ich auch gerne gemacht, weil er mir schon nicht egal ist…“ Das war ja noch sachte ausgedrückt. „Aber er hat mir in vergangener Zeit zweimal mehr als deutlich signalisiert, dass er mich weder braucht, noch will. Und deshalb werden wir nach dieser Reise getrennte Wege gehen.“

„Wenn er dich weder braucht, noch will, warum bist du dann hier?“

Sie war drauf und dran, irgendeine Antwort rauszuhauen, aber bei genauerem Überlegen wurde ihr bewusst, dass sie recht hatte. Eigentlich war es ihr schon immer bewusst gewesen, aber es jetzt so quasi selbst eingestehen zu müssen, war schwierig.

„Das ändert nichts daran, dass sein Verhalten mir gegenüber grenzwertig war. Ich renne niemandem hinterher, der mich so behandelt hat.“

„Er war grob zu dir?“, fragte sie, wie wenn sie es gerade eben erwähnt hätte.

Sakura konnte ihre Überraschung nur schlecht verbergen. „Ja.“

„Oft? In welchem Ausmass?“

Unter keinen Umständen wollte sie Ami ein schlechtes Bild von Sasuke vermitteln, aber sie spürte, dass Ami Sasuke bereits viel klarer sah, als viele andere. Und deshalb schilderte sie ihr kurz den Vorfall in der Taka-Garage und dem Toad’s.

Sie hatte erwartet, dass Ami geschockt sein würde, aber irgendwie sah sie nicht einmal ein bisschen überrascht aus.

„Okay. Ich verstehe dich, Sakura.“ Sie trank ihren Kaffee aus. „Aber ich verstehe auch sein Verhalten. Nicht, dass es gerechtfertigt ist. Aber Sasuke hat ein Problem mit Nähe, nicht wahr? Wer ihm zu nahe kommt, geht auch ein Risiko ein, oder?“

Es war erstaunlich, wie Ami ihn bereits durchschaut haben zu schien. „Ich habe mich heute Morgen noch kurz mit ihm unterhalten, bevor er gegangen ist.“

Jetzt fiel Sakura der Löffel zurück in den Joghurtbecher. „Er hat sich mit dir unterhalten? Also richtig?“

Es wäre zu erwarten gewesen, dass er einfach nur ein paar nötige Worte mit Ami gewechselt hatte. Doch sie nickte.

„Er hat mir ein wenig von eurer Reise hierher erzählt. Zuerst war er schon sehr verschlossen, aber er hat sich dann doch ein wenig geöffnet. Wahrscheinlich will er nicht unhöflich uns gegenüber sein.“

Sakura musste noch einmal schlucken. Nachdem er gestern so reserviert gegenüber den Iwasawas gewesen war? Schwer vorstellbar, aber offenbar doch möglich.

„Sakura, hör zu. Ich bin Sozialarbeiterin und arbeite zurzeit zwei Tage die Woche an einer Schule. Früher, in meinen Zwanzigern habe ich einmal in einem Heim für schwer erziehbare Jugendliche gearbeitet und da sind mir mehrere solcher Persönlichkeiten über den Weg gelaufen. Leute, die Probleme mit menschlicher Nähe haben. Wobei ich sagen muss, dass Sasuke noch einmal viel einzigartiger ist, als all die Jungen, die ich erlebt habe. Und natürlich kein schwer erziehbarer Jugendlicher ist. Aber ich bin durchaus mit solchen Menschen vertraut. In diesem Beruf lernt man, das Verhalten von Menschen zu deuten und zu einem Bild zusammenzufügen.“

Das erklärte schon Einiges. Nichtsdestotrotz war es verblüffend, welche durchleuchtenden Fähigkeiten Ami zu besitzen schien.

„Um zu Sasuke zurückzukommen: Wenn ich mir das was du erzählt hast so anhöre, dann kann ich dir nur sagen, dass du ihm sehr wichtig bist. Vermutlich wichtiger, als du selbst weisst. Sasuke trägt da vieles mit sich herum, was nicht schön ist. Da gibt es unter der Oberfläche einiges zu sehen und ich bin sicher, dass du schon vieles davon gesehen hast. Aber längst nicht alles.“

„Das glaube ich eben auch. Weisst du Ami, ich habe immerzu versucht mich in ihn hineinzuversetzen, aber seit diesen Dingen klappt es einfach nicht mehr wirklich…“

„Das ist ein guter Ansatz. Versuchen wir es doch gemeinsam. Tausch die Rollen mit ihm. Du bist eine Vize-Gang-Leaderin, hast die Hälfte deines Lebens auf der Strasse und in einer kriminellen Bande verbracht. Hast keinen Beruf erlernt. Hast keine Eltern. Verbringst die Nächte in Clubs und Bars. Und dann taucht Sasuke auf. Lebt bei seinem Onkel, geht aufs College, hat eine Zukunft vor Augen. Hat Eltern, ist mehr oder weniger behütet aufgewachsen und ist, vielleicht etwas einfach gesagt, unverdorben. Dann passiert alles so, wie ihr es erlebt habt. Doch dann stirbt deine Schwester, Sakura und plötzlich bist du die Anführerin, stemmst das Gewicht der ganzen Verantwortung und solltest nebenbei noch selbst irgendwie heilen.“

„In meinem Leben, dass sowieso schon ein Müllhaufen ist…“, flüsterte sie. Mit Amis Hilfe gelang es ihr auf einmal viel besser. „Und dann dringt Sasuke immer mehr zu mir durch. Auf eine Art fühlt es sich gut an, aber auf eine Art will ich vermutlich nicht, dass er diesen Scherbenhaufen sieht. Sasuke…nein, ich meine, ich habe mir in jahrelanger Erfahrung auf der Strasse antrainiert, Menschen von mir fernzuhalten, damit ich mich selbst schützen kann. Und jetzt habe ich Angst, dass er davonläuft, oder? Vielleicht hat er bis jetzt all die schlechten Seiten an mir toleriert, aber irgendwann wird das Fass überlaufen?“

„Sehr gut, Sakura.“

„Ich stosse ihn von mir weg, oder? Ich will ihn wenn schon durch meine eigene Kraft verlieren und nicht hilflos dabei zusehen müssen, wenn es soweit ist. Weil er mir wichtig ist…“ Sie bedachte Ami einen fragenden Blick. „ Ich bin kein Mann, aber Männer reagieren in solchen Fällen tendenziell eher aggressiv oder?“

Ami nickte. „Das ist so. Und genau so, wie du es jetzt rekonstruiert hast, vermute ich es. Ich bin aussenstehend und kann dazu nicht mehr als interpretieren… alles was ich dir sagen möchte: Ich spüre da was bei euch und ich mag euch schon jetzt einfach richtig gerne. Bitte lass nicht zu, dass du etwas aufgibst, bevor du nicht hundertprozentig sicher bist, dass es richtig so ist.“

Plötzlich schreckte Ami hoch. „Himmel, es tut mir leid, dass ich mich hier so einmische, Sakura. Ich neige einfach dazu, solche Sachen in meinem Kopf hin- und her zu drehen. Haru sagt mir immer, dass ich eine kleine Psychotante sei, wenn ich wieder einmal eine solche Phase habe.“

Sakura war das bisher gar nicht wirklich bewusst geworden. Es tat so gut, mit jemandem reden zu können, der gegenüber Sasuke nicht vorbelastet war.

„Keine Ursache, Ami. Weisst du, ich bin eigentlich ziemlich froh, dass ich mit dir darüber reden kann. Die Leute mit denen ich sonst rede, sind alle sehr voreingenommen, was ihn angeht. Kann ich ihnen nicht einmal verübeln. Deshalb danke. Du hast mir gerade ziemlich geholfen. Was kostet die Therapiestunde bei dir?“, fragte sie grinsend und sie beide lachten.

Amis Worte und ihre Rekonstruktion gingen ihr an diesem Tag nicht mehr aus dem Kopf. Nicht, als sie spontan mit Ami und den Kindern in den nahgelegenen Supermarkt einkaufen ging, nicht, als sie gemeinsam ein Spiel spielten, Mittagessen kochten, den ausserordentlich warmen Apriltag genossen.

Es war erstaunlich, wie offen Ami sie aufnahm. Es fühlte sich schnell so an, als würde sie dazugehören. Und sie hoffte so sehr, dass Sasuke dieses Gefühl auch erfahren durfte.

 

Schon auf dem Flur hörte er es. Verschlafen fuhr Naruto sich durch das blonde Haar und seufzte genervt. Waren die letzten Tage im HQ doch so still gewesen, konnte er sich nun sicher sein, dass das von nun an ein Ende hatte. Aus der offenen Tür zum Aufenthaltsraum drangen fröhliche Stimmen, ausgelassene Lachen und allerlei sonstiger Lärm. Himmel, er hatte ja nichts dagegen, wenn sich seine Leute amüsierten, aber er hätte gerne noch ein, zwei Stunden gepennt, nachdem er gestern fast die halbe Nacht lang im Toad’s an der Bar gestanden hatte und einigen Weibern schöne Augen gemacht hatte, damit sie sich noch einen weiteren Drink gönnten. Unter der Woche war es nicht allzu spassig und schon gar nicht besonders umsatzreich, den Laden zu schmeissen. Dafür ging am Wochenende gehörig die Post ab.

Jedenfalls war er müde und hatte keine Lust auf den ganzen Radau hier. Am liebsten würde er bis zu der grossen Aktion nächste Woche durchschlafen. Als er durch die kleine Hintertür des Aufenthaltsraums trat, bestätigte sich sein Verdacht und er konnte nur grummelnd den Kopf schütteln. Konohamaru schien der Nummer-Eins-Unterhalter am Tisch zu sein. Sein angeschlagenes Bein hielt ihn also nicht davon ab, gehörig Sprüche zu reissen. Auf den Mund gefallen war er jedenfalls nicht. Gerade veranstaltete er mit Kiba am anderen Ende des Tisches ein Duell, wer wem mehr Cornflakes in die Schüssel werfen konnte. Dabei wurden sie lautstark von den Anderen angefeuert. Schon lange hatte er nicht mehr so viele Kuramas zusammen Frühstücken sehen.

„14:11 für mich!“, schrie Konohamaru ausgelassen, als das trockene Getreideflöckchen in Kibas Milch landete und dafür bekam tosenden Applaus. Es war im letzten halben Jahr wirklich ein ungewohnter Anblick geworden, seine Leute dasitzen zu sehen und sich ab so etwas Kleinem amüsieren zu können. Und irgendwie machte ihn das sauer.

„Hey!“, brüllte er in den ausgelassenen Haufen Kuramas hinein. „Könnt ihr vielleicht mal die Schnauze halten?!“

Auf einen Schlag hatten sich alle zu ihm umgedreht und starrten ihn irritiert an.

„Boss… sorry, wir dachten…“

„Was dachtet ihr?! Nee, der olle Big Fox braucht ja bestimmt keinen Schlaf, damit er sich dem ganzen Shit widmen kann, der heute auf ihn wartet? Weil es ihm ja sowieso Spass macht, sich mit Riots herumzuschlagen? Falls ihr euch noch dran erinnert, da gibt’s noch einen ganzen Haufen Zeugs zu tun! Motorräder kontrollieren und tanken, Waffen sortieren und rüsten und den gottverdammten Krankentrakt aufräumen, was übrigens schon seit Wochen fällig ist! Wie wär’s wenn ihr euch zuerst damit befassen würdet, anstatt mit Essen herumzuspielen?! Mir ist es scheissegal, ob hier dieses Kind herumrennt, aber lasst euch gesagt sein, wenn der euch aus dem Konzept bringt, dann ist er schneller weg, als ihr ‚Big Fox, sei doch nicht so‘ sagen könnt!“

Er war so wütend. Die ganze Nacht hatte er gearbeitet, nachdem er gestern noch fast drei Stunden an einem Brief für Pain gesessen hatte und die ganzen Waffen bei Oro besorgt hatte. Und die hier sassen rum und taten nichts. Er hatte ja nichts dagegen, wenn sie sich noch etwas schonten, bevor die ganze Sause nächste Woche losging, aber es war doch wirklich nicht zu viel verlangt, wenn sie noch etwas anpacken mussten.

Im Raum herrschte betretenes Schweigen, als Naruto in die Küche ging und den Kühlschrank aufriss. Kurz war er zwischen der Orangensaftflasche und dem angebrochenen Sixpack Bier hin- und hergerissen, entschied sich dann aber für eine der Bierflaschen. Er trank sonst nicht am Morgen, aber jetzt konnte er einfach nicht anders. Mit einem Klicken öffnete er die Flasche am Rand des Geschirrspülers und knallte dann die Kühlschranktür hinter sich zu.

Im Aufenthaltsraum hatten einige wieder das Gespräch aufgenommen, nun aber bedeutend zurückhaltender im Ton, andere waren verschwunden. Naruto schmiss sich aufs Sofa und suchte vergebens nach irgendeinem Kanal, der am Morgen nicht nur kompletten Schrott und Dauerwerbesendungen auf dem Programm hatte.

Der Geschmack von Bier am Morgen war vielleicht nicht der passendste, aber es half ihm definitiv, runterzukommen. Vermutlich war es sowieso nur sein Kopf, der ihm das sagte, denn nach diesen paar Schlucken konnte der Alkohol wohl kaum schon eine Wirkung haben.

Gerade als die Dokumentation über Bachforellen ihren Tiefpunkt erreicht hatte, fiel ihm etwas ein.

„Ten, Tema!“, rief er ohne sich umzudrehen in den Raum.

„Hm?“, hörte er sie im Chor antworten.

„Wisst ihr, wo Hina ist? Hab ihr gesagt, dass ich sie heute heimfahre, damit sie nicht allein durch die Stadt muss.“

Temari setzte sich auf die Sofalehne, direkt hinter Narutos Kopf. „Die hat Shika heute früh bereits nach Hause gebracht. Hanabi hat bei einer Freundin übernachtet und sie wollte sie abholen.“

„Oh, okay. In letzter Zeit muss sie sich ziemlich oft um Hana kümmern, was?“

„Mhm. Nejis Mom hat einen neuen Teilzeitjob, bei dem sie etwas mehr zurückstecken muss“, meinte Temari.

„Hab ich ja gar nicht mitbekommen. Dabei fahr ich sie so oft nach Hause…“

Temari seufzte. „Zurzeit vergräbst du dich ja auch in der Arbeit. Wenn das so weitergeht, machst du dich noch kaputt.“

Gerade wollte er etwas erwidern, aber er liess es dann doch. Er wusste ja, dass sie recht hatte.

„Ich weiss…“

Temari strich ihm sanft mütterlich durch das blonde Haar. „Lass dich nicht von all dem auffressen. Und hab doch einmal ein wenig Spass mit uns, als dass du dich selbst so hineinsteigerst, dass du dann nichts mehr erträgst. Wir brauchen dich noch, Big Fox.“

Naruto nickte. Er liess sich von Temari ins Gewissen reden, weil sie das gut konnte. Ein bisschen wie Sakura, aber die war ja jetzt nicht da. Noch etwas, das ihm gar nicht gefiel. Aber wenn er sich jetzt auch noch über Demon und sie den Kopf zerbrach, dann würde er endgültig den Verstand verlieren. Also tat er nichts dergleichen, als Temari ihm mit ihren Fingern durchs Haar fuhr. Das machte sie oft bei den Jungs, wenn sie ihnen irgendwie helfen wollte. Eine sanfte Geste, die sie alle genossen.

„Hey, Big Fox.“ Konohamarus Stimme ertönte neben ihm und er drehte den Kopf zu ihm. „Was?“

„Spielst du mit mir ‚Need for Speed'?“

„Und warum?“

„Kiba hat gesagt, darin seist du unschlagbar.“

„Stimmt auch.“

„Also?“

Naruto seufzte. Eigentlich war der Kleine ja ganz in Ordnung. Zudem musste er ihm jetzt einmal zeigen, wo der Hammer hängt und deshalb warf er die Konsole an. „Schnapp dir einen Controller und halt die Klappe.“

Konohamaru grinste ihn an und Naruto schenkte ihm ein kurzes, aber bestimmtes Lächeln, als er sich darauf vorbereitete, dem Kleinen mal beizubringen, wie man dieses Spiel richtig spielte.

 

Gegen drei Uhr Nachmittag tauchte Sasuke wieder auf. Sakura fragte ihn nicht, was er gemacht hatte, vermutlich hatte er einfach jeglichen Gesprächen ausweichen wollen.

Haru war heute auch etwas früher zu Hause, da sie um siebzehn Uhr ans Schulfest gehen wollten.

Sakura musste vor ihrer Dusche feststellen, dass sie keine anständigen Kleider mehr hatte. Jedenfalls keine sauberen mehr und irgendwie fand sie, dass sie ja schlecht in einem gebrauchten Shirt aufkreuzen konnte. Sasuke hatte da etwas weitergedacht. Gut, er hatte in seinem Rucksack ja auch etwas mehr Platz, als sie in ihrer Tasche. Zudem hatte sie auch nicht wirklich viel Zeit zum Packen gehabt.

Sakura wusste wirklich nicht, was sie ohne Ami hätte machen sollen. Die junge Mutter fand unheimlichen Gefallen daran, Sakura ihre Kleider zum Anprobieren zu geben. Laut Amis Aussage war sie jemand, der nie Kleider wegwarf und sie Haru damit schon tausendmal in den Wahnsinn getrieben hatte. Am Ende ihrer kleinen Anprobe grub Ami ein hübsches, mit buntem Blumenmuster versehenes Frühlingskleid aus. Es war grösstenteils in Grün- und Rosatönen gehalten, war hochgeschlossen und hatte lange Ärmel. Das war gut, denn besonders abends wich die Frühlingswärme schneller, als einem lieb war.

„Das steht dir fabelhaft, Sakura! Wie wenn es auf dich gewartet hätte! Das Grün für die Augen und das Rosa für die Haare“, meinte Ami, zufrieden mit ihrem Werk.

„Danke Ami. Es ist wirklich hübsch, aber denkst du nicht es ist ein wenig zu auffällig?“

„Zu auffällig? Na da kennst du das Schulfrühlingsfest aber schlecht!“, lachte Ami. „Da zieht die Damenwelt schon gerne mal etwas Besseres aus dem Kleiderschrank an, glaub mir. Und ich werde auch ein Kleid tragen, versprochen.“

Das beruhigte Sakura ein wenig, da sie wirklich nicht gerne auffiel. Als sie zurück im Zimmer war, schlüpfte sie in die schwarzen Leggins, die sie glücklicherweise eingepackt hatte. Es war schon noch etwas zu frisch, um mit nackten Beinen herumzulaufen. Ihre graue Frühlingsjacke passte zwar nicht wirklich zu dem Kleid, aber am Abend interessierte das ja dann wohl kaum jemanden. Die Sneakers waren glücklicherweise schwarz und ein Paar der eleganteren Sorte, weshalb sie zu dem Kleid gerade noch so durchgingen.

Etwas später kam Sasuke ins Zimmer, welcher bis vorhin noch auf Takahiros Wunsch hin mit ihm und Shina an seiner Lego-Burg gebaut hatte. Die Kinder schienen Sasuke sehr zu mögen, obwohl Sakura damit gerechnet hatte, dass sie ihm gegenüber eher schüchtern waren. Umso besser, dass sie ihn inzwischen nahezu anhimmelten. Als sie auf dem Flur vor dem grossen Wandspiegel mit schneeweissem Rahmen stand, hatte sie ein wenig ins Zimmer von Takahiro hinein gelauscht. Der Kleine fand ihn toll, weil er laut seiner Aussage „so cool“ war, Shina hatte vermutlich beschlossen, ihn zu ihrem Freund zu machen.

Es war lustig ihnen beim Spielen zuzuhören und besonders verblüffte sie, wie offen Sasuke mit den Kindern sein konnte. Da schien er sehr viel von seiner Zurückhaltung zu verlieren und das freute sie irgendwie.

Um viertel nach fünf verliessen sie gemeinsam das Haus. Ami und Shina trugen beide ein Kleid, Amis war dunkelblau und Shinas sonnengelb. Haru trug ein kariertes Hemd und Sasuke trat auf wie immer: Schwarzes Shirt, dunkle Jeans, Lederbändchen um die Handgelenke und die Kette mit der Feder um den Hals.

Als sie den gepflasterten Parkplatz des Hauses verliessen, schnappte sich Shina sofort Sasukes Hand und zog ihn mit sich, so dass sie mit etwas Abstand vor ihnen gingen. Während sie so neben ihm her hüpfte, erzählte ihm lauthals eine Geschichte, die ihr Ami als Bilderbuch vorgelesen hatte.

Takahiro blieb bei ihnen und beteiligte sich ein wenig an der Unterhaltung seiner Eltern und Sakura.

Anscheinend hatte dieses Schulfest eine lange Tradition. Seit jeher wurde es einmal im Jahr gefeiert, am Nachmittag bis circa um acht Uhr war es vor allem ein Kinderfest, später wurde es dann eher zu einem Treffpunkt für die Erwachsenen im Dorf. Das hiess nicht, dass dann die Kinder nach Hause gehen mussten. Haru bezeichnete es treffend als „Verlagerung des Schwerpunkts“.

Während sie sich also mit den Iwasawas unterhielt, flogen ihre Gedanken stets wieder zu Sasuke. Seit gestern Nacht hatten sie nicht viel mehr Worte miteinander gewechselt, als notwendig. Sie hatten keinen Streit, es hatte sich einfach nicht ergeben.

Manchmal wurde sie richtig wehmütig, wenn sie an die Zeiten in der alten Möbelfabrik zurückdachte. Oder an den Gold Park. Rückblickend erschien ihr das alles so viel einfacher. Als ob es schon ewig her wäre. Dabei war es noch nicht einmal ein Jahr her. Am liebsten hätte sie die Zeit zurückgedreht und alles noch einmal erlebt. Aber nur die schönen Momente.

Beim Gehen nahm sie die gesamte Umgebung genauestens unter die Lupe. Es war eine spannende, wenn auch traurige Vorstellung, dass das hier Sasukes und Itachis Schulweg gewesen war. Das war so lange her…

Die Schule sah nicht genau so aus, wie sie es sich vorgestellt hatte, kam ihrem geistigen Bild aber doch sehr nahe. Eine Mauer aus grauem Stein säumte das Areal, fast ein wenig wie bei dem Kinderheim in Iwagakure, nur dass sie nicht aus Backstein bestand. Das Schulgebäude war weiss verputzt und hatte rote Fensterläden und ein dunkles Satteldach. In den Räumen brannte Licht, Ami erzählte ihr, dass in den Klassenzimmern die Arbeiten der Schüler aus den gestalterischen Fächern ausgestellt werden.

Als sie plötzlich gleichauf mit Sasuke war, wurde ihr klar, dass er sein Tempo ziemlich gedrosselt haben musste, als die Schule ins Blickfeld gekommen war. Diese Schule, die so viele Erinnerungen wach werden liess. Er war stark. Schon immer gewesen.

Bald schon passierten sie das Tor zum Pausenplatz. Sakura kam es ein wenig vor, wie wenn sie hier gerade die Pforte zu einem weiteren Teil seiner Vergangenheit durchschreiten würden und das war mehr als nur aufregend.

Auf dem grossen Pausenplatz wimmelte es bereits nur so von Menschen. Bei genauerem Hinsehen stellte Sakura fest, dass nahezu jede Altersklasse vertreten war. Von Jung bis Alt war alles dabei. Linksseitig standen mehrere Tisch- und Bankreihen, auf denen es sich schon einige Leute bequem gemacht, auf der anderen Seite befand sich eine Bühne, auf der eine Schulband spielte. Durch die offene Glastür des Schulhauses gingen ständig Leute ein und aus.

Sie erinnerte sich gut an die Schulfeste in ihrer Grundschule, als sie noch mit ihren Eltern ausserhalb von Konoha gelebt hatte. Damals hatte sie sich immer riesig darauf gefreut und jetzt an so einem Ort zu sein, rief schon einige Erinnerungen wach. Ihr stieg der Geruch von gegrilltem Fleisch und frittierten Leckereien in die Nase, ähnlich wie auf einem Jahrmarkt. Das rührte mit höchster Wahrscheinlichkeit von dem gut besuchten Imbissstand hinter den Tischen her.

Ein kurzer, unauffälliger Blick zu Sasuke verriet ihr genug über seinen Gemütszustand, um zu wissen, dass er jetzt am liebsten davonlaufen würde. Aber er würde das durchstehen. Er hatte den Mut sich dem hier zu stellen.

„Schau mal, Sasuke, das ist unsere Schule!“, Shina wedelte voller Stolz und Vorfreude mit ihrer Hand in Richtung des Gebäudes. Wenn sie wüsste, dass das auch einmal seine Schule gewesen war…

„Du und Sakura müsst nachher unbedingt mein Klassenzimmer anschauen!“, rief Takahiro und hüpfte voraus.

Haru schüttelte grinsend den Kopf. „So schnell wird man als Eltern irrelevant.“

„Tja, bei so junger Konkurrenz muss man sehen wo man bleibt, was?“ Ami hatte sich bei ihrem Mann eingehakt und legte ihm jetzt den Kopf auf die Schulter.

Zu Beginn schauten sie sich wirklich erst Takahiros Klassenzimmer an. Es befand sich im zweiten Stock und war das hinterste Zimmer in dem langen Gang. Neben jedem Zimmer gab es eine Reihe von Garderobenhaken, die mit den jeweiligen Namen der Schüler beschriftet waren, auf der anderen Seite befand sich eine Fensterfront.

Das Klassenzimmer selbst war richtig schön gestaltet, nichts im Vergleich zu den eintönigen Schulräumen im South Konoha College, mit denen sie sich zufrieden geben musste. Von der Decke hingen bunter Tücher, die Wände waren mit den Bildern der Schüler geschmückt und an der Wandtafel stand in farbenfrohem Schriftzug:

 

WILLKOMMEN BEI DER KLASSE 2B!

 

Die Pulte waren zu Inseln zusammengestellt worden und darauf waren diverse Sachen aus den Fächern Handarbeiten und Zeichnen ausgestellt. Während ihnen Takahiro eine kleine Privatführung durch das Ganze gab, beobachtete Sakura Sasuke vorsichtig. Bis vorhin war es ihr nicht aufgefallen, aber er spielte nervös an einem seiner Lederarmbändchen herum und das hatte sie bei ihm noch nicht allzu oft gesehen. Der Schwall an Erinnerungen an sein altes, gutes und behütetes Leben, den ihn überkomme musste, war bestimmt immens.

Gerne hätte sie ihm geholfen, aber ihr war bewusst, dass das vermutlich nicht ihre Aufgabe war. Nun, das stimmte nicht ganz, bewusst war es ihr nicht wirklich. Es war mehr so, als versuchte sie sich das selbst krampfhaft, aber erfolglos einzuimpfen. Das Gespräch mit Ami hatte sie heute ziemlich zum Nachdenken gebracht und sie wusste nicht so Recht, was sie tun sollte. Als sie zu diesem Abenteuer hier aufgebrochen war, da war sie sich eigentlich ziemlich sicher gewesen, wie es enden würde. Jedenfalls hatte ihr Verstand ihr diese Lösung als die richtige präsentiert. Aber jetzt war sie sich irgendwie nicht besonders sicher, ob das wirklich das Richtige war.

Ami und Haru wurden schon bald von Bekannten in Beschlag genommen, sodass sich Sakura in Ruhe mit Sasuke das Ganze ansehen konnte. Als sie gerade einige Kartoffeldruck-Bilder ansahen, flüsterte Sasuke: „Das ist es.“

„Was ist es?“ Sakura konnte nicht ganz folgen.

„Das Zimmer. Es ist es.“ Er klang nervös.

Sakura verstand. „War das dein Klassenzimmer?“

Er nickte unruhig. „Genau das.“

Manchmal fiel es Sakura schwer, an Zufälle zu glauben. So auch dieses Mal. Leider konnte sie nicht mehr tun, als bei ihm zu bleiben.

Als sie sich wieder nach unten, auf den Pausenhof begaben, glaubte Sakura, dass sich einige Blicke ihnen zuwandten. Vermutlich weil sie mit Ami und Haru unterwegs waren und sie bisher noch nie jemand mit Sasuke und ihr gesehen hatte. Sie war sich sogar sicher, dass die Beiden darauf angesprochen wurden, wenn sie Smalltalk mit Bekannten betrieben, aber nachfragen tat sie nicht. War ja egal.

Etwas später sassen sie an einem der langen Holztische und assen Pommes, wobei das für Sasuke zu viel gesagt war. Er nippte halbherzig an einer Cola, während Sakura ziemlichen Hunger hatte und sich neben ihm wie ein richtiger Vielfrass vorkam. Aber schliesslich hatte sie bisher noch nichts zu Abend gegessen.

Jetzt, wo die Sonne langsam aber sicher im Begriff war, sich zu verabschieden, war sie schon froh, hatte sie ihre Jacke mitgenommen. Es war eben doch erst April.

Je später es wurde, desto mehr junge Erwachsene fanden sich auf dem Platz ein. Sasuke war zunehmend angespannt und sie konnte sich nicht ganz erklären warum. Natürlich, das hier musste ihn enorm aufwühlen, aber irgendwie glaubte sie, dass da noch mehr dahinter steckte.

„Habt ihr so ein Schulfest eigentlich zwei Mal im Jahr?“, fragte Sasuke Ami plötzlich ganz unerwartet.

Diese schüttelte den Kopf. „Nein. Das findet immer im Frühling statt und sonst eigentlich nicht. Warum…“

„Moment, Ami. Haben uns die Eltern von Toya nicht einmal erzählt, dass das Ganze früher im Herbst stattgefunden hat?“

Ami dachte kurz nach und gleich darauf schien ihr ein Licht aufzugehen. „Ach ja, natürlich. War das Fest zu deiner Zeit noch im Herbst, Sasuke?“

Er nickte nur.

„Ich weiss nicht genau warum, aber die haben den Zeitpunkt verlegt. Es ging um irgendein Ereignis…“ Ihre Augen weiteten sich auf einmal. „Sasuke...ich…“

„Sag es ruhig, Ami“, sagte er ziemlich gefasst.

Ami brachte keinen Ton mehr heraus, so war es Haru, der übernahm. „Sie haben das Fest in den Frühling verlegt, weil in der Nacht eines Festes Menschen gestorben sind und man es den Verstorbenen zu Ehren verlegt hat.“

Sakura fiel es wie Schuppen von den Augen. Warum hatte sie nicht gleich daran gedacht, dass es sich hier um das Schulfest handelte, welches Sasuke in so schmerzhafter Erinnerung hatte?

„Diese Verbindung habe ich irgendwie nie gemacht…“, sagte Ami leise.

Im nächsten Moment setzte sich eine etwas runde Frau zu ihnen, die sogleich damit begann, Ami und Haru in Beschlag zu nehmen und mit ihnen die üblichen Gespräche zu führen.

Ehe sie sich versah, war Sasuke aufgestanden. Er nutzte den Moment, um zu verschwinden. Instinktiv erhob auch sie sich und ging mit ihm mit – wohin auch immer er wollte.

„Wo willst du hin, Sasuke?“, fragte sie laut genug, damit er sie in dem Rummel an Leuten hören konnte. „Zurück zum Haus?“

Er schüttelte nur den Kopf und bahnte sich dann weiter seinen Weg durch die Menge. Je weiter sie sich von den Tischen entfernten, desto lichter wurde das Menschengewusel. Die Sonne war inzwischen fast vollständig verschwunden. Sasuke ging weiter an der momentan leeren Bühne vorbei und machte erst um die Ecke des Schulgebäudes Halt. Dort befand sich ein kleiner Spielplatz mit einer Rutschbahn, zwei Schaukeln und einem grossen Sandkasten. Bei genauerem Hinsehen erkannte Sakura, dass sich hier auch das Kindergartengebäude befand, welches etwas kleiner war und man von vorne gar nicht sehen konnte, weil es vom Schulhaus verdeckt wurde. Das Licht, welches vom Pausenplatz her zu ihnen hinüberdrang, sorgte dafür, dass es hier hinten nicht stockfinster war. Sie vernahm das Klicken seines Feuerzeuges und im nächsten Moment glühte eine Zigarette auf.

„Geh weg, Sakura.“ Er klang kalt, abweisend und drehte ihr den Rücken zu.

Das tat weh. Aber bevor sie verletzt etwas erwidern wollte, schoss ihr die Erinnerung an ihre kleine Therapiestunde mit Ami wieder ins Gedächtnis. Wenn die Theorie stimmte, dann stiess er sie jetzt gerade wieder von sich weg, weil er sich fürchtete. Weil er ihr gegenüber nicht schwach sein wollte. Nicht seine weniger schönen Seiten offenbaren wollte.

„Nein, Sasuke. Du kannst ruhig vor mir rauchen. Ist nicht das erste Mal, das weisst du.“

Sie hatte versucht, es so formulieren, dass sie nicht verletzt oder irgendwie sauer klang, sondern möglichst normal. Einfach so, wie es ihr frisch von der Leber weg gekommen war.

Er drehte sich zwar nicht um, aber er erwiderte auch nichts und das war schon einmal ein gutes Zeichen.

„Du musst dir das nicht anschauen.“ Jetzt klang er schon weitaus versöhnlicher.

„Werde ich aber.“

Er wollte etwas dagegen sagen, das merkte sie, aber im letzten Moment hielt er inne. „Okay.“ Er klang versöhnlich.

Konnte es tatsächlich sein, dass Ami durch und durch Recht behielt?

Eine Weile standen sie nur schweigend da. Er rauchte, Sakura begab sich irgendwann zu der Schaukel und setzte sich darauf. Wenn etwas gesagt werden musste, dann würde er beginnen. Und tatsächlich.

„Glaubst du an Zufälle?“, fragte er plötzlich.

Sakura musste ein wenig schmunzeln, hatte sie doch gerade vorhin selbst genau darüber nachgedacht. „Nein. Eigentlich nicht. Und in diesem Fall hier schon gar nicht.“

„Es ist doch ein Witz …von all den Tagen an denen ich hierher kommen hätte können, musste es gerade jetzt sein.“ Er nahm einen Zug von seinem Glimmstängel. Sakura mochte den Geruch des Zigarettenrauchs ganz und gar nicht. Sasuke wusste das und stand deshalb etwas abseits, sodass der Rauch sie nicht erreichte.

„Kein Witz, Sasuke. Das musste so sein. Ganz bestimmt.“

Er lachte leise auf. „Ganz grosse Scheisse, das alles.“

„Kommt darauf an, wie du es ansiehst. Ich denke, wir haben ein riesiges Glück.“

„Ja…schon so. Und trotzdem ist es scheisse.“

Der leise Trotz in seiner Stimme brachte sie ein wenig zum Schmunzeln, obwohl sie sich der ernsten Situation vollkommen bewusst war.

„Glaubst du, dass es ein Fehler war, hierherzukommen?“, fragte sie ihn vorsichtig.

Er antwortete nicht gleich, sondern schien sich das zuerst gut überlegen zu müssen. Wortlos schmiss er den Zigarettenstummel in den Abfalleimer bei der grossen Eiche, die neben der Schaukel stand, und setzte sich dann neben Sakura. „Im Moment, ja. Aber aufs Ganze gesehen? Ich glaube nicht.“

„Wie bist du denn darauf gekommen? Ich meine, hast du diesen Entschluss denn alleine gefasst?“

Er zögerte und als Sakura seine Antwort vernahm, wusste sie auch warum. „Sniper.“

„Karin?“, rutschte es ihr heraus. Die unnahbare, zickige Karin hatte ihn dazu gebracht, diesen Ausflug hier zu machen? Eigentlich hatte sie auf Konan getippt und deshalb war sie umso überraschter, dass es ausgerechnet Sasukes Ex-Freundin geschafft hatte, dass er seine Vergangenheit konfrontierte.

Und wie er es vermutlich erwartet hatte, tat ihr das irgendwie weh. Sie wusste nicht einmal genau warum, es war so schwer, das auszudrücken. Die Beiden hatten einen Draht zueinander, der anders war, als ihrer. Anders als sie es bisher bei jemandem hatte beobachten können. Sie versuchte natürlich, sich nichts anmerken zu lassen, aber das war alles andere als einfach, besonders wenn man es mit Sasuke zu tun hatte.

Im nächsten Moment wurde ihr aber sofort bewusst, wie dämlich sie eigentlich war. Erstens musste sie sich hier und jetzt eingestehen, dass sie wohl oder übel Eifersucht gegenüber Karin verspürte. Und auf der anderen Seite war da die kleine aber feine Tatsache, dass Sasuke nicht Karin mit nach Oto genommen hatte, sondern sie. Sakura.

„Warum hast du eigentlich mich mitgenommen?“, fragte sie, so vorsichtig wie immer.

Er schaukelte leicht hin und her. „Kann ich dir nicht genau sagen. Einfach weil du es bist.“

Sie schwieg und liess sich seine Worte gründlich durch den Kopf gehen. Er vertraute ihr aus irgendeinem Grund so sehr, dass er sie hierhin, in sein früheres Leben mitgenommen hatte.

„Ich hätte ja nicht damit gerechnet, dass du wirklich mitkommst. Wenn es nach Big Fox ginge, wärst du jetzt bestimmt nicht da. Verständlicherweise.“

Das ganze Gespräch schien ihn ein wenig von seinem eigentlichen Konflikt abzulenken und das war gut so. Die Art, wie er das jetzt gesagt hatte, verwies auf die unangenehmen Dinge, die zwischen ihnen in den letzten Wochen passiert waren.

Sie hörte ihn neben sich tief durchatmen. Es schien ihr, als wollte er etwas sagen, konnte es aber einfach nicht in Worte fassen.

„War er… war er noch lange blau?“ Er starrte konzentriert geradeaus. Vom Schulhof her vernahm sie Musik und Gelächter. Von hier aus konnte sie die Bühne sehen, auf der sich gerade die eine weitete Schulband für ihren Auftritt einrichteten. Jetzt waren wohl die etwas Älteren dran, sie vermutete siebte oder achte Klasse.

Ihre Überraschung konnte sie schlecht verbergen. Dass er das so direkt ansprach, verblüffte sie ziemlich.

„Nun, wenn man die grünen und gelben Phasen mitzählt…ja.“ Das war ihr genau so rausgerutscht und diente auf keinen Fall der Absicht, ihm unter die Nase zu reiben, wie schlimm das Ganze für sie gewesen war.

Er hatte die Augen geschlossen und kniff sie bei dieser Aussage noch für einen kurzen Moment etwas mehr zusammen, als hätte er Schmerzen. Gleich darauf entwich ihm ein leises Seufzen.

„Manchmal verstehe ich echt nicht, warum du eingewilligt hast, mich hierher zu begleiten. Ich weiss nicht, ob ich das an deiner Stelle getan hätte...das soll nicht heissen, dass ich nicht froh bin, dass du da bist…“

Schweigend sahen sie zu, wie die Band sich installierte. Es waren drei Jungs und zwei Mädchen. Eines der Mädchen hatte sich ans Mikrofon gestellt und schien nur noch darauf zu warten, dass ihre Kollegen ihr die passende Musik präsentierten. Der Schlagzeuger hatte sich hinter sein Instrument hingesetzt, nahm aber keine der Schläger in die Hand und auch Bassistin und Gitarrist setzten sich etwas abseits hin. Stehen blieb der Pianist am Elektropiano und das Mädchen am Mikrofon.

Gerade war Sakura ziemlich froh, dass sie eine Ablenkung hatten. Das vorangegangene Gesprächsthema war gerade alles andere als angenehm gewesen.

Der Pianist fing zu spielen an. Sanfte, leichte Töne. Sehr bald setzte das Mädchen ein. Sie hatte eine wunderschöne, klare Stimme. So rein und hell.

Und der Text war nicht weniger schön. Sie sang englisch und es klang, als ob sie diese Sprache fliessend sprechen würde. Sakura lauschte aufmerksam. Das Lied besang jemanden, der eine wirklich harte Zeit zu haben schien. An sich zweifelte. Sich alleine fühlte.

 

You're alone, you're on your own, so what?

Have you gone blind?

Have you forgotten what you have and what is yours?

 

Der Klang des Klaviers und die sanfte Stimme der Sängerin berührte sie irgendwie tief. Auf eine Art konnte sie es übertragen. Auf Sasuke. Sie hoffte, dass er ebenso aufmerksam zuhörte. Ein Blick zu ihm verriet ihr, dass er genau das tat.

Das Mädchen sang genau das, was sie ihm auch gerne sagen wollte. Wenn da nicht so viel zwischen ihnen wäre.
 

You don't get what all this is about

You're too wrapped up in your self doubt

You've got that young blood, set it free
 

Egal was zwischen ihnen geschehen war, sie wollte, dass es ihm wieder gut ging. Dass er all das Schlechte hinter sich lassen und an eine blühende Zukunft glauben konnte. Er hatte es so verdient.

Sie wusste nicht, warum ihr Herz plötzlich so schnell schlug. Vielleicht war es die wunderbare Musik. Vielleicht war es aber auch er. Sie erinnerte sich daran, was Ami heute Morgen gesagt hatte. Dass er sie nicht an sich heranliess, weil er Angst davor hatte, sie weglaufen zu sehen.

Hör zu Sasuke, dachte sie. Hör zu. Es ist noch nicht alles verloren. Du hast das Zeug dazu. Es gibt noch so viel mehr zu sehen. Zu tun. Zu erleben.

 

You've got it all

You lost your mind in the sound

There's so much more

You can reclaim your crown

You're in control

Rid of the monsters inside your head

Put all your faults to bed

You can be king again

 

Als der letzte Ton des Liedes verklang, erntete die Band tosenden Applaus – zu Recht. Das war eine der schönsten Live-Auftritte gewesen, die sie je gesehen beziehungsweise gehört hatte.

Sie war so gerührt, dass sie zuerst einmal durchatmen musste. Wie sollte es denn möglich sein, jetzt wieder ein Gespräch aufzunehmen.

Erstaunlicherweise, übernahm er diesen Part von selbst.

„Sag mal… hättest du… ich meine…würdest du…“ Wenn Sasuke stammelte, dann musste es ernst sein. Er stammelte nie.

Es schien ihm richtig Mühe zu machen, diese Worte über die Lippen zu bringen. Er hatte den Blick auf den Boden gerichtet, seine Hände waren ganz verkrampft. Einmal atmete er tief durch.

„Würdest du… würdest du hier bleiben?“

Jetzt war sie ganz schön perplex und wusste nicht genau, was er damit meinte „Ich bin hier. Und wenn du das möchtest bleibe ich da, bis du zurückgehen willst.“

Plötzlich musste er lachen. Nur kurz, aber er lachte. Sakura hatte schon geahnt, dass sie wohl gerade die dümmste Antwort die es überhaupt gab vom Stapel gelassen hatte.

„Eigentlich hab ich es anders gemeint…“ Er fuhr sich mit der Hand durchs Haar. Das machte er selten. „Aber es war blöd. Zuerst sollte ich vermutlich noch etwas anderes sagen.“

Manchmal wurde sie einfach nicht schlau aus ihm und schon gar nicht jetzt.

„Sakura…ich weiss, ich hab Mist gebaut. Eine ganze Menge und das schon lange…aber ich wollte es irgendwie nicht akzeptieren. Nicht akzeptieren dass ich dich verletzt habe, obwohl du nie etwas Falsches gemacht hast. Es… mag dumm klingen, aber es tut mir leid. Alles. Alles was passiert ist. Die Sache in der Garage, die Sache im Toad’s…du hast wegen mir viel mitmachen müssen und ich hab es dir nicht gedankt. Im Gegenteil… „

Sie konnte kaum glauben, was sie da hörte. Warum auf einmal? Warum liess er sie auf einmal an sich heran?

Diese Entschuldigung, die zugegebenermassen fällig gewesen war, sorgte in ihr für ein Wohlgefühl, das sie sich kaum zuzugeben traute. Wie würde Ino sagen? Was er getan hat, war scheisse und das bleibt auch so. Da kann er sich noch tausendmal entschuldigen.

Da hatte sie auf eine Art schon Recht. Aber sie spürte und hörte es hier und jetzt mehr als deutlich: Seine Reue. Es war nicht einfach ein daher gesagtes „Sorry“ gewesen, sondern war aus seinem tiefsten Herzen gekommen. Deshalb hatte es ihm auch solche Mühe bereitet. Er hatte sich eingestanden, was er falsch gemacht hatte und bat um Verzeihung. Und sie war kein Mensch, der nicht vergeben konnte.

Er hatte seine kalte Mauer ihr gegenüber geöffnet. Das Tor ein wenig weiter aufgemacht. Er wollte dass sie reinkam. Wollte sie das auch? Nein. Das war nicht ihre Absicht gewesen, als sie hierher mitgekommen war.

Ihre Augen brannten. Pünktlich wie die Feuerwehr. Wem machte sie auch etwas vor? Sie hatte sich die ganze Zeit selbst vorgelogen, warum sie hier war. Sie war nicht hier um abzuschliessen, sondern wegen ihm alleine. Weil sie es einfach nicht lassen konnte. Ihr Herz hatte sie ihm einmal geschenkt und nie mehr zurückgewinnen können. Es war für sie unvorstellbar, jemals wieder einen Mann zu finden, der solche tiefen Gefühle in ihr auslöste.

Da spielte es keine Rolle mehr, was geschehen war. Sie wollte die schlimmen Dinge zu den Akten legen. Und jetzt, da er sich bei ihr entschuldigt hatte, konnte sie das auch endlich.

Ami hatte recht gehabt. Er hatte Angst. Noch immer. Aber er stellte sich ihr. Jetzt war ihr klar, was er mit seiner Frage vorhin gemeint hatte.

In ihrer rasenden Gedankenachterbahn hatte sie gar nicht bemerkt, dass er aufgestanden war. Er stand jetzt direkt vor ihr und sah ihr ins Gesicht.

Sie spürte es: Sie weinte. Wieder einmal. Es war zum verrückt werden.

„Ich  habe gehört, was du deiner Tante gesagt hast. Dass du das hier alles hinter dir lassen willst. Und das hat mir die Ohrfeige verpasst, die nötig war.  Ami hat mir heute gesagt, dass man sich vieles, was man verloren hat, wiederholen kann. Mit Ehrlichkeit.“ Er hatte bis jetzt vorwiegend zu Boden geschaut, was sie ihm auch nicht übel nahm. Er war sich solche Gespräche nicht gewohnt. Aber jetzt hob er seinen Blick und schaute sie mit seinen dunklen Augen direkt an. Intensiv. Wie immer.

Also hatte Ami auch mit ihm über das gesprochen? Diese Frau musste die Intuition in Person sein. Ganz einfach. Und dass Sasuke auf sie hörte sprach noch einmal mehr für sie.

„ Deshalb… würdest du hier bleiben? Bei mir?“ Er sagte das so ehrlich. So aufrichtig. Und gleichzeitig spürte sie seine Furcht vor ihrer Antwort Ihr Herz klopfte. Die Musik der Band, die wieder zu spielen begonnen hatte, drang nur noch in Fetzen zu ihr hindurch, so sehr rauschte das Blut in ihren Ohren.

Aber er hatte die Monster, die Angst in seinem Kopf bekämpft. Jedenfalls in dieser Hinsicht. Und das war unglaublich mutig.

Im nächsten Augenblick hatte er ihre Hand in seine genommen und zog sie langsam auf die Beine. Er glühte förmlich.

Sie musste ihren Blick senken, so peinlich war es ihr, dass sie schon wieder die Heulsuse markierte. Aber sie konnte nichts dagegen tun, die Tränen kamen einfach, ungefragt.

„Wenn du nicht willst, dann akzeptiere ich es. Das kann ich dir nicht verübeln…nicht im Geringsten.“ Er versuchte zwar, ruhig zu klingen aber sie hörte ihm an, dass der Gedanke daran ihn nervös machte.

Auf einmal liess er langsam ihre Hand los. Plötzlich war die Wärme weg. Wahrscheinlich hatte sie zu lange mit ihrer Antwort gewartet und er deutete das als eine Zurückweisung. Er nickte langsam und machte zwei Schritte zurück.

Instinktiv, ohne dass sie dabei irgendeine Kontrolle gehabt hätte, packte sie seine Hand wieder. Jetzt sah er verwirrt aus.

„Ich kann ja nicht bleiben, wenn du jetzt gehst“, flüsterte sie. Vorne auf dem Platz spielte die Band ihr erstes Lied noch einmal. Sie zitterte.

Und ehe sie es sich versah, wurde sie zu ihm hingezogen. Sie spürte seine Arme um ihre Schultern, roch seinen Duft nach Freiheit an seinem Hals. Sie schlang ihre Arme um ihn und vergrub ihre Finger in seinem Shirt. Es war so wunderschön, ihm nach all diesen schwierigen Zeiten endlich wieder nahe zu sein. Er war so wunderschön. Erst jetzt wurde ihr wirklich klar, wie lange sie sich das schon gewünscht hatte. Nur hatte sie es immer wieder von sich weggeschoben.

Und so standen sie da, lauschten den Klängen der Musik und hörten einander beim Atmen zu. Noch nie hatte sie diese Zuneigung zu ihm so intensiv verspürt. Noch nie hatte sie sich ihm so nahe gefühlt.

Niemals hätte sie damit gerechnet, dass sie sich ausgerechnet hier, in Otogakure wiederfinden würden. Aber sie hatten sich gefunden.

Und das war das, was zählte. 

 

You can be king again.

Längst vergessene Gesichter

Es war, wie wenn sie eine andere Welt betreten würden, als sie sich auf den Weg zurück zu den Iwasawas machten. Die Stimmen der vielen Menschen und die Musik, die inzwischen wieder aus einer Stereoanlage drang, kamen nur langsam zu ihr durch.

In ihren Gedanken war sie bei ihm, bei seinen Worten und vor allem bei seinen Taten vorhin. Sie hatte ihn schon so lange nicht mehr so aus sich rauskommen sehen, wie jetzt. Nicht einmal die Umarmung auf dem Dach von Madaras Firma war auch nur annähernd ein Vergleich dafür. Denn dieses Mal hatte er sich geöffnet. Sei es auch nur für kurze Zeit gewesen, aber er hatte sich nicht wie immer vor ihr verschlossen.

Inzwischen war der Platz vor der Bühne zu einer Tanzfläche geworden, wo sich Jung und Alt austoben konnten. Sakura erinnerte das an die Strassenparty im letzten Sommer wo all das hier seinen Anfang genommen hatte. Wer wusste, was passiert wäre, wenn der DJ zwei andere auf die Bühne geholt hätte? Vielleicht wäre alles ganz anders verlaufen und sie hätte sie nie diese verrückte Zeit mit Sasuke erlebt. Wäre nie im Taka-HQ gewesen. Hätte sie alle immer nur in schlechtem Licht gesehen, so wie alle anderen Kuramas seit Generationen. Hätte niemals dieses intensive Band gespürt, welches sie zwischen Sasuke und sich wähnte.

Aber es wäre ihr auch vieles erspart geblieben. Jeder Konflikt mit den Kuramas bezüglich Sasuke, all die Tränen, die sie deswegen vergossen hatte. Den Schmerz, den sie für Sasuke empfunden hatte, als Itachi gestorben war. Den Schmerz, als sie Itachi sterben gesehen hatte. Die ständige Hin- und Her-Gerissenheit zwischen den Fronten.

Ami und Haru sassen immer noch am Tisch, jetzt jedoch waren sie mit zwei anderen Familien im Gespräch. Neben den plaudernden Eltern sassen drei Kinder, etwas älter als Shina und Takahiro und etwas weiter weg eine Gruppe von Leuten in Sakuras und Sasukes Alter. Von der Gruppe gehörten aber vermutlich nur zwei oder drei zu den Leuten, mit denen die Iwasawas berichteten.

Ami lächelte sie freudig an und winkte beide zu sich hin.

„Wen habt ihr denn da bei euch, Ami?“, fragte eine blonde, freundlich lächelnde Frau, vermutlich Mitte Vierzig und musterte sie aufmerksam. Besonders Sasuke musste ihr auffallen. Wenigstens trug er eine Jacke und damit war sein Tattoo nicht sichtbar. Damit hätte er bestimmt noch mehr Blicke auf sich gezogen.

Ami und Haru wechselten einen kurzen Blick. „Bekannte. Sie sind auf der Durchreise und übernachten ein, zwei Nächte bei uns. Sasuke und Sakura.“

Die vier Erwachsenen inklusive der Blonden schüttelten ihnen die Hände. Sasuke wirkte bewundernswert natürlich.

„Und von wo seid ihr denn, Sakura?“, fragte ein Mann, allem Anschein nach der Ehemann der Blonden, die sich ihnen als Honoka vorgestellt hatte.

„Konohagakure. Das kennen Sie vermutlich.“ Sie siezte ihn, weil es für sie nicht unbedingt normal war, jemanden Fremden einfach so zu duzen.

„Aber natürlich. Aus dem Grossstadtdschungel also. Das wäre ja nichts für mich“, lachte er. Er meinte das sehr nett, aber Sasuke und Sakura hatten sich die Stadt ja auch nicht ausgesucht.

„Und wie alt seid ihr?“

„Einundzwanzig“, antwortete Sasuke.

„Und ich bin neunzehn.“

„Ach wirklich? Dann seid ihr ja etwa im Alter unserer Kinder!“, lachte nun die andere Frau, Ayana. „Noriko ist zwanzig und Honokas Sohn Inaho ist einundzwanzig. Die Beiden sind längst aus der Schule, aber fürs Schulfest sind sie immer zu haben.“

Ein blonder Junge und ein braunhaariges Mädchen mit Pferdeschwanz drehten sich um, als sie ihre Namen hörten.

„Das da drüben sind alles ehemalige Schüler desselben Jahrgangs aus dieser Schule hier.“

Noriko, Inaho und fünf weitere junge Leute sahen nun interessiert zu ihnen hin.

„Kinder, das sind Sasuke und Sakura, Gäste von Ami und Haru. Sie kommen aus Konoha.“

„Konoha?“ Noriko hatte sofort ihre braunen Rehaugen aufgerissen. „Das Konoha?“

Sakura nickte verlegen. Für sie war es normal, dort zu leben, für andere offensichtlich nicht. Aber wer konnte es ihnen verübeln. Es war die Metropole schlecht hin.

„Genau“, Sakura lächelte.

„Kommt doch ein wenig zu uns“, meinte ein weiteres Mädchen, ebenfalls blond.

Sasuke und Sakura wollten auf keinen Fall unhöflich sein, zudem interessierte sich zumindest Sakura ziemlich für diese Leute. Sie wollte wissen, wie die Kinder aus Sasukes altem zu Hause so waren und wie er vielleicht geworden wäre, wenn ihm all die schlimmen Dinge niemals passiert wären.

Die weiteren drei Mädchen und zwei Jungs stellten sich ihnen kurz vor. Sakura konnte sich nicht alle Namen auf Anhieb merken. Das blonde Mädchen, welches sie vorhin zu ihnen gerufen hatte, hiess jedenfalls Yui.

„Konoha also?“, fragte Yui. „Wie ist das so?“

Sakura erzählte ein wenig von der Grossstadt, liess aber das Thema Gangs und alles was dazugehörte schön ruhen. Auch Sasuke beteiligte sich ein wenig an der Erzählung, aber sie merkte ihm an, dass er sich vor zu tief schürfenden Fragen sorgte.

Es waren echt nette Leute und die Unterhaltung war ungezwungen. Bei der Frage nach den derzeitigen Jobs kam Sasuke gut weg, da er nur die Autowerkstatt erwähnte. Das liess die Anderen automatisch darauf schliessen, dass er etwas wie Automechaniker war und damit konnten sie das heikle Thema umschiffen. Und dabei mussten sie ihnen nicht einmal ins Gesicht lügen. Sakura erzählte aus dem Grund auch noch etwas ausgedehnter vom College. Inaho, Yui und ein weiteres Mädchen besuchten ebenfalls das College, aber in Iwagakure. Noriko war im Abschlussjahr ihrer Ausbildung als Webdesignerin und die beiden Jungs arbeiteten in technischen Berufen.

Sakura fiel während ihren Gesprächen auf, wie sie sich allesamt Mühe gaben, Sasuke nicht zu lange und zu offensichtlich zu mustern. Irgendwie fand sie das lustig. In Konoha war Sasuke nicht einmal halb so auffällig, wie hier.

Je länger sie mit diesen Leuten redete, desto mehr wurde ihr bewusst, aus was für einer heilen Welt sie kamen. Aus so einer Welt, in der auch sie ursprünglich einmal gelebt hatte. Man merkte einfach die enormen Unterschiede, wie gross der Krater zwischen der Gang-Welt in Konoha und der „normalen“ Welt war. Sie beschäftigten sich tagtäglich mit ganz anderem, vorwiegend ihrer Zukunft, während sie das College inzwischen zugegebenermassen als eher zweitrangig einstufte. Das sollte nicht so sein, das wusste sie. Aber was sollte sie tun, wenn ständig anderes in ihrem Kopf herumgeisterte, was ihr so viel elementarer erschien?

Von Sasuke ganz zu schweigen. Er war als ein Strassenkind nach Konoha gekommen und ein Gangjunge geworden. Und jetzt war er der Leader. Da hatte er wenig Zeit, sich um seine Zukunft zu sorgen. Er nahm jeden Tag, einer nach dem Anderen, während diese Leute hier zielstrebig in die Zukunft schauten. Aber dazu hatten sie ja auch die Mittel und Voraussetzungen.

„Weisst du Sasuke, irgendwie erinnerst du mich an jemanden“, sagte einer der Jungs, Kaito hiess er, auf einmal.

„Ach ja? An wen denn?“, fragte Sasuke. Er hatte sich während dem Gespräch etwas entspannt und schaffte es auch jetzt, seine ruhige Ausstrahlung aufrecht zu erhalten. Dabei wusste Sakura, dass er gerade alles andere als ruhig war.

„Kann ich dir echt nicht sagen. Aber irgendwas klingelt.“ Er lachte. „Wahrscheinlich bilde ich mir es nur ein.“

Noriko schüttelte den Kopf. „Nein, ich weiss was du meinst. Ich weiss auch nicht genau was es ist. Vielleicht sein Name? Wir hatten doch auch mal einen Sasuke in der Grundschule.“

„Wir hatten sogar zwei Sasukes, wenn du dich erinnern kannst“, grinste Inaho und gab ihr einen sanften Klaps auf den Hinterkopf. „Nakamura und Uchiha.“

Sakura verschluckte sich in dem Moment so heftig an ihrer Cola, dass sie einen regelrechten Hustenanfall bekam.

„Sakura, alles klar bei dir?“, fragte Yui besorgt.

„Ja…hab mich nur…verschluckt…“, stiess sie zwischen einigen Hustern hervor. Als sie sich wieder erholt hatte musste sie lachen und die Anderen stimmten mit ein. Sie hoffte, dass das jetzt nicht zu auffällig gewesen war.

„Wie auch immer“, meinte das dritte Mädchen lächelnd. Bei genauerem Nachdenken fiel ihr der Name wieder ein: Rima. „Mich interessiert da was anderes mehr. Woher hast du die Narbe über deinem Auge, Sasuke?“

Sakura erschrak auf diese Frage hin ziemlich. Die Narbe war zwar da, aber man sah sie nur wenn man gut hinsah. Was würde er denn darauf jetzt antworten?

„Oh, tut mir leid.“ Sie wurde ein wenig rot. „Das war jetzt frech oder? Sorry, du musst mir das nicht sagen. Ich bin nur neugierig“

„Ein Messer“, sagte Sasuke mit einem Grinsen, das wahrscheinlich nur für sie nicht wirklich echt wirkte. „Eine unangenehme Begegnung mit einem Messer vor einiger Zeit.“

So kauften ihm die Anderen das besser ab. Nie und nimmer würden sie vermuten, dass sie aus einem Kampf stammte. Und in der Tat, sie lachten.

Glücklicherweise fragten sie nicht weiter nach.

Nichtsdestotrotz rasten Sakuras Gedanken. Diese Leute waren mit Sasuke zur Schule gegangen? Erinnerte sich Sasuke an sie? Er hatte jedenfalls sein Pokerface aufgesetzt. Nicht einmal sie konnte daraus in irgend einer Weise schlau werden.

„Hey Leute, ich will ja nicht nerven aber jetzt habe ich doch noch eine Frage zu diesen Sasukes. Kam nicht der eine plötzlich nach den Herbstferien nicht mehr zur Schule?“ Noriko schien das Ganze noch nicht wirklich loszulassen.

„Ja richtig. Das war Sasuke Uchiha. Das war echt krass damals…“ Yui spielte mit ihrem Haar. Sie sah süss aus mit den beiden Zöpfen.

„Das ist echt eine schlimme Geschichte, wenn man bedenkt dass sie aus so einem Ort wie Oto stammt. Ihr kennt das aus Konoha bestimmt zur Genüge. Hier wurde einmal nach dem traditionellen Schulfest eine Familie von einem entlaufenen Psychopathen überfallen. Irgendein Geisteskranker. Das waren eben die Uchihas eine Familie mit zwei Söhnen, einer davon war eben dieser Sasuke.“

„Hier am Fest sind sicher auch ein paar ehemalige Schüler anwesend, die mit seinem Bruder zur Schule gegangen sind. Wie der heisst weiss ich leider nicht mehr“, ergänzte Inaho.

„Jedenfalls hat dieser kranke Typ die Eltern erschossen, die Jungen konnten aber gerade noch fliehen. Das hat damals das ganze Dorf erschüttert, weil die Uchihas irgendwie jeder gekannt hat. Wo die Beiden jetzt wohl sind?“

Sakura war kurz davor, rückwärts von der Bank zu kippen. Wenn sie auch nur die geringste Ahnung davon hätten, wem sie das gerade erzählten, ginge es ihnen wohl nicht anders.

Sasuke war schon fast unheimlich ruhig. Aber was antwortete man denn auf so etwas?

„Ach ja? Das klingt ja wirklich heftig…“ Sakura versuchte es mit einem ziemlich schlechten Kommentar. Es gelang ihr nicht im Mindesten, ihre Nervosität zu überspielen. „Denkt man gar nicht…von so einem Vorort meine ich.“

Jeder Schauspieler hätte sich wohl gerade mit der flachen Hand gegen die Stirn geschlagen, so schlecht hatte sie das alles rübergebracht. Richtig zum Heulen.

„Deswegen haben sie auch das Schulfest in den Frühling verlegt oder? Das Ganze ist ja in der Nacht des Festes passiert“, fügte das dritte Mädchen an.

„Genau. Vielleicht liegt es wirklich am Namen, dass du uns an jemanden erinnerst.“ Inaho nahm einen Schluck von seinem Bier.

„Hatten die Uchihas nicht auch alle so schwarze Haare?“ Yui legte den Kopf schief. „Ich glaube es liegt definitiv an den schwarzen Haaren und deinem Namen.“

Sasuke hatte die ganze Zeit über geschwiegen. Eigentlich müsste er kurz vorm Explodieren sein.

„Mich würde aber wirklich interessieren, was aus den beiden Jungs geworden ist. Die haben wir ja danach nie mehr wieder gesehen.“ Noriko kratzte sich am Kopf. „Ach Mist, ich kann mich einfach nicht daran erinnern, wie Sasukes Bruder heisst…“

„Yao?“ Versuchte es Yui.

„Nee, also so sicher nicht.“ Noriko winkte ab. „Eigentlich ist es ja auch eg…“

„Itachi.“ Das war von Sasuke gekommen. „Er hiess Itachi.“

Sakura erstarrte. Sasuke neben ihr war ruhig. Zu ruhig. Grabesruhig. Da wäre es ihr wesentlich lieber, wenn er an die Decke gegangen wäre.

Die Anderen starrten ihn mit grossen Augen an. Man konnte ihnen förmlich ansehen, dass sich in ihren Köpfen die Puzzleteile langsam zusammenfügten.

„Woher… woher weisst du das?“, fragte die Yui als Erstes, mit einem mehr als nur verwunderten Blick in ihren grossen Mondaugen.

Inaho schüttelte den Kopf. „Du kennst die Geschichte doch nicht, oder?“

„Sasuke…“, flüsterte Noriko. „Doch nicht etwa…der Sasuke?“

Sasuke stand langsam auf. „ Der Bruder ist tot, er hingegen lebt in Konoha, sonst noch Fragen?“

Die Anderen standen sichtlich unter Schock. Nur gut, dass das in den vielen Gesprächen, die um sie herum in Gang waren und der lauten Musik unterging.

Ein Blick nach links und sie sah in ihren Augenwinkeln Ami und Haru zu der Musik tanzen. Das hätte sie sich wirklich gerne angeschaut, aber hier galt es, die Prioritäten anders zu setzen.

Sasuke musterte ihre Gesichter, eines nach dem anderen. „Inaho, Yasuo, Noriko, Yui, Rima, Suki, Kaito. Ich erkenne euch alle wieder.“ Er war immer noch viel zu ruhig. Und das war erstaunlich, in Anbetracht dessen, was er gerade durchstand. Was war es für ein Gefühl, wenn längst vergessene Gesichter plötzlich wieder auftauchten, Gesichter aus der Vergangenheit, mit der man einfach nicht abschliessen konnte?

„Sasuke…“, flüsterte Rima. „Das kann doch nicht…“

„Sakura, ich hole Takahiro und Shina. Habe Ami bereits vorhin versprochen, dass ich sie um halb elf nach Hause bringe, damit sie und Haru noch etwas feiern können.“

„Ich komme gleich mit“, sagte Sakura. Er nickte und verschwand, liess die Gruppe mit offenen Mündern zurück. Noriko fasste sich als erste wieder.

„Sakura… wir wussten das nicht…das erklärt natürlich Einiges.“

Inaho fuhr sich gestresst mit der Hand durch das blonde Haar. „Dass er hierherkommen würde…und dass er im Anbetracht all dessen so ruhig bleibt…“

„Erzähl uns bitte mehr, Sakura.“ Yui sagte das schon fast flehend. „Wir sind mit ihm zur Schule gegangen… in den Kindergarten… ihn jetzt hier wiederzusehen ist wirklich unglaublich…“

Sakura schaute sich um, aber Sasuke war mit den beiden Kindern noch nicht zu sehen.

Sie seufzte. „Das behaltet ihr bitte für euch: Sasuke ist mit seinem Bruder aus dem Kinderheim getürmt, in das man sie gesteckt hat, weil die Zustände dort unerträglich waren. Sie sind als Strassenkinder nach Konoha gekommen. Es ist eine echt lange Geschichte.“

„Und was hat er gesagt? Itachi ist tot?“

„Richtig.“ Schon der blosse Gedanke daran, tat weh. „Letzten Dezember.“

„Wie?“, fragte Yasuo.

„Sasuke lebt ein anderes Leben als ihr. Das müsst ihr euch bewusst sein. Und auch Itachi war ein Teil dieses Lebens. Er wurde ermordet. In einem Kampf zwischen Gangs.“ Inzwischen gab sie das einfach preis. Früher oder später würden sie es sowieso erfahren.

Jetzt waren endgültig alle Kinnladen runtergefallen. In dem Moment entdeckte sie Sasuke mit Shina und Takahiro am Schultor.

„Ich muss los!“ Hastig kritzelte sie ihre Nummer auf eine Serviette. „Ich würde gerne mit euch in Kontakt bleiben, wenn ihr das auch möchtet. Wenn ihr mehr wissen wollt, fragt bitte Ami, aber ich muss jetzt gehen.“

Die Anderen schauten nur ziemlich perplex aus der Wäsche. Das war eindeutig zu viel für sie. „Okay…“

„Ciao zusammen, es war schön, euch kennengelernt zu haben!“ Sie wusste, das war ein sehr kurzer Abschied, aber sie wollte bei Sasuke sein. Ihm ging es nicht gut, soviel stand fest.

Die Anderen riefen ihr noch einige Abschiedsworte hinterher und dann war sie ausser Hörweite. Takahiro winkte ihr schon von Weitem, während die sonst so lebhafte Shina ziemlich müde aussah.

„Sakura! Kommst du auch mit uns?“, fragte Takahiro fröhlich. Er sah zwar eindeutig müde aus, befand sich aber wohl in dieser einen Phase der Müdigkeit, in der die Energie trotzdem noch vorhanden ist.

„Natürlich!“ Sie musste lächeln. Ami und Haru waren mit zwei wirklich süssen Kindern gesegnet.

Sasuke liess sich nach wie vor nicht viel anmerken. „Bist du soweit, Sakura?“

Sie nickte. „Klar.“

Seine Anspannung war spürbar, aber sie vermutete, dass das nicht nur von der vorherigen Begegnung mit seinen alten Klassenkameraden stammte. Nein, sie waren drauf und dran denselben Weg zu gehen, den er mit seinen Eltern und Itachi vor vielen Jahren gegangen war und ihn direkt in die Dunkelheit geführt hatte.

Als sie losliefen sagten sie erst einmal nichts. Aber irgendwann konnte sie einfach nicht mehr schweigen.

„Du kannst ruhig sagen, wenn du einen Umweg machen willst“, sagte sie leise. Es wäre völlig verständlich wenn er nicht die Strasse betreten wollte, wo vor Jahren alles seinen Anfang genommen hatte. Und dann war die Situation noch so enorm ähnlich. Nur war er dieses Mal nicht das Kind. Vorhin hatten sie mit Ami und Haru einen anderen Weg genommen.

„Nein. Wir gehen den schnellsten Weg, sonst schläft Shina noch im Gehen ein. Takahiro, gibst du Sakura bitte die Hand?“ Himmel, die Ruhe und Bestimmtheit in seiner Stimme verwirrte sie.

Takahiro gab Sakura ohne zu meckern die Hand. „Warum, Sasuke?“

„Weil es dunkel ist. Bleib immer bei deinen Eltern, wenn du nachts in der Dunkelheit unterwegs bist, Hiro.“

Takahiro nickte. Er schien zu verstehen. „Ist gut.“

Eine Weile gingen sie so nebeneinander her, durch das nächtliche Oto. Je weiter sie sich vom Schulhaus entfernten, desto weniger Menschen waren anzutreffen.

„Ich mag nicht mehr laufen…“, flüsterte Shina, die wirklich kurz davor war, einzuschlafen. Ehe es sich Sakura versah war Sasuke vor Shina in die Hocke gegangen, damit sie Huckepack auf seinen Rücken klettern konnte. Die Kleine schien so müde, dass sie das beinahe automatisch machte. Es sah süss aus, wie sie sofort mit dem Kopf auf Sasukes Schulter einnickte. Inzwischen schien die Müdigkeit auch bei Takahiro angekommen zu sein, denn er sagte nicht mehr besonders viel und lehnte sich richtiggehend gegen Sakuras Arm.

Als sie um die nächste Ecke bogen, betraten sie eine kleine Strasse zwischen zwei Häuserreihen. Erhellt wurde sie nur durch das Licht zweier schwacher Strassenlaternen, die es gerade einmal schafften, ihre nächste Umgebung etwas zu erhellen. Es waren kaum Fenster zur Strassenseite hingerichtet und wenn es welche hatte, dann brannte kein Licht. Am Tag wirkte die kleine Gasse völlig normal, aber jetzt bei Nacht hatte sie etwas Gespenstisches.

Sie brauchte ihn nur anzuschauen, um zu wissen, dass das die Gasse war. In Sakura kam ein unangenehmes Gefühl auf. Etwas vor ihr ging Sasuke mit Shina auf dem Rücken.

Sie stellte sich unwillkürlich vor, Sasukes Mutter zu sein und der kleine Hiro war Sasuke. Die blosse Vorstellung davon, dass im nächsten Moment hinter einer Hauswand ein Verrückter mit Pistole hervorspringen könnte, brachte Spannung in ihren Körper.

Hätten die Uchihas in dieser verhängnisvollen Nacht nur einen Umweg gemacht und alles wäre niemals so gekommen. Dann würde Sasuke hier und jetzt mit Inaho, Noriko und den Anderen am Tisch sitzen, lachen und sich über die alten Zeiten unterhalten. Dann wären Sasukes Eltern Fugaku und Mikoto, sowie Itachi vielleicht auch dabei gewesen.

Aber das Schicksal hatte es anders gewollt.

Sasuke blieb die ganze Zeit über aufmerksam und sie würde wetten, dass er unter seiner Jacke am Gürtel ein Messer griffbereit hatte. Sein Gang war schneller geworden. Eigentlich wusste sie, dass er mit Absicht diese Strasse gewählt hatte, denn er war dazu entschlossen, sich all dem zu stellen. Es wäre keine grosse Sache gewesen, eine andere Strasse zu nehmen.

Sie konnte es kaum mitansehen, wie er sich selbst da durch quälte. Instinktiv legte sie ihm ihre Hand auf seine, welche er vor seinem Bauch in der Anderen verhakt hatte. Sofort spürte sie kalten Schweiss und ein fast schon unmerkliches Zittern. Sasuke zeigte keinerlei Reaktion, was in diesem Zusammenhang aber kein gutes Zeichen war.

Selbst als sie die Gasse ohne Zwischenfälle hinter sich liessen, blieb er verkrampft und angespannt. Seine Unruhe legte sich erst, als sie in die Quartierstrasse zu Amis und Harus Haus einbogen, wo die Beleuchtung glücklicherweise etwas besser war.

Sasuke hatte den Hausschlüssen bei sich und Sakura musste zugeben, dass sie das wirklich sehr stark von Ami und Haru fanden, ihnen ihre Kinder und ihr Haus anzuvertrauen. Aber das bewies, dass die gute Chemie, die sie spürte, nicht nur einseitig war.

Sasuke brachte Shina direkt in ihr Bett, Sakura ging mit Takahiro ins Bad, um sich die Zähne zu putzen. Der Junge wünschte ihnen noch gute Nacht und verschwand dann gleich in seinem Zimmer. Er war ja auch bereits elf und für die Kinder ziemlich spät.

„Hast du die Tür abgeschlossen?“, fragte sie Sasuke, als dieser sich gerade die Zähne putzte. Er nickte und als er den Mund wieder frei hatte meinte er: „Sie haben einen Zweitschlüssel dabei, also kein Problem.“

Bestens. Während er sich noch das Gesicht ein wenig wusch, verschwand sie bereits im Gästezimmer. Auch sie war erschöpft von all diesen verrückten Eindrücken und Erlebnissen heute Abend. Vielleicht war das dämlich, aber für sie war das krasseste Erlebnis des heutigen Abends nicht das Aufeinandertreffen mit Sasukes alten Schulkameraden, nein. Sie musste ständig an seine Umarmung denken. An die Nähe, die sie geteilt hatten. Einen kurzen Moment lang kam sogar der beunruhigende Gedanke in ihr auf, dass es damit vielleicht schon wieder vorbei war. Schliesslich hatte sie sich ihm an Silvester auch nahe gefühlt und schlussendlich war dann alles doch den Bach runter gegangen.

Dabei wollte sie so gerne bei ihm sein, aber sie wusste ja überhaupt nicht, wie er das sah. Für ihn gab es jetzt Wichtigeres, das er verarbeiten musste. Vielleicht war das für ihn vorhin nur eine normale Versöhnung gewesen, eine unter Freunden. Möglicherweise fühlte er nicht das, was sie fühlte. Wäre auch naheliegend, denn wenn sie sich selbst so anschaute, wusste sie wirklich nicht, was es da zu holen gab. Ja, es war dämlich, aber sie glaubte nach wie vor, dass sie nicht das war, was Sasuke lieben konnte. Jemand wie er hätte jedes Mädchen haben können, das herumlief und da gab es weitaus schönere und klügere als sie. Solche die nicht so nahe am Wasser gebaut hatten, mit hübschen Haaren, schönen Gesichtern, ebenmässigen Lächeln und gertenschlanken Körpern. Keine gefühlsduseligen, naiven Mädchen, sondern solche, die selbstbewusst waren und mit beiden Beinen im Leben standen. Solche, die mehr im realen Leben, als in ihren Gedanken lebten.

Etwas niedergeschlagen legte sie sich aufs Bett. Manchmal brachen all diese Selbstzweifel einfach so über sie herein, ohne dass sie auch nur die geringste Kontrolle darüber hatte. Wie sie es hasste.

Kurzerhand checkte sie ihre Nachrichten. Die täglichen Pflicht-SMS an Tsunade und Naruto hatte sie bereits gesendet, bevor sie zum Fest aufgebrochen waren. Deshalb hatte sie jetzt nur eine Nachricht von Ino, die sich vergewissern wollte, dass es ihr gut ging. Sie tippte nur eine kurze Antwort, in der sie ihr versicherte, dass alles in Ordnung war.

Gerade als sie die Nachricht abschickte, betrat Sasuke das Zimmer. Er trug bereits seine Trainerhose und sein schwarzes Schlafshirt.

Er sah müde aus – zu Recht. Denn was er heute erlebt hatte, war alles andere als leicht zu verdauen. Als er das Licht ausgemacht hatte, sah sie schemenhaft, wie er sich ins Bett legte. Das Mondlicht fiel genauso schön durch das Fenster, wie letzte Nacht und verlieh dem Zimmer eine ruhige, schöne Atmosphäre.

Sie wusste, dass er genauso dalag, wie sie: Mit offenen Augen. Irgendwie hätte sie gerne noch etwas zu der Begegnung mit seinen ehemaligen Schulkameraden gesagt. Sie wollte von ihren eigenen inneren Kämpfen absehen und ihm helfen.

Aber auf eine ganz angenehme Art war es entspannend, seinem Atem zu lauschen und einfach nichts zu sagen. Irgendwann hörte sie, wie seine Atemzüge länger wurden. Gut so, er sollte schlafen und sich von all dem erholen. Bei ihr sah es etwas anders aus. Obwohl sie müde war, konnte sie nicht schlafen, zu sehr drehten sich die Gedanken in ihrem Kopf.

Also beschloss sie, sich ein wenig vor das Fenster auf den Teppichboden zu setzen, damit sie ihren Gedanken freien Lauf lassen konnte. Draussen herrschte eine wundervolle, klare Nacht. Sie wurde gleich ein wenig neidisch, als sie sich den Garten und die allgemeine Lage des Hauses einmal richtig von oben anschaute. Irgendwann würde sie auch gerne in so einem wunderbaren Haus leben.

Nur der Gedanke daran, dass Sasuke und Itachi auch einmal auf diesem Rasen gespielt hatten, dass sie vielleicht hier, in diesem Raum gewesen waren, das stimmte sie eher traurig. Was wäre, wenn Sasuke so aufgewachsen wäre, wie Noriko, Yui, Inaho und all die Anderen? Dann wäre er jetzt vielleicht auch vollkommen auf seine Zukunft fokussiert. Würde Pläne schmieden. Seine Familie geniessen. Manchmal fragte sie sich wirklich, warum das Universum diesen Jungen das angetan hatte. Warum es überhaupt Menschen so etwas antat. Warum durfte nicht jeder die Chancen auf eine blühende Zukunft haben? Es gab zu viele Menschen, die man einfach zurückliess, weil sie nicht das Glück gehabt hatten, ihre verdienten Chancen zu bekommen. Und Menschen, denen einfach genommen wurde.

Hinata, Naruto, Kiba. Karin, Konan und all die Anderen. Es war nicht fair.

Aber wie wurde es ihr immer eingetrichtert? Das Leben war auch nicht dazu da, fair zu sein. Ende der Geschichte.

Langsam kamen auch die Gedanken daran zurück, was bevorstand. Das Battle der Battles. Die letzten Auseinandersetzungen mit den Riots hatte vielen Outers und auch Itachi das Leben gekostet. Wen würde es dieses Mal treffen?

Es stand so viel auf dem Spiel und ihre Angst vor Verlusten wuchs zusehends. Entweder würde es ein Erfolg oder ein Fehlschlag werden. Auf welchem Weg sie dorthin gelangen würden, geschweige denn, welchen Preis sie dafür bezahlen würden, war noch ungewiss.

Gerade jetzt wünschte sie sich nichts sehnlicher, als hier bleiben zu dürfen. Nur, um noch ein paar weitere Tage Konoha zu entkommen. Oder es ganz hinter sich zu lassen? In einem Dorf leben? Jeden Abend aus dem Fenster schauen können, sich den Rasen ansehen, die Hausdächer im Mondlicht und der Wald in der Ferne. Das wäre etwas Wunderbares.

Aber wahrscheinlich würden sie schon morgen Otogakure verlassen und sich wieder in die Grossstadt begeben, die einen einfach so verschluckte.

Sie lehnte sich mit geschlossenen Augen gegen das kühle Glas der Fensterscheibe. Das tat ihrem überhitzten Kopf gut. Es war eine ganz besondere Art von Ruhe, die sie in diesem Moment verspürte. Zwar ging ihr sehr viel im Kopf herum und trotzdem fühlte sie sich entspannt.

Sie wusste nicht, wie lange sie hier, im fahlen Schein des Mondlichts dasass, als sie plötzlich hörte, wie Sasuke seine Bettdecke zurückschlug. Einen Blick zu seinem Bett und sie sah einen gähnenden Gangleader, der sich am Bettrand den Schlaf aus den Augen rieb.

Sie liess ihn machen und schaute wieder zum Fenster in den Nachthimmel hinaus. Jetzt hörte sie seine Füsse über den Teppichboden tapsen.

„Was machst du?“, fragte er rau, während er sich ihr gegenüber niederliess.

„Nichts. Nur denken.“ Sie öffnete die Augen. Er sah immer noch müde aus. „Du kannst ruhig wieder schlafen gehen, Sasuke. Es war ein langer Tag.“

„Ist irgendwas?“, fragte er. „Abgesehen von dem üblichen Zeug, meine ich?“

Sie seufzte. „Machst du dir keine Sorgen? Wegen dem Battle?“

Er schwieg. Eigentlich war es eine dumme Frage gewesen, denn zurzeit hatte er wohl kaum Zeit, sich wegen dem bevorstehenden Kampf Sorgen zu machen.

„Sorgen machen kann man das nicht nennen. Ich habe gewisse Bedenken, aber wenn das meine Leute merken, wäre es nicht gut. Als Leader musst du abwägen: Ist die Mission machbar? Wenn ja, dann muss man das Ganze so planen, damit man die bestmöglichen Voraussetzungen hat. Wenn nein, dann lässt man es bleiben.“

Sie seufzte. „Du kannst mir nicht erzählen, dass es dich kein bisschen belastet.“

„Das tut es bestimmt. Aber mir bleibt jetzt nichts anderes übrig, als meinen Leuten zu vertrauen. Und in diesem Fall wohl auch euren.“

„Da hast du wohl keine andere Wahl.“ Das brachte sie ein wenig zum Lächeln. Wer hätte vor einem halben Jahr auch gedacht, dass sie jetzt plötzlich dazu gezwungen waren, gemeinsame Sache zu machen?

„Sag mal, hast vielleicht du eine Vermutung, ob das mit dem Verräter in euren Reihen wahr sein könnte? Ich weiss, bisher ist das alles nicht wirklich klar, aber du hast eine gute Intuition. Fällt dir jemand ein, der es sein könnte?“ Er klang neugierig.

Sie schüttelte den Kopf. „Nein. Die Outers kenne ich zu wenig gut, als dass ich es sagen könnte, aber vom Inner? Nein. Es ist sowieso eine ganz komische Situation. Ich meine, einerseits gibt es ziemlich schlagkräftige Argumente dafür, dass wir tatsächlich einen Maulwurf unter uns haben, andererseits: Hätte der nicht schon längst dafür gesorgt, dass die unser HQ angreifen?“

„Mhm. Echt schwierig. Aber wir werden uns noch früh genug damit rumschlagen müssen.“ Er schaute sie mit seinen dunklen Augen an. „Ist es okay, wenn wir morgen zurück nach Konoha gehen? Es gibt da noch ein paar…“

„Wegen der Polizei meinst du?“

Jetzt stand ihm die Überraschung ins Gesicht geschrieben. „Hat dir Naruto…“

„Nein, ich habe es gestern gehört und eins und eins zusammengezählt.“

„Ach so. Die Jungs sind etwas nervös geworden, ich glaube es ist das Beste, wenn wir zurückzukehren.“

„Hast du denn gemacht, was du machen wolltest?“, fragte sie vorsichtig. Es wäre nicht gut, wenn er nun voreilig verschwinden würde, ohne dass er dem wahren Ziel dieser Reise nachgekommen wäre.

„Ja. Sogar noch mehr, als ich erwartet hätte.“

„Und was ist mit deinen ehemaligen Klassenkameraden?“

„Es ist besser, wenn wir nicht mehr zu sehr miteinander in Kontakt kommen. Die leben in einem komplett anderen Universum als ich und das ist auch besser so. Ich will nicht, dass sie wissen, wie ich lebe.“

Das verstand sie. Sehr gut sogar. Genau diese Gedanken hatte sie vorhin am Fest auch gehabt, trotzdem war sie froh, dass die Anderen ihre Nummer hatten. So konnte sie es dem Schicksal überlassen. Wenn es sein sollte, dann würden sie sich melden.

Er gähnte plötzlich. „Willst du nicht auch endlich schlafen?“

„Ich kann nicht.“

Er legte den Kopf schief. „Und warum nicht?“

„Keine Ahnung. Einfach so. Aber leg dich ruhig schlafen. Du bist derjenige, der morgen fahren muss.“

„Lass das mal meine Sache sein“, meinte er mit einem ganz leichten Grinsen im Gesicht. Urplötzlich spürte sie ihr Herz wieder gegen ihren Brustkorb hämmern. Die blosse Tatsache, dass sie ihm hier im Mondlicht so nahe war und mit ihm redete, wie damals, als alles noch so neu gewesen war, überflutete sie mit Erinnerungen. Sie spürte es wieder: Dieses abenteuerliche Gefühl, dass sie immerzu gehabt hatte, als sie ihn sah, bevor das alles passiert war. Es kam ihr vor, wie wenn die Zeit vor dem Gangkrieg Lichtjahre her wäre. Nichts desto trotz war dieses Gefühl von Wärme nun umso umwerfender.

Sie hätte gerne seine Hand berührt, irgendetwas gemacht, um ihm etwas näher zu sein, aber sie war viel zu schüchtern dazu.

„Jetzt fällt mir noch etwas ein“, sagte er plötzlich. „Sind Ami und Haru schon zu Hause?“

„Nein“, antwortete sie verwirrt. „Warum?“

„Komm mit.“

Ehe sie es sich versah, hatte er die Tür geöffnet und war von der Dunkelheit im Gang verschluckt worden.

„Warte, wohin willst du?“ Schnell war sie aufgestanden und lief ihm hinterher. Er war die Treppe runter gegangen und hatte im Erdgeschoss Licht gemacht. Was wollte er denn jetzt?

Als sie unten ankam sah sie, dass auch im Wohnzimmer Licht brannte. Neugierig begab sie sich zu Sasuke, welcher im Wohnzimmer vor dem Klavier stand, welches ihr schon beim ersten Mal, als sie hier waren aufgefallen war.

„Was machst du denn, Sasuke?“, fragte sie ihn ziemlich verwirrt.

„Siehst du dieses Klavier da?“ Er betrachtete das Klavier aus braunem, lackiertem Holz im Licht der Stehlampe daneben mit einem ziemlich speziellen Blick, den sie so nicht einordnen konnte. „Das ist es.“

„Das ist was?“ Sakura konnte nicht genau folgen.

„Es ist das Klavier, auf dem ich spielen gelernt habe. Und Itachi auch…“

Sakura erstarrte. Moment. Konnte es tatsächlich sein, dass dieses beinahe alte Instrument tatsächlich hier in diesem Haus geblieben war? Dass Ami und Haru es quasi mit dem Haus mitgekauft hatten?

„Nicht wahr, oder?“

„Doch.“ Vorsichtig hob er den Deckel an, sodass die Tasten zum Vorschein kamen.

„Wow. Das ist echt verrückt.“

Sasuke winkte sie näher hin. „Siehst du diese Kerben da?“

Sanft strich er mit dem Daumen über kleine Ritzen im Holz auf der rechten Aussenseite des Klaviers, die der Wand zugewandt war. Es sah aus, als hätte jemand eine Strichliste im Holz verewigt.

„Die linke Gruppe von Strichen ist die Anzahl die Lieder, die Itachi auswendig und einwandfrei spielen konnte. Und die Rechte ist meine“, murmelte er abwesend. „Unsere Mutter war ganz schön sauer, als sie das gefunden hat.“

Sakura wusste nicht, was sie dazu sagen sollte. Das war schlichtweg unfassbar. Irgendwie schienen sie andauernd auf Spuren seiner Vergangenheit zu stossen und sie konnte nicht anders, als das aufregend zu finden.

Langsam zählte Sakura die Striche. Itachi schien neun Lieder in seinem Repertoire zu haben, währenddessen der jüngere Sasuke es doch auf sechs Lieder schaffte.

„Es waren keine einfachen Lieder. Nicht wie ‚Mary had a little lamb‘ und so, sondern echt ziemlich Schwierige.“ Nach einer kurzen Atempause fügte er an: „Er war immer besser als ich. Ja, er war immer in allem besser.“

„Aber er war ja auch der Ältere, Sasuke.“ Sie hatte ihm eine Hand auf die Schulter gelegt, um auszudrücken, dass sie bei ihm war.

„Ist schon wahr…“

„Wenn Hiro und Shina nicht schon schlafen würden, dann würde ich jetzt auch drauf bestehen, dass du mir was vorspielst. Das letzte Mal ist verdammt lange her…“ Sie musste schmunzeln. Das war es in der Tat.

Sie war erstaunt, als sie einen Anflug eines Lächelns in seinem Gesicht sehen konnte. „Ich weiss nicht, ob ich das überhaupt noch kann. Ich hab das Klavier seit dem Tag, als du das letzte Mal in der alten Fabrik warst nicht mehr angefasst.“

Wieder war sie beeindruckt. Wenn das wahr war, dann war das inzwischen ein halbes Jahr her. „Wie wenn du das verlernen würdest.“

„Wir werden sehen.“

Sollte sie das als ein Versprechen auffassen? Das hiess so viel wie wenn sie ihn bestimmt noch einmal spielen hören würde. Wie auch immer. Für sie war es ein Versprechen.

„Lass uns schlafen gehen, Sakura. Sonst denken Ami und Haru noch, dass wir ihnen die Bude ausräumen.“
 

„Wie bitte?!“

„Es ist wahr.“

„Und warum zu Hölle sagst du mir das erst jetzt?!“

„Weil du gestern Abend bereits so verärgert warst, dass ich mich um die Gesundheit unserer Leute fürchten musste.“

„Schwachsinn! Red nicht so einen verdammten Schwachsinn, Shika!“

„Siehst du? Du solltest dich endlich mal zusammenreissen. Und das Ganze ändert ja am Plan nichts.“

Naruto war stinksauer. Er war verdammt nochmal der Leader in dieser Truppe! Wenn es wichtige Informationen gab, dann sollte er sie als erstes bekommen!

„Die Polizei will also durchgreifen, ja? Und Pain glaubt nicht, dass es ein Bluff ist?

Shikamaru schüttelte den Kopf und nahm seelenruhig einen Schluck aus seinem Glas Wasser. Er trank nie Alkohol, wenn es um wichtige Bandenangelegenheiten ging.

„Nee. Ich hab Kakashi schon gefragt. Der Polizeichef will das tatsächlich irgendwie durchziehen.“

Naruto versuchte, ruhig zu bleiben. Er wollte Shikamaru nicht das geben, was er von ihm erwartet hatte. Nein, er konnte sich durchaus beherrschen.

„Also. Ich nehme an, Pain hat seine Meinung dazu bereits abgegeben?“

Shikamaru erhob sich vom Tisch im Aufenthaltsraum. Sie waren derzeit alleine. „Hat er. Er will keinen Rückzieher machen.“

„Okay.“ Der Leader fuhr sich mit der Hand durch seine blonden Wuschelhaare. „Sag mal, ist Demon eigentlich überhaupt noch der Leader oder hat Pain ihn inzwischen ersetzt?“

Er sagte das abschätzig. Natürlich wusste er, dass Sasuke nach wie vor der Leader war, aber seine Abwesenheit machte ihm sauer. Zudem sorgte er sich um Cherry. Wer wusste, wo die Beiden jetzt gerade waren. Gut, Ino und Hina wussten es bestimmt. Aus Hina würde er vielleicht etwas rausbekommen. Flowie konnte er da vergessen.

Es war ihm einfach nicht wohl bei dem Gedanken, dass Cherry irgendwo da draussen mit Demon war. Er hatte gesehen wozu der Taka fähig war und er musste ehrlich sagen: Das im Toad’s hatte ihn nicht einmal ein kleines bisschen überrascht. Für ihn war es eine Frage der Zeit gewesen, bis er sich nicht mehr unter Kontrolle hatte.

Tja und selbst wenn Sakura ihm jeden Abend schrieb, das alles in Ordnung war, änderte das nicht im Mindesten etwas an seinen Befürchtungen. Demon war unberechenbar.

Aber wenn Cherry es wirklich so durchzog, wie sie es gesagt hatte, dann sollte der ganze Spuk nach diesem kleinen „Ausflug“ vorbei sein. Das hoffte er zumindest.

„Pain spricht das jedes Mal mit Demon ab, Boss, da kannst du Gift drauf nehmen. Und bis zum grossen Tag wird Demon wieder hier sein, damit auch ja alle schön nach seiner Pfeife tanzen, keine Sorge.“ Genius zog sich seinen Kapuzenpullover über. „Ich geh jetzt pennen. Nacht, Boss.“

„Nacht, Genius.“
 

Es war gegen halb zehn, als sie erwachte. Sasuke war bereits nicht mehr in seinem Bett. Erst dachte sie, dass er gar nicht mehr im Zimmer war, doch dann entdeckte sie ihn auf dem Teppichboden vor dem Fenster sitzen. Er schien eine Nachricht zu schreiben.

„Guten Morgen“, murmelte Sakura schlaftrunken und streckte sich erst einmal im liegen.

„Morgen.“

Sakura gähnte herzhaft und verrenkte ihren Kopf nun so, damit sie aus dem Fenster gucken konnte. Der Himmel war im Gegensatz zu gestern ziemlich verhangen. Hoffentlich regnete es nicht, wenn sie sich auf den Weg machten.

„Ami und Haru wissen bereits Bescheid. Aber sie haben drauf bestanden, dass wir noch zum Mittagessen bleiben“, informierte er sie.

„Okay. Das klingt gut.“ Ganz ehrlich? Der Gedanke daran, wieder in Konohas Grossstadtsumpf verschwinden zu müssen, kotzte sie an. Und zwar richtig. Die Stadt verschluckte einen einfach mit Haut und Haaren. Am liebsten hätte sie ihre ganze Gang, Tsunade und selbstverständlich ihr Zimmer hierher nach Oto verfrachtet, um ein Leben in Frieden leben zu können. Klar, wahrscheinlich würde ihr der Nervenkitzel schon ab und an einmal fehlen, aber trotzdem wäre hier ziemlich vieles besser. Leider waren das nur unerreichbare Fantasien. Vorstellungen, die absolut nicht praxistauglich waren.

Das Mittagessen wurde sogar von Sasukes Seite her erstaunlich gesprächig. Irgendwie kam es ihr vor, als ob er endlich seine Sprache gefunden hätte und sich inzwischen nicht mehr von diesem Haus mit all den Erinnerungen, die es beherbergte, einengen zu lassen. Viel mehr wirkte er, als ob er einen Schritt weitergekommen war.

Schweren Herzens musste sie sich jetzt aber leider mit der Tatsache abfinden, dass das hier die letzten Stunden war, die sie bei den Iwasawas verbachten. Nun gut, Ami machte ihnen schon jetzt das Angebot, dass sie jederzeit wieder herkommen durften, wenn sie Lust hatten. Das freute Sakura natürlich sehr. Sasuke hatte mit den Iwasawas schon fast einen Teil Verwandtschaft gewonnen, jedenfalls fühlte es sich so an. Für ihn hoffentlich auch.

Sie unterhielten sich über alles Mögliche, selbstverständlich auch über das Schulfest. Sakura fragte sich, wie viel Ami und Haru gestern von der Unterhaltung mit Noriko, Inaho und den Anderen mitbekommen hatten. Anmerken tat man ihnen jedenfalls nichts.

Erst als die Beiden später beim Abwasch halfen, wurden sie wieder damit konfrontiert, allerding auf eine Art, mit der sie nicht gerechnet hatten. Sie waren schon fast fertig, als plötzlich die Türglocke klingelte. Sasuke und Sakura dachten sich nichts weiter dabei, als Ami die Küche verliess, um die Tür zu öffnen, doch als sie dann plötzlich wieder in der Küche stand und sie beide auffordernd ansah, waren sie doch ein wenig verwundert.

Gemeinsam gingen sie zur Tür und im nächsten Moment kehrte die mühsam abgelegte Anspannung Sasukes schlagartig zurück. Vor der Tür standen Inaho und Noriko.

„Hi“, sagten sie, doch ihre Gesichter sprachen Bände. Sakura las Unsicherheit, ein bisschen Angst, konnte aber auch erkennen, dass die Beiden eine Entscheidung getroffen hatten.

„Hi…“, murmelte Sasuke und auch Sakura begrüsste die Beiden mit einem Hallo.

„Hör zu, wir wollen euch nicht lange stören. Aber wir wusste nicht, wie lange ihr noch in Oto seid und deshalb sind wir hier.“ Noriko spielte nervös mit ihren Fingern. „Erst einmal wollten wir uns für gestern entschuldigen.“

„Wofür?“ Sasuke und auch sie verstanden nicht ganz.

„Dass wir gestern vor dir über all diese Dinge gesprochen haben und vor allem die Art wie wir darüber gesprochen haben, muss für dich alles andere als angenehm gewesen sein“, meinte Inaho.

„Das konnte ihr doch nicht wissen…“, murmelte Sasuke.

„Das spielt keine Rolle. Es tut uns leid, egal, unter welchen Umständen. Das lassen euch auch die Anderen ausrichten. Sie sind nicht gekommen, weil wir dachten, dass es für dich wahrscheinlich nicht so toll ist, wenn da gerade die ganze Bande vor der Tür steht.“ Noriko fuhr sich mit der Hand durch das dunkle Haar.

„Hör zu, Sasuke. Wir hätten niemals damit gerechnet, dich irgendwann mal wiederzusehen, geschweige denn hier in Oto und dann auch noch in unserer alten Schule. Es ist vieles passiert seit damals und wir wissen, dass du es nicht einfach hattest. Ami hat uns gestern ein paar kleine Dinge erzählt, keine Sorge, nicht viel.“

Sakura drehte sich um und sah dort am Kücheneingang Ami stehen. Sie hatte also davon gewusst?

„Weisst du, seit wir hier die Schule verlassen haben, haben wir uns immer bemüht, den Kontakt miteinander zu halten. Und dabei ist diese kleine Gruppe, die du gestern getroffen hast, entstanden. Das ist der harte Kern und wir wollten dir anbieten… also wenn du auch gerne wieder mehr mit uns Oto-Landeier-Kindern zu tun haben würdest“, sie lächelte ein wenig, „dann würde es uns freuen, wenn du auch dazu gehören würdest.“

„Ihr kennt mich kaum“, sagte Sasuke. Er war wieder vollkommen auf Abwehr eingestellt, da sah sie ihm an, jedoch war das ein gutes Zeichen. Ein Zeichen dafür, dass in ihm etwas vorging.

„Aber wir haben dich gekannt. Und alles, woran ich mich erinnere, war gut.“ Inaho sagte das sehr überzeugt. „Wir waren zusammen im Kindergarten und später Pultnachbarn, Sasuke, und das fast ein ganzes Jahr lang. Wir haben in den Pausen mit den anderen Fussball gespielt, weisst du das noch?“

Sakura betrachtete Inaho. Blond, trug ein dunkelblaues Shirt, hatte helle braune Augen und einen offenen Blick. Sasuke war dunkelhaarig, hatte dunkle Augen, immerzu einen verschlossenen Gesichtsausdruck. Wenn man die Beiden nebeneinanderstellte, dann war der Unterschied wie Tag und Nacht. Und trotzdem hatten die beiden Jungs damals zusammen Fussball gespielt. Dass das Leben Wege, die sich anfänglich so ähnlich waren, auf so drastische Weise in verschiedene Bahnen lenken konnte, war eigentlich schon unglaublich.

„Ja“, sagte er. Sasuke war überfordert. In seinem Kopf mussten die Gedanken nur so rasen. „Das haben wir. Und trotzdem bin ich nicht wie ihr.“

Inaho sah sichtlich erleichtert aus und lächelte. „Das spielt keine Rolle. Wir haben alle gleich angefangen.“

„Sasuke, wir wollen dich nicht mehr länger stören. Sakura sollte inzwischen meine und Inahos Nummer haben, wir haben dir vorhin eine kurze Nachricht geschrieben, nur damit du die Nummern hast. Wenn du vielleicht irgendwann mal Lust hast, Sasuke: Schreib uns. Wir würden uns freuen, dich wiedersehen zu können. Du bist jederzeit willkommen. Das gilt natürlich auch für dich, Sakura.“ Noriko machte einen Schritt rückwärts. „Wir werden euch jetzt nicht mehr stören. Vielleicht bis bald einmal, Sasuke. Macht’s gut!“

Die Beiden drehten sich um und steigen die kleine Treppe hinunter. Sasuke war komplett überfordert mit der Situation. „Macht’s gut…“, brachte er gerade noch hervor, als die Beiden den Parkplatz verliessen und verschwanden.

Es gab Momente, die einfach bewiesen, dass das Universum Zeichen senden konnte. Davon war Sakura fest überzeugt.

Sasuke zog sich nach diesem Erlebnis noch für eine Stunde in sein Zimmer zurück. Sakura wollte ihn keinesfalls stören, deshalb setzte sie sich noch für einen Moment mit Ami an den Tisch und trank Tee. Dabei unterhielten sie sich über das, was eben passiert war. Ami hatte sich Sorgen gemacht, dass sie Noriko und den anderen zu viel erzählt hatte, doch Sakura beruhigte sie. Schliesslich hatte sie wirklich nur erzählt, was mit den Jungen passiert war, sprich, dass sie aus dem Kinderheim getürmt waren und in Konoha nach neuem Boden unter den Füssen gesucht hatten.

Etwas später, als die Kinder und Haru zurück waren, begab sie sich doch nach oben, etwa eine Viertelstunde vor Zwei. Dann hatten sie nämlich abreisen wollen.

Vorsichtig öffnete sie die Zimmertür. Sasuke sass auf seinem Bett und tippte konzentriert etwas in sein Handy. Die Betten hatten sie bereits abgezogen und die Laken hatte Ami gleich in die Waschküche im Keller gebracht.

„Sasuke?“

„Hm?“

„Alles okay?“

„Mhm.“

Leise schloss sie die Tür hinter sich wieder. „Du siehst aber nicht so aus.“

„Ach ja?“

„Ja.“

„Hm.“

Langsam setzte sie sich neben ihm auf die Bettkante. „Wenn du lieber später fahren willst, dann sag es ruhig.“

„Nein, wir fahren wie geplant.“

„Okay. Kann ich irgendetwas tun?“, fragte sie und hoffte, dass das nicht falsch ankam.

„Ja.“ Er hob den Kopf und schaute sie direkt an. „Könntest du mir mal ins Gesicht schlagen?“

Irritiert schaute Sakura ihn an. „Wie bitte?“

„Ob du mir ins Gesicht schlagen könntest.“

„Und warum?“

„Damit ich endlich wieder denken kann.“

„Glaubst du nicht, dass das etwas kontraproduktiv wäre?“

„Vielleicht.“

Sie musste lächeln, obwohl die Situation nicht wirklich zum Lächeln war. „Manchmal sollte man nicht zu sehr darauf beharren, immer alles sofort klar sehen zu müssen. Du musst jetzt nicht darüber nachdenken, was gerade geschehen ist, wenn du nicht willst. Das hat Zeit. Schätze die Tatsache, dass es Menschen gibt, denen das, was hier in Oto vor vielen Jahren passiert ist nicht egal ist. Du musst jetzt gerade noch keine Entscheidungen treffen. Gedanken ordnen sich mit der Zeit von selbst.“ Ob ihm das half, wusste sie nicht.

„Hast ja recht.“ Er fuhr sich mit der Hand durchs Haar und stand ruckartig auf. „Wollen wir?“
 

Der Abschied von den Iwasawas war alles andere als leicht. Shina und Takahiro drängten damit, dass Sasuke und Sakura sie bald wieder besuchen sollen. Ami und Haru verabschiedeten sie beide mit einer herzlichen Umarmung und in Ami stand die Wehmut deutlich ins Gesicht geschrieben. Es war schon verwunderlich, was in knapp drei Tagen so alles passieren konnte. Natürlich bedankten sie sich gefühlte tausendmal bei der jungen Familie.

„Kommt bald wieder einmal vorbei. Ihr seid jederzeit willkommen“, sagte sie. „Passt bitte auf euch auf. Wenn ich schon nur an diese Gangstreitereien denke wird mir Angst und Bange, dabei hat die Zukunft noch so viel Gutes für euch auf Lager.“ Sie richtete ihren Blick nun vor allem auf Sasuke, „Das dürft ihr auf keinen Fall verpassen.“

Als sie den Parkplatz vor dem Haus verliessen, schaute Sakura noch einmal zurück. Die Iwasawas winkten ihnen noch, doch dann liessen sie Sasukes ehemaliges zu Hause hinter sich.

Der Himmel war immer noch ziemlich bewölkt. Möglicherweise würde es auf ihrer Heimfahrt regnen, aber genau genommen war es Sakura egal. Sie sog die Landschaft, die an ihnen vorbeizog, die Dörfer und das wohlige Gefühl, frei zu sein tief in sich auf, wohlwissend, dass sie schon bald wieder unter Konohas Käseglocke sein würden. Keine Freiheit, nur noch den üblichen gestressten Alltag, die lärmigen Strassen, die Gangs, das Verkehrschaos. Die spürbare Missstimmung, die ein Ort wie Konoha einfach mit sich brachte. Und dann nicht zuletzt noch der verfluchte Gangkrieg.

Die Zeit in Oto war wie im Flug vergangen und sie konnte ihre Gedanken kaum davon lösen. Das wurde auch nicht besser, wenn sie darüber nachdachte, was sie in Konoha eigentlich erwartete. Tsunades strenges Gesicht, Narutos war bestimmt auch nicht besser gelaunt, Ino und Hina, die alles wissen wollten, obwohl sie dieses kleine Abenteuer gerne unerzählt und unangetastet in eine kleine Schatulle gelegt und aufbewahrt hätte. Wie ein kleiner Schatz.

Als sie Iwagakure durchquerten, kamen in ihr wie auf Knopfdruck die Erinnerungen an das Kinderheim auf. Zwar sahen sie es nicht mehr, aber Sakura hatte trotzdem ein haargenaus Bild des grossen Backsteingebäudes vor Augen.

Es war schon der Wahnsinn, wie viel sie in diesen letzten Tagen über Sasukes Vergangenheit hatte erfahren dürfen. Nun fiel es ihr überhaupt nicht mehr schwer, sich diese Geschichten bildlich vorstellen zu können, jetzt, wo sie die originale Kulisse gesehen hatte.

Sie sog die Landschaft, die auf dem restlichen Weg an ihnen vorbeizog, so tief in sich auf wie sie nur konnte. Vielleicht würde es ihr nachher helfen, gegen Konohas graue Aura anzukommen.

Als die Stadt in Sichtweite kam, musste Sakura zugeben, dass ihr ganz schön der Hintern wehtat. Zwar hatten sie vor ungefähr einer Stunde eine kurze Pause gemacht, trotzdem war die Fahrt lang gewesen. Wie wenn das Wetter ihnen weismachen wollte, dass es an der Zeit war, in ihre eigenen Leben zurückzukehren, begann es nun auch noch zu regnen. Aber eigentlich taten die kühlen Tropfen auf ihrer Haut ganz gut: Es fühlte sich nach Realität an.

Sie erreichten bald die westlichen Vororte und als sie das West erreichten, kam es ihr vor, als wäre der Verkehrslärm doppelt so laut wie vorher und die Stadt noch ein Stück grauer und müder geworden. Um die nächste Ecke kam das alte Fitnessstudio und somit auch bereits ihr Block in Sicht, schonungslos die Fakten aufzeigend: Die Reise ist vorbei. Wie würde es weitergehen?

Sasuke hielt in der kleinen Seitenstrasse, neben dem Eingang zu ihrem Block. Auf der Strasse waren kaum Leute unterwegs und wenn, dann versteckten sie ihre Gesichter unter Regenschirmen, die wenigstens noch etwas Farbe in die graue Kulisse brachten. Gerade wurde ihr so bewusst, dass sich jetzt vielleicht alles wieder verändern würde. Klar, sie hatte seine Nähe in Oto so deutlich spüren können, aber Konoha und die Gangkonflikte wirkten auf diese Nähe leider erfahrungsgemäss wie Gift. Sasuke war ein anderer, wenn er Demon Eye sein musste.

Sie musterte ihn. Seine Kleider waren ungefähr so durchgesogen vom Regen, wie ihre, und seine nassen Haarsträhnen tropften. Aber war ihr besonders auffiel war wohl sein Gesichtsausdruck. Irgendwie wirkte er entspannt. So, als ob er etwas zur Ruhe gekommen wäre, nach all der Zeit des Stresses.

Sie stellten sich unter den Hauseingang, obwohl es nicht mehr wirklich viel brachte – vollkommen durchnässt waren sie bereits. Und frieren taten sie auch.

„Sorry“, sagte er.

„Wofür denn jetzt bitte?“

„Dass ich dich da mitgeschleppt habe. Jetzt kriegst du wahrscheinlich auch noch eine Erkältung.“

„Du weisst ja nicht, wie egal mir das jetzt ist.“ Sie musste lächeln. „Ich finde, die letzten Tage waren jeden Regentropfen wert. Du nicht?“

Er überlegte kurz. „Doch.“

Das war gut zu hören. „Und was machst du jetzt?“

„Gibt noch einiges zu regeln im HQ. Pain wird mir einiges zu erzählen haben. Ich will, dass er etwas Pause machen kann, nachdem ich mich einfach für drei Tage verdrückt habe.“ Ein kleines Lächeln stahl sich auf seine Lippen. „Und du gehst jetzt besser Mal hoch, sonst wirst du wirklich noch krank.“

„Willst du nicht mit hoch kommen? Damit du trocknen kannst? Vielleicht hört ja dann der Regen auf.“ Sakura wusste, dass da oben Tsunade wartete, aber sie wollte ihn nicht einfach im Regen stehen lassen.

„Nein, Sakura. Deine Tante ist da oben und ich weiss nicht, ob ich das überleben würde. Hab noch einiges zu tun, bevor ich sterbe, weisst du.“ Er grinste.

Sakura musste leise lachen. „Du hast wahrscheinlich Recht.“

Eigentlich war es ja traurig. Erneut kam ihnen der Kurama/Taka-Zwiespalt in den Weg. Das war ja wie früher.

„Noch einmal danke, dass du mitgekommen bist.“

Sein Blick machte sie ganz kirre.

„Das ist gerne geschehen. Es war etwas, das ich auf keinen Fall verpassen hätte wollen.“ Und das meinte sie vollkommen ernst.

„Da bin ich froh.“ Er senkte seinen Blick. „Ich wäre nicht gegangen, wenn du nicht mitgekommen wärst.“

Sie konnte nicht anders und musste einfach seinen Arm sanft anfassen. Die Berührung löste in ihr bereits wieder ein kleines Herzrasen aus. Es war doch einfach verrückt, was er für einen Effekt auf sie hatte. „Es ist gut, dass du gegangen bist.“

Jetzt schaute er ihr mit diesem Blick direkt in die Augen, den sie kaum aushalten konnte. Er ging so tief.

„Ich weiss.“

Sakuras Hände zitterten, sie konnte nicht sagen, ob es wegen der Kälte oder wegen ihrer enormen Aufregung war.

„Bis bald, Sakura.“ Er legte vorsichtig seine Hand um ihr Handgelenk und ehe sie es sich versah, spürte sie seine Lippen auf ihrer Stirn.

Und im nächsten Moment war er weg.
 

Tsunade fiel fast rückwärts vom Stuhl, als Sakura tropfnass in der Wohnung ankam. Toll, jetzt hielt sie wahrscheinlich noch weniger von Sasuke, als sie es sowieso schon tat. Sakura verschwand als allererstes unter der Dusch und schlüpfte danach in warme Kleider. Darauf folgte eine kleine Schimpftirade von Tsunade, aber Sakura hörte kaum zu. Sie spürte immer noch seine Hand an ihrem Handgelenk und seine Lippen an ihrer Stirn.

Trotz allem machte ihr Tsunade noch einen Tee und dann hatte sie eine Verabredung mit Shizune und Jiraiya zum Essen.

Tsunade würde ihr nicht lange böse sein, da war sie sich sicher. Und es war auch nicht das, was sie im Moment beschäftigte, nein. Wie sollte es auch? Ihr ganzer Körper kribbelte.

Von oben bis unten.

Minus und Minus gibt Plus

Den gesamten Freitag lang fühlte Sakura sich irgendwie leer. Nebst der Tatsache, dass sie jetzt erkältet war. Es war eine andere Leere als die, die sie vor ihrer Reise nach Oto gefühlt hatte, eine weitaus positivere. Diese Leere, die konnte sie füllen. Das heisst, sie könnte. Es war nicht unmöglich.

Die Tatsache, dass schon bald Abschlussprüfungen vor der Tür standen, trug dabei eine wesentliche Schuld. Am Abend, das wusste sie, wollte sie den Kuramas einen Besuch abstatten, obwohl sie nicht besonders darauf brannte, den fragenden Gesichtern ausgesetzt zu sein.

Es war ein verregneter Tag und deshalb eignete er sich eigentlich ziemlich gut zum Lernen. Das heisst, wenn sie sich hätte konzentrieren können. Nur mit Mühen schaffte sie es, sich auf Physik und Mathe zu konzentrieren, die Fächer, die ihr am Schwersten fielen. Es klappte zwar halbwegs mit Bio, aber dort war sie im Normalfall ganz gut.

Nach ungefähr zwei Stunden legte sie die Bücher und Arbeitsblätter weg. Auf ihrem Handy entdeckte sie eine SMS von Ami, die fragte, ob sie gut angekommen seien. Kurz textete sie eine Nachricht zurück und verstaute danach ihre Bücher in ihrer Schreibtischschublade, wobei ihr ein kleines Heft in die Hände fiel. Das Notizbuch, in der sie die Geschichte zwischen Sasuke und ihr aufzuarbeiten versucht hatte. Kurzerhand beschloss sie, das Kapitel mit Oto zu ergänzen – die Geschichte ging weiter und war nicht zu Ende, so wie sie das eigentlich vorgesehen hatte. Ohne es zu wollen fragte sie sich, wie lange ihre Geschichte einmal werden würde, aber vermutlich war es besser, wenn sie es nicht wusste. Manchmal waren Überraschungen einfach besser.

Tsunade arbeitete heute wieder, jedoch hatte Sakura schon heute Morgen gemerkt, dass ihr Ärger ein wenig verklungen war. Ihre Tante wusste, wann Sakura etwas wichtig war und deshalb hatte sie in diesem Fall nur die „Pflicht-Schelte“ erhalten. Manchmal spürte sie mehr, als sie zugab.

In der U-Bahn Richtung East schweiften ihre Gedanken ins Taka-HQ ab und sie fragte sich, was Sasuke gerade so machte. Und was sie noch mehr beschäftigte: Wann würde sie ihn wieder sehen? Egal was kam, vor dem Battle wollte sie ihn noch einmal sehen, denn langsam aber sicher drang der Fakt, dass dieser entscheidende Kampf kurz vor der Tür stand an sie heran. Es konnte alles passieren und die Riots waren leider Gottes stark.

Als sie die U-Bahn verliess und die Treppe zu der kleinen Wartehalle hochstieg, erschrak sie zutiefst. Es war gerade mal halb acht, doch da drüben sah sie eine Gruppe vermummter Leute, die sich am Kiosk zu schaffen machten. Anscheinend hatte der Kiosk geschlossen gehabt und die Leute hatten den Rollladen aufgebrochen, um  an die Ware im Innern heranzukommen. Die Leute machten einen Bogen um das Geschehen, ignorierten die Tatsache, dass vor ihnen gerade ein Verbrechen begangen wurde. Sakura sah die Furcht in ihren Augen sofort

Um die nächste Ecke sah sie ein Mann, der telefonierte, bei genauerem Hinhören vernahm sie, dass er die Polizei alarmierte. Dann musste sie das jedenfalls nicht tun. Trotzdem warf sie noch einmal einen Blick auf das Szenario und im gelblichen Licht der alten Neonröhren an der Decke sah sie auf der schwarzen Lederjacke des einen Typen einen Jaguarkopf aufblitzen. Also ein Grund mehr, um die Riots zu verfluchen. Hätte sie sich auch gleich denken können: Die versuchten nicht, einen Job zu finden um eine Gangskasse aufbauen zu können, nein. Sie nahmen das Geld einfach, woher sie es kriegen konnten. Unterste Schublade, das war alles, woran Sakura denken konnte.

Jedenfalls hauten die Typen ziemlich bald in Richtung Gleise ab, nachdem sie ihr Geld und alles, was sie sonst noch so brauchten, genommen hatten. Zudem waren von weitem Polizeisirenen in den Strassen zu hören und darauf konnte Sakura verzichten. Schnell lief sie die Treppe hoch, die sie mitten ins East brachte. Was sie da eben gesehen hatte, machte sie mehr als nur wütend.

Als sie schlussendlich im Aufenthaltsraum des HQs stand, war sie erst einmal überrascht. Vor dem Fernseher sassen gerade mal Gaara und Kankuro, spielten irgendein Rennspiel und bemerkten sie gar nicht. Aus der Küche hörte sie das Klappern von Geschirr, vermutlich Choji. Und wo war der Rest?

Gerade, als sie sich leise in Richtung Quartiere stehlen wollte, sah sie noch etwas anderes, was sie ziemlich verwirrte. Zwischen Kankuro und Gaara sass ein kleiner Junge, ungefähr elf Jahre alt, der verbissen auf seinem Controller herumdrückte. Wer war denn das?

Nun, sie wollte niemanden unterbrechen und verschwand im Gang. Vielleicht würde sie im Frauenschlafraum jemanden finden.  Als sie jedoch die Tür öffnete, erwies sich diese Vermutung als Fehlanzeige. Die Betten waren allesamt gemacht, auch Tentens und Temaris.

Langsam aber sicher kam ihr das komisch vor. Normalerweise waren vor allem um diese Zeit immer Leute im HQ anzutreffen. Und zwar mehr als drei. Vielleicht hatte sie ja bei den Jungs Glück?

Vorsichtig klopfte sie an der Tür, sie vermutete aber bereits, dass wohl niemand drin war. Meistens hörte man durch die Tür irgendwelche Musik oder Stimmen, die jetzt aber ausblieben.

Als niemand öffnete, trat sie vorsichtig in das Zimmer ein. Es war in der Tat leer. Nur die Betten waren nicht gemacht, aber das war hier ein Dauerzustand. Durch das angelehnte Fenster drang das Geräusch des fliessenden Flusses und des Regens.

Gerade wollte sie sich umdrehen, als sie auf dem Hochbett rechts an der Wand jemanden entdeckte. Vor lauter Decken hätte sie Naruto fast nicht gesehen, der tief und fest zu schlafen schien. Um diese Zeit? Es war gerade mal halb acht, eigentlich keine Zeit, in der Naruto bereits schlief.

Jedenfalls wollte sie ihn nicht wecken und beschloss deshalb, sich bei den Jungs im Aufenthaltsraum bemerkbar zu machen. Dann würde sie auch erfahren, wer dieser kleine Junge war.

Fast schön hätte sie die Tür hinter sich geschlossen. Doch dann hörte sie etwas.

„Sakura?“

Naruto war also doch wach? Sie trat zurück ins Zimmer.

„Ja?“

„Du bist wieder da.“ Naruto sprang gerade von seinem Bett hinunter. Er sah verschlafen aus, das blonde Haar war zerzaust, sein Shirt und seine Hose waren zerknittert und an seiner Wange hatte er einen rötlichen Kissenabdruck. Bei diesem Anblick musste sie lachen.

„Was machst du denn um diese Zeit im Bett, Big Fox?“, fragte sie scherzhaft.

„Wonach sah es denn aus? Schlafen.“ Er gähnte herzhaft.

„Um halb acht Uhr abends?“

„Mhm. Bin halt müde.“

„Und wo sind die Anderen?“

„Alle unterwegs. Die Einen ins Kino, die Anderen in eine Bar, der Rest keine Ahnung. Wollten den Kopf frei kriegen.“

„Und warum bist du nicht mit?“, fragte sie. Sonst war er immer für Ausflüge zu haben.

„Ich hatte keine Lust.“

Sakura legte den Kopf schief. „Was ist los, Naruto?“

Er seufzte. „Ich will dieses verfluchte Battle endlich hinter mich bringen. Manchmal frage ich mich, warum ich mir das überhaupt antue. Shika könnte das genauso.“ Er setzte sich auf eines der Betten.

„Sag nicht sowas, Naruto.“ Sie setzte sich neben ihn. „Shika ist nicht du. Ihm fehlt die nötige Portion Hitzkopf.“

 „Na vielen Dank.“ Er tat so als würde ihn das beleidigen, jedoch konnte sie sein Grinsen im schummrigen Licht, das vom Gang herein fiel, erkennen.

„Irgendwie ist alles so anders, seit der Krieg ausgebrochen ist. Ich spüre einfach nicht mehr das, was ich von mir gewohnt bin, wenn ich hierherkomme.“ In der Tat hatte sich viel verändert und sie hoffte inständig, dass alles wieder so werden würde, wie es einmal gewesen war, wenn der Krieg endlich ein Ende gefunden hatte. Aber tief in sich drin wusste sie, dass sich hier Veränderungen zutrugen, die unwiderruflich waren. Irgendetwas würde sich ändern, sie konnte nur nicht genau sagen war.

„Ich weiss. Aber wir werden alles daran setzen, dass es wieder so wird, wie vorhin. Leider Gottes nehmen die Riots immer mehr die Überhand an. Seit unser Status als stärkste Gang verloren gegangen ist, werden die anderen Gangs respektlos. Gerade gestern hat mir Kiba gesagt, dass ihn so ein Vollidiot auf offener Strasse attackiert hat. Die denken sich, dass sie unsere Plätze einnehmen und in der Rangordnung so aufsteigen können. Und die Riots lachen sich ins Fäustchen, während sie die Stadt ungestört in Angst und Schrecken versetzen. Unsere Stadt.“

Schlagartig fiel ihr das Ereignis in der U-Bahn-Station ein. „Du meinst es hat noch mehr solche Vorfälle gegeben?“

„Wie meinst du das?“

Schnell erzählte sie ihm die Story und bekam seinerseits eine völlig unerwartete Reaktion. Sie hätte gedacht, dass er ausrasten würde. Aber er schüttelte nur den Kopf und fasste sich mit der Hand an die Stirn. „Ich weiss nicht, wie viel du mitbekommen hast, als du…du weisst schon wo warst, aber möglicherweise hat dir der Taka ja etwas gesagt. Die werden in den nächsten Tagen das Polizeiaufgebot in Konoha erweitern, indem sie aus anderen Städten Polizisten zuziehen, weil die Riots so einen verdammten Radau machen. Sie denken, weil sie jetzt an der Spitze sind, können sie sich alles erlauben. Wie kleine Kinder, die spüren sich nicht mehr, sage ich dir. Die rauben nicht nur Kioske aus, sondern auch Zivilisten, sie brechen ein, wo sie wollen und die Polizei kommt kaum hinterher. Halten sich für die Könige der Stadt. Und das geht eindeutig zu weit. Sie werfen ein noch schlechteres Licht auf die Gangs, dabei waren unsere Fights immer Gang gegen Gang. Wir haben Zivilisten immer rausgehalten und auch nicht irgendwelche Läden ausgeraubt. Wir arbeiten für unser Geld und kämpfen gegen andere, weil wir sonst ziemlich untendurch müssen. Wer in der Rangordnung ganz unten steht, der hat verloren. Und wie ich gesagt habe, einen Statusverlust ist etwas, was andere Gangs aufhetzt und in ihnen die Hoffnung weckt, aufsteigen zu können. In den vergangenen Jahren lebten wir in einer goldenen Zeit, das kann ich dir sagen, Sakura.“

Das Ganze fügte sich in ihrem Kopf jetzt zu einem Bild zusammen. „Die Wurzeln allen Übels sind also die Riots.“

„Nee, Sakura. Die Wurzel allen Übels ist unser verdammtes Gesellschaftssystem. Würde diese Stadt etwas mehr für Strassenkinder und gegen die Armut tun, dann würde das schon einige Probleme lösen. In eine Gang gelangt man, wenn man auf der Strasse überleben muss, was alleine ziemlich unmöglich ist. Es sind anfänglich Zweckgemeinschaften, bleiben Zweckgemeinschaften oder werden irgendwann zu einer wirklichen Familie. Sie beschuldigen uns, dass wir unsere Leben so gut es geht leben, weil wir dabei auf Mittel zurückgreifen müssen, die sie verachten. Aber welche Wahl haben wir denn? Ich hätte ja nichts dagegen, wenn man alle Gangs gleichstellen und die Rangordnung abschaffen würde, dann gäbe es wenigstens keine Battles mehr. Aber sowas funktioniert nur in der Theorie.“ Er klang niedergeschlagen.

„Meinst du?“

„Ja. Es ist wie bei der ganzen Menschheit, Sakura. Menschen, beziehungsweise Gangs, können nicht gleichgestellt sein. Das geht nicht in die Köpfe der Leute rein, weil es schlichtweg nicht in ihrer Natur liegt. Es gab schon immer Über- und Untergeordnete, Arme und Reiche, Schlaue und Dumme, Schöne und Hässliche. Wir kategorisieren alles und jeden und deshalb funktioniert eine Gleichstellung nicht. Weder bei der ganzen Menschheit noch bei den Gangs.“

Seine Worte machten sie traurig, aber er hatte Recht. Seine Stimme war rau, klang müde, so gar nicht wie der Naruto, den sie noch vor einiger Zeit hier im HQ angetroffen hatte.

„Was können wir dafür, dass wir Pech im Leben gehabt haben?“

Die ganze Welt setzte ihm wahrscheinlich im Moment mehr als nur ein bisschen zu. Auch Naruto hatte kein einfaches Leben gehabt und er trug so viel Verantwortung auf seinen Schultern. Er war immer das Zentrum der Kuramas gewesen, der Mensch, der seinen Freunden immer zur Seite gestanden war und niemals nie jemanden im Stich gelassen hatte. Seit sie ihn kannte machte er die Bürden seiner Leute zu seinen eigenen.

Sie nahm ihn in den Arm und legte ihren Kopf auf seine Schulter. Schon so lange waren er und die Kuramas ihre Familie gewesen. Er hatte ihr nie den Rücken zugekehrt. Nie. Es war wahnsinnig, was für ein Mensch Naruto war. Einer der loyalsten, liebsten und gleichzeitig stärksten Menschen, die sie je getroffen hatte. Es war kein Wunder, dass Hinata so Hals über Kopf in ihn verschossen war.

„Es ist egal, was die Welt von uns hält, Naruto. Solange wir Kuramas uns haben, kann uns nichts passieren. So lange wird es immer weitergehen. Wir müssen niemandem etwas beweisen.“

„Ich hasse es, Sakura… ich hasse es, das wir Pech gehabt haben.“ Naruto war selten so offen, schon gar nicht vor seinen Leuten. Er wollte immer den Kampfgeist seiner Gang aufrecht erhalten. Aber auch er hatte keine Superkräfte. Und sie war froh, dass er sich ihr so öffnete.

Sie streichelte sanft seinen Rücken. „Was wäre, wenn wir Glück gehabt hätten? Du wärst jetzt bestimmt Polizist und würdest den Riots gehörig in den Arsch treten. So wie jetzt, nur tätest du es legal.“ Naruto hatte früher, als sie noch etwas jünger gewesen waren immer gesagt, dass er eines Tages Polizist werden wollte.

Er grinste ein wenig, als sie das sagte.

„Lass uns weiterspinnen. Ino würde entweder ein Kleidergeschäft oder einen Blumenladen eröffnen.  Shika wäre ein genervter Mathe- oder Physiklehrer, Kiba würde ein Tierheim eröffnen. Hinata würde bestimmt auch eine Lehrerin werden. Oder eine Kindergärtnerin, eins von beiden.“

Jetzt musste er etwas merklicher lachen. „Wobei man sagen muss, dass bei euch die Chancen dazu gar nicht mal so schlecht stehen. Hmm, aber lass uns mal nachdenken. Gaara und Kankuro wären professionelle Gamer, Choji ein Fünfsternekoch. Tenten heiratet Neji und sie eröffnen einen Waffenladen, Temari wäre eine Stuntfrau.“

Sakura lachte. „Das ist gut! Ich bin überzeugt, genau so wäre es gekommen.“

„Natürlich, wie auch sonst?“

„Aber weisst du, was daran nicht gut wäre? Wir hätten uns vielleicht alle nie kennengelernt. Und das kann und will ich mir ehrlich gesagt einfach nicht vorstellen.“

Er nickte. „Da hast du Recht. Komm, ich hab Hunger, lass uns in die Küche gehen. Choji ist da, weil er endlich mal aufräumen wollte, der hat bestimmt war für uns. Da kannst du mir etwas mehr darüber erzählen, wo du warst.“

Sie hatte gewusst, dass das kam. Aber sie spürte,  dass Naruto sich wirklich vornahm, sich zurückzuhalten. Sie würde ihm erzählen, was er hören wollte. Das war sie ihm schuldig, nach all den Dingen, die er in seinem Leben schon für sie getan hatte. Diese Tatsache wurde ihr immer deutlicher bewusst.

„Okay. Und dann kannst du mir noch sagen, wer der Neuzuwachs vorne mit Kankuro und Gaara Videospiele spielt.“

Naruto verdrehte die Augen. „Ach, der? Ja, da gibt’s schon was zu erzählen.“

Sie standen auf und verliessen den Schlafraum. Bevor sie aber in den Aufenthaltsraum eintraten, hielt Naruto noch einmal kurz inne und drehte sich zu ihr um.

„Schön, dass du wieder da bist, Sakura.“

 

Als Sakura in dieser Nacht in ihrem Bett, zu Hause in ihrem Zimmer lag, liess sie den Abend gedanklich noch einmal Revue passieren. Sie hatte Naruto von ihrer kleinen Reise erzählt, wobei er zwar schon nicht gerade amüsiert gewirkt hatte, aber auch nichts Negatives dazu gesagt hatte. Die Augenblicke, in denen sie Sasuke so nahe gewesen war, liess sie bewusst weg, weil das etwas sehr Privates war. Ami, Haru und die Kinder erwähnte sie auch, aber sie gab nicht preis, was er nicht hätte preisgeben wollen. Naruto hatte daraufhin nichts mehr gefragt, weder nach der Beziehung zwischen ihr und Sasuke, noch nach irgendetwas anderem. Sie hätte ihm sowieso keine vernünftige Antwort mehr geben können.

Gegen zehn Uhr abends waren bereits einige Gangmitglieder zurückgekehrt, darunter auch Ino. Hinata hatte heute keine Zeit gehabt.

Natürlich hatte Ino sie geradezu ausgequetscht, jedoch erzählte sie ihr nicht mehr, als vorhin Naruto. Danach hatten sie alle zusammen im Aufenthaltsraum gesessen, Chips gegessen und etwas getrunken.

Konohamaru, der kleine Junge war trotz seines verletzten Beines ein kleiner Stimmungsmacher und unterhielt sie alle ziemlich gut. Ab und an hatte sie Naruto angesehen, welcher nicht besonders amüsiert über die Anwesenheit des Jungspundes zu sein schien, aber Sakura wusste genau, warum. Konohamaru war genau wie er damals. Sie konnte nicht noch gut daran erinnern, zwar waren sie damals schon etwas älter gewesen, aber trotzdem war die Ähnlichkeit unverkennbar.

Zudem waren sie sich alle einig, dass es langsam Zeit wurde, Banden-Nachwuchs zu rekrutieren, obwohl Naruto noch gar nicht entschieden hatte, ob Konohamaru bleiben durfte. Aber im Grunde genommen stand diese Entscheidung schon fest, denn irgendwie schienen ihn alle bereits ins Herz geschlossen zu haben.

Nun, der Abend war wirklich schön gewesen und ganz gegen ihre Erwartungen überhaupt nicht unangenehm. Niemand hatte sie komisch angeschaut oder ihr aufdringliche oder misstrauische Fragen gestellt. Mit ihren Leuten zusammen Zeit zu verbringen half irgendwie dabei, den kommenden Samstag ein wenig zu vergessen.

Denn dazu hatte Naruto auch eine interessante Neuigkeit gehabt. Pain und er hatten beschlossen, dass jede Gang eine mobile Versorgungstruppe zur Verfügung stellte. Eine Art Sanitäter. Es blieb der Gang überlassen, ob diese nur in einem oder mehreren Autos unterwegs waren. Wenn vor Ort geholfen werden konnte, erhöhte das die Chancen auf  weniger Verluste. Die Kuramas hatten dazu über Jiraiya und seine Kontakte einen Kleintransporter organisiert, mit dem nötigenfalls bis zu vier Personen im Laderaum transportiert werden konnten.

Die Schwierigkeit dabei war, dass die Trupps sich ebenfalls nicht von den Riots und natürlich der Polizei erwischen lassen durften, da sie sonst als Verbündete enttarnt werden konnten und da waren negative Folgen vorprogrammiert. Grundsätzlich konnte man jemanden nicht verhaften, nur weil er erste Hilfe bei einem Gangmitglied leistete, aber es wäre vermutlich schon viel zu auffällig, wenn per Zufall Ärzte wie Shizune und Krankenschwestern wie Tsunade mit einem perfekt ausgerüsteten Kleintransporter in der Nähe wären.

Wie auch immer, sie hatte sich ebenfalls für die Teilnahme an diesen Einheiten gemeldet. Tsunade würde ihr das kaum verbieten können, denn sie hatte laut Naruto auch bereits ihre Zusage gegeben, genauso wie Shizune. Einmal Kurama, immer Kurama. Wenn Hilfe benötigt wurde, dann kam auch Hilfe.

Es erfüllte sie mit einem guten Gefühl, zu wissen, dass sie dieses Mal nicht einfach nur tatenlos zusehen konnte, wie sich ihre Leute in eine Schlacht stürzten. Sie war zwar nicht gut im kämpfen, aber sie wusste als Laie ganz schön viel über erste Hilfe. Erfahrung war nun einmal eine gute Lehrerin.

Es war in Anbetracht der heiklen Situation nicht angebracht, aber sie fühlte sich in diesem Moment ziemlich gut. Hoffnungsvoll. Sie beschloss, dieses Gefühl zu geniessen, denn ihr war durchaus klar, dass sich das schon bald ändern würde.

 

Es war Donnerstag, halb sechs Uhr abends. Sakura schloss die Tür auf und hievte die beiden Einkaufstaschen in die Wohnung hinein. Tsunade hatte ihr einen ganz schön langen Einkaufszettel geschrieben. Als sie die Tüten in die Küche geschoben hatte, brauchte sie erst einmal ein Glas Wasser. Die Treppen mit solchen Anhängseln hinaufzusteigen war alles andere als leicht gewesen. Kurz warf sie einen Blick auf ihr Handy-Display. Sie hatte eine neue Nachricht. Zuerst rechnete sie mit Ino oder Hinata, mit denen sie gerade gestern im Kino gewesen war. Doch zu ihrer Überraschung war sie von jemand ganz anderem.

 

Heute Möbelfabrik?

 

S.

 

Kaum hatte sie die Nachricht gelesen setzten sich ihre Gedanken in Bewegung. Warum wollte er sie sehen? War etwas geschehen? Ging es ihm nicht gut?

Eigentlich war ihr klar, dass sie sich gerade völlig unbegründet Sorgen machte, aber irgendwie konnte sie sich nicht wirklich vorstellen, dass es  jetzt wieder so war wie im letzten Sommer, als sie sich getroffen hatten, damit sie zusammen sein konnten. Jedoch war es für sie keine Frage. Dieses Mal würde sie nicht vergessen, Ino Bescheid zu geben, damit sie sie deckte.

 

Bin um acht dort.

 

Sie begann damit, die Einkäufe auszupacken und in die jeweiligen Schränke zu versorgen. Keine zwei Minuten dauerte es, bis sie eine Antwort hatte.

 

Nimm die U-Bahn. Ich warte an der Station.

 

Wollte er nicht, dass sie alleine unterwegs war? Nun gut, sie musste zugeben, dass es ihr eigentlich sehr willkommen war, abgeholt zu werden. Die Stadt war gefährlich und die Riots trieben ihr Unwesen, da wollte sie nicht alleine unterwegs sein, schon gar nicht in dieser Gegend.

Sie informierte Ino per SMS über die Tatsache, dass sie heute bei ihr schlafen würde. Ihre Freundin willigte sofort ein. Sie war momentan die Einzige, die wusste, dass sie den Kontakt mit Sasuke weiterhin aufrecht erhielt. Nun gut, Naruto oder auch andere aus ihrer Gang waren ja nicht blöd, sie ahnten vermutlich schon etwas. Aber Ino wusste es jetzt mit absoluter Sicherheit.

Tsunade rief sie gegen halb sieben Uhr an, dass sie zum Abendessen nicht zu Hause sein würde. Hier platzierte Sakura ihre Lüge. Himmel, wie sie es hasste, Tsunade anzulügen. Spätestens nach ihrem letzten Disput deswegen, war ihr das mehr denn je bewusst. Aber was sollte sie ihr sagen?

„Hey, ich treffe heute den Taka-Leader in einer heruntergekommenen Fabrik im North?“ Wohl kaum. Ihre Tante hatte viel um die Ohren und sie wollte ihr keine zusätzlichen Sorgen bereiten.

Nachdem sie etwas zu Abend gegessen hatte, blieb ihr nichts anderes übrig, als zu warten. Sie war nervös, so nervös wie schon lange nicht mehr. Wie das heute wohl werden würde?

 

Drei Minuten vor Acht fuhr die U-Bahn in den Bahnhof ein. Mitten unter der Arbeitswoche waren um diese Zeit noch ziemlich viele Leute unterwegs, die meisten von ihnen sahen aus, als wären sie müde von einem harten Arbeitstag. An ihrer Station stiegen jedoch kaum Leute aus. Sie befanden sich hier auch nicht unbedingt in einer Wohngegend.

Der Boden war schmutzig, die Abfalleimer überfüllt, es roch nach einer unangenehmen Mischung aus Urin und Zigarettenrauch. Die Neonröhren an der Decke hatten auch schon bessere Tage gesehen und gaben kaum mehr so viel Licht, wie es sie anfänglich vermutlich zu tun gepflegt hatten.

Schnell erklomm sie die Treppe und passierte das Drehkreuz. Ein kühler, erfrischender Wind wehte ihr entgegen, als sie auf die Strasse hinaustrat. Sie befanden sich hier in einer ziemlich verlassenen Gegend, abends tendenziell als unsicher und eher gefährlich eingestuft. Die Strasse war auf dieser Seite verlassen umd gesäumt von grossen Wohnblocks, von denen bereits der Putz bröckelte. Die meisten Fensterläden waren geschlossen, der Boden war schmutzig und überall lag Müll. Wenn man sich hier so umsah, dann brauchte es nicht viel Fantasie, um es mit einem präapokalyptischen Szenario zu vergleichen. Wie in diesen Filmen und Serien…

Sasuke stand ganz in der Nähe, angelehnt an eine Strassenlaterne, die es gerade noch knapp schaffte, ein wenig Licht zu spenden. Es war seltsam, welch starke Aura er hatte, selbst wenn er einfach nur dastand. Trotz den mässigen Lichtverhältnissen erkannte sie, dass er gerade eine Zigarette rauchte. Sie musste zugeben, dass sie sein derzeitiges Rauchverhalten ziemlich beunruhigte. Oder hatte er schon immer so viel geraucht? Ehrlichgesagt wusste sie es nicht, sie kannte ihn schliesslich auch erst seit einem halben Jahr und davon hatte sie einige Monate keinen Kontakt mehr mit ihm gehabt. Wie war es vor Itachis Tod gewesen? Sie konnte sich nicht erinnern.

Er hatte sie längst gesehen, drückte seine Zigarette beim nächsten Eimer aus und kam langsam auf sie zu. Die vereinzelten Typen, die hier noch herumstanden beobachteten sie, das war nicht zu übersehen.

„Hey“, sagte sie, als er nah genug bei ihr war.

„Hey.“ Er nahm sie sofort am Handgelenk und zog sie sanft mit sich. Anscheinend wollte er nicht allzu lange hierbleiben. Verständlich.

«Wir sollten uns hier nicht zu lange aufhalten», sagte er leise in ihre Richtung, als sie die U-Bahn-Station hinter sich liessen. «Diese Scheiss-Kerle können überall sein.»

Er lief zwar ziemlich schnell, jedoch schaffte er es, dass es nicht so aussah, als hätte er es eilig. Die Kapuze hatte er sich tief ins Gesicht gezogen, da er in Gangkreisen leider nicht gerade unbekannt war.

Mehr und mehr kam Sakura die Gegend bekannt vor. Sie näherten sich der Fabrik dieses Mal von einer anderen Seite. Es kam ihr vor, als wäre sie seit Jahrzehnten nicht mehr hier gewesen. Die Zeit vor Itachis Tod und dem ganzen Bandenkrieg schienen Lichtjahre entfernt. All diese Dinge, die sie davor gehabt hatten wirkten wie eine verschwommene Erinnerung an schwierige, aber aufregende Zeiten zu sein.

Als sie vor der Tür standen, zögerte Sasuke, zwar nur eine Millisekunde lang, jedoch war das für Sakura lang genug.

«Ist etwas?» Urplötzlich stellte sich ihr die Frage, ob er seit Dezember überhaupt einmal wieder hier gewesen war. Die Fabrik war Itachis und sein Unterschlupf gewesen, bevor sie zu der Gang gekommen waren.

Auf ihre Frage hin hielt er inne, wirkte aber sogar ein kleines bisschen amüsiert. «Wer bist du, Sherlock?»

Schon lange hatte sie keinen Sarkasmus aus seinem Mund gehört. Das letzte Mal war in Amis und Harus Garten gewesen. Nun musste sie seinem Sarkasmus wohl noch weitere mögliche Bedeutungen zuschreiben: Nervosität. Unruhe. Unsicherheit. Damals war sein Sarkasmus bösartig gewesen, jetzt war er gutartig. Jedoch passten solche Aussagen nicht zu ihm.

Manchmal fiel ihr gar nicht mehr auf, wie sehr sie ihn inzwischen analysierte. Aber sie glaubte, damit richtig zu liegen.

«Natürlich, Watson.» Sie setzte ein gespielt selbstzufriedenes Gesicht auf. «Was hast du denn gedacht?»

Er schüttelte den Kopf und schob die beiden Tonnen von der Tür weg, die erstaunlicherweise immer noch hier waren. Dabei konnte in einem halben Jahr viel passieren.

In der Fabrik sah es immer noch gleich aus. Es war also tatsächlich keiner auf die Idee gekommen, dass sie ein netter Unterschlupf sein könnte. Beeindruckend.

Der Gang war stockfinster und der Boden knarrte, als Sasuke die ersten Schritte hinein machte. Irgendwo hörte sie eine Maus fiepen.

Hinter ihr verrammelte Sasuke die Tür und griff in das Loch in der Wand – ohne mit der Wimper zu zucken – um daraus die Taschenlampe zu fischen. Sakura ekelte sich bei den Gedanken, was alles in diesem Loch hausen könnte, ihn schien es nicht zu stören.

Er knipste die Lampe an, tatsächlich funktionierte sie noch.

«Ein Wunder.», murmelte er und liess den Lichtkegel vorauswandern.

«Wann warst du zum letzten Mal da?», fragte sie nun doch, die Neugier war einfach zu gross.

Er antwortete nicht sofort. «Mit dir. Sommer, Herbst.»

Also doch. Er war seitdem nicht einmal mehr hier gewesen.

Er versuchte zwar, es zu überspielen, aber Sakura bemerkte seine Nervosität so oder so.

«Sasuke, warte mal.» Dieses Mal war sie es, die ihn am Handgelenk packte. «Warum wolltest du hierher kommen?»

Er drehte sich nicht um. «Ich dachte, wenn du dabei bist… dann geht es.»

Dass er so direkt und ehrlich war, überraschte sie ziemlich. Normalerweise rückte er mit solchen Sachen nicht gleich bei der ersten Nachfrage raus.

Sie liess sein Handgelenk los und nickte. «Geh voran.»

Was musste es für ein Gefühl sein? Vermutlich löste alles, was Sasuke im Alltag antraf Erinnerungen an seinen Bruder aus, aber das hier musste etwas vom Härtesten sein, was er bis anhin hatte durchstehen müssen. Umso mehr freute es sie, dass er sie dabei haben wollte.

Sie erreichten die nach wie vor mehr als nur instabil aussehende Treppe. Sasuke zögerte, jedoch lag das nicht an der Treppe. Er schien abzuwägen, wie schlimm es wäre, jetzt umzukehren. Aber er tat es nicht.

Von all den guten Eigenschaften, die Sasuke hatte, war diese eine seiner besten. Er drehte sich nicht um und er versteckte sich nicht. Wenn es galt, einer Sache ins Gesicht zu sehen, dann tat er es einfach. Nicht, weil er keine Angst hätte oder sich beweisen wollte, sondern einfach, weil er so war. Ihr war vollkommen bewusst, wie in diesem Moment alles in ihm danach schrie, umzukehren. Jede einzelne Faser seines Körpers. Und trotzdem setzte er nun den Fuss auf die Treppe und ging langsam nach oben. Das Knarren des morschen Holzes war alles andere als beruhigend, aber Sakura folgte ihm, als er etwa in der Mitte angekommen war.

Oben war es dunkel, jedoch wurde der Flur ganz leicht vom Mondlicht erhellt, dass vermutlich durch die offene Tür des Zimmers fiel. Aber er kannte dieses Gebäude in- und auswendig, deshalb stellten die schlechten Lichtverhältnisse überhaupt kein Problem dar.

Im ersten Stock angekommen wurde Sakura erst bewusst, wie lange sie tatsächlich nicht mehr hier gewesen war. Es war zwar alles unverändert, jedoch kamen ihr die Zeiten, die sie hier mit Sasuke verbracht hatte, Ewigkeiten entfernt vor.

Es war alles ziemlich staubig, das Klavier, der Boden, die Decke auf der Matratze. Durch den leeren Fensterrahmen sah sie die Lichter der Stadt und der glitzernde Fluss, der nur einige Gehminuten von der Fabrik entfernt war. Wenn man Konoha von hier aus sah, dann konnte man dieser Grossstadt beinahe noch etwas abgewinnen. Sasukes Blick wanderte vorsichtig durch den Raum. Es war zwar kühl, aber nicht wirklich kalt, denn der Winter hatte sich inzwischen verabschiedet. Nachts jedoch, war es trotzdem noch ziemlich frisch.

Die Holzdielen ächzten, als er langsam den Raum betrat. Sakura beschloss kurzerhand, diese beklemmende Stille zu durchbrechen und ging in den Raum hinein, so wie sie zu Hause in ihr Zimmer hinein ging.

«Ganz schön staubig, was?», sagte sie, schnappte sich die Decke auf der Matratze und schüttelte sie kräftig aus. Allerdings hatte sie nicht damit gerechnet, wie viel Staub sich tatsächlich in den Stofffasern verfangen hatte und musste kurz die Luft anhalten, bis sich die Staubwolke langsam verflüchtigte.

«Die müsste man wohl mal waschen», brummte sie und klopfte sich den Staub aus den Kleidern, bevor sie die Decke zusammenfaltete und am Ende der Matratze platzierte.

Unter der Decke war die Matratze verhältnismässig sauber und deshalb liess sie sich nun darauf plumpsen. Sie wollte ihn ablenken, ablenken von diesen Erinnerungen.

Eigentlich wollte sie nicht mit diesem Thema beginnen, aber irgendwie war es dann doch das erste, was ihr einfiel.  

«Seid ihr bereit? Ich meine für Samstag?»

Sasuke liess sich auf dem Hocker vor dem Klavier nieder. «So bereit wie man für ein Unternehmen in diesem Ausmass sein kann. Das alles erinnert mich irgendwie an die letzte Auseinandersetzung mit den Riots.»

Sakura nickte. Auch sie selbst erinnerte sich nur zu gut an diese schicksalshafte Nacht. Zwar war es bereits einige Monate her, aber die Auswirkungen dieses verheerenden Ereignisses würden noch sehr lange spürbar sein, da bestanden keine Zweifel.

«Bist du nervös?», fragte sie leise. Ihr selbst machte es definitiv Sorgen. Zwar hatte sie es geschafft, den bevorstehenden Kampf bisher zu verdrängen, aber sie hatte Angst. Angst davor, Menschen, die sie liebte, zu verlieren. Seit dem Drop Down war ihr längst wieder bewusst geworden, wie schnell es gehen konnte, dass jemand im Kreuzfeuer sein Leben verlor. Wenn man bedachte, wie viel ein einzelner Mensch wert war, mit all seinen Qualitäten und Mäkeln war, erschien es ihr beinahe unmöglich, dass eine einzelne Kugel, ein einzelner Messerstich über Leben und Tod entscheiden konnte.

Eigentlich war es verrückt. Es war vollkommen wahnsinnig, was sie machten. Aber hatten sie denn eine Wahl? Nicht wirklich.

«Nein. Nervös ist das falsche Wort dafür. Aber es lässt mich nicht kalt, so viel soll gesagt sein.» Er spielte mit seinem Lederarmband.

Was er wohl damit sagen wollte?

 «Inwiefern?»

Er schien sich gut zu überlegen, ob er ihr das wirklich preisgeben wollte. Jedoch schien er sich dafür zu entschliessen, es doch zu tun. «Ich weiss, du findest das nicht gut. Nicht im Geringsten. Aber ich kann es kaum erwarten, gegen die Riots anzutreten. Sie denken, sie hätten uns in die Knie gezwungen, aber das ist nicht so. Genauer gesagt haben sie schlafende Hunde geweckt. Ich spreche hier nur für die Takas, aber wir waren noch selten so konzentriert auf einen bevorstehenden Kampf, wie bei diesem. Die Riots werden bezahlen.»

Er hatte recht, diese Worte lösten in ihr ein seltsames Unbehagen aus. Es war das Gefühl, dass sie damals bei der DD-Area verspürt hatte, als Sasuke Itachis Mörder hingerichtet hatte, nur dieses Mal in etwas abgeschwächter Form.

Auf der einen Seite verstand sie die Rachegelüste und die Wut, die in jedem einzelnen Takas toben musste, aber andererseits wusste sie, dass sie das niemals weiterbringen würde. Auge um Auge, Zahn um Zahn. Es war etwas, das nicht funktionierte, denn so beschwor man einen Teufelskreis herauf. Einen nie endenden Teufelskreis aus Rachegelüsten und Hass.

«Wirst du dich danach besser fühlen?», fragte sie leise. «Nachdem du alles für das riskierst?»

Er nickte. «Ja.»

«Bist du dir sicher?»

Er hob den Kopf und schaute sie an. «Ziemlich, ja.»

«Okay.» Ob es ihm mit all den Blut an den Händen wirklich besser gehen würde, sei dahin gestellt. Wenn er das überhaupt überlebte. Aber daran wollte sie gar nicht denken.

Damals beim Drop Down war er so ausser sich gewesen. Diese eiskalten Augen, als er den Abzug gedrückt hatte, schossen ihr wieder durch den Kopf. Es war ein Akt basierend auf puren negativen Emotionen gewesen. Sasuke konnte schnell die Kontrolle verlieren und das konnte auf dem Schlachtfeld sehr schnell gefährlich werden, vor allem für ihn. Nie mehr wollte sie Sasuke Uchiha wieder so sehen, wie damals. Niemals. Aber vielleicht würde sie es noch einmal ertragen müssen. Wer wusste schon, was am Samstag alles auf sie wartete…

«Am Samstag könnten wir alle sterben.», brachte sie trocken hervor.

Der plötzliche Themenwechsel schien ihn schon zu überraschen, jedoch schien er nur von seinen Erinnerungen abgelenkt zu sein. «Moment, warum solltest du am Samstag dein Leben riskieren?»

Das hatte sie ihm noch nicht gesagt. Dann war ja jetzt die Gelegenheit dazu. «Mobiles Versorgungsteam Kurama 1.»

Mehr brauchte er nicht zu hören. Sobald man bei dieser Einheit war, befand man sich auch im Gefecht. Natürlich nicht direkt, aber das Risiko, ins Kreuzfeuer zu gelangen bestand durchaus.

«Das ist nicht dein Ernst oder?» Er wurde unruhig. Was war denn los?

«Doch. Warum?»

«Das ist nicht der Ort, wo du hingehörst. Sakura, du gehörst an vielen Orten hin, aber nicht in diese Gangfights!»

Sie seufzte. «Ich kämpfe ja nicht mit, die Chance, dass wir bemerkt werden ist klein und wir sind ja immer darauf bedacht…»

«Nein. Warum erlaubt Big Fox das überhaupt? Du und deine Freundinnen habt noch einiges vor euch. Wirf doch all das, was dir geschenkt wurde nicht einfach so weg.»

Sakura schaute ihn irritiert an. Er sah wütend aus. Diese aufgebrachte Reaktion hatte sie definitiv nicht erwartet.

«Sasuke, ich werfe es doch nicht weg, ich…»

«Doch. Genau das tust du. Du gehst ein Risiko ein und zwar ein Grosses.»

Seine Worte hatten Sakura ziemlich überrollt. Im ersten Moment wusste sie nicht, was sie daraufhin sagen sollte, aber allmählich fand sie ihre Worte wieder.

«Sasuke», sagte sie leise. «Weisst du, was es für ein Gefühl ist, seine Freunde in einen Kampf ziehen zu sehen und selbst absolut machtlos im HQ auf Meldung zu warten? Es sind die Menschen, die mich gerettet haben. Ich habe es satt, zuzusehen, wie sie sich für uns in den Kampf stürzen und ihnen dabei nicht im Geringsten helfen zu können. Du erinnerst dich an die BZ letzten Sommer? Naruto war nie ein Fan davon gewesen, uns antreten zu sehen und hat uns deshalb immer die Positionen zugeteilt, in denen wir gut geschützt durch andere waren. Es ist nicht so, dass er uns in diese Sachen einbeziehen will, ganz und gar nicht. Aber ich habe darauf bestanden. Und meine Tante konnte nicht Nein sagen, weil sie selbst dabei ist.»

Bevor er etwas sagen konnte, hob sie die Hand. «Ich werde nicht tatenlos zusehen, wie dieser Kampf seinen Lauf nimmt. Egal, was du jetzt sagst. Die Riots werden alle Hände voll zu tun haben und wir werden Undercover bleiben. Die Chancen, dass wir auffliegen, sind gering.»

Er sah nicht im Mindesten so aus, als würde ihn das beruhigen. «Tu es nicht, Sakura.»

Sie musterte ihn. Er sah sie direkt an, bittend, mit einer Spur Leader-Autorität in seiner ganzen Haltung.

Sie beschloss, dass sie ihn auch gleich direkt auf das, was sie dachte, ansprechen konnte. «Du machst dir Sorgen.»

Jetzt war sie gespannt. Ob er das zugeben würde?

Er senkte seinen Blick wieder, vermutlich überrascht über ihre Unverfrorenheit. Sie beobachtete wie er das Lederarmbändchen zwischen seinen Fingern hin- und herdrehte. Schlussendlich schien er sich doch noch zu einer Antwort durchringen können. «Würde mich ja nicht so querstellen, wenn nicht.»

Jetzt wäre sie beinahe rückwärts von der Matratze gekippt. Sie wusste nicht genau, mit was für einer Antwort sie gerechnet hatte, aber diese war es jedenfalls nicht gewesen. Es war die Antwort, die sie sich tief im Innersten gewünscht hatte, sie aber jetzt in der Realität, hier und jetzt von ihm zu hören, brachte ihr Herz wieder einmal ganz wild zum klopfen. Was machte dieser Taka nur mit ihr, dass sie immer so heftig auf solche Sachen reagierte?

«Und was gibt dann dir das Recht, einfach so blind in den Kampf zu rennen?», war das Erste, was sie ihm entgegnen konnte.

Er war drauf und dran, etwas zu erwidern, aber inmitten seines Anlaufes schien er zu begreifen, was sie damit sagen wollte.

«Du kannst nicht andere mit dem Argument, dir Sorgen zu machen, von diesen Angelegenheiten fernhalten, wenn du nicht selbst Rücksicht auf diejenigen nimmst, die sich um dich sorgen…», plötzlich verspürte sie einen Kloss im Hals. «Hast du dir das jemals überlegt?»

Inzwischen fixierte er sie wieder voll und ganz mit seinen dunklen, durchleuchtenden Augen. Er sah verwundert, ja, sogar leicht irritiert aus.

«In solchen Sachen denkst du immer nur an dich. Immer. Manchmal glaube ich sogar… dass du einen richtigen Todeswunsch hegst…» Ohne es zu wollen begann sie leicht zu zittern. Der Kloss in ihrem Hals fühlte sich an, als würde er ihre Luftröhre langsam schmerzhaft verschliessen. Aber war es nicht so? Wenn er so redete, dann glaubte sie, dass er überhaupt nicht mehr vom Leben hielt und es ihm eigentlich gleichgültig war, ob er lebte oder ob er starb.

Irritiert war für seinen Blick inzwischen gar kein Ausdruck mehr. Sie wusste selbst nicht, warum das plötzlich alles aus ihr rauskam. Es war nicht so, als hätte sie ihm so etwas in dieser Art schon lange sagen wollten. Es war, als wäre ihr selbst das alles eben erst bewusst geworden und nun sprudelte es einfach aus ihr heraus.

«Ständig tust du alles auf eigene Faust. In Oto warst du einfach mal für ein paar Stunden weg, ohne mir zu sagen, wohin. Du lehnst Hilfe ab und wenn du es mal zulässt, dann sind es nur kleine Dinge. Manchmal denke ich, dass du dich endlich öffnest und im nächsten Moment bist du mir wieder fremd. Ausserhalb von Gang-Angelegenheiten verlässt du dich auf niemanden mehr… und dann sagst du solche Sachen… von wegen rächen und dass du dich regelrecht auf den Kampf freust… Schwachsinn, Sasuke.»

Sie konnte ihn gar nicht mehr ansehen, denn in ihren Augen sammelte sich schon langsam das altvertraute Wasser. Es war eine salzige Mischung aus Wut und Verzweiflung.

«Willst du sterben, Sasuke?», fragte sie, das Gesicht in den angewinkelten Beinen vergraben. «Du hast vieles verloren, gibt es noch genug, das dir wichtig ist?»

Stille. Sie hörte nur seinen Atem. Sie wollte auch seinen Gesichtsausdruck nicht sehen. Vielleicht dachte er jetzt gerade, dass sie völlig durchgeknallt war. Aus einem simplen Gespräch auf so etwas zu kommen war ja auch nicht gerade normal.

Sie spürte die Kälte durch ihre Jacke dringen. Nach geraumer Zeit fragte sie sich, ob er überhaupt noch da war oder ob er sich aus den Staub gemacht hatte – sie hätte es nicht gehört, so sehr rauschte das Blut in ihren Ohren.

«Ich habe nie mehr darüber nachgedacht, seit ich klein war», sagte er plötzlich, leise und rau. «Übers Sterben wollen. Vielleicht will ich es. Vielleicht auch nicht. Ich kann manchmal gar nicht mehr sagen, was ich bewusst tue und was nicht…» Er machte eine Pause. «Itachi hat immer gesagt, wer sich wünscht zu sterben, der ist ein Feigling. Er hat mir immer einen Grund gegeben, weiter zu machen.»

«Und jetzt?», fragte sie mit erstickter Stimme. «Jetzt ist er weg. Wo kommt denn jetzt der Grund her?»

Eigentlich war es gerade ziemlich kontraproduktiv, was sie hier machte, denn eigentlich wollte sie ja, dass es ihm besser ging.

«Ich glaube, ich habe genug Gründe.» Er sagte das nicht unsicher, nicht nur, um sie zu besänftigen. Er sagte das, als ob er diesen Entschluss gerade gefasst hätte. «Vielleicht ist mir das erst jetzt gerade klargeworden, aber gehabt habe ich sie schon lange. Die meisten jedenfalls.»

Sie war mehr als erstaunt. Vielleicht wäre das der Schlüssel dazu gewesen, ihn endgültig aus sich raus zu locken? Ihm von ihren innersten Sorgen zu erzählen?

Jetzt war es wieder still.

«Dann lass uns beide in den Kampf ziehen», sagte Sakura und hob ihren Kopf. Inzwischen mussten ihre Augen knallrot vor lauter Tränen sein. «Damit wir unsere Gründe beschützen können. Nicht um zu rächen. Oder zu sterben.»

Sie hatte ihn schon lange nicht mehr so gesehen. Er wirkte traurig, aber offen. Zugänglich.

Er stand langsam auf und kam zu ihr herüber. Die Dielen knarrten unter seinen Schritten. Hatte sie ihn schon jemals so gesehen? Er sah aus, als würde er all diese Bewegungen völlig unbewusst machen. Seine dunklen Augen waren auf sie gerichtet.

Vor ihr kniete er sich langsam hin. Sein Blick machte sie ganz verrückt.

«Es tut mir leid, Sakura. Ich wusste nicht, dass… nun, dass dich das alles so…betrifft.»

Sie schüttelte verständnislos den Kopf. «Wie könnte es nicht? Weisst du, wenn ich mich auf Menschen einlasse, dann tue ich das nicht nur halbherzig. Das kann ich nicht. Du doch auch, auf ein andere Art, aber du tust es auch.» Es war wahr. Nur liess sie die Menschen zu schnell an sich heran und er sie fast gar nicht. Aber im Endeffekt taten sie das gleiche: Wenn sie sich auf jemanden einliessen, dann richtig.

«Das ist eine Stärke», sagte er rau.

«Oder eine Schwäche.»

«Es kann dich verwundbar machen…», begann er.

«…und dir im selben Atemzug alle Türen öffnen, die du jemals offen vor dir sehen wolltest», beendete sie.

In ihr herrschte eine riesige Aufruhr. Sein Blick, seine Stimme, seine Worte, alles an ihm brachte ihr Herz und ihre Gedanken zum Rasen. Verwundbarkeit… Stärken, Schwächen. Waren das nicht alles Sachen, die ihr im Zusammenhang mit Sasuke immer wieder begegnet waren?

Er hatte sie noch nie so angeschaut. Noch nie, seit sie ihn kannte, war sein Blick so intensiv gewesen. So offen. Er sah aus, als wollte er ihr alles geben, was er hatte. Als hätte er ihre Botschaft verstanden. Und sie fühlte dasselbe ihm gegenüber. Sie würde ihm alles geben, alles, was sie ihm geben konnte. So war es schon immer gewesen und sie konnte und wollte auch nichts dagegen tun.

«Ich bin armselig oder?», brachte sie hervor. «Richtig naiv.»

«Dann bin ich auch armselig», antwortete er mit erstickter Stimme. «Egoistisch und dumm.»

Plötzlich spürte sie seine warme Hand auf ihrer. Sie ergriff sie, ohne zu zögern.

«Minus und Minus gibt Plus, hast du das gewusst?», fragte sie leise. Und unter einem schwachen Lächeln fügte sie hinzu: «Armselig und armselig hebt sich ja dann vielleicht auch auf.»

Sein Gesicht war jetzt ganz nahe bei ihrem und bevor sie es sich versah spürte sie seine Lippen auf ihren. Es war der Moment, in dem ihr Körper und ihr Verstand endgültig der Sehnsucht nach ihm nachgaben. Lange hatte sie es verdrängt, doch jetzt war ihr einziger Gedanke: endlich. Endlich war sie ihm wieder nah.

Es war lange her, dass sie ihn zum letzten Mal geküsst hatte, aber die Erinnerung daran wurde jetzt noch einmal übertroffen. Sie hätte inmitten dieser ganzen Traurigkeit vor Freude platzen können. Die Empfindungen, die er in ihr auslösen konnte, waren einfach überwältigend.

Ihr war, als könnte sie seinen Herzschlag durch die Vibrationen in der Luft spüren, als sie ihm nach diesem Kuss in die Augen sah.

«Bleib da, Sakura.», war das Einzige, was er noch sagte, bevor er sie erneut küsste. Und sie wusste, was er damit meinte. Keine Erklärung notwendig.

Jetzt legte sie ihre Hände auf seine Schultern und er hatte seine Arme ganz um sie geschlungen, damit er sie an sich heranziehen konnte.

Er war wieder bei ihr. Und sie würde da bleiben. Vieles war in der Zwischenzeit passiert. Sehr vieles. Aber sie wollte da bleiben. Bei ihm.

Sie wussten nicht, was die Zukunft bringen würde. Der bevorstehende Kampf hing wie ein dunkler Schatten in einer Ecke, und gerade deshalb würde Sakura ihn jetzt nicht loslassen. Egal, was in diesem Kampf geschehen würde.

Jetzt war er bei ihr. Und sie bei ihm.

Feind bleibt Feind

Den Kopf auf seine Schulter gelegt, lauschte sie dem Geräusch seiner Atemzüge. Dieses betörende Gefühl einer inneren Verbundenheit war in ihrem ganzen Körper zu spüren und verlieh ihr eine unglaubliche Ruhe.

Nie hätte sie sich erträumt, dass sie ihm vor dem Battle noch einmal so nahe sein konnte. Sie spürte seinen Atem in ihrem Haar und roch seinen Duft nach Freiheit und Abenteuer. Seine Hände ruhten noch immer auf ihrem Rücken. Am liebsten wäre sie ewig so hier verharrt, hätte die Zeit angehalten, schon nur damit Samstag nicht näher rücken konnte. Die Ungewissheit, was dieser Tag bringen würde, machte ihr riesige Angst.

Sie spürte, wie er ihr sanft über den Rücken strich und sie noch etwas mehr an sich drückte. Es klang kitschig und dumm, aber sie hätte ihn am liebsten nicht mehr losgelassen. Er war endlich da und dann noch so nahe bei ihr. Sie hatte ihre Arme unter seiner Jacke um ihn gelegt, sodass sie seine Körperwärme fühlen konnte.

Sie musste an die Anderen denken, an die Kuramas. Sie hatten Sasuke nie getraut und nachdem was vor einigen Monaten im Toad’s passiert war, konnte sie es ihnen nicht einmal verübeln. Wenn man jemandem gegenüber nicht gut eingestellt war, dann brauchte es tausende von guten Taten, um vom Gegenteil überzeugt zu werden, aber nur eine schlechte, damit man sich sofort bestätigt fühlte.

Wie stellte sie sich das eigentlich vor? Sasuke und sie würden niemals das haben können, was zum Beispiel Neji und Tenten hatten oder was Konan mit Itachi gehabt hatte. Es war nicht dasselbe. Und selbst in diesen schwierigen Zeiten, in denen man zusammenarbeitete, wurde nach wie vor gegenseitige Distanz gehalten. Dass die Gangs dauerhaft an einem Strang ziehen war eine Wunschvorstellung, die wohl eine bleiben sollte.

Aber sie war sich sicher: Dass sie Sasuke getroffen hatte, war kein Zufall gewesen. Sie glaubte nicht an Zufälle, jedenfalls nicht an jene, die eine solch einschneidende Wirkung auf ihr Leben hatten, solche, die alles umkrempelten. Sie beide teilten etwas Besonderes, spätestens jetzt wusste sie, dass er das auch so empfand.

Sie wusste nicht, wie lange sie so da knieten, aber irgendwann drang die die kühle Luft dann doch durch ihre Kleider. Draussen war es zwar schon bedeutend wärmer und frühlingshafter als im Februar, jedoch kehrte nachts die Kälte noch zurück.

«Kalt?», murmelte er und sie nickte. Er musste ihr Zittern bemerkt haben.

«Ja.» Eigentlich war es ihr egal. Sie wollte ihm auf gar keinen Fall jetzt schon auf Wiedersehen sagen. «Aber ich will noch nicht nach Hause.»

«Es wäre nicht besonders schlau, jetzt krank zu werden», bemerkte er. «Du willst doch am Samstag bereit sein.»

Da hatte er leider recht, aber sie wollte jetzt noch nicht gehen. Aber vielleicht wollte er? Der Gedanke tat ein wenig weh. Etwas zu hastig fuhr sie hoch. «Aber wenn du gehen willst, dann können wir. Kein Problem…»

Er schüttelte den Kopf. «Es ist gerade mal zehn nach neun, Sakura. Vor Kriegszeit standen Deidara und Hidan um diese Zeit erst auf.»

Sie musste ein wenig lachen. Die Zwei waren ja auch kein Vergleich zu normalen Menschen.

«Aber wir können nirgendwo hin.»

«Ich wüsste da was. Nur müsstest du dabei einverstanden sein.»

«Und was?» Sie sah in fragend an.

«Taka-HQ.»
 

Keine fünf Minuten später sass sie hinter Sasuke auf seiner Maschine und fuhr mit ihm durch das nächtliche Konoha. Trotz des frischen Fahrtwindes fror sie nicht, da der Winter sich inzwischen wirklich verabschiedet hatte. Ino hatte sie kurz in einer SMS geschrieben, dass sie heute doch nicht bei ihr schlafen würde und sich auch dafür entschuldigt. Ihre Freundin schien aber nicht wütend zu sein, tatsächlich hatte sie schon so etwas vermutet.

Zuerst hatte sie Sasuke fragen müssen, ob es überhaupt erlaubt sei, Kuramas ins HQ mitzubringen. Immerhin befanden sie sich nun in keine Ausnahmesituation mehr. Er hatte nur den Kopf geschüttelt und gemeint, dass man als Boss den Vorteil habe, tun und lassen zu können, was man wollte. Zudem sei sie ja längstens keine Fremde mehr.

Sakura war es egal gewesen, dass sie sich die Augen verbinden musste. Sie wollte bei Sasuke sein, da spielte es keine Rolle, ob sie zu den Takas gehen musste oder nicht. Die Kuramas würden es nicht erfahren und Tsunade glaubte nach wie vor, sie sei bei Ino. Und Sasuke sagte das schon richtig: Die Takas kannten sie von allen Kuramas am besten.

Es war nicht weit bis Sasuke verlangsamte und anhielt, um irgendeinen Mechanismus zu betätigen, der das Tor öffnete. Gleich darauf passierten sie die Einfahrt und jetzt konnte sie die Augenbinde abnehmen. Die Umgebung kam ihr natürlich sofort bekannt vor. Viel geändert hatte sich an der altbekannten Garage nicht viel, jedoch war allgemein eine etwas grössere Unordnung vorhanden, als beim letzten Mal.

Hinter ihnen schloss sich das Tor wieder und Sasuke stellte seine Yamaha neben den Anderen ab.

«Der Aufenthaltsraum wird vermutlich nicht leer sein, im Gegenteil. Aber wir müssen ihn durchqueren. Lass mich das einfach machen.»

Sie nickte.

«Und nimm dumme Sprüche nicht zu ernst, ja?»

Er nahm sie sanft beim Handgelenk. Sie mochte das, weil es viel besser zu ihm passte, als dass er ihr Händchen hielt.

Den kurzen Gang entlang, die Treppe hoch. Aufpassen, dass man auf den lädierten Stufen nicht stolperte. Der Gang war voller Schutt und Staub, genauso, wie sie ihn das letzte Mal gesehen hatte. Aber das gehörte zur Tarnung.

Sie erreichten die besprayte Flügeltür aus Holz. Auf der anderen Seite war bereits Musik aus dem Radio zu hören.

«Inzwischen sind sie nicht mehr in Stimmung für reinen Hip-Hop, Rap und was sie sonst noch alles hören. Derzeit tut’s die Hitparade auch», kommentierte Sasuke. Anscheinend wirkte sich der Druck auch hier langsam auf die Gemüter der Leute aus. Kein Wunder.

Im nächsten Moment stiess Sasuke die Tür auf und trat hinein.

Das Licht war zwar schlecht, aber es brannten genug Lampen, damit man den Raum erkennen konnte. Er war voller Leute. An der Bar sassen Suigetsu, Karin, Zetsu und Hidan mit Einigen, die sie nicht kannte, ihnen gegenüber stand Juugo. Sie schienen es ziemlich lustig zu haben, denn sie lachten. Auf dem Sofa konnte sie Deidara ausmachen, mit wem er sich allerdings gerade in zärtlichem Einverständnis befand, konnte sie nicht sagen. Shion, Konan, Pain, Sasori und noch etwa fünf andere, die sie ebenfalls nicht kannte, waren mit einem Pokerspiel an dem grossen Tisch beschäftigt. Selbst auf dem Boden vor dem Fernseher und auf dem zweiten Sofa waren noch andere Leute zu sehen. Konnte es sein, dass ausgerechnet heute der halbe Outer hier im HQ war?

Ehe sie es sich versah waren sie der Fokus von über zwanzig Leuten. Sie war kurz davor, rückwärts zur Tür raus zu stürmen. Damit hatte sie nicht gerechnet.

«Nabend Boss!», rief Hidan von der Bar her. Der hatte vermutlich auch schon wieder einiges intus. «Wen hast du uns denn da mitgebracht?»

Sasuke schien das nicht weiter zu kümmern. Dann hatte er gewusst, dass die Outers heute hier waren?

«Leute», meinte er nur, zur trockenen Begrüssung dann zog er sie sanft mit sich. Aus Richtung Bar und Pokertisch kamen einige Begrüssungen von bekannten Stimmen.

Inzwischen war auch Deidara hinter der Sofalehne aufgetaucht. «Hi, Cherry, was verschlägt dich denn hierher?» Er warf einen Blick auf Sasuke. «Jetzt wissen wir wenigstens wo sich der Boss rumgetrieben hat.»

Sakura wäre am liebsten auf der Stelle im Boden versunken.

«Wer is’ denn das?», fragte irgendeine Frauenstimme vom Pokertisch her.

«Ja, Boss, ist das wieder mal ‘ne Auswärtige?»

«Ja, wer ist das? Und was hat die hier im HQ verloren?», kam es aus Richtung Fernseher.

«Geht euch nichts an», sagte er so forsch und dominant, wie er es immer tat, wenn er seine Gang zurechtwies. Schon bald erreichten sie die andere Seite des Raumes und hier bekam sie noch einige Begrüssungen von Juugo und den Anderen, jedoch beinhaltete das einen Blick von Karin, den sie nicht wirklich deuten konnte.

«Huui, viel Spass, Boss!», rief Deidara von der Couch her und wurde sogleich von Hotaru durch eine Ohrfeige zum Schweigen gebracht. Also war sie Deidaras Liebchen. Für heute zumindest.

Als noch einige weitere Sprüche fielen, war Sasuke schon kurz davor etwas zu sagen, doch Pain kam ihm zuvor: «Wenn ihr nicht alle sofort eure Schnauzen haltet, dann schmeisse ich euch eigenhändig raus! Auch dich, Blondie!»

Bis auf das Radio und den Fernseher war es still, als er die Tür hinter ihnen schloss und sie im, von alten Neonröhren beleuchteten Gang standen.

«Tut mir leid, Sakura. Die Outers sind immer so. Nimm das nicht zu ernst. Und die anderen Vollidioten kennst du ja.»

Sakura hasste es, in solch unangenehmem Licht wie vorhin stehen zu müssen und sie spürte noch jetzt das Blut in ihren Adern rauschen. Die Missgunst, die von einigen der Outers ausgegangen war, ging ihr näher, als ihr lieb war. «Ich bin nicht gut in solchen Situationen…», murmelte sie.

Sasuke schüttelte nur den Kopf. «Brauchst du auch nicht zu sein. Komm.»

Der Gang weckte Erinnerungen an vergangene Zeiten. Zweimal hatte sie es bisher geschafft, ins Taka-HQ zu gelangen. Sie lebte quasi den Traum eines jeden Kuramas, dachte sie etwas zynisch. Nur hatte sie nicht vor, das HQ an sich zu reissen.

In Sasukes Zimmer war alles erstaunlich aufgeräumt. Es befand sich fast alles wie gewohnt an seinem Platz. Das Chaos beschränkte sich heute lediglich auf sein Bett, auf dem das Bettzeug wild durcheinander dalag. Auf dem Kopfkissen, dass sich wohlmerklich am Fussende des Bettes befand, lag eine Stadtkarte, auf der Decke ein schwarzes Shirt und neben dem Bett eine leere Zigarettenpackung, die er schnell mit einem Fuss unter dem Bett verschwinden liess.

Normalerweise hätte Sakura sich hingekniet und das Päckchen wieder unter dem Bett hervorgefischt, jedoch war sie in Gedanken zu sehr mit den Outers und ihren komischen Blicken und Kommentaren beschäftigt.

Das entging Sasuke natürlich nicht. «Mach dir keine Sorgen wegen den Outers. Sie reagieren nur so, weil sie dich noch nicht kennen.»

Schön wäre es. Grundsätzlich machte ihr die ganze Situation zu schaffen. Die Outers waren misstrauisch, dabei wussten sie noch nicht einmal, dass sie eine Kurama war. Wie um Himmels Willen würden sie reagieren, wenn sie das herausfanden? Und sie würden es herausfinden, denn in vergangenen Ereignissen wie der Strassenparty oder Drop Down waren immer Outers anwesend gewesen. Irgendeiner würde sie bald erkennen, dass es noch nicht passiert war lag vermutlich nur an dem schummrigen Licht im Aufenthaltsraum.

Dieser Gangkonflikt stand zwischen ihnen und es schien als ob es daraus kein Entrinnen gäbe.

«Du weisst, dass es mehr ist als das. Man kann nicht zu beiden Seiten gehören, Sasuke.»

«Wie wär’s, wenn wir das jetzt einfach mal vergessen? Im Moment gibt es so viele Probleme, mit denen man irgendwie klarkommen muss, dass es keinen Sinn macht, sich jetzt auch noch damit herumzuschlagen.»

So recht er auch hatte, für sie war das nicht so einfach. Bei ihr funktionierte dieses Prioriätendenken meistens nicht, egal, wie sehr sie es versuchte.

Es war still und die Deckenlampe tauchte alles in ein schwaches, aber warmes Licht. Sie spürte seinen Blick auf sich, traute sich aber nicht, ihn anzusehen.

Er kam einige Schritte näher, bis er direkt vor ihr stand. Der Drang, ihn wieder zu umarmen und zu küssen, war riesig. Sie hatte ihn so vermisst und so darauf gewartet, dass sie ihm wieder nahe sein konnte.

«Hör zu, ich will nicht sagen, dass du dir zu viel Sorgen machst. Aber es wäre keine schlechte Idee, den Zeitpunkt etwas zu verlegen. Was meinst du?»

Sakura nickte. Eigentlich wollte sie nichts lieber als das. Ohne gross darüber nachzudenken trat sie nach vorne und schlang ihre Arme um ihn. So konnte sie ihren Kopf schön an seine Brust legen und seine Wärme spüren.

Er schien überrascht zu sein, so erfolgte seine Reaktion ein wenig verzögert, aber seine Umarmung war überwältigend schön. Sie erinnerte sich an all die Momente, in denen ihr schon nur einige Worte seinerseits gereicht hatten, um zufrieden zu sein. Und jetzt konnten sie einfach so hier stehen, ganz nahe bei ihm?

Das vergangene Jahr schien Ewigkeiten her zu sein, die Strassenparty, die Blood Zone… damals war alles noch so anders gewesen.

Langsam hob sie den Kopf und fand seine Lippen. Ihr wurde erst jetzt richtig bewusst, wie sehr ihr diese körperliche Nähe gefehlt hatte. Aber es fühlte sich so wahnsinnig gut an.

Sie fühlte, wie auch er langsam auf sie einstieg, seine Hände wanderten höher, strichen über ihren Rücken, ihre Schultern, ihren Nacken, durch ihr Haar.

Eine Gänsehaut breitete sich auf ihrem ganzen Körper aus, als er ihren Hals küsste und sie krallte sich in seinem Shirt fest.

Es war kein fordernder Austausch, keineswegs. Es war ein stilles Geniessen von Zweisamkeit. Jede Handlung fühlte sich bedacht an, es war betörend, aber trotzdem kein unkontrollierter Rausch. Und sie war froh darüber, denn sie wollte nichts Falsches machen. In der Hitze eines Momentes konnte viel passieren, was nicht passieren sollte.

Wer wusste schon, wann sie das nächste Mal so nahe bei ihm sein würde?

Sie wollte jede Sekunde in sich aufnehmen.
 

«Wer war das, Pain?», fragte Tayuya mit einem leisen Hauch von Missgunst in ihrem Ton.

Pain schaute nicht einmal von seinen Poker-Karten auf. «Geht dich nichts an.»

Tayuya lachte verächtlich. «Dann tanzt du inzwischen auch nur noch nach der Pfeife vom Boss? Seit wann ist es denn ein Geheimnis, was er für Tussen abschleppt?»

Pain antwortete nicht und schob seinen Einsatz, zwei kleine Stapel Poker-Chips in die Mitte des Tisches.

«Mich interessiert das auch!», rief ein anderes Outer-Mädchen mit braunen Haaren über die Musik und die ziemlich lauten Gespräche weg aus der Ecke.

«Haltet die Klappe! Wenn ihr schon hier sein könnt, dann nervt wenigstens nicht!», maulte Hidan von der Bar her in ihre Richtung.

«Seit wann seid ihr denn alle so?» Tayuya schüttelte den Kopf. «Ich check euch nicht. Ist doch keine grosse Sache oder? War es zumindest nie.»

«Jetzt weiss ich, wer das war!», kam es plötzlich vom Fernseher her. Ukon. «Die Kleine war schon mal im HQ.»

«Wann denn?», fragte ein blondes Mädchen.

«Hmm», Ukon kratzte sich am Kopf, «ich glaube das war eine Kurama.»

«Na aber hallo, wusste ja nicht dass dieses zweckmässige Bündnis mit den Kuramas auch beinhaltet, dass man sich jemanden von der anderen Gang krallen kann. Wenn das so ist, dann muss ich mir Big Fox das nächste Mal vorknöpfen», meinte Saara, die braunhaarige Outer-Taka. «Hab nichts dagegen mal etwas in anderen Wäldern zu jagen.»

«Big Fox? Ich würde ja den mit dem Hund nehmen, der ist süss», meinte Shion vom Tisch her.

«Das könnt ihr vergessen», meinte Suigetsu und trank sein Glas in seinem Zug aus.

Saara legte den Kopf schief. «Und warum? Demon tut’s doch auch.»

Suigetsu lachte. «Als ob sich Big Fox auf dich einlassen würde. Nicht, dass ich ihn besonders mag, aber du führst dich gerade so dämlich auf, da würde dich Big Fox nicht einmal mit seinem Arsch anschauen.»

Saara drehte sich beleidigt von ihm Weg. «Du kannst so fies sein.»

«Das hat nichts mit fies sein zu tun. Dass ihr überhaupt daran denkt, den Kuramas hinterherzulaufen ist ein schlechter Witz. Gerade heute Morgen habt ihr noch über sie gewettert.»

«Womit wir wieder beim Punkt sind: Was macht Demon mit dieser Kurama? Big Fox hütet seine Schäfchen doch sonst besser als jeder Hirtenhund.»

Jetzt erhob Konan ihre Stimme. «Ihr wisst bereits alles, was ihr wissen müsst, nämlich, dass es euch nichts angeht. Und jetzt hört das augenblicklich auf. Ihr könnt reden was ihr wollt, aber das hier ist jetzt durch.»

«Tja, dann», brummte Tayuya, sichtlich unzufrieden. Aber Konan war nicht jemand, dem man einfach so widersprach.

«Die Sache ist noch nicht vom Tisch», fügte sie noch leise an, sodass es nur diejenigen hörten, die es hören sollten.
 

Sakura erwachte, wie spät es genau war, wusste sie nicht. Ein Blick zum Fenster verriet, dass es noch mitten in der Nacht sein musste. Entspannt lauschte sie der Ruhe, die sie umgab und fühlte sich vollkommen wohl. Sie hatte ihren Kopf an Sasukes Schulter gelegt und spürte seine Arme, die er um sie geschlungen hatte. Eigentlich fühlte sie sich pudelwohl hier, aber ihre Blase sagte da etwas anderes. Himmel, es widerstrebte ihr richtiggehend, sich aus seinen Armen zu winden, aber sie musste jetzt leider wirklich dringend auf die Toilette.

Ehrlichgesagt fürchtete sie sich sogar etwas vor dem Gang zu den Waschräumen der Takas, da hier derzeit so viele Outers zugegen waren. Die Inners kannte sie und sie kannten Sakura, aber bei den Outers war das nicht der Fall. Die Blicke, die ihr im Aufenthaltsraum zugeworfen worden waren, waren von mehr als nur misstrauischen Charakter gewesen.

So vorsichtig wie möglich schob sie Sasukes Arme von sich weg. Sie rechnete damit, dass er es sofort bemerken und aufwachen würde, aber er schien wirklich tief zu schlafen. Genauer gesagt hatte sie ihn noch nie so friedlich schlafen sehen. Er sah selbst im Schlaf einfach nur hübsch aus. Beinahe hätte sie laut aufgeseufzt. Es war schon fast zum Heulen, wie ungerecht Schönheit verteilt wurde. Natürlich, es gab Wichtigeres als gutes Aussehen, aber manchmal fragte sich Sakura wirklich, was er denn an ihr fand. Neben ihm wirkte sie wie eine graue Maus.

Leise tapste sie über die Holzdielen zur Tür. Zuerst öffnete sie sie nur einen Spalt breit, um einen Blick auf den Gang zu erhaschen. Es brannte kein Licht und alles schien ruhig. Jedoch musste sie, um zur Toilette zu gelangen, am Aufenthaltsraum vorbei.

Vorsichtig machte sie sich auf den Weg, so schnell wie möglich. Die Tür des Aufenthaltsraumes war geschlossen, jedoch war dahinter nach wie vor Musik zu hören. Das Glück war auf ihrer Seite und sie konnte unbemerkt in den Waschraum gelangen, indem es dunkel war. Niemand da.

Sie knipste das Licht an und schloss die Tür hinter sich. Jetzt konnte sie erst einmal durchatmen. Nachdem sie die Toilette benutzt hatte und sich gerade die Hände wusch, hörte sie auf einmal, wie die Musik für einen kurzen Moment lauter wurde und Stimmen auf dem Gang laut wurden. Anscheinend war jemand aus dem Aufenthaltsraum gekommen.

Panik stieg in Sakura auf und sie folgte ihrem ersten Impuls, sich zu verstecken. Die Takas hatten hier für die Mädchen eine Duschkabine und eine grosse Gemeinschaftsdusche mit einem langen, dunkelblauen Vorhang. Schnell versteckte sich Sakura dahinter und kauerte sich auf den Boden. Der Vorhang war nur halb zugezogen, aber sehen konnte man sie nicht, wenn man zur Toilette ging oder vor den Wachbecken stand.

Hoffentlich kam niemand hierher. Ja, möglicherweise wollten sie woanders hin.

Anscheinend hatte sich aber das Glück nun von ihr verabschiedet, denn im nächsten Moment öffnete sich die Tür und Frauenstimmen wurden laut.

«Boah, Juugo hat da was ganz Gutes zusammengemixt!», hörte sie jemanden lachen. Die Stimme kam ihr nicht bekannt vor.

«Ey, mach mal die Tür zu, so versteh ich ja nix!», maulte eine Andere. Auch sie erkannte sie nicht. Für sie gab es da nur eine logische Schlussfolgerung: Es waren Outers. Sogar Karin wäre ihr in diesem Moment lieber gewesen.

«Wir sollten echt öfter im HQ rumhängen. Die Inners sind halt schon geile Typen, das vergess ich hin und wieder. Hast du mal die Mascara?»

«Hier», sagte eine dritte Stimme. «Nur Demon fehlt. Aber der beteilige sich sowieso seit dem Vorfall mit Raven nicht mehr am Gang-Leben.»

«Echt? Na gut, kann ich irgendwie verstehen.» Das war wieder die erste Stimme. Sie klang ein bisschen mitfühlend.

«Und wenn schon, Saara. Es wird Demon doch nicht helfen, irgendwo in einem Kämmerchen rum zu hocken. Er sollte mal wieder unter die Leute kommen.» Das war die dritte Stimme.

Sakuras spürte langsam aber sicher ihre Beine nicht mehr, aber sie musste jetzt ausharren. Ihr Herz schlug zwar bis zum Hals, aber wenn sie jetzt unbemerkt bleiben konnte, dann würde sie gleich nachher ohne Probleme zurück zu Sasuke ins warme Bett schlüpfen können.

«Pff, er scheint sich schon zu helfen zu wissen.» Das war wieder die zweite Stimme, sie war etwas rauer und vom Klang her frecher als die Anderen. «Ich meine, vielleicht hilft es ihm ja Kuramas flachzulegen.» Der abschätzige Ton in ihrer Stimme war nicht zu überhören.

«Ich finde es ja auch nicht gut, dass er eine Kurama dabei gehabt hat, aber was soll es, Tayuya? Demon hat nie innerhalb der Gang mit jemandem was angefangen. Ausser mit Sniper.»

«Demon ist ein Vollidiot. Ich meine zuerst nimmt er ‘ne Kurama und dann ist es noch so eine Puppe. Ich kenn die, die ist eine von Big Fox’ Schäfchen, so jemand kann sich nicht einmal Gangmitglied nennen, wenn du mich fragst.» Tayuya lachte verächtlich.

«Also, anscheinend hat er mit der schon länger was, Tayu. Sorry, dass ich dir das sagen muss, aber es gibt da haufenweise Gerüchte. Und dass die Inners sich eigentlich nicht dazu äussern bestätigt das ja nur.» Das war wieder Saara.

«Leute, ich hab meinen Kajal vergessen, ich geh jetzt zurück», sagte die dritte Stimme, der sie keinen Namen zuordnen konnte. Sie schien ziemlich angesäuselt zu sein. Kurz wurde die Tür aufgemacht, gleich darauf wieder geschlossen.

«Ah ja? Und warum darf Demon das? Ich meine, Leader hin oder her, er kann doch nicht einfach solche Regeln brechen.»

Saara lachte. «Seit wann findest du denn Regeln gut?»

«Seit da eine Kurama in Demons Bett schläft», brummte Tayuya. «Komm, wir gehen. Ich mag mich nicht wegen Demon nerven. Hat bisher noch nie was gebracht.»

Mit diesen Worten wurde die Tür erneut aufgemacht und fiel krachend ins Schloss. Für einige Sekunden blieb Sakura so auf dem Boden kauern, nur um sicher zu gehen, dass nicht noch jemand hier war. Dann liess sie sich vor Erleichterung seufzend auf den Boden rutschen. Ihre Beine kribbelten, als das Blut wieder seine normale Zirkulation aufnahm und sie stand auf. Raus hier.

Leider hatte sie sich zu früh gefreut. Gerade, als sie hinter dem Vorhang hervortrat, öffnete sich die Tür wieder.

«Hab ich doch glatt den Mascara…» Es war Tayuya. Die Stimme war unverwechselbar. Und gleich hinter ihr stand Saara. Perplex musterten sie Sakura. Doch besonders bei Tayuya schwang die Überraschung sehr schnell in Missgunst um.

«Was machst du hier, Kurama? Hast du uns etwa belauscht, Bitch?!»

«Du hast hier nichts zu suchen», kam es von Saara.

«Ich…»

«Ich will nichts hören!», fuhr Tayuya sie an. «Schlimm genug dass so eine Puppe hier im HQ haust, dass du jetzt noch herumschleichst ist ja die Höhe!»

«Es…»

«Halt den Rand!» Tayuya hatte entweder einiges an Alkohol intus oder war auch sonst immer so aggressiv. Jedenfalls stieg in Sakura eine ganz seltsame, schlimme Angst auf. Der Zorn im Blick dieser Frau war beängstigend, so hatte damals nicht einmal Karin reagiert.

«Ich weiss nicht wie du es geschafft hast, Demon um den Finger zu wickeln aber bei uns kannst du das vergessen! Was auch immer du hier verloren hast, du wirst bereuen, dass du überhaupt hier aufgetaucht bist!» Sie machte einen bedrohlichen Schritt auf sie zu.

In Sakura stieg die nackte Panik wie ein lähmendes Gift auf. Sie konnte sich kaum mehr bewegen. Und ganz ehrlich? Sie wollte nicht nach Sasuke rufen, weil sie keine hilflose Puppe war, wie Tayuya das behauptete.

«Lass mich vorbei», sagte sie, so ruhig wie möglich, aber der Versuch scheiterte kläglich an dem Zittern in ihrer Stimme.

«Oh, hast du Angst? Umso besser!»

«Tayu, du bist betrunken, es reicht jetzt», hörte sie Saara sagen, doch Tayuya dachte nicht daran.

«Erst wenn ich mit der Kurama fertig bin.»

Plötzlich machte sie einen Satz nach vorne und hatte Sakura am Arm gepackt, den sie ihr nun grob auf den Rücken drehte und Sakura sank mit einem Schmerzensschrei in die Knie.

«Na, tut es weh? Kurama, Kurama, du vergisst etwas ganz Wichtiges: Ihr seid verdammt nochmal unsere Feinde!»

«Tayuya!», zerschnitt im selben Moment eine Stimme die Luft. Im Türrahmen stand Karin und aus ihrem Gesicht war nichts als blanker Zorn zu lesen.

«Was zur Hölle machst du da?!»

«Die Kurama…»

«Mir egal!» Sie hatte Karin noch nie, nein, wirklich noch nie so aufbrausend erlebt. «Du hast ja nicht mehr alle Tassen im Schrank! Du bist ein Outer und wenn ein Inner, der Boss, einen Gast hat, dann hast du nichts zu melden! Raus hier und zwar sofort!»

Tayuya schien überhaupt nicht einverstanden zu sein, aber sie spurte, nicht zuletzt weil sie von Saara hinausgezogen wurde.

Karin half Sakura beim Aufstehen. «Du solltest hier nicht alleine rumwandeln. Hör zu, solange hier die Outers sind, geh nie alleine. Demon begleitet dich überall hin und sonst jemand von uns. Aber die Outers sind unberechenbar, besonders betrunken. Haben sie dir sonst was getan?»

Sakura schüttelte den Kopf. Der Schock sass ihr noch tief in den Knochen. «Du musst mir nicht helfen Karin. Aber danke.»

«Irgendwer muss ja aufpassen. Kannst dir ja nicht selbst helfen, Prinzesschen.», meinte sie herablassend, aber Sakura vermeinte, ein schwaches, fast schon mikroskopisch kleines Lächeln in ihrem Gesicht zu sehen.

Draussen war bereits die Hölle los. Anscheinend hatte man Karins lauten Ausbruch vernommen. Sakura hasste es schon wieder wie ein kleines, schwaches Mädchen dazustehen. Als sie den Kopf hob sah sie Sasuke. Seine Haare waren zerzaust, doch in seinen Augen stand pure Wut. War er wütend auf sie?

«Alle Outers, raus! Ihr habt hier nichts mehr verloren, bis ich es sage. Verschwindet.» Er war so sauer, so wütend, dass es förmlich in der Luft zu spüren war.

«Moment mal, das war doch Tayuya! Wir haben nichts gemacht!», rief Ukon.

«Das ist mir scheiss egal! Ihr seid ein Zirkel für sich und ihr habt unsere Regeln zu befolgen. Ihr seid eine Gruppe und wenn einer Scheisse baut, dann seid ihr alle mit drin! Vielleicht überlegst du es dir bei nächsten Mal besser, Tayuya! Wenn so etwas nochmal vorkommt, dann bist du raus, und zwar endgültig!»

Tayuya war sichtlich eingeschüchtert, kein Wunder. So eine Standpauke hatte Sakura ihn noch nie halten hören. «Warum, Demon? Warum machst du das für diese Kurama?!» Sie spuckte das Wort «Kurama» förmlich aus.

Demon betrachtete sie mit einem vernichtenden Blick. «Raus.»

Damit begannen die Outers ihre Sachen zusammenzupacken. Es schien keine Widerrede mehr zu geben und Sakura fühlte sich einfach nur schrecklich. Sie wollte nicht die Gang auseinanderbringen. Gerade noch war sie so glücklich gewesen und jetzt…

«Sasuke, sie können doch nichts dafür und vor allem…ihr müsst jetzt doch zusammenhalten. Ich meine, schon bald wird es ernst. Da kann man sowas doch nicht gebrauchen. Es ist nicht so schlimm, wirklich nicht. Lass sie hier bleiben.» Damit hatte sie sich sofort wieder zum Mittelpunkt der Ansammlung gemacht. Toll. Gleich darauf ruhten die überraschten Blicke erwartungsvoll auf Demon.

Seine Augen verengten sich ein wenig, es schien ihm nicht wirklich zu gefallen. Aber schlussendlich seufzte er. «Tayuya raus, wer mit will, geht. Der Rest kann bleiben. Aber wer noch einmal so eine Scheisse baut, nehme ich persönlich auseinander, verstanden?»

Die Outers freuten sich, jedoch schienen sie überrascht, dass Sasuke darauf eingestiegen war. Tayuya sah fuchsteufelswild aus, jedoch wusste sie, dass sie sich an einer gefährlichen Grenze bewegte.

Sakura wusste nicht, was sie ihr getan hatte, aber für sie reichte es vermutlich schon, eine Kurama zu sein. Lange hatte sie ihn nicht mehr gespürt, diesen Hass zwischen den Gangs, doch jetzt wurde ihr richtig bewusst, dass es ihn nach wie vor gab.

«Wie wär’s wenn ihr Cherry mal Danke sagt?», forderte Hidan die Runde ungeduldig auf.

Es kam ein vereinzeltes Murmeln, manchmal ein etwas deutlicheres «Danke» aus der Runde. Sakura wäre es lieber gewesen, wenn sie sich still und heimlich davon hätte machen können.

Die Versammlung löste sich hier auf und ehe sie es sich versah, hatte Sasuke sie am Handgelenk genommen und zog sie mit sich. Sie spürte, wie aufgebracht er war und in diesem Moment kam sie wieder zurück: Sie war wieder da, diese Furcht. Die Erinnerung an die Vorfälle im Toad’s und in der Garage kamen in ihr hoch und sie fragte sich, was er jetzt tun würde.

Sasuke schloss hinter ihnen die Tür ziemlich ruckartig. «Okay, was genau hat sie gemacht?»

Er klang unruhig. Nervös.

«Es ist nicht…»

«Was hat sie gemacht, Sakura?»

Sakura erzählte die Geschichte in Kurzform. Ihr war es etwas peinlich, dass sie wieder seinen Schutz gebraucht hatte.

«Und dann hat sie mich angepöbelt und mir den Arm auf den Rücken gedreht. Aber es geht schon wieder, ist nicht…»

«Sakura, dir ist doch wohl klar, dass das nicht geht?! Es ist mir egal, wie viel sie gesoffen hat, aber die setzt mir hier in nächster Zeit keinen Fuss mehr rein.»

Er liess sich aufs Bett fallen.

Sakura war verunsichert. Irgendwie hatte sie das starke Gefühl, dass er auch auf sie wütend war. Vorsichtig setzte sie sich neben ihn auf die Bettkante.

«Tut mir leid…», flüsterte sie.

«Was?», er klang, als hätte er sich verhört. «Warum denn das?»

«Nun, du klingst wütend, deshalb. Und ich hätte besser aufpassen sollen.»

Jetzt musste er doch etwas lachen. «Aber doch nicht auf dich. Auf Tayuya. Die Outers. Mich.»

«Und warum auf dich?»

«Weil meine Outers sich verdammt dumm aufführen. Und weil ich nicht da war, um das zu beenden. Zum Glück ist Karin aufgetaucht, sonst hätte das böse ausgehen können.»

Sakura war einerseits froh, das zu hören, andererseits tat es ihr leid. Schlussendlich war sie es gewesen, die nachts alleine durch die Gänge geschlichen war.

«Von jetzt an wanderst du nicht mehr alleine durch die Gänge, ja? Es sollte zwar nicht mehr vorkommen, aber wer weiss. Egal, wohin du willst, weck mich. Okay?»

Sie nickte und legte sich zu ihm hin. «Ich will nicht, dass du immer auf mich aufpassen musst, wie auf ein kleines Hündchen.»

Er sah sie ernst an. «Sakura, das hat nichts damit zu tun. Du bist als Kurama im Taka-HQ nun einmal jemand, auf den man aufpassen muss.»

«Schon, aber trotzdem.» Die Sache beschäftigte sie nach wie vor, aber sie wollte Sasuke nicht damit nerven. Es war ihr jetzt egal, Hauptsache er war nicht sauer. Er nahm sie in den Arm und sagte leise: «Tut mir leid, dass das passiert ist.»

«Es ist alles gut», flüsterte sie in sein T-Shirt und meinte das auch so. Er seufzte und zog sie wieder an sich, so wie vorhin, doch in Sakura wollte nicht mehr die Ruhe einkehren, die sie vorhin noch gefühlt hatte.

Es war nicht die Furcht, dass so etwas wie heute Nacht wieder geschehen könnte, die sie beunruhigte. Es war ja eigentlich auch nichts passiert. Nein, sie fühlte einfach wieder, wie schwierig ihre Gesamtsituation war. Vom Krieg einmal abgesehen. Egal wie der Krieg ausgehen würde, was würde es für das Verhältnis der Kuramas mit den Takas bedeuten? Eigentlich wollte sie es nicht wahrhaben, aber in ihr flüsterte eine Stimme ganz deutlich, dass sich alles wieder zum Alten wenden würde.
 

Der nächste Morgen verlief ziemlich rasch: Sasuke brachte sie gegen halb elf nach Hause, nachdem sie im HQ etwas gegessen hatten. Die Outers waren bereits früh aufgebrochen, so waren nur die Inners dabei gewesen. Vielleicht war das komisch, aber mit ihnen hatte sie es wirklich gut.

Sasuke musste danach ziemlich schnell weiter, da es für den nächsten Tag noch einige Dinge zu erledigen gab. Das war zwar schade und Sakura konnte sich kaum von ihm trennen, so sehr machte sie sich Sorgen wegen dem bevorstehenden Kampf. Ihr blieb nichts anderes übrig, als sich ihren Schulbüchern, respektive ihren bevorstehenden Abschlussprüfungen zu widmen. Obwohl sie sich nicht wirklich konzentrieren konnte, fand sie darin doch eine gewisse Ablenkung.

Tsunade kam bereits um drei Uhr nach Hause, nur um kurz einen Kaffee zu trinken und danach zu Shizune ins Krankenhaus zu fahren, um letzte Vorbereitungen zu treffen. Es war schon verrückt, dass sie dieses Mal direkte Unterstützung von den Ehemaligen bekamen. Aber das war nur ein weiteres Zeichen dafür, wie ernst die Lage war.

Für Sakura war klar, wo sie ihren Abend verbringen würde und so machte sie sich um halb acht auf den Weg ins Kurama-HQ.

Sie fand vor, was sie erwartet hatte. Der Aufenthaltsraum war voller Kuramas, Inner und Outer, die einfach eine gute Zeit miteinander verbrachten. Einige Jungs spielten irgendein Spiel auf ihrer Konsole, manche tranken und sassen lachend beieinander oder assen Chips, Schokolade und andere Knabbereien. Die Musik im Hintergrund war gerade so laut, dass man einander nicht anbrüllen musste, um ein normales Gespräch zu führen.

In der Ecke mit den Sitzsäcken entdeckte sie Naruto, Ino, Hinata, Kiba und Sai, zu denen sie sich gleich gesellte, nachdem sie in alle Richtungen Begrüssungen verteilt hatte.

Ino machte sofort neben sich etwas Platz frei, damit sich Sakura neben sie setzen konnte. Sofort war Akamaru zur Stelle, um sie schwanzwedeln zu begrüssen.

«Hi Saku, alles klar?»

Sakura lächelte. «Na klar, wenn hier alle in so guter Stimmung sind! Eine gute Ablenkung, was?»

Die Anderen nickten. «Wir haben morgen noch den ganzen Tag Zeit, um nervös zu sein.», meinte Kiba und nahm einen Schluck aus seiner Bierflasche. Akamaru stellte sich mit den Vorderpfoten auf Sakuras Schoss und streckte ihr seine feuchte Hundeschnauze entgegen.

«Kiba, erzieh mal deinen Hund! Der ist doch sicher schmutzig, so wie du den ganzen Tag mit ihm in der Werkstatt verbracht hast», rief Ino und Kiba zuckte nur mit den Schultern.

«Ich hab ihn gerade vorhin geduscht!»

«Ach, deshalb riecht er so frisch!», lachte Sakura und streichelte Akamarus Kopf.

Ino erhob sich, um sich selbst von Kibas Behauptung zu überzeugen. Sie roch an Akamarus Fell, sah überrascht aus, doch im nächsten Moment verfinsterte sich ihre Miene.

«Kiba», begann sie in einem tiefen, unheilverkündenden Ton. «Benutzt du eigentlich Hundeshampoo?»

Kiba schüttelte den Kopf. «Nee. So ein anderes.»

«Und welches?»

Er kratzte sich am Kopf. «Grüner Kopf, weisse Tube, Aloe Vera oder so. PH-neutral, versteht sich, ganz normales Shampoo kann ich bei ihm zwar nicht benutzen aber das hat er bisher immer gut vertragen.»

Ino war hochrot angelaufen. «Bisher?! Was soll das heissen! Ist dir eigentlich klar, dass du deinen Hund mit meinem Shampoo einschäumst?!»

Kiba sah ertappt aus. «Ach, das ist deins? Ich nehme es einfach immer aus der Frauendusche.»

Sakura und die Anderen mussten sich angestrengt das Lachen verkneifen, doch Ino platzte der Kragen. «Was fällt dir eigentlich ein, deinen Hund mit meinem teuren Spezialshampoo zu waschen?!»

Kiba machte ein entschuldigendes Gesicht und meinte nur. «Sorry. Aber dann darfst du dich nicht mehr darüber beklagen, dass Akamaru schmutzig ist, okay?»

Das reichte Ino. Ehe sie es sich versahen, war sie aufgesprungen und jagte Kiba durch den Aufenthaltsraum, während Akamaru fröhlich hinterher rannte. Sakura und die Anderen waren in Lachen ausgebrochen. Inos Körperpflegeprodukte waren ein Heiligtum, das nur eine erlesene Anzahl von Leuten anfassen, geschweige denn benutzen durften.

«Der Typ ist einfach die Höhe.» Naruto japste nach Luft. «Latscht einfach mal in die Frauendusche, um ein Shampoo zu finden.»

«Na dumm war die Idee ja nicht, schliesslich ist er fündig geworden.» Sakura versuchte, ihre Atmung wieder zu beruhigen, aber das war einfach ein so wunderbarer Dialog zwischen Ino und Kiba gewesen. Die Beiden keifen zu sehen war vertraut, gehörte dazu und löste in ihr ein wohliges Gefühl aus.

«Und du, Saku?», fragte Hinata, als sie sich soweit ein wenig erholt hatten. «Hast du schon gesehen, dass du und ich in der gleichen Einheit sind? Shizune und Tsunade haben beschlossen, sich aufzuteilen, damit wir mobiler sind. Das heisst, wir zwei sind mit Shizune, Tsunade mit Ino und Karui vom Outer. Dazu bekommt jede Truppe noch zwei Outers zugeteilt, die den Wagen fahren und im Notfall helfen können.»

Sakura freute sich, endlich mal wieder etwas mit Hinata gemeinsam machen zu können, auch wenn es nicht gerade die erfreulichste Aufgabe war, die sie sich hätte vorstellen können. Klar wäre es toll gewesen, wenn Ino auch bei ihnen eingeteilt wäre, aber Karui war eine der Outers, die sie wirklich oft sahen und auch heute war sie hier im HQ. Hinata erzählte ihr, dass sie sich freiwillig gemeldet hätte, da sich im Outer sonst jeder ins Schlachtgetümmel stürzen wollte und sie nur gemeint hätte, dass es «eine nette Abwechslung» wäre, mal eine etwas andere Aufgabe zu übernehmen.

Etwas später sassen Hina, Ino und sie an der kleinen, versteckten Bootsanlegestelle auf dem Steg, der auf in den Fluss hinausführte. Heute hatte den ganzen Tag lang die Sonne geschienen, fast schon ein richtiges Frühlingserwachen und deshalb waren die Temperaturen auch dementsprechend mild. Trotz der Tatsache, dass sie in einer Millionenstadt lebten, konnte Sakura irgendwie den Frühling in der Luft riechen. Es weckte in ihr schon beinahe ein sehnsüchtiges Gefühl danach, irgendwo auf dem Land über Wiesen zu rennen und sich einfach nur wieder wie ein Kind zu fühlen, glücklich, frei und sorgenlos. Fast so, als wenn es den morgigen Tag nicht gäbe.

«Jetzt musst du mir aber schon sagen, Cherry, wo du gestern warst.» Ino hatte sich inzwischen wieder beruhigt. Gerade vorhin hatte sie sich mit Kiba ein Versöhnungsbier geteilt.

Hinata hatte bezüglich der Sache mit Sasuke schon ein paar Sachen verpasst. Aber es war Sakura egal, sie würde einfach ehrlich zu ihren Freundinnen sein, jetzt wo sie endgültig wusste, dass sie zu ihr hielten, egal, was sie tat.

«Ich war im Taka-HQ.», sagte sie leise, für den Fall, dass irgendjemand auf den Gängen des HQs herumspazierte.

Hinata sah überrascht aus, jedoch nicht auf eine schlechte Art. «Dann habt ihr euch also endgültig versöhnt?»

Sakura nickte. «Ja.»

Ino wurde auf einmal ganz nervös. «Aber ihr habt nicht etwa…»

«Nein», unterbrach Sakura sie schnell, bevor ihre Freundin zu Ende sprechen konnte. «Haben wir nicht.»

Um das Thema in eine andere Richtung zu lenken, erzählte sie ihnen von dem Vorfall mit Tayuya.

«Gut hat er diese Tusse aus dem HQ geworfen. Aber ganz ehrlich, Saku, wenn du mir das so erzählst, dann macht mir das schon ein wenig Sorgen.»

Sakura zuckte mit den Schultern. «Glaubst du, mir nicht? Vergiss hierbei aber nicht, dass die Outers dabei das Problem waren, nicht die Inners.»

Hinata nickte. «So wie du das erzählt hast, sind die wirklich nett zu dir. Ich meine, wenn an so an die Abende in der DDM zurückdenkt, dann gibt man denen das nicht im Geringsten.»

«Aber mal ehrlich, Sakura. Wie soll denn das nun weitergehen? Wir werden nicht ewig mit den Takas kooperieren und irgendwann werden wir möglicherweise auch wieder mehr Zeit haben, mit ihnen zu rivalisieren.»

«Ich weiss es nicht», sagte sie wahrheitsgetreu. «Aber ich kann mich damit jetzt nicht beschäftigen. Es gibt im Moment sehr viel Wichtigeres.»

«Hast du auch wieder Recht. Wir kriegen das schon irgendwie hin. Wenn ihr mich fragt, dann wird sowieso nie mehr alles wieder so werden wie früher. Dieser Zug ist abgefahren.»

Hinata nickte nachdenklich. «Sehe ich auch so. Die Dinge werden sich ändern. Ob wir wollen oder nicht.»

Der nächste Tag kam unaufhaltsam. Und als Sakura an diesem verhängnisvollen Samstagmorgen aus ihrem Bett stieg, spürte sie, wie sich die Unruhe in ihrem ganzen Körper ausbreitete. Heute würde sich vieles entscheiden. Es würde Blut fliessen. Vielleicht würden Menschen, die sie liebte ihr Leben verlieren. Es würden Köpfe rollen. Letzteres hoffentlich nur metaphorisch, aber eines stand fest: Es würde nicht schön werden.

 

Das Spiel beginnt

17:05 Uhr, Kurama-HQ

 

Der Geruch von Benzin und Motorenöl lag in der Luft, als sie die Garage betraten. Im Licht der Nachmittagssonne, die durch die trüben Oberlichter und Fenster der Garage fielen, sah sie die Staubpartikel in der Luft tanzen.

Derzeit herrschte hier eine ziemliche Unruhe, denn in diesem Moment würden die ersten Gruppenanführer das HQ verlassen und ihre Position an den vorgesehenen Orten einnehmen. Dabei handelte es sich meistens um einen Ort in der Nähe ihres des Platzes, an dem sie ihren Kampf austragen würden, wo sie sich gut verstecken und unbemerkt auf ihr Signal warten konnten. In genau einer halben Stunde machten sich die nächsten auf den Weg, bis alle ihre Position bezogen hatten. Dabei war es wichtig, dass sie beide einen anderen Weg nahmen, da auf gar keinen Fall Aufmerksamkeit erregt werden sollte. Die Riots waren inzwischen so gut in der Stadt verteilt, dass man aufpassen musste, wie ein Schiesshund, damit man nicht auffiel.

Als erstes, um 17:15 Uhr waren Neji und Tenten an der Reihe. Um 17:30 Uhr würden Sasuke und Karin aufbrechen, die gemeinsam mit den Beiden den Scheinangriff auf die DDM leiteten und somit einen der schwierigsten Aufträge hatten. Ihr Timing musste passen, sie mussten schnell sein und vor allem so geschickt, dass die Polizei sie nicht erwischte. Der blosse Gedanke daran machte Sakura nervöser als ihr lieb war.

Um 17:45 Uhr würden Kiba und Temari aufbrechen, eine Viertelstunde später Sasori, der mit ihnen eingeteilt war. So ging das dann weiter bis um 19:30 Uhr, danach sollten alle verteilt sein. Die Outers befanden sich seit heute Morgen allesamt schon in der Nähe ihrer Positionen, wurden doch für diese vorübergehenden Stützpunkte unter anderem auch kleinere Kurama- und Taka-Lager verwendet. Natürlich war es nicht allzu vorteilhaft, dass die Takas somit einen Einblick in die Kurama-Lager bekamen, umgekehrt war es aber dasselbe und deshalb machte man deswegen kein Theater. Schlussendlich hatte man mehr als genug andere Stützpunkte, die man in Zukunft verwenden konnte.

Neji und Tenten sassen bereits auf ihren Maschinen und sahen so gar nicht aus, als würden sie heute einen der wichtigsten Kämpfe ihrer Gang-Zeit bestreiten. Ihre Waffen und sonstige Ausrüstung warteten allesamt an den Stützpunkten auf sie.

Big Fox stellte sich auf die Motorhaube des ohnehin schon lädierten Bandenautos, das man kaum mehr verwendete. Es war der «Kurama-Flash», scherzhaft von Kiba und Lee so betitelt, da darauf ein imposantes Graffiti eines Fuchses mit gebleckten Zähnen gesprayt war, welcher noch dazu in Flammen stand. Das hatte einer der Outer-Kuramas angefertigt, dieser war aber leider in einem längst vergangenen Battle gefallen. Ihm zu Ehren würde dieses Auto für alle Zeiten hier in der Garage bleiben, wenn es denn nicht doch einmal zum Zuge kam.

Naruto wirkte zwar angespannt, aber er schaffte es immer, die nötige Ruhe zu vermitteln. «Also Leute», richtete er sich an seine Gang. «Das hier wird ein entscheidender Kampf. Wir haben alles geplant, was man planen kann, wir haben bessere Waffen und wir sind bereit. Oder?»

Er erhielt zustimmendes Gebrüll der anwesenden Kuramas. Alle waren topmotiviert, aber auch völlig aufgepumpt und bereit, all ihre Kraft auf die Riots loszulassen.

«Ich weiss, dass wir das hinkriegen werden. Denn in alldem haben wir etwas, was die Riots nicht haben und das ist Stolz! Wir sprengen nicht unsere eigenen Leute in die Luft, so wie sie es bei der DD-Area getan haben, wir arbeiten nicht mit billigen Tricks, sondern mit Strategie und Erfahrung, die über Generationen zurückgeht. Und deshalb frage ich euch: Werdet ihr in dieser Nacht alles geben? Für eure Familie und für euch selbst?»

Er erntete erneut Gebrüll.

«Na dann, los! Auf eine erfolgreiche Nacht!»

Neji und Tenten starteten die Motoren ihrer Maschinen. Für den Scheinangriff war es wichtig, dass sie so flink und mobil wie möglich waren, deshalb war Tenten heute nicht die Schützin hinter Neji.

Sakura drückte Tenten noch einmal und auch Neji schenkte sie eine herzhafte Umarmung. «Gebt euer Bestes und passt auf euch auf, ja?»

Tenten grinste breit und streckte ihr ihren erhobenen Daumen entgegen. «Keine Sorge, Saku, uns kriegen die so schnell nicht!»

Es war für sie enorm beruhigend, dass die Beiden so zuversichtlich waren, denn sie selbst war es nicht. In ihrem Kopf schlich sich ein gar hässlicher Gedanke ein. Was, wenn sie die Beiden hier zum letzten Mal sah?

Ehe sie sich aber noch weiter den Kopf darüber zerbrechen konnte, hatten die Beiden das HQ verlassen und waren auf dem Weg zu ihrem Stützpunkt. Vielleicht war es hierbei interessant zu erwähnen, dass es sich dabei um den verlassenen Wohnblock gleich bei der DDM handelte, von dem aus Gaara und sie in jener verhängnisvollen Dezembernacht das Geschehen des Kampfes verfolgt hatten.

Gleich darauf war es aber für sie Zeit, sich mit ihren Freundinnen in den Krankentrakt zu Tsunade und Shizune zu begeben. Diese waren drauf und dran, den Krankentrakt vorzubereiten. Den Krankentrakt selber würden später zwei weitere Ehemalige, Kumadori und Migaki übernehmen, ersterer war Pfleger auf einer Notfallstation in einer anderen Stadt, der andere übte keinen medizinischen Beruf aus, jedoch hatte er massenhaft Erfahrung durch jahrelangen Dienst am Krankenbett von Kuramas und konnte dadurch wirklich gut mithalten. Die Beiden würden extra aus ihren Wohnorten herkommen, um das zu unterstützen. Einmal Kurama, immer Kurama.

Von den Beiden bekamen sie gleich alle drei Kisten mit Material in die Hände gedrückt, die in die zwei kleinen Lieferwagen geladen werden sollten. Diese standen in der Garage und waren ihnen von einem Ehemaligen zur Verfügung gestellt worden, der einen Autoschrottplatz betrieb und hobbymässig etwas an diesen Altwagen herumbastelte. Bezüglich ihrer Connections konnten sich die Kuramas also wirklich nicht beklagen. Zwar hatten die beiden weissen Vans schon bessere Zeiten gesehen, hatte doch der Zahn der Zeit bereits reichlich an ihnen genagt. Der Lack war teilweise abgeblättert und einige Beulen hatten sich in die Karosserie eingeschlichen. Da würde jedenfalls keiner auf die Idee kommen, diese fiktive Firma im Internet nachzuschlagen. Nicht, dass es tragisch wäre, aber je weniger Aufmerksamkeit, desto besser.

Die Innenausstattung der Vans war wirklich nicht schlecht. Der eine hatte Platz für vier Verwundete, der kleinere für drei,  wenn nötig konnte man bei beiden auch mehr aufladen. Pritschen waren auf dem Boden ausgelegt und befestigt worden, zwischen den Matratzen blieb genug Platz, damit sich die drei Begleitpersonen dazwischen bewegen konnten. Die Vans schienen früher einmal einer Handwerkerfirma oder etwas Ähnlichem gehört zu haben, denn praktischerweise waren im oberen Teil der Wände kleine Schränke angebracht, in denen man den grössten Teil des Materials verstauen konnte. Sakura prägte sich gut ein, wo sie das Material unterbrachte, damit sie später nicht mehr lange danach suchen musste.

Um 17:45 Uhr konnten sie noch Temari und Kiba auf Wiedersehen sagen, die sich auf den Weg in Richtung Güterbahnhof machten.

Langsam aber sicher ging die Sache los.

Im Aufenthaltsraum hatte Shikamaru sich auf dem grossen Tisch breitgemacht. Karten, auf denen alle Standorte mit farbigen Stecknadeln markiert waren, lagen ausgebreitet auf der gesamten Fläche. Gerade vorhin hatte er ihnen erklärt, dass sie die drei kleinen Peilsender von nun an nicht mehr verwenden würden, da die Gefahr viel zu gross war, dass die Polizei sie orten konnte. Choji würde ihm Gesellschaft leisten, er selbst war auch nicht gerade darauf erpicht, in den Kampf zu stürzen.

Der Zeiger drehte sich unaufhörlich um die Uhr und als Naruto, Sai und Shino um 19:15 Uhr als letzte das HQ verliessen, konnte Sakura die Aufregung nicht mehr unterdrücken. Der entscheidende Kampf rückte näher und sie wünschte sich inständig, dass alles so verlief, wie sie es sich erhofften.

Für sie hiess es jetzt, Ino, Karui und Tsunade viel Erfolg zu wünschen, wobei ihre Tante ihr noch einmal einen dicken Kuss auf die Stirn drückte, und danach mit Hinata und Shizune in den grossen Van zu steigen. Der Van hatte selbstverständlich keine Fenster, weshalb es sofort stockfinster war, als sie die Flügeltüren schlossen. Mit von der Partie waren Sora und ein anderer Outer-Kurama. Sora meinte, dass er diese Gelegenheit nutzten konnte, das Kampfgeschehen zu verfolgen und seinen Leuten per Walkie-Talkie Anweisungen geben zu können, während sie hinten Verwundete versorgten.

Der Van hatte hinten eine ausklappbare Bank, an der man sich anschnallen konnte. Zum Glück, denn ansonsten wäre es ziemlich gefährlich gewesen, im Laderaum mitzufahren.

Als der Van sich in Bewegung setzte, spürte Sakura ihren Puls in ihrer Halsschlagader pochen. Hinata schien genauso nervös zu sein, Shizune sah eher konzentriert aus.

«Also, Mädels. Es sollte eigentlich alles glatt gehen, wenn wir uns an das halten, was wir vorhin besprochen haben. Der Van wird an Orten parkiert sein, die abseits sind oder gar in den verlassenen Hinterhöfen, das heisst, Verletzte werden trotzdem noch ein Stück zu uns gebracht werden müssen. Wir können nicht riskieren, dass die Riots oder die Polizei Lunte riechen. Wenn es auch nur das kleinste Anzeichen dafür gibt, dass wir auffliegen, dann werden wir wenn nötig den Van verlassen und uns zu Fuss unter die Leute auf der nächstgelegenen Strasse mischen. Je nach Situation können wir im Van versteckt bleiben, schliesslich ist er unauffällig. Eine Flucht mit dieser alten Rostlaube ist nicht besonders schlau. Und Falls alle Stricke reissen», sie deutete auf den Schrank neben ihrem Kopf, «sind hier drin drei Messer und zwei Pistolen. Aber macht euch keine Sorgen, wir werden nicht auffliegen. Selbst wenn die Polizei oder die RIots uns sehen, werden sie genug anderes zu tun haben. Die Anderen haben den Auftrag, in einem solchen Fall dafür zu sorgen, dass wir entkommen.»

Shizune gab den beiden Mädchen Zuversicht, denn sie machte solche Sachen nicht zum ersten Mal. Ja, ein wenig kam es Sakura sogar so vor, als ob Shizune trotz den Umständen ein wenig aufblühte. Es musste verdammt lange her sein, dass sie zum letzten Mal bei solch einer Unternehmung dabei gewesen war. «Was sind die zwei Regeln, Sakura?»

«Den Van nicht verlassen, ausser du sagst es und immer auf das Klopfzeichen warten, bevor wir die Tür öffnen.»

«Und wie ist das Klopfzeichen, Hina?»

«Einmal lang, zweimal kurz, zweimal lang.»

«Bestens. Seid ihr bereit?» Shizune hatte ein Grinsen im Gesicht.

Sakura und Hinata nickten. «Bereit.»

 

19:41 Uhr, nahe der Dance Devil Mansion

 

Genervt klopfte sich Karin den Staub aus den Kleidern, als sie sich endlich in dem düsteren Kellerabteil befanden. Gerade eben waren sie durch das kleine Kellerfenster in den verlassenen Wohnblock eingedrungen. «War ja klar, dass wir hier eingeteilt werden. Was für ein Saustall.»

Sasuke antwortete nichts und ging schnurstracks in Richtung Treppenhaus.

«Demon, jetzt warte doch mal. Was soll die Eile? Der Angriff erfolgt frühestens um halb zehn! Also musst du nicht so hetzen!»

«Wir müssen jetzt die Kuramas sehen und mit ihnen noch einmal alles durchgehen, verstanden? Keine Zeit verlieren, Sniper!»

Laut aufstöhnend kam Karin hinterher. «Auf ein paar Minuten mehr oder weniger kommt es ja wohl auch nicht mehr an. Und überhaupt, wir brauchen doch nicht zwei Stunden, um mit ihnen das nochmal durchzugehen? Sollte doch eigentlich alles klar sein?»

«Schluss mit dem Gemecker, Karin. Es wird jetzt so gemacht und basta.»

«Was immer du sagst, mein Herr.» Spöttisch machte sie einen höflichen Knicks vor ihm und er verdrehte die Augen.

«Ernst sein kannst du auch nur, wenn du zickig bist, was?»

«Ach, halt die Klappe, Demon.»

Damit hüpfte sie vor ihm die Treppe hoch und er folgte ihr. Im zweitobersten Stock fanden sie sie: Die Outers. Es waren ungefähr zehn, allesamt bereit, sich der ganzen Sache zu stellen. Zwar waren sie untereinander nicht besonders redselig, zumindest was Takas und Kuramas untereinander anging, aber sie schienen motiviert. Sie informierten die beiden darüber, dass sich die beiden Inner-Kuramas im obersten Stock befanden.

An einem anderen Standort, auch ganz nahe der DDM, warteten weitere zwanzig Outers, diese würden zeitgleich mit ihnen angreifen.

«Hey», sagten Sasuke und Karin, als sie die ehemalige Wohnung rechts, einen Stock höher betraten. Es herrschte eine ziemliche Unordnung in dem Raum, das Glas des Fensters, welches auf den Balkon hinausführte, war zersprungen und lag in tausend kleinen Scherben verstreut auf dem Boden. In einem früheren Leben war dieses Zimmer wahrscheinlich ein Wohnzimmer gewesen, aber davon war nicht mehr viel übrig.

Die Kuramas waren beide gerade dabei, ihre Gewehre zu überprüfen und begrüssten sie. Aus offensichtlichen Gründen durften sie keine Gewehre erkannte die Frau, es war die braunhaarige, die zugegebenermassen verdammt hübsch war und noch dazu ein Händchen für Waffen hatte. Den Anderen erkannte sie als ihren Freund. Sie erinnerte sich an ihre Namen auf dem Einteilungsblatt: Ripper und Weapon.

Die Zusammenarbeit mit Kuramas war inzwischen etwas, an das man sich so ziemlich gewöhnt hatte. Klar blieb man immerzu distanziert, jedoch konnte man miteinander arbeiten und sachlich bleiben.

Die Besprechung fiel kurz aus, da es keine bestimmten Planänderungen mehr gab. Die Vier waren sich bewusst, was für eine grosse Sache ihnen bevorstand und dementsprechend war auch niemand allzu sehr zum Reden oder Spassen aufgelegt. Karin beobachtete Sasuke gegen halb neun, wie er etwas in das billige Einweg-Handy eintippte. Solche Geräte und Walkie-Talkies waren die einzigen Mittel zur Kommunikation, die jetzt noch verwendet wurden.

Für sie war es keine Frage, an wen die Nachricht ging, die er danach abschickte. Es wusste also sogar ihre Nummer auswendig. Das sah ihm so gar nicht ähnlich, aber inzwischen hatte sie es aufgegeben, in ihm den alten Sasuke zu suchen. Er hatte sich verändert. Man könnte es zwar nicht meinen, so wie er jetzt gerade mit ernster Miene sein Gewehr überprüfte, aber die Veränderung war für jemanden, den ihn kannte, nicht zu übersehen.

Es war nicht so, dass sie ein Problem damit hatte. Veränderungen geschahen und das war auch gut so. Aber wenn sie daran dachte, warum er so anders geworden war, dann rasselte ihre Laune von einem Moment auf den anderen tief in den Keller hinunter. Aber war sollte es – es gab jetzt weitaus Wichtigeres.

Kurzerhand gesellte sie sich zu Tenten, so nannte sie ihr Freund jedenfalls, um das DDM-Gelände in Augenschein zu nehmen, welches sich nach und nach füllte.
 

20:28 Uhr, Konoha Downtown

 

Sakura erschrak ziemlich heftig, als ihr Handy in ihrer Hosentasche kurz vibrierte.  Sie musste es unbedingt noch auf vollkommen stumm stelle, ansonsten könnte das gefährlich werden. Wer das wohl sein mochte, der ihr jetzt eine Nachricht schrieb? Soweit sie wusste, war es nur den Leuten des Versorgungsteams erlaubt, ihre Handys mitzunehmen, da erstens die Einweghandys zu knapp waren und man es zweitens als nicht nötig erachtete.

Der Van fuhr nach wie vor durch die Strassen Konohas, ohne dass sie auch nur die leiseste Ahnung hatten, wo genau sie sich gerade befanden. Ziel war der Parkplatz an der North-Downtown-Grenze, nahe dem Konoha City Park, auf dem zu solch später Stunde kaum jemand anzutreffen war. Tagsüber war der Parkplatz oft voll, da er eine der billigsten Parkmöglichkeiten in der Downtown war.

Sakura zog ihr Handy aus der Tasche. Eine Nachricht von einer unbekannten Nummer. Sie öffnete die SMS und sogleich wurde ihr warm ums Herz. Eigentlich hatte sie ihm heute Nachtmittag noch schreiben wollen, aber irgendwie war das in all den Vorbereitungen vergessen gegangen.  Umso mehr freute sie sich über die Nachricht von Sasuke.

Ein kurzer Seitenblick auf Hinata und Shizune, die beide damit beschäftigt waren, durch das Fenster zu Fahrerkabine mit Sora zu reden.

Pass auf dich auf. Und schalt das Handy aus, ja?

S.

Es war schon verrückt, wie glücklich sie diese SMS inmitten dieses ganzen Chaos machte. Für Sasuke war eine solche Nachricht bereits mehr als nur ein Zeichen der Zuneigung. Jedes andere Mädchen hätte diese SMS als enttäuschend interpretiert, da sie mit einem schnulzigen Liebestext rechneten, aber nicht für sie. Erstens mochte sie solche schnulzigen Textnachrichten nicht und zweitens, war es typisch Sasuke. Aber was sagte diese SMS aus? Er machte sich Sorgen und wollte, dass sie so sicher war, wie sie sein konnte.

Schmunzelnd tippte sie ein «Mach ich» und «Gleichfalls, ja?» zurück und schaltete ihr Handy aus. Er hatte Recht. Solange Sora und der andere Outer dabei waren, hatten sie ja Funkverbindung. Die Handys mussten dabei sein, falls sie aus irgendeinem Grund getrennt wurden.

Im nächsten Moment spürte sie, wie der Van zum Stehen kam. Durch das Fenster zur Fahrerkabine äugte sie zur Frontscheibe hinaus. Die Sonne war gerade dabei, sich langsam aber sicher zu verabschieden.

«Leute, wenn ihr pinkeln müsst, dann tut das bitte jetzt noch. Um neun Uhr will ich, dass alle im Van bleiben», meinte Sora.

Das war ein wirklich guter Gedanke, denn auf dem Parkplatz gab es öffentliche Toiletten. Gemeinsam mit Hinata begab sie sich zu den Toiletten, die leider hygienisch gesehen nicht unbedingt das Gelbe vom Ei waren, aber in dem Moment war sie froh, dass es überhaupt eine Toilette gab. Wer wusste schon, wie lange sie heut Nacht in diesem Van herumkurven würden.

Zurück im Van hiess es für sie jetzt nur noch warten.

 

21:54 Uhr, Dance Devil Mansion

 

Tenten und Karin wühlten sich durch die Menge an Leuten, die sich um diese Zeit in der DDM eingefunden hatten und hielten aufmerksam Ausschau. Die Riots auszumachen war absolut einfach. Sie befanden sich natürlich in den ehemaligen Kurama-/Taka-Lounges und machten sich schon fast unerhört frech breit. Eigentlich sollten sie sich darüber nicht nerven und trotzdem war einfach nur schlimm, welch starke Präsenz sie in ihrem Stammclub einnahmen. Vor weniger als einem Jahr waren es noch Kuramas und Takas gewesen, die die Könige der DDM gewesen waren.

In der Mitte thronte der Typ, den sie als Leader identifiziert hatten. Er war immerzu der Mittelpunkt und schien das sagen zu haben, soviel hatten ihnen der Bericht preisgegeben, den sie von den Leuten erhalten hatten, die über lange, lange Zeit die DDM beobachtet hatten. Er hatte braunes Haar und blaue Augen, war wirklich nicht von schlechten Eltern und sah auch nicht dumm aus. Genauer gesagt wirkte er überhaupt nicht so arrogant wie alle anderen Riots. Und deshalb machte er ihnen Sorgen. Denn genau er und ungefähr fünf andere Jungs, die ihm kaum von der Seite wichen, wirkten alle nicht wie Durchschnitts-Riots.

Man nannte diese Gruppe liebevoll «Alibaba und die fünf Räuber». Codes waren immer praktisch und dieser war gar nicht einmal so fantasielos.

Sobald sie diese Gruppe ausgemacht hatten, steuerten die beiden wieder den Ausgang an. Nun, da die Räuberbande gesichtet worden war, konnten sie sich an den zweiten Teil ihres Planes machen.

Vor der DDM waren ebenfalls nicht wenig Leute zu sehen, was das Unterfangen etwas erschwerte. Natürlich wäre alles viel einfacher, wenn die Riots hinter dem Gebäude geparkt hätten, aber nun blieb ihnen nichts Anderes übrig, als sich anders zu helfen.

Die Riot-Motorräder waren nicht schwer zu finden. Zu ihrem Glück war es inzwischen eine Regel, dass auch die Gangs ihre Maschinen hinter der DDM abstellen mussten und nicht mehr davor parken durften. Die Motorräder der Riots waren allesamt als solche markiert. Seien es Anhänger, Aufkleber, Ritze im Lack, sie waren als solche zu erkennen und standen allesamt erst noch in einer Gruppe beieinander, sodass man sie schön als zusammengehörig erkannte. Es konnte gut sein, dass irgendwo noch ein anderes Motorrad den Riots gehörte, wichtig war einfach, dass die Mehrheit fahruntüchtig gemacht wurde. Sichergehen konnte man nie, dass nicht einer irgendwo abseits geparkt hatte.

Hinter der DDM war derzeit niemand anzutreffen, jedoch stand die Hintertür des Clubs weit offen und die Musik dröhnte daraus hervor wie aus einem Lautsprecher. Es herrschten also beste Bedingungen, um die Reifen der Motorräder zu bearbeiten. Die beiden Frauen machten blitzschnell, gingen als je durch eine Reihe der Motorräder und stachen bei jedem zu. Es reichte, wenn ein Reifen kaputt war. Bei jedem Stich gab es aufgrund des Drucks innerhalb des Reifens immer einen kleinen Knall, jedoch war die Musik laut genug, um das Geräusch abzuschwächen.

Als sie ihr Werk vollbracht hatten, machten sich Tenten und Karin sofort aus dem Staub. Jetzt galt es, sich zu beeilen, denn es konnte gut sein, dass es jemand bemerkte und von da an war es durchaus möglich, dass die Riots Lunte rochen. Dumm waren sie nämlich nicht. Jedenfalls nicht alle.

Tenten schickte sofort eine Nachricht an Neji als sie genug Distanz zwischen sich und die DDM gebracht hatten, in der sie ihm kurz Bericht gab. Wie sie am Block ankamen, sassen Neji, Sasuke und die Outers bereits auf ihren Maschinen. Die Motorräder hatten alle an einem etwas anderen Ort abgestellt gehabt, da um den Block herum nicht wirklich viel Platz war. Nur Tenten und Karin hatten ihre Maschinen direkt beim Gebäude gelassen, zwei waren auch nicht allzu auffällig.

«Alles klar?», fragte Neji Tenten und sie nickte.

«Alles gut gelaufen. Nun aber los.» Sie schwang sich auf ihr Motorrad. «Habt ihr alles? Auch die Petarden?»

«Wofür hältst du mich, Frau?», sagte Neji gespielt empört.

«Dann gebe ich jetzt den Anderen Bescheid. Sie warten nur noch auf das Kommando.» Sasuke tippte etwas in sein Handy. Als er die Bestätigung der anderen Gruppe erhielt, nickte er.

«Los!»

Die vielen Motoren heulten auf und versetzten die Gangs in eine Stimmung, die sie nur allzu gut kannten. Ein Kampf brach an.

 

21:53 Uhr, High Skies Club

 

Der High Skies Club galt zwar als Pendant zur DDM, jedoch unterschieden sich diese beiden Nachtschwärmer-Magneten in einigen wesentlichen Punkten: Der HSC war teurer, etwas kleiner und die Musik stammte eigentlich immer aus der aktuellen Hitparade, meistens irgendwie geremixt. Hier fand man zwischenzeitlich auch etwas mehr von den Schönen und Reichen, das war in der DDM weniger der Fall.

Seit fast zwei Stunden befanden sich Konan, Pain und ihre Leute in Bereitschaft, zwischen weissen und schwarzen Ledercouches, in Licht, dass zwischen hell- und dunkelblau variierte, je nachdem, wo man sich aufhielt. Hier drin sah alles teuer aus, alles modern und exklusiv, jedoch konnte ein geschultes Auge trotzdem den Abschaum ausmachen, der sich hier aufhielt.

Ihre Mission war um Einiges verzwickter, als die der anderen. Warum? Nun, weil man nicht einfach inmitten eines Clubs voller Unbeteiligter ein Battle starten konnte.

Die Beobachtungen vergangener Monate hatten hervorgebracht, dass im High Skies immerzu ein Typ, der unter dem Gang-Namen «Tomcat» bekannt war, mit seinen Leuten verkehrte. Tomcat war in diesen Kreisen bekannt wie ein bunter Hund und einer der inneren Riots. Selten war es so einfach gewesen, über einen Riot derart viele Informationen zu erhalten, wie bei ihm. Anscheinend hatte der Leader unter seinen vielen Leuten einige ganz explizit ausgewählt, um seinen Zirkel zu bilden. Gerüchte besagten, dass Tomcat einer dieser besagten Leuten gehörte. Er war kein typisches Gang-Mitglied, wenn man das so verallgemeinern konnte. Der Fakt, dass quasi jeder, der im HSC verkehrte irgendetwas über ihn wusste, zeugte bereits von einer etwas anderen Haltung der Anonymität gegenüber. Besonders die Damenwelt schien viel von ihm zu wissen und die Tatsache, dass sich die meisten Informationen, die man erhalten hatte, deckten, zeugte von Glaubwürdigkeit. Anscheinend war Tomcat ein junger Mann, dessen reiche Eltern ausserhalb der Stadt lebten. Er selbst besuchte irgendein Elite-Internat, jedoch war er nachts alles andere als der Elite-Schüler. Viel zu viele Frauen sollen schon in seinen Armen gelegen haben, während er im HSC an seinem Champagner genippt hatte.

Nein, er vertrat ganz und gar nicht die Merkmale eines Gangjungens. Nichtsdestotrotz musste etwas an ihm sein, dass ihn in die inneren Kreise der Riots eintreten liess. Darüber konnten Konan und Pain nur spekulieren, sie tippten ganz nüchtern auf die Geldzufuhr, die ihnen Tomcat garantieren konnte.

Jedenfalls waren Tomcat und seine Vasallen heute ihre Zielscheibe. Wie üblich hatten sie es sich in der V.I.P-Lounge bequem gemacht. Um die Lounge herum scharten sich irgendwelche Weiber, die wahrscheinlich sein Geld gerochen hatten oder sich doch von seinem zugegebenermassen guten Aussehen um den Finger wickeln liessen. Etwas aus der Nähe konnte Konan ihn sehen, er hatte blondes Haar, war schlank, aber nicht unbedingt schmächtig. Von hier aus wirkte er auf sie trotzdem ein wenig wie ein verwöhnter Junge, der von seinen Eltern immerzu alles bekommen hatte, was er wollte.

Konan trug eine braune Perücke, die ihr wirklich gut stand, denn ihre Aufgabe war es heute, die Riots aus dem Club herauszulocken. Taka-Blue verfügte über sehr viel Geschick, was das anbelangte. Heute trug sie bauchfrei, eine eng anliegende, lange Hose und dazu war sie stark geschminkt. Auf hochhackige Schuhe hatte sie verzichtet, da sich diese für einen Kampf nicht wirklich eigneten. Ihr Stil war ausgefallen, aber trotzdem sexy und das machte, dass sie sich von den anderen Frauen abhob. Damit war sie ein Stück näher am Ziel. Heute spielte sie eine Rolle, die sie nicht zum ersten Mal spielte.

Vor der Lounge standen zwei Riots, die sich anscheinend selbst für Türsteher hielten. Daneben stand ein Haufen anderer Leute, einige davon vermutlich auch Riots. Ein Blick auf die Uhr ihres Handys verriet, dass sie genug Zeit hatte, um sich langsam an ihre Beute heranzupirschen. Mit einem Kopfnicken verabschiedete sie sich von Pain, der sich danach in eine Ecke zurückzog und eingreifen konnte, falls irgendetwas schiefging.

Konan bewegte sich in Richtung Lounge, bewegte sich dabei wie eine Schlange, geschmeidig, elegant und vor allem ruhig, aber nicht unauffällig. Gelassen zog sie am Strohhalm ihres Drinks, schlenderte an den Leuten vorbei und stellte sich vor den Türsteher. Der Typ war ein Berg von einem Menschen, muskulös und breit.

«Was willst du?»

«Den berühmten Tomcat kennenlernen, was sonst?», antwortete sie in einem säuselnden Ton.

Der Typ musterte sie schamlos von oben bis unten, wobei sein Blick besonders an ihren Weiblichkeiten hängen blieb. «Hast du eine Ahnung, wie viele Weiber das wollen?»

Konan zog eine Augenbraue hoch. «Was interessieren mich andere Weiber?»

Der Türsteher stutzte. «Hör zu, Schnecke, du kannst hier nicht einfach herkommen und zu unserem Boss reinspazieren.»

Konan lächelte. «Ach, seit wann ist Tomcat denn der Boss?»

Der Typ sah nun verärgert aus, obwohl er als Leibwächter, Türsteher, was auch immer wenigstens ein bisschen mehr Gelassenheit an den Tag legen sollte.

«Verschwinde.»

Konan schmunzelte schelmisch. «Nun, du verstehst mich falsch. Eigentlich wollte ich den Jaguar Riots beitreten und da er heute da ist, empfand ich es als eine gute Gelegenheit.»

Der Typ glotzte ziemlich verblüfft, jedoch war er doch nicht ganz so dämlich, wie er sich gab. «Hör zu, Tussi, du kannst hier nicht einfach reinspazieren und Mitglied werden. Die Riots nehmen nicht einfach jeden auf, kapiert? Wir wählen nur die Besten.»

Konan musste sich Mühe geben, nicht zu lachen. Die Besten waren ihnen längst entgangen, aber das konnten die Armen ja nicht wissen.

«Und wie findet ihr heraus, wer die Besten sind?»

«Geht dich nichts an und jetzt verschwinde.» Langsam wurde der Kerl ungemütlich, er machte einen bedrohlichen Schritt auf sie zu. Aber Konan wusste, es musste einfach klappen, sonst wären die anderen in einem grossen Nachteil.

«Du passt besser auf, wem du zu nahe trittst», sagte sie, ruhig, aber mit bedrohlichem Unterton.

Der Riot hielt kurz inne, als er ihren schneidenden Blick bemerkte, schien sich aber dafür zu entscheiden, dass eine Frau ihm nichts anhaben konnte. Falsch gedacht, denn als er die Hand nach ihrem Arm ausstrecke, war sie schneller und drehte ihm den Arm auf den Rücken.

Im Nu war die Aufmerksamkeit des gesamten Clubs auf sie gerichtet – perfekt. Leider Gottes war der Typ zu kräftig für sie. Ohne den Vorteil der Überraschung konnte sie ihm nicht allzu viel anhaben, jedenfalls nicht ohne ein Messer. Nun stand er wieder vor ihr und sah noch grimmiger aus, als zuvor und er hatte sie im Nullkommanichts grob am Oberarm gepackt.

«Du dreckige Bi…»

«Hulk!» Eine starke, bestimmte Stimme schnitt dem Typen das Wort ab und liess ihn urplötzlich innehalten.

Als Konan den Kopf in Richtung der Lounge drehte, stand er da: Tomcat. Konan musste zugeben, dass er für einen reichen Jungen eine ziemlich starke Präsenz hatte. Er sah nicht aus wie ein verwöhntes Bübchen, dass sich mal so in die Gangwelt verirrt hatte. Nein, jedes Mal, wenn sie ihn bisher beobachtet hatte, dann konnte sie in seinem Gesicht sehen, dass er genau wusste, warum er hier war.

«Geht man so etwa mit Damen um? Lass sie los.»

Hulk, oder wie auch immer er hiess, liess sofort ihren Arm los und schien richtig klein zu werden, im Angesicht der Tatsache, dass sein Boss seine Aktionen nicht wirklich zu befürworten schien.

«Du musst entschuldigen», wandte Tomcat sich an sie. Sein Grinsen war selbstsicher. Er war jemand, der es gewohnt war, im Mittelpunkt zu stehen. «Aber deine taffe Performance hat mir gefallen.»

«Keine Ursache.» Konan strich sich die Haare der Perücke aus der Stirn.

«Wolltest du etwas von mir?», fragte Tomcat.

«In der Tat», sagte Konan und grinste genauso selbstsicher zurück, wie er das getan hatte.«Ich will bei den Jaguar Riots aufgenommen werden.»

Tomcat zog eine Augenbraue hoch. «Und wie kommst du auf so einen Gedanken?»

«Ich brauche dir nichts zu erklären.» Konan verschränkte die Arme. «Dir sollte es reichen, dass ich es will.»

«Sollte es das?»

«Natürlich.»

Tomcat drehte sich zu seinen Leuten um. «Nicht schlecht die Kleine, oder?»

Die anderen stimmten johlend zu und Konan lächelte in sich hinein. Nun kamen sie der Sache näher.

«Nun, weisst du, ich mag dein Auftreten. Geben wir ihr eine Chance?»

Die anderen schienen nicht viel dagegen zu haben, bis auf die Frauen natürlich, die sie mit ihren giftigen Blicken richtiggehend bombardierten.

«Na also.» Er wandte sich wieder an Konan. «Hör zu, bei uns funktioniert das so: Du tritts im Kampf gegen eine Gegnerin an, die wir für dich aussuchen. Und zwar draussen. Bist du bereit?»

Konan war überrascht, wie sehr ihr die Riots gerade in die Hände spielten, wenn auch unbewusst. Ihr Ziel war es, die Riots raus zu locken und sie war gerade dabei gewesen, die Möglichkeiten in ihrem Kopf durchzuspielen. Aber wenn Tomcat das von selbst tat, dann war das wirklich ein Kinderspiel.

«Alles klar», sagte sie grinsend. Es war zwar etwas dumm, dass nun auch alle anderen Leute im Club mit nach draussen kamen, um dieses Spektakel auch ja nicht zu verpassen, aber irgendwie würde das schon gehen. Ihr durfte jetzt einfach nicht der klitzekleinste Fehler unterlaufen, ansonsten wäre alles umsonst. Dieser Tomcat war ein cleverer Typ und ganz und sie konnte förmlich spüren, wie er sie aufmerksam musterte.

Obwohl es verlockend gewesen wäre, Pain irgendein Zeichen zu geben, unterliess sie es deshalb.

Draussen angekommen bildete sich ein grosser Kreis, in dessen Mitte nun nur noch sie und Tomcat standen. Im hellen Licht der Fassadenbeleuchtung des HSC fiel ihr nun auch Tomcats Kleidung auf, die zwar locker war, jedoch immer noch eine Spur zu schick für einen waschechten Gangjungen. Es wäre interessant gewesen, zu fragen, wie er zu den Riots gekommen ist.

Sie wusste nicht, woher er es hatte, aber Tomcat drückte ihr nun ein Messer in der Hand und dabei hatte er ein gespanntes, schelmisches Grinsen im Gesicht. Ja, Konan verstand schon, warum die Frauen ihn reihenweise anhimmelten – er hatte etwas.

«Das ist deine Waffe.» Er drehte sich in Richtung der Menge um. «Alle, die nicht zu den Riots gehören, sollen zurückweichen, das hier könnte gefährlich werden!»

«Und wer wird meine Gegnerin sein?»

Er lachte. «Das wirst du gleich sehen. Miranda!»

Aus der Menge heraus kam eine junge Frau mit schwarzem, hüftlangem Haar getreten. Sie trug bauchfrei, weshalb man auch teile eines langen Tattoos an ihrer Seite erkennen konnte. Sie sah nicht wie eine leichte Gegnerin aus, aber Konan machte das keine Angst. Sie würde sie besiegen, koste es, was es wolle. Zudem wusste sie nicht, was Pain vorhatte. Würde er den Angriff erst am Ende des Duells einleiten, dann, wenn sie gewonnen hatte und sozusagen das Vertrauen von Tomcat gewonnen hatte?

Irgendetwas in ihr wollte nicht, dass es soweit kam. Tomcat rief in ihr ein ungutes Gefühl hervor und sie wollte keine allzu grossen Risiken eingehen. Und zeitlich sollte es eigentlich mit dem Scheinangriff auf die DDM hinauen. Wenn sie nicht alles täuschte, dann würde der Angriff ungefähr in diesem Moment beginnen, wenn er nicht schon begonnen hatte.

Wie auch immer, sie vertraute Pain. Er wusste, was zu tun war. Das hatte er schon immer gewusst. Dabei war er Itachi in Nichts nachgestanden.

Miranda hatte ihr Messer bereits bereit und sah ziemlich selbstsicher aus. Sie wusste nicht, wie ernst sie das nehmen konnte, denn in einem Kampf selbstischer zu wirken gehörte zur Strategie. Es ist so viel einfacher, jemanden zu besiegen, der offensichtlich unsicher ist.

«Na dann: Legt los, meine Hübschen!»

Miranda war wie sie jemand, der nicht sofort angriff. Zuerst gingen sie ein wenig im Kreis, immerzu scharf beobachtend, was der andere tat. Trotzdem war es die Riot, die die erste Attacke startete und Konan sofort zur Seite wich, sodass ihre Klinge sie weit verfehlte. Als sie urplötzlich das Geräusch von Motorrädern hörte, die auf den Platz rasten, wusste sie, dass der richtige Kampf gerade erst begann. Sie hatte nur kurz Zeit, sich umzusehen, in dem Moment, als Miranda es auch tat, doch gleich darauf befanden sie sich wieder mitten im Kampf. Sie war gut, wirklich gut.

Und sie würde ihre Gegnerin bleiben, bis eine von ihnen den Kürzeren zog.

 

 

22:19 Uhr, nahe eines alten Lagerhauses (Ecke Zwölfte)

 

Sein Handy, beziehungsweise Shikamaru, verriet Naruto, dass der Scheinangriff an der DDM soeben seinen Anfang genommen hatte. Er sass bereits auf seiner Maschine, genau wie Shino und Sai. Ihre Outers waren motiviert. Es waren nicht so viele, wie an anderen Stützpunkten, da das Lagerhaus einer der weniger stark besuchten Orte war, jedoch waren es immer noch genug, um die Überhand zu haben.

«Es ist soweit. Der Angriff hat soeben begonnen, nun ist es für uns Zeit, zuzuschlagen. Wir starten in einer Minute, als stellt noch ein letztes Mal sicher, dass alles bereit ist.»

Es war eine Minute, die an einigen vorbeiraste, an anderen quälend langsam vorbeizog. Was Kämpfen anging hatte jeder seine eigene Art, damit umzugehen. Manche waren regelrecht aufgepumpt und liessen im Kampf all der aufgestauten Energie freien Lauf. Andere waren nervös und unruhig und wieder anderen merkte man kaum an, dass ein Kampf bevorstand. Solche Exemplare waren Shino und Sai und das tat der gesamten Atmosphäre richtig gut. Denn auf Naruto traf meistens «nervös und unruhig» zu, denn er hatte als Leader immerzu die Hauptverantwortung. Gegen aussen versuchte er das nicht unbedingt zu zeigen, aber wer ihn kannte merkte das trotzdem.

Die Minute war um und Naruto startete seine Maschine. «Los geht’s!»

 

22:29 Uhr, Dance Devil Mansion

 

Gangkämpfe waren immer verbunden mit einer Art betörendem Rauschzustand, bei dem das Adrenalin in den Adern richtiggehend kochte und einem die Sinne schärfte, wie bei einem wilden Tier.

Sie hörte das Geräusch ihres Motorrades, den Fahrtwind, der ihr um die Ohren peitschte. Das alleine waren Geräusche, die sie mochte, was jedoch ziemlich störte war das Geschrei der Leute. Aber sie konnten ja nicht wissen, dass alles nur Schein war.

Inzwischen stieg überall um die DDM herum Rauch auf, was zwar erschreckend wirkte mochte, jedoch wunderbar seinen Dienst tat. Die Verwirrung war perfekt. Jetzt mussten sie das nur so lange aufrechterhalten, bis die Polizei endlich kam.

Um das auch steuern zu können, war ein Outer dazu beauftragt worden, von einer Telefonzelle aus die Polizei zu verständigen. So konnten sie das Ganze wenigstens ein bisschen steuern.

Die Riots schauten natürlich verdammt blöd aus der Wäsche, als sie ihre aufgeschlitzten Reifen hinter der DDM vorfanden und Karin erfüllte das mit einer Wonne, die sie kaum beschreiben konnte. In ihren Gesichtern war zu sehen, dass sie langsam aber sicher realisierten.

Alibaba hatte sie bisher noch nicht gesehen. Was sie aber wusste war, dass sie in diesem Moment Verstärkung anforderten, die aber kleiner ausfallen würde, als sie es sich erhofften.

Leider geschahen oft unverhoffte Dinge, so auch jetzt. Keiner hatte damit gerechnet, dass die Riots nebst ihren Motorrädern auch noch drei Autos in der Nähe hatten. Nach ungefähr fünf Minuten raste es auf den Platz und ehe sie es sich versahen, wurde auf sie geschossen.

Aber die Kuramas und Takas hatten mit solch unerwarteten Wendungen gerechnet und deshalb brachte es sie nicht aus der Fassung, im Gegenteil, es spornte sie an.

Karin hörte Schüsse und sie hörte auch Motorräder scheppernd auf den harten Asphalt knallen, aber sie wusste, dass sie es hier nur noch ein bisschen länger aushalten mussten, denn in der Ferne waren Polizeisirenen zu hören. Leider konnten nur die Outers zurückfeuern, die zu zweit auf einem Motorrad sassen, den anderen blieb nichts anders übrig, als weiterhin  so unauffällig wie möglich ins Leere zu schiessen und den Riot-Autos auszuweichen.

Als die Sirenen schon in unangenehmer Nähe zu hören waren, machte Karin ihre Petarde bereit. Von weitem sah sie Sasuke, der gerade von seinem Motorrad aus einen Riot erledigte. Bisher lief eigentlich alles wie geplant. Die meisten Riots hielten sich hier auf und drei Autos waren niemals genug, um alle hier wegzubringen.

Karin zündete ihre Petarde und warf sie ab, bevor sie mit ihrem Motorrad in einer dunklen Gasse verschwand. Von nun an war jeder auf sich selbst gestellt. Ein Blick zurück und sie sah, dass niemand ihr gefolgt war. Dann war sie also eine der glücklichen, die niemanden abhängen musste.

Inzwischen waren die Polizeiautos auf dem «Schlachtfeld» eingetroffen, von weitem sah sie noch das Leuchten des Blaulichts. Hoffentlich hatten es alle geschafft, den Platz frühzeitig verlassen zu können, damit die Polizei nur noch auf Riots stiess.

Der Leader war bestimmt längst geflohen, aber wenn wirklich alles klappte, dann durfte es einige Riots erwischt haben.

Sie würde jetzt erst einmal ein Versteck suchen, indem sie abwarten konnte, bevor sie bei den nächstgelegenen Kampfplätzen vorbeisehen würde.

Im Moment konnte sie noch nicht sagen, ob ihre Mission ein Erfolg war. Aber ein völliger Schuss ins Blaue konnte es nicht gewesen sein. Jetzt kam es nur darauf an, was sich in den anderen Teilen der Stadt tat.

In Scherben

22:37 Uhr, irgendwo in Konoha

 

Der Van fuhr schnell und hier hinten kam es einem immer noch einen Tick schneller vor, da man absolut nichts sehen konnte. Anscheinend gab es am Güterbahnhof die ersten Verletzten. Wenn sie sich genau erinnerte, dann war das der Ort, an dem Temari, Kankuro, Kiba und Sasori den Lead übernommen hatten.

Ihr Herz klopfte, während sie inständig hoffte, dass es keine allzu schweren Verletzten gab. Als der Van bremste hörte sie, wie Sora und sein Beifahrer ausstiegen und dann war es still. Die Beiden würden nun die Verletzten zum Van führen.

Das Klopfzeichen an der Tür ertönte ungefähr zehn Minuten später und als sie öffneten ging alles sehr schnell. Ein Outer-Mädchen hatte eine Kugel in den Oberschenkel abbekommen. Der zweite Verletzte war ein Outer-Junge, dessen linke Schulter ein langer Schnitt zierte.

Beiden standen die Schmerzen ins Gesicht geschrieben. Das Mädchen hatte jedoch mit ihrer Schusswunde Priorität und deshalb widmete sich Shizune mit Hinata dem Entfernen der Kugel aus dem Oberschenkel, währenddessen Sakura sich um die Wunde des Jungen kümmerte.

Zuerst drückte sie sterile Tupfer auf die Wunde, was der Outer mit einem erstickten Stöhnen quittierte, aber die Blutung musste erst einmal gestoppt werden. Glücklicherweise war der Gerinnungsprozess bereits so weit vorangeschritten, dass das nicht mehr lange dauerte. Der Junge hatte Glück gehabt, dass der Schnitt nicht zu tief war, jedoch befand er sich an einer ganz dummen Stelle, was ihn erheblich in seiner Bewegung einschränkte.

«Das wird jetzt brennen, okay?», sagte sie, als sie das Desinfektionsspray zu Hand nahm und der Outer nickte nur. Es musste ein Taka-Outer sein, denn sein Gesicht kam ihr überhaupt nicht bekannt vor.

Er unterdrückte mit Mühe und Not einen Aufschrei, als sie langsam das Mittel auftrug, welches ihn vor einer Infektion bewahren sollte. Das war aber nichts gegen das wimmernde Mädchen nebenan, eine Kurama, die gerade die Kugel aus dem Bein operiert wurde.

«Geht’s?»

«Klar...mach einfach weiter», erwiderte der Taka. «Dann können andere kommen.»

Sie legte ihm einen Verband an, von dem sie hoffte, dass er bis zum nächsten Wechsel durchhalten würde. Da die Wunde jederzeit nachbluten konnte, wählte sie dafür etwas dickere Gaze und fixierte diese mit klebendem Verband.

«Also, das war’s.»

Der Taka richtete sich auf. «Danke.»

«Und wohin gehst du jetzt?», fragte sie. «Doch hoffentlich nicht wieder…»

Der Taka schüttele den Kopf. «Nein, das macht keinen Sinn. Kann ja so nicht kämpfen. Wahrscheinlich gehe ich zurück ins HQ.»

Er war schon an der Tür des Vans. Seine Wunde musste ihm immer noch wehtun, aber er schlug sich tapfer. «Danke nochmal.»

Und damit war er aus dem Van verschwunden. Sakura warf die blutigen Tupfer in den dafür vorgesehenen Eimer und dann klopfte es auch schon wieder an der Tür - der nächste Patient war da.
 

22:52 Uhr, High Skies Club
 

Miranda war nicht tödlich verletzt, als sie vor Konan in die Knie sank und sie dann aus angsterfüllten Augen ansah. Sie war wirklich wirklich gut im Umgang mit dem Messer, aber dann doch ein paar Jährchen jünger als Konan. Diese Jährchen bedeuteten Erfahrung und genau diese hatte Konan in ihrem Duell siegen lassen. Sie hatte immer gewusst, dass die Riots so gut wie jeden rekrutierten, aber dieses Mädchen war nicht gemacht für das hier. In ihren Augen stand die nackte Furcht und Konan konnte nicht anders, als Mitleid für sie zu empfinden. Wer wusste, woher sie kam und was sie dazu bewogen hatte, einer Gang beizutreten.

Um sie herum nahm der Kampf immer grössere Ausmasse an, niemand hatte den Ausgang des Duells mitbekommen. Und das war eine gute Chance.

«Verschwinde von hier.», sagte Konan.

Miranda sah verwirrt aus. Sie schien vor lauter Furcht gar nicht zu merken, dass sie eine lange Schnittwunde am linken Arm hatte und blutete.

Kurzerhand riss Konan ein wenig Stoff von ihrem Oberteil, dass zwar schon kurz war, ohne dass ein Stück fehlte, und warf es ihr zu. «Du blutest.»

«Such dir deine Gang beim nächsten Mal besser aus, ja?»

Das Mädchen schien unfähig, sich zu rühren und deshalb machte Konan einen schnellen Schritt auf sie zu, um sie zu erschrecken und damit sie in die Gänge kam. Keine zehn Sekunden später war sie um die Ecke verschwunden.

Für sie hiess es jetzt weitermachen. Sie riss sich diese lästige Perücke vom Kopf und bekam sogleich ihren nächsten Gegner zu fassen. Im Hintergrund sah sie Pain, der sich mit einem regelrechten Hünen einen Schlagabtausch lieferte, jedoch immerzu die Oberhand hatte. Mit ihrem Vize war nicht zu spassen.

Konan war positiv eingestellt. Das hier konnte die Wende bedeuten, sie mussten jetzt einfach mit allen Geschützen auffahren, die sie zu bieten hatten.

Urplötzlich erschien Pain an ihrer Seite. «Gut gemacht, Blue! Hast du ja perfekt hinbekommen.»

Konan musste lachen. Dass er für sowas überhaupt Zeit hatte!

«Aber wir sind uns von dir ja nichts Anderes gewohnt. Wenn du willst, dann tanzt jeder nach deiner Pfeife!»

«Das klingt ja schon fast wieder schlecht», lachte sie.

Im nächsten Moment waren die nächsten Angreifer da und das nahm den Beiden die Zeit, um zu reden. Aber dazu waren sie jetzt auch nicht da. Hier und jetzt würden die Riots eine Niederlage einstecken und irgendwie erfüllte sie das mit einer seltsamen Genugtuung.

Sie tat das für Itachi, Red Raven. Die Riots würden nicht einfach so davonkommen, das stand fest.

 

22:59, irgendwo in Konoha

 

Karin sass in einer Bar am Rande der Downtown und nippte an einer eiskalten Cola. Das war zwar normalerweise nicht ihr Ding, aber jetzt befanden sie sich noch auf Mission und da wurde nicht getrunken.

Sie hatte beschlossen, dass sie sich am besten unter die Leute mischte, um auf die Schnelle der Gefahrenzone zu entkommen. Gerade, als sie ihr Handy hervorkramte, um die Zentrale anrufen wollte, beziehungsweise das Kurama-HQ, indem Genius die Stellung hielt, vibrierte ihr Handy.

«Ja?»

«Sniper?»

«Demon», sie seufzte. «Schön von dir zu hören. Bist du in Ordnung?»

«Natürlich. Die beiden Kuramas auch, aber drei Outers hat es erwischt. Einer tot, zwei von den Cops gefasst.»

«Verfluchte Scheisse…», brummte Karin. Sie waren auf solche Sachen vorbereitet und trotzdem war es immer wieder beklemmend, von solchen Verlusten zu hören. «Aber es werden nicht die Einzigen gewesen sein. Wo genau soll ich hin, Demon?»

«Anscheinend ist die Lage fast überall stabil. Hat mir jedenfalls Genius gesagt. Nur beim Güterbahnhof scheint es Probleme zu geben. Alibaba hat das, was von seinem DDM-Gefolge noch übrig geblieben ist gleich zum Güterbahnhof geschickt, ihn selber hat man dort aber noch nicht gesichtet. Zudem besteht die Chance, dass auch Tomcat auf dem Weg dorthin ist. Der ist kurz nach Angriff verschwunden, haben die Leute von High Skies gemeldet.»

«Dann schlägst du vor, dorthin zu gehen?»

«Ja. Zumindest in die Nähe. Die Chance, dass die Cops als nächstes dorthin fahren, ist relativ gering. Das Gelände ist verlassen und es gibt keine Anwohner, die sie benachrichtigen könnten, aber falls doch, dann würde es gefährlich werden. Schlussendlich ist dort ein Van und viele Verletzte, die Flucht würde schwierig werden. Wir gehen dorthin und kämpfen mit, stationieren aber Outers, die dafür sorgen werden, dass die Polizei abgelenkt wird, sobald sie auch nur in die Nähe des Bahnhofs kommen. Verstehst du, was ich meine?»

«Absolut. Dann treffen wir uns am besten dort beim alten Weichenhäuschen, okay?»

«Gut. Ich benachrichtige die Anderen. Fahr vorsichtig, ja? Die Cops sind unterwegs.»

«Für wen hältst du mich, Demon?», fragte sie aufbrausend, doch dann fügte sie seufzend hinzu: «Aber mach ich. Und gleichfalls.»

Sie steckte das Handy in ihre Hosentasche, nahm den letzten Schluck Cola und legte das Geld dafür auf die Theke. Als sie zur Tür hinaustrat horchte sie erst einmal, ob Sirenen zu hören waren, doch als sie nichts vernehmen konnte, ging sie zu ihrem Motorrad und warf es an.

Zum Güterbahnhof also. Tja, das würde eine wirklich lange Nacht werden.
 

23:24 Uhr, Güterbahnhof
 

Sasori war nicht besonders erfreut über Sakuras Rat, nicht wieder ins Battle zurückzukehren. Zwar hatte er «nur» eine Schnittwunde am unteren Rücken, diese war jedoch nicht zu unterschätzen.

Gerade hatte Sakura den Verband fertiggestellt, welchen sie wohl merklich etwas mehr als nötig befestigt hatte. Aber ihr war klar, dass Sasori sofort zurückkehren würde, also konnte sie wenigstens dafür sorgen, dass der Verband an Ort und Stelle blieb.

«Was passiert da draussen, Sasori?», fragte sie. In der letzten Dreiviertelstunde waren fast zwanzig Verletzte bei ihnen gewesen, manche davon waren zurück in die Quartiere gegangen oder von Gangkameraden dorthin gebracht worden.

«Shizune.» Soras Stimme ertönte aus der Richtung der Führerkabine und im nächsten Moment war auch sein Gesicht in dem kleinen Fenster zu sehen. «Da draussen ist die Hölle los. Wir haben schon einige Leute verloren und es wird schlimmer, weil nach und nach Verstärkung eintrifft.»

«Klingt übel», sagte Shizune durch ihre zusammengebissenen Zähne, mit denen sie eine Packung Gaze aufriss.

«Shizune, wie wäre es, wenn wir rausgehen?», fragte Hinata auf einmal. «Könnten wir nicht mehr helfen, wenn die Distanz zum Van nicht so gross wäre? Und dann kannst du mit dem Van woanders hinfahren, damit wir einander ergänzen können?»

Shizune nickte. «Scheint als könntest du Gedanken lesen, Hinata. Ich weiss, Tsunade würde mich umbringen, aber für manche Verletzten ist der Weg hierher wirklich zu gross. Es macht Sinn, wenn wir uns verteilen, denn bisher sind wir das einzige Team hier vor Ort. Ihr müsst mir einfach sicher sagen, ob ihr euch dazu in der Lage seht.»

Für Sakura war das keine Frage. Es galt ernst und Shizune hatte recht, es war die beste Möglichkeit. «Wir machen das.»

«Sora!», rief Shizune in Richtung Kabine. «Besorg mir mindestens fünf Leute, die auf sie aufpassen, ansonsten lasse ich sie nicht raus!»

«Was immer du willst, Doc!»

Fünf Minuten später standen besagte Leute in der Nähe des Vans bereit.

«Wenn ihr angegriffen werdet, dann verschwindet sofort und lasst die Outers das machen, okay? Und geht nicht zu nahe ran, arbeitet von einem guten Versteck aus!»

«Die Luft ist rein!», rief Sora.

«Alles klar.» Sakura schnappte sich einen Erste-Hilfe-Koffer. «Komm, Hina.»

Vorsichtig öffneten die Beiden die Tür und schlüpften hinaus. Die Nacht war immer noch erstaunlich mild, fast schon angenehm, wenn man ausklammerte, was gerade vor sich ging.

Sakura fühlte sich ein wenig wie in einem Actionfilm, mit dem Unterschied, dass sie ziemliche Angst hatte. Es brauchte nur ein Riot um die Ecke zu kommen und auf sie zu feuern, und schon könnte alles vorbei sein. Die Gefahr war so intensiv zu spüren, dass Sakura alle Mühe damit hatte, ihre Nerven ruhig zu halten. Das war nicht wie in einer BZ, wo der Gegner nur im Nahkampf etwas ausrichten konnte, nein. Hier gab es nicht einmal ansatzweise Regeln und es gab auch keine sichere Zone. Es war zwar ziemlich unpassend, eine Blood Zone als Spiel zu bezeichnen, aber im Vergleich zu dem hier waren die BZs schon harmloser.

Sie erreichten die Gruppe von Outers, die sich an der Ecke gesammelt hatten. Hier befanden sie sich hier in einer Seitengasse, gleich neben dem Eisentor eines alten, unbewohnten Gebäudes, jedoch war der Lärm der Schlacht bis hierhin zu hören.

Drei der Outers waren Kuramas und kamen Sakura bekannt vor, auch wenn ihr ihre Namen nicht einfielen, die anderen beiden mussten Takas sein.

Still machten sie sich auf den Weg, das heisst, Sakura und Hinata folgten mit ihren Koffern einfach ihren Begleitern, die sie in eine Seitengasse hineinführten. Der stillgelegte Güterbahnhof befand sich in einem Stadtteil, der ein wenig an das Little East erinnerte, jedoch wesentlich kleiner war. Früher waren diese beiden die industriellen Hochburgen der Stadt gewesen, im Little East war produziert worden, über den Güterbahnhof hatte hauptsächlich der Warentransport stattgefunden. Heute befand sich der grösste Anteil an Fabriken und Firmen im South und teilweise im East.

Es war dunkel und wenn man in Betracht zog, dass etwa nur jede dritte Strassenlaterne funktionstüchtig war, dann war das auch kein Wunder. Ihre Begleiter führten sei in eine Seitengasse hinein. Container voller Sperrmüll standen da, versperrten teilweise sogar den Weg. Sakura musste höllisch aufpassen, um nicht über irgendwelche Gegenstände zu stolpern, die da herumlagen.

Die Gasse hatte einen Winkel, nur einen leichten, der aber guten Sichtschutz gab. Denn der restliche Teil der Gasse war kurz und als Sakura vorsichtig um die Ecke schaute, wurde ihr klar, dass das Schlachtfeld nur noch wenige Meter von ihnen entfernt war. Gleich am Ende der Gasse konnte sie das Kampfgetümmel ausmachen.

«Okay», flüsterte ein Outer. «Hier bleibt ihr. Zwei von uns werden nun nach vorne gehen und euch die Verwundeten bringen. Alles klar?»

Hinata und Sakura nickten, knieten sich hin und machten ihre Koffer bereit. Sakura hatte Angst, dass sie dem Schweregrad der Verletzungen nicht gewachsen war, jedoch hatten sie mit Shizune abgemacht, dass sie die Schwerverletzten zum Van weiterverweisen würden. So können sie dann auch in die HQs gebracht werden. Nun, sie hoffte inständig, dass ihre Leute keine der wirklich, wirklich schlimmen Schäden davontrugen.

Es dauerte nicht lange, da kamen schon zwei um die Ecke, beide gestützt von einem Outer. Sie bluteten heftig und deshalb legten Sakura und Hinata ihnen erst einmal Druckverbände an. Die Verletzungen waren in diesem Sinne keine tragischen, jedoch würden bei den Jungs Narben zurückbleiben. Aber das kümmerte normalerweise die niemanden.

Meistens waren es kleinere Verletzungen, die sie von da an behandelten, viele der Leute beschlossen auch gleich, wieder in den Kampf zurückzukehren, da ihre Wunden fürs Erste versorgt waren. Das war auch Sinn und Zweck dieser mobilen Sanitätseinheiten. Es ging darum, Vorteile zu schaffen, mehr Leute im «Spiel» zu behalten und natürlich zu verhindern, dass bleibende Schäden davongetragen wurden. Sakura wusste, dass sie bei Leuten, die einer tödlichen Kugel oder einem kritischen Messerstich zu Opfer gefallen waren, nicht mehr helfen konnten. Dazu fehlte ihnen das Wissen und Shizune die nötigen Mittel.

Und zuletzt – es war traurig, aber leider wahr - solche Patienten würden es gar nicht bis zu ihnen schaffen.

Sakura wusste weder, wie spät es war, noch wie viele Leute kamen und gingen. Sie verfiel in einen Zustand, indem sie einfach machte, was sie machen musste. Sie dachte nicht darüber nach, dass buchstäblich um die Ecke ihre Freunde kämpften, verletzt wurden und vielleicht auch nicht mehr zurückkehren würden. Im Hintergrund hörte sie Geschrei und Motorengeräusche. Diese Dinge machten den Unterschied zwischen dem geschützten Inneren des Vans und den Geschehnissen hier draussen erst richtig spürbar. Aber es galt jetzt, sich auf das zu konzentrieren, was wichtig war, nämlich, allen zu helfen, denen noch geholfen werden konnte.
 

23:40 Uhr, Konoha Downtown
 

Das nächtliche Konoha war ziemlich ausgestorben für einen Samstagabend, aber inzwischen hatte wohl so ziemlich jeder mitbekommen, dass die Gangs in der ganzen Stadt unterwegs waren.

Naruto und seine Leute hatten ihr Battle gewonnen. Viele Riots waren geflohen, hatten sich verletzt davongestohlen oder waren ganz einfach gefallen. Aber für Narutos Empfinden, war es zu lange gegangen. Sie hatten nicht allzu viele Gegner gehabt und irgendwie war auch ziemlich schnell deren Verstärkung dagewesen.

Wie auch immer, das hier war nur ein vorübergehender Triumph, denn am Güterbahnhof bahnte sich etwas an, was nichts Gutes verhiess. Anscheinend mischten sich alle Riots, die aus den anderen Battles entkommen konnten, nun dort unter die Kämpfenden und vermutlich würde dort auch die Verstärkung hinbeordert, die an keinem Kampf bisher beteiligt gewesen war.

Auch ihr Ziel war nun jener Güterbahnhof, aber er war zuversichtlich, dass sie einen Vorteil hatten. Schlussendlich waren sie diejenigen, die dieses Battle eingeleitet und geplant hatten. Sie dominierten deutlich.

Trotz dieser Tatsache, liess ihn das Gefühl nicht los, dass er sofort dort oben aufkreuzen musste. Den Riots war nicht zu trauen. Sie unter ihren vielen Mitgliedern leider einige Exemplare, die etwas in der Birne zu haben schienen und deshalb wollte er seinen Leuten dort beistehen.

Es dauerte noch einige Zeit, bis sie das Schlachtfeld erreichten. Dort trafen sie auf Kankuro, einer der Anführer beim Güterbahnhof. Er informierte sie darüber, dass die Riots eine beträchtliche Anzahl gewonnen hatten, sie aber nach wie vor auf gutem Wege waren, das Battle für sich zu entscheiden.

Das freute Naruto natürlich ungemein, aber wenn er etwas in seiner Gang-Zeit gelernt hatte, dann war es, dass man sich besser nie zu früh freute. Zu schnell konnten sich die Dinge auf dem Schlachtfeld ändern.

«Weder Alibaba und die Räuber, noch Tomcat wurden bisher gesichtet. Ach ja und inzwischen sind zwei unserer Vans in der Nähe. Ansonsten gibt es nicht viel zu sagen, Boss.»

«Okay», sagte Naruto, mit den Gedanken schon wieder einen Schritt weiter.

Kankuro nahm sein Gewehr vom Rücken und meinte: «Dann bis später.»

Damit verschwand er aus ihrem Sichtfeld,.

Naruto drehte sich zu seinen Leuten um. «Es geht weiter!»

 

23:49 Uhr, Seitengasse am Güterbahnhof

 

Der Fakt, dass immer weniger Verletzte um die Ecke gebracht wurden, konnte zwei Dinge bedeuten: Entweder, das Battle war bald gewonnen oder es verlagerte sich in eine andere Richtung.

Hier war letzteres der Fall. Als Sakura einmal um die Ecke spähte, waren die Kämpfenden verschwunden. Zwar hörte sie in der Ferne nach wie vor die Kampf-Geräusche, aber der Kampf selbst schien nun auf einer anderen Seite des Bahnhofgebäudes stattzufinden.

«Sollten wir näher ran gehen?», fragte Sakura einen der Outers, der gerade vom Auskundschaften zurückkehrte.

«Ich denke schon. Vielleicht ist Tomcat nun mit seinen Leuten dort oben eingetroffen und deshalb hat sich alles nach oben verschoben», meinte er.

Hinata rief kurzerhand Sora an, um ihm zu erklären, dass sie sich nun näher zu den Kämpfenden begeben würden. Er war froh um diese Info, denn auch sie hatten bemerkt, dass keine Verletzte mehr kamen.

«Wir werden jedoch bald zurück ins HQ fahren, es hat kaum mehr Platz für Verletze. Aber wir werden so schnell wie möglich zurückkommen.»

«Alles klar», meinten die beiden Mädchen.

«Shizune sagt, ihr sollt auf euch aufpassen und keine Risiken eingehen.»

«Keine Sorge», sagten sie im Chor, jedoch wussten sie, dass sie dennoch in Gefahr waren. Wie man es sich auch zurechtlegen wollte, sorgen musste man sich in Anbetracht der Situation.

Sie packten ihre Sachen zusammen und machten sich vorsichtig auf den Weg. Selbstverständlich nahmen sie Schleichwege durch die Gassen so gut es ging, da man nie wusste, ob irgendwo noch ein versteckter Schütze unterwegs war.

Das Gebiet um den Güterbahnhof war schmuddelig und richtig verwahrlost, das war ja noch fast schlimmer, als im Little East.

«Alles okay bei dir, Hina?», flüsterte Sakura ihrer Freundin zu, als sie deren besorgten Gesichtsausdruck bemerkte.

«Ich mach mir nur wahnsinnig Sorgen um die Anderen», gab sie zur Antwort. «Nicht der Rede wert.»

Sakura fand das nicht besonders überzeugend. Aber Hinata sorgte sich am meisten um Naruto und es war ihr wahrscheinlich ziemlich peinlich, darüber vor den Outers zu sprechen, deshalb beliess es Sakura dabei. Langsam kamen sie näher an das Geschehen heran. Sie verliessen die Gasse und versteckten sich hinter ein paar Müllcontainern, die zwar nicht allzu gut rochen, dafür aber Schutz boten.

Von da aus spähten sie zu den Bahnhof hinüber, wo sie ihre Freunde kämpfen sahen. Sie befanden sich hier schon fast beängstigend nahe am Schlachtfeld, aber einen besseren Platz gab es nicht.

Sakura konnte ganz in ihrer Nähe Naruto, Karin, Sai, Kankuro, Kiba Temari, Sasori und Sasuke ausmachen. Es schien, als ob auf einer betonierten Plattform, die früher vermutlich zum Ein- und Ausladen von Waren gedient hatte, Inner gegen Inner kämpfte und die Outers sich auf dem Boden bekriegten. Zwischendurch hörte sie noch Schüsse, jedoch nur noch selten. In einem Gewimmel auf solch engem Raum war die Gefahr zu gross, ein Gangmitglied anstelle des Gegners zu treffen.

Im nächsten Moment kam ein Auto auf den Platz gerast, drehte eine scharfe Kurve, sodass die Reifen quietschten und die Outers auseinanderstoben. Doch da war es noch nicht zu Ende, denn in einem waghalsigen Tempo raste der schwarze, besprayte Wagen auf die Plattform zu und kam kurz davor zum Stehen.

Ehe realisiert werden konnte, was genau geschah, war der Leader ausgestiegen, jedenfalls vermutete Sakura das er es war. Die vier Anderen scharten sich regelrecht um ihn, deshalb war das der offensichtliche Schluss, den sie daraus zog.

Sie fragte sich wirklich, was da vor sich ging. Allesamt blieben sie in Verteidigungshaltung, jedoch war das Battle zum Stillstand gekommen.

«Hallihallo, Big Fox, Demon Eye!»

Naruto verdrehte die Augen. «Halt die Klappe und kämpf! Du gehst mir so tierisch auf den Sack!»

«Lässt sich in seinem Auto rumkutschieren und seine Leute auf dem Schlachtfeld sterben. Was für ein Vollidiot», giftete Karin.

Ein blonder Typ, der neben dem Leader stand, legte den Kopf schief. «Die gefällt mir.»

«Schnauze, Tomcat», sagte der Leader.

«Nun, ich weiss ihr haltet nicht allzu viel von mir, weil ich nicht nur nach euren Methoden vorgehe und trotzdem stärker bin, als ihr.»

«Du bist gerade dabei, zu verlieren», stellte Sasuke so trocken fest, dass es schon fast lustig war.

«Nun, ich muss sagen, euer Plan hat mich überrascht. Obwohl ich Infos aus zuverlässiger Quelle erhalten habe, hat das wohl nicht gereicht.»

Diese Worte liessen ein Raunen durch die Leute gehen. Konnte es sein? Waren sie etwa drauf und dran, zu bestätigen, dass es ein Maulwurf gab?

«Was willst du damit sagen?», knurrte Naruto. Er sah vom Kampf mitgenommen aus und hatte mehrere Kratzer abbekommen.

«Das weisst du ganz genau.»

«Wer ist es?», fragte Sasuke, der um einiges ruhiger, jedoch nicht weniger einschüchternd als Naruto war. «Und warum bringt ihr das jetzt zur Sprache?»

«Nun das werdet ihr schon noch rausfinden.» Er wandte sich in Richtung der Leute hinter ihnen, sodass Sakura nun sein Gesicht sehen konnte. Er hatte braunes Haar und ein Gesicht, dass ihn sehr spitzbübisch wirken liess. Zudem hatte er einen starken Körperbau und wirkte ziemlich flink und geschickt. Seine Art von Dominanz und Autorität war jedoch eine ganz andere als die von Naruto und Sasuke. Seine war voller Sarkasmus, jedoch gemischt mit einer gewinnenden Selbstsicherheit. Sakura konnte sich schon vorstellen, dass man damit Anhänger gewinnen konnte.

«Na, dann. Komm hervor, meine Süsse!», rief er.

Sakura hielt den Atem an. Wer um Himmels Willen war dieser gemeine Verräter? Sie hatte nie wirklich gewusst, ob es wirklich einen Maulwurf gab. Aber nun stand es fest und es machte sie stinksauer. Wer tat so etwas einer Gang, seiner Familie an?

Sie realisierte zu spät, dass Hinata plötzlich hinter den Containern hervortrat. Sakura wollte sie zurückziehen, schliesslich war sie gerade drauf und dran, ihr Versteck zu verraten und zudem noch, sich selbst zu gefährden.

«Hina, wo willst du hin?!», rief sie so leise wie sie konnte, doch Hinata drehte sich nicht mehr um. Schnurstracks ging sie auf das Auto der Riots zu.

Sakura verstand erst einmal gar nichts, Zu abwegig war die Idee, der blosse Gedanke daran. Doch Hinata ging weiter, bis sie das Auto der Riots erreichte. Die anwesenden Kuramas und Takas reagierten nicht anders als sie. Besonders Naruto musste sich Mühe geben, damit ihm nicht die Kinnlade runterfiel. Sakura war inzwischen sowieso für alle sichtbar und stand deshalb auf.

Sie sah, dass Naruto irgendetwas murmelte, aber verstehen konnte sie es auf diese Distanz nicht.

Hinata stellte sich neben dem Leader hin, welcher ihr sofort den Arm um die Schulter legte. Sakura wartete darauf, dass Hinata sich von ihm losmachte, aber nichts passierte.

«Da hast du uns aber was zu erklären, Kurama», sagte Karin, die sichtlich wütend war.

Sakura konnte es nach wie vor nicht fassen.

«Die liebe Hinata hier ist schon seit geraumer Zeit Teil unseres Kreises und hat uns auch regelmässig mit Informationen versorgt. Da ihr eure Outers nur spärlich informiert habt, habt ihr uns heute tatsächlich erwischt. Aber weisst du, was das Beste ist? Sie hat kein Problem damit, uns alles über euch zu erzählen.»

Für Sakura gab es nur etwas, das sie jetzt tun wollte. Sie ging näher an das Geschehen heran, obwohl das nicht die beste Idee war. Aber sie musste Hinatas Gesicht aus der Nähe sehen. Irgendetwas an ihrem Verhalten finden, was gegen ihre Taten sprach. Zudem war sie irritiert. Es klang, als hielten die Riots Hinata für ein Outer-Mädchen. Warum das?

«Das glaube ich dir nicht eine Sekunde lang», sagte Naruto genauso fest entschlossen wie Sakura, an seine Gang-Kameradin zu glauben. «Solange das nicht überzeugend aus deinem Mund kommt, Hina, glaube ich dem kein Wort.»

Wo vor wenigen Minuten noch ein Kampf in vollem Gange gewesen war, war es jetzt totenstill und die Anspannung lag deutlich spürbar in der Luft.

«Es ist wahr, Big Fox», sagte Hinata, ohne eine Miene zu verziehen. Noch nie hatte Hinata ihn in vollem Ernst mit seinem Gangnamen angesprochen, geschweige denn in diesem unbeteiligten, kühlen Ton. Wenn sie so redete, dann klang das wie eine völlig andere Person.

«Ich bin den Riots beigetreten. Aus eigenem, freien Willen und nicht, was du denkst.»

Es war wie eine Ohrfeige für jeden und jede Kurama, der oder die sich gerade hier auf dem Platz befand. Kuramas glaubten aneinander und kämpften füreinander. Der Fakt, dass Hinata ihr Vertrauen in sie komplett missbraucht hatte, wollte in niemandes Kopf hineingehen, nein, niemand wollte das akzeptieren.

«Das ist ein schlechter Witz, Hina!» Naruto, der Leader, der seinen Leuten vertraute wie kein Zweiter es je können würde, war mehr als nur bestürzt. Von jedem anderen, so abwegig es auch bei denen war, hätte er es mehr erwartet als von der herzensguten Hinata, die normalerweise keiner Fliege etwas zu leide tat. Und dass es noch dazu eine Inner-Kurama war, machte alles noch viel schwieriger.

«Nach alldem, was wir zusammen gemacht haben, Hinata?», brüllte Temari, die etwas weiter rechts auf der Plattform stand. «Ich fass es nicht!»

Die Riots schienen sichtlich Spass daran zu haben, die Kuramas derart auflaufen zu sehen. Naruto kümmerte das im Moment einen feuchten Dreck, den in seinem Kopf hatte in diesem Moment bestimmt nur ein Gedanke Platz und das ging allen anderen gleich.

«Du bist mit diesem Waschlappen…», er wollte gar nicht zu Ende sprechen.

«Na, na, Big Fox, wirst du jetzt etwas persönlich? Hat sie dich etwa nie rangelassen oder was?» Der Riot-Leader goss Öl in ein Feuer, das man besser in Ruhe zu Ende brennen liess, wenn es denn erst einmal brannte.

Naruto war schnell, schneller, als es der Riot-Leader sein konnte und ehe sie es sich versah, hatte er sein Messer zum Wurf bereit. Doch bevor das passieren konnte, stellte sich Hinata mit ausgebreiteten Armen schützend vor den Riot-Leader, sodass Naruto im letzten Moment irritiert innehielt, bevor er das Messer auf seinen Weg schicken konnte.

Bis jetzt hatten sie alle noch dran glauben wollen, dass Hinata von den Riots zu etwas gezwungen wurde, aber diese Tat sprach Bände.

Naruto konnte nur noch fassungslos Hinata anschauen. Die Entschlossenheit in ihren Augen und die Kraft in ihrer gesamten Körperhaltung waren ungewohnt für die zierliche, schüchterne Hinata. Und trotzdem sahen sie es hier mit eigenen Augen vor sich.

«Nun Big Fox, wir werden das Battle jetzt hier beenden. Outers, wir gehen!», kommandierte der Riot. «Ihr habt uns zwar drangekriegt, das muss ich euch lassen. Aber ihr kriegt uns nicht klein. Wir werden euch alles nehmen, alles, das könnt ihr mir glauben.»

Der Blonde neben ihm lachte. «Ach, Moment, das haben wir ja schon.»

«Friss Dreck, Tomcat», blaffte Karin ihn an und dieser lachte nur.

«Du gefällst mir wirklich ausgezeichnet, schöne Taka. Warum trittst du nicht auch unserer Gang bei?»

Karin zog verächtlich eine Augenbraue hoch. «Weil ich etwas in der Birne habe, im Gegensatz zu anderen hier.»

«Ach, sie gefällt mir wirklich», schwärmte Tomcat.

Die Outer-Riots machten sich alle aus dem Staub, stiegen auf Motorräder oder verschwanden in Seitengassen, wo sie ihre Maschinen geparkt hatten.

Bis zuletzt blieb Hinata vor den Riot-Jungs und dem Auto stehen, sodass niemand auf die Idee kam, auf sie zu feuern.

«Lassen wir die nun wirklich so davonkommen?!» rief Kankuro fassungslos.

«Ja. Niemand greift Hinata an, ist das klar?», befahl Naruto trocken und seiner Stimme war anzuhören, dass ihn das alles zutiefst erschütterte, auch wenn er es zu vertuschen versuchte. «Wir haben gewonnen.»

«Würde ich so nicht sagen. Verloren hast du nämlich etwas, Big Fox», spottete Tomcat. «Aber ich ziehe den Hut vor euren strategischen Leistungen», meinte der Leader.

«Nee», kam es von Kankuro. «Ich kauf euch das nicht ab.»

Er hatte seine Pistole gezückt und richtete sie auf den Leader, der sofort wieder von Hinata gedeckt wurde.

«Aus dem Weg, Hina.», sagte er. «Ich glaube dir nicht im Mindesten, was du hier tust. Lass mich den Typen abknallen, dann hast du Ruhe.»

«Lege deine Waffe weg, Kankuro», sagte Hinata kühl, jedoch sah Sakura, dass ihre Fäuste geballt waren. Sie war von Kopf bis Fuss angespannt.

«Werde ich nicht, bis du uns endlich die Wahrheit sagst.»

Es war erstaunlich, wie viel Vertrauen Kankuro in Hinata legte. Alle anderen schienen aufgegeben zu haben, aber er beharrte weiterhin darauf. Er sah nicht einmal wütend aus, als er zwei Schritte nach vorne, näher zu Hinata machte.

«Bitte, bleib wo du bist.» Hinata sah aus, als machte ihr Kankuros Verhalten Angst.

«Komm zu uns und alles wird gut, Hina.»

«Es ist bereits alles gut», sagte Hinata, jedoch war sie unruhiger geworden, nun, da Kankuro nähergekommen war.

«Was laberst du da, Kurama?!» Der Leader sah langsam ziemlich verärgert aus. «Du nervst.»

Er erwischte Kankuro in einem Moment, in dem dessen Aufmerksamkeit auf Hinata gerichtet war. Hinter ihm trat einer seiner Leute hervor und dann knallte es.

Zweimal.

Kankuro wurde von der Wucht der Kugeln nach hinten geworfen und blieb liegen. Dann ging alles ganz schnell. Sakura hörte Temari aufschreien.

Die Riots nutzten den Moment und stiegen mit Hinata ins Auto, warfen den Motor an und drückten aufs Gas. Der Wagen raste davon und mit ihnen Hinata. Kurama-Cutie.

Jedoch blieb kaum Zeit, sich darum Gedanken zu machen. Sakura lief auf die Plattform zu, wo ihr sofort Sai mitsamt Koffer hoch half.

Kankuro lag da und röchelte. Es sah schlimm aus. Er hatte zwei Kugeln erwischt, eine hatte ins einen Brustkorb getroffen, die andere hatte seinen Hals gestreift und die Haut richtiggehend zerfetzt.

«Shizune!», rief Sakura nur. «Oder sonst wer aber ich brauche hier einen Arzt!»

Sie bekam nicht mit, was passierte, doch bald schon hörte sie das Geräusch von Vans, die auf den Platz gefahren kamen, während sie gemeinsam mit Temari und Naruto versuchte, die enormen Blutungen zu stoppen. Das Adrenalin schoss durch ihre Adern und sie verfiel einmal mehr in diesen Machen-Nicht-Reden-Modus. Neben ihr kniete Temari und streichelte Kankuros Haar, während sie Gazen auf die Wunden ihres kleinen Bruders drückte. Kankuro verlor zu viel Blut und die Stelle, an der die Kugel eingetreten war, fanden sie gefährlich nahe beim Herzen vor.

«Danke, Cherry…», stiess er hervor.

«Bitte bleib einfach bei uns…» Für Sakura war die Situation gar nicht fassbar. Sie konnte nur weitermachen.

Ihre Hände waren schon vollkommen rot als sie neben sich eine vertraute Stimme vernahm, die ihr unwillkürlich Tränen in die Augen trieb. Tsunade war da und Kimimaro auch.

«Sofort in den Van mit ihm!», ordnete Shizune vernahm sie nun auch Shizunes Stimme von Weitem. Also waren sie noch in der Nähe gewesen. Kankuro wurde Sakuras Händen entrissen und von Kuramas und Takas in den Van gehievt, den sie gleich neben der Plattform parkiert hatten. Temari wich keine Sekunde von seiner Seite.

«Sakura, du fährst mit dem anderen Van oder mit sonst wem heim. Hier ist kein Platz mehr. Bis später.» Das waren die letzten Worte, die sie von ihrer Tante vernahm, bevor die Tür zugeschlagen wurde und der Van davonraste.

Sakura blieb zitternd an Ort und Stelle und realisierte erst gar nicht, dass nun auch ihre Kleider und ihre Arme voller Blut waren. Was war hier gerade passiert? Und was um Himmels Willen würde nun weiter geschehen?

Naruto und einige andere Kuramas, waren sofort aufgebrochen, doch es war nicht ratsam, dass alle gleich dem Van hinterherjagten, da die Polizei überall sein konnte.

In Sakuras Kopf rauschte das Blut und ihre Gedanken kreisten um Hinata und den angeschossenen Kankuro. Es fühlte sich an wie ein schreckliches Déjà-vu vom letzten Dezember bei der DD-Area.

«Sakura.»

Aber was hätte sie tun sollen? Hinata schien aus freien Stücken zu den Riots gegangen zu sein und Kankuro… sie hatte die Blutung nicht stoppen können…

«Hey, hörst du mich?» Neben ihr vernahm sie Sasukes vertraute, raue Stimme. 

Sie konnte nur nicken. Sie fühlte, wie man ihr etwas weiches, warmes um die Schultern legte.

«Ich muss… ins HQ», brachte sie hervor. «Bitte.»

Sasuke zog sie langsam hoch und ihre Beine hätten beinahe nachgegeben. Sie nahm nicht viel wahr, bis auf die Schemen des Vans, in dessen Tür Ino stand. Sie hatte ihre Freundin gar nicht bemerkt vorhin. Ino sah geschockt aus.

«Danke, Sasuke», sagte sie und es klang, als meinte sie das auch so. «Komm, Saku, wir gehen heim.»

Sakuras Blick streifte noch einmal seine dunklen Augen, in der sie Besorgnis vorfand. Wahrscheinlich hätte er sie gerne begleitet, jedoch war das nicht möglich. Also sah sie ihn noch dort stehen, nur im T-Shirt, weil sie vermutlich seinen Pullover um die Schultern hatte.

Dann fiel die Van-Tür zu.

 

01:23 Uhr, Kurama-HQ

 

Seit geraumer Zeit waren Shizune und Tsunade im Krankentrakt mit Kankuro beschäftigt. Nur Temari und Gaara waren bei ihnen. Draussen im HQ herrschte eine Stimmung, die kaum zu beschreiben war. Allesamt waren sie inzwischen zurückgekehrt, viele von ihnen müde, angeschlagen und mit Blessuren, aber niemand des Inners schien allzu schlimme Verletzungen davongetragen zu haben. Schmerzlich erreichten sie Botschaften von gefallenen Outers, die Sakura nicht alle gekannt hatte. Trotzdem waren sie ein Teil der Kurama-Familie gewesen und hatten alles gegeben, um gegen die Riots standzuhalten.

Das alles führte dazu, dass sich Sakuras Herz noch enger zusammenzog. Gerade war sie unter der Dusche, Ino eine Kabine neben ihr, wo sie sich das Blut vom Körper wusch. Ihre Freundin hatte ihr frische Kleider gebracht, die sie von Tenten geborgt hatte. Sakura wusste nicht, wie viel sie von Hinata bereits mitbekommen hatte, aber vermutlich wusste sie das Wichtigste bereits. Davon liess sie sich aber nichts anmerken, denn sie hatte in diesem Moment die Kontrolle und wollte sich auf keinen Fall ihre eigene Verzweiflung und Hilflosigkeit anmerken lassen.

Als die beiden wieder in den Aufenthaltsraum vortraten, hatte sich nichts geändert. Allesamt sassen sie still da, manche versuchten sich irgendwie abzulenken, indem sie ihre Waffen reinigten oder sonst irgendetwas daran herumschraubten. Doch jedem war bewusst, dass hier jede Sekunde eine Nachricht kommen konnte, die alles für immer verändern würde. An das Feiern der Mission, die ja eigentlich gelungen war, war gar nicht zu denken. Dabei war sie so froh, sie alle wohlauf zu sehen.

Sie wünschte, sie könnte sich an irgendetwas festhalten, aber es gab nichts, was ihr in diesem Moment Halt geben konnte. Vielleicht wäre alles anders, wenn Shizune, Kimimaro und Tsunade als Erste da gewesen wäre, anstelle von ihr. Würde Kankuro sterben?

Der blosse Gedanke war für sie nicht greifbar. Die beiden Gamer-Brüder Gaara und Kankuro gab es nur zusammen. Unwillkürlich baute sich in ihr eine Wut auf Hinata auf. Eine Wut, die sie so auf keinen Fall fühlen wollte, aber sie konnte nichts dagegen machen. Wenn Hinata sie alle nicht verraten hätte, dann wäre das nicht passiert, oder?

Aber bei genauerem Nachdenken war das falsch. Sie glaubte nicht, dass Hinata damit gerechnet hatte, dass die Riots auf Kankuro feuern würden. Insgesamt hatte es mehr so ausgesehen, als hätte sie die Kuramas trotz allem noch beschützen wollen. Es war nicht in ihrem Sinne gelegen, sie zu verletzen. Das glaubte Sakura zumindest. Sie wollte das glauben.

Sakura wusste nicht, was sie denken sollte. Das alles war zu viel gewesen in dieser Nacht. Und sie wussten immer noch nicht, wie da alles enden würde. In ihrer Hand hielt sie Sasukes schwarzen Kapuzenpullover, in den sie nun den Kopf vergrub, während sie sich in die Ecke eine Couch gezwängt hatte.

Er roch nach ihm. Wenigstens das.

 

01:35 Uhr, Taka-HQ

 

Bei den Takas war soweit alles glatt gelaufen. Sie hatten keine Einbussen im Inner, dafür hatten die Outer-Gangs einige Verluste verzeichnet. Im Moment waren Mitglieder beider Circles im HQ anwesend. Sasuke informierte sie kurz über die Geschehnisse des vergangenen Battles. Selbstverständlich löste die Nachricht, dass der Maulwurf eine Inner-Kurama war, ziemliche Empörung aus.

Daraufhin verzogen sich viele ins Bett, in den Krankentrakt um den Verletzten Gesellschaft zu leisten, viele blieben aber auch hier. Sasuke selbst war müde und hatte viel im Kopf. Für ihn machte die ganze Hinata-Maulwurf-Sache einfach noch zu wenig Sinn. Wenn der Maulwurf eine Kurama-Inner war, warum wussten die Riots dann von so vielen Dingen nichts? Hatte Hinata einfach zu wenig mitbekommen? Zudem schienen die Riots geglaubt zu haben, dass sie mit Hinata eine Outer-Kurama aufgegabelt hätten. Es passte einfach etwas nicht.

Andererseits war sie dort gewesen, hatte sich schützend vor den Riot-Leader gestellt und damit ihr eigenes Leben riskiert, anstatt jemandem die Chance zu geben, ihn auszuschalten.

«Hey, Demon!» Neben ihm war Karin aufgetaucht und ging nun neben ihm den Gang hinunter. «Alles klar?»

«Bis auf die Tatsache, dass ich nicht wirklich durchblicke? Ja.»

«Geht mir auch so. Das war echt schräg, weil es nicht wirklich Sinn macht.»

«Mhm.» Sasuke nickte.

«Willst du eigentlich nicht auch im Krankentrakt vorbeischauen? Du hast da ein paar unschöne Kratzer am Arm und am Rücken», meinte sie.

«Ich geh zuerst duschen. Zudem haben Kimimaro und die anderen genug zu tun. Aber wenn vielleicht kannst du mir nachher am Rücken helfen.»

«Schmerzt deine Narbe wieder? Du weisst schon, die lange?»

«Nicht der Rede wert.»

«Also doch. Na gut, dann geh du duschen. Mache ich auch und dann komme ich nachher vorbei.»

Wenige Minuten später betrat Sasuke die Dusche, in der schon einige anderen sich Blut und Schmutz von ihren Körpern wuschen. Zweitweise hörte man schmerzerfüllte Laute, wenn jemandem das Wasser in den offenen Hautstellen brannte.

Sasuke stellte sich unter die Dusche und liess sich das Wasser erst einmal über den Kopf laufen. Auch bei ihm brannte das Wasser an Armen und Rücken, jedoch war es auszuhalten. Er fragte sich, wie es Sakura ging. Der Anblick vorhin am Güterbahnhof hatte ihm gar nicht gefallen. Sie war voller Blut gewesen und ihn ihrem Gesicht war der reinste Schock zu sehen gewesen. Das Schlachtfeld war nicht der Ort, an dem sie sich seiner Meinung nach aufhalten sollte. Nicht, dass er an ihren Fähigkeiten zweifelte, aber es widersprach ihm einfach, sie dort draussen zu sehen.

Er wäre gerne im Kurama-HQ gewesen, damit er auf sie aufpassen konnte. Denn er hatte Shooters Wunden gesehen und aus reiner Erfahrung konnte er sagen, dass die Chancen für ihn ganz und gar nicht gut standen.

 

01:46 Uhr, Kurama-HQ
 

Sakura war in eine Art Halbschlaf gefallen und erwachte erst, als sich um sie herum etwas tat. In ihrem Kopf drehten sich aber die Gedanken weiter. Hatte Hinata deshalb vorgeschlagen, den Van zu verlassen? Es war gut möglich, dass sie sich zweitweise per Handy mit den Riots abgesprochen hatte. Und nur dank Hinata waren sie am Güterbahnhof noch einmal davongekommen. Genius hatte vorhin ganz richtig gesagt, wahrscheinlich ist es ihre letzte Option gewesen, Hinata erstens als Schutzschild und zweitens als Verwirrung zu brauchen.

In diesem Moment hörte sie die Türen des Krankentrakts aufgehen und als sie den Kopf hob, erblickte sie Shizune, Tsunade und noch ein weiterer Arzt, abgekämpft und fertig. Ihre Gesichter verhiessen nichts Gutes. Shizune wischte sich mit der Hand über die Stirn.

«Er hat es nie bereut, ein Kurama geworden zu sein und sagt Danke für alles.», sagte Shizune, die sich Mühe geben musste, damit ihre Stimme nicht versagte. «Und, dass Hinata nicht schuld ist, das wollte er noch klarstellen… Kankuro Sabakuno kommt nicht mehr zurück. Aber er sagte, er wird mit Bier und mit der neusten Playstation auf uns warten. Wo auch immer das sein mag...»

Mit diesen Worten verschwand sie um die Ecke, den Tränen nahe.

Sakura fühlte sich, wie wenn jemand ein Dolch in ihr Herz rammen würde und sie wusste in diesem Moment, dass es jedem anderen hier genau gleich erging. Im Raum wurde es laut. Die Wut bahnte sich ihren Weg an die Oberfläche und musste nun raus. Einige weinten, andere zerstörten vor lauter Zorn Gegenstände, wieder andere verliessen den Raum.

Sakura vergrub ihren Kopf in Sasukes Pullover.

Warum? Warum zerfiel plötzlich alles in Scherben?
 


 

 

Nicht die dunkelste Nacht

Es war halb Vier Uhr morgens, als Kibas Motorrad vor dem Wohnblock hielt und das, nach einer guten halben Stunde Fahrt durch das nächtliche Konoha, wo immer noch Polizeisirenen zu hören gewesen waren.

Langsam lies Sakura sich auf den Boden hinunterrutschen. Ihr ganzer Körper fühlte sich schwach und seltsam an, so als ob sie nicht das volle Empfindungsvermögen in ihren Gliedern hätte.

«Danke», murmelte sie. Für sie war es schwierig, Kiba überhaupt anzusehen. Ungefähr so schwierig, wie jedem anderen Kurama ins Gesicht schauen zu können, ohne dabei die Nerven zu verlieren.

«Keine Ursache, Cherry… aber bist du denn okay? So alleine in der Wohnung?», fragte dieser. Seine Stimme war gedämpft. Von der sonst vorherrschenden Selbstsicherheit war nichts zu hören.

«Ja… ich halte das im HQ nicht aus…ich kann bei all dieser Wut und Trauer gar nicht denken…»

Er nickte. «Alles klar. Aber ruf an, wenn du was brauchst, okay?»

«Das werde ich machen. Danke, Kiba.»

Langsam umarmte sie ihn. Das reichte schon, um ihre Gefühle erneut aufschäumen zu lassen. Ihr kamen die Tränen, die sie mit aller Kraft zu unterdrücken versuchte. Er drückte sie ganz behutsam an sich. Sie waren eine Familie und würden aufeinander aufpassen.

«Wir kriegen das irgendwie hin, Cherry. Ich weiss noch nicht genau wie, aber wir kriegen das hin. Besonders jetzt müssen wir den Jaguaren den Gar ausmachen. Und das werden wir.»

Er klang zwar nicht halb so überzeugend, wie es sonst der Fall gewesen wäre, aber es tat gut, ihn das sagen zu hören. Aber was, wenn es beim nächsten Mal ihn erwischte? Oder Naruto? Sai? Tenten?

Sie konnte sich die Gang ohne Kankuro gar nicht vorstellen. Wie sollte das werden, wenn noch jemand anderes gehen musste?

Einige Minuten später verabschiedete sich Sakura von Kiba und ermahnte ihn noch, vorsichtig zu fahren. Er fuhr erst weg, als sie sich im Inneren des Blocks befand. Oben angekommen schaffte sie es kaum, den Schlüssel ins Schloss zu stecken, so wenig Kontrolle hatte sie über ihren Körper.

Die Wohnung war dunkel und verlassen, eine Atmosphäre, in die sie nur zu gut hineinpasste. Sie verzichtete darauf, Licht zu machen. Sie wollte in dieser Dunkelheit eingehüllt bleiben, hier konnte sie sich verstecken. Verstecken von all den schlimmen Dingen, die in dieser Stadt geschahen.

Im HQ hatte sie ja bereits geduscht, deshalb verschwand sie nur noch schnell im Bad, um ihre Zähne zu putzen. Hier brauchte sie nun wohl oder übel etwas Licht, jedoch liess sie es nur so lange an, bis sie sich im Spiegel sah. Die verquollenen Augen, die blasse Haut, das zerzauste Haar. Mit Mühe und Not konnte sie wenigstens ihre Haare etwas bändigen, aber eigentlich war es ihr egal. Licht aus und das Spiegelbild war weg. So leicht war das.

Fast so leicht wie für einen Riot den Abzug seiner Pistole zu drücken.

In ihrem Zimmer erwartete sie ihr Bett, jedoch hatte es heute nicht die tröstliche Wirkung, die sie sonst so sehr schätzte. Sakura schnappte sich ihren Teddy und drückte ihn an sich, aber auch er gab ihr nicht den Halt, den sie gerne gehabt hätte.

Wenn es ihr so ging, wie musste es dann Temari und Gaara erst ergehen? Die drei Geschwister waren ihr Leben lang immer zusammen gewesen, nichts hatte sie trennen können. Und ab heute waren sie nur noch zwei. Es ging ihnen genau so, wie es Sasuke ergangen war und auch heute immer noch erging.

Für Sakura war es einfach nicht greifbar. In ihrer Zeit als Inner-Kurama, war nie jemand aus dem engsten Kreis gestorben. Ihre Zeiten waren allzu friedlich gewesen, bis dieser verfluchte Krieg alles verändert hatte. Und wenn sie es sich so genauer durch den Kopf gehen liess, dann wurde ihr etwas bewusst: Sie war damals mitunter ein Auslöser für den Krieg gewesen. Das mit Sasuke und ihr hatte den ohnehin schon aktiven Vulkan des Taka-Kurama-Streits ausbrechen lassen. Wenn sie nicht gewesen wären, dann wäre vielleicht alles anders gelaufen…

Die Last erdrückte sie. Und dann noch das mit Hinata. Warum hatte sie es nicht bemerkt? Die Anzeichen waren da gewesen, doch zu abwegig war der blosse Gedanke daran, dass Hinata die Gang verraten würde. Sie war so selten im HQ gewesen und hatte abwesend gewirkt. Und das schon so lange. Wie hatte es nur so weit kommen können? Alles war gut gewesen, bevor dieser verfluchte Krieg angefangen hatte.

Sakura wusste, dass das eine Übertreibung war. Zu gut erinnerte sie sich an die Zeit im letzten Jahr, in der sie sich einsam und alleine gefühlt hatte. So als ob sie nirgendwo hingehören würde. Aber rückblickend sah man die Dinge oft weniger schlimm. Und ja, im Vergleich zu der derzeitigen Situation waren die Vorkriegszeiten einfacher gewesen. Da hatten wenigstens all ihre Freunde noch gelebt.

Sakura hielt es in ihrem Bett kaum aus. Sie konnte sich einfach nicht beruhigen und müde fühlte sie sich nicht im Geringsten. Ihr Herz war so schwer und ihre Gedanken kreisten um Kankuro und all das, was sie gemeinsam erlebt hatten. Gerade letzte Weihnachten hatte er noch wie ein Verrückter mit Ino im HQ herumgetanzt. Der blosse Gedanke führte dazu, dass sich ihr ganzer Körper verkrampfte.

Tsunade hatte Sakura im HQ tausendmal gesagt, dass sie für Kankuro am Güterbahnhof nicht mehr hätte tun können, aber Sakura wollte ihr das nicht so recht glauben. Vielleicht hätte es irgendeinen Weg gegeben, ihn zu retten, jedoch war sie die falsche Person dafür gewesen. Sakura gab sich nicht die Schuld für Kankuros Tod, aber die gesamte Situation hinterliess in ihr Selbstzweifel und eine Heidenwut auf sich selbst.

Ihre Tante hatte ein schlechtes Gewissen gehabt, dass sie Sakura nicht nach Hause begleiten hatte können, aber für Sakura war das in Ordnung. Tsunade wurde im HQ noch gebraucht und zudem hatten sie sowieso mindestens eine halbe Stunde lang zusammen gesprochen, respektive geweint. Und wie bereits erwähnt, alleine zu sein war für sie im Moment wirklich okay. Wahrscheinich sogar das Beste.

Nach geraumer Zeit gab Sakura auf. Sie konnte jetzt nicht schlafen, also setzte sie sich mit einer Tasse Tee vor den Fernseher. Das hätte sie auch genauso gut sein lassen können, denn sie bekam kaum etwas vom Programm mit. Um vier Uhr morgens lief sowieso nur Blödsinn.

Genervt schaltete sie den Fernseher wieder aus, denn alles, was sie davon hatte, war ein nerviges Hintergrundgeräusch, das sie nicht im Mindesten beruhigte. Also setzte sie sich auf den kleinen Balkon an den verwitterten Tisch.

In Konoha war es nie still. Auch jetzt vernahm sie von der Hauptstrasse her das Geräusch von Autos und Stimmen, die vermutlich Betrunkenen gehörten. Es ging ein leichter Wind und die Luft war für Konohas Verhältnisse erstaunlich frisch. Es waren Sinneswahrnehmungen, die sie der Realität auf sanfte Weise näherbrachten, jedoch trotzdem die Ereignisse dieser Nacht irgendwie verschwimmen liessen. Vielleicht war es normal, dass die menschliche Psyche das bei einer Überbelastung machte?

Sie kam nicht mehr dazu, noch weiter über diese Möglichkeit nachzudenken, denn sie hörte, wie unten ein Motorrad vorbeifuhr, um die Ecke bog und dann der Motor verstummte. Eine Person hatte vor ihrem Block gehalten. Natürlich, Tausende von Menschen fuhren mit einem Motorrad durch die Gegend, aber nicht um vier Uhr nachts. Sakura lief in ihr Zimmer, um aus dem Fenster auf den Eingang hinunterspähen zu können und sie brauchte nicht zweimal hinzusehen.

In ihrem Herz regte sich etwas Seltsames. Sie fühlte eine enorme Erleichterung, ihn hier zu wissen. Als ob sie seit Stunden auf ihn gewartet hätte und er nun endlich da war. Sie wollte jedoch nicht zu übereifrig sein und die Kontrolle über sich wahren. Deshalb stürzte sie nicht sofort zur Tür sondern wartete, bis es klopfte. Er benutzte die Klingel vermutlich nicht, weil er sie nicht wecken wollte. Möglicherweise wäre er wieder gegangen, wenn sie bereits geschlafen hätte.

Aber Sasuke war kein gefühlloser Klotz, im Gegenteil. Er hatte feine Antennen und konnte seine Mitmenschen gut einschätzen, so auch sie. Und als sie dann den Schlüssel im Schloss drehte, die Tür öffnete und ihn vor sich erblickte, war es vorbei mit ihrer Kontrolle. Ihn zu sehen liess ihre Gefühle wie ein Sturm über sie hinwegfegen. Schnell fand sie sich in einen Armen wieder, während sie vor lauter Verzweiflung über den Verlust ihres Freundes in sein T-Shirt weinte. Sie war so froh, dass er gekommen war.

Für Sasuke erübrigte sich die Frage nach Kankuros Zustand. Er streichelte ihr übers Haar, schob sie dann aber ganz sachte in die Wohnung hinein, damit sie keine Nachbarn störten.

Gerade als Sakura dachte, sie hätte sich wieder gefasst, wollte sie ihm in die Augen schauen, doch da kam es erneut über sie. Es schüttelte sie regelrecht vor lauter Schluchzen. Schon lange hatte sie nicht mehr auf diese Weise geweint.

Er ertrug es geduldig, drückte sie fest an sich und legte seinen Kopf auf ihr Haar.

Irgendwann war sie zu erschöpft, um noch weiter zu weinen. Zudem musste er sie langsam für ein riesiges Weichei halten. Als sein Bruder gestorben war, hatte er in ihrer Anwesenheit kein einziges Mal geweint. Jemand wie er weinte nicht - das wollte er jedenfalls alle glauben lassen.

Sie traute sich kaum, ihm ins Gesicht zu sehen, mit diesen verquollenen Augen und den knallroten Wangen. Vielleicht sollte sie ihn mal fragen, woher er überhaupt gewusst hatte, dass sie hier war.

«Warum bist du hierhergekommen? Solltest du nicht bei deinen Leuten sein?», fragte sie in sein T-Shirt hinein.

«Im HQ kann ich momentan nichts tun. Wenn ich nicht hier wäre, würde ich schlafen. Und da ich nicht wusste, wo du bist, bin ich zuerst einmal hierhergekommen. Auf gut Glück. Und ich hatte Glück.»

«Du hättest auch in Tsunade reinlaufen können.»

«Ich war ziemlich sicher, dass deine Tante noch im HQ geblieben ist.»

«Ach so.» Er war also um vier Uhr morgens hier rausgefahren, nur für den Fall, dass sie vielleicht in der Wohnung sein könnte? Das war verrückt. Aber Sakura wurde warm ums Herz. Manchmal konnte sie nicht so recht glauben, dass sie ihm so wichtig war.

«Danke», murmelte sie.

«Nichts zu danken», antwortete er gedämpft.

 

«Verschwinde, Ino», brummte Naruto, als Ino vorsichtig den Kopf zur Hintertür des HQs hinaussteckte. Gerade war er dabei gewesen, Kieselsteine in den dunklen Fluten des Flusses zu versenken, während er nachdachte.

«Musst mich nicht gleich so anschnauzen», sagte sie leise und liess sich nicht irritieren. «Ich wollte nur fragen, ob du etwas brauchst.»

Naruto warf den nächsten Stein. «Nein danke. Und sorry.»

«Schon okay», flüsterte Ino und schloss die Tür wieder hinter sich.

Er wusste selbst nicht, was gerade mit ihm los war. Er war wütend. Traurig. Genervt. Im Moment wollte er niemanden um sich herumhaben. Seit Wochen war Naruto nichts als im Stress und diese Nacht brachte das Fass definitiv zum Überlaufen. Er tat verdammt nochmal alles für diese Gang, wirklich alles. Damit es seinen Leuten gut ging. Und was bekam er dafür? Tote und Verräter. Es war nicht auszuhalten.

Unter einem wütenden Aufschrei warf er eine ganze Hand voll Kieselsteine, welche unter dem Geräusch vieler kleiner Platscher in der Dunkelheit verschwanden.

«Was schreist du denn hier so rum, Fox?»

Naruto hatte den kleinen Jungen nicht bemerkt, der plötzlich hinter ihm aufgetaucht war.

«Du bist ja auch noch da», brummte Naruto wenig erfreut. «Das wird ja immer besser! Zisch ab, Hosenscheisser!», blaffte der Leader nun. Womit hatte er das eigentlich verdient?

«Und warum?»

«Weil du nervst. Und das schon seit du dich in diesem HQ befindest.»

«Ach so. Na gut, dann nerv ich halt nicht mehr.» Konohamaru grinste frech.

Naruto knurrte verächtlich. «Glaub mir, das ist nicht möglich.»

«Ach ja richtig, es ist ja alles unmöglich.» Der Junge setzte sich neben Naruto, welcher das zwar nicht mochte, aber ihn ja schlecht wegschubsen konnte.

«Was redest du für ein Schwachsinn?»

Durch das schmutzige Fenster in der Hintertür fiel ein wenig Licht, sodass Naruto Konohamarus Grinsen sehen konnte.

«Weisst du, da draussen hörte man vor einiger Zeit viel über die Foxes. Man hielt etwas von ihnen, sagte, dass sie niemals aufgeben. Wenn sie verlieren, gewinnen sie wieder. Wenn man jemandem von ihnen etwas antut, kriegt man es in dreifacher Wucht zurück. Und wenn man ihnen etwas nimmt, dann holen sie es sich wieder.»

Naruto zog eine Augenbraue hoch. «Ach wie schön, danke für die Info. Und jetzt hau ab.»

Der Junge liess sich nicht beirren. «Und nun sitzt du da wie ein kleines Baby, dem man seinen Schnuller weggenommen hat.»

In Naruto stieg langsam aber sicher die Wut auf. Ein dahergelaufenes Kind verglich ihn hier gerade mit einem Säugling. Das durfte ja wohl nicht wahr sein.

«Wenn du nicht aufpasst, dann landest du gleich dort!», er wies verärgert mit einer ausholenden Handbewegung auf den Fluss.

«Als ob du das tun würdest», Konohamaru lachte spitzbübisch. «Aber egal. Was ich sagen will: Genius sagt, dass er nicht glaubt, dass die Dunkelhaarige freiwillig bei den Riots ist. Oder dass sie inzwischen einen Dachschaden hat, weil du sie nie beachtet hast.»

Gerade hatte Naruto zu einer abweisenden Antwort angesetzt, als er die Bedeutung von Konohamarus Worten begriff. «Bitte was hat er gesagt?»

«Du hast mich schon verstanden.» Nun warf auch der Junge einen Kieselstein ins Wasser.

«Warum sollte ich sie nicht beachtet haben?», fragte er nun ziemlich verwirrt.

Konohamaru fasste sich seufzend an die Stirn. «Mann, ehrlich. Ich bin gerade mal zwölf und kriege schon mehr mit als du. Das ist ja zum Heulen.»

Er wandte sich wieder an Naruto. «Glaubst du allen Ernstes, das Hinata einfach so, weil sie gerade Lust hatte die Fronten gewechselt hat?»

Naruto überlegte. Eigentlich nicht. Die ganze Sache war zu verworren. Die Aussagen der Riots hatten irgendwie nicht gepasst, jene von wegen, dass Hinata eine Outer-Kurama sei. Aber er hatte auch immer noch Hinatas Blick vor sich, wie sie vor dem Riot-Leader stand, entschlossen, ihn zu schützen. Wie die beiden Blicke getauscht hatten, die so verdammt eindeutig gewesen waren.

«Ich persönlich finde Mädchen ja nach wie vor doof», stellte der Junge klar. «Aber sie fand dich nicht doof, Big Fox. Im Gegenteil.»

Auch eine lange Leitung hatte irgendwann mal ein Ende, obwohl man es bei Naruto inzwischen wahrscheinlich nicht mehr für möglich gehalten hätte. Was lange währt, wird endlich gut. Und somit fiel der Groschen für Big Fox.

«Du meinst… Hinata…» In seinen Augen standen Fragen über Fragen. Er hatte sich nie über so etwas Gedanken gemacht. Es war ihm nie in den Sinn gekommen, da er eigentlich immerzu alles andere im Kopf hatte, als Mädchen.

«Exakt. Jeder weiss das hier, jeder. Nur du stehst auf dem Schlauch, wie lange will ich gar nicht wissen. Volltrottel. Hinata ist eine Kurama. Und egal, warum sie dazu gebracht wurde, bei diesen Riots mitzumachen, die Kuramas können sie wiederkriegen. Aber dazu musst du es wollen, du Waschlappen.»

Konohamarus spitze Zunge kratzte ihn jetzt nicht mehr. In seinem Kopf herrschte Chaos. Es gab aber etwas, das er wusste: Er würde sich von diesen verdammten Jaguaren nicht einfach seine Leute stehlen lassen. Gerade eben noch war er kurz davor gewesen, seine früheren Ideale hinter sich zu lassen. Ein Mitglied einfach aufzugeben, ohne sich dabei auch nur im Ansatz etwas dabei zu denken. Dabei gehörte es zu den Kuramas dazu, einander zu helfen, egal ob dieser jemand überhaupt wusste, dass er Hilfe brauchte. Und Hinata brauchte sie, denn ob freiwillig oder nicht, die Riots waren verdammt gefährlich. Diese verfluchten Jaguare spielten mit seinem Kopf, aber das konnten sie von jetzt an vergessen. Er würde sich nicht zwei Freunde in einer Nacht nehmen lassen.

«Wir holen uns wieder, was uns gehört…», murmelte er.

«Na also.» Konohamaru gab ein genervtes Stöhnen von sich. «Ich wäre ein tausendmal besserer Leader als du, ganz ehrlich.»

 

Sakura erwachte durch das Geräusch eines vibrierenden Handys. Verschlafen öffnete sie die Augen und versuchte, sich zu orientieren, als sie neben sich bereits eine Bewegung vernahm.

«Es ist deins», sagte Sasuke, genauso schlaftrunken wie sie. Er beugte sich über sie, und fischte ihr Smartphone vom Nachttisch, um es ihr dann in die Hand zu drücken.

«Hallo?», gähnte sie in den Hörer hinein, als sie Tsunades Namen auf dem Display gesehen hatte.

«Sakura, alles klar bei dir?», vernahm sie die besorgte Stimme ihrer Tante am anderen Ende des Hörers.

«Ja und bei euch?»

«Tja, wir haben die Nacht rumgebracht.» Tsunade klang müde, wahrscheinlich war sie bisher noch nicht im Bett gewesen. «Ich wollte dir nur sagen, dass ich mich jetzt gleich im HQ aufs Ohr hauen werde, wenn es okay für dich ist. Aber ich möchte es vermeiden, so Auto zu fahren.»

«Natürlich, ich komm gut klar. Wann bist du etwa zu Hause?»

Tsunade überlegte kurz. «Wird wahrscheinlich später Nachmittag. Jiraiya kommt noch im HQ vorbei wegen… ein paar organisatorischen Dingen.»

«Alles klar.» Sakura konnte sich schon denken, was es im HQ jetzt zu organisieren gab. Ihr wurde schon vom reinen Gedanken daran flau im Magen.

«Dann bis bald. Halt die Ohren steif, Mäuschen.» Es klickte in der Leitung.

Sakura legte das Handy wieder auf den Nachttisch und vergrub daraufhin ihr Gesicht in der Bettdecke. Eigentlich wollte sie gar nicht wach werden.

Sie fühlte ein sanftes Streicheln in ihrem Haar. Er war da. Das war schon mal ein Pro-Argument fürs Wachwerden.

«Heisst das, ich muss nicht gleich fluchtartig das Weite suchen?», fragte er, um die Situation ein wenig aufzulockern.

Sie nickte und lächelte so gut sie konnte. «Genau das heisst es.»

Eine Weile blieben sie noch liegen, ganz nahe beieinander, die Strapazen der letzten Nacht waren immer noch in all ihren Gliedern zu spüren. Sie hörte, wie dicke Regentropfen an ihre Scheibe trommelten. Regen untermalte ihre Stimmung perfekt.

Als sie sich umdrehte, um einen Blick auf das Ziffernblatt ihres Weckers zu erhaschen, der halb zwölf zeigte, fiel ihre Aufmerksamkeit auf ihren Schreibtisch, wo sich schon fast aufdringlich ein Stapel Bücher türmte. Wie hatte sie das auch vergessen können? In einer Woche würde die Schule wieder beginnen und dann waren die Abschlussprüfungen quasi um die Ecke!

Wie von der Tarantel gestochen fuhr sie hoch. Sasuke neben ihr machte die Augen auf und sah sie ziemlich verwundert an. «Was ist los?»

«Scheisse… scheisse, scheisse, scheisse!»

«Sorry, dass ich nachfragen muss, aber was ist los?»

«Schule», sagte Sakura und starrte an die Wand ihr gegenüber. «Diese verfluchte Schule. In einer Woche habe ich drei Prüfungen und muss meine Arbeit über den monohybriden Erbgang in Bio abgeben. Das habe ich voll vergessen…»

Sie liess sich kraftlos zurück ins Bett fallen und verkroch sich abermals unter ihrer Bettdecke. «Ich werde auswandern…», flüsterte sie. «Und danach auf den Mars fliegen und ein neues Leben beginnen.»

«Wann geht’s los?»

Sakura seufzte. «Gar nicht. Bleibe doch lieber unter der Decke.»

Jetzt musste er lachen. «Na dann.»

Sie spürte, wie er sich neben ihr erhob und hörte dann gedämpft, wie er das Zimmer verliess. Es war schon verrückt, wie schnell ihre Selbstzweifel wieder Besitz von ihr nahmen. Hatte sie ihn genervt? Hatte sie sich gerade wie ein kleines Kind aufgeführt?

Vorsichtig lugte sie unter der Decke hervor, doch er war nirgendwo mehr zu sehen. Da sie unter der Decke nichts gehört hatte, wusste sie auch nicht, wohin er gegangen war.

Nein, Sakura. Aufhören. Vielleicht war er nur einmal zur Toilette gegangen. Oder stand auf dem Balkon und rauchte, wobei ihr Letzteres nicht besonders gefiel.

Nun, ihr blieb nichts anderes übrig als aufzustehen um nachzusehen. Als sie aus dem Zimmer trat, erblickte sie ihn auf den Balkon stehend, aber es sah nicht aus, als würde er rauchen. Warum war er weggegangen?

Mit einem flauen Gefühl im Magen ging sie zur Balkontür. «Warum bist du weggelaufen?»

Er sagte zu ihrer Verärgerung nichts, weshalb sie nun etwas energischer neben ihn trat.

«Ich hab dich was gefragt!»

Erst jetzt sah sie, dass er sich das Lachen verkneifen musste und da wurde ihr klar, was er damit bezweckt hatte. Sie war aufgestanden. Gerade jetzt hätte sie sich dafür ohrfeigen können, dass sie wieder gezweifelt hatte. Wenn ihm nichts an ihr liegen würde, wäre er wohl kaum mitten in der Nacht hier rausgefahren.

«Macht es dir eigentlich Spass, mich zu verarschen?», fragte sie und musste nun auch Kichern.

Jetzt lachte er richtig. «Allerdings.»

Sakura seufzte erneut. «Das ist eigentlich nicht witzig. Aber du hast recht, du hast mich aus dem Bett gekriegt. Hast gewonnen.»

Sasuke begutachtete nachdenklich die «Aussicht» die der Balkon bot, die bis auf eine Reihe anderer Blocks und eine Strasse nicht gerade viel hergab.

«Nicht gerade der Bringer, was?», sagte sie mit einem zynischen Hauch.

«Ich finde es grossartig», sagte Sasuke zu ihrer Überraschung. «Das ist doch besser, als gar keine Aussicht.»

Wenn sie so darüber nachdachte, dann hatte er eigentlich Recht. Er selbst lebte im Anbau einer ehemaligen Autowerkstatt, von seinem Fenster aus war nicht viel zu sehen.

Sie wusste nicht warum, aber beim Gedanken an HQs fiel ihr Kankuro wieder ein. Und Hinata. Der Hausaufgaben-Schock hatte sie ein wenig von der letzten Nacht abgelenkt, aber jetzt fiel ihr alles wieder ein.

«Ich geh dann man Kaffee machen», flüsterte sie, damit er ihre Traurigkeit nicht sehen konnte. In der Küche fand sie in der Spüle eine gebrauchte Kaffeetasse, die sie gleich in den Geschirrspüler einräumte. Ansonsten war die Küche erstaunlich gut aufgeräumt.

Sie warf die Kaffeemaschine an, die ihr sogleich anzeigte, dass der Kaffeesatz geleert werden musste. Tsunade hatte wohl wie eine Wilde Kaffee getrunken, damit sie diese Nacht überstehen konnte.

Genervt nahm sie die Schublade raus und schmiss den Kaffeesatz in den Kompostbehälter unter der Spüle. Doch als sie die Schublade wieder am richtigen Ort versorgt hatte, blinkte diese verfluchte Maschine erneut auf. Wasser auffüllen. Sakura gab ein wütendes Knurren von sich, das durfte doch nicht wahr sein. Es war so banal, aber irgendwie machte es sie so verdammt sauer. So sauer wie die Riots sie machten. Und Hinata. Und ihre verfluchten Prüfungen!

Ihre Nerven lagen blank. Und als sie dann noch eine hellblaue Tasse entglitt, die sie aus einem der Küchenschränke nehmen wollte, und auf dem Boden zersprang, war es aus mit ihrer Selbstbeherrschung.

Ihr schossen die Tränen in die Augen, ehe sie auch nur darüber nachdenken konnte. Gerade, als sie auf die Knie sinken wollte, um die Scherben aufzuheben, spürte sie zwei warme Arme um sich, was dazu führte, dass sie das Schluchzen nicht mehr länger zurückhalten konnte. Sie krallte ihre Finger in seine Arme, als sie seinen Atem an ihrem Ohr spürte.

Himmel, er sollte sie jetzt nicht trösten. Er hatte selbst Verluste in seiner Gang zu beklagen und gewiss genug eigene Dinge, mit denen er fertig werden musste.

«Ich will, dass es aufhört», stiess sie zwischen zwei Schluchzern hervor. «Der ganze Mist mit diesem Krieg und den Gangstreitereien. Dass kann doch einfach nicht sein. Ich will endlich, dass alles normal wird, dass wir einfach unser Leben geniessen können, so gut es uns nun mal möglich ist!»

Sie drehte sich zu ihm um und sah ihm in die Augen. «Bin ich eigentlich die Einzige, die langsam aber sicher die Nase voll von diesem Scheiss hat? Ich meine nicht nur von den Riots, sondern allgemein von diesen Gangdifferenzen?»

Sasuke sah sie mit einem Blick an, der schwer zu deuten war. Er sah nachdenklich aus, jedoch schien er ihre Ansicht nicht wirklich zu teilen.

«Bestimmt nicht. Aber weisst du, Sakura, du hast das Privileg, dir das wirklich wünschen zu können. Aber wir Takas und auch deine Kurama-Freunde, kannten es nie anders. Gangs sind unser Leben. Wir sehen keine Alternativen. Hätten wir in der Schule Eltern gehabt, die uns gefördert hätten, dann hätten wir vielleicht auch die Chance gekriegt, aufs College zu gehen. Nehmen wir mich als Beispiel: Ich war zu schlecht. Erstens, weil ich niemand gehabt habe, der mir geholfen hat und zweitens, weil mir nie jemand ausser den Lehrern gesagt hat, wie wichtig die Schule ist. Und drittens weil ich wahrscheinlich allgemein nicht intelligent genug war, keine Ahnung. Aber glaubst du echt, dass alle Gangmitglieder so schlecht in der Schule waren? Wenn sie die Schule überhaupt besucht haben? Ist ja bei vielen nicht einmal der Fall.»

Seine Augen verengten sich ein wenig. «Man hat uns nie wirklich auf den richtigen Weg geführt und dabei hat sowieso der Nachdruck gefehlt, der bei Kindern und Teenagern notwendig gewesen wäre. Und jetzt haben wir keine Alternativen. Wir müssen nehmen, was wir kriegen und das sind die Gangs, die uns ein zu Hause bieten. Und Frieden in der Gangwelt ist so unrealistisch wie der Weltfrieden selbst. Damit musst du dich abfinden, Sakura.»

Seine Worte waren ernüchternd, auch wenn sie wusste, dass er recht hatte. Gerade schaffte er es, um einiges realistischer zu denken, als sie. Auf eine Art tat ihr weh, wie hoffnungslos er klang. Er schien keine besonderen Erwartungen mehr ans ein Leben haben und das gab ihr zu denken.

«Ich glaube immer noch, dass alles möglich sein kann, wenn man es nur versucht», flüsterte sie. «Und wenn’s nicht hinhaut hat man es wenigstens versucht.»

Sasuke wollte etwas erwidern, legte dann aber den Kopf schräg. «Ich mag das an dir.»

«Was?»

«Ach, nichts.»

Sie konnte sich schon denken, was er gemeint hatte, aber sie hakte nicht mehr weiter nach. Gemeinsam hoben sie die Scherben vom Boden auf, als sich Sakura wieder beruhigt hatte. Sasukes Worte gingen ihr nicht mehr aus dem Kopf.
 

Nachdem sie etwas gegessen und Kaffee getrunken hatten, kramte Sakura ihre Lehrbücher hervor. Zuerst suchte sie allerdings in ihrem Badezimmerschrank nach der Zahnbürste, die sie ihm vor langer Zeit einmal geliehen hatte, damit nicht nur sie sich ein wenig frischmachen konnte.

Sasuke hatte darauf bestanden, noch ein wenig hierzubleiben und fragte sie danach geduldig am Esstisch über Deutschland zur Zeit des Nationalsozialismus aus. Es war ein Thema, welches Sakura sehr interessierte und es ihr deshalb etwas leichter fiel, sich damit zu befassen. Zudem lenkte es sie von all dem Chaos ab.

«Das hat mich in der Schule immer am meisten interessiert. Einer der kränksten Parts in der Weltgeschichte», murmelte Sasuke als er gerade einen Text über den Holocaust las, während sie sich Notizen zu Deutschlands Aussenpolitik machte. Er kaute dabei nachdenklich auf seinem Bleistift herum, was Sakura ziemlich süss fand. Sie war überzeugt, dass Sasuke blitzgescheit war und in der Schule mit der richtigen Motivation und Unterstützung ein Ass gewesen wäre. Es fiel ihm leicht, sich Daten zu merken, Ereignisse zu beschreiben und Interpretationen anzustellen, etwas, womit sie wiederum Mühe hatte.

«Ich kann die Texte über Judendiskriminierung und -verfolgung fast nicht lesen», gestand Sakura. «Die blosse Vorstellung, dass das alles wirklich passiert ist, verstört mich einfach. Auch die ganzen Filme über Konzentrationslager verursachen bei mir Albträume.»

«Kann ich dir nicht verübeln. Menschen haben Abgründe, von denen wir oft kaum glauben können, dass es sie wirklich gibt. Die Leute, die für den Holocaust verantwortlich sind, dienen als eines von vielen erstklassigen Beispielen.»

Sakura nickte. Irgendwie klang das wie eine Art Feststellung. Sasuke kannte viele Abgründe von Menschen bereits.

«Im zweiten Weltkrieg spielten so viele Faktoren mit. Aber verzweifelte Menschen treffen falsche Entscheidungen. Das war nicht nur dort so. Am Ende will man immer nur selber überleben und das wenn möglich mit Komfort.»

Sakura war fasziniert von seiner Ausdrucksweise. Ihr Geschichtslehrer wäre vor Freude durch die Decke gegangen, da war sie sich sicher. Er wollte immerzu solche Interpretationen und Gedankengänge hören, was ihr selbst leider oft ziemlich schwerfiel.

«Lässt sich eigentlich ganz gut auf Konoha übertragen. Und auf die Gangs.»

Da hatte er recht. Im Endeffekt war es doch immer dasselbe. «Menschen können schlecht miteinander, dafür umso besser gegeneinander. Ist ja auch einfacher.»

«Und logischerweise nimmt man den einfacheren Weg», schloss sich Sakura seinem Gedankengang an. Menschen sind im Grunde genau wie Tiere auch, abgesehen davon, dass der Mensch ja eigentlich ein Tier ist. Ihre Prioritäten sind Überleben und das möglichst einfach.»

Er nickte mit einem leichten Grinsen im Gesicht, dass ihr Herz schneller schlagen liess. Sie lehnte sich ein wenig zu ihm hinüber, während sie auf ihrem Stuhl kniete und gab ihm einen Kuss auf die Wange. «Danke für deine Hilfe. Die Geschichtsklausur sollte ein Klacks werden, wenn wir so weitermachen.»

Sasuke drehte seinen Kopf zur Seite. Ihre Gesichter waren sich so nah, dass Sakura seine Wärme auf ihren Wangen spüren konnte. Es war verrückt, wie er es mit seiner blossen Anwesenheit schaffte, damit sie die Welt ums ich herum ausblenden konnte. Sie wünschte sich seine Nähe und nach alldem die Sicherheit und Geborgenheit, die er ihr geben konnte.

Ehe sie es sich versah, hatte sie ihn auf den Mund geküsst. Sie tat das sowieso viel zu wenig, aber irgendwie hatte sie Angst, dass es sich plötzlich vielleicht nicht mehr so atemberaubend anfühlen würde, wenn sie es dauernd tat.

Er schien absolut nichts dagegen einzuwenden zu haben. Sachte erwiderte er ihren Kuss, doch bald schon wurde er intensiver. Sie spürte seine Hände auf ihren Oberschenkeln und bemerkte, dass auch von ihm ein gewisses Verlangen ausging. Wann hatte er zuletzt… ja, wann hatte er zuletzt richtigen Körperkontakt mit einem Mädchen gehabt? Und sie meinte damit den Körperkontakt, den sie ihm noch nie gegeben hatte.

Gerade, als sie weiterdenken wollte, übermannte sie die aufsteigende Hitze in ihrem Körper, als sie sich plötzlich auf seinem Schoss vorfand und ihre Finger in seinen dunklen, weichen Haaren vergrub. Er roch so verdammt gut, war so verdammt schön, fühlte sich so verdammt gut an.

Seine Hände waren unter ihr T-Shirt gewandert und strichen ihren Seiten entlang. Sakura fühlte, wie sich ihr Puls beschleunigte, wie sie es liebte, dass die ganze Welt um sie herum an Bedeutung verlor und nur noch er hier war.

Als seine Lippen an ihren Hals wanderten seufzte sie genüsslich während sie ihren Kopf an seinen legte. Sie konnte sich kaum halten. Er war so wunderschön und sie wollte ihm noch näher sein.

Ihre Haut kribbelte, als seine Hände ihren Rücken hinaufwanderten und sie noch mehr an sich drückten. Sie spürte, wie er mit seiner Zunge über ihr Schlüsselbein fuhr und die Hühnerhaut sich über ihren Körper ausbreitete.

Doch in just dem Moment kamen etwas unangenehme Gedanken zurück. Wann hatte er zuletzt mit einem Mädchen geschlafen? Sie konnte sich nämlich kaum vorstellen, dass er seit letzten Sommer, als sie sich kennengelernt hatten, nie mehr ein Mädchen bei sich gehabt hatte. Oder etwa doch?

Als ob er ihr Zögern gespürt hätte, stoppte Sasuke augenblicklich. «Lass uns das verschieben. Du solltest lernen.»

Warum er das gesagt hatte wusste sie nicht. Es gab drei Möglichkeiten: Er wollte, dass sie tatsächlich lernte. Er wollte nicht, dass sie sich inmitten dieser Trauerphase so ihrem Verlangen hingab. Oder er hatte ihre Unsicherheit gespürt.

Letzteres war wohl oder übel das Wahrscheinlichste.
 

Sasuke verliess die Wohnung um halb vier Uhr nachmittags, denn sie wollten nicht riskieren, in Tsunade hineinzulaufen. Als er sie zum Abschied ganz fest umarmte und ihr einen Kuss auf die Stirn drückte, wurde sie richtig wehmütig. Nun würde sie wieder alleine in der Wohnung sein.

«Danke, dass du gekommen bist», hatte sie ihm zugeflüstert.

«Abgesehen davon, dass ich kommen wollte, bin ich dir noch ein paar Besuche schuldig», sagte er rau. Er sprach dabei von ihrem Aufenthalt im Taka-HQ, nach Itachist Tod. Sie winkte jedoch ab. «Ach was.»

Eigentlich wollte sie noch «Ich liebe dich» sagen, jedoch fürchtete sie sich vor seiner Reaktion. Er war nicht gerade als Ich-Liebe-Dich-Sager bekannt. Für sie genügte sein Kuss und seine Art, wie er sie behandelte. Er drückte sich lieber mit Taten, als mit Worten aus und Sakura schätzte das ungemein.

Dann fiel die Tür hinter ihm zu, Minuten später hörte sie seine Yamaha aufheulen und dann war er fort.

Und jetzt? Vor lauter Lernen hatte sie ganz vergessen, ihr Handy zu checken und darauf fand sie bereits eine Nachricht von Ino, die sie besorgt nach ihrem Wohlergehen fragte und wissen wollte, ob sie sich sehen könnten.

Sakura beschloss in diesem Moment, dass sie ins HQ gehen wollte. Es würde hart werden, aber sie konnte sich nicht vor diesen schrecklichen Tatsachen drücken. Am besten stellte sie sich ihnen gemeinsam mit ihren Freunden.

 

Ihr war mulmig zu Mute, als sie das HQ betrat. Was würde sie erwarten? Ein Haufen, am Boden zerstörter Freunde? Oder gar gähnende Leere?

Doch nichts von alldem war zu sehen. Im Gegenteil. Am Kopfende des grossen Tisches sass Naruto, zu seiner Rechten Shika, zu seiner Linken Sai. Mitten auf dem Tisch sass Konohamaru und sah aus, als wäre er in einem Element. Die anderen hatten sich auf den restlichen Stühlen verteilt und diskutierten angeregt. Was ihr sofort ins Auge stach, war eine schöne rote Kerze, die auf dem Tisch stand und zufrieden vor sich hin brannte. Wie wenn sie Kankuro ersetzen sollte.

Sie hielt Ausschau nach Gaara und Temari, jedoch waren die beiden nicht mit von der Partie. Verständlicherweise.

Die anderen waren derart in ihre Diskussion vertieft, dass sie Sakura gar nicht bemerkten. Gerade, als sie etwas sagen wollte, sah sie in ihrem Augenwinkel Ino, die in der Tür zum Gang stand und ihr zuwinkte. Sakura beschloss also, die Diskussion nicht zu unterbrechen und stattdessen ihrer Freundin Gesellschaft zu leisten. Die beiden fielen sich in die Arme und drückten sich zuerst einmal herzhaft. Das war schon lange fällig gewesen.

«Alles klar bei dir?», fragte ihre Freundin, die aber selbst nicht wirklich aussah, als wäre alles in bester Ordnung. Sie hatte dunkle Ringe unter den Augen, ihre Haare waren für einmal nicht wunderschön glattgebürstet und alles in allem wirkte sie blass.

«Soweit es klar sein kann», antwortete Sakura. «Du siehst nicht gut aus, Ino. Hast du überhaupt geschlafen?»

Ino schüttelte den Kopf. «Wenig bis gar nicht. In meinem Kopf hat’s nicht aufgehört, zu arbeiten.»

Sakura musste an ihre Mühen letzte Nacht denken, bevor Sasuke aufgetaucht war. Da war es ihr gleich ergangen.

«Es war eine harte Nacht», sagte Sakura leise und Ino nickte.

«Ich kann es immer noch nicht ganz fassen…»

«Geht mir genauso.» Sakura senkte den Blick. «Aber sag mal, was ist denn in unsere Leute gefahren? Letzte Nacht war die Stimmung aber noch ganz anders…»

Sie erinnerte sich an die vorherrschende Verzweiflung, an die Wut, die in der Luft gelegen hatte. An Naruto, der von der Bildfläche verschwunden war, nachdem Shizune diese schreckliche Botschaft überbracht hatte.

Ino sah selbst aus, als konnte sie nicht ganz nachvollziehen, was passiert war. «Kann ich dir auch nicht mit hundertprozentiger Sicherheit sagen. Letzte Nacht habe ich noch nach Naruto gesehen, der wie ein wilder Kieselsteine im Fluss versenkt hat. Er wollte aber nicht mit mir reden. Auf dem Gang ist mir noch Konohamaru begegnet, dann habe ich gehört, wie er zu Naruto gegangen ist, bin aber nicht mehr zurück. Und heute Nachmittag kommt Naruto in den Aufenthaltsraum, klatscht in die Hände und pfeift alle zusammen. Und jetzt sitzen sie hier seit ungefähr zwei Stunden und diskutieren. Ich weiss nicht, was der Kleine gemacht hat, aber er hat Narutos Kampfgeist wieder geweckt. Und die anderen sind natürlich sofort dabei. Ich glaube sie sind froh, eine Ablenkung zu haben.»

«Das sieht man.» Sakura war froh darüber. Ihre Freunde so eifrig und motiviert zu sehen war viel besser, als ein Häufchen Elend anzutreffen. «Ich frage mich nur, was dieser kleine Junge zu ihm gesagt hat.»

«Wüsste ich auch zu gern. Aber irgendwie glaube ich, dass Konohamaru weiss, welche Knöpfe man bei Naruto drücken muss. Der hat es faustdick hinter den Ohren. Weisst du noch, wie Naruto sich immer über ihn genervt hat? Die Tatsache, dass er inzwischen mitten im Geschehen sein darf, spricht ziemlich für ihn, wenn du mich fragst.» Ino nahm sie beim Handgelenk und zog sie zur Hintertür hinaus. Es war typisches Aprilwetter, es regnete sanft, der Himmel war wolkenverhangen und trotzdem kam und ging die Sonne im Fünfminutentakt. Die üblichen Stadtgeräusche erfüllten die Luft, trotz dem Fakt, dass heute Sonntag war. Aber für eine Stadt wie Konoha gab es keine ruhigen Sonntage.

«Tsunade ist übrigens noch schnell mit zu Shizune. Die wollten noch irgendwas wegen Kankuros…», sie holte tief Luft, «…Kankuros Beisetzung besprechen.

Ino liess sich auf dem Boden nieder, so dass sie schön unter dem Dach sassen.

Sakuras Herz zog sich schmerzhaft zusammen, doch Tränen wollten keine mehr kommen. Sie hatte in den vergangenen Stunden wohl zu viel geweint. Aber der Kloss in ihrem Hals fühlte sich so einengend an, dass ihr Tränen fast lieber gewesen wären.

«Sie wird dort wo immer stattfinden.»

Sakura hatte das bereits vermutet. Beerdigungen für Gangmitglieder war eine komplizierte Angelegenheit. In diesem Fall war es ein Glück, dass sie in Konoha lebten. Denn in Konoha waren Dinge möglich, die anderswo nicht umsetzbar wären. Es gab einen Friedhof mit Abdankungshalle im North, der seit Jahren von derselben Familie geführt wurde. Derzeit war es ein Rentnerpaar, herzensgute Menschen, deren Ziel es war, jedem Menschen die ewige Ruhe zu gewähren. Sie taten das aus gutem Willen und bekamen dafür auch finanzielle Mittel von der Stadtverwaltung. Denen war auch geholfen, wenn der «Abschaum» sauber aus dem Bild geschafft wurde.

 Die Familie tat das seit Generationen, die beiden Söhne des Ehepaars waren auch des Öfteren auf dem Friedhof anzutreffen, da sie ihre Eltern tatkräftig unterstützen. Und deshalb war dieser kleine Friedhof im North unter anderem der Friedhof von Gangmitgliedern, Strassenkindern und all den Menschen, denen die Stadt keinen Platz auf den regulären Friedhöfen gewähren wollte.

Auch Itachi war dort begraben. Das letzte Mal war sie an Weihnachten auf dem Friedhof gewesen.

«Hast du Tema und Gaara heute schon gesehen?»

Ino schüttelte den Kopf und wischte sich verstohlen eine Träne aus den Augen. «Tema hat geweint wie ich sie noch nie hab weinen sehen. Genaugenommen habe ich sie noch nie weinen sehen. Sie ist so taff, weisst du? Kankuro zu verlieren… das macht sie kaputt. Jetzt hat sie nur noch Gaara und ihre Oma…»

Es war unerträglich, sich das überhaupt vorzustellen. Sakura kam sich richtig egoistisch vor, wenn sie daran dachte, wie oft sie sich andere Eltern gewünscht hatte. Temari und Gaara hatten gar keine mehr, weil sie bei einem Schiffsunglück ums Leben gekommen waren.

«Und Gaara?», fragte sie mit erstickter Stimme, damit sie nicht vollends verzweifelte.

«Der hat nicht geweint. Aber er hat noch finsterer ausgesehen, als er es sowieso immer tut. Viel finsterer. Aber die beiden sin zu ihrer Oma gefahren.» Sie machte eine lange Pause. «Ich weiss nicht, wie das weitergehen soll… wie haben das die vergangenen Generationen geschafft? Wie haben die das verkraftet, dauernd ihre Freunde zu verlieren und dabei noch weiterzumachen?» Sie klang verzweifelt. Und plötzlich verfinsterte sich ihr Blick. «Und dann noch Hinata…»

Sakura nickte. «Was hältst du davon?»

«Ich kann es ihr ehrlichgesagt nicht wirklich glauben. Es passt einfach irgendwie nicht zusammen. Ich war zwar nicht da, aber die anderen haben mir die Situation ganz genau geschildert.»

«Hast du gewusst, dass die Riots sie für eine Outer-Kurama halten?»

Inos Augen wurden grösser. «Wie meinst du das?»

«Die wissen nicht, dass Hina eine Inner-Kurama ist.»

In diesem Moment sah sie etwas in Inos blauen Augen aufleuchten. Es sah aus, wie ein kleiner Schimmer voller Hoffnung. «Wenn das wahr ist… dann lügt sie die Riots an.»

«Richtig. Aber sosehr ich auch glauben will, dass Hinata nicht freiwillig bei denen mitmacht, möglicherweise verschweigt sie das ihnen wegen dem letzten bisschen Respekt, den sie für die Kuramas übrighat. Weisst du, so eine Art, Gnadenbrötchen. Im Sinne von, ich hasse euch nicht, gehöre aber auch nicht mehr zu euch.»

Ino sah resigniert aus, jedoch nickte sie nur akzeptierend. «Das kann es natürlich auch sein.»

«Trotzdem kann ich mir das alles nicht vorstellen. Selbst wenn sie nichts mehr von uns wissen will, aber sie würde sich doch nie in ihrem Leben von Naruto abwenden. Sie ist in ihn verknallt, seit sie Teil dieser Gang ist. Oder war.»

«Ich weiss. Keine Ahnung, was ich denken soll.»

In diesen Augenblick öffnete sich hinter ihnen die Tür und Konohamaru steckte seine Nase hinaus. «Also irgendwie hab ich jetzt ein Déjà-vu», murmelte er stirnrunzelnd und musterte dabei die Mädchen. Dann schüttelte er den Kopf. «Wie auch immer. Big Fox fragt nach euch.»

Ino und Sakura sahen sich an. Vielleicht würden sie jetzt erfahren, was Naruto von der ganzen Situation hielt.

Eine Stunde später sassen Ino und Sakura mit den anderen am Tisch und waren nun rege am mitdiskutieren. Naruto hatte ihnen die Situation und vor allem seinen Standpunkt geschildert. Sakura war so froh, dass er trotz der Demütigung und dem Verrat weiter um Hinata kämpfen wollte. Es waren zwar nicht ganz alle Feuer und Flamme von der Idee, viele waren noch gekränkt und vor allem nicht in der Lage, für Hinata auch nur ein bisschen Sympathie zu empfinden. Und das verstand jeder hier. Und Sakura verstand das vollkommen. Trotzdem, ihrer Meinung hatte Naruto vollkommen Recht, die Kuramas gaben nicht einfach so jemanden auf, schon gar nicht, wenn sie keine Ahnung von den genaueren Umständen hatten, die jemanden zu so etwas bewogen hatten.

Sakura musterte ihn bewundernd von der Seite. Er hätte allen Grund gehabt, das Handtuch zu werfen, niemand hätte ihm das verübeln können. Aber das wäre nicht Naruto gewesen. Er hatte eine Art, seine Leute zu leiten, wie sie kein anderer hatte. Er schenkte auserwählten Menschen sein Vertrauen und hatten diese es einmal, dann würde er unermüdlich an sie glauben, egal, was passierte.

«Sakura und Ino», hatte er sie direkt angesprochen. «Wenn mich nicht alles täuscht, fängt nächsten Montag eure Schule wieder an oder?»

Die beiden hatten bestätigend genickt.

«Wenn Hinata dort auftaucht, konfrontiert sie direkt. Ich will wissen, wie sie reagiert.»

Die Mädchen waren einverstanden. Daran hatten sie noch gar nicht gedacht. Tatsächlich würden sich in der Schule gute Möglichkeiten bieten. Und dass Hinata dort aufkreuzen würde, war ziemlich sicher. Es fanden viele Klausuren und Vorbereitungslektionen für die Abschlussprüfungen statt und wenn sie nicht durchfallen wollte, dann würde sie anwesend sein.

Dieser Gedanke war für Sakura ein Hoffnungsschimmer. Sie würden Hinata wiedersehen und mit ihr sprechen. Vielleicht würde sie das weiterbringen.

 

Die folgende Woche verbrachten Ino und Sakura bei gemeinsamem Büffeln im HQ. Ino hatte genau wie sie mit Schrecken festgestellt, dass es für die Schule noch ziemlich viele Dinge zu erledigen gab. Aber gemeinsam war es leichter.

Von Sasuke hörte sie nicht mehr viel. Er selbst war damit beschäftigt, mögliche Strategien auszutüfteln, um die Riots noch einmal dranzukriegen. Jetzt, da sie keinen Maulwurf mehr hatten, sollte es etwas einfacher werden. Es gab nun weniger Angriffsfläche für die Riots.

Ab und zu erhielt Sakura eine SMS von ihm oder sie schrieb ihm, aber dabei blieb es. Sie vermisste ihn, aber ihr war auch bewusst, dass es für ihn im Moment andere Prioritäten gab. So wie in ihrem Leben derzeit auch die Schule Vorrang hatte.

Naruto nahm indes den Kontakt mit den Takas wieder auf, denn nach diesem Sieg wollte man den Riots nicht die Zeit lassen, um sich wieder zu erholen. Es galt jetzt, weiterzumachen. Leider waren die Riots keine Gang, die sich berechnen lies. Als sie am Mittwochabend im HQ am Tisch sassen und sich mit Biologie beschäftigten, während einige andere fernsahen, passierte es. Lee hatte den Lokalsender eingeschaltet, auf dem gerade die News liefen. Die Moderatorin hatte ein ernstes Gesicht aufgesetzt.

«Die Konoha Gangs sind ausser Kontrolle», sagt die brünette Frau mit schönem Gesicht. «So bezeichnete der Bürgermeister die Situation treffend. Seit dem Eklat in der Nacht von Samstag auf Sonntag, bei denen das Mitwirken von mehr als nur zwei Gangs vermutet wird, ist die Lage eskaliert. Seit Samstag gab es vier bewaffnete Raubüberfälle auf Tankstellen und Supermärkte und zwei öffentliche Schiessereien, bei denen niemand zu Schaden kam. Die Polizei und Zeugen bestätigen, dass die Schiessereien auf Parkplätzen mit grösster Wahrscheinlichkeit nur zur Einschüchterung der Zivilbevölkerung gedient haben, da es keine Verletzten gab. Man weiss nicht mit hundertprozentiger Wahrscheinlichkeit, von welcher Gang aus diese Aktionen kamen, jedoch liegt die Annahme nahe, dass es sich dabei um eine Gruppe namens «Jaguar Riot» handelt. Zeugen bestätigen, dass sich die Täter an mehreren Tatorten zu den Verbrechen bekannt haben.»

Ein schlecht gefilmter Clip wurde eingespielt, der wohl irgendjemand in der Hitze des Gefechts mit seinem Smartphone aufgenommen hatte. Es zeigte ein verschwommenes, wackliges Bild mit schlechter Tonqualität. Im Hintergrund waren Schüsse und Motorenlärm zu hören. Dann hörte sie die Stimme, die irgendwo aus dem Chaos hervordrang: «Die Jaguar Riots werden euch von heute an nicht mehr in Ruhe lassen! Die Stadt gehört uns!»

Dann endete der Clip abrupt.

«Szenen wie diese erschüttern die Stadtbevölkerung. Das Sicherheitsdepartement Konohas geht vom Schlimmsten aus und rät der Bevölkerung, die persönliche Sicherheit vor alles andere zu stellen. Nachts sollte man an sicheren Orten bleiben, tagsüber in belebten Gegenden unterwegs sein. Den Gangs sei alles zuzutrauen, denn es macht den Anschein, als wollten sie Konoha ihnen unterwerfen. Ihre Zahl zu schätzen ist schwierig, jedoch sind es derzeit mindesten über sechzig. Zudem erhalten die Jaguar Riots auch Zuspruch aus Reihen von Zivilisten, besonders von jüngeren Leuten.»

Es wurde wieder ein Clip eingeblendet, in dem Leute interviewt wurden. Die erste Person war ein Herr mittleren Alters, der ziemlich bedrückt aussah. «Ich war da, als die Schiesserei auf der Glade’s stattfand, mit meinen zwei Kindern und meiner Frau. Die Gangs sind eine zu grosse Gefahr für die Stadt, man sollte sofort Massnahmen ergreifen.»

Schnitt. Die nächste Person war eine ältere Dame. «Es macht uns wahnsinnig Angst. Diese jungen Menschen sind unberechenbar. Ich verstehe nicht, was ihnen angetan worden ist, dass sie uns so bestrafen wollen.»

Auf dem Bildschirm erschien nun ein junger Mann, etwa so alt wie sie. Er hatte Piercings an der Lippe und in den Ohren und trug zerrissene Kleidung. Sakura erkannte solche Menschen sofort: Er teilte vermutlich in irgendeiner Art und Weise das Schicksal der Gangleute. «Ich find’s gut, dass sie sich gegen diese Faschisten endlich mal wehren! Was können wir denn dafür, dass unsere Alten es nicht auf die Reihe gekriegt haben, uns ‘ne Zukunft zu geben?!»

Obwohl Sakura nicht auf der Seite der Riots stand, verstand Sakura den Mann. Denn er verstand die Beweggründe, die eine Gang hatte.

Doch dann wurde die letzte Person interviewt.

Es war eine Frau, etwas fünfzig, mit vor Wut rotem Kopf. «Es ist eine Frechheit, eine Schande, was sich diese Gangs erlauben und über all die Jahre erlaubt haben! Wegsperren sollte man sie, allesamt wegsperren. Haben nie eine Perspektive gehabt und werden auch nie eine haben!»

Dann wurde zurück ins Studio geschaltet. «Das Sicherheitsdepartement berät derzeit über die Situation. Sicher ist: Dieser Terror muss ein Ende haben. Die Gangaktivität muss untergraben werden. Weiteres berichten wir in den Spätnachrichten. Und damit sind wir am Ende dieser Sondersendung zum Thema der Gangproblematik in Konoha, weiter geht es mit…»

Lee hatte den Ausschaltknopf gerückt. Dann war es still. Viel zu still für die Anzahl Leute in diesem Raum. Alle starrten nur gebannt auf den schwarzen Bildschirm.

Sakura hörte nur ihren eigenen Puls in ihren Ohren hämmern. Die Muskeln in ihrer Brust verkrampften sich. Da waren Bewegungen im Gange. Eine Bewegung gegen die Regierung. Aber auch eine gegen die Gangs. Alle Gangs.

Erst nach einer gefühlten Ewigkeit stand Naruto auf. «Sakura gib mir dein Handy. Ich muss mit Demon sprechen. Sofort.»

 

Umbruch

Der Wind zerrte an diesem feuchten Aprilmorgen unerbittlich an den Baumkronen der Buchen, die den Pausenplatz des South Konoha Colleges säumten. Die Luft in ihren Lungen fühlte sich so rein an, dass jeder Atemzug eine Erfrischung war. Der wolkenverhangene Himmel wies auf weiteren Regen hin, jedoch hatte sie gerade Glück gehabt und für ihren Schulweg eine regenfreie Periode erwischt.

Vor dem Eingangstor standen einige Grüppchen von Schülern, die allesamt nach diesen Ferien wieder ihren Weg zurück in die Schule gefunden hatten. Schon von Weitem konnte sie Inos blonden Haarschopf neben der gläsernen Eingangstür ausmachen.

Nach einer kurzen Begrüssung begaben sich die Beiden in ihren Klassenraum, der heutige morgen würde leider Gottes mit Mathematik beginnen.

Miss Yuuhi sass bereits an ihrem Pult und beugte sich über einen Stapel Papier, vermutlich die Prüfungen, die sie kurz vor den Ferien noch abgelegt hatten. Es geschah zwar in einer gefühlten Millisekunde, jedoch entging Sakura nicht, wie der Blick der Lehrerin musternd auf die beiden Mädchen fiel.

Samstagnacht vor einer Woche war nach wie vor Hauptthema in den Medien. Sakura hatte nicht wirklich Zeit gehabt, sich damit herumzuschlagen, denn in der letzten Woche hatte ihr die Schule viel abverlangt.

Sakura setzte sich neben Ino an ihren gewohnten Platz am Fenster. Hinata war noch nicht da, das hatte sie bereits beim Eintreten ins Schulzimmer erkannt. Erst, als der Zeiger auf halb acht vorrückte, erschien Hinata im Türrahmen. Sie sah aus wie immer, als ob nichts geschehen wäre – mit dem Unterschied, dass sie ihnen keines Blickes würdigte und sich in die vorderste Reihe setzte, anstatt neben sie.

Es tat weh. Was um Himmels Willen hatte so einen Keil zwischen sie treiben können? Alles nur wegen diesen verfluchten Riots.

Die Stunde schien sich ewig in die Länge zu ziehen und an Mathematik war kaum zu denken. In den kleinen Pausen verschwand Hinata jedes Mal, bevor Ino oder Sakura sie zu fassen bekamen. Deshalb warteten sie, bis zur Mittagspause – dort würde sie ihnen nicht entwischen.

Natürlich versuchte sie es, doch Ino und Sakura nahmen sofort die Verfolgung auf. Schnellen Schrittes verliess Hinata das Schulgebäude durch den Haupteingang, wohlwissend, dass ihr jemand auf den Fersen war. Aber sie drehte sich nicht einmal um.

Kurz vor dem grossen Metalltor, holten sie Hinata ein.

«Hina!», rief Ino und versuchte mit aller Kraft ihre Verärgerung zu unterdrücken. «Jetzt halt doch mal an!»

In diesem Moment blieb Hinata stehen und drehte sich um. Ihr Blick jagte Sakura einen kalten Schauer über den Rücken: Eiskalt.

«Was?», fragte sie abweisend.

«Wir wollen doch nur mit dir reden.», versuchte Sakura es so versöhnlich wie möglich.

«Es gibt nichts zu bereden.» Sie machte einen Schritt vom Tor weg, sodass sie sich hinter einer der grossen Buchen befand. Das machte Sakura stutzig. Warum wollte sie nicht, dass man sie am Tor sehen könnte?

«Warum versteckst du dich?»

«Weil ich nicht mit euch gesehen werden will.», sagte sie ihnen ohne zu zögern direkt ins Gesicht.

«Warum denn das? Schmeisst dich dein Lover aus der Gang, wenn du mit uns redest?», fragte Ino provokativ und so sehr Sakura ihren Zorn verstehen konnte, wünschte sie sich, Ino wäre etwas gelassener. Zudem wussten sie ja gar nicht wirklich, wie sie zu dem Riot-Leader stand.

Sie hätte es nicht für möglich gehalten, aber auf diese Aussage hin verfinsterte sich Hinatas Blick noch einmal mehr.

«Red nicht von Dingen, von denen du nichts verstehst.» Der Wind strich durch ihr glattes, dunkles Haar, um welches Sakura sie immer so beneidet hatte. Wo war die süsse, unschuldige Hinata geblieben, dieses aufrichtige, liebe Mädchen?

«Tut uns leid Hinata», beschwichtigte Sakura. «Eigentlich wollen wir dir nur sagen, dass wir dich vermissen. Wir wüssten halt nur gerne, warum du die Fronten gewechselt hast. Ist es wegen uns? Oder Naruto?»

Sie hoffte, wenigstens ein schwaches Aufleuchten in Hinatas Blick zu erkennen, wenn Narutos Namen aussprach, doch da war nichts. «Ich sag euch jetzt mal was und das ist alles, was ich euch noch sagen werde: Ich bin bei den Riots, weil ich es will. Es kann euch vollkommen egal sein, warum, aber ich mache das freiwillig. In jederlei Hinsicht. Und noch was: Ich vermisse euch nicht im Geringsten. Keinen von euch. Im Gegenteil.»

Ihre Worte waren Schläge ins Gesicht. Hart, unerbittliche Schläge. Was um Himmels Willen hatten sie falsch gemacht?

Hinata drehte sich um und wollte schon davongehen, als Ino noch einmal ansetzte. «Ach und warum hast du den Riots dann nicht gesagt, dass du eine Inner-Kurama bist?»

Urplötzlich hielt sie inne. So, als müsste sie kurz nachdenken, was sie antworten sollte. «Ich will euch nicht kaputt machen. Ich tue nur das, was ich tun muss.»

«Damit dich deine Riot-Freunde mögen?! Bullshit!», fauchte Ino. «Zudem hast du schon reichlich Kaputt-Mach-Arbeit geleistet, indem du ihnen Infos gesteckt hast! Und Kankuro verraten hast!»

Das war hart von Ino, aber Sakura konnte ihre Wut nachvollziehen. Auch sie wollte einfach nicht verstehen, was in Hinata gefahren war. Obwohl Kankuro noch gesagt hatte, dass Hinata keine Schuld trug, so wäre das vermutlich ohne sie nicht passiert. Der Gedanke war schrecklich, aber wahr.

«Ich habe nichts mehr mit euch zu tun.», sagte Hinata ohne sich noch einmal umzudrehen und verschwand durch das Tor.

Ino zitterte vor Wut. Die Beiden waren verletzt, wütend und zugleich traurig. Immer nur eine Frage kreiste in ihren Köpfen: Warum?

 

Die Beisetzung fand noch an diesem Montagabend statt und war für Sakura kaum auszuhalten. Der alte Mr. Watanabe schaffte es immer wieder, wunderbar mitfühlende und aufbauende Reden zu halten, zu Leuten, die er selber allesamt nur flüchtig gekannt hatte, war beeindruckend. Für ihn waren auch Gangmitglieder gleichwertige Menschen, die ein Recht darauf hatten, dass man ihre Existenz feierte und ihre Verluste betrauerte. Ganz im Gegensatz zum Rest der Bevölkerung in Konoha und vermutlich der ganzen Welt.

Letzten Samstag waren die drei Outers beigesetzt worden, die ebenfalls gefallen waren. Schon da hatte Sakura es kaum ausgehalten. Aber jetzt bei Kankuro war es noch einmal anders. Sie hatte ihm näher gestanden.

Sakura weinte an diesem Abend fast durchgehend. Sie alle versuchten, einander gegenseitig Halt zu geben, besonders Temari und Gaara, wobei Gaara eher abweisend und kühl war, doch das nahm ihm niemand übel. Er war noch nie ein grosser Freund von Körperkontakt und Mitleid gewesen.

Auch die Grossmutter der drei war da, Chiyo, die die Trauerfeier auch mitgeplant hatte. Sie sah unglaublich traurig aus, jedoch merkte man ihr an, dass sie versuchte stark zu bleiben, um das alles für ihre verbleibenden Grosskinder erträglicher zu machen. Wie schlimm musste es sein nach dem eigenen Sohn und der Schwiegertochter, auch noch eines der Grosskinder zu verlieren?

Sakura wünschte sich, es wäre doch nur ein schrecklicher Albtraum, auf dem sie alle gleich aufwachen würden. Doch Kankuro kam nicht mehr zurück. Nie mehr. Die Decke der Abdankungshalle war kurz davor, ihr auf den Kopf zu fallen. Da vorne war Kankuro – in einer kleinen, schlichten Urne, inmitten von schönen, bunten Blumen die so gar nicht zum Tod passten.

Chiyo hielt noch eine kurze Rede, in der sie etwas aus Kankuros Kindheit erzählte. Die kleine Geschichte schloss sie mit den Worten: «Ich bin überzeugt, dass er nun mit Karura und Rasa da oben auf uns hinabschaut und traurig darüber ist, dass wir traurig sind.»

Sakura erinnerte sich: Karura und Rasa waren die Namen der Eltern von Gaara, Temari und Kankuro.

«Aber es wird ihn freuen, wenn wir wieder fröhlich sind, davon bin ich überzeugt. Und irgendwann werden wir ihn da oben wiedersehen. Wobei ich hoffentlich die Erste von uns sein werde, die sich zu ihnen gesellen wird.»

Sich Kankuro vorzustellen, wie er da oben auf sie herabschaute, war schön, auch wenn es seinen Tod nicht im Mindesten besser machte. Aber so wie sie ihn kannte, würde er sie alle nicht traurig sehen wollen.

Als sie nach draussen traten, war der Wind stärker geworden und sanfter Nieselregen fiel vom düsteren, wolkenverhangenen Himmel.

Das Gang-Gemeinschaftsgrab befand sich ziemlich weit hinten, ein paar Meter neben einer schönen Eiche. Es war wunderschön gemacht, leider vermochten die Kuramas kein Einzelgrab.

Sakura musste an Itachis Grab denken, das verhältnismässig ziemlich gross gewesen war. Vermutlich hatte Madara da ordentlich mitfinanziert.

Schöne Blumen waren darauf gepflanzt worden, das kleine, erdige Rechteck wurde von schönen, hellgrauen Steinen umrahmt. Es brannten zwei kleine Laternen an den unteren Ecken. In der Mitte des Grabes erhob sich ein schöner Steinsockel für die Urne. Hinter dem Grab war eine Messingplatte angebracht, auf der die Namen aller hier Begrabenen standen. Der Unterste war Kankuro. Hinter seinem Namen standen wie bei den anderen Geburts- und Todesdatum.

Er war viel zu jung gewesen, um zu sterben. Zwanzig Jahre waren nichts.

Ihr Herz krampfte sich zusammen und der Kloss in ihrem Hals raubte ihr den Atem.

Mr. Watanabe sprach schöne Worte, als sein Sohn die Urne auf den Sockel stellte. Daraufhin zog jeder Anwesende der Reihe nach eine weisse Rose aus einem Korb, den Mrs. Watanabe mitgebracht hatte und legte sie auf das Grab oder direkt neben die Urne auf den Sockel. Dabei durfte man tun, was man wollte, ob man noch etwas sagen oder einfach schweigen wollte, war einem selbst überlassen.

Die meisten übermittelten Kankuro ihre letzte Botschaft nur leise oder sogar schweigend. Schlussendlich hatte jeder seine eigenen, ganz persönlichen Erinnerungen mit ihm und da gab es nun einmal Dinge zu sagen, die nicht jeder hören musste.

Als Sakura eine weisse Rose aus dem Korb zog, waren nur noch wenige übrig. Langsam trat sie vor das Grab, kniete sich hin und betrachtete die Blumen, die Metallplatte und vor allem das Loch mit der Urne drin. Ihr Herz fühlte sich an, als würde es in Zeitlupe schlagen. Ihre Hand zitterte, als sie die Rose neben die Urne legte.

«Mach’s gut, Kankuro. Ich wünschte, ich könnte die Zeit zurückdrehen.», flüsterte sie, während ihr die Tränen unaufhaltsam über die Wangen liefen. Sie hatte ihre Hand vorsichtig auf die Urne gelegt. Alles war verschwommen, die anderen nahm sie gar nicht mehr wahr. Noch leiser, sodass es für andere nicht hörbar war sagte sie: «Du glaubtest an Hinata, nicht wahr? Dann werde ich das auch tun, egal, was sie tut, versprochen.»

Ein kühler Windstoss liess Sakura aus ihrer Trance aufwachen. Der Friedhof um sie herum wurde wieder etwas realer. Kurzerhand erhob sie sich und trat zurück neben Choji, der ihr ihren Arm um die Schulter legte und sie sanft drückte.

Es war schwer zuzusehen, wie Mr. Watanabe Junior die Asche in das Loch des Sockels entliess. Nun war Kankuro endgültig weg. Im Alter von 20 Jahren. Weg. Er hätte noch alles tun können. Berühmt werden. Reich werden. Glücklich werden. Heiraten. Kinder haben.

Es war zum wahnsinnig werden.

Kein einziger Sonnenstrahl drang mehr durch die Wolkendecke. Die düstere Atmosphäre passte zu den Geschehnissen.

Sakura wollte nicht mehr. Sie wollte niemanden mehr zu Grabe tragen, gar niemanden mehr. Es reichte.

 

Die Chancen, dass dieser Horror endlich ein Ende hatte, standen schlecht. Seit jener Samstagnach terrorisierten die Riots die ganze Stadt. Fast jeden Tag war etwas in den Medien davon zu hören oder zu lesen und die Bevölkerung wurde immer wütender.

Niemand wusste, woher die Riots diese Unmengen an Leuten hernahmen. Naruto vermutete, dass sie auch derzeit immerzu neue Mitglieder an Land zogen. Der Fakt, dass sie nun gegen die Regierung hetzten und die ganze Stadt ihre Wut spüren liessen, bescherte ihnen vermutlich noch mehr Anhänger. Konoha hatte zeitlebens ein Problem mit Strassenkindern, Obdachlosen, Gangs und allgemeiner Kriminalität gehabt. Man hatte es aber einfach ignoriert, die Bedürftigen bedürftig sein lassen. Ein grosser Fehler. Denn jetzt wurden die Auswirkungen davon für die Stadt erst richtig spürbar.

«Probleme lösen sich selten von alleine», hatte Naruto treffend gesagt. «Schon gar nicht die der Regierung.»

Und er hatte Recht. In ihren Aktionen machten die Riots immer wieder Äusserungen darüber, dass die Regierung sie lange genug wie Abschaum behandelt habe und dass nun ein anderer Wind wehe.

Warum genau die Kuramas und Takas so urplötzlich nicht mehr ihr Hauptfokus zu sein schienen, verstand niemand so richtig.

«Vielleicht ziehen sie endlich den Schwanz ein.» Jedoch schien Naruto selbst zu wissen, dass das ein wenig unwahrscheinlich war.

Sie sassen mit Naruto im Mädchenschlafzimmer. Er sass am Boden und lehnte sich mit dem Rücken an das Gestell des Hochbettes. Sakura sass ihm gegenüber, hinter ihr lag Ino auf dem Bett, den Blick starr gegen oben gerichtet. Auch Tenten hatte sich dazugesellt, sie kniete hinter Naruto auf dem Bett. Heftiger Regen trommelte gegen die Fensterscheiben.

«Aber jetzt müsst ihr mir sagen, was Hinata gesagt hat. Ihr habt sie doch getroffen, oder?»

Ino seufzte. «Es war nicht wahnsinnig erfreulich, Naruto. Ich würd’s dir am liebsten gar nicht erzählen.»

«Damit hab ich schon gerechnet.», sagte er, ziemlich gelassen.

Ino schüttelte den Kopf. «Naruto, du musst wissen, was sie gesagt hat war… grausam.»

Sie erzählten in Kurzfassung, wie das Gespräch mit Hinata abgelaufen war. Doch entgegen ihrer Erwartungen wirkte Naruto unbeeindruckt.

«Das ist ja wirklich…heftig.», murmelte Tenten.

«Blödsinn, was sie da verzapft. Aber es ist mir egal, was sie sagt, sie ist definitiv auf dem Holzweg.» Er spielte mit einem losen Faden an seinem T-Shirt herum. «Es muss einen guten Grund für ihre Wut geben, auch wenn das viele von uns noch nicht einsehen. Irgendwas ist da. Und deshalb werden wir nicht einfach aufgeben. Sie gehört schon zu lange zu uns.»

Sakura suchte in seinem Gesicht einen Anflug von Zweifel, doch da war nichts. Jedenfalls nichts Sichtbares.

«Weisst du, ich wollte auch an sie glauben, aber nachdem sie mir heute quasi ins Gesicht gesagt hat, dass wir ihnen nichts bedeuten… sie war so kalt. So wie Hinata noch nie in ihrem Leben war. Du hättest sie nicht wiedererkannt, Naruto…»

Er nickte mitfühlend. «Aber sie hat nicht wortwörtlich gesagt, dass ihr für sie nicht bedeutsam seid. Wir werden schon noch rausfinden, was da läuft. Ich mache mir mehr Sorgen um sie… die Riots sind kein guter Umgang.»

Sakura musste unwillkürlich lächeln. Das sollte ihm erst einmal einer nachmachen. Dieses Gottvertrauen, diese gewinnende Positivität, das war etwas, was nur Naruto konnte.

Er erhob sich. «Danke für eure Hilfe. Ich muss jetzt Demon nochmal anrufen. Vielleicht gibt es ja etwas Neues und wenn nicht haben wir noch viel Mist zu besprechen.»

Naruto hatte an jenem Abend lange mit Demon telefoniert, aber zu einem wirklichen Schluss waren sie nicht gekommen.

«Kann ich mitkommen?», fragte Sakura sofort. Erstens wollte sie Naruto noch etwas fragen und zweitens interessierte es sie brennend, was die Jungs zu diskutieren hatten.

«Klar, wer will kann kommen. Wird aber nicht wahnsinnig interessant werden.»

Die Anderen meinten, dass man sie ja nach dem Telefonat auf den neusten Stand bringen könne.

«Eure Gespräche sind zum Anhören nicht besonders angenehm. So wie ihr euch immer anschnauzt.», meinte Tenten grinsend.

«Na, was soll ich denn mit ihm herumturteln?», brummte Naruto und verliess dann das Zimmer. Sakura ging direkt hinter ihm her.

Als die Tür hinter ihnen ins Schloss fiel, fasste sie sich ein Herz. «Sag mal, Naruto. Wie stehst du eigentlich zu Hinata?»

Er hielt inne. «Warum fragst du das jetzt?»

Sakura seufzte. «Vielleicht sollte ich anders fragen. Weisst du, wie Hinata zu dir steht?»

Er sah sie durchdringend an. «Du hast es auch gewusst.»

«Was?»

«Na, wie Hinata zu mir steht.»

Also wusste er Bescheid. Hatte Konohamaru ihm das gesteckt? Denn wenn es niemand anderes getan hätte, dann hätte sie das jetzt übernommen.

«Natürlich. Sie ist mit Ino meine beste Freundin.»

«Ich hab’s nicht geschnallt», sagte er und starrte geradeaus den Gang entlang. «Warum habt ihr mir das nie gesagt?»

Sakura musste lächeln. «Weil es offensichtlich war. Und weil wir gehofft haben, dass du selbst noch irgendwie draufkommst.»

«Bin ganz schön blöd, was?» Er fuhr sich verlegen mit der Hand durch sein blondes Haar. Es war ihm ziemlich peinlich, er konnte sie kaum ansehen.

«Nee. Du hast nur ‘ne elend lange Leitung, was solche Sachen angeht.» Sie boxte ihm sanft gegen die Schulter.

«Und meinst du, ich hätte es verhindern können? Dass sie geht?» Er klang, als würde er etwas bereuen.

Sakura schüttelte den Kopf. «Denk nicht über sowas nach. Es ist nicht mehr wichtig, was gewesen wäre. Es ist wichtig, was jetzt ist.»

Sie beobachtete ihn. Er wirkte so unglaublich nachdenklich. «Und wie stehst du zu Hinata?»

Er überlegte. «Ich weiss nicht. Bisher habe ich tausend andere Dinge im Kopf gehabt, als euch Weiber.»

Sein Grinsen tat Sakura gut. «Aber ich werd’s herausfinden, okay?»

Sakura nickte lächelnd. «Okay.»

Er kramte sein Handy hervor. «Hab’s jetzt endlich über mich gebracht, Demons Nummer zu speichern.»

Sie begaben sich in die Garage, wo derzeit niemand anzutreffen war und setzte sich einen grossen Tisch voller Werkzeug Putzlappen und weiteren Utensilien, die man für die Wartung von Motorrädern und Autos brauchte. Ihr stach von da aus sofort eine feuerrote Maschine ins Auge – Kankuros Motorrad.

«Was macht ihr jetzt eigentlich mit dem Motorrad?», fragte sie leise. Schon der blosse Gedanke an Kankuro tat weh.

«Weitervererben. Vielleicht ist Konohamaru ja irgendwann mal soweit.»

Sakura stutzte. Hiess das denn nun, dass Konohamaru ein Kurama werden würde? Sie hatte schon gemerkt, dass sich Narutos Ansichten bezüglich des kleinen Wirbelwinds verändert hatten, aber ihn gerade in die Gang aufnehmen, nachdem er sich so lange über ihn genervt hatte?

«Meinst du, es gibt ein Kurama aus ihm?»

Naruto nickte. «Aber sag ihm das nicht, sonst muss ich es mir wohl wieder anders überlegen.»

Sakura lächelte freudig. «Werde ich nicht. Aber ich finde das so toll! Woher denn der Sinneswandel?»

Naruto sah etwas verlegen aus. «Ach, nichts weiter. Hab mir einfach überlegt, dass es sowieso langsam Zeit wird, die neue Generation zu rekrutieren. So viel Zeit haben wir gar nicht mehr.»

Jetzt musste sie lachen. «Du klingst ja, als würdest du nächste Woche schon dreissig.»

Naruto wurde ernst. «Es kann schnell gehen, Sakura. Viele verlassen die Gang auch schon früher.»

«Und trotzdem.»

Naruto wählte den Kontakt «Der, mit dem ich eigentlich nicht reden will» auf dem Display an und Sakura musste laut loslachen. «Was für ein Spitzname!»

«Ich sehe es als meinen persönlichen, stillen Protest an. Es ist das Einzige, was mir noch bleibt, also lass mich einfach.» Er sagte das mit gespieltem Ernst.

«Alles klar.»

Er schaltete den Lautsprecher ein. Bis Sasuke ranging dauerte es eine Weile.

«Big Fox. Was gibt’s?»

Sakura freute sich ungemein, seine Stimme zu hören, liess sich das aber nicht anmerken.

«Seid ihr schon zu ‘nem Schluss gekommen?»

Es blieb eine Weile ruhig in der Leitung. «Nee. Es scheint als könnten wir tun was wir wollten, früher oder später hätte es negative Folgen für uns.»

«Mhm. Genau das denke ich auch. Unser Ruf ist inzwischen so schlecht, dass wir uns hüten müssen.»

«Du sagst es. Aber jetzt ‘ne andere Frage: Machst du dir nicht ein wenig Gedanken wegen dem Maulwurf? Wenn sie euch vollständig bei den Riots verpfeift, werdet ihr es schwer haben.»

Narutos Blick verfinsterte sich. «Ich gaube nicht, dass das ihr Plan ist. Sonst hätte sie es längst getan. Aber wir holen sie uns zurück.»

Pause.

«Will sie denn zurückkommen?»

Auf Narutos Gesicht stahl sich ein Grinsen. «Es ist nicht so, dass sie eine Wahl hat.»

Am anderen Ende erklang ein trockenes Auflachen. «Klingt ganz nach Kurama. Aber irgendwas ist da auf jeden Fall faul. Ich bin ziemlich sicher, dass der Riot-Leader sie zur nächsten Konfrontation mitbringen wird, sie ist seine ultimative Waffe. Steht sie vornedran, drückt keiner von uns ab.»

Im Rest des Gesprächs beschlossen die Beiden, Späher durch die Stadt zu schicken. Vielleicht gab es so eine Möglichkeit, die Riots auf frischer Tat zu ertappen. Aber mehr zu tun wäre riskant gewesen.

 

Hinata kam jeden Tag in die Schule, behandelte Ino und Sakura jedoch wie Luft. Aber die beiden trugen Narutos Zuversicht im Herzen und deshalb beirrte sie Hinatas Verhalten nicht, im Gegenteil, es motivierte sie sogar.

Leider war die gegenwärtige Situation in Konoha alles andere als schön. Hatten sie gehofft, der allgemeine Gang-Hass würde bald abklingen, so hatten sie sich böse getäuscht. Es fühlte sich an, als würde es jeden Tag schlimmer werden. In den Zeitungen wurde von Demonstrationen vor dem Rathaus berichtet, von einer wütenden Bevölkerung, die sich die Scherereien mit den Riots nicht mehr bieten lassen wollten. Das Problem dabei war, dass sie keinen Unterschied zwischen Riots, Kuramas, Takas und jeder anderen Gang machten. Sie wollten einfach, dass man etwas gegen «die Gangs» tat. Und dabei nahmen sie kein Blatt vor den Mund. Als «Abschaum», «Nichtsnutze» wurden sie betitelt. Wegsperren sollte man sie, für immer.

Inzwischen war die prekäre Situation in Konoha landesweit Thema. Im Fernsehen liefen andauernd Talkshows zum Thema Gangproblematik, in den Nachrichten wurde immer mindestens ein Beitrag dazu gesendet und die Zeitungen waren überfüllt mi Berichten und Interviews mit sogenannten Experten.

Und genau das schien die Riots nur noch mehr anzutreiben. Sie wollten diese Krawalle, sie wollten die Aufmerksamkeit, die Aufruhr. Sie waren sensationshungrig. Und sie hatten ihr Ziel erreicht, sie hatten auf die Gangs aufmerksam gemacht, jedoch keineswegs im positiven Sinne. Was sie sich dabei dachten war für sie unerklärlich.

Als an einem milden Maiabend Kiba und Shikamaru das HQ betraten, war ihnen gleich im Gesicht abzulesen, dass irgendetwas vorgefallen war.

«Scheiss-Kinder!», brüllte Kiba und kickte wütend gegen Akamarus Spielball, der vor seinen Füssen auf dem Boden lag. Der Ball flog durch die Luft, prallte gegen die Wand und wurde gleich darauf von Akamaru gefangen.

«Was ist den passiert?», fragte Sakura, die gerade in ihre Mathematikaufgaben vertieft am Tisch sass.

«Ich kann gar nicht in Worte fassen, wie ich diese Riots hasse! Die haben vielleicht was angerichtet!»

«Kiba, raus mit der Sprache.» Naruto trat aus der Küche und sah nicht minder besorgt aus.

«Wir waren auf der Glade’s, nachdem wir noch ein paar Sachen eingekauft haben», er wies mit der Hand auf die drei Sixpacks mit Bier und einem Beutel voll mit Knabberzeug, die sie beide mit sich trugen. «Und dann war da so ein blöder Balg. Hat mit dem Finger auf uns gezeigt und ja, ich weiss, ich sollte nicht mit sichtbarem Tattoo rumlaufen, aber es war nun mal ziemlich warm heute Nachmittag. Jedenfalls kommt dieses Kind und zeigt mit dem Finger auf uns. ‘Meine Mama sagt, ihr seid schlechte Menschen’, hat es gesagt. Mir war das eigentlich egal. Ich sagte also, dass mir eigentlich egal sei, was seine Mutter denke. Seine Mutter sass wenige Meter entfernt auf einer Bank und schaute zu. Dann hat doch dieser verfluchte Hosenscheisser Steine nach uns geworfen. Nicht dass es wehgetan hätte oder so, aber hallo?! Da könnte ja ich besser Kinder erziehen! Und die Mutter sass nebendran und hat nur dumm geschaut. Nach einer halben Ewigkeit hat sie dann gesagt, dass er zu ihr kommen soll, wir seien zu gefährlich.»

«Kiba war kurz davor, dem Kind den Hals umzudrehen, aber wir haben uns natürlich zurückgehalten», ergänzte Shikamaru ruhig. «Wollen ja ihre Erwartungen nicht noch erfüllen.»

Sakura verstand den Ärger der beiden nur zu gut. Schon das blosse Zuhören, liess sie vor Wut kochen. Was fiel dieser Mutter eigentlich ein? Die Beiden hatten nichts getan und sie liess ihr Kind Wildfremde mit Steinen bewerfen?

«Es waren viele Leute dort und alle schienen mit dieser Rabenmutter einverstanden zu sein.» Kiba schmiss sich aufs Sofa.

Naruto hatte bisher geschwiegen, aber er sah bedrückt aus. «Irgendwie haben wir früher viel mehr im Einverständnis mit der Bevölkerung gelebt, wenn man das so nennen kann. Im Sinne von Ich-lasse-dich-du-lässt-mich. Ich weiss nicht, was die Riots damit bezwecken wollen. Echt nicht. Und an uns scheinen sie irgendwie ein bisschen das Interesse verloren zu haben. Ich blicke nicht durch…»

«Geht uns allen so», brummte Shikamaru und setzte sich zu Sakura an den Tisch.

«Sakura, Logarithmus naturalis der Euler’schen Zahl ist 1», bemerkte er beiläufig.

Sakura schaute verblüfft auf das Heft. «Ach ja, richtig…deshalb hat das nicht hingehauen.»

Logarithmen hätten sie derzeit nicht weniger interessieren können. Aber sie bewunderte Shikamaru, der ihr in letzter Zeit des Öfteren bei ihren Mathematikarbeiten geholfen hatte.

Er hätte locker einen Uniabschluss geschafft. Unter anderen Umständen. Wenn man ihn nicht als Abschaum und Nichtsnutz ansehen würde.

«Reg dich jetzt nicht mehr auf, Kiba, das bringt nichts», meinte Naruto beschwichtigend, doch Kiba dachte nicht daran.

«Mir bringt es aber was. Immerhin habe ich den Hosenscheisser in Ruhe gelassen.»

Damit verschwand er aus dem Aufenthaltsraum. Sein Ärger war berechtigt.

«Was sollen wir tun, Boss? Wir können uns ja nicht einfach den Schwanz einziehen und nirgendwo mehr hingehen», fragte Sai in seinem ruhigen, besonnenen Ton. Er hatte bis eben schweigend auf der Couch gesessen und das Szenario mitverfolgt.

«Aber angreifen halte ich auch nicht für die beste Option. Ich meine, wenn wir nun wieder Battles starten, dann wird das die Bevölkerung noch mehr verärgern. Das Fass ist für sie bereits überlaufen.»

Sakura fühlte eine Enge in ihrer Brust. Das alles schien so ausweglos zu sein. Die Riots hatten da etwas vom Zaun gerissen, das böse Folgen für sie alle haben würde, wenn das so weiterging.

«Wie spät ist es eigentlich?», fragte Shika.

«Halb sechs.», meinte Sakura nach einem Blick auf ihr Handy-Display.

«In einer halben Stunde kommen die Nachrichten. Lass uns einmal sehen, wie die Lage genau ist.»

«Aber vorher lasst ihr den Fernseher bitte nicht an. Sonst läuft womöglich noch irgendeine dämliche Talkshow in der sie über uns urteilen, ohne uns zu kennen.», brummte Naruto. «Hab heute eine gesehen. Was die da reden ist haarsträubend. Stellen uns dar wie wilde Tiere, die keine Ahnung von zivilisiertem Leben haben. Irgendwelche Psychologen und Sozialexperten, die ihr Leben in den höheren Schichten zugebracht haben. Zum Kotzen.»

Das Gespräch hinterliess bei Sakura einen bitteren Nachgeschmack. Wenn Mathematik schon vorher mühsam gewesen war, dann konnte sie es jetzt genauso gut sein lassen. Die Logarithmen konnten ihr gestohlen bleiben.

Um sechs warf Sai den Fernseher an, pünktlich zum Intro der Nachrichten. Die Moderatorin erzählte zuerst die Nachrichten aus dem Ausland, ehe sie zum Inland kam. Dann erzählte sie zuerst von weiteren Aktivitäten der Riots, die Sakura schon wieder sauer machten. Es war wirklich kein Wunder, dass sich die Zivilisten fürchteten, wenn man jederzeit damit rechnen musste, Opfer eines Verbrechens zu werden. Selbst die ganzen zusätzlichen Polizeipatrouillen schienen ihnen keinen Einhalt bieten zu könnten; da waren Gangs im Vorteil. Sie kannten Konoha wie ihre Westentasche. Jedes Schlupfloch, jedes noch so kleine Gässchen. Doch dann kam die verblüffendste Nachricht.  «Gerade heute wurde von diversen Mitgliedern des Sicherheitsdepartements bekundigt, dass sie ihren Präsidenten, Yohei Ito, nicht mehr für kompetent genug halten, mit der Situation umzugehen. Zu viel sei in den letzten Wochen passiert, zu wenig wurde unternommen. Die Zweifler sind dabei die nötigen Schritte einzuleiten, um eine Neuwahl des Präsidentenpostens zu verlangen.

Aber auch in der Bevölkerung wächst der Unmut. So gibt es nur noch wenige Stimmen, die die Gangs zu verteidigen versuchen.»

«Wer hat uns denn jemals verteidigt?», brummte Naruto.

«Jedoch sind genau diese Stimmen sehr deutlich und laut. Einige junge Menschen solidarisieren mit den Gangs und ihren Handlungen. Durch sie wurde ein neuer Aspekt der gesamten Thematik ins Gespräch gebracht: Sind die Gangs und ihre gesetzlichen Widerhandlungen im Grundsatz ein Fehler des Staates?»

«Ein Witz, dass erst jetzt einer auf diese Idee kommt. Ist doch offensichtlich ein Fehler des Staates!» Kiba war wiedererschienen und auch einige andere gesellten sich zu ihnen.

«Wie wenn wir mit Absicht auf der Strasse gelandet wären!» Tenten lachte trocken.

«Psst, ich will zu Ende hören!»

«…steht es fest, dass es im Sicherheitsdepartement Veränderungen geben wird und dass von nun an immerzu mehr Polizeikraft in Konoha zugegen sein wird. Das Problem, das bisher immerzu unter der Oberfläche geschlummert hat, ist nun in immenser Kraft hervorgebrochen und verlangt unserer Stadt einiges ab. Für die Regierung ist klar: Die Gangproblematik eskaliert zum letzten Mal in diesem Ausmass.»

Dann sprach sie noch etwas über das Wetter und gleich darauf waren die Nachrichten beendet.

Sakura konnte sich kaum rühren. Während die anderen in Diskussionen ausbrachen, stahl sie sich leise davon, auf den Gang, dann zur Hintertür hinaus. Draussen schien die abendliche Maisonne und tauchte die Bootsanlegestelle in warmes Licht, jedoch zogen am Horizont Wolken auf.

Sie musste jetzt mit jemandem reden, der Ruhe bewahrte. Jemand, der ihr die Sicherheit gab, die sie brauchte. Denn in ihr brodelte etwas.

Sasuke ging nach dem zweiten Läuten ran. «Alles klar?», war das Erste, was er fragte. Für ihn war klar, dass etwas nicht gut sein konnte, wenn sie anrief, denn sie telefonierte nicht wahnsinnig gerne.

«Hast du die Nachrichten gesehen?», flüsterte sie.

«Wie jeden Tag, ja.»

«Macht es dir nicht Angst?» Sie brachte kaum einen Ton heraus. Ihr Gefühl verkündete Unheil. Irgendetwas schreckliches würde passieren, sie ahnte es, doch in Worte fassen konnte sie es nicht.

Eine Weile blieb es still in der Leitung. «Doch. Es beunruhigt mich. Sakura, irgendwas ist nicht okay mit dir oder?»

Und wie recht er hatte. Sie zitterte. Sie fühlte sich bedroht. Die Vorfälle in Konoha schwebten wie ein Phantom über ihnen, bereit, zuzuschlagen.

«Ich habe ein schreckliches Gefühl…», brachte sie hervor. «Aber vielleicht bilde ich mir es auch nur ein.»

«Was für ein Gefühl, Sakura?» Seine Stimme klang bestimmt – er nahm sie ernst.

«Ein ungutes. Irgendwas wird passieren, Sasuke. Diese ganzen Berichte sind nur die Vorboten von etwas Grösserem…»

«Okay, Sakura. Wo bist du gerade?»

«Im HQ.»

«Ihr habt doch den Park, fast neben eurem Wohnblock. Möchtest du dorthin kommen? Dann kannst du mir alles erzählen.»

Sakura nickte, bis sie merkte, dass er das ja nicht sehen konnte. «Ich mache mich auf den Weg.»

«Bis dann.» Es klickte in der Leitung.

 

Sakura verabschiedete sich rasch von den anderen, sie hätte sowieso bald nach Hause gehen wollen, denn heute war Donnerstag. Morgen war ein ganz normaler Schultag und jetzt wo die Abschlussprüfungen bevorstanden lohnte es sich, dort anwesend zu sein.

Die U-Bahnfahrt schien sich elend lange zu ziehen. Dabei versuchte sie, immerzu auf der Hut vor Riots zu sein, denn ihre rosa Haare waren leider Gottes nun einmal ein Merkmal, das auffiel. Als sie in eine der Downtown-Haltestellen einfuhren, erblickte Sakura sofort ein aufdringlich neongelbes Graffiti, das von den Riots stammte.

«Ihr seid nirgends mehr sicher», stand da in grossen Buchstaben

Sakura hatte die Kapuze ihres Pullovers zwar bereits oben, jedoch zog sie sie sich nun noch etwas weiter hinunter ins Gesicht.

Irgendwie kam es ihr auch vor, als würden weniger Leute in dem Zug sitzen als sonst. Es war immerhin Feierabendzeit und trotzdem gab es noch freie Sitzplätze? Das war bestimmt kein normaler Zustand. Nun spürte sie dieses Gefühl von Bedrohung noch einmal mehr.

Sie war heilfroh, als sie die U-Bahnstation bei sich zu Hause verlassen konnte. Schnell lief sie die Strasse entlang, am alten Fitnessstudio vorbei über die Strasse und betrat den Park. Er war so klein, dass sie schnell feststellte, dass Sasuke noch nicht da war. Am Feierabend durch die Downtown fahren war eine zeitaufwändige Aktivität.

Inzwischen sah der Himmel aus, als bestünde er aus zwei verschiedenen Teilen, die über ihrem Kopf aufeinandertrafen. Vermutlich würde es bald regnen.

Sakura setzte sich auf die Parkbank nahe des kleinen Brunnens. Das friedliche Plätschern des Wassers war ein angenehmes Hintergrundgeräusch, doch ihre Unruhe verschwand dadurch nicht. Obwohl sich im Park kaum Menschen befanden, schaute sie sich immer wieder um, weil sie sich fürchtete, dass sich ihr jemand von hinten nähern konnte. Hoffentlich kam Sasuke bald.

Und er kam. Sie erschrak fürchterlich, als sie plötzlich hinter sich seine Schritte im Kies wahrnahm. In Windeseile hatte sie sich umgedreht und ihr Körper entspannte sich sogleich wieder, als sie ihn erkannte. Es war schon wieder einige Wochen her, dass sie sich gesehen hatte, für Sakura eine gefühlte Ewigkeit. Aber es war einfach schwierig. Dass sie in verschiedenen Gangs waren, machte es nicht gerade leichter.

Ehe sie es sich versah, war sie aufgesprungen und ihm um den Hals gefallen. Wärme stieg in ihr auf und dieses wohlige Gefühl von Geborgenheit und Liebe breitete sich in ihrem ganzen Körper aus.

Er erwiderte die Umarmung nicht minder bestimmt. Bevor sie sich von ihm löste, spürte sie seine Lippen auf ihrer Stirn.

«Hey.»

«Hey.» Er nahm sie bei der Hand und führte sie zurück zur Bank. Auch er hatte die Kapuze über den Kopf gezogen. Als Gangleader war er quasi das Gesicht der Takas, weshalb es ratsam war, sich nicht gleich zu erkennen zu geben. «Also, leg los.»

Und sie legte los. Ihm von ihren Bedenken und diesem schlimmen, unheilverkündenden Gefühl zu berichten, war erleichternd. Er war jemand, mit dem sie sich stark fühlte.

«Ich nehme an, ihr schaut die Nachrichten auch?»

«Jeden Abend. Obwohl es kaum auszuhalten ist.»

«Glaubst du nicht, dass da irgendetwas schlummert? Weisst du, zum Beispiel auch die Talkshows. Alle Welt scheint uns zu hassen.»

Sasuke legte den Kopf schief. «Das war schon immer so, Sakura. Nur machen sie es jetzt publik.»

Sie holte Luft, um etwas zu erwidern. Aber ihr wurde schnell bewusst, wie recht er hatte. Natürlich, die Leute waren nie Fans von den Gangs gewesen, aber dieser Hass, diese Schuldzuschreibungen und Betitelungen waren so unmenschlich und kalt, dass es Sakura kaum mehr für möglich hielt, dass das alles wirklich von Menschen ausging.

«Ich spüre einfach diese unbändige Kaltherzigkeit in den Menschen. Und das löst in mir Dinge aus, die ich kaum beschreiben kann. Mein Gefühl sagt mir, dass wir aufpassen müssen. Denn irgendwas wird passieren.»

«Kannst du das genauer beschreiben?»

Sie schüttelte den Kopf. «Nein. Aber die gesamte Situation wirkt so bedrohlich auf mich. Als ob wir im Moment der grössten Bedrohung überhaupt gegenüberstehen würden.»

«Wir bewegen uns derzeit auf dünnem Eis, da hast du recht. Was mich nun aber beunruhigt ist, dass dir dein Gefühl solche Sachen sagt. Weil ich deinem Gefühl vertraue.»

Überrascht hob sie den Kopf. «Wie meinst du das?»

«Du bist der wohl feinfühligste Mensch, der mir in meinem Leben begegnet bist. Du bist noch keine zwanzig, verstehst die Menschen aber wie keine andere. Das ist dir gegeben, Sakura, auch wenn du es nicht bewusst wahrnimmst.»

Obwohl Sakura diese Äusserungen irgendwie nicht auf sich beziehen konnte, fühlten sie sich wirklich gut an. Dass er ihr eine solche Gabe zuschrieb, machte sie ein wenig stolz.

«Itachi hatte auch immer solche Ahnungen. Und meistens traten sie früher oder später auch in irgendeiner Form ein. Und deshalb finde ich, dass sich das keineswegs komisch anhört.»

Sakura stutzte. Es war wohl das erste Mal, dass er Itachis Namen einfach so in den Mund nahm.

«Ich weiss einfach, dass Menschen ganz hässliche Dinge tun können, wenn sie sauer, traurig oder verängstigt sind. Oder verzweifelt, so wie du es vor ein paar Wochen gesagt hast. Wie damals im Dritten Reich. Und ich habe Angst, dass wir ihre Zielscheibe werden.» Und nach reiflicher Überlegung fügte sie an: «Itachi und Kankuro waren genug…»

Das traf ihn. Obwohl er vorhin seinen Bruder selber erwähnt hatte, musste er leer schlucken. Sakura fragte sich, ob sie nun in ihrer emotionalen Unachtsamkeit eine Grenze überschritten hatte, die sie besser unangetastet gelassen hätte.

Doch dann nickte er und sagte mit gedämpfter Stimme: «Ja, sie waren genug. Wir kriegen das hin, Sakura.»

Sie legte den Kopf an seine Schulter und eine Weile sassen sie so da und dachten an ihre verstorbenen Lieben. Seine Worte beruhigten sie – wie erwartet.

In letzter Zeit hatte sie ihn nie mehr nach Itachi gefragt. Wenn sie genauer darüber nachdachte, dann hatte sie Itachi beinahe vergessen. Dabei war es noch kein halbes Jahr her, dass Sasuke seinen Bruder verloren hatte. Aber sie war so mit sich selbst und in den letzten Wochen mit Kankuro und der Trauer um ihn beschäftigt gewesen, dass sie schlichtweg nicht mehr daran gedacht hatte. Wie egoistisch von ihr.

«Wie geht es dir eigentlich?», fragte sie leise. Jetzt wo sie sich selbst ein wenig beruhigt hatte, wollte sie wissen, wie es um ihn stand.

Er schaute sie überrascht an. Anscheinend hatte er nicht mit dieser Frage gerechnet. «Gut.»

«Wie gut?»

Er grinste leicht. «So gut, wie es einem nun mal geht, wenn man sich mit all dem Mist rumschlagen muss.»

Sie spielte mit dem Gedanken, nach Itachi zu fragen, jedoch liess sie es bleiben. Ihr Gefühl sagte ihr, dass es einen besseren Zeitpunkt geben würde.

«Ich würde jetzt ja gern sagen, dass das schön zu hören ist, aber irgendwie passt das nicht so recht», meinte sie lächelnd.

Obwohl um sie herum das reinste Chaos herrschte, fühlte sich Sakura in seiner Gegenwart einfach nur wohl. Sie liebte seinen Geruch, die Wärme seiner Hände und den Klang seiner Stimme. Es war schon verrückt, wie sehr sie ihn liebte. Noch nie hatte sie einem Jungen gesagt, dass sie ihn liebte, bis er gekommen war. Bei ihm fiel es ihr leicht, das zu sagen, weil es für sie keine Zweifel gab. Kein Mann auf dieser Welt würde ihm je das Wasser reichen können, egal, welche Macken er hatte. Für sie war es wie ein Wunder, dass er tatsächlich sie gewählt hatte. Dabei war an ihr nichts Begehrenswertes. In einer Zeit wie dieser, in der jeden Tag etwas Schlimmes passieren konnte, wurde ihr das einmal mehr bewusst. Und sie wollte es ihn wissen lassen, denn so etwas wie die Garantie auf eine sichere Zukunft gab es für sie nicht.

«Ich liebe dich», flüsterte sie in den Stoff seines Pullovers hinein. Damit hatte er nicht gerechnet, denn er wirkte mehr als überrascht – positiv überrascht. Er lehnte seinen Kopf an ihren und drückte ihr einen Kuss aufs Haar. «Ich liebe dich auch.»

«Warum?», murmelte sie nachdenklich.

Jetzt musste er lachen. «Dasselbe könnte ich dich zurückfragen. Ich finde es schwierig, das in Worte zu fassen. Es wird nie so klingen, wie es wirklich ist.»

«Und wenn du es mir aufschreibst?»

«Nur, wenn du dasselbe machst.» Er schien sich sichtlich über ihre Idee zu amüsieren.

«Abgemacht. Ich werde es dir aufschreiben.» Sie fand Gefallen an der Idee. Sie teilte seine Ansicht: Es wirkte schnell etwas anders, wenn man nicht auf Anhieb die richtigen Worte fand. Und beim Schreiben hatte man Zeit.

«Aber ich warne dich, ich bin nicht besonders schreibbegabt.»

«Das spielt keine Rolle», flüsterte sie.

Zum ersten Mal ertappte sie sich dabei, wie sie wirklich an die Zukunft dachte, an ihre Zukunft. Sie hatten keine einfache Geschichte. Sie kannten sich bald ein Jahr lang richtig, jedoch kam es ihr vor, wie wenn es schon viele Jahre wären. Würden sie auch in fünf Jahren noch so empfinden. Würden sie überhaupt noch zusammen sein können oder würde der Gangstreit sie wieder entzweien? Und wenn nicht, würden sie beide denn überhaupt genug verdienen, um ein anständiges Leben führen zu können? Würde Sasuke seine Alkohol- und Raucherprobleme hinter sich lassen können? Und würde sie jemals herausfinden, was sie in ihrem Leben wirklich wollte?

Viele Fragen, keine Antworten.

Aber es reichte, ihn hier neben sich zu haben, den Kopf in seiner Halsbeuge, seinen Atem zu hören, seinen Geruch zu riechen und seine Wärme zu spüren, damit sie sich sicher fühlte. Es gab immer einen Weg und sie hatten bisher schon einige Schwierigkeiten überwunden. Sie würden das schon hinkriegen.

Es reichte ein Blick auf die wunderschönen Blumen im Park. Auch sie schafften es, nach diesem kalten, langen Winter zu gedeihen.

Sakura hob den Kopf und suchte seine Lippen. Ihn zu küssen war jedes Mal wieder atemberaubend. Vielleicht lag es daran, dass sie ihn nicht allzu oft küsste. Wie auch immer, in diesem Moment hätte sie auf ewig verharren können.

Aber die Realität rief.
 

 
 

 

Die Alphas im Visier

Sasukes Handy vibrierte in seiner Hosentasche. Er stöhnte genervt, ging aber ran.

«Was?» Es klang etwas forsch und Sakura musste lachen.

«Ja und?» Er lehnte sich zurück. «Moment… was hast du gesagt?!» Von einem Augenblick auf den anderen war sein Körper geladen vor Spannung.

Bei Sakura läuteten sofort alle Alarmglocken.

«Wie, die jagen uns?!» Dann hörte er wieder zu, doch sein Gesichtsausdruck hellte sich nicht auf, im Gegenteil.

«Du meinst, die sind schon dabei?»

Sasuke war aufgestanden und packte Sakura beim Handgelenk. Während er noch telefonierte, zog er sie bereits in Richtung Parkausgang. «Alles klar, danke. Dann sehe ich mal zu, dass ich von der Bildfläche verschwinde. Man hört sich.»

Ohne sich umzudrehen steckte er das Handy in seine Jackentasche.

«Was ist los?» Sakuras Herz klopfte. Die Furcht war auf einen Schlag wieder da.

«Erkläre ich dir nachher. Verhalte dich einfach normal, als ob wir einfach spazieren würden. Ist deine Tante zu Hause?»

Sie musste kurz überlegen. Um diese Zeit war sie normalerweise zu Hause, jedoch war heute Donnerstag, Einkaufstag. Sie arbeitete bis sechs und anschliessend warf sie sich noch ins Grossstadtgetümmel.

«Es ist nur für kurz, damit ich dir alles erklären kann.»

«Okay.»

Bevor sie aus dem Park hinaustraten, spähte er unauffällig nach beiden Seiten. Wonach hielt er Ausschau? Nach Riots?

Von hier aus war es nicht mehr weit zu Sakuras Wohnung und keine Minute später standen sie im Eingangsbereich von Sakuras Wohnblock. Sasuke streifte sich die Kapuze vom Kopf.

«Willst du hochgehen?», fragte sie ihn. Er sah angespannt aus.

«Wenn es dir nichts ausmacht. Nur kurz, damit ich dir das in Ruhe erklären kann.»

Sie nickte und führte ihn nach oben. In der Wohnung war niemand anzutreffen, wie erwartet. Diesbezüglich hielt sich ihre Tante schon sehr an den Zeitplan.

Als sie die Tür hinter sich schloss, konnte sie beim besten Willen nicht mehr warten. «Was ist los, Sasuke?»

«Es war Big Fox. Hör zu, ich weiss nicht, wie vertrauenswürdig die Info ist. Aber die Polizei ist nun definitiv in Aktion getreten. Sie machen Jagd auf die Leader.»

Sakura fiel die Kinnlade runter. Die Polizei machte gezielt Jagd auf Sasuke und Naruto?

«Wie…»

«Die arbeiten nun mit allen Mitteln. Holen sich die Infos von Leuten auf der Strasse, geben ihnen sogar etwas finanziellen Anschub, für mehr Details. Die haben Profile erstellt, ich meine, in der Unterwelt von Konoha verkehren ein Haufen Leute, die uns bestens beschreiben können, vielleicht sogar Bilder von uns haben. Und weisst du warum? Die Riots haben begonnen, solche Sachen auf unsere Namen laufen zu lassen. Schreien rum, dass sie die Takas oder eben die Kuramas sind und überfallen dann Tankstellen. Die ziehen uns in ihr bescheuertes Spiel mit rein. Nach dem Riot-Leader wird bereits gefahndet, aber nun hat er uns auch auf die Liste gesetzt. Wir hatten gehofft, dass wir uns bei ruhigem Verhalten etwas aus dem Gespräch nehmen können, doch das haben die Riots durchschaut.»

Sakura hatte Mühe, all diese schrecklichen Infos einzuordnen. Das war einfach zu viel.

«Sasuke, du darfst auf keinen Fall alleine zurückfahren», war das Einzige, was sie sagen konnte.

«Wird schon nichts passieren, Sakura. Ich werde aufpassen.»

Sie packte ihn energisch am Arm. «Verstehst du eigentlich, was das bedeutet? Sasuke, du weisst schon, dass deine Gang dich noch braucht?! Risiken einzugehen wäre das Allerdümmste, was du machen kannst!»

Er schien etwas überrascht von ihrer Reaktion. «Es ist eine knappe halbe Stunde…»

«Nein.» Sie griff in seine Jackentasche und zog sein Handy raus. «Könntest du mir mal deinen Entsperrungscode sagen?»

Er musterte sie, trotz dem Ernst der Lage mit leichter Belustigung im Gesicht. «4509.»

Das Handy entsperrt, suchte sie in der Kontaktliste nach Konans Nummer und drückte auf «Anruf».

Es ging wenige Sekunden, bis sich Konan am anderen Ende meldete. «Boss?»

«Hier ist Sakura.»

Kurz schwieg Konan, vermutlich aus Überraschung. «Sakura! Ist Sasuke bei dir? Wir wollten ihn eigentlich gerade anrufen.»

«Ja. Und er braucht aufgrund jüngster Ereignisse ein Taxi.»

Sie hörte Konan leise lachen. «Lass mich raten, er wollte ganz normal nach Hause fahren.»

«Exakt.»

«Gut. Ich schick jemanden. Wohin?»

«West Park.»

«Okay. Es ist Feierabend, da könnte es etwa eine Dreiviertelstunde dauern. Wir werden anrufen, wenn wir da sind.»

«Alles klar.»

«Danke, Sakura.»

«Nichts zu danken.»

Und damit war das Gespräch beendet. Sasuke sah etwas verärgert aus, aber das war ihr im Moment egal. Sollte er doch verärgert sein, solange er sicher war, würde sie das nicht kümmern.

«Naja, ich hätte dir auch einfach den Code nicht sagen können», brummte er.

«Hättest du. Aber ich hätte den schon rausgefunden. Wo hast du eigentlich deine Maschine abgestellt?»

«Ganz frech im Hinterhof eures Wohnblocks.»

«Bestens. Lass sie dort.»

«Habe keine andere Wahl.»

Sakura seufzte. «Sei nicht sauer. Aber du würdest genau gleich handeln, wenn es hier um mich ginge.»

Das schien in seinen Augen ein plausibles Argument zu sein. «Auch wieder wahr.»

«Lass mich für einmal die sein, die auf dich aufpasst. Okay?», flüsterte sie.

Es gefiel ihm nicht besonders. Auf ihn brauchte niemand aufzupassen. Aber er nickte. «Weil du es bist.»

Er sah sich um. «Soll ich woanders warten gehen? Wenn deine Tante heimkommt…»

«Nein, keine Sorge.  Meistens macht sie sowieso mindestens eine Viertelstunde länger bei der Arbeit und das Einkaufen mit dem Verkehr und dem Feierabendgewusel dauert bestimmt eine Stunde.»

«Wie du meinst. Ich will nicht, dass du Ärger bekommst.»

«Werde ich nicht.»

Sie setzten sich an den Küchentisch.

«Und was bedeutet das jetzt?» Die Gedanken an ihre düsteren Vorahnungen und die Fahndung machten ihr regelrechte Bauchschmerzen. «Ich meine, die werden euch jagen, Sasuke. Was wenn sie euch kriegen?»

Er schüttelte den Kopf. «Ich weiss es nicht, Sakura. So schnell kriegen die uns nicht. Aber wenn sie Unterstützer im Untergrund haben, dann wird es schwierig. Ehrlich gesagt habe ich bisher keine Lösung für das Problem. Die Riots machen alles kaputt, was wir gehabt haben. Und ich weiss nicht, mit welchem Ziel.»

Eine kalte Hand schloss sich um Sakuras Herz. Sie spürte, die unaufhaltsame Veränderung, die im Gange war. Was würde aus ihnen werden? Wenn die Regierung wirklich alles in ihrer Macht stehende tat, um die Gangs verschwinden zu lassen, dann würden sie das schaffen, auch wenn es sie viel Kraft kostete. Und je nachdem wie die Debatte um den neuen Polizeichef ausfiel, könnte alles noch viel schlimmer werden. Warum gab es keine Menschen, die sich das gesamte Bild anschauten und nicht nur die Gangs für alles beschuldigten?

In ihren Augen sammelten sich Tränen und sie kämpfte wirklich mit sich. Sasuke sollte diese Tränen nicht sehen, aber er sah sie doch.

«Nein, Sakura…»

«Was passiert denn jetzt mit uns?» Der Kloss in ihrem Hals schmerzte bei jedem Wort.

Er stand auf, trat zu ihr und sie lehnte ihren Kopf an ihn.

«Wir haben immer einen Weg gefunden. Auch wenn der Staat der stärkste Gegner ist, den wir haben, irgendwie werden wir uns da durchschlagen. Auch wenn es nicht zu vermeiden ist, dass sich Dinge ändern werden.»

Sie spürte, wie er ihren Kopf streichelte. Es war beruhigend, auch wenn sie sich in diesem Moment gar nicht beruhigen wollte. Sie hatte Angst, ihn zu verlieren. Ihre Gang zu verlieren, ihre Freunde, ihr zu Hause. Was sollte aus ihnen werden, wenn die Polizei sie nun quasi ausrotten wollte?

Einen Hoffnungsschimmer hatten sie jedoch noch: Möglicherweise war die polizeiliche Verstärkung gar nicht so gross, dass sie es schaffen könnten, die Gangs vollständig zu besiegen.

 

Sasuke verliess um viertel vor sieben die Wohnung, obwohl Sakura ihn am liebsten dabehalten hätte. Aber für ihn gab es nun im HQ ein paar Angelegenheiten zu regeln.

Sie beschloss, ein Paar Spaghetti in die Pfanne zu werfen, damit Tsunade sich nach diesem langen Tag nicht auch noch um das Abendessen kümmern musste. Während sie also darauf wartete, dass das Wasser kochte, versuchte sie sich auf die Abschlussprüfungen vorzubereiten, die leider schon Ende Mai anstanden. Viel Zeit blieb ihr nicht mehr und sie hatte noch so viel vor sich.

Die Spaghetti köchelten also vor sich hin, unterdessen versuchte sie sich während dem Tischdecken einzuprägen, was in ihren Skripts zum Thema Ionisierung stand. Sie hatte riesigen Bammel vor diesen Prüfungen, weil sie es hasste, sich nicht ausreichend vorbereiten zu können. Und in dieser Zeit war ihr da schlicht und einfach nicht möglich gewesen.

Gerade, als die Spaghetti al dente waren, hörte sie die Tür ins Schloss fallen.

«Guten Abend, Mäuschen!», rief ihre Tante durch die Wohnung.

«Hi Tsunade! Hast du Hunger?»

«Und wie! Aber ich rieche bereits, dass ich bald satt sein werde!»

«Richtig gerochen, kannst dich gleich an den Tisch setzen!»

Tsunade lachte. «Du bist ein Schatz!»

Sakura hatte inzwischen auch etwas Tomatensauce gewärmt und brachte nun beide Pfannen zum Esstisch im Wohnzimmer, wo ihre Tante bereits Platz genommen hatte. Tsunade sah müde aus. Die Arme schuftete so viel und sie konnte nicht mehr tun, als ihr ein paar Spaghetti zu kochen. Ihre Tante tat so viel für sie, nur weil ihre Eltern es nicht geschafft hatten, ihre Tochter richtig aufzuziehen. Und sie stellte dabei das Laster dar.

Tsunade erzählte von ihrem Tag, ihrem gestressten Chef, der das ganze Büro durcheinanderbrachte und mühsamen Mandanten. Als Sakura ihr allerdings die Neuigkeiten aus Konoha erzählte, nickte sie nur. «Dann machen sie jetzt also ernst, hm?»

Sakura nickte. «Und wie.»

«Es ist verrückt, was diese Riots machen. Sie riskieren damit nicht nur ihr eigenes Überleben, sondern auch das vieler anderer. Ich kann mir auch nicht wirklich einen Reim darauf machen, was sie wirklich wollen. Jedenfalls soll Naruto gut auf sich aufpassen.»

«Da wird er bestimmt.»

«Und du sorgst bitte dafür, dass du da nicht zu sehr reingezogen wirst. Weisst du Mäuschen, ich liebe die Gang, wirklich. Sie bietet ein zu Hause. Aber Perspektiven? Ich möchte nicht, dass du dir deine Zukunft durch all diese Dinge verbauen lässt. Du hast die Chance, etwas zu werden, etwas aus deinem Leben zu machen. Ich will nicht, dass du ins Kreuzfeuer gerätst. Schon damals, als du die Sanitäts-Vans begleitet hast, habe ich mir Vorwürfe gemacht. Dich da zu sehen, mit blutigen Händen, vollkommen verzweifelt…»

Sie strich sich die Haare zurück. Ihr Gesichtsausdruck war bedrückt.

«Ich bin schon so lange verantwortlich für dich und du bist so eine wunderbare junge Frau geworden. Diese kriegerischen Aktivitäten der Gang können dich zerstören, Sakura. Psychisch und physisch. So wie viele andere auf ihrem Weg in der Gang zerstört wurden. Ich würde es mir nie verzeihen, wenn dir etwas passiert… dabei sind dir schon einige schlimme Dinge passiert, weswegen ich mir immer noch Vorwürfe mache…»

Sakura schüttelte energisch den Kopf. «Das musst du nicht! Ich bin selbst für das, was ich mache verantwortlich.»

«Bist du nicht. Jedenfalls nicht voll. Ich möchte nicht, dass ich an dir scheitere, verstehst du das?»

Sakura stocherte in ihren Spaghetti herum. Ihr schlechtes Gewissen meldete sich wieder. Tsunade hatte so viel aufgegeben, um ihr all diese Möglichkeiten zu verschaffen. Und sie, Sakura, setzte andauernd so viel aufs Spiel. Das war Tsunade gegenüber einfach nicht fair.

Sie musste ihrer Tante zuliebe auf sich aufpassen. Das war sie ihr schuldig.

«Ich verstehe das. Wirklich.»

«Versprichst du mir, dass du auf dich aufpasst?»

«Versprochen», sagte sie und sah ihr dabei in die Augen, um ihren Ernst zum Ausdruck zu bringen.

«Danke, Mäuschen. Es schadet nicht, ab und zu mal auf die alte Tante zu hören.»

Das brachte sie zum Lachen.

Etwas später an diesem Abend sass Sakura an ihrem Schreibtisch. Sie hatte sich noch gut mit Tsunade unterhalten, während sie gemeinsam die Küche aufgeräumt hatten. Ihr bereitete die gesamte Situation auch Sorgen, aber es hatte gutgetan, mit ihr darüber zu sprechen. Tsunade hatte sofort gemerkt, dass es ihr nicht besonders gut ging.

Himmel, sie war so froh, eine Tante wie sie zu haben.

Als sie nun über ihren Büchern brütete und so gut wie möglich versuchte, sich Tsunades Anliegen zu Herzen zu nehmen, schweiften ihre Gedanken wiederholt zu Sasuke ab. Sie musste an ihr Gespräch im Park denken. Daran, dass sie ihm einen Brief schreiben wollte. Und dass er dasselbe tun würde.

Sie mühte sich noch eine halbe Stunde mit Mathematik ab, dann beschloss sie, für heute Feierabend zu machen. Damit sie mit diesem Brief beginnen konnte. Gerade jetzt glaubte sie, die besten Worte finden zu können. Jetzt, wo sie sich um ihn sorgte und ihn wirklich vermisste.

Also kramte sie ein Blatt Papier hervor. Es war schlichtes Schreibpapier, dass sie vor hundert Jahren mal geschenkt bekommen hatte. Im seitlichen Hintergrund war ein in herbstlichen Farben leuchtender Baum zu sehen. Der blosse Anblick dieses Papieres versetzte sie in eine melancholische Herbststimmung, dabei war es gerade Mal Mai.

 

Hi Sasuke

 

Ich habe dir einen Brief versprochen. Hier ist er. Ich hoffe, ich kriege das hin.

Weisst du, ehrlich gesagt weiss ich gar nicht, wo ich anfangen soll. Es gibt so vieles zu sagen.

Es kommt mir vor, als wäre es schon Jahre her, dass wir uns getroffen haben. Damals, vor fast einem Jahr hatte ich überhaupt keine Ahnung, was da alles für Sachen auf mich warteten. Es ist so viel passiert, so viel Schlimmes, aber auch Gutes. Und du gehörst zum guten Teil.

Ich habe dich nicht als Taka erkannt, damals auf der Tanzfläche, was eigentlich wirklich dämlich ist. Du warst ja nicht nur irgendein Taka sondern der Vize. Du kannst dir Narutos Entsetzen darüber sich bestens vorstellen. Aber selbst als ich das erfahren habe, war es mir eigentlich nicht so wichtig. Genauer gesagt gingst du mir nicht mehr aus dem Kopf. Ich weiss nicht, ob dir das bewusst ist, aber du hast eine sehr einnehmende Ausstrahlung. Nicht im Sinne eines Sunny-Boys, sondern auf eine ganz eigene Art. Es hat etwas Mysteriöses, als ob du dich mit Geheimnissen umgeben würdest. Und in gewisser Weise tust du das ja auch. Du bist ein Mensch, den man nicht einfach trifft und dann wieder vergisst, nein, dich vergisst man nicht. Und so war es auch für mich.

Ich war überrascht, als du mich in der BZ verschont hast. Und das hat mich nur noch mehr zum Nachdenken gebracht. Du schienst irgendwie nicht ganz damit einverstanden zu sein, wie diese Gang-Streitereien von Statten gehen und da teilte ich meine Meinung voll und ganz mit dir.

Es gab so viele Momente, die ich als sehr wertvoll und unvergesslich ansehe. Jeder einzelne war auf seine Art besonders. Es war nie billiger Smalltalk, wenn man mir dir redete, selbst wenn es um banale Sachen ging, beispielsweise, wer sich nun für den Zusammenprall beim Supermarkt entschuldigen musste.

Es kam eins zum anderen. Sasori hat mir in jener Nacht bei der DDM einen furchtbaren Schrecken eingejagt. Es war verrückt, plötzlich warst du da. Ich hätte das nie erwartet. Und schon gar nicht erwartet habe ich, dass du mir die Möbelfabrik zeigst, ein Ort, der für dich sehr privat war. Du gabst mir eine Sicherheit, die ich kaum in Worte fassen konnte. Obwohl du ein Taka warst, habe ich dir vertraut. Andere würden es naiv und dumm nennen, ich folgte einfach meinem Gefühl. Gott sei Dank habe ich das getan.

Trotz deiner Offenheit, spürte ich, wie viel du nicht über dich preisgibst. Da war so viel, was sich hinter deiner abgeklärten Fassade verbarg. Und das machte mir zeitweise, so sehr es mich auch interessierte, ein wenig Angst, da bin ich ehrlich. Es war nicht gerade hilfreich, wenn die ganze Gang einen schräg anschaut, weil sie mich mir dir gesehen hatten. Sie waren misstrauisch, ich fühlte mich abgekapselt und alleine. Das war eine schlimme Zeit, denn, das muss ich dir eigentlich nicht sagen, Einsamkeit ist eines der scheusslichsten Gefühle.

Aber in dieser Zeit warst du da. Und ich war so froh. Es kam der Punkt, an dem es mir egal war, was sie über dich dachten. Weil du mir immer wieder gezeigt hattest, dass ich keine Angst haben musste.

Dieser Gangkrieg hätte beinahe einen Keil zwischen uns getrieben, weisst du noch? Aber irgendwie passierte es von selber, dass wir wieder miteinander in Kontakt kamen. Und ich war froh darum. Ich bereue es nicht eine Sekunde, dass ich an der DD-Area zu dir gelaufen bin.

Es gab Zwischenfälle, die mich zweifeln liessen. Lange sind sie noch nicht her. Aber das spielt keine Rolle mehr, das versichere ich dir, Sasuke. Seit Oto zweifle ich nicht mehr. Es war eine der besten Erfahrungen gewesen, mit dir dorthin zu gehen. Nicht im Traum hätte ich mir ausgemalt, dass diese Reise so viel Gutes mit sich bringen würde. Dabei war ich nicht einmal die Hauptperson in dieser ganzen Geschichte.

Gerade in unserer derzeitigen Situation fühlt es sich an, als wäre unsere Zeit begrenzt. Es passiert wo viel Schlimmes. So viel Beängstigendes. Und deshalb will ich dir jetzt folgendes sagen:

Ich weiss nicht, wo ich heute stehen würde, wenn ich dich nicht getroffen hätte. Du bist ein so wunderbarer Mensch, auch wenn du das gar nicht wahrhaben wirst. Von dir kann man gar keine detaillierte Beschreibung machen, weil du einfach so viele Seiten hast, von denen ich wahrscheinlich noch gar nicht alle kenne.

Ich liebe es, wenn du lächelst. Das tust du nämlich gar nicht so oft. Aber wenn du es tust und du es richtig tust, dann ist das tausendmal besser. Du hast eine so unbeschwerte Seite an dir, die du mir zu spüren gibst, aber du kannst auch genauso ernst sein.

Du bist klug, Sasuke und wie. Das hat nichts mit einem College-Abschluss zu tun, denn du bist klüger als viele meiner Mitschüler, glaub mir. Ich bin überzeugt, dass du in deinem Leben alles erreichen könntest, was du willst.

Weisst du, was mich auch immer wieder beeindruckt? Wie du eine ganze Menge mit wenigen Worten zum Schweigen bringen kannst. Du bist ein geborener Anführer und deine Leute vertrauen dir blind. Ich wünschte, ich wäre so willensstark und durchsetzungsfähig. Aber dazu hab ich ja nun dich, was? ;)

Und trotzdem bist du nicht egoistisch, weder abgehoben noch arrogant, nein. Du bist feinfühlig. Ist dir das einmal aufgefallen? Deine Instinkte sind bemerkenswert gut. Du nimmst Dinge wahr, die jeder andere erst nach mehrfachem Hingucken sieht. Deine Fähigkeit, die Menschen zu sehen wie sie sind, einfach so durch ihre Fassade hindurch zu blicken. Es ist eine solch grosse Gabe, Sasuke.

Du hast ein so sanftes Wesen, auch wenn das nicht die erste Eigenschaft ist, die man dir zuschreiben würde. Nicht zuletzt, weil man es nicht allzu oft zu Gesicht bekommt. Aber wenn du es zeigst, dann ist es umso schöner.

Du kümmerst dich um deine Lieben, auf deine ganz eigene Art, die alle zu schätzen wissen. Du bist immer da, wenn ich dich brauche und ich hoffe, dass ich dir davon auch etwas zurückgeben kann.

Und dann bist du auch noch so wunderhübsch. Ich liebe deine dunklen Augen, dein Blick, der Wände durchbrechen kann. Deine Haare, die sich so weich anfühlen. Deine Stimme, weil sie einfach nur schön zum Hören ist. Deine Narben, weil sie Ausdruck dafür sind, wie sehr du für dich und deine Lieben gekämpft hast.

Ich fühle mich bei dir sicher. Du weisst, ich bin nicht besonders stark oder flink. Manchmal machen mir diese Gangsachen auch Angst. Aber wenn du dabei bist, kann ich über mich hinauswachsen. Du gibst mir ohne grosse Mühen das Gefühl, stark zu sein. Dafür danke ich dir von ganzem Herzen.

Ich weiss, du würdest vieles von dem jetzt abstreiten. Aber genau so sehe ich dich. Du hast Probleme, klar. Ich aber auch. Es gibt keine Probleme, mit denen wir nicht irgendwie fertig werden können. Ich will, dass du eines ganz klar weisst: Ich will bei dir sein, auch in Zukunft, egal was in der Vergangenheit passiert ist. Wir werden vielen Schwierigkeiten in die Augen sehen müssen, aber was auch immer passiert, ich werde dich nicht aufgeben. Ich will nicht, dass das kitschig klingt, aber anders kann ich es einfach nicht ausdrücken.

Ich hoffe, ich habe alles gesagt. Und sonst werde ich dir wieder schreiben. Versprochen.

Ich liebe dich.

 

Sakura
 

Ob sie wirklich alles reingepackt hatte, was sie ihm mitteilen wollte? Sie war sich nicht ganz so sicher. Es gab viel zu Vieles. Aber das waren Worte, die direkt aus dem Herzen kamen. Den Brief schob sie in den dazugehörigen Umschlag, klebte diesen aber noch nicht zu.

Inzwischen war es spät geworden. Und morgen musste sie früh raus.

Sie nahm noch eine Dusche, putzte sich die Zähne und kroch in ihr Bett, nachdem sie Tsunade noch eine gute Nacht gewünscht hatte.

Und obwohl sich derzeit so viele schlimme Dinge in Konoha abspielte, fühlte sie sich seltsam ruhig. So ruhig, dass sie problemlos einschlief.

 

Am nächsten Morgen stand zu ihrer Überraschung um halb acht Tsunade mit dem Autoschlüssel in der Hand an der Tür. Normalerweise verliess sie das Haus erst um halb neun.

«Ich fahre dich. Da draussen ist es mir zu gefährlich.»

Diese Aussage duldete keinen Widerspruch und ehrlichgesagt war es Sakura ganz recht. «Du weisst schon, dass du mich nicht die ganze Zeit durch die Gegend kutschieren kannst? Die Schule endet um halb fünf.»

Tsunade seufzte. «Könntest du mich vielleicht einfach mal meine Tanten-Pflicht tun lassen? Ich weiss, dass ich dich nicht abholen kann. Aber so kann ich das Risiko wenigstens ein wenig vermindern.»

Sakura lächelte. «Ich weiss doch. Wollte nur, dass dir klar ist, dass sie nicht mich suchen, sondern die Leader.»

Tsunade nickte. «Aber viele der Riots würden dich erkennen. Also trag bitte die Kapuze, okay?»

«Alles klar.»

Gemeinsam verliessen die beiden das Haus. Heute schien die Sonne, es war zwar noch etwas kühl, jedoch wurden die Tage nun immer wärmer.

Tatsächlich erreichten sie die Schule trotz dem Morgenverkehr pünktlich. Am Tor wartete bereits Ino, die mit Tsunade auch noch kurz ein paar Worte wechselte, bevor diese in ihrem Fiat davonbrauste.

Den Tag schlugen sie sich mit Mühe und Not um die Ohren, inzwischen war der Prüfungsdruck richtig spürbar. In ihrer Klasse herrschte eine gewisse Angespanntheit und Sakura war klar, dass sie bis anhin nicht gerade optimale Vorbereitungsarbeit betrieben hatte. Eigentlich war sie jemand, der gerne vorbereitet und organisiert war, aber jüngste Ereignisse hatten ihr da einen dicken Strich durch die Rechnung gemacht.

Ino ging es nicht anders. «Wenn ich diese Prüfung nicht bestehe, kriege ich ‘ne Krise. Ich will endlich mal ein wenig arbeiten und Geld für ein allfälliges Studium zusammenkriegen. Noch ein Jahr College halte ich nicht aus.»

Sakura konnte das gut nachvollziehen. Auch sie hatte noch keine konkreten Studiumspläne, weshalb sie sich gut vorstellen konnte, erst einmal ein Jahr Schulpause zu machen. Irgendwo jobben, ein wenig Geld verdienen, damit Tsunade endlich einmal verschnaufen konnte. Aber das erforderte ein Bestehen dieser Prüfungen.

Sie konnten früher gehen, da sie mit dem Schulstoff in vielen Fächern schon so gut wie durch waren.

Sakura begleitete Ino nach der Schule noch bis zur Konoha City Station, wo Ino den Zug nach Kumogakure nehmen würde, ein Nachbarort Konohas, indem Inos Mutter kuriert wurde. Ino würde das Wochenende bei ihr verbringen, die Einrichtung hatte extra für Angehörige vorgesehene Zimmer. Gerade vor zwei Monaten hatte Mrs Yamanaka einen schweren Rückfall in ihrer Bulimie erlitten. Morgen war es ihnen freigestellt, ob sie zur Schule kommen wollten oder nicht, da vorwiegend nur noch repetiert wurde. Sakura lernte lieber für sich und Ino nutzte die Gelegenheit, um Zeit mit ihrer Mutter zu verbringen.

«Ich mach mir ein wenig Sorgen», murmelte ihre Freundin, als sie sich zum Bahnsteig in dem riesigen, überfüllten Bahnhof begaben. «Es scheint einfach nicht vorwärtszugehen, immer fällt sie wieder in ihre alten Muster zurück. Und Dad… von dem will ich gar nicht anfangen. Weisst du, eigentlich ist er so verdammt schwach. Mom bräuchte ihn als richtige Unterstützung, stattdessen tut er alles andere, nur nicht für sie da sein. Ab und zu ruft er sie an oder bringt ihr Blumen, mehr kriegt er nicht auf die Reihe.»

Sakura nickte mitfühlend. «Das ist echt das Letzte. Wir haben nicht gerade das grosse Los gezogen mit unseren alten Herren, was?»

Ino nickte müde. «Du sagst es. Also ich werde mir mal einen Typen suchen, der das besser macht.»

Sakura hätte zu gerne gewusst, ob sie da schon jemanden im Kopf hatte. Früher war sie Hals über Kopf in Shikamaru verknallt gewesen, aber das war inzwischen ein wenig erkaltet. Seither hatte Ino nie mehr etwas in dieser Art geäussert.

Und um sie zu Fragen blieb keine Zeit mehr, denn ihr Zug würde in wenigen Minuten den Bahnhof verlassen.

Zum Abschied umarmten sie sich herzlich.

«Grüsse deine Mom von mir, ja?», rief Sie Ino noch hinterher

«Werde ich!» Mit diesen Worten verschwand sie im Wagon des Zuges. Sakura winkte ihr noch, als der Zug den Bahnhof verliess.

Gut. Und sie würde jetzt nach Hause gehen, für sie war lernen angesagt. Auf dem Weg durch die Menschenmenge, die sich durch den Bahnhof zwängte, sah sie sich immerzu unauffällig um. Wer wusste schon, ob sich hier Riots herumtrieben?

Als sie um die Ecke bog und den Haupteingang anvisierte, vernahm sie von links das sanfte Geräusch einer Gitarre und gleich darauf eine wunderbare Frauenstimme. In Konoha gab es wahnsinnig viele talentierte Strassenkünstler und diese Frau war eine davon, das konnte sie schon nach wenigen Sekunden sagen. Suchend sah sie sich nach der Quelle des Gesangs um. Wenn sie nicht alles täuschte, dann kam es von der Ecke, nahe am Kiosk.

Leider gingen auch dort viele Menschen ihres Weges, doch dann sah sie in einer kurzen Lücke sie einen roten Haarschopf aufleuchten. Konnte es sein…

Es konnte sein. Als sie nahe genug war, brauchte sie nicht mehr zu zweifeln: Dort stand Karin, mit Sasukes Gitarre in der Hand, singend. Vor ihr eine alte Mütze mit ein paar Münzen drin. Wie sie so dastand, sah sie überhaupt nicht so aus, wie Sakura sie in Erinnerung hatte. Sie kannte Karin nur im Taka-HQ und da hatte sie diese ganz gewisse Dominanz. In ihrer Haltung, in ihrem Gesicht, überall. Und hier, wie sie so vor ihr stand, wirkte sie einfach wie ein Mädchen, das sang und sich dabei wohlfühlte. Und Geld brauchte.

Sakura stellte sich etwas abseits und lauschte. Sie konnte sich bildlich vorstellen, wie Sasuke und Karin gemeinsam sangen und sich die Mütze dabei randvoll füllte, weil es so fantastisch klang. Gerne hätte sie die beiden einmal zusammen gehört.

Der Gedanke war zwar schön, jedoch beschwor er auch ein ungutes Gefühl in ihr herauf. Karin war so hübsch, tough und obendrauf noch eine tolle Sängerin. Wenn sie vorher hätte mit Karin hätte mithalten können, dann würde sie spätestens jetzt den Anschluss verlieren. Sie konnte kein bisschen singen. Wenn sie sang, dann nur unter der Dusche. Und Karin konnte das.

Ob sie diese schlimmen Komplexe jemals loswerden würde? So sehr sie es auch versuchte, es funktionierte nicht. Da konnte sie sich selbst noch so gut zureden.

Wie auch immer, zurück zu Karin. Die Mütze vor ihr war längst nicht so voll, wie sie es verdient hätte. Sakura war unschlüssig. Sollte sie sich ihr zeigen? War ihr Verhältnis inzwischen ein wenig besser, seit dem Vorfall mit Tayuya?

Irgendwie hätte sie gerne eine Münze in die Strickmütze geworfen. Das Lied war wunderschön. Ruhig, aber irgendwie auch traurig.

Nun, Karin würde eine Geldspende ihrerseits sicher nicht so toll finden. Im Gegenteil.

Also wandte sie sich ab und tauchte wieder in der Menge unter, in ihrem Ohr hallten immer noch die Klänge und der Text von Karins Lied nach. Aus ihr hätte eine richtige Musikerin werden können, so wie aus Shikamaru ein Professor. Stattdessen kämpften sie wie alle anderen in einer Stadt ums Überleben, von der sie nie akzeptiert worden, sondern nur geduldet worden waren. Und nun schien es auch mit dem Dulden zu Ende zu gehen.

Hätte man sie vor einem halben Jahr gefragt, was sie von Karin hielt, wäre die Antwort klar gewesen. Aber inzwischen war sie sich dieser Antwort nicht mehr so sicher.

 

Das Wochenende begann und Sakura lernte. Sie lernte wie schon lange nicht mehr. Am Freitagmorgen zwei Stunden Englisch, nachmittags zwei Stunden Mathematik und eine Naturwissenschaften. Am Samstagmorgen zwei Stunden Deutsch, am Nachmittag zwei Stunden Naturwissenschaften.

Am Samstagabend war ihr Kopf so schwer, dass sie sich wirklich ernsthaft fragen musste, ob ihr Hirn überhaupt noch mehr Stoff ertragen würde. Aber sie fühlte sich gut, denn nun hatte sie so ziemlich das aufgeholt, was sie an Lernen in den vergangenen Wochen versäumt hatte. Ob sie allerdings die Prüfungen schaffen würde, wollte und konnte sie noch nicht voraussagen.

Sie spielte mit dem Gedanken, den Abend im HQ zu verbringen, jedoch bot ein fauler Fernsehabend mit Tsunade irgendwie gerade mehr Anreiz.

«Mebuki hat angerufen, irgendwas wegen der Geldüberweisung. Ich hab ihr gesagt, sie soll mit dir direkt reden und dann habe ich aufgelegt. Ach und ich hab ihr wieder einmal gesagt, dass ich ihr Verhalten absolut dämlich und respektlos finde.»

Für Sakura war ihre Mutter nach wie vor nicht das beliebteste Thema . Sie hatte seit ihrem Streit nichts mehr von ihr gehört und nun rief sie Tsunade an, anstatt direkt mit ihr zu sprechen?

Ihre Mutter war armselig. Andere Worte fand sie dafür nicht.

Aber ihre Tante hielt solidarisch zu ihr und zeigte ihrer Schwester auch, was sie von ihrem Verhalten hielt. Und darüber war Sakura froh, auch wenn es ihre Mutter nicht zu kratzen schien. Tsunade würde ihr immer den Rücken stärken.

«Die wird nur anrufen, wenn davon Leben abhängen», brummte Sakura. «Und selbst dann kann man es nicht mit Sicherheit sagen.»

Tsunade sah traurig aus, obwohl Sakura die Situation damit eigentlich hatte auflockern wollen.

«Ich verstehe Mebuki einfach nicht. Da hat sie eine Tochter, die wirklich, wirklich toll geraten ist und lässt sie einfach hängen. Und von deinem Dad fangen wir gar nicht erst an…»

«Besser nicht.» Sie sprang auf und lief zu DVD-Schublade. «Komm, wir sehen uns etwas Lustiges an. Ghostbusters? Zurück in die Zukunft?»

«Ghostbusters klingt toll!» Tsunade stellte ein Teller Kekse auf den Tisch und liess sich auf dem Sofa nieder.

«Ist Ghostbusters II okay? Ich mag den noch ein kleines bisschen mehr.»

«Auf jeden Fall.»

Sakura liess die DVD im Laufwerk verschwinden. «Na dann, los!»

Der Abend war gemütlich. Sakura hatte diesen Film immer gemocht, es war einer von denen, die man sich immer wieder ansehen konnte.

Es war lange her, dass sie das letzte Mal einen so gemütlichen Filmabend mit Tsunade verbracht hatte. Sie futterten Kekse und später noch Erdbeereis, lachten über den Humor des Filmes und die Schauspieler. Es war köstlich.

Etwa eine Viertelstunde vor Schluss vibrierte Tsunades Handy. Sakura drückte auf «Pause».

«Was will den Jiraiya um diese Zeit?», murmelte sie nach einem kurzen Blick auf das Display.

«Jiraiya? Was ist?»

Sie hörte kurz zu, währenddessen weiteten sich ihre Augen unheilverkündend. «Gummischrot?!»

Sakura signalisierte Tsunade, dass sie mithören wollte, worauf diese den Lautsprecher einschaltete.

«… es hat ihn am Rücken getroffen, aus ziemlich kleiner Distanz. Sie haben gerade noch fliehen können und sind jetzt bei mir im Toad’s. Shizune nimmt nicht ab.»

Tsunade nickte. «Dann waren das also tatsächlich keine leeren Drohungen. Jagd auf die Leader in der Hoffnung, dass sie die Gangs einschüchtern können.»

«Genau. Könntest du dir das Mal ansehen? Es sieht ziemlich übel aus. Einfach, damit es richtig versorgt wird.»

Tsunade nickte. «Bin unterwegs.»

Damit legte sie auf. «Sakura, es tut mir leid, aber…»

«Schon klar. Lass uns gehen.» Sakura hatte sich auf das Ganze bereits einen Reim machen können. Gegen aussen wirkte sie gelassen, aber innerlich schrie sie vor Angst. Ihre Befürchtungen meldeten sich wieder zu Wort. Was, wenn das hier alles Vorboten für etwas viel Schlimmeres waren?

Und Naruto… Gummischrot war nichts, womit man spasste.

Auf der Fahrt durch das nächtliche Konoha schwiegen sie. Sie kreuzten vier Polizeipatrouillen, zwei davon in der Nähe des Toad’s. Wenn das in ganz Konoha so war, dann war kein Gangmitglied mehr sicher.

Tsunade parkte im Hinterhof von Jiraiyas Bar, dort, wo vor nicht allzu langer Zeit eine Konfrontation der Riots mit den Kuramas und Takas stattgefunden hatte.

Das Kies knirschte unter ihren Füssen, als sie sich zur Hintertür hinein in die Bar begaben, die um diese Zeit, es war Viertel nach Zehn, bereits ziemlich voll war. Man schenkte ihnen keine grosse Beachtung. Die Tür zum Treppenhaus war nicht wie gewöhnlich abgeschlossen. Im, mit verblichenem roten Teppich ausgelegten Treppenhaus, brannte auch Licht, wobei man sagen musste, dass zwei Lampen mal einen Birnenwechsel gebraucht hätten.

Oben angekommen befanden sie sich in Jiraiyas Wohnung, gleich links stand die Tür offen. Das letzte Mal war sie hier gewesen, als es darum ging, die Riots auszuspionieren.

Auf dem Bett lag Naruto auf dem Bauch, den Kopf im Kissen vergraben, Jiraiya, Kiba und Sai standen daneben.

Der Leader hatte sein Shirt ausgezogen, somit war der Blick frei auf zwei rote Flecken. Einer war eine Platzwunde, befand sich im unteren rechten Rücken, der Schrot musste dort ziemlich hart und gerade aufgetroffen sein. Inzwischen blutete es nicht mehr, jedoch wiesen verblutete Gazebinden darauf hin, dass man der Blutung schon Abhilfe geleistet hatte.

Der andere Fleck sah nicht ganz so brutal aus, jedoch schien er direkt die Schulter getroffen zu haben. Vermutlich aber aus einer weiteren Entfernung, als die erste.

«Da hat jemand etwas abgekriegt, was?» Tsunade ging schnurstracks zum Bett und scheuchte die Jungs weg. Jiraiya hielt ihr den Verbandskasten hin. Tsunade hatte mit Absicht nicht ihren mitgenommen. Falls sie hier ein Polizist mit dem Koffer beobachtet hätte, wäre er vermutlich stutzig geworden.

«Wie ist das passiert Naruto?»

Naruto hob den Kopf nicht aus dem Kissen. «Keine Ahnung, ging zu schnell.»

Er klang nicht gerade entspannt, schien sich jedoch bereits ein wenig gefasst zu haben. «Wir waren nur kurz draussen, wollten im Supermarkt noch was besorgen und plötzlich sahen wir von Weitem die Cops. Sagten, wir sollen stehen bleiben und dass sie sonst schiessen. Tja, wir sind nicht stehen geblieben, wie du siehst.»

«Die haben Fox erkannt und von Anfang an auf ihn gezielt. Hat keine Kapuze getragen», ergänzte Sai.

«Irgendwie haben wir gedacht, dass schon nichts passieren wird. Waren auch mit dem Auto unterwegs. Falsch gedacht», brummte Kiba. «Die Cops waren zu weit entfernt von ihrem Auto, als dass sie schnell genug gewesen wären. Zum Glück war das Toad’s in der Nähe, der Hinterhof ist so unscheinbar.»

Sakura hatte sich vorhin gar nicht auf die Autos geachtet, die noch im Hinterhof standen.

«Wir waren schneller im Hinterhof, als sie es verfolgen konnten. Sai hat vorhin eine von Jiraiyas Abdeckplanen über den Wagen geworfen.»

Das erklärte, warum ihr der Wagen nicht aufgefallen war.

«Ihr habt verdammt Glück gehabt.»

«Das kannst du laut sagen. Bis vorhin sind noch Autos mit Blaulicht und Sirene durch die Strassen gefahren, aber jetzt ist es schon länger ruhig.»

«Okay.» Tsunade nickte. «Dann lass uns mal sehen.»

Sakura kniete sich neben Naruto. «Hey, Naruto.»

Nun hob er doch den Kopf und grinste gequält. «Ach, du bist auch da? Kommst du, um mich zu bemitleiden?»

«Natürlich. Immer doch.»

Er wollte etwas sagen, doch dann schrie er auf. «Ah, verdammt, Tsuna, spinnst du?!»

Tsunade hatte ohne zu Fragen Desinfektionsmittel auf seine Wunde geträufelt.

Sie lächelte, doch ihr Lächeln verkündete nichts Gutes. Sie gab noch einen ordentlichen Tropfen des Mittels auf die Wunde, worauf Naruto erneut zusammenzuckte.

«Ach, entschuldige, Naruto, da ist der guten alten ‘Tsuna’ doch die Hand ausgerutscht.» Sie betonte den Spitznamen, wie wenn man vom blossen Aussprechen vergiftet werden könnte.

«Tut mir ja leid…», stöhnte Naruto.

«Das ist eine ganz schön fiese Wunde», brummte Tsunade. «Wird dir noch länger zu beissen geben, dass kannst du mir glauben.»

«Die andere tut mir fast mehr weh», bemerkte er.

«Kann ich verstehen. Ich kann dir nicht genau sagen, was, aber da hast du dir etwas gestaucht. Am besten stellen wir die Schulter ruhig. Ach und glaub mir, es wird wunderbar blau werden.»

«Tolle Aussichten.» Er schlug mit der Faust auf die Matratze. «Wie ich es hasse!»

«Jetzt wird nicht gejammert», befahl Tsunade und arbeitete weiter.

Etwa zehn Minuten später war Naruto frisch verbunden und Tsunade hatte ihm eine behelfsmässig mit einem von Jiraiyas Handtüchern den Arm so fixiert, dass die Schulter ruhiggestellt war.

«Shizune soll sich das auf jeden Fall noch anschauen. Okay?» Währendem sie das sagte kramte sie noch in ihrer riesigen Handtasche und zog eine Tablettenpackung heraus. «Verschreibungspflichtige, starke Schmerzmittel, die dir helfen können. Hab ich noch von vergangenen Behandlungen nach dem Kampf mit den Riots. Zwei täglich, am besten nimmst du jetzt eine. Und: Stillhalten.»

«Das dürfte das Schwierigste werden.» Naruto sass inzwischen am Bettrand und Sakura musste lachen. Er sah ziemlich unzufrieden mit seiner derzeitigen Lage aus, fast schon trotzig. «Nicht einmal Motorrad…»

«Motorrad am allerwenigsten!», fuhr ihre Tante dazwischen. «Bis Shizune das nicht gesehen hat, wird hier gar nichts Dummes gemacht.»

«Wunderbar gemacht, Neffe.» Jiraiya lächelte zwar, sah aber ernst aus. «Das hätte böse enden können. Wenn die dich kriegen, Naruto, dann bist du für die längste Zeit ein freier Mann gewesen, das weisst du. Also: Es wird nicht mehr rausgegangen. Punkt.»

Er nickte resigniert. «Hab’s verstanden. Und dazu keine Gangaktivitäten mehr.»

«Richtig. Und an der Bar wird auch nicht mehr gearbeitet.»

Naruto wollte protestieren, doch Jiraiya winkte ab. «Ich zahl dir deinen Lohn trotzdem. Kriegen wir schon hin.»

Er klopfte seinem Neffen auf die Schulter und Naruto lächelte. «Danke».

Was sie mit Tsunade hatte, so etwas Vergleichbares hatte Naruto mit Jiraiya.

Naruto und die anderen blieben für diese Nacht im Toad’s. Mit dem Auto noch irgendwo hinzubrausen wäre zu gefährlich gewesen. Und wenn Shizune dagewesen war, würde man den Leader zurück ins HQ eskortieren.

Tsunade und Jiraiya tranken untern in der Bar noch einen Drink zusammen, Sakura blieb noch ein wenig bei den Jungs, die ihr den Vorfall nun noch bis ins kleinste Detail schilderten.

«Anscheinend rufen sie die Leute dazu auf, ihnen Hinweise auf die Aufenthaltsorte der Leader zu geben. Es gibt zwar keine Fotos von uns, aber da sie wissen, wie wir aussehen können die ziemlich gute Phantombilder von uns machen. Und die Bevölkerung hilft der Polizei natürlich gerne.»

«Vom Riot-Leader auch?»

«Ja, von dem auch. Wenn die Riots nicht wären, könnten wir uns wenigsten auf das konzentrieren, was wichtig ist. Aber die hecken auch noch irgendwas aus…»

Naruto sah müde aus. Er hatte das nicht verdient, diesen ganzen Hass und dann noch eine Polizeiattacke. Er hatte ihr vorhin beschrieben, wie schmerzhaft Gummischrot war – furchtbar. «Es macht mich wahnsinnig, das zu sagen, aber ich werde von jetzt an keinen Schritt mehr aus dem HQ hinausmachen. Ich gebe denen bestimmt nicht, was sie wollen.»

«Das ist auch das Beste», brummte Kiba. «Wir sollten das den Takas berichten, Demon streift bestimmt auch noch da draussen rum. Und so ungern ich es auch sage, wir brauchen ihn noch.»

«Mhm, das sollten wir.» Er bedachte Sakura mit einem unmissverständlichen Blick und sie nickte unscheinbar. Es war süss von Naruto, dass er versuchte, ihre Sache mit Demon möglichst nicht vor den anderen zur Sprache zu bringen. Auch wenn sie genug ahnten, sollte das Thema doch nicht andauernd angesprochen werden.

Bald darauf am Tsunade ins Zimmer, um Sakura zu holen. Nach ein paar letzten Ermahnungen für Naruto verliessen sie das Toad’s.

«Die Lage wird immer verzwickte. Heute hätte Naruto im Gefängnis landen können, Sakura. Und ich bin ehrlichgesagt genauso ratlos wie ihr», meinte Tsunade, als sie mit dem Fiat die Westumfahrung verliessen.

Sakura nickte niedergeschlagen. «Alles nur wegen den Riots.»
 

Als sie zu Hause angekommen waren und Tsunade im Bett lag, wählte Sakura Sasukes Nummer. Es war zwar schon halb eins, jedoch war sie sich ziemlich sicher, dass er noch wach war. Es war ja schliesslich Samstag.

«Sakura?»

«Hey, Sasuke», sagte sie und sprach dabei leise. Sie wollte nicht, dass Tsunade durch die ringhörigen Wände etwas mitbekam. «Du musst mir jetzt schnell zuhören, okay?»

«Okay.»

Sie schilderte ihm die ganze Situation, vom Gummischrot bis hin zu den Phantombildern. Er hörte ihr zu, ohne sie zu unterbrechen, bis sie fertig war.

«Big Fox ist in dem Fall bis auf weiteres kampfunfähig?»

Sakura war etwas verwirrt, weil sie eine andere erste Reaktion erwartet hatte. «Ja schon, aber…»

«Wir haben drum eigentlich über die Möglichkeit nachgedacht, die Riots bald erneut zu konfrontieren. Aber dann müssen wir das anders machen, ohne Big Fox funktioniert das nicht.»

Davon hatte sie nichts gewusst. «Ich weiss nicht, ob das in Anbetracht der Situation überhaupt eine schlaue Idee gewesen wäre. Es kommt mir vor, als wäre jede Gangaktivität nur ein Guss Öl ins Feuer. Am besten tun wir im Moment gar nichts. Und du und Naruto am allerwenigsten. Sonst kriegst du auch noch von diesem verfluchten Gummizeug ab und ich sage dir, es hat nicht schön ausgesehen.»

«Das glaube ich dir sofort. Aber du hast schon recht, unser Plan war es auch nicht die Riots mitten in der Stadt anzugreifen. Genauer gesagt war der Plan sowieso noch längstens nicht ausgereift.» Sie hörte es am anderen Ende rascheln, er schien sich zu bewegen, während er telefonierte.

«Wo bist du, Sasuke?», fragte sie besorgt.

«Im HQ, auf dem Gang, keine Angst. Ich geh auch nicht mehr raus, habe keine Lust auf Gummischrot. Versprochen.»

«Danke.»

«Alles okay bei dir?», fragte er.

«Nichts ist mehr okay», flüsterte sie.

Irgendwas Schreckliches würde passieren. Es war nur noch eine Frage der Zeit. Da war sie sich in diesem Moment sicher.

In den kommenden drei Wochen lernte Sakura intensiv. Die Prüfungen waren nicht mehr weit und sie musste einfach bestehen. Nebenbei verfolgte sie die Nachrichten und allgemein was zum Thema «Gangs» im Fernsehen lief. Es trug zwar nicht dazu bei, dass sich ihre Laune hob, jedoch zeigte es ihr, dass ihre Befürchtungen nicht auf der Luft gegriffen war. Sie war also nicht komplett verrückt.

Der neue Präsident des Polizeidepartements war gewählt worden. Sein Name war Zabuza Momochi. Es war keine Überraschung, dass man sich aus Sicht der Gangs für den Schlimmsten entschieden hatte. Er hatte radikale Ansichten und wenn Sakura ihn im Fernsehen sah, lief es ihr kalt den Rücken hinab: Finsterer Blick, in seinen Dreissigern, kräftig gebaut, zu allem fähig. Das konnte sie aus seinem Gesicht lesen. Konoha war von da an voller Polizisten. Sein Ziel war es sogar, das Militär einzuschalten – er selbst bekleidete einen hohen Rang in der Armee. Dieser Mann würde nicht ruhen, bis er die Alpha-Wölfe hatte. Und wahrscheinlich nicht mal dann würde er sich zufriedengeben.

Noch schlimmer war, dass Kakashi ebenfalls für das Amt kandidiert hatte. Mit ihm hätten sie bestimmt eine Lösung gefunden. Aber diese Option konnten sie nun in den Wind schiessen. Mit Momochi aber, verhandelte man nicht.

 

Es war der Abend nach ihrer ersten Prüfung, die entgegen ihrer Erwartungen ganz gut gelaufen war, als sich vieles veränderte.

Es begann damit, dass ihr Handy klingelte.

 

Die Welt gegen uns

Sakura war über dem Mathebuch eingeschlafen. Es war schon halb neun Uhr abends. Sie hatte ein fast zweistündiges Nickerchen gemacht, nachdem sie heute zwei Stunden Naturwissenschaftsprüfung abgelegt hatte.

Erst jetzt merkte sie, warum sie aus dem Schlaf gerissen worden war: Ihr Handy klingelte. Noch schlaftrunken hielt sie sich das Gerät ans Ohr. «Ja?»

«Sakura…» Am anderen Ende der Leitung vernahm sie Ino, atemlos.

«Ino? Was ist los?»

«Es ist etwas passiert.»

Sakura fiel beinahe das Handy aus der Hand. «Was?»

«Erkläre ich dir nachher. Die Takas sind unterwegs und wir sind in fünf Minuten vor deinem Block.»

Bevor sie noch etwas sagen konnte, hatte Ino aufgelegt. Obwohl sie keine Ahnung hatte, was los war, begann ihr Herz zu rasen. Es war Mittwochabend, Tsunade war mit Shizune zum Essen verabredet. Übermorgen hatte sie ihre Matheprüfung. Alles ganz normal. Aber ihr Herz schlug wie verrückt.

Schnell zog sie sich um, von Trainerhose zu Jeans und von Schlabbershirt zu einem langärmligen, schwarzen Pullover. Draussen war es inzwischen richtig Frühling geworden.

Im Bad putzte sie sich noch schnell die Zähne, schlüpfte dann in ihre Schuhe und wollte gleich zur Tür raus, als ihre etwas einfiel. Auf ihrem Schreibtisch lag immer noch der Brief. Die Takas würden dort sein, hatte Ino gesagt, vielleicht konnte sie Sasuke den Brief unauffällig zustecken.

Schnell verschloss sie ihn und steckte ihn in ihre Tasche. Jetzt war sie bereit.

Draussen wartete bereits der schwarze Banden-Suzuki. Natürlich, sie würden mit dem Auto unterwegs sein.

Innen drin sassen Naruto, Ino, Tenten und Neji am Steuer. Naruto war inzwischen wieder auf den Beinen. Glücklicherweise war seine Schulter wirklich nur stark gestaucht gewesen. Und die Wunde auf seinem Rücken heilte gut, er hatte grosses Glück gehabt.

Nach einer kurzen Begrüssung wurde sie über die Umstände aufgeklärt: Es war haarsträubend.

Die Riots hatten ihnen eine Videobotschaft zukommen lassen, auf der zu sehen war, dass sie zwei kleine Kinder in ihr Gewahrsam gebracht hatten. Sie drohten damit, den Kindern etwas anzutun, wenn sich die Leader nicht zum vereinbarten Punkt am äusseren Stadtrand zeigten. Ihnen war schon klar, dass die Riots das taten, um die Leader aus der Versenkung zu locken. Die Möglichkeit, dass es nur eine Falle war, war hoch. Die Kinder könnten ja auch Bekannte der Riots sein oder Strassenkinder, die sie dafür bezahlten.

Sie zeigten ihr das Video und wenn Sakura gedacht hatte, dass es ein Fake war, dann waren ihre Zweifel hiermit ausgeräumt: Einer der Riots schlug einem der Mädchen hart ins Gesicht und als Sakura genauer hinsah, was bei der schlechten Qualität wirklich nötig war, erstarrte sie vor Schreck. Das konnte nicht sein.

«Das Video ist definitiv kein Fake. Ich kenne das Mädchen.»

Schlagartig waren drei Augenpaare auf sie gerichtet. «Woher?!»

Sakura erinnerte sich an den Tag, an dem Naruto und Sasuke sich vor der DDM geprügelt hatten, sie dann fortgelaufen und im Gold Park gelandet war. Dort war sie auf Moegi getroffen, ein süsses kleines Mädchen. Wie hatte sie in die Hände der Riots geraten können?

Als sie das ihren Freunden erklärt hatte, breitete sich allgemeines Schweigen aus.

«Ich verstehe nicht, wie man so tief sinken kann.», sagte Tenten trocken. «Da wundert es mich nicht, wenn die Leute eine total verbogene Vorstellung von uns Gangs haben.»

«Aber jetzt ehrlich: Die haben einen miesen Plan. Die gehen nur so weit, weil sie sich daraus einen grossen Nutzen erhoffen. Sie haben uns wieder einmal in der Hand. Aber auch nur, weil ihre Strategien dreckig sind. Auf dieses Niveau würde ich mich nie herablassen, nicht einmal, wenn wir damit die Riots ein für alle Mal loswerden könnten», brummte Naruto.

«Wo habt ihr mit den Takas abgemacht?», fragte Neji in Narutos Richtung.

«Beim alten Park in der Nähe der BZ. Bei der BZ findet dann die Sache mit den Riots statt.»

«Okay. Ich fahre den Umweg, ja?»

«Jep. Wäre ziemlich dumm, wenn die uns auf gewohntem Weg auflauern.»

Die Stimmung im Auto war gedrückt. Niemand wusste, was da am Ende der Strasse auf sie wartete. Sakura wusste nur eins: Sie mussten die Kinder da rausholen.

Bei dem alten verlassenen Park gab es zwar keine Parkplätze, jedoch einen unscheinbaren Kiesweg auf dem bereits drei andere Autos, sowie ein Haufen Motorräder warteten.

Trotz des Umstandes, dass es schon langsam dämmerte, erkannte sie Sasuke bereits von weitem.

«Bleibt im Auto, wir gehen gleich weiter.», meinte Naruto und stieg aus.

«Kann ich mitkommen?» Sakura war trotzdem ausgestiegen. Naruto sah nicht gerade begeistert aus, jedoch nickte er.

Gemeinsam mit Naruto und Sai, der gerade aus dem zweiten, ihr bekannten Auto stieg, gingen sie zu Sasuke und Deidara, die neben dem schwarzen Taka-Audi standen.

«Wie sieht’s aus?», fragte Naruto.

«Schlecht, weil das sowas von offensichtlich ‘ne Falle ist», brummte Deidara. «Ich dachte immer, ich hätte kein Niveau, aber verglichen mit denen bin ich ja Mutter Theresa.»

«Und das will was heissen», brummte Sasuke.

«Wir müssen euch noch was sagen: Sakura kennt eines der Mädchen durch eine Zufallsbegegnung und die Kleine hat nichts mit Gangs zu tun. Es ist also höchst unwahrscheinlich, dass die Kinder die Riots kennen und dass alles nur inszeniert ist. Was auch immer sie wollen, sie werden es uns sagen.»

Sasukes Blick fiel zum ersten Mal deutlich auf Sakura. «Gut zu wissen. Wir können nicht mehr, als uns da reinschicken. Aber am besten gehen wir nur mit zwei Autos, die Anderen kommen dann nach. Okay?»

Alle nickten. «Na dann, tun wir es uns an.»

Bevor Sasuke sich umdrehte, zupfte sie ihn unauffällig am Ärmel. Den Brief hatte sie bereits in der Hand und legte ihn nun in seine. «Pass auf dich auf», flüsterte sie.

Er bedachte sie mit einem liebevollen Blick, der jedes weitere Wort überflüssig machte. «Und du steigst nicht in den Wagen, der da gleich hinfährt, ja?»

Sie nickte. Das hatte ihr Naruto schon vorhin ausgeredet. Er streifte noch einmal sanft seine Hand mit ihrer, dann drehte er sich um und ging zum Audi.

Sie wäre gerne mit ihm gegangen, denn sie fürchtete sich. Nun zogen sie von Dannen und tappten in eine Falle, und das nur, weil sie keine andere Wahl hatten. Ja, sie waren gerüstet und ihre Leute waren bereit. Aber es würde gefährlich werden. So oder so.

Sie dachte an Kankuro. An Gaara und Temari, die heute nicht dabei waren.

Wie würde das enden?
 

Die Äste bohrten sich schmerzhaft in Sakuras Handflächen, als sie sich am Baum hochzog. Der Park war verlassen und dieser Baum hier würde eine gute Sicht auf die BZ ermöglichen. Es war praktisch, dass der alte Basketballplatz vom Höhenniveau her sich etwas tiefer unten befand. Von da aus sah sie zwei dunkle Flecken auf dem Platz, die vermutlich die beiden Kinder waren. Aber wo steckten die Riots? Wahrscheinlich würden die sich bis zur letzten Minute verstecken.

«Siehst du was?», hörte sie Ino von unten her fragen.

«Die beiden Kinder glaube ich, aber keine Riots.» Sie schaute wieder hin. «Unsere Autos sind jetzt da. Sie steigen aber nicht aus und fahren auch nicht auf den Platz.»

«Wäre auch nicht schlau. Könnte ja sein, dass die Riots gleich feuern.»

Sakura wäre vor Schreck fast vom Baum gefallen, sie hatte nicht bemerkt, dass sich Shikamaru zu ihr gesellt hatte.

«Musst du mich so erschrecken?»

«Natürlich.» Er grinste ein wenig, dann richteten sie ihre Aufmerksamkeit wieder auf das Geschehen. In den Autos befanden sich neben den Leadern noch Kiba, Sai, Neji, Shino, Deidara, Sasori, Karin und Hidan.

Shikamarus Handy klingelte. «Hm?»

«Keiner da», klang es aus dem Lautsprecher. Es war Kiba.

«Die verstecken sich doch nur.»

«Nee, im Ernst, es herrscht Totenstille. Wir sind vorhin noch die Gegend abgefahren und da waren weder Motorräder, noch Autos zu sehen. Und die Kinder sterben fast vor Panik. Sehen nicht gut aus.»

«Bleibt im Auto. Mit gefällt das nicht» Shikamaru war nervös. Und Shikamaru war selten bis nie nervös.

«Die Kinder haben verbundene Augen, können uns also nicht sehen.»

«Schluss jetzt, wir gehen da jetzt auch runter mit allen Autos. Es ist mir zu gefährlich, sie da alleine zu lassen. Ich trau den Riots alles zu. Sogar Sprengsätze an diesen Kindern.»

Sakura schluckte leer. Würden sie wirklich so weit gehen?

Shikamaru sprang vom Baum und half ihr herunter, dann begaben sie sich allesamt zu den Autos und den Motorrädern.

Doch just in dem Moment meldete sich Kiba wieder. «Da ist Hinata.»

Sakura riss die Augen auf. «Hina?!»
 

Im Auto war es unheimlich ruhig gewesen, bis jetzt. Naruto starrte geradeaus. «Hinata…»

Naruto liess die Seitenscheibe runter. Hinata sah das und nickte. «Ihr sollt herkommen. Sie werden nicht auf euch feuern. Genauer gesagt sind wir hier nur zu zweit.»

«Der Andere soll sich zeigen.», forderte nun Sniper aus dem Taka-Audi.

Hinata drehte sich um und machte eine Kopfbewegung, die jemanden dazu brachte, aus den Schatten der Bäume hervorzutreten, die den Platz auf einer Seite säumten. Es war der Leader und er trug keine Schusswaffe. Nur ein Messer.

«Was zum Geier…»

«Ich traue ihr nicht, Naruto. Da können noch einen Haufen andere in der Dunkelheit hocken.»

«Seid nicht so schüchtern, Kuramas und Takas», meinte der Riot-Leader mit einer einladenden Handbewegung. «Kommt näher.»

«Sagt der, der sich bis dahin noch in den Büschen versteckt hat», rief Naruto.

«Ich kann den Kindern auch ein Messer an die Kehle halten, wenn du willst», rief der andere zurück. «Aber darauf würde ich gerne verzichten.»

Es war so. Sie hatten keine Wahl.

«Kiba, sag den anderen, sie können runterkommen, aber ohne zu schiessen und vor allem langsam.»

«Ach, die sind schon unterwegs. Aber ich sag’s ihnen noch.»

Dann stieg Naruto aus. Sasuke tat es ihm gleich. «Alles oder nichts», brummte er. Die Anderen verliessen ebenfalls die schützende Karosserie des Autos, blieben aber an Ort und Stelle.

Sie hörten, wie hinter ihnen die Autos und Motorräder ihrer Gang anrollten, als sie sich auf Platz begaben. Beide hatten sie ein Messer eingesteckt. Wer wusste schon, was die planten?

Naruto aber beschäftigte etwas besonders: Dass Hinata hier war. Wahrscheinlich sollte sie die persönliche Leibgarde des Riot markieren. Er wusste, dass die Kuramas niemals auf Hinata schiessen würden. Eigentlich wollte er nicht wütend auf sie sein, aber sie einfach hier stehend zu sehen, wie sie zuliess, dass man Kinder derart traumatisierte, schockierte ihn. Er erinnerte sich daran, wie sie Konohamaru damals behandelt hatte, liebevoll und fürsorglich. Das hier war das pure Gegenteil.

Aber er wollte nicht an ihr zweifeln, das hatte er sich fest vorgenommen. An der Sache war etwas faul, nach wie vor.

Neben ihm ging Sasuke her. Es war komisch, niemals hätte er auch nur im Traum gedacht, dass sie sich gemeinsam in so eine bescheuerte Lage bringen mussten. Für ihn war immer klar gewesen, dass nur die Takas ihn in solche Situationen hineinmanövrieren konnten und niemand anderes. Die hätten es wenigstens auf eine Art gemacht, die einer richtigen Gang würdig war – mit Stil. Stattdessen mussten sie jetzt gemeinsam nach einem Weg daraus suchen.

Er war immer noch kein Fan von Demon und verstand nicht wirklich, warum Sakura so nachsichtig mit ihm war. Er verzieh ihm nicht, dass er gegen eines seiner Mädchen grundlos handgreiflich geworden war und dann noch zu Sakura, die immer nur mehr als gut zu ihm gewesen war.

Aber er rief sich etwas stets in Erinnerung: Sakura war schlau und was ihr Gefühl anging, da hatte sie sich noch selten getäuscht. Also würde er nichts sagen. Denn für ihn war klar, dass alles hier nie mehr so werden würde, wie es einst gewesen war.

Und er wusste nicht, ob er das bedauern sollte.

Im Abstand von etwa fünf Metern zu den Kindern, die gefesselt am Boden kauerten, blieben sie stehen.

«Und jetzt?», fragte Naruto und liess dabei den Riot-Leader nicht aus den Augen.

«Na, erst einmal schön euch zu sehen. Ihr habt ja tatsächlich ein Herz.» Die Belustigung in seiner Stimme war nicht zu überhören.

«Tja, im Gegensatz zu dir haben wir tatsächlich einen gesunden Kopf», brummte Sasuke.

«Ach, die Kinder werden wieder nach Hause kommen, sobald ich mit euch fertig bin.»

«Das macht ja bestimmt alles wieder gut.» Naruto wandte sich an die Kinder. «Keine Angst, wir holen euch da raus. Was diese Gang macht ist erbärmlich.»

Die Kinder wimmerten leise.

«Ach, sei doch nicht so böse. So schlimm sind wir doch nicht.» Der Leader hatte spöttisch die Augenbrauen hochgezogen.

«Ihr schlagt kleine Kinder», sagte Demon eisig kalt. «Das ist sogar mehr als erbärmlich.»

Der Leader wechselte einen überraschten Blick mit Hinata. Es sah so aus, als hätten sie nichts davon gewusst.

«Vielleicht solltest du Tomcat mitteilen, dass er seine Leute besser erziehen soll», sagte Hinata daraufhin in kühlem, jedoch scharfem Ton.

Das wurde ja immer besser. Der Riot-Leader hatte so eine grosse Gang, dass er keine Kontrolle mehr über sie hatte. Er hatte diese Kinder in die Hände von ihm Unbekannten gegeben, die psychisch wahrscheinlich noch näher am Rande des Abgrunds herumtanzten.

Der Riot nickte nur, aber er schien das wirklich ernst zu nehmen. «Wer auch immer das war, der fliegt noch heute.»

«Als ob das dein beschissenes Image noch retten könnte», meinte Sasuke. «Können wir jetzt zur Sache kommen?»

«Aber natürlich.» Der Riot-Leader legte den Kopf schief. «Nun, wie ihr bestimmt bereits wisst, haben wir uns in der Stadt inzwischen ziemlich bemerkbar gemacht. Genauer gesagt haben wir euren Ruf mit unserem in den Dreck gezogen.»

«Wahnsinnige Neuigkeiten», brummte Naruto.

«Tja, sowas kommt mit Visionen. Jedenfalls wollte ich euch sowieso schon lange was fragen. Und zwar habt ihr es doch bestimmt auch satt, als gesellschaftlicher Abschaum betrachtet zu werden, oder nicht?»

«Also wenn du daran was ändern willst, dann bis du auf dem Holzweg, das ist dir wohl klar?» Sasuke schüttelte den Kopf. «Das sind sowieso Kinderträume. Glaubst du eigentlich, dass das funktioniert? Unsere Gangs sind seit Generationen hier in Konoha, jeglicher Versuch, normal zu leben, ist gescheitert.»

«Aber ihr habt es nicht auf unsere Weise versucht.»

«Ja, warum wohl nicht?» Naruto lachte trocken.

«Ihr seid frustriert, desillusioniert, Kuramas und Takas. Euch fehlen die nötige Energie und der Willen, Veränderung herbeizuführen. Ihr habt nicht den Mut, Grenzen zu überschreiten und etwas zu wagen, damit etwas passiert», sagte der Riot und klang dabei nicht mehr spöttisch, sondern sogar ziemlich ernst.

«Denkst du eigentlich, dass es eurem Ruf hilft, wenn ihr Tankstellen und Leute auf der Strasse überfallt? Euch aufspielt, wie die nächste grosse Nummer?»

Er schüttelte den Kopf. «Ihr versteht das nicht. Gut, könnt ihr ja auch nicht. Jedenfalls habe ich einen Plan. Diese Gesellschaft muss merken, dass man mit uns nicht einfach machen kann, was man will.»

«Was hast du vor?» In Sasukes Stimme hörte Naruto etwas Unheilverkündendes heraus.

«Bleiben wir einfach mal dabei, dass ich einen Plan habe. Und da gibt es einige Dinge, die mir im Weg sind.»

Er legte grinsend den Kopf schief.

Plötzlich drang von der Strasse her eine aufgeregte Stimme. «Boss! Da kommen Bullen!».

Der Riot-Leader sah keineswegs verängstigt aus. «Und ihr seid mir dabei im Weg.»

Im nächsten Moment ging alles durcheinander. Naruto rief den Anderen zu, dass sie abhauen sollen. Motoren wurden gestartet, Motorräder rasten davon. Nur zwei Autos blieben, denn es fehlten noch zwei Personen – Naruto und Sasuke.

Doch jetzt wurde der Riot-Leader aktiv. Er hielt sein Messer an die Kehle des Kindes. «Einen Schritt von hier weg und ich werde mein Messer an diesen Kindern benutzen.»

Naruto spürte, wie das Adrenalin in seinem Körper aufstieg. Er würde dem Kind nichts tun, wenn sie sich nicht bewegten.

Die beiden Leader wechselten einen Blick und dann fiel es ihnen wie Schuppen von den Augen: Die Riots waren Eingeweihte. Hatten wahrscheinlich sogar irgendwas mit Momochi, dem neuen Polizeichef zu tun.

Und sie sassen in ihrer Falle. In einer noch grösseren und perfideren, als sie angenommen hatten. Es gab nur etwas, was er und Demon jetzt noch tun konnten.

«Haut sofort ab!», brüllten sie in Richtung der verbleibenden Autos.

Narutos Blick fiel auf Hinata. Sie sah aus, wie vorhin, ernst.

Doch jetzt war noch etwas mehr in ihren Augen zu lesen.
 

«Haut sofort ab!», hallte es in Sakuras Kopf wider. Ihr ganzer Körper stand unter Strom und sie kämpfte mit dem Drang, zu Naruto und Sasuke zu laufen. Aber das hätte alles nur noch schlimmer gemacht.

«Wir müssen gehen, Sakura!» Kiba zog sie am Arm. Aus seinem Gesicht las sie purre Resignation. Hier kam die Erkenntnis: Es war vorbei. Es gab nichts mehr, was sie tun konnten, die Leader waren der Polizei vollkommen ausgeliefert.

Sakura liess sich mitziehen, selbst war sie kaum mehr dazu im Stande, die Beine zu heben. Den Blick hielt sie auf Sasuke und Naruto gerichtet, die dort auf dem Platz standen, nicht in der Lage, sich aus dieser teuflischen Situation zu befreien.

Kurz hatte sie das Gefühl, Sasukes Blick zu streifen, bevor sie ins Auto stieg.

In diesem Moment rasten fünf Autos um die Ecke, erst jetzt schalteten sie die Sirenen ein. Natürlich, sonst hätte man sie auch zu früh bemerkt. Als sich der Suzuki unter ihr in Bewegung setzte, konnte sie nur noch zum Fenster hinausstarren und sehen, wie Sasuke und Naruto von den Polizisten überwältigt und zu Boden gedrückt wurden. Sie sah noch Handschellen, doch dann verlor sie die Beiden aus dem Blickfeld.

Das Bandenauto raste mit halsbrecherischen Tempo durch die Strassen, raus aus Konoha. Sie mussten Land gewinnen, für den Fall, dass die Polizei die Verfolgung aufnahm.

Sie zitterte am ganzen Körper. Sasuke. Naruto. Wenn ein Gangmitglied im Gefängnis landete, dann kam es so schnell nicht mehr raus. Und ein Leader sowieso nicht.

Es war vorbei. In dieser Nacht war geschehen, wovor sie sich gefürchtet hatte. Ihr Gefühl gab ihr in aller Härte zu spüren, dass das hier die Bedrohung gewesen war, die sie seit Wochen verspürt hatte.

Etwas Schreckliches war passiert. Hier und heute hatten sie ihre Leader verloren.

Und Sakura? Sakura hatte ihren besten Freund verloren, einen Bruder. Und den Mann, mit dem sie für immer hatte zusammen sein wollen.

Im Wagen herrschte absolute Stille. Vor ihnen lag nur die von den Scheinwerfern schwach beleuchtete Strasse. Das Geräusch des Motors in den Ohren.

Dann hörte sie Ino in Sais Armen schluchzen. «Warum nehmen die uns alles?»

Sie hätte gerne geweint und ihrer Wut und ihrem Schmerz Raum gegeben. Aber sie konnte nicht. Ihr Leben stürzte in sich zusammen. Ihre zwei Retter, ihre zwei Lichtpunkte auf der dunklen Strasse waren weg und mussten von heute an durch die Hölle gehen. Wie lange wurden Gangleader inhaftiert? Lebenslänglich?

Sie spürte Sais beunruhigten Blick auf ihr, doch sie tat nichts dergleichen. Er hatte genug damit zu tun, Ino zu trösten. Dabei war Trösten nicht gerade seine Stärke.

Willkommen in der Realität, Sakura. Willkommen in der Welt, in der Gerechtigkeit nichts zu suchen hat.

Sie wollte weinen, sie wollte schreien, sie wollte mit aller Kraft auf die Riots und die Polizei einschlagen. Aber stattdessen blieb sie zitternd, aber ruhig sitzen.

Wie wenn die kleinste Bewegung ihr Herz endgültig auseinanderreissen könnte.
 

Die Medien zelebrierten die Festnahme der beiden Gangleader, wie sie schon lange nichts mehr gefeiert hatten.

Sakura wollte sich das nicht ansehen, doch es war ihre einzige Möglichkeit, etwas über den Verbleib der Beiden zu erfahren. Derzeit befanden sie sich in Untersuchungshaft. Vor Gericht würden sie einen so schlechten Anwalt bekommen, dass es ein Leichtes werden würde, sie für Jahre einzubuchten. Und Madara als Anwalt herbeizuziehen fiel weg, da er mit Sasuke verwandt war. Die beiden entführten Kinder waren wieder sicher bei ihren Eltern und in therapeutischer Betreuung.

Es war abscheulich, was die Medien für Lügen erzählten. Laut den Berichten waren die Kuramas und die Takas für die Entführung und die Misshandlung der beiden Kinder verantwortlich. Die ganze Geschichte war so gedreht worden, dass alles passte und die Riots schön aus dem Spiel gelassen werden konnten.

Es war die pure Hölle. Dieser unverdiente Hass, der von nun an endgültig ein Mass annahm, das nicht mehr tragbar war, fühlte sich an wie eine harte Ohrfeige ins Gesicht. Helfen hatte man den Kindern wollen, helfen. Es war alles ein abgekartetes Spiel gewesen, ein Spiel, in dem sie schon im Voraus keine Chance gehabt hatten. Gegen Mächte wie diesen korrupten Staat kamen sie nicht an.

Sakura befand sich in einem tranceartigen Zustand, einer Ebene zwischen Wach und Traum. Sie sprach nicht viel und ass kaum noch. Die Prüfungen bestritt sie mit dem letzten bisschen Kraft und wenn sie zu lernen versuchte, dann brachte es kaum etwas, weil sie sich nicht im Mindesten konzentrieren konnte.

Oft weinte sie leise in ihrem Zimmer. All ihre Hoffnung, das klitzekleine verbleibende Restchen war zerplatzt wie eine Seifenblase.

Tsunade versuchte sie zu trösten, doch wusste sie, dass es keinen Sinn hatte. Und selbst hatte sie auch mit den vollendeten Tatsachen zu kämpfen.

Die Zeit nach den Prüfungswochen hätte eine entspannte werden sollen, doch Sakura verbrachte sie in depressionsähnlichem Zustand.

Es verging etwas mehr als eine Woche, bis sie sich wieder ins HQ begab. Genauer gesagt wusste sie nicht, was sie sonst tun sollte. Zu Hause war sie mit ihren zermürbenden Gefühlen alleine und darauf konnte sie verzichten.

Im HQ war es ruhig geworden. Shikamaru hatte den Kontakt mit Pain aufgenommen, jedoch blieb den Gangs im Moment nicht viel mehr übrig, als in den HQs zu bleiben. Zugang gab es nur noch über die Tunnel, da man auf keinen Fall riskieren wollte, dass man das HQ entdeckte. Konoha entwickelte sich zu einer richtigen Polizeistadt.

Im Aufenthaltsraum traf Sakura heute, an einem Mittwoch um halb acht niemanden an – bis auf Gaara. Es war dunkel im Raum, jedoch fiel genug Mondlicht durch die trüben Oberlichter hinein, dass sie ihn erkennen konnte. Sein Gesicht wurde vom Schein des Bildschirmes erhellt. Er spielte Smash Bros auf dem uralten Game Cube, den die Sabakunos mitgebracht hatten. Wie immer spielte er den Charakter Fox.

Der Anblick machte sie noch einmal trauriger. War das alles, was ihnen blieb? Wenn sie sich erinnerte, wie der Aufenthaltsraum voller Leute gewesen war, mittendrin Naruto, der seine Faxen gemacht hatte. Jetzt war er weg. Die beiden Gamer-Brüder immerzu in voller Lautstärke am Spielen. Jetzt war es nur noch einer.

Es tat so weh. Gaara hatte sich in letzter Zeit sehr zurückgezogen gehabt, deshalb wusste Sakura nicht, wie es ihm genau erging. Einen Moment lang war sie unschlüssig, ob sie zu ihm hingehen sollte, aber dann entschied sie sich, dass sie ja sowieso nichts mehr zu verlieren hatte.

Er hatte sie bereits bemerkt, dessen war sie sich sicher, er reagierte jedoch in keiner Weise.

Langsam näherte sie sich, vorsichtig darauf bedacht, in der düsteren Atmosphäre nicht über irgendetwas Herumliegendes zu stolpern. Auch als sie gegen eine alte Bierflasche stiess, die auf dem Boden lag und geräuschvoll gegen eine andere rollte, zeigte er keine Regung.

«Hi.», sagte sie leise.

«Hi», sagte er, kurz und rau wie immer, aber selbst für seine Verhältnisse klang es nicht wie einer normale Begrüssung.

Sie setzte sich neben ihm im Schneidersitz auf eines der Kissen und schaute zu, wie er computergesteuerte Spieler vermöbelte. Sie beobachtete Gaara aufmerksam und versuchte sich in Erinnerung zu rufen, wie das Spiel genau funktionierte, sie hatte es seit einer gefühlten Ewigkeit nicht mehr gespielt.

Nach dem nächsten Kampf schnappte sie sich ein Controller und stieg in das Spiel ein. Als sie die Charakterleiste vor sich sah, wusste sie sofort, welchen Charakter sie nehmen wollte.

Mewtwo war immer Kankuros Avatar gewesen.

Gaara hielt kurz inne. Sakura war sich nicht sicher, ob das jetzt schlau gewesen war. Aber sie wollte ihm irgendwie auf ganz einfache Art zeigen, dass sie für ihn da sein wollte. Und dass es, wenn es hart auf hart kam, immer irgendwo jemanden hab, auf den man zählen konnte.

Gaara hatte sie schon zahllose Male vor schlimmerem bewahrt. Das letzte Mal vor Drop-Down, in dem alten Wohnblock und auf der Flucht vor den Riots. Vielleicht konnte sie jetzt etwas für ihn tun.

Sie spielten – Gaara hätte sie wahrscheinlich einfach plattwalzen können, aber er ging sanft mit ihr ins Gericht. Bald schon hatte sie den Dreh wieder einigermassen raus und sie spielten einige unterhaltsame Matches zusammen. Sie war nicht besonders gut im Spiel, aber das das war nicht so tragisch. Es machte ihr trotzdem Spass und sie hoffte, ihm auch.

«Meine Güte, bin ich schlecht», lachte sie leise. Das war ihr so rausgerutscht.

Nach einer kleinen Weile sagte er: «Tipp gefällig?»

Sie nickte. «Nichts lieber als das.»

Gaara zeigte ihr einige Tricks, die tatsächlich dazu beitrugen, dass sie nicht ganz so schnell aus dem Spielfeld gekickt wurde.

Es tat gut. Dieses banale Spiel tat gut. Anders konnte sie es nicht sagen. Hier im Dunklen, im schwachen Licht des Fernsehers, alleine mit einem verschwiegenen Partner, der sich lieber mit Taten, als mit Worten ausdrückte. Eine kleine Seifenblase, die sie vor all dem Schlimmen schützte, das da draussen vor sich ging. Eine eigene kleine Sphäre, in der sie nur darüber nachdenken mussten, welcher nächste Schlag am sinnvollsten wäre.

Sie spielten so, sicher eine Stunde lang. Im HQ war es immer noch still. Gaara gähnte und Sakura musste lachen. «Ich glaub ich kann nicht mehr.»

Er nickte. «Geht mir auch so.»

Sein Anblick tat weh. Es war, wie wenn ihm seine zweite Hälfte genommen worden wäre. Durch den kleinen Altersunterschied hatten sich Kankuro und Gaara oft wie Zwillinge benommen. Gaara war eine Person für sich, man musste ihn erst kennen, bevor man ihn durchschauen konnte. Die Sabakuno-Brüder hatten diesen ganz besonderen Draht zueinander gehabt. Und die Riots hatten ihn gekappt. Ein einziger Schuss und so viele Folgen.

Sakura kamen die Tränen, aber sie riss sich tapfer zusammen. Sie wollte jetzt nicht weinen, schliesslich wollte sie für Gaara eine Stütze sein. Er musste zum Verlust der beiden Leader noch dazu den endgültigen Verlust seines Bruders ertragen. Die Schmerzen, die er erlitt, waren für sie kaum vorstellbar. Schon sie konnte kaum an Kankuro denken, ohne noch tiefer in ihr Loch zu fallen.

Aber Gaara war nicht dumm. Er hatte Instinkte, die jede Raubkatze in den Schatten stellten und eine Intuition, die man kaum beschreiben konnte.

«Ich kann nicht weinen.», sagte er in die Stille hinein. «Ich hab’s versucht, aber ich kann es nicht. Hilft dir Weinen?»

Sie wusste, dass Gaara kein emotionaler Mensch war. Weinen sehen hatte sie ihn noch nie und sie konnte sich gut vorstellen, dass ihm das auch einfach nicht möglich war.

«Es kann befreiend sein», flüsterte sie. «Aber wenn man so viel heult wie ich, ist es eher belastend.»

Er nickte. «Du weinst wirklich viel.»

Bei jedem anderen hätte Sakura jetzt irritiert aus der Wäsche geschaut, aber Gaara war Gaara. Er war immer ehrlich und meinte es auch nicht böse. Und was noch wichtiger war – er hatte ja Recht.

Seine Unverblümtheit liess sie schmunzeln. «Und du zu wenig.»

«Machen wir was falsch?»

Sie schüttelte den Kopf und wischte sich verstohlen eine Träne von der Wange. «Nein. So sind wir einfach.»

Dann legte sie ihren Kopf an seine Schulter. Er schien nichts dagegen zu haben.

«Er fehlt mir», meinte er leise.

«Mir auch», flüsterte sie zurück. «Mir auch.»

Wahrscheinlich hätten sie noch lange so vor dem Fernseher verharrt, wenn nicht plötzlich das Licht angegangen wäre.

Shikamaru betrat den Raum und als er sie erblickte, schien sich plötzlich wie ein Störenfried vorzukommen. «Oh, sorry, ich wollte nicht stören.»

«Ist schon okay.» Sakura lächelte. «Was machst du?»

Shikamaru kratzte sich am Kopf. «Ehrlichgesagt, keine Ahnung. Alles, was ich mache, nervt mich.»

«Warum denn?»

«Weil alles, was ich machen kann, uns nicht weiterbringt. Wir sind in einer Sackgasse.»

So hatte sie ihn noch nie gehört. Shikamaru war normalerweise ziemlich gelassen und zweifelte nicht an sich. Er war ein lösungsorientiertes Genie. Aber die Gefangennahme der Leader zeigte bei allen seine Wirkung.

«Shika, wir können im Moment nichts tun, das weisst du?» Ino trat aus dem Dunkel des Ganges hervor.

«Um das geht es nicht. Ich denke, ich bin kein geeigneter Vize, ganz ehrlich. Ich kriege vielleicht das ganze Technische auf die Reihe, aber ich bin keine Motivationsbombe wie Big Fox.» Verärgert setzte er sich an den Tisch.

«Warum sagst du so etwas?», fragte Ino. «Das ist nämlich nicht wahr. Ohne dich wären wir schon tausendmal aufgeschmissen gewesen, das weisst du. Man kann auf verschiedene Arten geeignet sein.»

«Ino hat absolut Recht», sagte Sakura. «Wir sollten jetzt nicht den Kopf verlieren, okay?»

Das klang zwar wenig überzeugend. Aber Naruto würde nicht wollen, dass sie jetzt alles hinschmissen.

«Ach hört schon auf. Ein Vize muss das Ruder übernehmen, wenn der Leader ausfällt. Das wäre jetzt der Fall und ich sitz hier rum und habe keine Ahnung mehr. Und was die Riots machen wissen wir auch nicht. Von denen hat man nichts mehr gehört. Naruto liess uns durch Jiraiya ausrichten, dass die irgend so einen schrägen Plan haben, den Gangs in der Stadt mehr Macht zu geben. Ob das allerdings auch in Kooperation mit der Regierung erfolgen soll wissen die Götter.» Er seufzte. «Ich habe keine Ahnung.»

«Naruto wusste bis anhin auch nicht mehr weiter.», sagte Sakura. «Wir sind in einer scheusslichen Lage, das hat nichts mit dir zu tun.»

«Seh ich auch so.», brummte Gaara.

«Warum verpfeifen wir diesen bescheuerten Polizeichef nicht einfach?», fragte Ino wutschnaubend. «Die Tatsache, dass er mit Gangs zusammenspannt und damit die Gesundheit kleiner Kinder aufs Spiel setzt ist doch skandalös! Der wäre seine Position schneller los, als er denkt.»

«Ino», sagte Shikamaru resignierend. «Weisst du eigentlich, wie korrupt Konoha ist? Für die heiligt der Zweck jegliche Mittel. Die wollen die Gangs loswerden. Was sind da schon zwei kleine Kinder? Und Momochi kommt aus dem Militär. Der war in Afghanistan und wer weiss wo, die Veranlagungen eines Kindergärtners hat er bestimmt nicht.»

«Aber die Bevölkerung dürfte es ja wohl interessieren!» Ino wollte sich nicht von dem Gedanken abbringen lassen. «Es sind ja sie, die zu Schaden kommen!»

Shikamaru schüttelte den Kopf. «So einfach ist das nicht. Jeder, der auch irgendwas in der Art versucht, riskiert sein Leben, wenn du mich fragst. Hast du diesen Momochi mal im Fernsehen gesehen? Der sieht aus wie ein Killer. Und selbst wenn es anders wäre, er ist bestrebt, etwas zu tun. Alle bejubeln ihn, weil er stark wirkt und tatsächlich etwas gegen das Problem unternimmt, welches die Bevölkerung sieht.»

«Und was ist mit den Riots? Wenn die Leute wüssten, dass man die eingespannt hat…»

«Das glaubt uns niemand. Wir sind in ihren Augen die Schuldigen.»

«Und die Kinder?»

«Denen waren die Augen verbunden. Die können nicht sagen, wer genau sie entführt hat. Und an Stimmen erinnern sie sich wohl kaum, schlussendlich standen die Beiden unter totalem Schock.»

Bedrückendes Schweigen machte sich breit.

«Wir sind aufgeschmissen, oder?», fragte Sakura.

Shikamaru nickte. «So wie es aussieht, sind wir das.»

 

Sakura hätte sich eigentlich freuen sollen, dass all ihre Prüfungen vorbei waren. Vor Monaten hatte sie sich noch ausgemalt, welch ein Paradies auf Erden es sein würde, wenn sie nicht mehr lernen musste. Aber im Gegensatz zu all ihren Problemen wirkten die Prüfungen wie eine winzige Mücke, die so irrelevant war, dass man sich nicht einmal die Mühe machte, nach ihr zu schlagen.

In all dieser Verwirrung konnte sie sich kaum ordnen. Der Gedanke daran, dass Sasuke und Naruto gerade durch die Hölle gingen – dass sie für viele Jahre nie mehr die Luft der Freiheit schnuppern konnten – zerriss ihr das Herz. Der Gedanke, so viel Zeit seines jungen Lebens hinter Gittern zu verbringen, war zerstörerisch. Das hatten die beiden nicht verdient. Nicht ein bisschen.

Sie vermisste sie so sehr, es machte sie wahnsinnig. Die Medien zerrissen sich ihr Maul über die Gangs. Der Fakt, dass sich die Menschen auch noch darüber freuten, dass zwei junge Männer einfach eingebuchtet wurden, ohne auch nur ein bisschen sehen zu wollen, wer sie wirklich waren und was sie denn wirklich verbrochen hatte. Sie wollten überleben und handelten danach. Und deswegen sassen sie nun im Gefängnis. Und alles nur, weil sie im Leben Pech gehabt hatten.

An diesem Abend kramte Sakura das Schreibheft hervor, in dem sie ihre und Sasukes Geschichte festgehalten hatte. Sie war inzwischen wieder unvollständig und es gab einiges zu ergänzen. Weinend sass sie also über das Heft gebeugt da, schrieb sich jede einzelne Erinnerung auf und las auch vorangehende Seiten noch einmal durch. Was für ein dunkles Kapitel sie inzwischen erreicht hatten.

Und in diesen Moment vibrierte ihr Handy. Der Bildschirm zeigte einen Namen an, den Sakura kannte. Aber damit hätte sie nicht gerechnet. Am liebsten hätte sie gleich wieder losgeweint.

«Ami?»

«Sakura!»

«Ami…», schniefte sie.

«Sakura, nicht weinen, bitte.»

«Ich kann nicht mehr, Ami…»

«Ich weiss. Erzähl mir alles.»

Und sie erzählte. Alles.

Es tat gut, Ami ihr Herz auszuschütten. In Anbetracht dessen, dass sie sich gar nicht mal so gut kannten, fühlte es sich wunderbar vertraut an, mit ihr zu reden. Ami war genauso betroffen von der Situation, wie sie. In der kurzen Zeit, die sie gemeinsam verbracht hatten, war sie richtig in ihre Welt hineingezogen worden.

«Wir stehen am Abgrund, Ami», beendete sie ihre Erzählung.

«Es tut mir so leid, Sakura. Haru und ich, wir haben gebannt verfolgt, was in Konoha alles passiert ist. Es war ja in aller Munde.»

Sakura schluckte. «Ich will einfach, dass du Sasuke nicht als böse ansiehst, okay? Das mit den Kindern waren nicht wir. Das waren die Riots, die mit der Polizei kooperiert haben. Und so können sie nun alles uns in die Schuhe schieben. Unser System ist so korrupt und verlogen, es ist zum Davonlaufen…»

«Keine Sorge, Sakura. Ich habe schon irgendwie geahnt, dass da etwas krumm läuft. Erstens, weil ich Sasuke und somit auch eure Gangs nicht so einschätze und zweitens, weil hinter diesen Gangkriegen offensichtlich ein Haufen Strategie steckt.»

«Danke, Ami. Das war mir noch wichtig.»

«Kann ich irgendwas für dich tun?»

Sakura überlegte, doch eigentlich brauchte sie nichts, ausser Sasuke und Naruto. «Im Moment nicht. Vielen Dank, Ami.»

«Falls sich das ändert, bitte melde dich bei mir. Auch wenn du jemanden zum Reden brauchst.»

«Das werde ich machen.»

«Wenn es für dich irgendwann mal die Möglichkeit gibt, ihn zu besuchen, dann sag ihm, dass wir an ihn denken, ja?»

«Werde ich machen. Aber ich weiss nicht, ob ich diese Chance bekommen werde. Jedenfalls nicht in nächster Zeit.»

«Da gibt es gerichtlich viel zu regeln, was?»

«Ja. Und das, obwohl schon längst über das Schicksal der Beiden entschieden ist. Gerichtsverhandlungen werden da nicht mehr viel bringen. Kindesentführung und Führung einer kriminellen Gruppierung sollte längst reichen, damit sie weg vom Fenster sind. Zudem habe ich keine Ahnung, was die denen noch alles anhängen können. Theoretisch alles, weil sowieso alles dieser neue Polizeipräsident in den Händen hat.»

Ami seufzte wütend. «Wahnsinn, wie machtlos man ist, wenn diese Korruption dann von der Bevölkerung auch noch begrüsst wird.»

«Du sagst es, Ami.», flüsterte sie. «Du sagst es.»
 

Die Gerichtsverhandlung fiel genau so aus, wie erwartet. Natürlich beriefen die Jungs niemanden in den Zeugenstand, denn an diesem Abend war niemand anderes an der BZ gewesen, als die Gangs. Ein Zeuge war also automatisch Gangmitglied und wer wusste schon, was das für diese Person bedeuten würde.

Ihre Machtlosigkeit trieb die Gangs in den Wahnsinn. Es vergingen zwei Wochen, bis es die Möglichkeit gab, die Jungs zu besuchen, jedoch war das für viele zu riskant.

«Gangmenschen sehen einfach aus wie Gangmenschen. Klar können die uns nicht von der Stelle weg verhaften, müssten ja auch erst Beweise haben, aber wer weiss, was die alles für Möglichkeiten haben. Kann ja sein, dass sie unser HQ ausfindig machen wollen und uns dann verfolgen», meinte Lee, als sie am Tisch im Aufenthaltsraum sassen und sich berieten.

«Naruto hat Jiraiya gesagt, dass wir nicht das Risiko eingehen sollen, ihn zu besuchen. Er will nicht, dass wir uns in Gefahr bringen.»

«Es ist nicht zu fassen», flüsterte Sakura. «Jetzt können wir sie nicht einmal besuchen…»

«Kacke. Einfach nur Kacke!», Kiba pfefferte seinen Schraubenschlüssel in eine Ecke. «Alles was wir tun können, ist verstecken und hoffen, dass die uns nicht kriegen.»

Darauf konnte keiner etwas erwidern. Kiba hatte treffend formuliert, was alle dachten.

Die trüben Gedanken verliessen Sakura auch nicht, als sie sich auf den Heimweg machte. Sie musste noch schnell in die Downtown, ein paar Besorgungen machen. Alles erinnerte sie an Sasuke und Naruto. Die Strassen verband sie mit Erinnerungen an gemeinsame Motorradfahrten, an die Nächte, in denen sie um die Häuser gezogen waren. War das jetzt vorbei? Die Jungs würden auf die Vierzig zugehen, wenn sie aus dem Gefängnis kamen. All diese wertvollen Jahre würden sie verpassen.

Ihr wurde schlecht bei dem Gedanken. Sie konnte es einfach nicht akzeptieren.

Einen schönen Schrecken jagte ihr urplötzlich brünette Frau mit Mikrofon ein, die sie schlagartig aus ihrem inneren Dilemma hinausholte.

«Guten Tag Miss, ich bin Haruka Ichinose von Konoha City TV. Dürften wir ihnen einige Fragen zum Thema ‘Gangs’ stellen?»

Hinter Haruka Ichinose entdeckte sie einen Kameramann. War das eigentlich ein Witz? Als wollte ihr die Welt ohne Unterbruch sagen, dass sie verloren hatte.

Nichtsdestotrotz wollte sie hören, was das für Fragen waren.

«Okay», meinte sie mit einem erzwungenen Lächeln auf den Lippen.

«Sehr schön. Lassen sie uns doch etwas auf die Seite gehen.»

Sie folgte der Reporterin auf die Seite des Gehsteigs. Anscheinend interviewten sie haufenweise Passanten und schnitten dann die Antworten zusammen, die ihnen am besten gefielen.

«Nun, Miss, sind sie informiert über die Verurteilung der Gang-Leader Sasuke Uchiha und Naruto Uzumaki?»

Sie nickte nur. Es brauchte ihre ganze Kraft. «Was halten sie von dem Urteil? Sind sie froh, dass die Gangaktivität von der Polizei endlich untergraben wird?»

Sakura wusste, was wohl jeder andere Befragte darauf geantwortet hatte. Höchstwahrscheinlich hatten sie sich alle darüber ausgelassen, wie froh sie darum seien, dass man die beiden eingesperrt hatte.

Sie überlegte kurz. «Ich verstehe diesen Triumph nicht. Da sind ein ganzer Haufen Kriminelle noch auf freiem Fuss, aber man sperrt diejenigen ein, die keinem Zivilisten etwas zu Leide tun würden.»

Harukas starrte sie verwundert an. Mit dieser Antwort hatte sie nicht gerechnet. «Sind Sie also der Meinung, dass man die beiden Gang-Leader nicht einsperren sollte?»

Die ungläubige Note in ihrer Stimme spornte Sakura nur noch mehr an. «Ja. Menschen in Gangs haben normalerweise einen Grund, in Gangs zu sein, die meisten von ihnen waren Strassenkinder. Nun sperrt man sie weg. Man bekämpft lediglich die Symptome des ganzen Problems. In Konoha gibt es so viele Strassenkinder. Sie haben nichts, verstehen Sie Miss Ichinose? Wohin geht ein zehnjähriges Kind, dass nichts hat? Es sucht Menschen, die ihm ein zu Hause geben. Und das ist in diesem Fall die Gang. Und auf der Strasse herrscht tagtäglich ein Wettkampf, ein Kampf ums Überleben. Gangs bekämpfen sich untereinander, um zu Überleben. Fressen oder Gefressen werden. Sie wollen keine Zivilisten schädigen. Sie wollen nur leben. So wie jeder andere Mensch in dieser Stadt. So lange es Strassenkinder gibt, wird es auch Gangs geben. Und so lange es Not und Elend in dieser Stadt gibt, wird es auch Kriminalität geben.»

Haruka wechselte einen Blick mit ihrem Kameramann. «Sehr interessant, was sie da sagen, Miss. Aber in letzter Zeit gefährden die Gangaktivitäten trotzdem Zivilisten. Wie würden Sie das erklären?»

«Die dritte Gang, die vor einem halben Jahr aufgetaucht ist. Mehr brauche ich da nicht zu sagen. Ich sage nicht, dass die Aktivitäten der Gangs nicht gefährlich sind. Ich sage nur, dass sie nur begrenzt eine Wahl haben. Sie würden auch lieber in einem sittlichen Umfeld aufwachsen. Eine Ausbildung machen. Eine Familie haben. Aber das hat den Staat nie interessiert. Und jetzt sperrt man sie weg, weil sie nun durch sie die Folgen ihrer Ignoranz bemerken.»

Sakura wusste nicht, woher dieser Redefluss kam. Vielleicht war es dieser grenzenlose Ärger gegenüber der vorherrschenden Ignoranz.

«Kennen Sie Gangleute?»

Sakura wog ab. Würde sie das in Schwierigkeiten bringen? Wohl kaum. Es gab tausende Menschen, die Gangleute kannten.

«Ja. Und sie alle sind Menschen mit Potenzial.»

«Dann sind Sie der Meinung, dass die Polizei mit der Verurteilung von Gangs einen Fehler macht?»

«Ja», sagte sie mit fester Stimme. «Sie brauchen keine Strafe dafür, dass sie im Leben Pech gehabt haben.»

Haruka gab ihrem Kameramann ein Zeichen und das rote Licht an der Kamera erlöschte.

In ihrem Blick lag nur noch Interesse. «Miss, dürfte ich vielleicht ihre Kontaktdaten haben? Ich werde bald Gesprächsrunden zum Thema ‘Gangs’ durchführen. Ihre Ansichten sind sehr ungewöhnlich in Angesicht der Meinung der breiten Masse.»

Sakura überlegte. War das ein Ausweg aus ihrer Machtlosigkeit? Konnte sie wenigstens dafür kämpfen, dass die Menschen dieses verkommene Bild der Gangs im Kopf behielten?

Sie nickte entschlossen. Sie hatte nichts zu verlieren. «Natürlich.»

Haruka lächelte herzlich und streckte ihr ein Blatt Papier und ein Stift hin, welches der Kameramann ihr reichte. Sakura schrieb Name und Handynummer darauf.

«Herzlichen Dank, Miss Haruno. Das schätze ich wirklich sehr.»

«Ich danke Ihnen.»

Haruka informierte sie noch darüber, dass die Sendung, die das Interview beinhaltete morgen Abend um zwanzig Uhr ausgestrahlt werden würde, dann verabschiedete sie sich, um weitere Leute zu befragen.
 

Sakura dachte noch lange über diese Begegnung nach. Es hatte gut getan, all diese Dinge einmal auf den Tisch zu legen. Ob die Frau sie wirklich anrufen würde, stellte sie hierbei einmal in Frage. Wer wusste schon, wie viele Kontaktdaten sie sammelte.

Gegen zwanzig Uhr schaltete sie den Fernseher ein. Ino befand sich derzeit im HQ, deshalb hatte sie ihr eine Nachricht zukommen lassen. Falls sie wirklich in dieser Sendung kam, dann sollten es die Anderen wissen. Ihre Tante war leider noch unterwegs.

Die Vorschau kündigte tatsächlich einen Sonderbeitrag zum Thema «Gangs» an. Nun war sie aber gespannt.

Der Bericht begann so ziemlich wie jeder andere zu diesem Thema. Irgendeine Einleitung, danach Aufnahmen von den Riots, wie sie die Stadt terrorisierten. Es war Material aus der Zeit vor der Verhaftung. Als sie das sah wurde ihr erst bewusst, wie lange die Riots nichts mehr von sich hatten hören lassen. Und Hinata hatte sie zuletzt an den Abschlussprüfungen gesehen. Ob es sie gar nicht kratzte, dass Naruto hinter Gittern sass? Konnte sie sich kaum vorstellen.

Jedenfalls kam der Punkt, an dem tatsächlich Parts aus diesen Interviews eingespielt wurden. Wie Haruka Ichinose bereits gesagt hatte, waren vorwiegend andere Meinungen zu hören, als ihre. Die meisten freuten sich aber über die Festnahme der Jungs und meinten, dass es ja schon viel ruhiger geworden sei.

Wenn die wüssten. Die Riots heckten bestimmt etwas aus, denn es hatte an der BZ nicht so geklungen, als wollten sie für immer mit der Polizei kooperieren.

«Nun haben wir einige Meinungen gehört. Denkt Konoha wirklich so einseitig? Ich darf Ihnen mitteilen, dass es tatsächlich noch andere Stimmen gibt.»

Es wurden weitere Sequenzen eigespielt. Es waren zwar nur wenige Leute, jedoch freute sie das ungemein. Jemand sagte, dass die Thematik zu komplex sei, um Knall auf Fall ein Statement zu machen. Dann kamen noch zwei, die etwas Nettes sagten, im Sinne von, dass man in diesem Fall besser anders vorgehen sollte. Und dann kam sie. Himmel, sie sah schrecklich aus. Sie konnte ihrer eigenen Stimme kaum zuhören. Doch dann merkte sie, dass Haruka tatsächlich all ihre Aussagen zeigte. Sie hatte nichts zugeschnitten, nichts neu zusammengestiefelt. Sie brachte ihr Originalstatement.

Sakura hörte sich selbst zu und merkte, dass es noch so viel mehr zu sagen gegeben hätte. In dem Interview wirkte sie traurig. Bedrückt. So wie sie sich auch jetzt noch fühlte.

Wie auch immer. Sie hatte mitgeteilt, was sie hatte mitteilen wollen.

Haruka richtete sich wieder ans Publikum. «Eine beeindruckende Meinung. Nun will ich es von Ihnen wissen: Sagen Sie unsere Meinung im Diskussionsforum von KonohaCityTV.com oder Twitter @KonohaCityTV. Ich bin gespannt. Interessieren Sie sich für die Thematik? Dann schalten sie morgen wieder ein oder am Freitagabend um zwanzig Uhr, wenn wir direkt mit Experten diskutieren. Ich bin Haruka Ichinose und wünsche Ihnen einen schönen Abend.»

Es vergingen keine zwei Minuten, bis ihr Handy klingelte. Es war zwar Inos Nummer, jedoch meldete sich Kiba am anderen Ende der Leitung. «Danke, Cherry. Danke, dafür. Das war gerade das Beste, was ich seit langem gehört habe.»

Er raschelte und sie vernahm Lees Stimme. «Cherry, das war fantastisch!»

Im Hintergrund vernahm sie Stimmen und es raschelte erneut.

«Gib das her, Lee! Sakura. Ich weiss, das war jetzt nur eine von vielen Meinungen am TV, jedenfalls könnte man das so sehen. Aber du hättest unsere Kuramas sehen sollen! Sie waren so glücklich, dass du das gesagt hast.»

Sakura vermutete, dass Ino inzwischen etwas abseits stand, denn die Stimmen im Hintergrund schienen nun aus grösserer Entfernung zu kommen. «Es ist so schlimm, immer nur all das Negative zu hören. Im Moment checken sie gerade das Diskussionsforum des Senders. Sie fragen sich, ob dir ein paar Leute zustimmen werden.»

Sakura freute sich. Seit langer Zeit verspürte sie für einen kurzen Augenblick einen Hauch dieses Gefühls von Wärme. Auch wenn das nur ein kleines, unbedeutendes Statement im TV gewesen war, für ihre Leute war das wichtig gewesen. Zu hören, dass sich endlich einmal jemand richtig auf ihre Seite stellte, musste ihnen gut tun.

An diesem Abend erhielt sie noch viele SMS, vorwiegend gefüllt mit Screenshots aus dem Diskussionsforum von KCTV. Es war verrückt, welch ein Ausmass diese Diskussion angenommen hatte. Die Beteiligung so vieler Leute hatte sie nicht erwartet. Es gab viele bissige Kommentare, aber auch einige wohlwollende. Einige waren für Sakura auch ein wenig beleidigend, aber es kümmerte sie an dieser Stelle kaum und das aus einem Grund: In diesen Kommentaren meldeten sich endlich Leute zu Wort, die für sie Partei ergriffen und das Problem differenzierter zu sehen versuchten, als es bisher getan wurde.

 

«Konoha braucht mehr Menschlichkeit!»

«Die Gangs sollen Raum erhalten, um sprechen zu können, bevor man sie einkerkert!»

«Man sollte nicht vergessen, dass da noch eine dritte Gang rumläuft, anstatt hier die Festnahme von (lediglich) den Anführern der anderen beiden zu feiern.»

«Strassenkinder können nichts für ihre Lage!»

«Ich wäre vielleicht auch in einer Gang, wenn ich auf der Strasse aufgewachsen wäre.»

«Man sollte helfen, anstatt zu unterdrücken. Diese jungen Menschen brauchen Stimmen, die sie stützen.»

 

Kommentare wie diese erwärmten ihr Herz. Auch wenn sie deutlich in der Minderzahl waren, so berührten sie diese Worte im Innersten. Es gab Menschen, die über ihre Nasenspitze hinausdenken wollten!

Es waren vielleicht gerade mal zwei Stunden vergangen, als erneut ihr Handy klingelte. Die Nummer kannte sie nicht.

«Hallo?»

«Miss Haruno? Hier ist Haruka Ichinose.»

«Guten Abend.» Sakura hätte nicht überrascht sein sollen, trotzdem war sie es. Kam ja nicht alle Tage vor, dass die KCTV-Reporterin anrief.

«Entschuldigen Sie für die späte Störung. Aber wie Sie vielleicht schon gemerkt haben, schlägt ihre Aussage noch höhere Wellen als ich ohnehin schon angenommen habe. Wir haben selten eine solche Aktivität in den Diskussionsforen verzeichnet, wie bei dieser Thematik. Das zeigt, wie sehr es die Leute beschäftigt.» Sie machte eine kurze Pause. «Ich weiss nicht, welche Verbindung Sie zu Gangs haben, Miss, aber ich glaube, dass sie nicht unrecht haben. In unserem System laufen einige Dinge schief. Und ich denke, dass es eine gute Möglichkeit ist, jemanden sprechen zu lassen, der etwas mehr Ahnung hat, als die gemeinen Menschen auf der Strasse, die mit Halbwissen um sich werfen. Deshalb wollte ich Sie einladen, am Freitagabend spontan in meine Diskussionsrunde zu kommen und ihren Standpunkt zu vertreten. Ich weiss, Sie haben das vermutlich noch nie gemacht, deshalb würde ich Ihnen sicher den Rücken stützen.»

«Wer ist denn da noch dabei?» Sosehr die Idee sie im ersten Moment abschreckte, es konnte durchaus eine Chance sein. Sie sollte sich das gut überlegen.

«Ein Vertreter des Polizeidepartements, eine Zivilistin, deren Tankstellenshop von Gangs ausgeraubt wurde, sowie ein Soziologe. Das soll wirklich nicht als Zwang aufgefasst werden, aber ich denke, Sie würde frischen Wind in dieses eingefahrene Gangbild bringen.»

«Aber sie müssen doch sicher begründen, warum sie mich einladen?»

«In der Tat. Ich habe mir das so vorgestellt: Sie scheinen bereits Kontakt mit Gangs gehabt zu haben. Sie könnten also gut mit einigen Leuten aus Gangs befreundet sein. Das heisst ja nicht, dass sie zur Gang dazugehören.»

Tja, wenn Miss Ichinose wüsste…

«Ich werde es mir überlegen, in Ordnung? Kann ich Ihnen morgen Bescheid sagen?»

«Natürlich. Nehmen Sie sich Zeit. Ich sollte es einfach spätestens am Donnerstagabend wissen, wie Sie sich entschieden haben, damit ich spontan meine Ersatzperson kontaktieren kann. Ist das in Ordnung?»

«Auf jeden Fall. Herzlichen Dank!», sagte Sakura und meinte es auch so. Diese Frau gab ihr die Chance, etwas gegen die Ungerechtigkeit unternehmen zu können.

«Ich habe zu danken. Haben Sie einen schönen Abend!»

Der Anruf von Haruka Ichinose beschäftigte sie so sehr, dass sie noch mitten in der Nacht grübelnd im Bett lag. Einerseits machte es ihr Angst, mit all diesen Leuten, die den Gangs vermutlich alle nicht allzu gut gesinnt waren, eine Diskussion zu führen. Und dann noch vor laufender Kamera, vor den Augen Konohas. Sie war nicht gut darin, sich zu präsentieren. Andererseits eröffnete sich ihr eine Chance, auch wenn es nur eine kleine war. Sich die Möglichkeit entgehen zu lassen, die Gangs zu verteidigen, wäre doch dumm, oder nicht?

Sie wollte sich aber erst noch mit den Anderen beraten, bevor sie eine Entscheidung fällen würde. Aber in ihrem Kopf wusste sie bereits, was der richtige Weg war: Sie bekam die Chance. Und sie sollte sie beim Schopf packen.

Über den Schatten springen

Kleider falten war nicht unbedingt eine tolle Beschäftigung. Es war eintönig und liess viel Zeit zum Nachdenken. Nicht einmal die Farbe der Shirts und Overalls änderte sich. Grau für die Shirts, orange für den Astronautenanzug – mit viel Fantasie hätte es einer sein können. Die Socken grau. Wenigsten die Pyjamas waren ihre eigenen. Das einzige an Persönlichkeit, was man ihnen liess.

Noch ein Wäschebecken voll und sie hatten es geschafft. Jedenfalls bis zur Mittagspause. Die anderen Inhaftierten an dem langen Tisch waren teilweise in leise Gespräche verwickelt, andere starrten nur vor sich hin. Er selbst verstand Letztere sehr gut – ihm war auch nicht nach reden zu Mute. Im Gegenteil.

Ihm schräg gegenüber sass Demon und faltete schweigend Shirts. Er sah nicht viel amüsierter aus. Wer hätte gedacht, dass sie einmal im Knast landen würden? Und dann noch zusammen?

Es war schon ein Witz. Vor weniger als drei Wochen rasten sie noch frei wie Vögel auf ihren Motorrädern durch die Strassen. Vor einem Jahr waren sie sogar noch die Könige der Strassen gewesen. Jedenfalls hatten sie um diesen Titel gewetteifert.

Vor diesem einen Jahr waren sie noch zu allem bereit gewesen. Sie waren um die Häuser gezogen und hatten mit ihren Leuten gefeiert. Einander mit Leidenschaft gehasst und mit Klasse bekämpft.

Für sie hatte es Grenzen gegeben, das wussten sie. Aber innerhalb dieser Grenzen hatten sie sich alles genommen, was sie wollten. Und dann war alles bergab gegangen, auf einen Schlag. Die Riots waren aufgetaucht und sich wie Parasiten in ihre Welt hineingefressen. Red Ravens Tod. Hinatas Verrat. Kankuros Tod. Unzählige Outers, die ihr Leben im Staub dieser schmutzigen Strassen gelassen hatten. Und wofür?

Naruto hatte nicht mehr viel Willen übrig. Das war etwas, was er kaum kannte, denn gewollt hatte er immer irgendetwas. Und jetzt konnte ihn nur noch ein Gedanke aufrecht halten: Seine Leute waren davongekommen und die beiden Kinder waren in Sicherheit.

Er war bereit, diese Last auf sich zu nehmen. Die grauen Wände des Gefängnisses, die düstere Stimmung, die langweiligen Arbeiten. Die vielen trüben Jahre, die vor ihm lagen. Eine wunderbare Zeit seines Lebens, die er verpassen würde. Hätte er in dieser Zeit vielleicht eine Ausbildung gemacht? Geheiratet? Kinder gehabt?

Er würde es nie wissen, denn für ihn war es vorbei. Nicht einmal Hinata hatte er auf den richtigen Weg zurückbringen können.

Der einzige Sinn, der ihm blieb, waren die Menschen, die er liebte. Seine Gangbrüder und Gangschwestern. Aber würden sie sie stemmen, diese Last, unter der seine Knochen beinahe nachgaben. Wenn es seinen Leuten gut ging, dann schulterte er sie ohne mit der Wimper zu zucken. Diese Menschen würden ihn nicht in die Knie zwingen. Niemals.

Die Gesellschaft hasste sie, das hatte er längst begriffen. Niemand wollte sie. Aber sie waren jetzt nun einmal da. Und damit würden sie klarkommen müssen, diese Menschen.

Beim letzten grauen Shirt benötigte er drei Anläufe, bis es so gefaltet war, wie es sein sollte. Und dann war es Zeit für Mittag.

Als er aufstand wechselte er einen Blick mit Demon. Seine Augen waren leer. So leer wie seine eigenen.

 

Frischer Wind schlug Sakura entgegen, als sie die alte Glastür des Wohnblocks aufstiess. Gerade hatte sie Miss Ichinose angerufen und ihr mittgeteilt, dass sie an dem Gespräch teilnehmen würde. Sie hatte grauenhafte Angst davor, aber es war das Mindeste, was sie tun konnte. Jetzt, wo sowieso alles vorbei war, konnte sie wenigstens das noch versuchen. Das schuldete sie Sasuke und Naruto.

Es war ein sonniger Frühlingstag. Es hätte alles so schön sein können – heute vor einem Jahr war alles noch in bester Ordnung gewesen. Sie wollte nur kurz zum Kiosk an der U-Bahn-Station, um das aktuelle TV-Programm zu holen. Tsunade hatte es gestern verschwitzt. Auch sie war derzeit etwas neben den Schuhen, aus demselben Grund wie sie.

Fast wäre ihr der feuerrote Haarschopf nicht aufgefallen. Gleich auf der gegenüberliegenden Seite, an die Parkmauer gelehnt, stand Karin neben ihrem Motorrad und musterte sie.

«Prinzesschen!», rief sie Sakura spöttisch zu.

«Karin, was machst du denn hier?» Sie konnte ihre Überraschung wirklich nicht verbergen. Karin schenkte ihr abermals einen spöttischen Blick, dabei fielen Sakura die dunklen Ringe unter ihren Augen auf. «Ich muss dir was geben.»

Was um alles in der Welt könnte Karin ihr geben wollen?

Sakura überquerte eilig die Strasse. Wenn Karin sich dazu durchrang, sie vor ihrem Haus aufzusuchen, dann musste es wichtig sein.

«Nur keine Eile, ja?», meinte sie. «So dringend ist es nun auch wieder nicht.»

Sakura blieb vor der Taka stehen. «Was ist los?»

«Bis auf die Tatsache, dass alles an den Arsch geht? Eigentlich nichts.» Karin drückte aus, was Sakura auch dachte, nur hätte sie es wohl in etwas gewählteren Worten ausgedrückt. Aber sie brachte es auf den Punkt. In ihrer Lage konnte man ja nur noch fluchen.

«Ich muss dir was geben.» Anscheinend wollte sie nicht mehr lange um den Brei herumreden. Bevor Sakura sich auch nur fragen konnte, was das sein mochte, hielt ihr Taka-Sniper einen Briefumschlag unter die Nase. Er war nicht in bestem Zustand, sah ziemlich vergriffen aus und vor allem so, als wäre er mehrmals wieder aufgerissen worden.

Gerade wollte sie Karin nach mehr Information zu diesem Brief fragen, da fiel es ihr wie Schuppen von den Augen. «Ist er… von Sasuke?»

Karin nickte mit hochgezogener Augenbraue. «Jep. Hat gesagt, ich dürfe ihn nur über meine Leiche aufmachen. Dass er so vergammelt aussieht liegt nicht an mir, Demon muss ihn noch hundertmal aufgerissen haben.»

Sakura strich mit den Fingerspitzen über das Papier. Innerlich kämpfte sie gegen den Drang an, ihn sofort aufzureissen.

«Würd mich ja schon interessieren, was ihr da für einen Briefwechsel betreibt», meinte Karin und hatte dabei wieder ihren spöttischen Blick im Gesicht. Aber Sakura störte es nicht, sie wirkte nicht mehr wie das Biest, welches sie damals kennengelernt hatte. «Madara hat mir einen Brief von Sasuke gegeben und darin stand, dass ich dir den Umschlag geben soll. Musste mich zuerst durch sein ganzes Chaos wühlen, damit ich ihn überhaupt gefunden habe.»

Sakura musste lächeln. Das konnte sie sich bei seinem Ordnungssinn bestens vorstellen. «Danke, dass du das gemacht hast.»

«Oh, ich habe das nicht für dich gemacht. Aber ihm einen Wunsch abschlagen werde ich nicht, jetzt, wo er sitzt.» Sie senkte dabei ihre Stimme ein wenig und Sakura wurde bewusst, dass sie sich ja mitten auf der Strasse befanden. Für sie war Vorsicht geboten.

«Trotzdem danke», sagte sie und meinte das auch so. Karin war wohl eine der wenigen Auserkorenen, die sein Zimmer betreten durften. Es war sicher nicht so toll für sie, ihr Botschaften von Sasuke zu bringen. Sakura wusste nicht, wie sie Sasuke gegenüber inzwischen empfand, aber glücklich über die Verbindung zwischen ihr und ihm konnte sie kaum sein.

«Die werden bald die ganze Stadt nach uns absuchen. So richtig meine ich. Haben sie angekündigt», wechselte Karin das Thema und ihr Blick enthielt auf einmal eine Spur Traurigkeit. «Wir wissen noch nicht, wie es weitergehen soll, aber Pain und Genius beraten sich. Und eine Entscheidung muss bald fallen.»

Davon hatte sie nichts gewusst. Aber es war anzunehmen gewesen, dass das früher oder später passieren würde.

«Wir sind in einer echt miesen Lage, nicht wahr?», flüsterte sie.

Karin nickte. «Und wie.»

Schweigen machte sich breit, bis Karin das Wort ergriff. «War echt nett, was du vorgestern im Fernsehen gesagt hast. Uns hat es auch gefreut.»

Sakura hob überrascht den Kopf. «Ihr habt es gesehen?»

Sie nickte.

«Auch wenn du mir das nicht glaubst, ich bin auch mit Leib und Seele eine der Unsrigen», meinte Sakura darauf hin.

«Daran zweifle ich nicht mehr», antwortete Karin und wenn sich Sakura nicht täuschte war in ihren Augen ein Anflug von Freundlichkeit zu sehen. «Wie auch immer, ich muss los. Viel Spass beim Lesen.»

Damit schwang sie sich auf ihr Motorrad, nickte ihr noch einmal zu und brauste davon. Und Sakura? Sakura machte rechtsumkehrt und verschwand wieder im Wohnblock. Das TV-Programm konnte warten. Sasuke nicht.

Das Briefpapier war kariert und hatte einige Bleistiftflecken drauf, die beim Schreiben entstanden waren. Seine Schrift war nicht die einfachste zu lesen, aber das machte ihr nichts aus. Es war voll und ganz ein Brief von ihm.

 

Hey Sakura

Du weisst, ich bin nicht wahnsinnig gut in diesen Sachen. Tut mir leid. Aber ich gebe mir echt Mühe.

Ich habe dir nie wirklich gesagt, wie das bei mir abgelaufen ist. Vor fast einem Jahr an der Strassenparty. Ich war kurz davor, diesem dämlichen DJ den Hals umzudrehen. Es wäre ein Leichtes gewesen, ihm klarzumachen, dass ich sicher nicht zu seiner Unterhaltung das Tanzbein schwingen werde. Gott sei Dank habe ich ein paar wirkliche Idioten in meiner Gang, die daraus so eine Art Herausforderung gemacht haben. Sie mussten mir danach einen Monat lang mein Bier bezahlen (eigentlich wollte ich das nicht schreiben, aber ich bin ehrlich). Das Bier ist es übrigens nicht wert gewesen. Aber du.

Du hattest etwas Süsses, Verlorenes, wie du da so auf dieser Bühne gestanden hast. Wenigstens jemand, der das genauso bekloppt findet, wie ich, habe ich mir gedacht.

Ich war echt überrascht, dass ich mich an diese Schritte noch erinnert habe. Sag es niemandem, aber es hat mir Spass gemacht. Und du warst eine tolle Partnerin.

An dem Abend habe ich eigentlich nicht damit gerechnet, dich irgendwann wiederzusehen. Jedoch haben mich meine Leute schnell darüber informiert, dass du aus dem anderen Lager kommst. Das hatte ich nicht erwartet, dachte mir aber nicht mehr viel dabei.

Bis du dann bei der BZ unter meinem Messer lagst. Was soll ich sagen, für mich gab es da nichts zu entscheiden. In meinen Augen gehörtest du gar nicht auf dieses Feld. Nur damit du es weisst, ich habe nicht eine Sekunde lang mit dem Gedanken gespielt, dieses Messer an dir zu benutzen. Dann bin ich aufgestanden und gegangen.

Du hattest diese Panik in den Augen, diese Todesangst. Ich konnte in dieser Nacht nicht schlafen, weil ich diesen Blick nicht aus dem Kopf bekam.

Dich mit deinen Einkaufstaschen umzurennen war purer Zufall. Ein Zufall, um den ich sehr froh war. Sonst wäre ich die Gewissensbisse nie losgeworden. Und ich hatte bis dahin selten bis nie Gewissensbisse, das musst du wissen.

Ich wusste nicht genau, wie ich zu dir stand. Zu dem Zeitpunkt war ich vor allem froh, dass du nicht vollkommen traumatisiert von dem Erlebnis bei der BZ warst.

Für mich hat der Abend bei der DDM, besonders der Vorfall mit Redhead vieles verändert. Ich weiss nicht, warum ich dich mit zur Möbelfabrik genommen habe. Es war immer nur der Ort von Itachi und mir gewesen. Aber bei dir habe ich mir keine Sorgen gemacht, dass du dieses Wissen gegen mich verwenden würdest.

Es tat mir leid, dass dir in dieser Nacht schon wieder so etwas widerfahren ist. Es hat mich nie gestört, was andere von den Takas halten, bei dir war es mir aber wichtig. Und wir glänzten zu dieser Zeit nicht gerade mit sauberem Verhalten. Wie auch immer, es hat mir nichts ausgemacht, dir in der Möbelfabrik ein wenig von mir zu erzählen, geschweige denn, dir diesen Ort überhaupt zu zeigen. Solche Sachen mache ich sonst nie. Aber du hast mir von Anfang an ein gutes Gefühl gegeben, auch wenn du das vielleicht nicht gemerkt hast.

Und so ging es weiter. Jedes Mal, wenn ich mit dir zusammen war, fühlte ich mich gut. Du strahlst etwas Besonderes aus. Ich hatte noch nie jemanden wie dich getroffen, du kamst nicht aus meiner Welt, auch wenn du zu einer Gang gehörtest. Du bist warmherzig und urteilst nicht vorschnell. Du bist so rein und sanft. Und auf der anderen Seite kannst du auch voller Energie sein. Wenn du mich fragst, könntest du die Welt verbessern. Du hast die Gabe, Menschen zu nehmen wie sie sind und sie richtig anzupacken. Nimm mich als Beispiel. In deiner Gegenwart ist meine Abwehr gebrochen, ob ich nun will oder nicht. Selbst in den schwierigsten Zeiten, konntest du immer zu mir durchdringen.

Tja, von da an habe ich jedes Mädchen mit dir verglichen. In Clubs, auf der Strasse, aber auch bei den Takas. Keine war wie du. Ich kannte dieses Gefühl nicht. Für mich gab es immer nur eine Art von Mädchen. Und du hast da nicht reingepasst. Anfänglich habe ich versucht, mich dagegen zu wehren. Wie du vielleicht schon erraten hast: Es hat nicht geklappt. Ein Glück.

Früher oder später, das wusste ich, würden wir mit den Gangs in Konflikt geraten. Ist geschehen, jedoch hat das für mich nichts geändert. Mich hat es weniger mitgenommen als dich. Ich habe mich deswegen immer schuldig gefühlt. Ich dachte, dass irgendwann Lebewohl zu mir sagen würdest, aber das hast du nicht. Mir wurde bewusst, wie stark du doch bist, trotz deiner sanften Feinfühligkeit.

Irgendwie haben wir es bis heute geschafft. Wir hatten viele Höhen und Tiefen, wobei ich hauptsächlich für die Tiefen verantwortlich bin. Das tut mir leid.

Und als ich dich damals sogar körperlich verletzt habe, war ich mir sicher, dass nun alles vorbei ist. Du warst immer bei mir, in all den harten Zeiten und ich hatte den Nerv, dir das anzutun. Es gibt dafür keine Rechtfertigung. Alles was ich sagen kann ist, dass ich es unendlich bereue. Manchmal verliere ich die Kontrolle über mich und es ist meine grösste Angst, dass mir das wieder passieren wird und du dabei verletzt wirst.

Trotzdem hast du mich nach Oto belgleitet. Es war ein weiteres Zeichen deiner grenzenlosen Gutmütigkeit. Ob du es glaubst oder nicht, Oto hat meine Sichtweise auf alles enorm verändert. Teilweise hat es mich sogar inspiriert. Und dass du dabei warst, war das Beste daran - dich wiederzufinden war das Beste daran. Ich bin dir unendlich dankbar dafür, dass du mir erneut eine Chance gegeben hast. Ich hoffe, dass du es nie bereuen wirst.

Hinter diesem Schulgebäude von Oto war ich mir ziemlich sicher, wirklich das gefunden zu haben, was man «Liebe» nennt. Damals vor etwas mehr als einem halben Jahr hätte ich mir das nicht im Geringsten vorstellen können. Und jetzt wünsche ich mir, du wärst mir schon viel früher über den Weg gelaufen.

Und jetzt sind wir hier gemeinsam in Konoha. Wir haben in diesem knappen Jahr mehr erlebt als andere in zehn und ich möchte dir dafür danken. Für jeden Moment, indem du mich nicht aufgegeben hast, obwohl es so einiges zum Aufgeben gegeben hätte. Für eine Nacht lang mühsames Essigsocken wechseln (man hat mir das alles sehr genau berichtet). Dafür, dass du mir bei der DD-Area waghalsig das Leben gerettet hast als ich schon nicht mehr daran geglaubt habe. Für einen eiskalten Heiligabend auf dem Friedhof, in der ich nicht im Traum daran gedacht hätte, dass du auftauchen würdest, ich aber so froh gewesen bin, dass du da warst. Für den Glühwein. Für deine Anwesenheit im HQ. Für die Silvesternacht auf dem Dach. Für die Reise nach Oto, die du trotz allem angetreten hast. Für jede gemeinsame Motorradfahrt. Für deine unendliche Geduld, die vielen Male, in denen du mir verziehen hast. Ich könnte noch so viel mehr aufzählen. Vielleicht fasse ich es am besten zusammen: Danke, dass du bei mir bist, obwohl ich so unglaublich kompliziert, verkorkst und armselig bin. Du bist das Beste, was mir in vielen Jahren passiert ist. Ich habe mich durch dich verändert, zum Positiven, und ich wünsche mir, dass du mich weiter veränderst, bis ich jemand bin, der dich verdient hat. Du bist der erste Mensch, der mich wirklich verändern kann und von dem ich mich verändern lassen will.

Du bist intelligent, liebevoll, gutherzig, sanft, aber auch lustig und süss. Manchmal rennt dein Herz dir voraus, sodass es ein wenig gefährlich wird, aber dazu bin ja ich da. Ich passe auf dich auf.

Und du bist schön, auch wenn du mir das nicht glauben willst. Du siehst an dir so viele Dinge, die dir nicht gefallen. Lass mich Folgendes sagen: Ich mag deine Nase, deine Haare, deine Augen, deine Zähne, deine Figur, deine Stirn. Alles an dir passt so wie es ist. Ich würde es auf keinen Fall anders wollen. Du kannst es äusserlich locker mit jeder anderen aufnehmen, das garantiere ich dir. Für mich wärst du immer die Siegerin.

Aber weisst du, was ich noch viel wichtiger finde? Innerlich wird dir nie jemand das Wasser reichen können. Nie im Leben.

Ich mag übrigens auch die Dinge an dir, die du als Macken bezeichnest. Du bist nicht naiv, sondern gutgläubig. Du erwartest von anderen dasselbe Vertrauen, dass du ihnen entgegenbringst. Du bist auch keine Heulsuse, sondern sensibel und einfühlsam. Du bist auch nicht tollpatschig, sondern süss. Es gibt noch einen ganzen Haufen Dinge zu schreiben. Aber ganz ehrlich, dann würde dieser Brief niemals ein Ende finden und du würdest vor lauter Langeweile über dieses Gesülze aufhören zu lesen.

Deshalb: Beantwortet dieser Brief deine Frage? Ich hoffe es. Ansonsten weisst du, wo du nachfragen musst.

Ganz zum Schluss: Es werden wahrscheinlich noch viele schlimme Sachen passieren. Erinnerst du dich an mein Versprechen von damals? Ich werde da sein, wenn es soweit ist und du Hilfe brauchst. Wir kriegen das hin. Ich bin sonst kein übermässiger Optimist, aber für dich tue ich das gerne. Egal was passiert, verlier nicht deinen Kopf. Du brauchst ihn und auch wenn das egoistisch klingen mag, ich brauche ihn auch.

Ich liebe dich, Sakura.
 

S.
 

Eine Träne tropfte auf den Brief uns saugte sich langsam in die Fasern des Papiers. Ihr Herz raste, aber auf eine schmerzhafte Weise. Ein warmes Gefühl breitete sich in ihrer Brust aus und kämpfte gegen die Eiseskälte, welche ihr Verstand aussandte.

Ich liebe dich auch, dachte sie. Warum bist du weg?

Wunderschöne Worte. Einfach wunderschön. Mit so viel Liebe und Gefühl verfasst. Womit hatte sie das verdient?

Ihr Herz wollte sich nicht mehr beruhigen. Sie lehnte sich gegen die Wohnungstür, sank auf den Dielenboden und liess ihren Gefühlen freien Lauf. Sie schluchzte. Aus einer Mischung von Glück und purer Verzweiflung.

Diesen Brief würde sie bis in alle Ewigkeiten aufbewahren. Sie war sich sicher: Er war ihre Zukunft. Sie hätten gemeinsam irgendeinen Weg gefunden, zu leben und zufrieden zu sein. Und jetzt?

Sie würde auf ihn warten müssen. Bis sie vierzig waren.

Aber das war er ihr wert. Es würde hart werden, wahrscheinlich würde es sie sogar an ihre seelischen Grenzen bringen. Wenn es schon für sie schrecklich war, dann würde es für ihn doppelt und dreifach so schwer werden.

Ehrlich gesagt wusste sie nicht, wie sie das überleben sollten. Und wie Naruto das überleben sollte. Sie konnte nicht mehr als sich immer wieder den einen Satz in den Kopf zu hämmern: Du weisst deinen Weg. Sei nicht feige und gehe ihn gefälligst!

Ihre geballten Emotionen halfen ihr nicht wirklich dabei, ihr Leben wieder in einem besseren Licht zu sehen. Die nächsten Tage zogen sich endlos dahin und waren gekennzeichnet von zermürbenden Gedanken an all die Dinge, die sei verloren hatten. Die Frage nach dem Warum. Tsunades sorgenvolles Gesicht konnte sie kaum ertragen, fühlte sie sich doch jedes Mal wie ein kleines, schwaches Mädchen. Dabei war es nicht sie, die im Gefängnis sitzen musste.

Im HQ war sie selten. Und deshalb überraschte es sie ungemein, als plötzlich Shikamarus Name auf dem Display ihres Handys aufleuchtete, während sie unter ihrer Bettdecke lag und sich vor der Welt versteckte.

«Hm?»

«Hey, Sakura.»

«Hey.»

«Wie sieht es bei dir aus?»

«Nicht besser als bei euch.»

«Habe ich mir gedacht.» Er klang genauso müde und niedergeschlagen, wie sie auch. «Hör zu, von jetzt an solltest du nicht mehr ins HQ kommen. Dort wird niemand zu finden sein.»

Beinahe hätte sie das Handy fallen gelassen. «Was soll das heissen, Shika?»

Er schien sofort zu bemerken, dass sie seine Worte dramatischer aufgefasst hatte, als es beabsichtig gewesen war. «Keine Sorge, es ist alles in Ordnung. Aber wie du weisst sind die Cops derzeit unterwegs und suchen nach jedem Indiz, dass sie in die HQs führt. Und wenn sie uns finden wollen, dann finden sie uns. Deshalb haben Pain und ich etwas beschlossen.»

Sakura ahnte, was kam.

«Wir werden bis auf weiteres die HQs verlassen. Wenn wir nicht ständig ein- und ausgehen und jedes Lebenszeichen von der Fabrik entfernen, dann können wir vielleicht irgendwann zurückkehren. Aber im Moment ist es einfach zu gefährlich.»

«Unser HQ…», flüsterte Sakura. Das zu Hause der Kuramas. So sehr es auch schmerzte, wusste sie, dass es die einzig richtige Entscheidung war.

«Ich weiss. Uns fällt das ja auch nicht leicht.»

«Und wo kommt ihr unter?» Das HQ war das einzige Heim, für viele Kuramas und dasselbe galt für die Takas und ihr HQ.

«Tema und Gaara nehmen Tenten bei Chiyo auf. Kiba, Sai, Shino, Choji, Lee und ich können fürs erste im Toad’s bleiben. Das wird auf Dauer nicht gehen, aber wir werden schon was finden.»

«Sonst kann auch noch jemand bei uns…»

«Nein, Sakura. Ich will das Tsuna nicht zumuten. Sie ist in letzter Zeit noch gehetzter. Und wenn sie dann vielleicht Ärger mit dem Vermieter kriegt…»

Er hatte vollkommen Recht, aber Sakura wünschte sich, sie hätte etwas tun können. «Und die Takas?»

«Die werden sich auch organisieren. Sie werden wahrscheinlich sogar für eine Weile die Stadt verlassen.»

So weit war es also gekommen. Verstecken mussten sie sich, wie geschlagene Hunde.

«Okay. Danke für die Info.»

«Eine Bitte hätte ich allerdings. Wir haben einige Einrichtungsgegenstände, Flaggen und so, die wir irgendwo verstauen müssen. Ihr habt doch ein Kellerabteil in eurem Block, könnten wir die Sachen dort deponieren? Sind nur etwas drei Kartons, keine grossen.»

Sakura willigte sofort ein. «Natürlich. Dort unten haben wir sowieso nicht viele Sachen gelagert.»

«Super. Danke, Sakura. Können wir morgen vorbeikommen?»

«Klar, ich bin zu Hause.»

«Gut.»

Eine Weile war es still in der Leitung. Sakura standen die Tränen wieder einmal zu Vorderst.

«Shika, ich wollte euch noch was sagen.»

«Ja?»

«Ich bin morgen Abend im Fernsehen.» Sie musste durch ihren Tränenschleier leise lachen, weil das so absurd klang.

«Was?» Er verstand natürlich nicht.

«Talkshow. Schaltet einfach um acht KCTV ein, okay? Und seid nicht zu böse, wenn ich es verpatze.»

Er schien immer noch nicht zu verstehen, sagte aber trotzdem: «Versprochen.»

Nachdem sie das Gespräch beendet hatten, liess sich Sakura wieder rücklings aufs Bett fallen. Alles, aber wirklich alles ging den Bach runter, ohne dass sie auch nur die geringste Kontrolle darüber hatten.

 

Draussen auf dem Sportplatz spielten einige der Insassen Basketball. Er hatte noch nicht mit vielen von ihnen gesprochen. Beim Mittagessen sassen sie an ihrem zugewiesenen Platz, dort kam man zeitweise ins Gespräch. Er selbst hatte zwar keine besondere Lust, auch nur mit irgendwem in diesem Loch etwas näher zu tun zu haben, aber ihm war klar, dass es förderlich für die kommenden Jahre sein würde. Immerhin war das hier sein neues Leben.

Interessant war, dass er mit Big Fox so eine Art stillschweigenden Pakt abgeschlossen hatte. Sie liessen einander weitgehend in Ruhe, rauchten in den Pausen zusammen und bewältigten so ziemlich alle Tätigkeiten zusammen. Er wusste nicht, was sich diese Gefängnistypen dabei gedacht hatten, ihn und den Kurama-Leader in eine Doppelzelle zu verfrachten. Von aussen gesehen war es kein besonders nachvollziehbarer Entscheid. Aber er war eigentlich ganz froh darüber, denn mit Big Fox musste er nicht reden – sie wussten bestens, wie sie zueinanderstanden.

Big Fox hatte heute beschlossen, mit den anderen Basketball zu spielen. Er hatte diesen wahnsinnigen Bewegungsdrang, nachts in der Zelle ging er manchmal einfach auf und ab, unermüdlich. War schon immer voller Energie gewesen, der Typ.

Er selbst sass auf einem der Bänke und rauchte. Es war später Nachmittag und über der Betonmauer mit Stacheldraht neigte sich die Sonne bereits dem Westen zu. Es war erstaunlich warm, der Frühling war endgültig in Konoha angekommen.

Es wäre schon fast angenehm gewesen, wenn ihm die Mauer nicht die Sicht auf die Stadt versperrt hätte. Jetzt, in diesem Moment könnte er überall sein; in der Autowerkstatt, in der Möbelfabrik, bei seinen Leuten im HQ. Bei Sakura. Aber er war verdammt, bis er sein halbes Leben durch hatte hier zu bleiben. Wie hielten das andere aus? Es gab solche, die noch länger sitzen mussten und einige, die ihren Lebensabend hier verbringen würden. Die Vorstellung daran sollte ihm eigentlich aufzeigen, wie gut er noch davonkam.

Was genau war eigentlich schiefgelaufen, dass er jetzt hier sass? Grundsätzlich gab es genug Gründe, ihn einzubuchten, das war ihm schon klar. Er war kriminell. So wie die Gangs nun mal kriminell waren. Aber hatte er jemals jemanden verletzt, der ihn nicht auch verletzen wollte? Hatte er jemals etwas anderes getan, als gegen Leute zu kämpfen, die ihn selber auch tot sehen wollten?

Nein. Er hatte nie jemanden Unschuldiges angegriffen oder verletzt. Oder?

Leider fiel ihm dazu etwas ein. Etwas, das er bis heute nicht wirklich wahrhaben wollte. Er hatte Sakura nie erzählt, wie er inzwischen dazu stand. Sie hatte ihn damals noch gewarnt. Bevor er den Abzug gedrückt und das Leben dieses einen Riots beendet hatte. Der Riot, der Itachi auf dem Gewissen hatte.

Sakura hatte ihn gewarnt. Sie hatte schon damals gewusst, dass es falsch war. Mit dieser Tat hatte er sich endgültig zum Mörder gemacht. Freiwillig. Er hatte jemanden umgelegt, der hilflos war und ihn angefleht hatte, es nicht zu tun. Nach wie vor hasste er diesen Riot mehr als alles andere. Wäre er nicht gewesen, wäre alles anders gekommen. Aber er erinnerte sich an Sakuras Blick. An diese pure Verzweiflung und dann vor allem an den Schock in ihren Augen. Sie hatte es nicht glauben könnten. Damals hatte er in seiner ganzen Trance nichts mehr davon realisiert. Aber jetzt, wenn er an diesen Blick zurückdachte, wusste er, dass er ein Monster war. Und dafür verdiente er den Knast.

Sakura hatte ihm wieder und wieder verziehen und er war ihr unendlich dankbar dafür. Aber das Wissen, ihr das angetan zu haben, war schwer zu ertragen. Sie war nur wenige Meter vor dem Riot entfernt gewesen. Er wusste, dass sogar etwas vom Blut des Riots auf ihren Pullover gelandet war. Nur wenig. Er hatte ihr dieses Bild in den Kopf eingebrannt, etwas, das sie nie vergessen würde. Aus purem, rachsüchtigem Egoismus hatte er ihr das angetan.

Manchmal konnte er sich nicht kontrollieren, das hatte sie gemerkt, trotzdem war sie immer wieder zu ihm zurückgekommen.

Es gab Zeiten, da beschlich ihn dieser dunkle Gedanke. Ein Gedanke, der ihn wahnsinnig machte.

 

Es ist besser, dass du hier hinter Gittern bist, denn du bist gefährlich. Du bist unberechenbar und am Ende würdest du ihr und allen anderen nur schaden. Wenn Itachi noch leben würde, sähe jetzt alles anders aus. Du hast versagt.
 

In solchen Momenten kramte er ins einer Hosentasche und zog das Papier mit dem herbstlichen Hintergrund hervor, welches von dem vielen Herumtragen inzwischen etwas zerknittert war. Aber er brauchte diese Worte immer bei sich, denn sie gaben ihm das Gefühl, nicht ganz so ein schlechter Mensch zu sein, wie er dachte. Den Brief hatten sie ihm gelassen und in der U-Haft hatte er ihn sicher hundertmal durchgelesen. Zu dieser Zeit in Einzelhaft hatte ihn dieses Blatt Papier mit ihren wunderbaren Worten davor bewahrt, nicht komplett wahnsinnig zu werden.

Und jetzt, wenn er ihn zum zigsten Mal durchlas, hatte er nicht das kleinste bisschen seiner Wirkung verloren. Jedes Mal sah er sie vor sich, wie sie in ihrem weissen Zimmer am Schreibtisch sass und an ihrem Stift kaute, während sie fieberhaft überlegte, ob sie nun wirklich alles geschrieben hatte, was sie hatte schreiben wollen.

Er wusste ganz ehrlich nicht, was er ohne sie machen würde. Und vor allem, womit der jemanden wie sie überhaupt verdient hatte.

Es war tröstlich zu wissen, dass er diesen Brief in den kommenden Jahren immer wieder durchlesen konnte. Egal, was Sakura in ihrem Leben machen würde. Er hoffte so sehr, dass sie sich nicht runterziehen liess. Vielleicht wollte sie ja heiraten, eine Familie gründen. Sie wäre eine wunderbare Mutter. So sehr es ihm wehtat, er wünschte sich, dass sie ihr Leben weiterlebte, ohne ihn. Sakura konnte alles erreichen, was sie wollte. Er würde ihr dabei auf keinen Fall im Weg stehen.

Vielleicht ergab sich irgendwann die Gelegenheit, dass sie ihn besuchen kommen würde. Dann konnte er ihr vielleicht auf Wiedersehen sagen und ihr danken. Egal, wie es kam, ihre Worte würde er für immer bei sich tragen. Sie zu treffen war das absolut Beste, was ihm in den letzten Jahren passiert war. Sie hinterliess tiefe Spuren in seinem Leben. Die Erinnerung an sie würde er wie einen Schatz hüten.

Er begutachtete die glimmende Zigarette in seiner Hand, bevor er sie auf den Boden warf und zertrat.

Rauchen ist ungesund.

 

Sakura hatten den KCTV-Komplex schon öfters von aussen gesehen. Es war ein hoher Betonblock, an die fünfzehn Stockwerke und bestand zu einem grossen Teil aus Glas, welches das Licht der abendlichen Maisonne reflektierte.

Durch die grosse automatische Glastür gelangten sie in das geräumige Foyer. In den Lounges sassen einige Leute im Gespräch, am Empfang stellte sie sich hinter zwei Herren an, dabei musterte sie die Plakate an den Wänden, welche für TV-Shows warben oder irgendwelche berühmten Moderatoren des Senders zeigten. Haruka Ichinose konnte sie darauf nirgendwo entdecken, aber genau das machte sie Sakura sympathisch. Soviel sie wusste, war sie noch nicht allzu lange beim Sender.

Die Herren vor ihr gingen ihres Weges und sie trat einen Schritt nach vorne. Eine adrett gekleidete junge Frau mit hübscher Föhnfrisur schenkte ihr ein freundliches Lächeln als sie ihr Anliegen vorbrachte.

«Nehmen Sie den Lift hinten rechts.» Sie wies mit der Hand in einen Seitengang des Foyers. «Der Nachrichtendienst befindet sich in den Stockwerken 4 bis 7, Sie müssen ins fünfte. Ich werde gleich nach oben telefonieren und Ihre Ankunft anmelden, Miss Haruno.»

«Herzlichen Dank.»

Sie verabschiedete sich von der Frau und tat wie geheissen. Das Gebäude hatte tatsächlich fünf Lifte, bei der Anzahl an Stockwerken war das aber nicht weiter verwunderlich. In ihr stieg langsam aber sich die Nervosität auf, als sich der Lift in Bewegung setzte. 3, 4, 5. Ein Signalton verriet ihr, dass sie am Ziel abgekommen war. Vor ihr öffneten sich die Türen und sie trat in einen breiten Gang hinaus. An ihr gingen geschäftig Leute vorbei und Sakura wusste im ersten Moment nicht, ob sie wirklich am richtigen Ort gelandet war.

«Miss Haruno!»

Dankbar, ihren Namen zu hören, drehte sie sich um und entdeckte Haruka Ichinose, bereits fixfertig gestylt für ihren Auftritt.

«Schön, dass Sie es einrichten konnten», meinte Miss Ichinose und schüttelte ihr freudig die Hand.

«Danke, dass Sie mich eingeladen haben. Ich hoffe, ich werde Sie nicht enttäuschen.»

Sie winkte ab. «Wenn Sie heute ehrlich Ihren Standpunkt vertreten, dann können Sie gar nichts falsch machen. Dafür hole ich auch gerne Leute in die Sendung, die keine Kameraerfahrung haben oder routinemässig vor Publikum sprechen. Wenn es Ihnen nichts ausmacht, dann können wir uns gerne duzen. Ich bin Haruka.»

«Sakura, freut mich.»

«Die Freude ist ganz meinerseits. Komm mit, Sakura, jetzt machen wir dich bereit.»

Sie folgte Haruka durch die Gänge, einmal links, einmal rechts. Das Getummel an Leuten legte sich je weiter sie sich vom Hauptgang entfernten. Diese Ecken des Gebäudes hatten keine Fenster, vermutlich waren sie nun im Studiobereich angelangt.

Bald öffnete Haruka eine Tür und wies Sakura an, einzutreten. Der Raum war mit mehreren Tischen mit Spiegeln ausgestattet, eine Frau mittleren Alters klappte gerade einen Schminkkoffer aus.

«Sakura, das ist Kazumi. Sie wird dich etwas schminken, damit es für das Licht im Studio passt. Wenn du Wünsche zum Make-Up hast, dann sag es ruhig. Deine Kleider sind übrigens perfekt.»

Haruka hatte ihr am Telefon mittgeteilt, wie sie in etwa angezogen sein sollte. Sakura hatte sich für ganz normale Kleider entschieden, eine weisse Bluse, blaue Jeans und eine hellgraue Strickjacke.

«Dann bin ich froh.» Sie schüttelte Kazumi die Hand, diese wies ihr einen Platz zu.

«Bist du nervös?», fragte Haruka, als Sakura sich setzte.

«Und wie. Ich weiss wirklich nicht, ob ich das kann. Ich habe das noch nie in meinem Leben gemacht.»

Haruka lächelte ihr aufmunternd zu. «Keine Sorge, ich werde dir helfen. Ich glaube, dass wir da eine sehr spannende Diskussion vor uns haben. Sag einfach das, was du sagen willst, so wie du es fühlst. Niemand erwartet von dir mehr, okay?»

«Okay, danke.» Das half Sakura schon ein wenig. Aber der Gedanke, dass ihr die halbe, wenn nicht die ganze Stadt dabei zusehen würde, wie sie im Fernsehen ihre Meinung vertrat, war schon beunruhigend.

Kazumi machte sich an ihrem Gesicht zu schaffen, auf Anfrage steckte sie auch Sakuras Haare hoch. Himmel, sie war froh bekam sie die Gelegenheit, professionell zurechtgemacht zu werden, sie konnte ihr eigenes Aussehen nicht leiden. Und ihre Haare warne viel zu dünn, als dass sie ohne Behandlung anständig aussehen würden.

Während Kazumi sie zurechtmachte, unterhielt sie sich noch einen Moment mit Haruka. Diese bereitete sie darauf vor, dass viele negative Sachen über die Gangs gesagt werden würden. Es war keine einfache Angelegenheit. Die anderen Anwesenden waren ein Soziologe, die ausgeraubte Tankstellenshop-Besitzerin und Vertreter des Polizeidepartements. Sie würden sich nachher kennenlernen.

«Und als was gehe ich durch?», fragte Sakura.

«Als jemand, der mit einigen Gangmitgliedern befreundet ist. Ist das okay für dich?»

Sakura nickte. Das machte Sinn.

«Gut. Vertrau mir, Sakura. Ich habe das Gefühl, dass du möchtest, dass noch viel mehr Menschen deinen Standpunkt kennen. Korrigier mich bitte, wenn ich falsch liege.»

«Nein, da hast du schon recht.»

Kazumi beendete ihre Arbeit und Sakura sah sich im Spiegel an. Das war schon besser.

«Danke, Kazumi, das sieht toll aus», sagte Sakura und Kazumi lächelte.

«Dann bin ich froh.»

«Gutes Timing, denn wir müssen. Besten Dank, Kazu!»

«Immer wieder gern, Haru!»

Haruka wies Sakura zum Mitkommen. Jetzt wurde es ernst.

«Darf ich dich was fragen, Sakura?», begann Haruka, als sie nebeneinander hergingen.

«Natürlich.»

«Kennst du die Gang-Leader, die jetzt inhaftiert sind?»

Kurz überlegte Sakura, ob sie sich mit dieser Information in Gefahr begab, aber sie kam zum Schluss, dass dem nicht so war. Man konnte niemanden aufgrund einer Freundschaft verhaften.

«Ja. Ziemlich gut sogar. Und sie sind die letzten, die man wegsperren sollte. Da gibt es einen Haufen Kriminelle, die tatsächlich ins Gefängnis gehören, denen man aber wegen der Gang-Debatte kaum Beachtung schenkt.»

Haruka schmunzelte. «Das habe ich mir schon gedacht. Und das ist übrigens ein guter Punkt, den du da hast.»

Sie erreichten eine Tür mit zwei Flügeln, dahinter lag der Raum, den sie schon so oft im Fernsehen gesehen hatte. Es waren fünf cremefarbene Sessel vor dunklem Hintergrund, zwischen den Sesseln standen kleine Tischchen mit einem Glas Wasser für jede Person darauf. Die Kameras waren bereit, die Beleuchtung machte Sakura schon wieder eine Heidenangst. Viele Augen würden auf sie gerichtet sein. Es wurde zwar nicht live übertragen, aber man hatte ihr schon gesagt, dass nicht mehr viel geschnitten wird. Die Sendung wurde nur wenig zeitversetzt ausgestrahlt, damit noch allfällige Korrekturen gemacht werden konnten.

Vor diesem Kreis aus Sesseln standen bereits drei Leute in ein Gespräch vertieft. Die Frau musste die Tankstellenbesitzerin sein. Sakura schätzte sie Mitte vierzig und schon von weitem wurde sie aus ihrem Gesicht nicht schlau. Vordergründig lächelte sie freundlich, aber irgendwie wirkte es nicht so echt. Der eine Mann sah sehr freundlich und offen aus, der andere sehr entschlossen, aber auch freundlich. Sie waren jedoch alles über ihre Dreissiger hinaus. Konnte sie da mithalten?

Jetzt war es zu spät, um sich noch solche Fragen zu stellen.

 

Gespräch mit der neuen Sozialtante. Sie wollte wieder einmal wissen, wie er sich fühlte. Was erwartete die gute Frau eigentlich für eine Antwort? Ich fühle mich wunderbar im Knast. Endlich bin ich meiner Bestimmung zugeführt worden.

Seit er hier war hatte er zweimal wöchentlich eine Sitzung mit dieser Frau, die vermutlich keine Ahnung davon hatte, wie es war, einmal auf der Verliererseite zu stehen. Hatte irgendeinen hohen Abschluss und denkt jetzt, sie verstehe die Welt. Die Frau war seiner Schätzung nach in ihren späten Zwanzigern. Welche Ratschläge konnte die ihm den bitte geben?

«Mr. Uchiha, wie haben Sie sich an die neue Alltagsstruktur gewöhnt?»

Wie sie sich ausdrückte. Das war einfach nur nervig.

«Woran soll man sich gewöhnen? Man pennt, isst, arbeitet und pennt wieder. Alles wie vorher, nur das Mauern drum rum sind.»

Die Sozialarbeiterin legte den Kopf schief. Sie war neu, denn bis anhin hatte er seine Gespräche mit einer anderen gehabt, die sich definitiv den falschen Arbeitsort ausgesucht hatte. Andauernd war sie sauer geworden, weil er ihr keine brauchbaren Antworten geliefert hatte.

Die hier fuhr auf der genau gleichen Schiene, da war er sich sicher. Vorhin hatte sie sich ihm als Naomi Ito vorgestellt.

Sie musste lachen. «Sie fassen das sehr gut zusammen. Und für Sie ändern diese Mauern gar nichts?»

Sasuke war kein Mensch der ausgeprägten Mimik, aber hier musste er sich Mühe geben, nicht die Augen zu verdrehen. Als er ihren Blick sah, verstand er. Sie glaubte ihm kein Wort. Nicht ein einziges.

«Die Antwort können Sie sich selber geben», brummte er und wandte sich an die Frau. «Ganz im Ernst, was mache ich überhaupt hier mit Ihnen? Ich brauche keine Therapie.»

Die Frau schmunzelte. «Mr. Uchiha, das ist bestimmt keine Therapie. Es geht darum, dass Sie eine Ansprechperson haben. Das hier ist keine leichte Situation, ob Sie es nun zugeben wollen oder nicht. Ich habe den Auftrag zu beobachten, wie Sie mit dieser Belastung umgehen und Ihnen zu helfen, wenn Sie Hilfe brauchen.

«Ich brauche keine Hilfe, danke. Wie Sie sehen komme ich mit dieser ‘Belastung’ zurecht, das können Sie ihren Vorgesetzten mitteilen.»

Die andere Tante wäre längst an die Decke gegangen. Die hatte null Nerven gehabt und es war einfach gewesen, sie loszuwerden. Diese hier schien ein härterer Brocken zu sein. Aber nicht unbezwingbar. Sein Ziel war es, in Ruhe gelassen zu werden und fertig. Mehr wollte er gar nicht.

«Wohin ist eigentlich die andere verschwunden?»

«Meine Vorgängerin?»

Er nickte.

«Sie hat darum gebeten, dass jemand anderes bei Ihnen übernimmt. Ihnen ist bestimmt aufgefallen, dass die Gespräche nicht sonderlich gut verlaufen sind. Sie hat einige schlechte Erfahrungen mit Gangs gemacht und sie hat mir die Erlaubnis gegeben, Ihnen das mitzuteilen. Ihr Sohn wurde von Gangs überfallen und sie meinte, dass sie bei Ihnen nicht mehr objektiv bleiben könne.»

Plötzlich hatte die Frau Sasukes Aufmerksamkeit. «Wann?»

«Vor einem Monat etwa.»

«Okay.» Die Riots. Es war keiner seiner Outers gewesen. Er hätte ihnen die Hölle heissgemacht, wenn es so gewesen wäre. Auf eine sehr schräge Art und Weise konnte er das Verhalten der anderen Sozialarbeiterin nun nachvollziehen. War vermutlich die beste Entscheidung gewesen, eine andere bei ihm antraben zu lassen.

«Es schein, als würde Sie das Thema sehr treffen», stellte Miss Ito fest.

«Tja, es macht mich sauer. Wir waren das nicht. Das sind die anderen, die immer noch frei herumrennen und machen, was sie wollen.»

Er war versucht, Miss Ito zu berichten, dass die Drecksäcke mit der Polizei kooperiert hatten, aber er konnte sich noch zügeln. Die Frau war auch Teil des feindlichen Systems. Da konnte er keine solchen Sachen sagen.

Miss Ito nickte interessiert. «Erzählen Sie mir etwas von sich, Mr. Uchiha.»

«Da gibt’s nichts zu erzählen.»

«Ich bin sicher, dass sie sich da irren. Wo sind sie geboren?»

«Otogakure.»

«Kenne ich nur vage. Ein eher kleines Dorf nicht wahr?»

Er nickte.

«Sind Sie auch dort aufgewachsen?»

«Teils.»

«Was bedeutet das?»

«Ein bisschen dort, ein bisschen in Iwagakure und den Rest in dem Loch hier.»

«Ich habe gelesen, dass Sie nach dem Tod deiner Eltern eine Zeit in einem Kinderheim gelebt haben. Was das in Iwagakure?» Er nickte. Natürlich, er hatte bei seiner Ankunft hier zu seinen Eckdaten Rede und Antwort stehen müssen und sie bekam Einsicht in seine Akte. Viel würde er ihr nicht vorenthalten können.

«Das muss eine schlimme Zeit gewesen sein», sagte sie und klang dabei nicht so möchtegern-einfühlsam wie erwartet. Nein, sie wirkte irgendwie echt.

«Und wie lief das hier in Konoha?»

«Wie meinen Sie das?»

«Wie sind Sie in die Gang gekommen?»

«Mein Bruder und ich sind hierhergekommen und drin waren wir. Mehr sage ich dazu nicht.»

«Wer war der Mann, der Sie vor einer Woche besucht hat?»

«Mein Onkel.»

«Warum seid ihr zur Gang gegangen und nicht zu ihm?» Die Frau wollte es wissen. Aber er würde ihr bestimmt nicht erzählen, dass Madara ein ehemaliger Gangleader war.

«Wir sind zur Gang gegangen und fertig.»

«Okay.» Sie erkannte, dass sie bei ihm auf Granit stiess. «Haben Sie noch andere Verwandte?»

«Ausserhalb von Konoha irgendwo ja. Kenne die aber kaum, wollen auch nichts mit mir zu tun haben.»

«Interessant. Sie haben vorhin Ihren Bruder erwähnt. Was macht er?»

Sasuke wollte es eigentlich nicht. Aber sein Körper spannte sich innert dem Bruchteil einer Sekunde wie ein Bogen und er musste sich Mühe geben, nicht das Glas Wasser vor ihm vom Tisch zu fegen. Seine Lage war doch schon beschissen genug, musste sie jetzt auch noch damit anfangen?

«Gibt es nicht mehr.»

Naomi Itos Gesichtsausdruck wandelte sich von interessiert zu bedrückt. «Das wusste ich nicht. Es tut mir sehr leid, Mr. Uchiha.»

«Schon gut», brummte er. «Ist ja nicht Ihr Fehler.»

Miss Ito musterte ihn mit einem durchdringenden Blick. Sasuke konnte sie einfach nicht unsympathisch finden, sosehr er es auch versuchte. Das war bei der anderen schon leichter gewesen.

«Ich möchte gerne Ihre Situation besser verstehen. Das ist mein Ziel», sagte sie plötzlich. «Ich will Sie weder therapieren, noch belehren oder abwerten. Ich weiss, dass es für sie schlimm sein muss, hier zu sein. Ich kann Sie nicht rausbringen, aber ich kann Ihnen helfen, es erträglicher zu machen, wenn Sie sich auf mich einlassen.» Sie streckte ihm die Hand hin. «Mr. Uchiha, wären Sie bereit, mir ein bisschen etwas von Ihnen zu erzählen? Was auch immer Sie wollen. Es wird alles unter uns bleiben, hochheiliges Ehrenwort. Und dann entlasse ich Sie in den Abend.»

Sasuke zögerte. Die Frau wirkte eigentlich ganz nett. Und wenn er hier kooperierte konnte er nachher Fernsehen gehen. Alles in allem war das eine gute Aussicht.

Er schlug in ihre ausgestreckte Hand ein. «Aber nur, wenn sie mit dem Psycho-Gequatsche aufhören.»

Naomi musste schon wieder lachen. Es war schon fast ansteckend.

Aber nur fast.

 

Sakura wusste nicht wohin mit ihren schwitzigen Händen. Das Licht der Scheinwerfer leuchtete grell in ihrem Augenwinkel. Wenigstens sah sie so das Publikum nicht. Rechts von ihr sass Haruka, links von ihr der Polizeivertreter. Vorhin hatte sie Ihnen kurz die Hände geschüttelt. Die etwas wohlbeleibtere Tankstellenfrau hiess Manami Kato und vom ersten Moment an war Sakura klar, dass sie ihr nicht besonders wohlgesinnt war. Natürlich konnte sie verstehen, dass dieser Raub ihr sehr zugesetzt haben musste, schlussendlich verdiente sie damit ihre Brötchen. Aber das waren die Riots gewesen und nicht ihre Gangs. Der Polizeimann war undurchschaubar, sah aber streng aus. Laut ihren Infos war er Momochis rechte Hand. Auch vor ihn fürchtete sie sich.

Nur der freundliche Mann, der Soziologe namens Yosei Inoue. Er wirkte interessiert und offen. Hoffentlich würde er diese ganze Diskussion irgendwie ruhig halten.

Ganz ehrlich? In diesen letzten Sekunden vor der Sendung hatte sie ihren Entscheid, in diese Talkshow zu kommen, bereut. Auch jetzt fühlte sie sich nicht besonders wohl. Gerade war Manami Kato dabei, über die Gangs und ihre Machenschaften zu wettern und Sakura konnte nicht anders, als sich ein wenig auf ihre Seite zu stellen. Dieser Frau wurde eine Waffe direkt ins Gesicht gehalten, sie wurde gefesselt und geknebelt, fürchtete um ihr Leben. Da verstand sie jeglichen Hass – wenn er doch nur die richtigen treffen würde.

«Die Gangs müssen verschwinden. Konoha war nie eine ruhige Stadt und wird es auch nie werden, aber sie einem halben Jahr läuft die Situation schlichtweg aus dem Ruder. Ich bin froh haben wir nun einen Polizeipräsidenten, der aufräumt.» Mrs. Katos zu stark geschminkte Lippen bebten bei den letzten Worten.

«Vielen Dank, Mrs. Kato. Da wir gerade dabei sind, Mr. Sakamoto, Sie arbeiten mit dem Polizeipräsidenten höchstpersönlich, erzählen Sie uns etwas über seine Vorhaben», fädelte Haruka gekonnt ein.

Sakamoto, seinen Vornamen hatte sie vergessen, nickte nur mit steinerner Miene. «Nun, wie Sie vielleicht wissen, hat die Bekämpfung der Belästigung durch die Gangs derzeit grössten Vorrang. Ich weiss, dass es auch Kritiken gibt, die betonen, dass dafür andere Kriminelle ihren Verbrechen nachgehen können, während wir unseren Fokus auf die Gangs legen. Jedoch werden wir Konoha ganzheitlich schützen. Selbst wenn unsere Priorität derzeit die Gangs sind, heisst das nicht, dass das System an anderen Stellen Lücken aufweist. Mr. Momochi plant, das Militär zuzuziehen – er bekleidet selbst einen der höchsten Ränge in der Armee.»

«Und was genau wollen Sie dann mit diesen jungen Menschen machen?», fragte der Soziologe und stellte damit die Frage, die Sakura schon länger auf der Zunge lag. Sie meinte den Anflug eines Grinsens auf Inoues Lippen zu sehen, war sich jedoch nicht sicher.

«Natürlich wird ihnen erst den Prozess gemacht», antwortete Sakamoto ungerührt. «Alle werden nicht in die Vollzugsanstalt kommen, da die Beweislagen oft schwierig sind. Schlussendlich ging es bis vor kurzer Zeit nur um Verbrechen unter Gangs, da gab es weder Anzeigen noch Klagen. Inzwischen haben wir einen anderen Status erreicht. Sicher ist, dass die Gangmitglieder sich für ihre Taten verantworten werden müssen, in welcher Form ist immer abhängig von den vorhergegangenen Regelbrüchen. Bei vielen von diesen Leuten werden psychische Störungen vermutet, deshalb sind auch Einweisungen in Psychiatrien nicht ausgeschlossen. Alles zu ihrem Wohle.»

Sakura hätte sich bei Sakamotos ungerührter Miene übergeben können. Der Typ hatte null Ahnung. Psychische Störungen? Das war kein dummer Gedanke. Viele der Gangmitglieder hatten schlimmes gesehen und schlimmes getan. Aber sie waren alle bei klarem Verstand. In den Outers gab es ein zwei Typen, die schwierig waren, aber gerade die Gemeinschaft der anderen half ihnen dabei, sich zu kontrollieren.

Aber so wie er klang würde er auch jemanden wie zum Beispiel Hidan einweisen lassen, nur, weil er an diesen komischen Gott glaubte – er tat jedenfalls so. Abkaufen konnte sie ihm das immer noch nicht. Deswegen war er aber noch lange nicht psychisch gestört.

Sie waren anders. Aber nicht krank. Verletzt und eine kaputte Seele, ja. Dachschaden? Höchstens aus Sicht der Menschen, die sich nicht vorstellen können, was sie erlebt haben.

Die dicke Kato nickte bekräftigend und drückte damit deutlich ihr Unwissen in der gesamten Situation aus. Sakura war nicht fürs Schubladisieren, aber hier konnte sie nicht anders. Mrs. Kato war leicht zu beeinflussen. Sie machte sich keine tieferen Gedanken, sondern folgte immer nur demjenigen, der ihre wichtigsten Interessen vertrat. Ohne Hinterfragung.

«Miss Haruno», hörte sie plötzlich ihren Namen aus Harukas Mund. Jeder einzelne Muskel in ihrem Körper spannte sich an. «Als Freundin von Gangmitgliedern, finden Sie dieses Vorgehen sinnvoll?»

Katos und Sakamotos brauchten nichts zu sagen, ihre Blicke verrieten ihre Gedanken. Aus dem Mund dieser kleinen Göre würde nichts Sinnvolles kommen. Schon gar nicht, wenn sie die Naivität besitzt, sich mit Gangmitgliedern anzufreunden.

Ihr Herz raste und sie wusste nicht, ob sie auch nur einen Sinnvollen Satz rausbringen würde. Bis ihr Sasukes Worte wieder einfielen.

 

Wenn du mich fragst, könntest du die Welt verbessern. Du hast die Gabe, Menschen zu nehmen wie sie sind und sie richtig anzupacken.

 

Sie machte das hier für ihre Freunde, insbesondere für Sasuke und Naruto. Beide hatten immer an sie geglaubt. Und sie die Chance, etwas zu tun, beim Schopf packen. Selbst wenn es keinen Effekt haben würde.

«Grundsätzlich bin ich auch der Meinung, das Verbrechern der Prozess gemacht werden muss und dass psychisch Erkrankte Menschen eine Therapie verdienen, Mr. Sakamoto. Das ist durchaus sinnvoll.» Sie konnte in Sachen Strafvollzug nur schlecht mitreden, er war darin aber stark. Sie musste ihn also in ein anderes Thema hineinziehen, in dem sie mehr zu sagen wusste. Ihre Stimme zitterte zwar noch leicht, jedoch sollte das nicht allzu gut bemerkbar sein. «Damit hätten sie dann die Gangs ausgeschaltet. Das sehe ich. Aber ich möchte Sie nun etwas Anderes fragen: Nehmen wir einmal an, sie lassen die Gangs verschwinden. Das von Ihnen erhoffe Resultat, Ruhe, Frieden und Zeit, sich wieder anderen Kriminalfällen zuzuwenden, tritt ein. Wie lange würde sich das halten?»

Sakamoto schien nicht ganz zu verstehen, worauf sie hinauswollte. Kein Problem. Sie würde das liebend gerne für ihn ausführen.

«Da draussen gibt es noch mehr als genug Strassenkinder, die Gangs gründen werden. Mehr als genug verzweifelte Menschen, die sich gegen Konoha auflehnen werden. Sie werden wiederkommen und die Sache beginnt von vorne.»

«Da müssen Sie sich keine Sorgen machen», sagte Sakamoto ungerührt. «Wir werden jegliche kriminelle Aktivität unterdrücken.»

«Damit bekämpfen Sie Symptome», gab Sakura ruhig zurück. «Warum tut die Regierung nichts gegen das Leid, welches hier vorherrscht? Da draussen verbringen kleine Kinder den Winter auf der Strasse, frieren, hungern. Werden von kriminellen Untergrundorganisationen für ihre Zwecke missbraucht. Kommen in Kontakt mit Rauschmitteln und verfallen ihnen. Und es geht nicht nur kleinen Kindern so. Gehe ich richtig in der Annahme, dass ihre vorgeschlagene Lösung dafür das Wegsperren dieser Menschen ist?»

Die Frage war provokativ, da sie die Einfachheit von Sakamotos und Momochis Denken anprangerte. Der Soziologe neben ihr hatte ein leichtes Grinsen im Gesicht.

«Natürlich werden wir die kriminellen Kinder in dafür vorgesehene Einrichtungen einweisen. Kinder- und Jugendheime zum Beispiel.» Sakamoto sah zwar nicht beunruhigt aus, seine Antwort war aber halbpatzig.

Bevor Sakura etwas sagen konnte, meldete sich nun Inoue. «Ich finde Miss Harunos Punkt grossartig. Grundsätzlich hätte man die Gangproblematik gar nicht, wenn man an der Wurzel ansetzen würde. Warum nicht mehr in die Bekämpfung von Armut und Obdachlosigkeit investieren, anstatt junge Menschen einzusperren?»

Sakamoto nickte. «Ich bin ein Vertreter des Polizeidepartements und dafür zuständig, Kriminalität zu vermindern und Kriminelle zu sanktionieren. Das ist mein Gebiet.»

Der Soziologe nickte. «Das ist mir durchaus bewusst. Trotzdem könnten Sie doch ihre Meinung zu diesem Ansatz äussern, oder nicht?»

Sakura freute sich. Wenn Sakamoto jetzt gut dastehen wollte, dann musste er jetzt diplomatisch sein. «Der Ansatz ist sicherlich eine Diskussion wert, aber nicht mit mir. Aktuell ist die Sicherheit dieser Stadt gefährdet und da gilt es, zu handeln.»

Er liess sich nicht auf Inoue ein. Das brachte diesen aber nicht aus der Ruhe. «Okay. Miss Haruno, darf ich noch einmal auf sie zurückkommen?»

Sakura nickte. Inoue gab ihr ein gutes Gefühl. «So viele junge Leute in einer Gang, die sich dem Leben alleine stellen mussten. Ich kann mir gut vorstellen, dass unter ihnen die unterschiedlichsten Fähigkeiten zu finden sind. Erzählen sie doch ein wenig von den Menschen, die man in so einer Gang antrifft.»

Inoue war echt schlau. Und er war auf Ihrer Seite, das wusste sie jetzt. Damit konnte sie herausheben, dass die Gangs aus ganz vielen Individuen bestanden, die alle ihre eigenen Bürden und Freuden im Leben hatten. Es war bestimmt hilfreich, nicht immer von der «Gang» als Gruppe zu sprechen. Der Begriff war sowieso negativ konnotiert.

«Nun, ich kenne zum Beispiel zwei gute Köche. Die können für eine ganze Gang kochen und es schmeckt immer noch fantastisch.» Ein Lächeln stahl sich auf ihr Gesicht, als sie an Chojis Weihnachtsleckereien dachte. Oder an Juugo seine Pfannkuchen.

«Viele sind echt gut darin, Dinge zu reparieren oder zu bauen. Besonders einer fällt mir da ein, der ein Flair für solche Sachen hat.» Kiba war der Mechaniker schlechthin.

«Und sie haben auch einige gute Sänger und talentierte Kopfmenschen», fügte sie an. «Aber ich denke, dass sie alle eine Eigenschaft teilen und das ist die Beste: Sie sind füreinander wie Familie. Sie sind zu dem geworden, was die meisten von ihnen nie hatten. Es ist ein Zusammenhalt, den Sie sich nicht vorstellen können. Sie wissen durchaus, was richtig und was falsch ist, auch wenn das viele Menschen nicht einsehen können. Und sie würden die Dinge anders machen, wenn sie könnten. Wenn man ihnen die Chance dazu gegeben hätte.»

Sogar Manami Kato hörte ihr aufmerksam zu, auch wenn sie nicht besonders amüsiert aussah.

«Können Sie uns die Lebensgeschichte von jemand Konkretem erläutern?», fragte Haruka interessiert.

Sakura überlegte. Erstens wusste sie nicht, ob ihre Freunde darüber so erfreut sein würden. Zweitens war es schwierig, eine passende Geschichte auszuwählen. Und sie glaubte, jemanden gefunden zu haben, der sich eignete und ihr nicht den Kopf abreissen würde.

«Grundsätzlich haben sie alle schlimme Geschichten, das muss ihnen bewusst sein. Eine davon ist die eines Bekannten. Als Kind wurde er von seinem Stiefvater grün und blau geschlagen, seine Mutter liess es geschehen. Er riss von zu Hause aus und tauchte in Konoha unter. Damals war es Winter und er wäre beinahe auf den Strassen gestorben. Die Gangs waren es, die ihn aufnahmen und ihm ein Leben ermöglichten, das man lebenswert nennen konnte.»

Akamaru verschwieg sie in dieser Version von Kibas Geschichte. «Und das ist nur eine von vielen. Manche haben ihre Eltern durch Mord verloren, andere lebten in Kinderheimen. Manche von Ihnen haben Eltern, die sich einfach nie gekümmert haben. Was sie alle gemeinsam haben ist, dass sie an ihrem tiefsten Punkt standen und an diesem Punkt tauchten die Gangs auf und liessen sie wieder leben. Aber ich kann Ihnen das nur durch solche Erzählungen wiedergeben. Sie würden erschauern, wenn sie es von ihnen persönlich hören würden.»

Haruka sah schockiert aus, sogar im Gesicht von Manami Kato tat sich etwas.

«Wenn sie also über die Gangs wettern und fluchen, dann möchte ich einfach, dass sie sich daran erinnern: Keiner von Ihnen hat das Glück im Leben gehabt, dass Sie haben.»

Dafür erntete sie im Studio spontanen Applaus.
 

Sasuke und Naruto starrten gebannt auf den Bildschirm des Fernsehers. Keiner der beiden konnte seinen Augen trauen. Da sass tatsächlich Sakura inmitten einer Talkshow und sagte einmal, was Sache war.

Naruto hätte nicht stolzer auf seine Kurama-Cherry sein können, Sasuke verspürte bei ihrem Anblick ein wunderbares, beruhigendes Gefühl. Sie sah gesund, wenn auch etwas müde aus. Aber ihre Augen funkelten, wenn sie erzählte.

«Wie sie dem Polizeityp die Stange hält ist krass», meinte Naruto. «Sie und dieser Inoue scheinen einer Meinung zu sein.»

Sasuke nickte nur und starrte weiter auf den Bildschirm. Sie war da. Gesund und munter. Die Hoffnung hatte sie noch nicht verlassen. Der Anblick erwärmte sein Herz. Sie zu sehen, ihre Stimme zu hören war eine pure Wohltat.

Dieses Mädchen kämpfte für sie. Nicht mit Messern und Kanonen, sondern auf ihre ganz eigene, diplomatische Art. Die Menschen sollten die Wahrheit erfahren. Unbedingt.

Und wer würde sich besser für diese Aufgabe eignen, als Sakura?

 

«Was will die Kleine denn bitte erreichen?», kam es wütend vom Sofa her.

Sie hielt sich etwas im Hintergrund und beobachtete ihre Gangkollegen.

«Ah, hör auf ein Theater zu machen, Tomcat. Die Kleine ist knapp zwanzig. Unseren Plan wird sie mit ein paar netten Worten nicht durchkreuzen», meinte Ayato und nahm einen Schluck Bier aus der Flasche in seiner Hand.

Der Fernseher zeigte Sakura in einer Talkshow von KCTV. Das hatte nicht nur sie überrascht.

«Wir werden diejenigen sein, die in Konoha aufräumen und dieses beschissene Regime abschaffen. Und jetzt, wo man von den Kuramas und Takas nichts mehr hört, wird es bald Zeit.»

Ayato sprach in dieser selbstsicheren und ruhigen Stimme, die ihn zu einem wirklich guten Anführer machte.

«Deine Zuversicht sollte man haben, Crow», murmelte Miranda. Seit der Nacht, in der sie gegen Taka-Blue gekämpft hatte, war ihr ganzes Feuer wie ausgelöscht. Bis dahin hatte sie immer eine grosse Präsenz im Raum gehabt, inzwischen war sie einfach noch da.

«Trotzdem interessiert mich das Mädchen», meinte Tomcat und stand vom Sofa auf. Seine blonden Haare waren wie immer die perfekte Mischung aus zurechtgemacht und wirr. «Wegen der ist Demon doch schon bei der DD-Area dem Tod von der Schippe gesprungen oder nicht?»

«Richtig. Wer auch immer sie ist, ich habe sie noch nie kämpfen gesehen. Sie ist jedenfalls ‘ne Kurama», meinte Ayato.

«Und warum rettet dann dieses Mädchen Demon? Sollte sie ja eigentlich wenig kratzen, auch wenn sie derzeit zusammenarbeiten», fragte Miranda.

«Wenn ich wetten müssten, dann würde ich sagen, dass sie Demons Liebchen ist.» Ayato streckte sich und gähnte.

Tomcat lachte. «Na dann weiss ich ja, was ich zu tun habe. Wenn die mir über den Weg läuft, werde ich sie mir schnappen.»

«Tu, was du nicht lassen kannst.» Ayato setzte sich auf und winkte sie zu sich heran. «Hina! Komm und erzähl uns ein wenig von deiner Freundin aus dem Kurama-HQ. Was lief da genau zwischen ihr und Demon?»

Hinata trat aus dem Hintergrund hervor und setzte sich neben Ayato auf die Couch. Er legte den Arm um ihre Taille und sie entspannte sich. Sie würde ihm sagen, was er wissen wollte.

Das war keine Frage.

Der Mut, nicht aufzugeben

«Und denken Sie, dass ‘im Leben Pech haben’, wie Sie es nennen, Überfälle auf Zivilisten und Zivilistinnen wie Mrs. Kato rechtfertigen?» Inzwischen sah Sakamoto nicht mehr ganz so unberührt aus. Sein angesäuerter Blick erinnerte sie ein wenig an den von Commodus aus dem Film ‘Gladiator’, wenn er für einen Gladiator den Daumen nach unten gab. Ein bisschen, wie wenn es ihn nerven würde, er sich aber trotzdem irgendwie zu schade dafür war, wirklich sauer zu werden.

«Natürlich nicht.» Sakura lehnte sich leicht zurück. Jetzt war es an der Zeit, die Wahrheit zu sagen, auch wenn das von der Bevölkerung als blosse Behauptung aufgefasst würde. «Diese Überfälle von denen Sie sprechen, wurden weder von den Kurama Foxes, noch von den Taka Snakes verübt.»

Einen Moment war es still. Von aussen musste es kaum sichtbar sein, aber in Sakamotos Augen sah sie für den Bruchteil einer Sekunde Wut aufflammen.

«Und von wem haben Sie diese Informationen?»

«Aus erster Hand von den Betroffenen.»

Sakamoto hat ein fast unsichtbares Lächeln im Gesicht. «Natürlich würden das ihre Freunde behaupten. Ist noch selten ein Verbrecher freiwillig zu seinem Vergehen gestanden.»

Der Mann hatte etwas Einschüchterndes an sich und Sakura kämpfte mit dem Drang, klein beizugeben. Wenn Sakamoto schon so schlimm war, wie musste es dann erst mit Momochi sein?

Sakura versuchte, sachlich zu bleiben. «Dann möchte ich Ihnen jetzt einmal etwas sagen: Wie Sie wissen hat man an den Tatorten oft eindeutige Hinweise für ein Verbrechen seitens der beiden Gangs gefunden, Dinge wie Graffiti mit ihrem Bandensymbol und Ähnliches. Es sieht definitiv so aus, als wollten die Verbrecher, dass man weiss, wer dieser Überfall begangen hat. Wenn die Kuramas und Takas also eindeutige Hinweise hinterlassen würden, warum sollten sie es denn abstreiten?»

Sakamoto holte Luft, um etwas zu entgegnen, aber Sakura kam ihm zuvor. «Gangs arbeiten strategisch, Mr. Sakamoto. Sie tun nicht nur einfach irgendwas um Radau zu machen. Sie haben sehr wohl einen Plan und den hatten die Jaguar Riots auch. Gibt ja nichts Einfacheres, als jemandem so etwas mit ein paar Graffiti in die Schuhe zu schieben.»

Am liebsten hätte sie die Kooperation der Polizei mit den Riots erwähnt. Aber für so eine Anschuldigung glaubten ihr die Leute zu wenig und Sakamoto wüsste schon etwas zu erwidern, da war sie sich sicher. Er ging garantiert davon aus, dass sie von der Sache wusste.

«Dann wollen Sie sagen, dass die beiden anderen Gangs an all der Unruhe unschuldig sind?»

Seine Frage war bissig. Fieser hätte sie kaum sein können. Denn hier etwas Gegenteiliges zu behaupten wäre schlichtweg gelogen.

«Nein, das will ich damit nicht sagen. Die Gangs sind bestimmt alle drei an der Unruhe beteiligt. Ich möchte nur klarstellen, dass weder die Foxes noch die Snakes absichtlich Zivilisten schädigen oder zum Beispiel Mrs. Katos Tankstelle überfallen.»

Sie wandte sich an die Kamera. «Die Gangs wollen der Bevölkerung von Konoha nicht schaden, das müssen Sie wissen. Wenn es Überfälle gibt, dann waren das weder die Snakes noch die Foxes.»

Haruka mischte sich ein, bevor Sakamoto noch irgendwas sagen konnte. «Möchten Sie diese Aussage vielleicht noch kommentieren, Mrs. Kato?»

Manami Kato wirkte etwas verwirrt. «Ich kann dazu leider nicht viel sagen. Ich weiss nur, dass in meiner Tankstelle ein grosses Schlangensymbol an die Fensterscheibe geschmiert worden ist.»

Haruka nickte. «Nun, was genau nun richtig ist oder falsch, werden wir wohl hier und heute nicht endgültig festlegen können. Mr. Inoue, finden Sie die Verhaftung der beiden Gang-Leader eine angemessene Strafe?»

Inoue lehnte sich zurück und lächelte. «Das ist eine sehr schwierige Frage. Dazu müsste ich diese jungen Leute besser kennen. Ich weiss nicht, welche gesetzeswidrigen Taten sie begangen haben und noch wichtiger kenne ich die Beweggründe dazu nicht wirklich. Aber so wie Miss Haruno das schildert, scheint es schon einige Gründe zu geben. Womit ich grundsätzlich nicht einverstanden bin ist, dass man das Problem als gelöst betrachtet, sobald sie hinter Gittern sind.»

Das war eine gute Äusserung gewesen. Sakura mochte diesen Inoue von Minute zu Minute mehr.

«Gesetz ist Gesetz und wer gegen eines verstösst, der muss dafür geradestehen. Die Betroffenen können nichts dafür, dass die Gangs keine schöne Kindheit hatten.» Sakamoto schien sich inzwischen wirklich zu nerven und Sakura fragte sich, wie man überhaupt so kaltherzig und gefühllos werden konnte. Das mit den Gesetzten stimmte, aber diese letzte Bemerkung und sein verharmlosender Tonfall dabei zeigten, dass er das Problem überhaupt nicht als eines erkannte oder sogar erkennen wollte.

«Hat denn nun Miss Haruno nicht gerade gesagt, dass sie die Schuld der Takas und Kuramas an den Überfällen infrage stellt?» Inoue blieb ganz ruhig und Sakura wurde das Gefühl nicht los, dass ihn diese ganze Sache hier ziemlich amüsierte.

Sakura hatte das ganze Gespräch lang nur auf etwas gewartet. Sakamoto musste doch früher oder später die Entführung von Moegi und dem kleinen Jungen zum Thema machen. Es war von den Medien so an die grosse Glocke gehängt worden und mindestens eine Woche lang Titelseitenthema jeder Zeitung gewesen. Man sah es als das Verbrechen an, welches das war. Jedoch wusste er haargenau, welche Schuld die Kuramas und Takas daran trugen – nämlich keine. Die Möglichkeit, dass Sakura das auch noch anzweifeln könnte, schien ihm nicht zu gefallen. Aber es würde für ganz Konoha komisch wirken, wenn er sich dazu einfach in Schweigen hüllen würde.

Und tatsächlich, dies war der Moment, an dem Sakamoto etwas sagen musste. «Miss Haruno mag das alles anzweifeln, ich sehe das. Jedoch kann nicht angezweifelt werden, dass die Kurama Foxes und die Taka Snakes gemeinsam zwei Kinder entführt und misshandelt haben.»

«Und warum genau sollten sie diese Kinder entführt haben? Was denken Sie, hätten sie damit beabsichtigen wollen?» Die Frage war ihr einfach so rausgerutscht, aber das war schon gut so. Hatten sie sich überhaupt einen Grund dazu überlegt, damit ihre Lüge aufging?

Sakamoto fixierte sie mit ihrem Blick. In seinen Augen konnte sie einen spöttischen Schimmer erkennen.

«Nun die Gangs wollten damit die Jaguar Riots aus der Reserve locken. Dafür ist ihnen jedes Mittel recht, jedoch haben sie die Rechnung nicht mit uns gemacht. Uns ist sofort aufgefallen, dass viele Motorräder unterwegs waren und so haben wir die Fährte aufgenommen. So gut im strategischen Vorgehen sind sie wohl doch nicht.» Einige Leute im Publikum lachten über seinen lahmen Witz, was Sakura nur noch mehr anspornte.

«Und wo waren die Jaguar Riots bei der Sache? Warum haben Sie nicht einfach darauf gewartet, dass sie auch bei der Stelle aufkreuzten, an denen die Takas und Kuramas ihrer Meinung nach warteten?»

«Würde mich auch interessieren», meinte Inoue und überschlug ganz gemütlich die Beine.

Mit Sakamoto hatte man schon den richtigen Polizeivertreter ausgewählt, das musste sie zugeben. Er blieb ruhig und wirkte immer noch überzeugend. Wenn sie es nicht besser wüsste, würde sie ihm es wohl sogar abkaufen.

«Die Jaguar Riots sind nicht aufgetaucht. Ich bin mir ziemlich sicher, dass sie gekommen wären, aber das Polizeiaufgebot hat sie vermutlich misstrauisch werden lassen. Waren wohl etwas überlegter als die Kuramas und Takas. Sieht man auch daran, wessen Leader bereits im Gefängnis sitzt.»

Brandschwarz log er eine ganze Stadt an und verzog dabei nicht einmal einen Mundwinkel.

Und dann strich er auch noch die Riots als die intelligentere Gang hervor, ohne dass er dabei irgendwie seine professionelle Attitüde vernachlässigte.

«Haben Sie denn nicht damit gerechnet, dass die Riots in der Nähe sein müssen? Sie hätten sie doch bestimmt verfolgen können bei dem grossen Aufgebot.»

«Miss Haruno, wir hatten alle Hände voll damit zu tun, die Kuramas und Takas zu verfolgen. Manchmal müssen Prioritäten gesetzt werden.»

«Und warum haben sie dann nur die Leader der beiden Gangs dingfest machen können?»

Ein leises Raunen ging durch das Publikum. Ja, sie wollte ihn herausfordern, auch wenn er sich niemals verraten würde. Aber er sollte sehen, dass sie nicht nur ein dummes Schulmädchen war.

«Ich weiss nicht ob Ihnen bewusst ist, was ihre ‘Freunde’ für Menschen sind, Miss Haruno, aber sie kennen keine Grenzen. Sie waren zu allem bereit und wir brauchten unsere vereinten Kräfte um diese beiden jungen Männer zu fangen, bevor wir den anderen hinterherjagen konnten.»

Ein Bild, welches sie nur allzu gut kannte, schoss ihr durch den Kopf. Sasuke, Naruto in der BZ hilflos darauf wartend, dass man ihnen den Kopf mit unnötiger Brutalität zu Boden drückte. Alles, damit die Kinder keinen Schaden nahmen. Und dieser Polizeityp liess sie dastehend wie Bestien, die hinter Gitter gehörten.

«Na, ich hätte gerne ein wenig mehr von dem massiven Polizeiaufgebot gesehen, das Polizeipräsident Momochi versprochen hat.» Inoue schmunzelte und Sakamoto schien langsam aber sicher keine Lust mehr auf das Gespräch zu haben.

«Von heute auf morgen können wir das Problem selbstverständlich nicht lösen. Verstehen Sie mich nicht falsch, aber ich möchte hier etwas klären. Miss Haruno, denken sie wirklich, dass sie in dieser ganzen Sache objektiv sind?» Sakamoto sah sie prüfend an. «Ich denke nämlich, dass Sie das nicht können, was auch sehr verständlich ist.»

Sakura musste sich zusammenreissen, um nicht unüberlegt zu antworten. Jetzt wollte er sie wieder wie ein naives Mädchen dastehen lassen, das nicht klar denken konnte. «Nein, ich bin natürlich nicht objektiv, Mr. Sakamoto. Ich denke, das ist der Grund, warum ich hier bin. Gerade weil ich nicht objektiv bin kann ich Ihnen diese andere Seite aufzeigen, die so schnell übersehen wird. Ich habe keine andere Intention als ein wenig Klarheit zu schaffen und einmal für die Leute zu reden, die Sie nie zu Wort kommen lassen.» Er holte bereits Luft, deshalb fügte sie schnell an: «Zudem kommt es mir vor, als seien Sie ebenfalls nicht objektiv, denn sie schauen sich die Sache auch nur von ihrer Seite aus an.»

Sie bekam ein zustimmendes Klatschen von einigen Leuten aus dem Publikum.

«Nun, dann fragen wir doch jemand Objektiven», meinte Haruka und wandte sich an Inoue. «Mr. Inoue, sie haben einen neutralen Blickwinkel. Was sagen sie dazu?»

Inoue nickte. «Nun ich bin genauso der Meinung, dass Gesetze dazu da sind, befolgt zu werden. Aber ich muss Ihnen sagen, dass diese junge Frau hier einen Punkt hat und zwar nicht nur irgendeinen: Sie spricht Probleme an, die in dieser Stadt schon viel zu lange unter den Teppich geschoben werden. Konoha ist sozial sehr schwach, das wissen die meisten. Und mit diesem Fokus auf radikale Verbrechensbekämpfung bringt uns das in dieser Hinsicht nicht weiter. All diese jungen Frauen und Männer haben Potenzial, warum nicht dieses Potenzial nutzen? Warum nicht endlich mal hinsehen, hin zu dem Elend, den Strassenkindern, der Armut? Warum denkt man, dass Gangs wegsperren uns wieder zu einer glücklichen Stadt macht? Kriminalität, Armut, all das gibt es so lange, bis die sozialen Probleme gelöst werden. Und das soll uns allen endlich mal klar werden. Anstatt einander mit Verachtung zu begegnen könnten wir einander doch auch einfach mal helfen? Kann doch nicht so schwer sein. Und deshalb finde ich, muss das Problem anders angegangen werden. Denn ich sage ihnen etwas: Wenn das so weitergeht, wird Konoha sich nur noch zum Schlimmeren entwickeln. Und dann wird es weder für die Polizei, noch für mich, noch für Sie alle da draussen schön werden. Machen Sie die Augen auf und schieben sie nicht jedes Problem auf eine Gruppe junger Leute, die in diesem Sumpf aufgewachsen sind.»

Während Sakura noch ganz hingenommen von seinen treffenden Worten war, setzte Haruka ein und richtete sich dabei an das Publikum und die Kameras. «Ich denke, wir haben hier ein gutes Schlussstatement von Mr. Inoue erhalten. Wie Sie vielleicht bemerkt haben, sind wir hier noch nicht am Ende der Fahnenstange angelangt und es gibt noch einiges zu bereden. Also liebes Publikum, schalten sie auch nächsten Freitag wieder ein zum Thema ‘Konoha und seine Gangs’. Ich bedanke mich herzlich bei meinen Gesprächsgästen für die angeregte Diskussion und wünsche Ihnen einen schönen Abend.»

Irgendjemand rief, dass die Kamera aus ist und Sakura spürte, wie sich die Muskeln ihres Körpers nach und nach entspannten. Verrückt, einfach verrückt, was sie da gemacht hatte.

 

Sasuke schlief schlecht. Das war schon seit einem halben Jahr so. Manchmal konnte er nicht einschlafen, manchmal wachte er ständig wieder auf und des Öfteren quälten ihn Albträume.

Diese Nacht war es anders. Nein, es lag nicht an Big Fox’ Schnarchen auf dem Stockbett über ihm. Er konnte nicht einschlafen, jedoch wusste er genau warum. Er fühlte sich gut. Das mochte sich sehr seltsam anhören, aber es entsprach der Wahrheit. Seine ganze Situation war beschissen, sein Leben machte nicht wirklich Sinn und er würde seine jungen Jahre in dieser Anstalt zubringen. Trotzdem spürte er diese sonderbare Wärme im Herzen. In seinem Kopf hörte er immer noch Sakuras Stimme, sah ihre klugen Augen, wie sie mit ihnen diesen Sakamoto durchschaute, so wie sie auch ihn selbst immer durchschaut hatte. Er sah, wie sie ihre Fussspitzen aus Nervosität kaum merklich hin und her bewegte. Wie sie subtil lächelte, als Inoue sie unterstützte.

Er wusste, wie viel Überwindung sie das gekostet haben musste, sie mochte das Rampenlicht genauso wenig, wie er. Aber sie war hingegangen, der Gangs wegen, und hatte einen beeindruckenden Auftritt hingelegt. Gerade mal neunzehn und bereits so klug und stark. Dieser klare Blick auf die Welt, diese Reife. Sie war so viel mehr als das kleine Mädchen, welches Sakamoto aus ihr heraus zu kitzeln versucht hatte.

Normalerweise mochte er es nicht, wenn jemand ihn zu beschützen versuchte. Itachi war der Einzige gewesen, der das durfte oder bessergesagt einfach getan hatte. Sakura tat in diesem Moment genau dasselbe auf ihre Art, aber es störte ihn nicht. Im Gegenteil, er war so froh. So froh, dass sie ihn immer noch als guten Menschen sehen konnte, ganz egal, was er in seinem Leben getan hatte. Und dass sie alle anderen auch beschützen und der Welt mitteilen wollte, wer sie wirklich waren.

Er wünschte, sie wäre jetzt hier. Egal wo, egal unter welchen Umständen, sein Leben hatte immer so viel Sinn gemacht, wenn sie bei ihm gewesen war. Er erinnerte sich an Itachis Brief, der jetzt immer noch unter der Matratze seines Bettes im HQ lag.
 

Sasuke, du würdest es niemals zugeben, aber da gibt es mehr, was du willst. Du weisst wovon ich rede, Freundchen.

 

Natürlich hatte er tief innen drin gewusst, was Itachi damit meinte. Aber er hatte diesen Gedanken nie an sich herangelassen, bis jetzt. Denn hier, in der Zelle 203 in Block B der Strafvollzugsanstalt von Konohagakure, war es ihm sonnenklar: Er wollte ein Leben, das Sinn machte, ein Leben, auf das er zurückblicken konnte, ohne sich dabei schlecht zu fühlen. Ein Leben, in dem er und seine Mitmenschen zufrieden waren. War das denn zu viel verlangt?

Vermutlich. Aber zum ersten Mal seit Jahren spürte er so etwas Hoffnung. Mit vierzig war das Leben noch nicht vorbei. Er würde irgendwo in Konoha leben und arbeiten. Er brauchte nicht viel, um zufrieden zu sein. Vielleicht würde er ab und an mit Sakuras Kindern spielen dürfen. Er mochte Kinder nämlich irgendwie schon ganz gerne, auch wenn ihm das keiner abkaufen würde.

Keine Frage, er wünschte sich, dass Sakura seine Sakura bleiben würde. Aber das konnte er nicht von ihr verlangen. Zu viel schuldete er ihr, nachdem sie ihm all diese wunderbaren Momente und diese kleinen Hoffnungsschimmer geschenkt hatte.

Und sie sollte glücklich sein, denn sie verdiente es.

 

«Das war einfach grosse Klasse, Sakura!» Beinahe erdrückte sie Ino mit ihrer Umarmung. «Du wirst berühmt!»

«Blödsinn, Ino.» Sakura winkte lachend ab. «Das war eine einmalige Sache.»

Jiraiya betrat das Zimmer. Seit Naruto im Gefängnis war, hatte er ständig dunkle Ringe unter den Augen. «Du solltest das nicht so unter den Teppich kehren, Sakura. Ich finde, das war eine beeindruckende Leistung.»

«Danke, Jiraiya. Aber viel bewirkt hat es wahrscheinlich nicht», meinte sie. Das Zentrum der Aufmerksamkeit zu sein war ihr unangenehm.

«Ehm, Sakura», meldete sich Lee aus der Ecke. «Du weisst schon, dass es in diesem Diskussionsforum von KCTV schon ziemlich die Post abgeht?»

Sakura drehte überrascht den Kopf. «Was?»

«Jap. Sieh es dir an!» Lee streckte ihr sein Handy mit zerkratztem Display entgegen. Und tatsächlich wurde in dem Forum eifrig über die Talkshow diskutiert. Es gab einen Haufen böse Worte für Gangs, aber auch ziemlich viele positive Kommentare.

«Wow. Hätte ich echt nicht gedacht. Aber in kurzer Zeit wird das alles wieder verraucht sein.»

Shino schüttelte den Kopf. «Na ich hoffe nicht. Die sollen nur wissen, was in Konoha für Mist abläuft um den sie sich nicht scheren.»

«Cherry, ich find’s krass. War ja echt ein verdammt geiler Zufall, dass du diese Moderatorin auf der Strasse getroffen hast, was?» Lee lehnte sich zurück und seufzte. «Aber der Polizeityp war ja echt ein Vollidiot. Geradeaus gelogen ohne auch nur mit der Wimper zu zucken.»

Sakura nickte. «Der war wirklich unangenehm. So undurchschaubar und kalt auf eine ganz einschüchternde Weise. Aber Mr. Inoue hat mir zum Glück geholfen.»

«Den fand ich spitze. Sitzt einfach dort und amüsiert sich und haut am Schluss noch einmal auf die Pauke», meinte Kiba dazu. «Hast du noch mit dem Polizeityp gesprochen? Nach der Sendung meine ich?»

Sie schüttelte den Kopf. «Nein, er und die Frau waren ziemlich schnell verschwunden, aber mit Inoue habe ich noch ein paar Worte gewechselt. Er findet die ganze Gangsache wahnsinnig interessant.»

«Was ist er? Soziologe? Klingt langweilig. Der braucht Nervenkitzel, deshalb findet er uns interessant.» Kiba zupfte Akamaru ein paar Haare vom verbleibenden Winterfell aus.

Jiraiya verdrehte die Augen. «Wegen deinem Köter ist in meiner Wohnung alles voller Haare! Sogar unten auf dem Tresen habe ich vorher ein paar gefunden! Wie kommen die überhaupt dorthin?»

Kiba zuckte mit den Schultern. «Sorry, Fox. Ich werde sie wegmachen, wenn wir wieder ausziehen.»

Die Jungs hatten es sich in dem leeren Zimmer und Jiraiyas Büro über dem Toad’s breitgemacht. Es war eng, aber damit hatte niemand ein Problem.

Tsunade würde sie in einer halben Stunde abholen kommen. Nach diesem Auftritt im Fernsehen mache sie sich furchtbare Sorgen um ihre Nichte. Immerhin hatte sie sich öffentlich über ihre Kontakte mit Gangs geäussert und besonders die Riots könnten das interessant finden.

«Wo sind eigentlich die Outers hin?», fragte Sakura.

Shikamaru seufzte. «Das ist mein grösstes Problem im Moment. Ich habe keine Ahnung, wo man so viele Menschen auf einmal unterbringen könnte. Ich meine, es sind an die vierzig. Und die Aussenquartiere sind nicht besser versteckt, als das HQ. Sora hat mir schon gesagt, dass wir uns nicht zu sorgen brauchen, aber ich bin immerhin der Übergangs-Leader und habe die Verantwortung. Naruto wäre bestimmt längst etwas eingefallen.»

«Wisst ihr denn, wie es die Takas machen?»

«Soviel ich weiss, haben die dasselbe Problem. Inners sind alle irgendwo versorgt und die Outers sind einfach zu viele.» Meinte Choji und griff in die Chipstüte.

«Genius, wie gesagt, in meinem Keller gibt es noch Platz, aber höchstens für zehn, wenn sie ein wenig zusammenrücken…», erinnerte Jiraiya Shikamaru.

«Zehn wären schon mal ein netter Anfang. Aber die können ja auch nicht immer in deinem Keller bleiben.»

Sakura tat es weh, Shikamaru so zu sehen. Er war derjenige, der immer einen kugelsicheren Plan für alles gehabt hatte. Naruto war immer impulsiver gewesen und manchmal hatte sie das tatsächlich schnell ans Ziel gebracht. Shikamarus Pläne waren immer von einem ganz anderen Kaliber gewesen. Aber er hasste es, wenn er keine Kontrolle hatte.

«Ich gebe Sora Bescheid, dass es hier Platz gibt», meinte er nur und verschwand aus dem Zimmer.

Als er weg war meinte Sai: «Er ist völlig fertig. Dabei ist es fast ein Ding der Unmöglichkeit, vierzig Leuten ein sicheres Versteck zu besorgen. Das könnte keiner von uns.»

«Ich sehe mal nach ihm», meinte Ino und verliess den Raum. Ino und Shika waren schon lange sehr gute Freunde und verstanden sich ungefähr so gut, wie Naruto und sie.

Sie unterhielt sich noch ein wenig mit den Jungs, bis Tsunade da war. Bevor sie sich verabschiedete reichte ihnen Kiba noch zwei grosse Kartons mit all dem Gangkram drin.

«Tragt Sorge, ja? Das sind unsere Schatzkisten.»

Sakura lächelte etwas traurig. «Wir passen darauf auf. Versprochen. Wenn Tsunade nicht wie ein Henker fährt, dann haben die Kartons vielleicht eine Chance heil anzukommen.»

«Sakura!», rief Tsunade empört. «Und so etwas muss ich mir von meiner frechen Nichte gefallen lassen, Jiraiya.»

Der lachte nur. «Du hast auf sie abgefärbt, Tsuna!»

Tsunade schnaubte und starrte Jiraiya böse an. Es war das typische Gekeife der beiden. Und ernst meinten sie es selten.

«Macht’s gut!», verabschiedete sich Sakura von den anderen.

«Tschüss Cherry! Und hey, geh nicht mehr alleine von Haus, ja? Kannst uns anrufen, wenn du irgendwo hinwillst, aber du solltest nie ohne Begleitung sein. Wer weiss, ob die Riots nicht was aushecken, jetzt wo sie dich im Fernsehen gesehen haben», sagte Choji.

«Das ist richtig. Du bist für sie eine potenzielle Gefahr, weil du mehr weisst.» Sai sah nachdenklich aus.

Sakura hatte nicht damit gerechnet, dass die Sache dieses Ausmass annehmen würde, aber sie hätte es sich ja denken können. «Alles klar. Tsunade hat mir das bereits eingeschärft.»

Ino und Shikamaru waren noch nicht zurück, deshalb liess sie ihnen einen Gruss ausrichten.

Das nächtliche Konoha hatte eine fast schon beruhigende Wirkung auf sie, als sie mit Tsunades altem Fiat durch die Strassen fuhren. Nach diesem langen Tag fühlte sie sich müde, wirklich müde.

Ihre Gedanken gingen zu Sasuke. Himmel, wie sie ihn vermisste. Vielleicht hatten Naruto und er sie auch im Fernsehen gesehen?

Aber sie fühlte sich für einmal nicht völlig verzweifelt, wenn sie an ihn dachte. Sie spürte so etwas wie Hoffnung, auch wenn sie nicht besonders gross war. Doch der Gedanke, dass es Leute gab, die die Geschehnisse in Konoha nicht in Ordnung fanden, tat unglaublich gut.

Sie hätte so gerne mit Sasuke gesprochen und ihm von allem erzählt. Er hätte sein typisches Grinsen im Gesicht gehabt und hätte ihr gesagt, dass die das wirklich toll gemacht habe. Alles wäre in Ordnung, wenn er bei ihr wäre.

Jetzt war er nicht da. Doch zu Hause würde sie zum hundertsten Mal seinen Brief lesen. Dieser Brief vermittelte ihr das Gefühl, ein Stück von ihm bei sich zu tragen. Manchmal erzählte sie ihm vor dem Einschlafen ihren Tag, auch wenn er sie nicht hören konnte.

Heute würde sie ihm erzählen, dass sie hoffte. Und das Gefühl der Hoffnung war ein wirklich gutes.

 

«Wann zur Hölle legen wir eigentlich wieder los, Boss? Mir tut vom Rumsitzen schon der Arsch weh!»

«Hat dich niemand dazu gezwungen, rumzusitzen. Hättest ja was Sinnvolles tun können. Die Garage müsste mal wieder rausgeputzt werden.» Ayato kaute an seinem Stift herum. Seit Tagen brütete er über der Stadtkarte. «Du könntest mit den anderen rausgehen und nach Schlangen und Füchsen Ausschau halten.»

«Können wir nicht mal wieder was überfallen?»

Ayato schüttelte den Kopf. «Jetzt wo uns Pink Lady angeschwärzt hat, wäre das keine kluge Idee. Aber unsere Zeit wird schon wieder kommen.»

«Wenn du meinst. Aber heute hat mir Tomcat gesagt, die Kuramas und Takas seien wie vom Erdboden verschluckt», meinte der andere gelangweilt.

«Na, ist doch gut oder nicht? Wenn sie von selber wegbleiben ist das ja umso besser. Ihre Zeit ist vorbei.» Er stand auf. Es war schon verrückt, welch eine Art von Leader Ayato «Crow» Kirishima war. Ganz anders als Naruto, Ganz anders als Demon. Aber nicht weniger stark und gerissen. Sie hatten ihn und die Stärke seiner Gang lange unterschätzt. Die Riots waren so viele, sie kannte längst nicht alle. Die Namen der Inners konnte sie sich inzwischen merken. Und die des Kerns sowieso. Waren ja nur fünf. Aber die waren von allem am gefährlichsten. Sie zogen die Fäden.

Hinata sass auf ihrem Bett im zweiten Stock, aber die Tür stand offen und sie hörte alles, was im Aufenthaltsraum gesprochen wurde. Gerade hatte sie Hanabi angerufen um mit ihr zu besprechen, was sie gerne morgen zu Mittag essen würde. Sie kochte inzwischen fast täglich für ihre Schwester. An den Nachmittagen war sie mit ihr unterwegs oder half ihr beim Lernen. Ihr Vater war zu einem wichtigen Meeting in Peking geflogen und war nun eine Woche lang nicht hier. Es tat ihm jedes Mal unendlich weh, aber die beiden Mädchen waren nun einmal auf sein Einkommen angewiesen. Das alles machte sie müde. Zum Glück konnte Hanabi ab morgen zu ihrer Tante, dann würde die Kleine wiedermal den geregelteren Tagesablauf haben, den sie so mühselig aufrechtzuerhalten versuchte.

Sie liess sich rücklings aufs Bett fallen. Neben ihr lag eines von Ayatos Shirts. Er war viel ordentlicher als Naruto, aber manchmal liess auch er sein Zeug wild verstreut in der Gegend herumliegen. Das HQ hatte ziemlich wenige Fenster. Aber die Riots hatten es wirklich geschafft, dass es gemütlich geworden war.

Sekunden später hörte sie Schritte auf der Treppe. Sie kannte seine Schritte gut, sie hatten einen ganz bestimmten Takt, den nur er hatte.

Sie machte die Augen zu, denn sie mochte jetzt nicht reden. Als er durch die Tür kam ging er schnurstracks an ihr vorbei zum Schrank und kramte darin. «Ich weiss schon, dass du nicht schläfst, Hina. Kannst mir auch einfach sagen, wenn du mit niemandem reden willst.»

Er klang nicht beleidigt. Eher so, als würde er etwas feststellen.

Sie seufzte.

«Wo hab ich denn das Ding…»

Hinata griff nach dem grauen Shirt neben ihr und warf es ihm von hinten sanft an den Kopf.

Er drehte sich um und grinste. «Wie war das mit schlafen?»

Hinata setzte sich auf. «Ich habe nicht geschlafen.»

«Na also.»

Eine Weile war es still und er nestelte irgendwas am Etikett des Shirts herum.

«Was treibt Tomcat?», fragte sie.

«Machst du dir Sorgen wegen deiner Freundin? So wie ich die Takas und Kuramas kenne, werden sie sie nicht mehr alleine auf die Strasse lassen. Da kann er lange suchen.»

«Könntest du deinen Leuten nicht sagen, dass sie es sein lassen sollen?»

«Was?»

«Sie sollen Sakura in Ruhe lassen.»

Jetzt drehte er sich mit hochgezogenen Augenbrauen um. «Würde dir das helfen?»

«Ja.»

Er seufzte. «Okay.»

Sie stand auf, ging zu ihm hin und küsste ihn sanft auf die Wange. Er sah zwar nachdenklich aus, aber lächelte dabei leicht. Sie kannte diesen Blick, konnte ihn aber nie deuten.

Nur etwas wusste sie: Wenn er so aussah, war alles gut.

 

«Und was waren deine Eltern von Beruf, Sasuke?», fragte Naomi und strich sich eine ihrer wirren Haarsträhnen hinters Ohr. Sie sah müde aus, der Job, den sie da machte, musste ganz schön hart sein.

«Mein Vater war Polizist, meine Mutter Lehrerin. Und als sie Itachi bekam, arbeitete sie nur noch Teilzeit in einer Buchhandlung.»

«Und deine Eltern hiessen Mikoto und Fugaku, ist das richtig?»

Er nickte. Diese Namen hatte er seit Jahren nicht mehr ausgesprochen gehört. Er dachte nicht mehr an seine Eltern. Sie waren nur noch Schatten, die er irgendwo auf den Strassen Konohas zurückgelassen hatte.

«Denkst du manchmal noch an sie?»

Das hier war die dritte Sitzung und inzwischen konnte er sagen, dass diese Naomi Ito ausgesprochen intelligent war. Im Laufe des Gesprächs hatte er herausgefunden, dass sie derzeit noch ihren Abschluss in Psychologie machte, was einiges erklärte. Sie las Körpersprache wie andere Zeitung.

«Nicht mehr. Und wenn ich an sie denke, dann irgendwie nicht wirklich.» Die Antwort machte wenig bis gar keinen Sinn, aber Naomi nickte.

«Kannst du mir das noch ein wenig genauer erklären?»

Er erzählte ihr von den Schatten, die seine Eltern für ihn waren.

«Es ist lange her und meine Erinnerungen daran sind verschwommen.»

«Möchtest du sie denn vergessen?»

Das war eine schwierige Frage. «Nicht wollen. Es ist mehr so der Lauf der Dinge. Passiert einfach. Man hat keine Zeit mehr, dauernd an sie zu denken.»

«Du meinst damit, dass sie einfach in der Erinnerung verblassen, verstehe ich dich da richtig?»

Er nickte. «So ziemlich das ist es.»

«Weisst du noch, wie du als Kind getrauert hast?»

«Wie meinen Sie das genau?»

«Hast du geweint oder warst du eher still, konntest du mit jemandem reden?»

Er wollte ihr das eigentlich nicht sagen. Es war ihm unangenehm, daran zu denken, wie er als kleiner Junge unter der Decke seines Bettes geheult hatte, fast tagelang. «Ich war… traurig.»

«Es ist okay, wenn du mir das nicht erzählen möchtest, Sasuke.»

«Darum geht’s nicht…»

«Hast du Angst, dass ich dich für schwach halten könnte?»

Jetzt wo sie es ausgesprochen hatte, wusste er, wie dumm das eigentlich war. Er war acht gewesen, ein kleines Kind. Und Kinder weinen.

«Ich habe viel geheult. Itachi hat selten geheult. Wahrscheinlich nur dann, wenn ich nicht dabei war.»

«Meinst du, er hat für dich stark sein wollen?»

«Ja.»

«Hat sich im Heim jemand um euch und eure Trauer gekümmert?»

Es war der Moment, in dem er nicht mehr wollte. Die Frau grub so tief und sie war sowieso schon viel zu weit vorgedrungen. Da gab es Dinge, die wollte er ihr nicht sagen. Dinge, die er nicht einmal Sakura erzählen wollte. Die sollten schön tief vergraben bleiben, verschlossen bis ans Ende seines Lebens.

Seine Hände verkrampften sich und in seinem Hals spürte er einen dicken Kloss. Der Drang, aufzustehen und davonzulaufen war fast nicht zu unterdrücken.

«Können…», stiess er hervor, «können wir für heute aufhören?»

Naomi beobachtete ihn mit Adleraugen. «Natürlich. Es tut mir leid, wenn ich dir zu nahegetreten bin, Sasuke. Du musst mir nichts erzählen, was du nicht willst.»

Ihr Blick war verständnisvoll und überhaupt nicht irgendwie genervt. «Darf ich dir aber noch etwas mit auf den Weg geben?»

Er nickte.

«Manchmal hat man das Gefühl, dass es Dinge gibt, die man niemandem erzählen darf. Doch genau diese Dinge sind es meistens Wert, jemandem zu erzählen, dem du vollkommen vertraust. Es macht vieles leichter, auch wenn du mir das jetzt nicht glaubst. Denk darüber nach, ja?»

«Okay.» Erneut nickte er, bevor er sich von Naomi verabschiedete und sie ihm einen schönen Abend wünschte.

«Dann sehen wir uns am Montag wieder.»

«Ein schönes Wochenende, Naomi.»

«Danke, das wünsche ich dir auch.»

Kurz darauf stand der Wärter neben ihm, bereit, ihn zurück in seinen Trakt zu begleiten. Dort würde er Sakuras Brief durchlesen. So wie jeden Abend.

 

Der Umschlag mit dem Logo des South Konoha Colleges traf am Dienstag ein. Sakura hatte so viele andere Sachen im Kopf gehabt, da hatte sie beinahe vergessen, dass sie noch auf Prüfungsresultate wartete. Sie war ganz schön erschrocken, als die Inhalte von Harukas Talkshow das Titelblatt der Tageszeitung schmückten. Auf einer Doppelseite wurden ausführlich die Themen, Argumente und Aussagen aufgelistet und bewertet. Schon verrückt, welche Wellen dieser Auftritt geschlagen hatte. Natürlich, es waren viele Kontra-Gang-Argumente dabei, aber nichtsdestotrotz kam endlich einmal ein wenig Kritik am System rein und das war ja schon einmal etwas Positives. Es machte ihr Mut und sie hoffte, Sasuke und Naruto konnten es auch lesen. Ami hatte ihr auf jeden Fall schon per Telefon mitgeteilt, wie toll sie die ganze Sache gefunden hatte.

Bedrohlich lag nun der weisse Umschlag vor ihr auf dem Esstisch. Tsunade war wegen Hexenschuss für eine Woche krankgeschrieben und sass deshalb mit einem Kissen im Rücken gespannt mit.

«Denkst du, es hat gereicht, Mäuschen?»

Sakura seufzte. «Ich weiss es nicht. Es war so viel los in den Tagen vor der Prüfung… ich weiss nicht, ob das gereich hat.»

«Du hast mir oft erzählt, dass du Mühe hast, dich zu konzentrieren. Komm, mach den Umschlag auf. Ich glaube an dich. Und wenn es nicht geklappt hat, geht das Leben auch weiter. Dann gibt’s halt noch einmal ein Jahr Schule. Was ist schon ein Jahr?»

Sakura atmete tief durch, öffnete den Brief und zog seinen Inhalt raus. Es war ein simples Blatt.

«Sehr geehrte Miss Sakura Haruno, wir gratulieren Ihnen herzlich zur bestandenen Abschlussprüfung am South Konoha College mit der Note 3…»

Tsunade war aufgesprungen und bereute es sogleich wieder. «Sakura, Mäuschen, ich bin so stolz auf dich», presste sie mit schmerzverzerrtem Gesicht hervor und umarmte ihre Nichte so gut es ging. «Meine Güte, das ist ja wunderbar!»

«Danke, Tsunade…»

In dem Moment läutete ihr Handy, Sekunden später brüllte ihr Ino ins Ohr, dass sie die Prüfungen ebenfalls bestanden hatte. Der Moment war leider etwas bittersüss, da Erinnerungen an das letzte Jahr hochkamen. Damals hatte sie sich mit Ino und Hinata ausgemalt, wie es sein würde, wenn sie das College abschlossen. Und nun waren sie nur noch zwei.

Ob Hinata an die Abschlussfeier in einer Woche kommen würde?

Nun, sie zweifelte daran. Und in diesen Zweifeln wurde sie eine Woche später bestätigt, als sie elegant gekleidet vor der Aula des South Konoha Colleges standen. Die Abschlussfeier hätte ein tolles Ereignis werden können und wenn alles unter normalen Umständen abgelaufen wäre, dann hätten sie an diesem Tag auch einige der Gangleute im Publikum gesehen. Heute waren es Inos Mutter und Tsunade. Ino wollte ihren Vater nicht einladen. Und Sakura hatte ihrer Mutter nur eine kurze SMS geschrieben, wann und wo die Feier stattfindet, aber sie war sich ziemlich sicher, dass Mebuki Haruno nicht aufkreuzen würde. Zu ihrer Überraschung waren Tenten und Neji auch aufgetaucht, was sie wirklich sehr freute. Tenten erzählte ihnen, dass Temari auch gerne gekommen wäre, jedoch ging es ihr seit Kankuros Tod immer noch nicht besonders gut und sie lebte mit schlimmen Höhen und Tiefen. Es tat Sakura so furchtbar leid. Vielleicht wäre Kankuro heute auch da gewesen, wenn alles anders gekommen wäre…

«Denkst du, dass Hina kommt, Neji?», fragte Ino.

Er schüttelte den Kopf. «Ich denke nicht. Ihr Vater ist immer noch unterwegs. Hanabi lebt derzeit wieder bei uns und Hina ist anscheinend oft unterwegs.»

Er sagte das nicht ohne bitteren Beigeschmack. «Meiner Mom habe ich natürlich nichts gesagt von der Sache mit Hina.»

Tenten lächelte traurig. «Aber hey, wir haben Hanabi heute mitgebracht. Ihr war langweilig. Sie kommt gleich. Sagt dort drüben noch Tsunade Hallo.»

Tatsächlich stand dort drüben die kleine Hana und schüttelte Tsunade und Amaya Yamanaka die Hand.

«Gut seht ihr übrigens aus», machte ihnen Tenten ein Kompliment. Sakura hatte sich nicht sonderlich Mühe gegeben. Heute war der dritte Juli und es war tatsächlich schon ziemlich warm, deshalb hatte sie ihr geliebtes weisses Sommerkleid angezogen. Es war jenes, welches sie an der Strassenparty vor gut einem Jahr angehabt hatte. Und es kam ihr vor als stünde Sasukes Name in grossen schwarzen Lettern draufgedruckt. Aber vielleicht konnte sie ihn so etwas bei sich haben. Wenigstens ein bisschen.

Da sie absolut untalentiert war, was frisieren anging, hatte ihr Ino die Haare zu einem schönen Fischgrätenzopf geflochten. Ino selbst trug ein dunkelblaues Kleid.

Aber in Feierlaune waren sie beide nicht. Solche Anlässe hatten sie nie gemocht. Jeder andere wurde von seinen Geschwistern und Eltern umgeben, während es bei ihnen gerade mal ein kleiner Bruchteil der Familie schaffte, anwesend zu sein.

Hanabi kam angelaufen und warf sich Ino in die Arme. Die kleine war erst zwölf und war so viel alleine. Ihr Vater kriegte es einfach nicht auf die Reihe, seine Verantwortung wahrzunehmen. Und der Job war ihrer Meinung nach nur eine bedingt gültige Ausrede.

Als auch Sakura die Kleine begrüsst hatte, meinte sie: «Hinata ist ja leider krank. Sie ist so oft unterwegs in letzter Zeit und oft müde. Kein Wunder, dass sie krank geworden ist. Aber ich habe gesagt, dass ich sie ja ein bisschen vertreten kann.»

«Das ist lieb von dir, Hana.» Sakura strich ihr über das glatte, dunkle Haar, welches Hinatas zum Verwechseln ähnlich sah. Sie nahm offensichtlich an, dass ihre Schwester sie über ihren Verbleib informiert hatte. «Wir freuen uns, dass du da bist.»

Die Feier war nicht besonders toll, aber das wichtigste war das Zeugnis, welches sie am Ende in ihren Händen hielten. Die besten Noten wurden noch geehrte, aber da gehörten weder sie noch Ino dazu. Es machte ihnen nichts. Da gab es so viel Wichtigeres auf der Welt, als Noten.

Nach der Feier wurde erst einmal noch den Lehrern die Hände geschüttelt, wobei Miss Yuuhi ihnen ein sehr aufmunterndes, freundliches Lächeln schenkte. Sie war eine Ehemalige und wusste natürlich über all das Geschehene Bescheid.

Tsunade drückte sie fest und gab ihr einen dicken Kuss auf die Stirn. Auch Amaya Yamanaka umarmte sie herzlich. Zu Sakuras Freude sah sie derzeit ganz fit aus.

«Hör zu, Mäuschen, da ist noch…»

In dem Moment tippte ihr jemand von hinten auf die Schulter. Sakura konnte nicht anders, als die Augen aufreissen und leer schlucken: ihre Mutter.

«Mom?»

Ihre Mom sah nicht unbedingt so aus, als würde sie vor Freude und Stolz strotzen. Kein Vergleich zu all den anderen Müttern hier. Aber sie war hier und irgendwie freute es Sakura, auch wenn sie es nicht gerne zugab. Diese Frau zeigte sich in ihrem Leben kaum, eigentlich sollte sie viel mehr zugegen sein.

Sie umarmte ihre Mutter, aber es fühlte sich immer komisch und gekünstelt an. Zum Glück hatte sie ihren Lover nicht dabei.

«Ich gratuliere zu deinem Abschluss!», sagte sie und lächelte dabei. Ihr Lächeln erreichte selten ihre Augen. Heute war es nicht anders.

Die anderen stellten sich etwas abseits. Ino und Tsunade wussten ja bestens, wie schwierig Gesprächsführung mit ihrer Mutter war.

«Wie geht es dir, Sakura?»

Manchmal fragte sie sich, ob ihre Mutter keine Schuldgefühle hatte. Da hatte sie eine Tochter, nur eine einzige und schaffte es nicht, eine anständige Beziehung zu ihr zu haben. Ihr heutiges Auftauchen grenzte an ein Wunder. Und dass sie im Fernsehen gewesen war, hatte sie vermutlich auch nicht mitbekommen. Ein Glück.

Sie musste ziemlich verbittert sein, das wusste Sakura. Aber Mitleid hatte sie nicht. Es war nicht ihr Fehler, dass ihr Vater gewalttätig gewesen war und ihre Ehe gescheitert ist. Aber manchmal fühlte es sich an, als sähe ihre Mutter das anders.

«Ganz gut danke. Jetzt wo die ganze Prüfungssache durch ist.» Andere Töchter hätten ihren Müttern jetzt ihr Herz ausgeschüttet. Aber was wollte sie ihrer Mutter schon erzählen?

«Und wie geht es dir?»

«Nun, wir sind umgezogen. In ein grösseres Haus.»

Noch grösser? Die Frau hatte einen ziemlich gut situierten Freund und bis anhin hatten sie schon eine riesige Wohnung gehabt. Und jetzt wohnten sie in einem noch grösseren Haus? Wussten die mit all den Zimmern überhaupt etwas anzufangen?

«Das ist schön», log sie. Dass ihre Mutter den Nerv hatte, ihr das zu erzählen, war ja auch schon grenzwertig. Sie könnte ja mit all dem Geld ein wenig mehr ihre Schwester unterstützen, die ihre Mutterpflichten übernahm. Aber Geld gab es von ihr nur so viel, wie von Gesetzeswegen her festgelegt war. Nicht mehr und nicht weniger.

«Und wie geht es denn jetzt für dich weiter, Sakura? Ich meine, beruflich? Hast du dich schon an einer Universität eingeschrieben?»

Ging das also wieder los. «Nein habe ich nicht. Die letzte Zeit war sehr stressig und ich hatte nur wenig Kapazität, um mich darum zu kümmern. Am liebsten möchte ich erst etwas Geld verdienen, jobben, so etwas in der Art. Ich will finanziell nicht mehr vollständig auf Tsunade angewiesen sein. Sie soll es auch etwas ruhiger angehen lassen.»

Mit purer Absicht hatte sie diesen letzten Satz angehängt. Sollte sie nur wissen, wie viel Tsunade für sie tat.

«Findest du das denn sinnvoll?»

Klar. Sie hatte es natürlich überhört. Aber ihre Verpflichtungen überhörte sie generell, von de her sollte es keine Überraschung sein. Und trotzdem ärgerte es sie.

«Warum denn nicht? Ich bin noch jung. Und ein wenig etwas in der Tasche zu haben ist immer gut.»

«Nun, wenn du jetzt bereits studieren würdest, dann würdest du auch schneller richtiges Geld verdienen. Du weisst schon, mit einem gut bezahlten Job.»

Ihre Mutter wollte sie wohl so schnell finanziell unabhängig sehen, damit sie nicht mehr für sie aufkommen musste. Was hatte sie dieser Frau eigentlich getan, dass sie ihr so egal war?

«Hör zu, Mom, ich werde das so machen, wie ich es für richtig halte, okay?»

«Wie du meinst.» Der kühle Ton in ihrer Stimme drückte bestens aus, was sie wirklich dachte. «Aber hast du dir überlegt, was du studieren möchtest? Wirtschaft? Chemie? Jura?»

«Noch nicht so genau», murmelte sie. Am liebsten hätte sie noch angefügt: Aber bestimmt nicht von deiner Aufzählung, Mom. Das waren alles Fächer, die ihr nicht besonders lagen. Ihre Mutter fragte noch weiter Dinge, natürlich alles karrierebezogen. Wahrscheinlich war das die einzige Möglichkeit wie Sakura sie noch halbwegs stolz machen könnte.

Zum Glück kam in diesem Moment Tsunade dazu. «Mebuki, wir gehen jetzt alle noch essen. Wenn du also mitkommen willst, dann bist du auch eingeladen.»

Mebuki schüttelte den Kopf. «Tut mir sehr leid, aber ich muss gleich wieder weiter.»

Sakura war froh. Gerade einmal zehn Minuten alleine mit dieser Frau und sie ging ihr schon auf den Wecker.

Ihre Mutter verabschiedete sich wieder mit einer noch etwas kühleren Umarmung, küsste Tsunade links und rechts auf die Wange und winkte den anderen noch zu. Und dann war sie weg.

Tsunade kam zu ihr hin und legte ihr den Arm um die Schulter. «Schlimm?»

Sakura nickte. Am liebsten hätte sie geweint. Sie wusste, dass diese Frau es nicht wert war, aber manchmal wünschte sie sich, ihre Mutter würde ihr einmal das Gefühl geben, etwas wert zu sein.

Aber sie verkniff sich die Tränen. Ihre Mutter sollte auf keinen Fall die Macht haben, sie unglücklich zu machen, nur, weil sie selbst es ein halbes Leben lang gewesen war.

 

Es vergingen eine Woche, bis Sakura von Haruka hörte. Sie war natürlich hell begeistert über die Ausmasse, welche die Diskussion um die Gangs angenommen hatte.

«Hör zu, Sakura», meinte sie gut gelaunt. «Ich will das weiterverfolgen. Letzte Woche hatte der Sender so hohe Einschaltquoten, wie schon lange nicht mehr. Die Problematik beschäftigt die Leute, das steht fest. Und ich finde, man sollte weitermachen.»

Sakura war durch und durch einverstanden. Sie ahnte, worauf das hinauslaufen würde.

«Jedenfalls habe ich Leserbriefe bekommen. Die wollen dich wieder in der Show haben!»

«Wer?» Sakura war verwirrt.

«Na, all die Leute. Viele sagten, dass ich ein echtes Gangmitglied einladen sollte.»

Wenn diese Leute wüssten…

«Du meinst, ich soll dir jemand solches auftreiben?»

«Na ja…»

«Haruka, sich im Fernsehen als Gangmitglied zu outen würde direkt zur Festnahme führen, das weisst du. Selbst wenn ihnen nichts beweisen werden könnte, dieses Risiko gehe ich bestimmt nicht ein, tut mir leid.»

«Das habe ich mir schon gedacht.» Sie klang nicht enttäuscht. «Ich wollte dich sowieso etwas Anderes fragen. Ich möchte eine Reportage machen und zwar über ein Gangmitglied. Oder mehrere. Das kann vollkommen anonym erfolgen. Aber denkst du nicht, dass das einen grossen Effekt auf die Sichtweise der Leute hätte?»

Das hatte etwas. Eine Reportage würde etwas mehr Einsicht in die Beweggründe eines Gangmitgliedes bringen. Jedoch zweifelte sie daran, dass irgendjemand etwas über seine Lebensgeschichte im Fernsehen preisgeben wollte, selbst anonym.

«Ich fände es an sich eine gute Idee, aber die Jungs und Mädels sind nicht besonders erpicht darauf, ihre Geschichte an die grosse Glocke zu hängen, auch wenn es anonym gehalten würde.»

«Das verstehe ich. Aber würdest du einmal fragen? Nein sagen können sie dann immer noch. Aber ich habe das Gefühl, dass uns genau so etwas weiterbringen könnte.» Haruka klang so begeistert und motiviert, dass Sakura lächeln musste. Sie wollte etwas verändern und das war wirklich schön.

«Ich werde sehen, was ich tun kann, okay?»

«Das wäre wirklich wunderbar. Vielen Dank, Sakura. Dann erkläre ich dir noch die Details…»

 

«Im Fernsehen? Nee. Das ist dein Gebiet, Cherry!»

Von Shikamaru hatte sie keine andere Antwort erwartet. «Hör zu, Shika. Ich glaube, dass wir an unserer Situation etwas ändern können, wenn nur genug Leute hinsehen. Und das hier ist die Möglichkeit.»

Shikamaru seufzte. «Cherry, ich weiss es wirklich zu schätzen, dass du das für uns alle tun willst. Aber ich glaube nicht mehr an den guten Willen der Menschen. So eine Reportage wird nicht den Effekt haben, den du dir versprichst.»

Sakura schüttelte den Kopf. «Du verstehst das falsch. Ich habe keine Erwartungen an diese Sache. Aber es besteht die Chance, dass es uns weiterbringen könnte, wenn auch nur ein kleines Stück. Mann, Shika, wir sitzen hier in der Gegend rum und verstecken uns vor der Polizei und den Riots wie geschlagene Hunde. Das sind nicht die Kuramas. Wir suchen nach Mitteln und Wegen, den schwierigen Situationen zu entkommen. Warum nicht einen Schritt wagen? Es kann nicht mehr passieren, als das es nichts bewirkt. Schlechter dastehen können wir sowieso kaum noch.

«Ich finde die Idee gut», warf Kiba ein.

Sakura drehte überrascht den Kopf. «Wärst du denn dabei?»

Er zuckte mit den Schultern. «Ich weiss nicht, ob das geht, weil du schon in der Talkshow von mir erzählt hast. Aber wenn, dann werde ich dir helfen. Ich meine, viel schlimmer kann unsere Situation nicht mehr werden. Und ich muss ja nur sagen, was ich sagen will, oder?»

Sie hätte ihn küssen können. Seine Offenheit war wirklich mutig.

«Das wäre toll, Kiba.»

«Ich muss einfach wissen, dass das alles anonym gehalten wird. Traust du der Reporterin?»

Sakura war noch nie auf die Idee gekommen, Harukas Absichten zu hinterfragen. Sie war so authentisch und freundlich.

«Ich traue ihr. Aber weisst du, du musst nicht in direktem Kontakt mit ihr stehen. Du kannst mir all diese Dinge schildern und sie wird sie richtig umsetzen. Ihr Konzept ist es, dass sie Schauspieler verwendet, um euch zu portraitieren.»

Kiba nickte. «Da wäre ich echt sehr froh.»

Sakura blickte in die Runde. Bis anhin war niemand allzu enthusiastisch gewesen. «Und von den Mädchen? Ich denke es wäre toll, wenn noch Mädchen mitmachen würden.»

Temari war nicht hier und auch nicht im Zustand für sowas. Aber die anderen vielleicht?

«Sakura, ich würde das schon für dich tun… aber ich finde, dass wir schockierendere Geschichten nehmen müssten. Das klingt doof, ich weiss. Irgendwas, was die Leute wachrütteln kann.» Tenten wirkte nachdenklich. «Und da bin ich nicht die Richtige.»

«Tenten hat Recht. Nicht, dass du kein hartes Leben hattest, Ten», meinte Lee. «Aber irgendwie wäre es schon noch gut, wenn man die härtesten Fälle nehmen könnte.»

«Was ist mit Big Fox?»

Sakura schüttelte den Kopf. «Nein. Das würde er nicht wollen, das weiss ich. Und jetzt wo er sowieso schon hinter Gittern sitzt, müssen wir ihm das nicht auch noch antun. Zudem brauchen wir noch ein Mädchen. Der Beitrag wird leider nur eine Stunde dauern, da bleibt nicht sehr viel Zeit.»

«Temari wäre eine Kandidatin.»

«Das können wir ihr nicht antun. Sie soll erst mal wieder zu Kräften kommen.» Ino verschränkte die Arme. «Sieht schwierig aus. Was ist mit den Outers? Matsuri zum Beispiel?»

«Ehrlich gesagt kann ich dir nicht sagen, wer von den Outers sich wo aufhält. Die sind alle etwas verstreut und ich habe nur die Nummern der Gruppen-Leader. Und ob die da mitmachen?»

Sakura war schon vor einer Weile eine Idee gekommen. Allerdings wusste sie nicht, ob das bei den Kuramas gut ankommen würde. «Was, wenn ich die Takas frage?»

Hätte sie vor einem Jahr die Takas auch nur erwähnt, wäre es augenblicklich totenstill im Raum geworden. Aber die Zeiten hatten sich geändert, die Takas waren nicht mehr das grösste Problem.

«Denkst du, die würden mitmachen?»

Sakura zuckte mit den Schultern. «Fragen kostet ja nichts. Und den Fernsehbeitrag dürften sie ja wohl mitbekommen haben. War ja sehr präsent in den Medien.»

«Hast du eine Taka-Nummer? Sonst gebe ich dir die von Pain», meinte Shika. Sein anfängliches Misstrauen schien sich in Akzeptanz verwandelt zu haben. Enthusiastisch wirkte er nicht gerade, aber das machte nichts. Sie verstand ihn.

«Ich glaube, ich habe Blues Nummer noch.» Schnell durchsuchte sie auf ihrem Handy die Kontakte und fand Konan sofort. «Dann werde ich mal telefonieren.»

Sie stand auf und ging ins Nebenzimmer, welches Jiraiyas Büro war. Sie trafen sich inzwischen etwas regelmässiger im Toad’s, einfach nur die Inner-Leute.

Nach zweimal Läuten ging Konan ran.

«Sakura?» Sie klang überrascht.

«Hey, Konan. Alles klar bei dir?»

«Soweit wie alles klar sein kann, ja. Und bei dir?»

«Kann mich dir nur anschliessen. Hör zu, ich habe eine Bitte…»

Sakura begann mit ihrer Erklärung ganz am Anfang, als Haruka sie per Zufall auf der Strasse angesprochen hatte und erklärte Konan detailliert, um was es ihr ging. Diese hörte aufmerksam zu und als Sakura mit ihrer Erklärung durch war meinte sie: «Also erst einmal wollte ich dir noch sagen, wie toll dein Auftritt gewesen ist. Besonders abends läuft der Fernseher hier dauernd, damit wir die wichtigen Dinge mitkriegen und als Deidara plötzlich aufgefallen ist, dass du da in diesem Studio gesessen hast, klebte auf einmal die ganze Meute vor der Kiste.» Sie musste ein wenig lachen.

Sakura wurde richtig nervös, wenn sie sich vorstellte, wie ihr der gesamte Taka-Inner zusah.

«Danke, Konan. Das war eine ziemlich schräge Sache.»

«Aber sie ist gelungen. Das war ja danach Gesprächsthema Nummer Eins. Jedenfalls finde ich die Idee dieser Frau ziemlich gut. Ich meine, was haben wir denn noch zu verlieren. Ich werde die Mädels mal fragen und wenn sie nicht wollten, dann gibt es bestimmt einer unserer Jungs, die in die Bresche springen würde. Hauptsache schlimme Lebensgeschichte, denke ich oder?»

Das war schon richtig, das Geschlecht war nicht von entscheidender Wichtigkeit, aber es würde die Sache halt schön abrunden.

«Bleib dran, Sakura, es sind heute alle da.»

Stimmt, die Takas hielten sich wahrscheinlich auch nicht mehr in ihrem HQ auf. Wo sie wohl waren?

Eine Weile blieb es still. Etwa fünf Minuten später meldete sich Konan wieder. «Also, Sakura. Grundsätzlich würden sich hier drei Leute anbieten, nämlich Shion, Hotaru und ich. Obwohl ich mich gerne an dritte Stelle setzten würde, ich brenne da nicht so darauf. Allerdings versuchen die beiden noch, Karin zu überzeugen. Wir denken, dass ihre Lebensgeschichte ziemlich gut passen würde. Ich erkläre das dir nicht im Detail, aber ihre zeigt verschiedene Facetten des Problems auf.»

Sakura musste schwer schlucken. Karin war nicht unbedingt die Person, mit der sie sich ein Gespräch unter vier Augen über ihre Lebensgeschichte vorstellen konnte. Andererseits hatte sie grosses Interesse daran, eine richtig passende Geschichte zu finden. Sie wäre also bereit, über ihren Schatten zu springen. An Karins Zustimmung zweifelte sie jedoch.

«Sie hat eingewilligt.»

Fast wäre Sakura der Hörer aus der Hand gefallen. «Wirklich?»

«Ja.» Konan lachte. «Und wie läuft das Ganze jetzt ab?»

«Also wenn es für Karin okay ist, werde ich ihre Lebensgeschichte aufschreiben. Wir müssten einfach ein Treffen ausmachen.»

«Alles klar. Dann gebe ich sie dir mal, okay?»

«Okay.» Sakura atmete tief durch. Telefonieren war sonst schon nicht ihre liebste Angelegenheit und dann noch mit Karin.

«Prinzesschen?»

«Hi, Karin.» Sakura seufzte. «Danke, dass du mitmachst.»

«Wenn’s hilft.»

«Das wird es.» Hoffentlich. «Wäre es okay für dich, ins Toad’s zu kommen? Oder soll ich…»

«Nee, nee, ich komm dahin. Bin um halb sieben am Abend dort, ist das gut?»

«Ja, das ist gut. Danke.»

«Musst dich nicht ständig bedanken. Dann bis morgen.»

«Bis morgen.»

Na, das war doch gar nicht so schlecht gelaufen. Dann konnte sie ihren Leuten die gute Nachricht ja überbringen.

 

An diesem Abend zog sie die ganze Sache mit Kiba durch, gemeinsam sassen sie bei einem Bier und einer Cola in einer gut abgeschirmten Ecke im Toad’s. Haruka hatte ihr genaue Fragen aufgeschrieben, die sie stellen sollte. Tatsächlich war es sehr aufschlussreich und Kiba und sie hatten ein wirklich gutes Gespräch. Da gab es Details aus seiner Geschichte, die sie noch nicht gekannt hatte und irgendwie mochte sie es, wenn sie in Gesprächen auf eine tiefere Ebene gelangen konnte.

Sakura war überzeugt, dass sie Haruka somit gutes Material für die Reportage liefern konnte. Inzwischen war sie richtig aufgeregt, immerhin kamen Kiba und Karin so indirekt ins Fernsehen. Und Haruka würde das bestimmt toll hinkriegen.

Um ein Uhr nachts lag sie im Bett und las im Schein ihrer Nachttischlampe wieder einmal Sasukes Brief durch.

Wenn sie ihm nur irgendwie Kraft geben könnte. Seit längerer Zeit fragte sie sich, ob es nicht möglich wäre, mit ihm zu schreiben. Das wäre es bestimmt. Aber irgendwie traute sie der Polizei und dem Gefängnispersonal nicht. Die konnten alles lesen, wenn sie wollten. Und Momochis Regime traute sie alles zu.

Und sie wollte nicht, dass dieses Monster erfuhr, dass sie und Sasuke sehr eng miteinander waren. Gerade jetzt, wo man ihren Namen schon einmal im Fernsehen zum Thema gehört hatte.

Sie seufzte. Vielleicht würde sie irgendwann einen Weg finden, sich mit ihm auszutauschen. Aber jetzt musste sie noch durchhalten.

Revolution

Karins feuerrote Mähne stach Sakura gleich ins Auge, als sie in Begleitung von Suigetsu und Deidara das Toad’s betrat. Sie trug eine knallenge, graue Röhrenjeans und ein schwarzes Shirt mit grosszügigem V-Ausschnitt. Karin wie sie leibte und lebte.

Sie hatte so eine wahnsinnig tolle Figur, alles schien perfekt proportioniert zu sein. Ihre Gesichtszüge waren nicht rund, sondern scharfkantig und perfekt geformt, ihre Nase war sanft geschwungen. Wenn Sakura Karin sah, stieg in ihr immer der gleiche Gedanke auf: Karin war von Natur aus einfach schön. So besonders.

Die Absätze ihrer schwarzen Stiefel waren auf dem Linoleumboden mehr als deutlich zu hören. Nach ihr drehten sich einige Leute um, denn sie hatte diese ganz bestimmte Präsenz im Raum, von der Sakura nur träumen konnte. Nach kurzem Umherblicken fanden ihre Adleraugen Sakura und sie nickte ihr zu. Die Drei steuerten direkt auf sie zu. Neben ihr erhob sich Ino, die sich bereiterklärt hatte, mit Sakura auf Karin zu warten.

Nachdem sie von Suigetsu und Deidara etwas wärmer begrüsst wurde, erntete sie von Karin ein knappes Kopfnicken. «Legen wir los?»

Sie machte kein Hehl daraus, dass sie hier nicht unbedingt freiwillig war. Gutes Zureden seitens der anderen Takas brachte sie hierher und Sakura musste jetzt das Beste daraus machen.

«Klar, wenn du soweit bist.»

«Blondie, Fangs, ihr könnt abzischen. Ach und bestellt mir einen Mojito.»

Deidara verdrehte die Augen. «Alles klar, Gebieterin.»

Trotz offensichtlichem Widerwillen begaben sich die zwei in Richtung Bar und Karin wandte sich wieder ihr zu.

«Na, dann: Ich bin bereit.» Sie klang zwar nicht allzu motiviert, aber Sakura glaubte zu erkennen, dass sie willens war, ihr Möglichstes für ihre Gang zu geben. «Du musst mir aber dein Wort geben, dass das anonym bleibt! Mir ist es schon zuwider, dass das die Kuramas erfahren. Aber was soll’s.»

«Du hast mein Ehrenwort darauf, Karin.»

«Okay, dann leg los.»

«Also kurz zur Erklärung, Haruka möchte gerne zwei verschiedene Lebensgeschichten von Gangmitgliedern darstellen, vermutlich wird sie das in einer Art Film mit Schauspielern nachstellen. Du kannst erzählen, was du willst und auch verschweigen, was du willst. Damit die ganze Aktion aber einen Effekt hat, sollte es schon ein wenig die schwierigen Kapitel in deinem Leben aufgreifen. Ist das gut?»

Karin nickte. «Diese Haruka soll einfach nichts dazu erfinden, um es dramatisch zu machen.»

«Da habe ich vollstes Vertrauen in sie», meinte Sakura.

«Das war die Diskussionsleiterin, als du im Fernsehen gewesen bist, richtig?»

«Genau.» Sie erwartete noch irgendeinen Spruch zu ihrem Auftritt, aber es kam nichts.

«Hm, wo soll ich anfangen…»

Sakura wusste, dass dieser Part nun schwierig werden würde. Nicht nur wegen den schwierigen Themen, sondern auch, weil sie so tun musste, als wüsste sie noch nichts von Karins Vergangenheit. Jedoch hatte sie an Silvester dieses Jahres einiges über sie erfahren. Erschütternde Tatsachen.

Deidara kam kurz zurück, um Karin ihren Mojito zu bringen, verschwand dann aber gleich wieder. Er konnte es aber natürlich nicht unterlassen, Sakura anzugrinsen, so, wie er es immer getan hatte. Es wäre schon eher schräg gewesen, wenn es ausgeblieben wäre.

«Vielleicht dort, wo du als Kind gelebt hast?», schlug sie vor.

«Ich bin in den Vororten aufgewachsen. Heruntergekommene Wohngegenden, viele Ausländer und damit viele Kulturen. Niemand hat wirklich Geld, entweder lebt man von der Sozialhilfe oder überlebt durch schlecht bezahltes Schuften. Meine Alter arbeitete in irgend so ‘ner Fabrik, meine Mutter hat gesoffen wie ein Loch, bis sie im Kopf nicht mehr ganz richtig war. War auch viel in der Klapse deswegen.»

In dieser Hinsicht hatten Karin und sie etwas gemeinsam: Beide hatten ein Elternteil, denen der Alkohol zum Verhängnis wurde.

«Hab in dieser beschissenen Wohnung eigentlich alles gemacht. Gekocht, geputzt, eingekauft. Und wenn dann einmal was gefehlt hat, haben sie mir eine geknallt.»

Sakura versuchte mit aller Kraft, nicht bestürzt auszusehen, denn Karin hätte das ganz bestimmt nicht gefallen.

«Freunde habe ich in der Schule keine gehabt. Hab zu Hause auch nie Geld oder sowas gekriegt, trug immer dieselben hässlichen Lumpen. Und als meine Alte wieder in der Klapse war, sah ich mich nach ‘nem Job um. Kam zu der Zeit grad aus der Schule und war zwar erst fünfzehn, aber anscheinend hat man mir achtzehn Jahre abgekauft. Zuerst hatte ich keinen Erfolg, aber eines Abends kam Chuck, der Betreiber des Stripschuppens ‘Circus’ auf mich zu und fragte mich, ob ich nicht bei ihm anfangen wolle. War zwar grottenschlecht bezahlt, aber er gab seinen Angestellten auch Zimmer, in denen sie wohnen konnten. Und so bin ich ausgezogen. Meinen Eltern war es scheissegal.»

Sie hatte ja immer gedacht, ihre Eltern seien schlimm, aber Karins Eltern waren echt das Letzte. Vom «Circus» hatte sie schon oft gehört, es war ein bekannter, aber heruntergekommener Stripladen im North, in denen vor allem Leute aus der Unterschicht verkehrten.

«Naiv wie ich war, nahm ich an, dass das eine gute Idee war. Es arbeiteten noch sieben weitere Frauen dort, allesamt achtzehn und älter. Lusty Rose war so ein bisschen die Gruppenchefin und hat mir alles erklärt. Das Pseudonym, welches alle Stripperinnen dort von ihren Gästen erhalten, gab man mir bereits in meiner ersten Nacht, was ziemlich früh war. Devil’s Daughter oder auch Teufelstochter.»

Karin musterte Sakura genau. Sie erinnerte sich ziemlich sicher genauso gut an Silvester, wie sie. Dass dieser Name sie gleich dazu gebracht hatte, Reissaus zu nehmen, war ihr wahrscheinlich ziemlich unangenehm da sie eigentlich immer die Starke zu markieren versuchte. Sakura tat so, als würde dieser Name bei ihr nicht allzu viel auslösen. «Und warum nannten sie dich so?»

«Wegen den Haaren. Jedenfalls stellte sich heraus, dass Chuck ein kompletter Vollidiot war. Den älteren Frauen versprach er mehr Geld, wenn sie sich prostituierten und einige taten das in ihrer Geldnot. Lusty Rose schärfte mir immer ein, dass ich das auf gar keinen Fall tun dürfe. Es war eine ziemlich beschissene Zeit. Ich war Kettenraucherin, habe getrunken, gekifft… und einige andere Dinge, auf die ich nicht stolz bin. Aber dort taten das alle. Und es half mir, das Scheissleben zu vergessen, welches ich zu diesem Zeitpunkt führte. Ich war die ganze Nacht wach und schlief tagsüber. Manchmal, wenn ich tagsüber draussen war, um mit meinem mickrigen Lohn einzukaufen, sah ich die ‘normalen’ Mädchen, wie sie alle zufrieden Kleider shoppten und nach der Schule zusammen rumhingen. Manchmal beschwerten sie sich über ihre Eltern, wegen ganz banalem Mist. Das hat mich immer aufgeregt.» In Karins Stimme schwang Bitterkeit mit. «Tja, und wie wenn es nicht schon bescheuert genug gewesen wäre, mochten mich diese notgeilen Säcke im Stripschuppen alle, weil ich so jung war. Und deshalb nahm ich auch immer am meisten Geld ein, was die anderen nicht so cool fanden. Sie haben oft versucht, mich zu sabotieren, zerrissen meine Outfits, haben mich aber auch öfters geschlagen, an meinen Haaren gezerrt und mich beschimpft.»

Sakura musste sich wirklich alle Mühe geben, nicht einen vollkommen geschockten Ausdruck anzunehmen. Sie hatte es ja schon von den anderen gehört, dass Karin eine schlimme Jugendzeit gehabt hat, aber es so von ihr zu hören, mit mehr Details, das war hart.

«Was war denn mit Lusty Rose? Hat sie sich auch gegen dich gestellt?», fragte Sakura, um nicht vollkommen dämlich dazustehen.

«Rose… Rose war zu diesem Zeitpunkt nicht mehr im Striplokal. Sie war eine der Frauen, die sich prostituiert hat, um an mehr Geld für ihre Wohnungsmiete zu kommen. Sie wohnte nämlich nicht im ‘Circus’. Sie musste den Laden verlassen, weil sie manisch-depressiv wurde. Dazu litt sie seit Jahren unter dem Borderline-Syndrom und wurde in die Klapse eingewiesen. Wir haben nie mehr etwas von ihr gehört. Himmel, sie war damals erst fünfundzwanzig. Viel zu jung für sowas.»

Karin klang nachdenklich.

«Sie war so etwas wie deine Mentorin, verstehe ich das richtig?», fragte Sakura, als sie ihre stichwortartigen Notizen gemacht hatte.

Karin überlegte. «Kann man so sagen. Sie war nicht besonders gefühlsbetont und schonte mich auch nicht im Mindesten. Aber sie beschützte mich auf ihre ganz eigene Art, vor den Kunden und von Chuck. Sie wirkte immer selbstbewusst und stark, aber manchmal brach diese Fassade und man sah, wie kaputt sie wirklich war. Ich mochte sie trotzdem. Hat sich immer noch mehr um mich gekümmert als meine Eltern.»

Sakura nickte. Diese Frau schien eine ziemlich wichtige Rolle in Karins Zeit als Stripperin gespielt zu haben und deshalb war es wichtig, dass sie sich dazu ein paar Sachen notierte.

«Und Chuck? Wie sah der aus und wie war er sonst so?»

Karin lachte verächtlich. «Ein absolut klischeehafter Stripclub-Besitzer. Hatte einen Bierbauch, trug immer so hässliche Goldketten um den Hals und an den Handgelenken. Dreitagebart, ziemlich gross. Fiese, kleine Augen, Glatze. Mundgeruch und immer so bescheuerte Anzüge in dämlichen Farben. Von Leo-Prints bis Lila gab es alles bei dem.»

Sakura erschauerte bei der Vorstellung dieses Mannes. Und so jemanden als Chef zu haben…

«War grundsätzlich ein Arschloch. Kümmerte sich nur um das Geld und die Kundschaft. Seine Angestellten behandelte er wie Rinder auf einem Viehmarkt.»

«Und wie ging es dann weiter?»

«Nun, Chuck ist natürlich nicht entgangen, dass ich seinen Umsatz ganz schön in die Höhe trieb. Und gierig wie er war, wollte er mehr. Er sagte mir, dass er mir ‘nen Haufen Geld gibt, wenn ich auch mit den Kunden schlafe.» Sie nahm einen Schluck von ihrem Mojito. Man sah ihr nicht an, dass sie hier gerade über das dunkelste Kapitel in ihrem Leben sprach. Sie sah irgendwie unbeteiligt aus, aber Sakura kaufte ihr das nicht ab.

«Ich habe mich geweigert, weil Lusty Rose mir damals mir ihren eigenen Geschichten klargemacht hat, dass ich es für immer bereuen würde, wenn ich das täte. Und ich wollte nicht enden wie sie. Chuck hat das nicht gefallen und ist stinksauer geworden. Er war eigentlich nie gewalttätig mir gegenüber, aber an diesem Abend war er stinksauer. Hinter dem Schuppen hat er versucht…», sie machte eine kurze, kaum merkliche Pause. «Hat er versucht mich zu vergewaltigen und ich sage dir, er hätte es geschafft. Der Typ war leider nicht nur fett, sondern auch kräftig. Es war das ekelhafteste, was mir je passiert ist.»

Jetzt konnte sie nicht mehr anders, als bestürzt aus der Wäsche zu schauen. Sie stellte sich diesen ekligen Chuck vor, wie er Karin anfasste und sie sich wehrte… einfach nur grauenvoll.

Karin zog eine Augenbraue hoch. «Hey, ist ja nichts passiert, okay? Dass an diesem Abend die Takas an diesem Hinterhof vorbeigingen und mich gehört haben, war das grösste Glück, welches ich in meinem Leben bisher gehabt habe. Es war Sasuke, der Chuck bewusstlos geprügelt hat. Dabei waren Suigetsu, Deidara und Hidan. Sie haben mich mitgenommen und brachte mich zu Itachi, da er als Leader das Sagen hatte, wer nun im HQ bleiben durfte und wer nicht. Er hat nicht eine Sekunde gezögert. Shion und Konan haben mir gezeigt, wo ich schlafen und duschen kann. Und von da an wurde mein Leben besser. Sie haben mich angenommen, jeder und jede Einzelne von ihnen. Ich gehörte sofort dazu, ohne auch nur irgendetwas tun zu müssen, damit sie mich mögen. Ich habe es allen voran Sasuke zu verdanken. Und das sollen sie verdammt nochmal in diesem Bericht sagen! Sorg dafür, ja?»

Sakura nickte. «Ich werde dafür sorgen, versprochen. Es ist wichtig, dass wir auf die Gangs ein gutes Licht werfen.»

«Mit meiner beschissenen Story willst du ein gutes Licht auf uns werfen?» Karin sah sie ungläubig an.

Sakura lächelte. «Im Sinne von mehr Verständnis hervorbringen, Karin. Es soll hervorkommen, dass Gangmitglieder keinesfalls nur schlecht erzogene Kinder sind, sie sich austoben wollen.»

«Ach so.» Jetzt schien es in ihren Augen mehr Sinn zu machen. «Na, dann. Brauchst du noch mehr?»

«Wenn du nichts mehr hast, was du als wichtig und erzählenswert erachtest, dann sind wir fast fertig. Wenn du mir nur noch einmal kurz das Aussehen deiner Eltern etwas beschreiben könntest? Dazu brauche ich vielleicht noch ein bisschen eine Beschreibung deiner Mitarbeiterinnen im Striplokal und von den anderen Takas, wie sie damals so waren und ausgesehen haben.»

Karin gab ihr kurze Beschreibungen der Personen ab, wobei sie aber nicht besonders amüsiert aussah. «Ich weiss nicht mal mehr, ob sie heute noch so aussehen. Habe sie seit Jahren nicht mehr gesehen.»

«Okay. Dann vielen Dank, dass du mir das erzählt hast, Karin. Das war wirklich hilfreich.»

Sie schüttelte den Kopf und leerte ihr Mojito-Glas, bevor sie es mit einem sanften Knall wieder auf der Tischplatte abstellte. « Keine Ursache.»

Sakura wusste sehr wohl, dass Karin nicht so cool war, wie sie hier tat. Diese Geschichte war hart und sie jemandem zu erzählen musste sehr viele negative Gefühle hervorrufen.

«Aber sag mir eins, Prinzessin: Denkst du, es gibt überhaupt eine Chance, an diesem ganzen System etwas zu ändern?»

Sie überlegte kurz. «Nun, das kann ich dir erst sagen, wenn wir es wirklich probiert haben. Aber ich denke, dass man nicht aufgeben sollte, bevor man es überhaupt versucht hat.»

Sie nickte, als leuchtete ihr das wirklich ein. «Macht Sinn.»

Dann musterte sie Sakura. «Machst du das wegen ihm?»

Sie wusste bestens, wen Karin damit meinte. «Für alle. Aber auch für ihn.»

Kurz sah es so aus, als wollte Karin ein paar nette Worte von sich geben, doch gleich darauf zeigte sich wieder das spöttische Grinsen auf ihrem Gesicht. «Na, dann. Ich werde dir gerne dabei zusehen.»

Sakura lächelte. «Dann ist ja gut.»

 

Sakura übermittelte all ihre Infos an Haruka und setzte sich einen ganzen Nachmittag lang mit ihr zusammen, um ihr alles haarklein zu erklären, damit auch wirklich alles richtig umgesetzt wurde. Dabei hob sie natürlich Parts hervor, die Karin und Kiba als besonders wichtig erachteten.

Haruka war schwer beeindruckt von den beiden Lebensgeschichten. «Das könnte ein Renner werden, Sakura. Und ich meine das nicht nur hinsichtlich der Einschaltquoten. Wir werden das gross aufziehen.»

«Aber wie versprochen Haruka: Wir bleiben bei den Geschichten, die hier auf dem Papier stehen.» Sie wies auf ihre ins Reine geschriebenen Notizen.

Haruka nickte. «Natürlich. Schau, ich habe dir hier zur Sicherheit einen Vertrag erstellt. Ganz kurz und bündig, aber ich will, dass du dir keine Sorgen machen musst.»

Tatsächlich stand auf dem Blatt Papier, das ihr Haruka vor die Nase legte, alles was sie besprochen hatten. Sie hatte ihre Unterschrift schon daruntergesetzt.

«Gut, danke.» Sakura unterschrieb.

«Wunderbar. Hör zu, vom Konzept her wird die Sache wie zwei Kurzfilme aufgezogen werden. Da der Sender so hohe Einschaltquoten mit den Gangthemen hatte, habe ich ein grosszügiges Budget erhalten. Wir werden einige Schauspieler aus unserer Kartei dazu ziehen, damit das auch wirklich authentisch wird. Das Ziel ist es, etwas mehr Verständnis für die Hintergründe von Gangmitgliedern zu schaffen. Die ganze Sache wird voraussichtlich in vier Wochen ausgestrahlt. Ich und meine müssen uns jetzt ranhalten.»

Das klang doch schon mal wirklich gut. Sakura war gespannt.

«Du wirst natürlich auch finanziell für deine Bemühungen entschädigt, Sakura. Genauso wie deine beiden Freunde.»

Das war natürlich eine sehr nette Geste, jedoch war es für Sakura eigentlich schon Lohn genug, dass Haruka ihr diese ganzen Möglichkeiten bot. Aber Karin und Kiba würden sich bestimmt darüber freuen.

 

Inzwischen waren es fast zwei Monate Gefängnis. Er konnte nicht behaupten, dass er sich an die Gitter vor dem Fenster gewöhnt hatte – aber er akzeptierte inzwischen sein Schicksal. Sakura suchte in jedem Ereignis einen Sinn. Vielleicht hatte es so kommen müssen. Wer wusste schon, wie viele Leute nun vor ihm in Sicherheit waren. Allen voran Sakura. Noch nie in seinem ganzen Leben hatte er so viel und so intensiv über sein Leben nachgedacht, wie in diesen zwei Monaten. Die regelmässigen Gespräche mit Naomi waren dabei zugegebenermassen hilfreich gewesen. Inzwischen störten ihn ihre Fragen nicht einmal mehr.

Sie hatte versucht, mit ihm Ziele festzulegen, weil das ihr Auftrag war. Es ging darum seine Probleme in den Griff zu bekommen. Allen voran hatten sie mit Aggressionsmanagement angefangen. Einmal hätte er beinahe einen Mitinsassen zusammengehauen, weil dieser die Gangs in den Dreck gezogen hatte.

War natürlich keiner begeistert von gewesen. Was er ihr strikte verschwieg, waren die Momente, in denen er Leute umgebracht hatte, weil er sich nicht mehr kontrollieren konnte. Er wollte hier auf keinen Fall etwas gestehen, was noch zu längerer Haft führte. Der blosse Gedanke, es auszusprechen, machte ihm Angst. Es gab genau eine Person, mit der er darüber reden würde und das war Sakura.

«Sasuke?»

Urplötzlich fand er sich aus den Gedanken gerissen im Besprechungszimmer wieder. «Entschuldige. Was sagtest du?»

«Ich wollte fragen, ob Itachi auch unter Aggressionsproblemen gelitten hat?»

Sogar Itachi konnte man inzwischen ansprechen, ohne dass es gleich wieder über ihn kam. Naomi stellte öfters Fragen zu ihm, vermutlich wollte sie sich nach wie vor langsam an ihn herantasten.

«Nicht wirklich. Itachi hatte immer die Kontrolle über das, was er tat. War der Vernünftigere von uns beiden. Gewalt brauchte er nur, wenn es aus seiner Sicht notwendig war und auch dann verlor er sich nie darin.»

«Hast du denn mal jemandem Gewalt zugefügt, obwohl du es gar nicht wolltest?»

Er nickte betreten. «Oft.»

«Darf ich nach den Personen fragen?»

«Itachi habe ich mehrmals verprügeln wollen, wenn ich betrunken war und er mich zusammengestaucht hat. Das war eine Phase, in der ich zwischen vierzehn und siebzehn Jahren alt war. Und dann gab es etliche Male im Strassenkampf. Momente, wo ich längst gewonnen hatte, aber nicht aufhören konnte.»

«Kannst du in diesen Situationen einen Auslöser nennen?»

«Bei Itachi war es die Kontrolle, die er über mich ausübte. Ich mochte das zu der Zeit nicht.»

Naomi lächelte leicht. «Pubertät, was?»

«Gut möglich. Und bei den Kämpfen war es Wut. Mehr kann ich dazu nicht sagen.»

«Okay. Und wie war es mit Gewalt gegen Mädchen, Sasuke?»

Bis vor einigen Monaten hätte er noch den Kopf geschüttelt. Aber heute wäre es gelogen. «Bis zum letzten Jahr nie, manchmal etwas grobe Worte vielleicht? Und natürlich in Strassenkämpfen.»

«Und was ist dieses Jahr passiert?»

In ihm rebellierte alles. Er hasste es, daran zu denken. Er hasste es wie die Pest.

«Das bedrückt dich, nicht wahr?»

Es hatte keinen Sinn, ihr etwas vorzumachen und deshalb nickte er, den Blick starr auf die hölzerne Tischplatte gerichtet.

«Du musst mir das nicht sagen, aber wie du weisst, es kann helfen, wenn man sich jemandem öffnet.»

Da hatte sie allerdings recht. Er hatte sich schon ein paarmal überwunden und das war meistens schon irgendwie beruhigend gewesen. Was hatte er zu verlieren?

«Ich war grob zu ihr, zweimal. Einmal habe ich sie ziemlich heftig geschubst, beim zweiten Mal habe ich ihr den Arm mit der Hand so fest abgeklemmt, sodass er richtig blau wurde…»

«Du hast sie nicht geschlagen?»

Er schüttelte den Kopf. Er fühlte sich wie Abschaum, wenn er das alles so offenbarte.

«Und was hat sie getan, damit es so weit gekommen ist?»

Er hob erschrocken den Kopf. «Nichts! Gar nichts! Jedenfalls nichts, was so eine Reaktion verdient hätte!»

«Und trotzdem ist es irgendwie dazu gekommen, oder? Sag mir, was genau sie gemacht hat, ob es nun deine Reaktion verdient hat, oder nicht.»

«Sie wollte wissen, was mit mir los ist.» Er seufzte. «Das klingt jetzt voll bescheuert.»

Naomi schüttelte den Kopf. «Nein, ich denke, das macht grundsätzlich sehr viel Sinn, Sasuke. Was war denn los?»

Er wollte das lieber verschweigen, denn es hing mit dem Vorfall hinter dem Toad’s zusammen, als die Riots sich an Sakura und ihre Freundin Ino vergreifen wollten.

«Es sind einige Dinge passiert, auf die ich nicht stolz war… und habe mich irgendwie nicht mehr auf sie eingelassen. Und dann hat sie das gefragt und irgendwie kam da gerade alles hoch, was nicht stimmte und dann ist es halt passiert… ich meine, inzwischen haben wir es geregelt… aber es war trotzdem etwas vom Bescheuertsten, was ich je gemacht habe. Und das waren viele Dinge.»

«Warum hast du dieses Mädchen denn bisher nicht erwähnt?»

«Hätte ich das tun sollen?»

Sie lächelte. «Nicht unbedingt, es überrascht mich nur. Du erwähnst Menschen die dir am Herzen liegen sonst regelmässig.»

«Und woher willst du wissen…» Bei genauerem Nachdenken erübrigte sich die Frage. Sie wusste es einfach. «Warum frage ich überhaupt noch», brummte er.

Naomi lächelte verschmitzt.

Sasuke wusste sehr genau, warum er Sakura nicht erwähnt hatte. Das klang vielleicht dumm, aber alles, was er mit ihr erlebt hatte, gehörte nur ihnen. Mit jemandem anderen darüber zu reden… nun ja, er hatte irgendwie Angst, es dadurch zu einer ganz normalen, alltäglichen Beziehung zwischen zwei Menschen zu machen. Und das war es nun einmal nicht.

Naomi musterte ihn. «Du musst mir nichts erzählen, wenn du nichts möchtest. Ich bin sicher, sie ist eine ganz interessante, kluge junge Dame.»

Er nickte und tastete nach dem zerfledderten Stück Papier in seiner Tasche. Es da zu wissen war beruhigend. Er machte das inzwischen immer, wenn er sich über jemanden nervte. Wahrscheinlich war es auch bei seinem Aggressionsmanagement-Zeug hilfreich, aber er wollte das Naomi nicht sagen. Sie sollte nicht glauben, dass er schwach war.

«Weisst du, Sasuke, ich will dir das ganz ehrlich sagen: Ich suche nach Menschen in deinem Umfeld, die dir Stabilität geben. Das klingt etwas trocken, ich weiss.»

«Was meinst du denn mit Stabilität geben?»

«Ich meine damit jemanden, der in dir das Beste rausholt. Gibt es so jemanden?»

«Ja.» Da musste er nicht zweimal überlegen.

«Darf ich dich fragen, wer es ist? Ich denke, diese Person könnte sehr wertvoll für dich in deinem weiteren Prozess sein.»

Er schüttelte sofort den Kopf. «Da kann ich dir sowieso sagen, dass das nicht klappt. Bis ich hier rauskomme werden Jahre vergehen. Ich kann nicht von jemandem verlangen, mir mit alldem zu helfen.»

«Und da haben wir eines deiner Probleme, Sasuke. Ob du es wahrhaben willst oder nicht, du willst keine Hilfe annehmen. Immer alles alleine machen. Alleine kommst du schon zurecht was? Hör mir bitte zu: Du bist eine starke Persönlichkeit, das habe ich wirklich verstanden. Aber niemand kommt durchs Leben, ohne sich ab und an mal helfen zu lassen.»

Er wusste, dass sie recht hatte. Aber sie verstand das nicht ganz, denn diese Person war Sakura. Und er wollte, dass sie ihr Leben lebte, ohne ständig den Typen im Knast im Hinterkopf zu haben.

«Ich will da niemanden mit reinziehen.»

«Aber möchtest du denn niemanden mehr aus deiner Gang sehen? Gar niemanden mehr?»

«Natürlich will ich sie alle wiedersehen. Aber sie sollen nichts mit dem zu tun haben, was hier abläuft.»

«Und sie?»

«Wer?»

«Die Person, die das Beste aus dir rausholt.»

Wenn Naomi wüsste, wie gerne er sie wiedersehen wollte. Dafür würde er einiges geben. Aber dann würde er ihr Lebewohl sagen.

«Was hast du da in deiner Hosentasche, Sasuke?»

Er hob schnell den Kopf. «Hm?»

«Seit wir hier angefangen haben, nestelst du immer in deiner Hosentasche herum, wenn wir schwierige Themen ansprechen. Das ist mir schon lange aufgefallen. Zuerst dachte ich, du machst das nur aus Nervosität, aber du hast da doch etwas.»

Er konnte nicht wirklich benennen, was das Problem war, aber in ihm stieg Wut auf. Was wollte Naomi von ihm? Genügte ja schon, dass sie in seinem Leben herumwühlte, jetzt wollte sie auch noch über den Inhalt seiner Hosentasche Bescheid wissen.

«Geht dich nichts an», sagte er barsch. Er spürte, wie sich sein Körper langsam anspannte.

Naomi legte den Kopf schief. Sie sah nicht besonders amüsiert aus, aber auch nicht wütend.

«Fühlst du dich von mir bedroht?»

«Blödsinn!»

«Warum reagierst du dann so?»

«Weil du in meinem Müll herumwühlst und ich es nicht ausstehen kann!»

«Hier geht es also nicht nur um den Inhalt deiner Hosentasche?»

Er wollte sofort etwas erwidern, aber es fiel ihm nichts ein.

«Du hast so bemerkenswerte Fortschritte gemacht, Sasuke. Du hast mir sehr viel von dir erzählt und dafür danke ich dir. Keine einzige Information aus deinem Leben hat dazu geführt, dass ich die irgendwie in schlechtem Licht sehe, im Gegenteil. Du magst es nicht, wenn ich etwas tue, was dir zu nahetritt. Du lässt dich auf vieles ein, aber noch nicht auf alles. Und anscheinend ist deine Hosentasche genauso tabu wie diese besondere Person. Das bedeutet für mich einen Zusammenhang.»

Diese Frau machte ihn fertig. Seine Wut war verraucht. Vor Naomi etwas für sich zu behalten war echt nicht einfach. Und sie meinte es auch nicht böse.

«Ich werde nun nicht mehr weiter nachfragen, Sasuke. Aber ich werde einen Tipp über den Inhalt der Hosentasche abgeben, du musst mir nicht sagen, ob ich richtigliege. Ich denke, dass dort drin ein Gegenstand ist, den dir das Mädchen gegeben hat, von dem wir vorhin gesprochen haben. Denn dieses Mädchen ist eben diese Person, die das Beste in dir hervorbringt.»

Dazu wusste er nun wirklich nicht mehr viel zu sagen. Er verspürte Resignation, war aber auch seltsam beeindruckt.

«Du hast gewonnen, okay?», meinte er geschlagen.

 

Tsunades Wohnung platzte an diesem Abend aus allen Nähten. In zehn Minuten begann die Ausstrahlung von Harukas Sendung und die Kuramas liessen es sich nicht nehmen, dabei zu sein. Jiraiya war inzwischen so genervt von den Jungs, die andauernd in seiner Wohnung herumhingen, dass er sie für diesen Abend aus dem Toad’s verbannt hatte. Nun hatte Tsunade fünfzehn Leute in ihrer kleinen Wohnung und hatte sicherlich schon erfreuter ausgesehen. Allerdings liess sie es sich nicht nehmen, sich die Sendung mit den Kuramas anzuschauen und setzte sich diskret auf einen Küchenstuhl, mit etwas Abstand zu der aufgeregten Meute.

Sakura befand sich mittendrin und teilte sich einen Sofaplatz mit Ino. Vor ihr Am Boden sass Kiba im Schneidersitz, Akamaru gleich daneben.

«Bist du aufgeregt, Kiba?», fragte sie ihn leise unter all den anderen Gesprächen, die im Gange waren.

Er zuckte mit den Schultern. «Nicht wirklich. Kenne die Geschichte ja schon. Aber wird bestimmt interessant. Ich meine, die mussten sich nach einem verdammt coolen Schauspieler umsehen.» Er grinste frech und Sakura musste lachen. Jedoch entging ihr die Anspannung in seinem Körper nicht, die er mit seinem Schalk zu überspielen versuchte. Fast wäre es ihm gelungen.

Die Sendung begann mit Haruka im News-Studio. Sie begrüsste die Zuschauer und erklärte in einem kurzen Informationsteil den Zuschauern, was auf sie wartete. Das machte sie geschickt, auch wenn sie Kiba und Karin nicht kennen würde, hätte Haruka sie mit dieser Ansprache vermutlich ziemlich gut abholen können.

«…uns bot sich daher eine exklusive Möglichkeit: In dieser Sendung porträtieren wir das Leben zweier Menschen, die es nicht einfach gehabt haben. Ein junger Mann, aufgewachsen unter einem gewalttätigen Vater und eine dramatische Flucht. Eine junge Frau, von ihren Eltern verachtet, gezwungen, einen eigenen Weg zu suchen. Aber sehen Sie selbst, liebe Zuschauer.»

Es begann eine kurze animierte Sequenz, die den Titel von Kibas Geschichte zeigte. Haruka hatte Sakura diese Titel vorgeschlagen und sie hatte sich bei den Beiden erkundigt, ob sie damit einverstanden waren.

 «Zu zweit allein – der Junge mit dem Hund»

Die Reportage war tatsächlich wie ein Film aufgebaut. Die Filmsequenz begann in der Küche von Kibas ehemaligem zu Hause. Und sie zeigten unverblümt, was dieses Monster ihrem Freund angetan hatte.  Der Schauspieler von Kibas Stiefvater schlug mit allem zu: Gürtel, Kabel, Gläsern.  Kibas Kinderschauspieler war passend gewählt– Sakura hatte Haruka die wichtigsten Merkmale der Personen übermittelt.

Kiba türmte an dem Abend, als sein Vater ihn mit einer kaputten Glasflasche malträtiert hatte. Seine scheussliche Mutter sah nur zu. In der ganzen Szene bellte sich ein Hundewelpe die Seele aus dem Leib, bis er von einem Tritt des Stiefvaters jaulend in die Ecke geschleudert wurde. Sein ganzer Rücken war von etwa fünf langen Schnittwunden überzogen und blutete. In der nächsten Sequenz sah man, wie er sich mühselig mit Bandagen aus der Hausapotheke den Rücken zu verbinden versuchte. Während der Prügel weinte er nicht, aber umso mehr als er sich den Rücken verband. Dabei blieb er so leise wie möglich, damit es niemand hörte.

Sakura brach es das Herz. Klar, sie hatte das alles gewusst, aber es so echt vor sich zu sehen, war heftig.

Kiba vor ihr starrte ziemlich konzentriert auf den Bildschirm, während er mechanisch Akamarus Fell kraulte. Schnell rutschte sie vom Sofa hinunter und gesellte sich zu den beiden.

Als im Haus alle schliefen, schnappte er sich einen kleinen Rucksack, stopfte ihn mit Essbarem, Hundefutter und zwei Flaschen Wasser voll. Er schlüpfte in seinen dicksten Pullover, zog sich seine Winterjacke über und schlüpfte in seine Schuhe, während er sich einen dicken Schal um den Hals wickelte. Er türmte durch das Fenster und kletterte die Fassade des Hauses entlang hinunter. Akamaru hatte er in den Rucksack gesetzt, sodass sein Kopf noch hinausschaute. Unten angekommen leinte er ihn an und lief hinaus in die dunkle Nacht Konohas. Kiba hatte eigentlich nicht in schlechten Verhältnissen gelebt und das Reihenhaus etwas ausserhalb von Konoha wäre ganz hübsch gewesen. Aber was innerhalb dieser vier Wände über Jahre passiert war, war unverzeihlich.

Seine erste Nacht verbrachte er mit Laufen, um Distanz zwischen sich und das Haus zu bringen. Der damals dreizehnjährige Kiba fröstelte. Es lag zwar kein Schnee, aber das Wintersetting hatten sie gut hineinkorrigiert. Man hörte den eisigen Wind um die Ecken der Häuser pfeifen. Haruka hatte echt viel in diese Sache investiert.

Nun wurden mehrere Tage und Nächte gezeigt, in denen Kiba zum Überleben stahl und wie er von Menschen davonrannte, die es bemerkt hatten. Es zeigte die kalten Nächte in denen er zusammengrollt in irgendeiner windgeschützten Ecke kauerte, Akamaru in seiner Jacke.

«Irgendwann kaufe ich dir alles Futter der Welt, Aki. Verlass dich drauf.» Sakura hatte darauf bestanden, dass auch Akamarus Name abgeändert wurde. Der Hund war genauso ein Mischling wie Akamaru, jedoch braun und sah auch sonst etwas anders aus.

Es war trostlos, einem dreizehnjährigen Jungen zuzusehen, wie er und sein Hund immer dünner wurden. Sein Gesicht war fahl und kantig, seine Augen leer. Der junge Schauspieler machte das wirklich gut.

Dann kam die Nacht, in der Kiba beinahe erfroren wäre. Er lag zwischen zwei Mülltonnen in einer düsteren Seitengasse, kraftlos von dem wenigen Essen, dass er zu sich genommen hatte, um das gestohlene Geld für Hundefutter zu verwenden.

Er lag auf der Seite, sein Brustkorb hob und senkte sich nur langsam. Seine Augen waren ausdruckslos, seine Lippen blau.

«Ich spüre mich gar nicht mehr, Aki», flüsterte er. Der Hund lag dich an ihn herangekuschelt da. «Blleibst…du h-hier…» Sein ganzer Körper zitterte unaufhörlich. Sakura legte Kiba den Kopf auf die Schuler. Sie weinte. «Bis es…vorbei…ist…»

In diesem Moment begann Akamaru zu jaulen. Er jaulte sich die Seele aus dem Leib. Kiba hatte ihr erzählt, dass er ihm die Schnauze zugehalten hätte, wenn nicht schon sein ganzer Körper taub gewesen wäre. Die Angst davor, dass man ihn finden und zurück zu seinen Eltern bringen würde, war so wahnsinnig gross gewesen.

Plötzlich erschien ein Lichtkegel im schwachen Mondlicht. Die Reportage war so wahnsinnig gut gedreht, dass Sakura richtig gespannt war, obwohl sie wusste, was passierte.

Kiba wurde von drei Leuten gefunden, zu diesem Zeitpunkt war noch nicht bekannt, dass es sich dabei um Kuramas handelte. Es wurde ein Schnitt gemacht, in dem Kiba ohnmächtig war und später auf dem Sofa in einem Raum aufwachte, der ein HQ hätte sein können und so wie es aussah auch eines darstellen sollte.

Kiba war in Decken gehüllt und wurde von einer jungen Kurama gepflegt, Ehemalige wurden mit Absicht nicht in die Geschichte eingebunden. Eigentlich war es Tsunade gewesen, die ihn versorgt hatte.

«Hätte dein Hund nicht so laut auf sich aufmerksam gemacht, hätte man dich nicht gehört. Du hattest wirklich Glück, dass jemand von uns in deiner Nähe war.»

Kiba schien noch nicht ganz angekommen zu sein und zitterte. «Ich will nicht nach Hause.»

«Das musst du auch nicht.» In dem Moment betrat Iruka das Bild oder jedenfalls sein Schauspieler. Iruka Umino war vor Naruto Gangleder gewesen.

Im Hintergrund sah man einige andere Kinder, einen kleinen Blonden betitelte er absichtlich mit dem Namen «Naruto». Naruto war auch der einzige, der Kinder, der eine Sprechrolle hatte und Kiba mit einem freundlichen Lächeln und einem sanften Händedruck begrüsste. Sakura vermutete, dass es nebst Naruto noch Shikamaru, Shino und Tenten waren. Der Film endete mit Irukas Worten und seiner Hand auf Kibas Schulter, der mit grossen Augen eine dampfende Teetasse in den Händen hielt.

«Wir haben die Narben auf deinem Rücken schon gesehen. Du bist herzlich willkommen, bei uns zu bleiben, wenn du das willst.»

«Wer seid ihr?», fragte er schüchtern.

«Wir sind die Kurama Foxes.» Er grinste. «Möchtest du bleiben?»

Kiba sah sich um und blickte dabei in freundlich lächelnde Gesichter und einen warmen, grossen Raum. Er nickte.

«Dann bist du von nun an Teil unserer neuen Generation. Vergiss die alten Zeiten, okay? Willkommen in der Familie!»

Iruka wuschelte ihm durchs Haar und Kiba lächelte.

Anschliessend hörte man den Kinderschauspieler aus dem Off sprechen. Er zitierte Kiba. «Ich habe es nie bereut, zu ihnen gegangen zu sein. Sie waren das, wonach ich mich so lange gesehnt habe – meine Familie.»

Abspann.

 

«Hey, Demon!» Naruto packte ihn energisch an der Schulter und Sasuke drehte sich verwirrt um. Gerade war er noch dabei gewesen, in dem sterilen Aufenthaltsraum ihres Blocks die Zeitung von gestern zu lesen. Irgendeinen Artikel über steigende Benzinpreise.

«Was ist denn los?» Er seufzte. Wenn man sich mit jemandem ein Zimmer teile, lernte man einander kennen, ob gewollt oder nicht. Über Big Fox konnte er etwas sagen: Der Typ konnte eine Energie an den Tag legen, die er so selten gesehen hatte. Und das im Knast. Es kam ganz auf seine Laune an und meistens benutzte er als Ventil entweder das Basketball spielen im Innenhof oder eines der Ämter, welche ihnen wöchentlich aufgetragen wurden. Auf einer Art fand er es bewundernswert, das musste er zugeben. Aber andererseits konnte es einem auch ganz schön auf den Wecker gehen.

«Fernsehen, jetzt!»

Sasuke verstand, dass die Sache wahrscheinlich zu wichtig war, als dass er Big Fox noch widersprechen sollte. Deshalb erhob er sich und folgte Naruto nach oben. Um diese Zeit am Abend hatten sie so eine Art «Bewegungsfreiheit» und konnten entweder in der Zelle bleiben, im Aufenthaltsraum sein oder nach draussen in den Hof gehen.

«Makoto aus Zelle 210 hat mir gerade gesagt, dass da auf KCTV wieder etwas zu Gangs läuft.» Ach ja, kontaktfreudig war er auch. Sasuke hatte bisher auch einige Bekanntschaften mit anderen Insassen gemacht, so kannte er zum Beispiel diesen Makoto auch, ein mehrfacher Steuerhinterzieher und Internetbetrüger, fünfundzwanzig Jahre alt. Aber Big Fox war da noch einmal ganz ein anderes Kaliber. Der kannte in diesem Block mindestens zwanzig Leute mit Vornamen, Delikt und Lebensgeschichte und dann schien er auch von jedem anderen Block mindestens vier Typen zu kennen. 

Oben angekommen schaltete er sofort den Fernseher ein, Sasuke setzte sich auf sein Bett.

Was im Fernsehen lief, sah aus wie ein Film. Es ging um einen Jungen mit einem Hund, der von seinem Vater verprügelt wurde. Allerdings verstand er noch nicht ganz, was das mit einer Gang zu tun hatte.

«Das ist Kiba», sagte Big Fox auf einmal. Er hatte sich auf den Boden vor dem Fernseher gesetzt. «Die haben Kibas Geschichte in diese Doku gepackt? Und dann stimmt das alles auch noch fast bis ins kleinste Detail.»

Er wählte den Teletext an. Dort stand, dass diese Reportage zwei Schicksale von Gangmitgliedern veranschaulichte.

«Da hat Sakura ihre Finger im Spiel, ganz bestimmt. Wie hätten die sonst an solche Infos kommen können?» Er sagte das schon fast amüsiert.

Sasuke verfolgte indes den Kurzfilm weiter. Er erinnerte sich daran, wie er mehrmals mit diesem Kiba gekämpft hatte. Es war schon interessant, etwas über seine Hintergründe zu erfahren. Beschissene Kindheit – wie sie alle.

«Hey, das bin ja ich!» Naruto konnte kaum glauben, dass auch er in diesem Film vertreten war. «Warum nennen die mich denn beim Namen? Machen sie ja nicht einmal bei Kiba.»

Bei Sasuke fiel in diesem Moment der Groschen. «Die wollen, dass du gut dastehst.»

«Was meinst du damit?»

«So schwierig kann das ja nicht sein. Die zeigen ein wenig Hintergründe von Gangs und nebenbei lassen sie dich gut dastehen.»

«Ist ja der Hammer.»

Nach dem Abspann erschiene eine Studioansicht, in der die Moderatorin auftauchte, die auch die Talkshow geleitet hatte, in der Sakura war. «In all diesen Momenten fragt man sich doch: Wo war hier der Staat? Das Jugendamt? Wo waren die Leute, die diesem Jungen helfen sollten? Nun es kamen Leute, jene, die selbst nicht viel hatten und trotzdem bereit waren, zu teilen. Wir haben eine weitere Geschichte für Sie. Nichts mehr hält dieses Junge Mädchen an dem Ort, welchen sie zu Hause nennen sollte. Werden sie Zeugen von diesem Mädchen, welches auf der Suche nach dem richtigen Weg die dunkelsten Seiten Konohas kennenlernt.»

Bereits als der Titel der Geschichte erschien, fiel Sasuke die Kinnlade runter. «Teufelstochter». Das konnte er jetzt nicht glauben.

«Sagt mir nichts», murmelte Naruto.

«Aber mir.»

Und gab dieser Film tatsächlich Karins Geschichte wieder und zwar bis ins kleinste Detail. Gebannt schaute er der Sache zu, beeindruckt davon, wie viel Arbeit die Filmcrew da reininvestiert haben musste. Natürlich, es sah alles ein wenig anders aus als im richtigen Circus, die Umgebung war nicht dieselbe, aber das hätte nebensächlicher nicht sein können. Sogar den bescheuerten Chuck hatten sie getroffen – er sah fast aus, wie das Original.

Ihm wurde erst klar, dass er in diesem Film eine entscheidende Rolle spielte, als es schon zu spät war. Es war komisch, sich selber von jemandem anderen gespielt in einem Film zu sehen. Er fand nicht, dass dieser Typ ihm ähnelte, Naruto jedoch meinte, dass seine Film-Version gar nicht so schlecht war. Er musste schwer schlucken, als Itachi auftrat, aber er war nur kurz zu sehen. An diesen Tag erinnerte er sich noch, als wäre es gestern gewesen. Der Tag, an dem Taka-Sniper geboren wurde. Der Film endete mit Karin, die ihm einen schüchternen Blick zuwarf und dann lächelte.

«Na, jetzt machen sie aber auch für dich Werbung, oder?»

Er nickte und schwieg. Das konnte er nicht mehr abstreiten. Was stellte Sakura da auf die Beine?

Er war beeindruckt. Richtig beeindruckt. Im kurzen Abspann erschien auch ihr Name.

Zurück im Studio waren sie wieder bei Haruka Ichinose. «Zwei tragische Geschichten, die von einer steilen Talfahrt aus wieder aufwärts gingen und auch heute noch nicht zu Ende geschrieben sind. Meine lieben Zuschauer: In dieser Sendung geht es nicht darum, die Gangthematik einseitig zu behandeln. Es geht darum, die Seite aufzuzeigen, die noch niemand gesehen hat. Wir möchten, dass sie sich ihre ganz eigene Meinung bilden können, basierend auf dem Verständnis für Hintergründe die Gangmitglieder haben. So sind Devil’s Daughter und der Junge mit dem Hund keinesfalls Einzelfälle. In den Gangs gibt es noch viel mehr Leute wie sie, alle mit einer eigenen Geschichte. Diesen beiden hat niemand geholfen, bis es die taten, die am wenigsten Mittel dazu gehabt hatten. Bis heute hat sich an diesem System nichts geändert. Devil’s Daughters Rettung erfolgte vor knapp vier Jahren – wir sind heute noch nicht viel weiter, als zu dieser Zeit. Kinder auf der Strasse sind nach wie vor Realität. Was müssen wir hinterfragen? Das System oder die Gangs? Wo liegt die Wurzel allen Übels? Ich fordere Sie dazu auf, sich ihre Meinung zu bilden. In einer Woche lade ich Sie ein, wieder beim FridayTalk einzuschalten, wo die Thematik erneut aufgerollt wird. Bis dahin danke ich Ihnen für ihr Einschalten und wünsche Ihnen eine gute Woche.»

Als dann der Werbeblock eingespielt wurde, waren sie beide sprachlos. Irgendwie konnten sie es beide nicht so ganz fassen. Die Menschen erachteten die Gangs als Abschaum, unbedeutende junge Versager. Und doch hatten es zwei Geschichten ins Fernsehen geschafft. Die Sendung war wirklich ein sehr interessantes, neues Licht auf die verschiedenen Leben von Menschen, die man alle in den gleichen Topf warf.

«Vielleicht hätten wir uns früher gefangen nehmen lassen sollen», meinte Naruto mit dem Anflug eines Grinsens im Gesicht. «Dann wären die Steine schon eher ins Rollen gekommen.»

 

Nach der Sendung zog sich Karin zurück. Nicht in das Zimmer, welches sie sich mit Shion und Hotaru teilte, sondern nach oben, in den zweiten Stock. Der zweite Stock war nicht besonders gross und befand sich auch nur über einem Gebäudeteil. Dort oben lagerten sie Waffen und anderweitigen Krimskrams, durch eingebaute Lücken in der Mauer konnte man in den Aufenthaltsraum hinabsehen. Ging man etwas weiter, befand man sich am Ende das Ganges, wo ein grosses, jedoch trübes Fenster und davor einige alte Holzkisten waren. Hier hinten hatte man seine Ruhe und Karin kam hierher, wenn sie genau diese Ruhe wollte.

Draussen herrschte eine fast schon romantische Abendstimmung – zum Kotzen. Der Himmel war wortwörtlich Rosa und die Sonne war inzwischen hinter dem Horizont verschwunden.

Sie setzte sich auf eine der Kisten. Es war scheisse. Nun wusste die ganze Stadt über ihr beschissenes Leben Bescheid. Die Reporterin hatte wirklich einiges auf die Beine gestellt.

Wenn sie etwas Glück hatten, dann diente es den Gangs. Aber ihr? Sie hatte die absolute Arschkarte gezogen. Ihr Leben noch einmal zu sehen, all diese Erlebnisse in diesem bescheuerten Circus, Chuck, Lusty Rose, dann die dumme Pute Nougat, die ihr von allen am meisten das Leben zur Hölle gemacht hatte. Diese kranke Schlampe hatte ihr Rasierklingen in die Schuhe gesteckt. Hätte sie sie nicht per Zufall entdeckt, wäre das damals eine blutige Sache geworden. Dauernd hatte sie solche Sachen versucht. Wer wurde da nicht paranoid?

Aber nicht nur das. Es hatte sie auch an das allererste Jahr bei den Takas erinnert. Für sich nannte sie es das Demon-Jahr. Damals war sie zwar bereits ziemlich desillusioniert und kaputt gewesen, aber in Demon hatte sie jemanden gefunden, der das mit ihr teilte. Sie verbrachten oft Zeit hier, in genau dieser Ecke. Manchmal spielten sie zusammen Gitarre oder redeten. Damals kam es ihr ein wenig vor, wie eine absolut missratene Version der Aschenputtel-Geschichte, wobei Aschenputtel eine Stripperin war und der Prinz der Vize-Leader eine Gang. Trotzdem konnte sie nichts als Bewunderung für ihn empfinden und aus dieser Bewunderung war Liebe geworden. Sie war sich ziemlich sicher, dass er sie an irgendeinem Punkt in ihrer gemeinsamen Zeit auch geliebt hatte. Es war schwer zu sagen, da er in Sachen Emotionen noch kaputter als sie gewesen war. Aber sie waren zusammen gewesen, offiziell, und das hatte sie so verdammt stolz gemacht. Sie wurden zum einem berühmt-berüchtigten Duo. Ihre Beziehung erlitt einige Krisen, aber irgendwie waren die nie vom grosser Bedeutung gewesen.

Und dann, irgendwann hatte er sie abgeschossen. Sich distanziert. Erst dachte sie, es wäre eine seiner Launen, aber da irrte sie sich. Natürlich war sie gekränkt gewesen, aber sie war sich ziemlich sicher gewesen, dass er wieder zu sich kommen würde. Doch lange passierte nichts. Und gerade als sie dachte, die Tür öffne sich wieder, kam sie – und damit schloss sich sie sich für immer. Nicht, dass sie es Demon verübeln konnte. Sie passten zusammen, auch wenn die Prinzessin ziemlich naiv und gutgläubig war. Aber genau deshalb mochte Demon sie so.

Sie seufzte und dachte noch einmal an das Ende des Films. Die Filmcrew hatte nicht gewusst, dass sie und Demon nach ihrer Aufnahme in die Gang etwas miteinander angefangen hatte. Das Lächeln ihrer Schauspielerin in der letzten Szene, welches so eindeutig an Demon gerichtet war, sollte vermutlich einfach ein Ausdruck des Dankes sein. Doch es konnte auch ganz klar implizieren, dass sie ihm mehr als nur dankbar war. Und damit hatten sie ins Schwarze getroffen, diese Filmer. Seit er sie gerettet hatte, bewunderte sie diesen mysteriösen Jungen. Und auch als sie merkte, dass seine Gutherzigkeit nur eine Seite der Medaille war, hielt es sie nicht davon ab, ihn weiterhin zu lieben.

Das hatte sich bis heute nicht geändert. Sie war eigentlich keine gefühlsduselige Barbie, aber sie konnte inzwischen strikt und einfach nicht mehr leugnen, wie sehr sie die Momente mit ihm vermisste. Die Nähe, die Intimität, dieses Gefühl, nie mehr jemand anderen bei sich haben zu wollen. Nach all den alten und jungen Typen im Circus einen Mann, mit dem sie mehr verband als nur ein Lapdance oder das Geld, welche er ihr in die Unterwäsche schob.

Um das nicht falsch zu verstehen, sie war dankbar für alles, was sie hatte. Aber manchmal fühlte es sich an, als hätte sie trotzdem nichts. Manche Menschen malten sich eine glückliche Zukunft aus und was hatte sie? Einen schlechten Ruf, ein beschissenes Leben. Nicht einmal das Rauchen bekam sie in den Griff. Gerade jetzt ertappte sie sich dabei, wie ihre Hand in die Tasche ihrer Jacke rutschte und das zerfledderte Zigarettenpäckchen hervorzog. Es war schon die zweitletzte und dabei hatte sie das Päckchen hatte erst gestern Abend angebrochen. Aber sie hatte im Moment einfach nicht den Nerv dazu, es wirklich zu versuchen. Irgendein Psychoheini würde ihr wahrscheinlich sagen, dass sie depressiv ist. Möglicherweise ein bisschen, denn im Moment hatte sie auf nichts Lust, lag im Bett herum und dachte zu viel nach.

Oft waren ihre Eltern oder die Zeit bei Chuck ein Thema. Seit sie das alles vor ein paar Wochen Sakura erzählt hatte, war alles wieder so präsent. Einerseits nervte sie es, andererseits merke sie, dass sie nie wirklich damit abgeschlossen hatte. Sie hasste sie beide immer noch für alles, was sie waren und für alles, was sie ihr angetan hatten.

Es war alles so verkorkst.

«Was bläst du hier eigentlich die ganze Zeit Trübsal, Sniper?»

«Hau ab, Fangs», brummte sie ohne sich umzudrehen.

«Na, du bist ja gut drauf heute.»

Sie erwiderte nichts.

«Darf ich mich dazusetzen?»

«Mhm», brummte sie und er lachte nur.

«Willst du reden oder rauchen?»

«Rauchen.»

«Okay.» Er zog eine Zigarette und ein Feuerzeug aus der Hosentasche, zündete sich den Glimmstängel an und nahm einen Zug.

Und dann assen sie da, schweigend, rauchend. Aber auf Karin hatte es etwas Beruhigendes. In all der Zeit bei den Takas konnte sie eines sagen: Sie war nie alleine gelassen worden. Nie.

Und das war bei all dem Mist in ihrem Leben doch ein schöner Gedanke. Ein sehr schöner.
 

Die Kuramas genossen diesen Abend gemeinsam in Tsunades Wohnung. Ihrer Meinung nach war die Sendung ein vollkommener Erfolg gewesen, ja wirklich. Kiba war anfänglich etwas ruhig gewesen, was Sakura nicht überraschte. Seine eigene kaputte Kindheit so vor Augen geführt zu bekommen, das war nicht einfach. In einer ruhigen Minute zog sie ihren Freund zur Seite, genauer gesagt in die Küche, wo es etwas ruhiger war.

«Danke, dass du da mitgemacht hast, Kiba. Das war für dich bestimmt nicht leicht.»

Er schüttelte den Kopf. «Nichts zu danken, Cherry. Für die Gang tue ich alles.»

«Es tut mir leid, was da alles in deiner Kindheit passiert ist… weisst du, es so in Szene gesetzt zu sehen war noch einmal heftiger.» Sie senkte den Blick. «Hast du irgendwann noch einmal etwas von deinen Eltern gehört?»

Zu ihrem Überraschen nickte er. «Meine Mutter meldet sich immer, um mir zum Geburtstag zu gratulieren. Aber die Gespräche sind immer erzwungen und angespannt.»

«Kommt mir bekannt vor», murmelte sie und er lachte.

«Da haben wir’s, Cherry. Anscheinend haben wir bei der Wahl unserer Eltern alle auf das falsche Pferd gesetzt.»

«Hey, kommt mal her!», ertönte es aufgeregt von Tenten aus dem Wohnzimmer.

Was war denn nun los?

Natürlich eilte sofort alles zu Tenten, die mit offenem Mund vor dem Fernseher sass. Gerade eben war noch eine Talkshow von KCTV gelaufen, doch nun wurden mitten in der Sendung News eingespielt.

«… vor einer Stunde. Geschätzt werden mehr als zweihundert Mitglieder, die sich in den Strassen von Konoha gegen die Polizei stellen. Woher sie kamen ist unbekannt, wer sie anführt ist jedoch klar – die Gang der Jaguar Riots haben Konoha den Krieg erklärt. Seit die Kurama Foxes und die Taka Snakes von der Bildfläche verschwunden und es in der Stadt ruhiger geworden ist, hat die Polizei ihre Bereitschaft erheblich vermindert. War das ein Fehler?»

In der Wohnung war es bis auf die Geräusche aus dem Fernseher totenstill. Es wurden Bilder von Krawallen gezeigt, Polizisten mit schusssicheren Westen, Helmen und Schilden. Rauch, lautes Knallen, Schreie. Das Geräusch von Motoren. Riot-Flaggen.

Der Anblick liess Sakura erschauern und damit war sie bestimmt nicht die Einzige.

«Der Bastard…» Shikamaru hatte seinen Blick starr auf den Fernseher gerichtet.

«Von Anfang an.» Shino schüttelte ungläubig den Kopf. Bei Sakura war der Groschen noch nicht gefallen. Was realisierten ihre Freunde da?

«Shika, was ist los?» Inos Stimme war unheimlich monoton. Das passte nicht zu ihr.

Alle Augen waren nun auf den Vize gerichtet.

«Crow… Crow, ihr Leader. Ich verstehe jetzt. Es war alles ein perfekter Plan.»

In den Köpfen der beiden Leader fügte sich langsam ein Puzzleteil zum anderen. Plötzlich machte alles einen Sinn.

 

«Ihr seid frustriert, desillusioniert, Kuramas und Takas. Euch fehlen die nötige Energie und der Willen, Veränderung herbeizuführen. Ihr habt nicht den Mut, Grenzen zu überschreiten und etwas zu wagen, damit etwas passiert.»

 

Er hatte ihnen seinen Plan auf dem Silbertablett serviert und sie hatten es nicht geschnallt. Als leere, dumme Worte abgestempelt. Sie waren einfach zu verblendet gewesen. Kurz gesagt, Crow war wahnsinnig. Absolut wahnsinnig. Aber auch verdammt schlau. Er machte einen Pakt mit der Polizei und erfüllte all seine Pflichten in diesem Bündnis. Dann zogen er sich mit den Riots zurück, wie vermutlich mit Momochi vereinbart. Den Polizeichef hatten sie natürlich glauben lassen, dass ihr grösstes Ziel das Ende der Kuramas und Takas sei. Und nun, wo langsam aber sicher Ruhe in der Stadt eingekehrt war und die Gangs sich zurückgezogen hatten, wurde das gesamte Polizeiaufgebot kleiner gehalten, da es nicht mehr nötig war, all diese Kräfte für nichts in der Gegend herumstehen zu haben. Das Militär war vor einem Monat ganz abgezogen worden.

Und was bedeutete das? Freie Bahn für die Riots. Für ihren wirklichen Plan. Wie lange Crow in seinem Grössenwahnsinn schon im Untergrund Leute gesammelt hatte, wussten sie nicht. Jedoch musste es eine lange Zeit gewesen sein. Und nun stand die Polizei einer verdammt grossen Horde Menschen gegenüber, die die Stadt wie ihre Westentasche kannten und nicht viel zu verlieren hatten.

Crow hatte genug von der Unterdrückung der niedrigsten Schicht in Konoha. Und dieses Gefühl teilte er mit all den Leuten, die ihn in seinem Vorhaben unterstützten.

 

«Jedenfalls habe ich einen Plan. Diese Gesellschaft muss merken, dass man mit uns nicht einfach machen kann, was man will.»

 

Dieser Bastard wollte das Ende der Unterdrückung. Ob er mit dieser Menge an Leuten eine Chance dazu hatte, war in Frage zu stellen. Aber er war nicht dumm und die beiden wussten ohne lange Nachzudenken, dass er, was auch immer sein genaues Ziel darstellte, auf dem besten Weg dazu war, es zu erreichen.

 

Es war eine Revolution. Crows Revolution.

Für die Wahrheit

Es war schon verrückt, wie viel sich innerhalb von so kurzer Zeit verändern konnte. Konoha war über Nacht zum Schauplatz eines wahrhaftigen Krieges geworden. Die Riots gegen die Polizei. Eine Mischung zwischen aktiven Kämpfen und stillem Protest in Form von Vandalismus. Auf der Strasse war man nicht mehr sicher und die Polizei tat ihr Möglichstes, die Epizentren des Konflikts aus der Downtown herauszuhalten, was nur mit mässigem Erfolg gelang. Es schien, als hätten sie damit einfach nicht gerechnet. Momochi, selbsternannter Retter Konohas, stand nun natürlich ziemlich dumm da. Jedoch zweifelte sie nicht daran, dass ihm jedes Mittel recht war, um Crow und seine Leute, die ihn auf alles hinauf auch noch gelinkt hatten, niederzuschlagen.

Sakura wusste nicht, was sie von der Sache halten sollte. Im Grunde genommen war sie auf der Seite der Polizei, denn mit den Riots sympathisieren kam für sie schon rein aus Prinzip nicht in Frage. Andererseits war auch das Polizeidepartement im Moment nicht gerade ihr bester Freund. Die Riots strebten eigentlich nach dem, was alle Gangs wollten – Akzeptanz und einen Platz in dieser Stadt. Aber man konnte Dinge durchaus falsch angehen und das taten die Riots ihrer Meinung nach. Da gingen Polizisten und Polizistinnen in den Kampf, Väter und Mütter, Söhne und Töchter. Sie alle waren in dieser Auseinandersetzung aufs höchste gefährdet, dabei konnten sie absolut nichts für all die Probleme in Konoha. Die Art, Differenzen mit Gewalt zu lösen, würde sie niemals auf irgendeine Weise befürworten können. Und an dieser Stelle fragte sie sich unwillkürlich, wie Hinata das konnte. Bis vor kurzer Zeit hätte sie Hinata als die friedliebendste Person im Universum eingestuft und jetzt unterstützte sie tatsächlich Riot-Crow. Sie war jetzt Riot-Cutie.

Oft suchte sie ein weiterer beunruhigender Gedanke heim: Die Riots machten ihre ganze Arbeit im Fernsehen zunichte. Da hatten sie es endlich geschafft, dass ihnen Konoha mal zuhörte und nun das. Die Reaktionen auf die beiden Kurzfilme waren so positiv gewesen und nun kamen die Riots und rückten alles wieder in ein komplett anderes Licht. Haruka hatte zwar gemeint, dass sie gerade jetzt nicht die Flinte ins Korn werfen sollten.

«Vielleicht können wir jetzt gerade von diesem Ausbruch profitieren. Abwarten!», hatte sie gesagt.

Weder die Kuramas noch die Takas konnten angesichts dieser Situation viel tun. Es war nicht ihr Kampf – nicht mehr.

 

In dieser Zeit kümmerte sich Sakura um den Haushalt. Da sie jetzt nichts mehr zum Lernen und auch anderweitig nicht den Nerv hatte, nach einem Job zu suchen, bot sich ihr das gerade sehr gut an und Tsunade begrüsste das natürlich. Ab und zu half sie in Jiraiyas Bar aus, wo jetzt die Kurama-Jungs den Bar-Dienst übernommen hatten. Mit Narutos Ausfall kam das Jiraiya gerade recht. Für sie beinhaltete das unter anderem auch den Aufräum-Dienst nach Ladenschluss. Jedoch machte sich die Unruhe in den Strassen auch im Toad’s bemerkbar, denn Kunden verkehrten hier definitiv weniger, als in normalen Zeiten.

Eines Abends, es war kurz nach Mitternacht und Sakura war dabei, den Boden der Bar feucht aufzunehmen. Um diese Uhrzeit waren normalerweise noch Gäste hier, aber sie befanden sich nun einmal nicht in einer normalen Situation.

Aus dem Radio quäkte die Hitparade rauf und runter, im Fernsehen lief irgendein Fussballmatch. Sakura hatte die Fenster weit aufgerissen, inzwischen war es draussen richtig sommerlich geworden. Die Luft war frisch und roch nach Freiheit. Der Geruch erinnerte sie an den vergangenen Sommer. Nun war die Strassenparty gut ein Jahr her. Dieses Jahr würde es vermutlich keine geben. Nicht unter diesen Umständen.

Kiba und Shino waren im Hinterhof und sortierten das Leergut, damit sie es morgen zur Sammelstelle bringen konnten, Jiraiya war oben und machte die Abrechnung von heute.

Von draussen drang nur ab und zu das Geräusch eines vorbeifahrenden Autos, kaum Stimmen.

Sorgfältig reinigte sie den Boden von verklebtem Alkohol, Staub und anderweitigem Strassenschmutz. Wäre es Winter hätte sie für den Boden doppelt so lange gebraucht.

Als sie fertig war, schaltete sie die grellen Neonröhren aus und wechselte wieder auf die eher schummrige Beleuchtung.

Der Fussballmatch wurde zwischenzeitlich unterbrochen, um weitere News über die aktuelle Situation zu senden. Anscheinend tobte gerade eine Auseinandersetzung zwischen den Riots und der Polizei draussen im Rift, jedoch vermutete man bereits, dass der Aufruhr nur ein Ablenkungsmanöver war und stationierte weitere Einheiten in der Innenstadt. Den Riots schienen sich laufend mehr Leute anzuschliessen und die Polizei kam trotz allmählicher militärischer Unterstützung kaum gegen die Gang an. Natürlich, die Polizei durfte auch nicht einfach drauflosschiessen, sie unterstanden Gesetzen. Die Riots sahen das hingegen nicht so eng. Zudem kannten sie Konoha und damit jeden Platz, an dem ein Vorteil ihrerseits herauszuholen war.

Seit mehr als einer Woche ging das nun so, Sakura mochte es gar nicht mehr hören. All die Leben, die dabei auf dem Spiel standen, nur weil die Menschen nicht miteinander redeten.

Sie seufzte. Sie wusste nicht warum, aber an solchen Abenden dachte sie oft an Sasuke. Gut, sie dachte sowieso andauernd an ihn. Was er wohl von den Krawallen dachte?

Jetzt schlief er vermutlich gerade. Hoffentlich tief und fest, damit er etwas Schönes träumen konnte.

Wie gerne sie ihn sehen würde. Es war schon verrückt, es waren nur gut zwei Monate, aber ihr kam es vor wie eine halbe Ewigkeit. So vieles war inzwischen passiert. Ihre Welt war aus den Fugen geraten. Sie vermisste seinen klaren Blick auf die Dinge und die Art, wie er ihr immer das Gefühl gab, dass er die Kontrolle über die Situation hatte. Diese Sicherheit.

Vor dem Einschlafen las sie immer noch seinen Brief. Er war schon ganz vergriffen, aber sie verstaute ihn immer mit äusserster Sorgfalt in der oberen Schublade ihres Nachtschränkchens.

Seufzend schaltete die sie den Fernseher aus. Es war vielleicht schräg, aber im Moment verspürte sie eine wohltuende innere Ruhe. Das Wissen, dass die Kuramas nach so langer Zeit für einen Moment wieder in diesem illusionären Frieden leben konnten, war angenehm. Leider Gottes mussten sie langsam aber sicher nach einer Lösung suchen – die Jungs konnten nicht ewig bei Jiraiya leben. Manchmal überlegten sie sich, ins HQ zurückzugehen. Aber die Riots waren unberechenbar und wer wusste schon, ob Hinata nicht vielleicht doch noch seinen Standort preisgeben würde. Es war zu gefährlich.

Sie wrang den Lappen aus und versorgte ihn mit dem Eimer und den Besen in der Kammer unter der Treppe, wo Jiraiya nebst Putzsachen noch allerlei Gerümpel verstaut hatte.

Gelüftet war inzwischen auch genug. Doch als sie ans Fenster trat, um es zu schliessen, schreckte sie zurück.

«Hi.» Vor dem Fenster stand ein blonder junger Mann und musterte sie eingehend. Sakura kannte ihn, doch konnte sie ihn gerade nicht einordnen. Es dauerte einige Sekunden, bis ihr sein Name einfiel – Tomcat.

Was hätte sie tun sollen? Das Fenster zuschlagen? Nach Kiba und Shino rufen? Was auch immer es war, Sakura war nicht im Stande dazu. Wie erstarrt stand sie da. Das letzte Mal hatte sie diesen schrecklichen Menschen am alten Güterbahnhof gesehen, wo er anschliessend mit Hinata und Crow verschwunden war.

«Seid ihr Kuramas immer so unhöflich?» Er sah belustigt aus. Sein Gesicht hatte wirklich etwas von einer Katze. Aber er sah fies und hinterhältig aus. Er trug ein Hemd, sein Haar war mit Gel perfekt in Form gebracht. So überhaupt nicht wie ein Gangjunge. Hübsch war er ja, aber diese kalten Augen neutralisierten das ganz schnell wieder. In seinem linken Ohrläppchen glänzte ein Ohrstecker.

«Was willst du hier?», brachte sie hervor. Ruhe bewahren. Jetzt kam es ganz darauf an, wie sie reagierte.

«Ach, nur überprüfen ob es Cuties Freundin an nichts fehlt.»

Der Verweis auf Hinata machte sie sauer, aber das ziemlich sicher auch der Grund gewesen, warum er es überhaupt gesagt hatte.

Sie schaute an ihm vorbei. Es war niemand von seinen Leuten zu sehen. Aber das musste nichts heissen.

«Ich bin alleine da, keine Sorge. Nicht, dass dir noch Sorgen machen musst, Cherry Blossom.» Sie mochte nicht, wie er sprach. Er klang oberflächlich nett, aber unter dieser Freundlichkeit lauerte etwas so Bedrohliches. Sie verstand nicht, wie Mädchen das mögen konnten.

«Was auch immer du vorhast, meine Leute können jeden Moment durch die Tür dahinten kommen und dann hast du Pech gehabt.» Es klang nicht halb so selbstsicher, wie sie es gerne gehabt hätte.

«Ach, auch okay.»

«Und jetzt verschwinde bitte.»

Er grinste. «Warum habe ich das Gefühl, dass du mich nicht magst?»

Sie verstand seinen Sarkasmus natürlich bestens. Aber wenn er schon hier war konnte sie ihm ja auch gleich ihre Meinung sagen. «Was soll der Mist eigentlich, den ihr hier in Konoha anstellt? Habt ihr wirklich das Gefühl damit irgendetwas ausser Zerstörung bewirken zu können?»

Er lächelte spöttisch. «Genau so habe ich mir dich vorgestellt. Kleines Mädchen, ich weiss, dass du am liebsten den absoluten Weltfrieden und Harmonie zwischen allem und jedem herstellen möchtest. Ich zerstöre deine Hoffnungen und Träume ja nur ungern, aber Menschen sind Arschlöcher. Wenn man etwas will, muss man es sich holen. Es wird einem hier nichts geschenkt, das solltest du eigentlich wissen. Und egal wie viele Menschen du mit deinem friedlichen Protest im Fernsehen etwas milder stimmen kannst, Konohas Regierung will die Gangs, die Strassenkinder und Landstreicher ganz einfach nicht. Wie Mörder, die ihre Leichen vergraben haben und nun Gefahr laufen, dass irgendwer sie findet. Du willst die Leichen ausgraben, nicht wahr, Cherry Blossom?»

Sein Blick war stechend. Dieser junge Mann hatte eine seltsam einschüchternde Aura.

«Nun, ich sag dir jetzt eins: Wir wollen die Leichen nicht ausgraben – wir sind die Leichen. Und wir schlagen jetzt zurück.»

«Ihr beweist ihnen damit doch nur, was sie schon lange glauben! Ihrer Ansicht nach sind Gangs rücksichtslos und zu allem bereit. Und genau diesem Bild entsprecht ihr!» Wie konnte man nur so ignorant sein?

Jetzt lachte er. «Du bist ein Gutmensch, ich sehe das schon. Aber lass mich zu dem Grund kommen, warum ich wirklich hier bin: Du kennst Momochi? Klar kennst du Momochi. Wir haben ihn gelinkt. Dachte, dass er alles zu seinen Gunsten drehen könne. Jedenfalls hast du Verbindungen zum Fernsehen oder?»

Sie tat nichts dergleichen und schaute ihn nur durchdringen an, in der Hoffnung, aus ihm schlau zu werden.

«Wie wäre es, süsse Cherry Blossom, wenn du ihn auffliegen lässt? Erzähl der ganzen Welt, dass er mit uns zusammengespannt hat.»

«Und warum sollte ich tun, was du mir sagst?» Das war vollkommen absurd. Er wollte verpfiffen werden?

«Überlege es dir gut, Cherry. Eigentlich wolltest du es doch schon die ganze Zeit preisgeben, nicht wahr? Du könntest Demon und Fox entlasten, wenn rauskommt, dass sie nicht die Kindesentführer waren.»

«Macht doch keinen Sinn, wenn du mich um sowas bittest», sie schüttelte den Kopf. «Das würde ja dann euch belasten. Was sollte euch das bringen?»

Er lachte schon wieder dieses amüsierte, herablassende Lachen. «Wir sind so oder so bereits belastet. Aber uns würde das etwas nützen. Momochi hasst uns, wie du dir vielleicht denken kannst. Eine solche Theorie würde das gesamte Polizeidepartement durchrütteln Würde es euch nicht auch helfen, wenn Momochi abgesetzt würde?»

«Unsere Leader werden nicht einfach freigelassen werden, egal ob nun Momochi oder sonst wer an der Spitze steht.»

«Hast du Momochi schon einmal erlebt, Sakura?»

Es irritierte sie, wie er plötzlich so ernst war und sie auch noch mit ihrem richtigen Namen ansprach. Jeglicher Spott war aus seinem Gesicht gewichen.

«Der Typ hat einen Dachschaden. Er ist auf dem Weg an die Spitze Konohas. Wie er das Departement führt hat etwas von einer Diktatur. Er arbeitet wie wild daran, dass er seinen Kopf durchsetzen kann. Weisst du was er will? Er will die Genehmigung kriegen, die Gangs einfach abknallen zu dürfen. Und bekommt er diese Genehmigung, dann wird er allerlei Gründe finden, wahllos Gangmitglieder zu erschiessen, eine Begründung wird er dafür immer finden. Du weisst, dass die Regierung korrupt ist, Sakura. Aber du weisst nicht wie abgrundtief verdorben Momochi und seine Leute sind. Sakamoto übrigens auch, du kennst ihn ja.»

Was er sagte, traf sie. Momochi war ein schrecklicher Mensch, das wusste sie. Aber wenn Tomcat das so sagte, ein Mensch, der ihrer Meinung nach selber schrecklich war, dann musste es ernst sein.

«Ich sage nicht, dass wir ihn vollends stürzen können, aber wir können seinen Sockel ins Wackeln bringen. Wenn du es tust, Cherry Blossom, dann werden wir das unterstützen. Wir werden nichts abstreiten.»

«Warum sollte ich dir glauben?», fragte sie ihn. «Ich meine, ihr seid schuld an all dem Mist, der hier passiert. Ich sehe nicht gerade viele Gründe dafür, warum ich euch unterstützen sollte. »

Er zuckte mit den Schultern. Der Spott war zurück. «Denk darüber nach, Cherry Blossom. Denk einfach drüber nach. Momochis Umsturz wird längst von anderen Polizisten geplant. Aber es benötigt etwas, was die Sache ins Rollen bringt. Und du hast die Chance dazu.»

Er grinste wieder. «Wenn du allerdings irgendetwas tust, was den Jaguar Riots sonst irgendwie schadet, dann kriegen wir dich und du wirst es bereuen. Versprochen, meine Süsse.»

Er verbeugte sich spielerisch und wandte sich von ihr ab.

«Warum machst du das, Tomcat? Du bist doch gar kein Strassenkind.»

Er hielt inne. «Bist du denn eines?»

«Nein. Aber du bist nicht unbedingt die Person, von der man erwarten würde, dass sie einer Gang angehört?»

«Warum? Weil meine Alten ‘ne Villa in der Sunside haben? Weil ich auf Elite-Schulen gegangen bin? Weil ich Geld habe?» Er lachte trocken. «Man kann auf verschiedene Arten ein beschissenes Leben haben, Cherry Blossom. Das solltest du wissen. Gleichgesinnte müssen nicht unbedingt den gleichen Hintergrund haben.»

Und damit verschwand er in der Dunkelheit.

Für einen Moment konnte sie sich nicht rühren. Was war denn das jetzt gewesen?

Kiba und Shino erzählte sie natürlich sofort von der Begebenheit, was vor allem Kiba fuchsteufelswild machte. «Beim nächsten Mal schreist du einfach so laut du kannst, okay?! Mann, die sind ja echt überall!»

Sie erzählte ihnen auch von Tomcats zwielichtiger Bitte.

«Das müssen wir mit Shika besprechen, Cherry. Der weiss bestimmt, was zu tun ist.»

 

«Wie stehen Sie zu den aktuellen Ereignissen in der Stadt, Mr. Uchiha?»

Schon als Naomi Ito heute das Gesprächszimmer betreten hatte war ihm aufgefallen, dass sie unruhig war. Ansonsten war sie immer aufmerksam und locker, aber heute spielte sie mit ihrem Kugelschreiber herum und fand keine Sitzposition, die ihr bequem schien.

«Ich kann dazu nur sagen, was ich immer gesagt habe: Wenn die Stadt Ruhe von den Gangs will, dann haben sie die Falschen verhaftet.»

«Es kümmert Sie nicht?»

«Natürlich mache ich mir meine Gedanken. Aber meine Leute sind nicht involviert und ich bin hier. Es ist nicht unser Kampf.»

Sie nickte nachdenklich. «Nun, da kann ich Ihnen nicht widersprechen.»

«Warum sind Sie so unkonzentriert?», fragte Sasuke direkt. Es war ungewohnt, dass er derjenige war, der Fragen stellte.

Ertappt hob sie den Kopf. «Tut mir leid. Ich bin schon etwas zu lange auf den Beinen heute.»

«Warum denn?»

Sie musterte ihn. Wahrscheinlich überlegte sie sich, was sie gegenüber einem Gefangenen der Strafvollzugsanstalt über sich preisgeben durfte.

«Es gab Krawalle ganz in der Nähe meines Apartments. Es war vielleicht drei Uhr nachts, aber seitdem bin ich wach.»

«Dann sollten Sie besser nach Hause gehen. Es ist ja schon fast Abend», meinte er.

Sie lächelte. «Nein, nein, wir machen da jetzt noch weiter. Haben Sie von der Sendung gehört, die vor kurzer Zeit ausgestrahlt wurde?»

«Ich habe sie sogar gesehen.»

«Ich muss sagen, da hat das Team ganz schöne Arbeit geleistet. In der Zeitung wurde der Sache trotz der Aufruhr viel Platz gelassen. Kennst du die Beiden? Die, deren Geschichten porträtiert wurden?»

Er nickte. «Ja, beide. Wobei ich sie besser kenne als ihn. Ist kompliziert.»

«Ist er aus der anderen Gang?»

«Richtig.»

«Okay. Nun, dann würde ich gerne noch etwas Anderes ansprechen, bevor wir hier fertig sind. Haben Sie das Gefühl, Fortschritte gemacht zu haben?»

Er mochte Naomi. Wirklich. Aber diese Fragerei nach Zielen und Fortschritten waren für ihn kompletter Unsinn. Wie soll man denn im Knast Fortschritte machen? Naomi Ito sprach immer von Aggressionsmanagement und «sich zurückhalten können». Ja, er wusste, er war zu impulsiv, zu aggressiv und ein Psychiater hätte bei ihm sowieso ohne zu zögern einen kompletten Dachschaden diagnostiziert.

Ihm fehlte es an Motivation, an diesen «Zielen» zu arbeiten, denn was brachte ihm das? Nun, er würde Sakura vielleicht nie mehr wehtun, wenn er sich zusammenreissen konnte. Ja, das war ein guter Grund. Das sehr überzeugende Gegenargument war jedoch folgendes: Er würde sowieso noch eine ganze Weile im Knast sitzen bleiben. Und Sakuras Zukunft würde ohne ihn stattfinden. Warum sollte er es überhaupt versuchen?

«Ich probiere es», brummte er, konnte aber nur halbherzig zu dieser Antwort stehen. Das entging Naomi natürlich nicht.

«Möchten Sie denn, dass es besser wird?»

«Ganz ehrlich? Im Moment kann ich mich nicht dazu aufraffen. Aber es wird schon wieder.»

«Was würden Sie denn jetzt gerade gerne machen?»

Er schüttelte den Kopf. «Vieles. Aber nichts davon spielt sich hinter diesen Mauern ab.»

Naomi wirkte nicht nur müde. Sie wirkte auch so, als wüsste sie selber nicht mehr weiter und das war noch nie vorgekommen.

Sasuke tat es leid – sie wollte wirklich nur das Beste für ihn, daran zweifelte er nicht. «Sorry, Miss Ito», murmelte er. «Vielleicht klappt es übermorgen besser. Im Moment kriege ich es nicht hin.»

Überrascht hob sie den Kopf. «Ach, ich wollte nicht, dass Sie sich schlecht fühlen, Sasuke. Es liegt nicht an Ihnen, dass ich gerade etwas unpässlich bin. Diese Stadt und all diese krummen Dinge gehen mir im Moment sehr auf die Nerven.»

«Kann ich Ihnen nicht verübeln.»

Sie seufzte. «Ist es in Ordnung, wenn wir es trotzdem bei dem belassen? Ich denke nicht, dass wir heute noch weiterkommen.»

Er war natürlich einverstanden. Sie erhoben sich und als Naomi ihm wie gewohnt die Hand schüttelte meinte sie noch: «Da fällt mir ein: Am Freitag wird auf KCTV wieder zum Thema diskutiert. Sie haben Polizeichef Momochi und noch einige andere eingeladen. Darunter auch das Mädchen, welches schon in der letzten Sendung gesprochen hat. Kennst du sie?»

Er nickte. Und wie er sie kannte. «Danke, für die Info. Ich werde es mir auf jeden Fall ansehen.»

 

Momochi sah noch schlimmer aus, als sie ihn aus Fernsehen und Zeitung in Erinnerung hatte. Er war ein wahrer Muskelberg, sein Gesicht war aber in keinster Weise bullig oder breit, sondern scharfkantig und schlank. Sein Blick war absolut furchteinflössend. Es war kein böser Blick, dafür aber ein eiskalter. So emotionslos aussehen konnte nicht einmal Sasuke. Wenn dieser Sakamoto also schon schlimm war, dann war Momochi eine wesentliche Steigerung.

In einer Minute würden sie auf Sendung gehen. Beim letzten Mal war sie nervös gewesen, aber heute fühlte sie sich, als könnte sie jeden Moment explodieren. Was hatte sie sich da nur wieder eingebrockt. Zwei Tage nach dem Gespräch mit Tomcat hatte Haruka sie angerufen und wieder in eine Sendung eingeladen. Als ob ihr das Schicksal zu verstehen geben wollte, dass sie wieder etwas tun musste.

Sie war das mit Shikamaru durchgegangen. «Wenn du bereit bist, die möglichen Konsequenzen zu tragen, Sakura… dann werde ich dir dabei nicht im Weg stehen. Der Boss würde mich dafür umbringen, das weiss ich. Aber du bist klug und gut im Reden, deshalb überlasse ich dir diese Entscheidung. Denn ich weiss nicht mehr weiter und wenn das unsere Chance ist und du bereit dazu bist… dann tu es», hatte er gesagt.

Während also das Gespräch begann und wieder dieses und jenes über die Gangs und den derzeitigen Umgang mit der Problematik diskutiert wurde. Aufmerksam hörte sie zu, gab dort Antwort, wo sie gefragt wurde.

Momochi wirkte ihr gegenüber neutral, jedoch spürte sie unter der Oberfläche seine offensichtliche Abneigung und das noch viel stärker als bei Sakamoto. Haruka führte das Gespräch gekonnt wie eh und je und irgendwann gelangten sie dann auch an den Punkt an, dem sie auf die Riots zu sprechen kam.

«Ich weiss, Sie haben in der Presse schon öfters Stellung dazu genommen, Mr. Momochi. Trotzdem möchte ich sie für das Verständnis unserer Zuschauer noch einmal fragen: Wie konnte es dazu kommen, dass die Jaguar Riots derart die Überhand gewinnen konnten?»

Momochi liess sich nicht anmerken, wie sehr er diese Frage satt hatte.

«Nun, die Jaguar Riots waren bis vor dieser Zeit mit einer Zahl von etwa siebzig Personen unterwegs, auf diese waren wir eingestellt. Von der enormen Mobilisation im Untergrund wusste niemand. Zudem…», er wies mit der Hand auf Sakura, «... hat uns Miss Haruno dies doch bereits im vorgängigen Gespräch erläutert: Gangs arbeiten strategisch. Es handelt sich dabei oft nicht um simple Mobs, die man leicht zurückdrängen kann. Sie kennen die Stadt wie ihre Westentasche, haben eine Vielzahl an Schlupflöchern. Unseren Officers ist es zusätzlich nicht erlaubt, einfach zu schiessen. Um die Dienstwaffe zücken und benutzen zu können, müssen bestimmte Sachverhalte gegeben sein. Ich bin ganz ehrlich mit ihnen: Diese Restriktionen lassen uns nur wenig Möglichkeiten übrig.»

Er will die Genehmigung, wahllos auf Gangmitglieder schiessen zu können, schossen Sakura Tomcats Worte durch den Kopf. Er wollte die Freiheit, willkürlich Menschen abzuknallen, ohne bestraft zu werden.

«Wie sollen wir eine wilde Meute aufhalten, wenn wir nicht all unsere Geschütze auffahren können? Mit Wasserwerfern kommt man nicht allzu weit, wenn der Gegner im Besitz von Waffen ist. Im Moment arbeiten wir auch intensiv mit Gummischrot und versuchen, mehr Militär aufzubieten. Wir nutzen die gegebenen Möglichkeiten voll aus.» Er sah zu Haruka. «Wir können nicht mehr tun, als es bereits der Fall ist.»

«Sie sagen, dass die Gangs die Strassen wie ihre Westentasche kennen. Vielleicht gäbe es eine Möglichkeit, mithilfe von den anderen Gangs an genauere Informationen zu kommen?» Inoue stellte diese Aussage ganz locker in den Raum. Deshalb wurde ihr auch erst nach einigem Nachdenken bewusst, was das bedeuten würde – die Polizei würde mit den Gangs kooperieren.

«Ich halte das für keine besonders gute Idee. Auch die Kurama Foxes und die Taka Snakes sind der Polizei nicht wohlgesinnt. Ich zweifle daran, dass eine Kooperation möglich wäre.»

Da musste Sakura Momochi sogar Recht geben. Nichtsdestotrotz überraschte sie Inoue mit diesem Einfall.

«Nun, ich frage mich bei dem ganzen nur, wie wir jemals weiterkommen sollen? Hier findet ein konstantes Gegeneinander statt. Ist der eine Gegner aus dem Weg geräumt, kommt der nächste an die Reihe. Ist unser Endziel denn nicht, dass in dieser Stadt wieder Ruhe und Ordnung herrscht? Warum zu stolz sein, um zu kooperieren? Vielleicht ist das hier und jetzt der Moment, endlich diese Feindbilder abzulegen.»

Sakura hatte Inoue aufmerksam zugehört. Und er hatte Recht. Wenn sie zusammenarbeiten würden, gäbe es Möglichkeiten, endlich miteinander zu reden.

«Ich finde, dass an der Idee etwas dran ist, Mr. Inoue», sagte sie. «Jedoch kann ich mir nicht vorstellen, dass sich die Kuramas oder Takas darauf einlassen würden. Geben sie sich als Gangmitglieder zu erkennen, werden sie einen gerichtlichen Prozess zu befürchten haben. Es wäre, als würden sie sich selber vor ein Auto werfen.»

«Nichts als rechtmässig wäre das», fügte Momochi an und in Sakura stieg Wut auf. Aber sie musste sich jetzt kontrollieren.

«Finden Sie?», fragte ihn Sakura direkt.

Er nickte voller Überzeugung. War das der Moment, um die Bombe platzen zu lassen?

«Absolut. Die Gangs haben gegen das Gesetz verstossen und unschuldige Leute in ihre Machenschaften mit reingezogen. Sich dafür zu verantworten wäre das Mindeste.»

Es war soweit. Definitiv. Die Doppelmoral dieses Mannes machte sie wahnsinnig. Und deshalb tat sie es, auch wenn es sie ihren Kopf kosten konnte. Aber sie hatte genug.

«Sie sprechen von Verantwortung und von Gesetzesbrüchen. Deshalb möchte ich Sie jetzt etwas fragen, Mr. Momochi: Warum haben Sie mit den Jaguar Riots zusammengearbeitet, um die Leader der Kuramas und Takas zu schnappen?»

Sie fragte das nicht vorwurfsvoll, sondern liess es wie eine ehrliche Frage klingen. Als ob jeder Zuschauer über Momochis Machenschaften Bescheid wüsste.

Schlagartig verstummte die Runde und das Publikum gleich mit dazu. Konohas Blicke ruhten auf ihr und Momochi. Im Studio hätte man eine Nadel zu Boden fallen hören können.

«Was haben Sie gesagt?», fragte Momochi. Seine Stimme wirkte bedrohlich, aber er blieb nach wie vor ruhig.

Sakura kostete es all ihre Kraft, besonnen zu bleiben. «Warum Sie mit den Jaguar Riots zusammengearbeitet haben.» Sie richtete sich an die gesamte Runde. «Das mag vielleicht für Sie sehr unwahrscheinlich klingen, aber die Jaguar Riots haben die beiden Kinder verschleppt. Die Kinder, wegen derer Entführung Sasuke Uchiha und Naruto Uzumaki unter anderem im Gefängnis sitzen. Es waren nicht die Kuramas und nicht die Takas. Es waren die Riots. An jenem Abend hat die Polizei mit den Riots kooperiert, einer Gang, die zwei Kinder gewaltsam ihren Eltern entrissen und misshandelt hat.»

Nun war die Katze aus dem Sack. Wahrscheinlich würde sie jetzt wegen Rufschädigung angezeigt werden. Es war ihr egal. Die Wahrheit war es wert gewesen.

Nach einer Pause voller betretenem Schweigen richtete sich Momochi auf. Sein stechender Blick hätte sie getötet, wenn das möglich gewesen wäre.

«Ich muss schon sagen, dass ich Ihre Anschuldigungen eine Unverschämtheit finde, Miss Haruno. Natürlich würden Sie alles in ihrer Macht Stehende tun, um Ihre Freunde zu entlasten. Aber dass sie zu solchen Mitteln greifen zeigt nur, aus welchem Lager sie kommen. Ich habe sie für schlauer gehalten.»

Haruka schien das erste Mal in ihrer Karriere überfordert zu sein. «Nun vielleicht sollten wir…»

«Nein, Miss Ichinose, das interessiert mich jetzt», meinte Inoue. «Wie kommen Sie dazu, Miss Haruno?» Er klang nicht irgendwie misstrauisch, sondern neugierig.

«Viele andere haben es gesehen. Aber weil es sich um Gangs handelt, glaubt ihnen natürlich niemand.».»

«Warum sollte die Gang, mit der ich zusammengearbeitet haben soll, nun gegen uns kämpfen?»

«Weil sie sie unterschätzt haben. Ganz einfach. Ich sage es gerne noch einmal, Gangs arbeiten strategisch, Mr. Momochi. Sie haben mich vorhin doch so schön zitiert. Und damit haben sie nicht gerechnet. Aber die Riots sind nicht einfach eine Gang, die überleben will. Sie streben viel grössere Dinge an, von denen Sie sich fürchten sollten. Und wenn das nicht gestoppt werden kann, wird das für Konoha böse enden.»

«Haben Sie Beweise für Ihre Anschuldigungen? Ansonsten wird Ihnen diese Rufschädigung teuer zu stehen kommen, Miss.»

«Nur Augenzeugen, die sich hier aber nicht melden werden, weil Sie sonst weggesperrt werden. Mir geht es einzig und allein darum, dass Konoha hört, was wirklich los ist. Verklagen Sie mich, es spielt für mich keine Rolle mehr.»

«Dann wissen Sie ja, was auf sie zukommt», meinte Momochi kühl.

«Ich denke, dass wir die Sendung hier abbrechen müssen», meinte Haruka. Mit dieser Stimmung würden sie nirgendwo mehr hinkommen.

«Moment!», ertönte es plötzlich aus dem Publikum. Sakura suchte nach der Person und entdeckte tatsächlich Kakashi Hatake. Was machte er denn hier? Ihn hatte sie bestimmt seit Monaten nicht mehr gesehen.

Es war der Augenblick, in dem Momochi unruhig wurde. Haruka wies ein Helfer an, Hatake ein Mikrofon zu reichen.

«Möchten Sie etwas dazu beitragen?»

Hatake nickte. «Ich bin heute als Sicherheitsbeauftragter für unseren Polizeichef da. Seit seiner Einsetzung ins Amt arbeite ich in seinem engeren Kreis.»

Momochi hielt sich nicht dafür, etwas zu sagen, hätte ihn das doch nur verdächtiger gemacht.

«Ich habe lange geschwiegen, aber ich denke, dass es Zeit ist, diesen Wahnsinn zu beenden. Was Miss Haruno gesagt hat, ist wahr. Die Polizei unter Momochi hat mit den Riots in kriminellen Machenschaften kooperiert, jedoch waren sie uns schon damals zehn Schritte voraus.»

Das Publikum kam kaum mehr mit und sass nur noch mit offenen Mündern da.

«Hatake, was redest du da für einen Unsinn?», fragte Momochi.

«Du hast keine Chance mehr, Chief. Andere werden auch aussagen, jetzt, da ich es getan habe. Ich bin nicht der Einzige, der genug hat. Im Kampf da draussen sind viele unserer Kollegen involviert und bald werden wir selbst es sein. Mr. Inoue und Miss Haruno haben recht. Es ist genug. Zeit, das Problem neu anzugehen.»

Und damit endete die Übertragung.

 

Fast die gesamte Bewohnerschaft des Blocks sass im Aufenthaltsraum mit offenem Mund vor dem einen Fernseher. Sogar die Wärter konnten es nicht lassen einen Blick auf den Bildschirm zu erhaschen.

«Hat dieses kleine Mädchen gerade den Polizeichef angeschwärzt?», fragte Makoto, der Steuerhinterzieher. «Ich meine, das sieht schlecht für ihn aus.»

«Der kann einpacken», brummte Ryo, ein mehrfacher Drogenschmuggler. «So schnell kann es gehen.»

«Und ihr kennt die, Big Fox?», fragte Makoto.

Naruto nickte stolz. «Kommt aus unserer Ecke.»

Die anderen klopften ihm lobend auf die Schulter.

Sasuke hörte nur mit halbem Ohr zu. Er liess in seinen Gedanken noch einmal das ganze Gespräch Revue passieren. Und selbst nach dem dritten Versuch konnte er es immer noch nicht fassen. Dass sie den Mut dazu aufgebracht hatte… ihr waren die möglichen Konsequenzen von dieser Aussage bewusst gewesen und trotzdem hatte sie es getan. Und Hatakes Anwesenheit, war der beste Zufall gewesen, den er seit langer Zeit erlebt hatte.

Er wusste nicht warum, aber er spürte sein Herz wie wild gegen seinen Brustkorb hämmern. Seine Hand glitt ins eine Hosentasche zu dem zerfledderten Brief. Er würde ihn heute noch einige Male durchlesen, das wusste er. Auch wenn er ihn schon beinahe auswendig konnte.

 

«Da hast du dir aber wirklich die Richtige ausgesucht, Tomcat!», rief Crow anerkennend seinem Second-in-Command zu. «Momochi wurde gerade eben der Boden unter den Füssen weggezogen. Aber mit Hatake hast du nicht gerechnet, was?»

«Hätte nicht gedacht, dass ihr der Zufall so in die Hände spielen würde», meinte dieser und nippte an einem Glas Champagner. «Ich habe ja gehofft, dass ihr keiner glauben würde. Hätte trotzdem genug Verwirrung gestiftet und sie wäre weg vom Fenster gewesen. Wie geht es jetzt weiter?»

Crow zuckte mit den Schultern. «Wir nutzen die Gunst der Stunde. Was gerade passiert ist, wird vermutlich auch den Kuramas zu Gute kommen, mit ein wenig Glück nicht allzu sehr.»

«Was dieser andere vorgeschlagen hat käme uns ganz schön in die Quere, oder?», fragte Miranda.

Crow erhob sich. «Das kann ich nicht abstreiten.»

Er ging zu Hinata und nahm sie bei der Hand, sie folgte ihm ohne zu zögern nach oben.

«Dir scheint das alles nicht besonders zu gefallen, oder?», fragte er. Crow hatte eine beeindruckende Beobachtungsgabe. Es war, als hätte er immer alles und jeden im Blick, ohne dass man nur die leiseste Spur davon mitbekam.

«Ich möchte nicht, dass Zivilisten verletzt werden. Das hier geht schon zu lange, Ayato. Dieses Blutbad ist unerträglich.»

Ayatos Miene blieb ausdruckslos. «Manchmal muss etwas Schlimmes geschehen, damit sich etwas ändert. Die Zustände in dieser Stadt können so nicht mehr weitergehen. Und mit Diplomatie kommt man gegen Korruption nicht an. Glaubst du, mir macht es Spass, zuzusehen wie meine Leute sterben? Sicher nicht. Aber sie haben sich dazu bereiterklärt. Ich zwinge niemanden in den Kampf, das weisst du, Hinata.»

«Ja. Und trotzdem fällt es mir schwer, in all dem den eigentlichen Sinn im Auge zu behalten.»

Er nickte. «Das verstehe ich. Ich kann dir nur eins sagen: Die Steine wurden ins Rollen gebracht. Etwas wird sich etwas ändern. Nur gibt es verschiedene Wege, wie das passieren kann.»

Sie drückte seine Hand und rief sich das in Erinnerung, was ihr immer half: Das hier hatte alles einen Sinn. Auch wenn er jetzt noch nicht ersichtlich war.

 

Die Sache schlug Wellen, hohe Wellen. Zabuza Momochi wurde sofort in Untersuchungshaft genommen. Der Fall musste neu aufgerollt werden. Das sollte die Gefängnisstrafe der Jungs wenigstens ein bisschen verkürzen. Die beiden würden bestimmt wieder aussagen müssen und dieses Mal wurde der Prozess nicht mit von Momochi ausgewählten Richtern durchgeführt.

Die Riots fuhren indes alle Geschütze auf und deshalb konnte sich Sakura nicht über den Erfolg mit Momochi freuen. Sie fühlte sich, als hätte sie damit Öl ins Feuer gegossen, auch wenn sie es nicht bereute. Aber in ihrem Kopf hörte sie immer und immer wieder diese Stimme, die ihr in Erinnerung rief, dass sie damit den Riots geholfen hatte.

Weder die Kuramas noch die Takas waren wütend auf sie, im Gegenteil. Und trotzdem fühlte sie sich schlecht.

Die Situation in Konoha spitzte sich zu und aufgrund des Durcheinanders im Polizeidepartement zu. Parallel zu den Kämpfen lief nun Momochis Prozess und die Wahl seines Ersatzes – möglicherweise gelangten sie vom Regen in die Traufe, wenn zum Beispiel jemand wie Sakamoto gewählt würde.

Die Zustände in den Strassen waren prekär, die Leute verängstigt, die Polizei am Anschlag. Sakura kam es wie ein präapokalyptisches Szenario vor, die Furcht der Leute war in der Stadt deutlich zu spüren. Konoha, der summende Bienenstock, war verstummt. Schulen mussten Transporte mit Bussen für ihre Schüler organisieren und das in einer Stadt mit einem der besten öffentlichen Verkehrssysteme im Land. Viele Arbeitnehmer, die es sich leisten konnten nahmen unbezahlten Urlaub oder fuhren an den Wochenenden weg, damit sie ausserhalb der Gefahrenzone waren. Viele Immobilienbüros bekamen Anfragen für Umzüge aus der Stadt hinaus.

Es sah so aus, als kämen die Riots ihrem Ziel näher. Sakura hätte nie für möglich gehalten, dass sie zu einer solch starken Macht werden würden. Doch Polizei und Militär waren überfordert, so viel hatte sie erkannt.

Eine Woche nach dem Gespräch, am Freitag, war Sakura im Toad’s und half Sai, die Bar zu schmeissen. Jiraiya hatte einen Arzttermin und die anderen Jungs waren unterwegs. Es war nicht viel los, kurz nach Mittag sassen nur einige Strassenarbeiter und zwei weitere Herren an den Tischen. Der Fernseher lief und Sakura trocknete gerade Gläser ab, während Sai eine der Kaffeemaschinen reinigte. Seit einiger Zeit verfolgte sie die Nachrichten aufmerksam, da sie auch immer noch auf die Prozessergebnisse von Momochi warteten. Sai füllte in dieser Zeit die Getränkeschubladen auf und brachte das Leergut in den Hinterhof. Gerade, als er wieder zurückkam, wurden Nachrichten gesendet. Sie waren nicht die Einzigen, deren Blicke nun interessiert zu dem Bildschirm wanderten.

KCTV sendete ausserhalb der normalen Nachrichtenzeiten, das kam in letzter Zeit andauernd vor.

Doch dieses Mal war es nicht wegen einem erneuten Überfall oder einem neuen Schlagabtausch der Riots und der Polizei. Nein, dieses Mal wurde der Downtownt Square gezeigt. Draussen war das Wetter schlecht, es regnete seit zwei Tagen, nachdem sie eine durchgehend warme und sonnige Woche verbracht hatten. Und trotz des Regenfalls waren auf dem Platz Menschen versammelt. Es waren nicht nur ein paar Fussgänger, so wie es an normalen Tagen in normalen Zeiten der Fall gewesen wäre. Nein, der Platz war voll mit Leuten, es mussten an die Zweihundert sein. Sie hielten Schilder hoch – eine Demonstration.

Nun wurden Nahaufnahmen von den Schildern gezeigt. Darauf zu sehen waren Slogans wie «Wenn ihr nicht mehr könnt, lasst euch helfen!», «Kooperation statt Resignation», «Die Gangs können helfen». Das auffälligste Banner war eine, auf dem mit grossen blauen Lettern «Free the Gangs!» geschrieben stand.

Sakura konnte zuerst nicht richtig glauben, was hier geschrieben stand. Wollen diese Leute tatsächlich die Kooperation mit den Gangs?! Konnte es sein, dass Mr. Inoue nicht der Einzige war, der diese Idee gut fand?

Reporter vor Ort interviewten die Demonstranten, es waren allesamt Zivilisten. Ein Reporter fragte eine Frau in ihren Dreissigern, warum sie die Kooperation mit Gangs vorschlugen.

«In Konoha geht alles den Bach runter. Ich bin überzeugt, dass die Kurama Foxes und Taka Snakes uns helfen würden, diese Riots zurückzudrängen, wenn der Staat endlich aufhört, sie wie Untermenschen zu behandeln. Diese jungen Menschen haben Fähigkeiten und man sollte sie nutzen und fördern, anstatt sie einfach zu unterdrücken.»

Ein Mann neben der Frau meldete sich zu Wort. «Die Gangs haben auch viele schlechte Sachen gemacht, das ist so. Aber wir befinden uns hier in einer Sackgasse und es wird Zeit, einander mehr zuzuhören und Chancen zu geben. Ich glaube nicht daran, dass all diese jungen Menschen einfach böse sind. Es wurde ja oft genug gesagt, dass sie gerade wegen dem schlechten System auf die schiefe Bahn gelangt sind. Deshalb haben wir eine Bitte: Lasst euch helfen und redet miteinander. Gangs kennen Gangs – ich denke, sie sind unsere beste Chance!»

Sakura war sprachlos. Sai neben ihr erging es genau gleich. Es passierte etwas, etwas Grosses. Und sie waren nicht die Einzigen, die von dieser Aufforderung mitbekamen. In den nächsten Tagen blieben die Aktivisten dabei und standen jeden Tag auf dem Downtown Square, um ihre Botschaft an eine breite Masse zu bringen. Die Zeitungen berichteten, im Internet war davon zu lesen. Auf Socialmedia-Plattformen wie Twitter, Facebook und Instagram erschienen Videos, Botschaften, Stellungnahmen, alle unter #freethegangs.

Nach vier Tagen schien es den Riots jedoch zu reichen.

Es war Dienstag und Sakura verbrachte ihre Zeit damit, sich an Jiraiyas Computer Prospekte von Hochschulen und ihren verschiedenen Studiengängen anzusehen, wobei sie wirklich sagen musste, dass sich ihre Begeisterung überall in Grenzen hielt. Fast jede Schule hatte für die interessanteren Studiengänge aufwändige Zulassungsverfahren und überall sah sie nur eines: Lernen, lernen, lernen. Wie sie es im Moment satthatte, zu lernen.

Jedenfalls wurde ihre Recherche von Shikamaru unterbrochen, welcher für seine Verhältnisse ziemlich aufgeregt ins Büro stürmte.

«Die Riots sind auf dem Square und bedrohen die Demonstranten», schoss es aus ihm heraus. Ich habe gerade mit Pain telefoniert, wir treten in Aktion.»

Nun, das kam wirklich überraschend.

«Wir wollen den Leuten zeigen, dass die Demonstranten recht haben. Dass wir ein Interesse daran haben, dass die Riots verschwinden und wieder Ruhe einkehrt. Kommst du mit?»

«Wird es ein Battle geben?»

Shikamaru zuckte mit den Schultern. «Kaum. Wir werden das friedlich zu regeln versuchen, nehmen aber sicher Waffen mit.»

«Und wenn die Polizei…»

«Wir haben beschlossen, dass wir es riskieren müssen. Wenn wir uns immer verstecken, werden wir nichts erreichen.»

Da hatte er Recht. Es wurde Zeit. Und das war die Gelegenheit.

Im Hinterhof hatten sie bereits die Jungs versammelt, allesamt zogen sie sich Tücher über Mund und Nase, damit man sie nicht erkannte. Kiba streckte ihr ein schwarzes Bandana hin. «Willst du auch?»

Sakura schüttelte den Kopf. «Nein. Mich kennt man schon nur wegen der Haare. Das bringt nichts, mach vielleicht sogar eher einen falschen Eindruck, aber danke.»

«Alles klar.»

Es war warm, trotzdem sah es nach einem Sommergewitter aus. Am Himmel sammelten sich schwarze Wolken. Sakura schwang sich wie gewohnt hinter Kiba auf seine Maschine.

«Die anderen werden zu uns stossen, dazu konnten wir noch etwa zehn Outers mobilisieren. Dasselbe gilt für die Takas. Damit sind wir in der Überzahl. Die Riots haben nicht allzu viele geschickt, da sie nicht mit uns rechnen», informierte Shikamaru. «Bereit?»

 

Sie erreichten den Square eine Viertelstunde später, die anderen Kuramas waren bereits fast alle zu ihnen gestossen. Natürlich machten die Leute nicht schlecht Augen, als sie nach dieser langen Pause wieder Kuramas in dieser Zahl zu Gesicht bekamen, doch die Reaktionen waren anders, als sie es noch vor einem halben Jahr gewesen wären. Erleichterung zeigte sich in den Gesichtern der Aktivisten. Viele schienen grosse Angst zu haben, das war aber auch kein Wunder.

Die Riots schauten ganz schön dumm aus der Wäsche. Die Aktivisten hatten ihren Protest auch nach Androhungen nicht aufgegeben und den Riots war der Kragen kurz vorm Platzen. Sakura konnte sich schon ausrechnen, dass sie die Aktivisten gerne möglichst friedlich zum Gehen gebracht hätten, doch das hatte nicht geklappt. Sie hatten ihre Waffen bereit und würden bald mit roher Gewalt ihren Kopf durchzusetzen versuchen, sie kamen also gerade richtig.

Nun hatten sie sich kreisförmig um die Demonstranten aufgestellt, damit niemand abhauen konnte und die Kuramas positionierten sich so, dass möglichst jeder der Riots ein Kurama-Gegenüber hatte. Falls sie auf dumme Ideen kamen, konnte man so eingreifen.

Shikamaru hielt auf dem Square an und rief laut: «Zeit zu gehen, Riots! Lasst diese Leute in Ruhe!»

«Und warum sollten wir? Wir haben nur ein Interesse und zwar, dass diese Leute hier verschwinden. Und ihr solltet euch auch schleunigst wieder in eurer Loch verkriechen.»

Er packte eine junge Frau aus der Gruppe und hielt ihr sein Messer an die Kehle. Die Frau konnte vor lauter Panik nicht einmal aufschreien. Dafür zitterte sie am ganzen Körper.

«Lass sie auf der Stelle los», meinte Shikamaru ruhig.

Der Riot lachte. «Und was willst du tun?»

Shikamaru zuckte mit den Schultern. «Ich? Ich tue gar nichts.»

Im nächsten Moment bohrte sich ein Messer in den Oberarm des Riot und Temari, Gaara und Neji kamen auf ihren Maschinen angeschossen. Das Messer stammte von Tenten, die zu Fuss angerannt kam, da es vom Motorrad aus schwer war, so einen sauberen Wurf hinzulegen.

Der Riot stöhnte und der Kreis ihrer Feinde schloss sich enger um die Aktivisten.

«Wir haben all diese Geiseln, die könnt ihr nicht alle retten.»

Shikamaru grinste. So hatte sie ihn schon lange nicht mehr gesehen. «Lass mich zählen: Ihr seid an die vierzig. Wir sind fast dreissig und mit diesen Menschen sind wir über zweihundert. Ich denke, das sollte reichen.»

«Wenn sich einer von euch rührt», zischte der anscheinende Anführer dieser Mission in Richtung der Leute, «werden wir feuern und zwar willkürlich, verstanden?!»

Kiba schüttelte den Kopf. «Crow hat echt nicht mit uns gerechnet. Sonst hätte er das Kommando nicht einem solchen Vollidioten gegeben.»

In diesem Moment löste sich ein Kind aus der grossen Gruppe. Unter den Leuten waren vermutlich nicht nur Aktivisten, sondern auch Unbeteiligte. Die Mutter des Kindes schrie auf, als es voller Panik über den Square davonlaufen wollte und ein Riot den Lauf seines Gewehres auf den kleinen Jungen richtete. «Du kommst mir nicht davon!»

Sakura war so erschrocken, dass sie das Geräusch von nahenden Motorrädern überhörte. Bevor der Riot abgedrückt hatte, war ein Motorrad in Sichtweite gekommen. Der Fahrer packte den Jungen im Vorbeifahren. Ehe der Riot es sich versah, schossen zwanzig weitere Motorräder auf den Platz und umzingelten nun mit ihnen die Riots – die Takas waren da.

«Wurde auch Zeit», brummte Shikamaru.

Es war Deidara, der den kleinen, verängstigten Jungen auf dem Arm hatte und nun von seinem Motorrad stieg. Der Junge klammerte sich richtiggehend an ihm fest und Deidara tätschelte ihm etwas hilflos den Kopf. Er blieb mit dem Kind in sicherer Entfernung stehen.

«So, genug mit dem Scheiss jetzt», brüllte Hidan genervt. «Haut endlich ab und wenn ihr ein Problem habt, dann soll euer feiger Leader kommen.»

«Hidan, beruhige dich», brummte Pain. Die Demonstranten schauten alle ziemlich verwirrt aus, in einer Mischung aus Angst und Ungläubigkeit. Und Pain zog mit seinen Piercings natürlich einige Blicke auf sich. Neben ihm stand Konan, etwas weiterhinten erkannte sie Suigetsu, Karin und die restliche Taka- Innerschaft, mit einigen Outers. Tayuya und Saara waren auch dabei, aber besonders Erstere versuchte sie einfach zu ignorieren.

«Geht und es passiert nichts», sagte Pain ruhig.

Die Riots sahen sich an. Sie waren in dieser Kombination eindeutig am kürzeren Hebel. Ober ihnen ertönte ohrenbetäubendes Donnergrollen, der Himmel war inzwischen richtig dunkelgrau.

Ohne weitere Worte rappelten sie sich auf, sprangen auf ihre Maschinen und verliessen so schnell es ging den Platz. Zurück blieben Kuramas und Takas.

Deidara stieg von seiner Maschine, das verängstigte Kind klammerte sich immer noch an ihn, weshalb er es zu seiner Mutter zurücktrug. Diese fiel ihm vor Dankbarkeit um den Hals, worauf Deidara ziemlich perplex aus der Wäsche schaute. Sakura musste sich das Lachen verkneifen.

«Ist die Polizei unterwegs?», fragte Shika einen der Demonstranten, dieser nickte. «Irgendjemand wird sie verständigt haben und wenn nicht, werden sie trotzdem in Kürze hier sein. Sowas entgeht ihnen bestimmt nicht.»

«Gut, dann nichts wie weg!», meinte Shikamaru zu den anderen.

«Vielen Dank!», ertönte es von vielen Leuten.

Eine Frau trat hervor, es war diejenige, die auch im Fernsehen interviewt worden war. «Wärt ihr bereit, zu kooperieren, wenn man euch lässt?», fragte sie ganz direkt. «Würdet ihr mit der Polizei gegen diese Riots vorgehen?»

Shikamaru drehte sich um und schien zu überlegen. «Da brauchen wir aber einen guten Deal. Wir haben auch keine Lust mehr auf das Theater mit den Riots, aber die Polizei will uns nicht auf freiem Fuss sehen. Deshalb könnte das schwierig werden.»

Die Frau lächelte. «Das reicht uns schon. Wir wollen erreichen, dass man euch noch eine Chance gibt. Gibt es in euren Reihen eine Kontaktperson?»

Sakura trat hervor. Das war nun ihr Job. «Das wäre dann wohl ich.»

Ein Raunen ging durch die Leute, erst jetzt bemerkten sie Sakura und schienen sie auch sogleich als die «Gang-Sprecherin» einordnen zu können.

Sie schrieb ihre Handynummer auf ein Stück Papier auf einem Klemmbrett, welches die Frau ihr reichte. «Falls Sie es irgendwann so weit bringen, hören wir uns ein allfälliger Vorschlag der Polizei gerne an.»

«Danke!», die Leute lächelten sie freundlich an. Es schien, als befanden sich die Ansichten von Konohas Zivilbevölkerung im Wandel. Einige Jungs schauten ganz verlegen zu Boden, Dankbarkeit und Wertschätzung waren sie sich überhaupt nicht gewohnt.

«Wir haben zu danken», meinte Sakura. Sie spürte die ersten Regentropfen auf ihrer Haut. Aus der Ferne waren nun Polizeisirenen zu hören.

Und so schnell wie sie gekommen waren, so schnell waren sie auch schon wieder weg.

Sakura hatte ein gutes Gefühl. Sie waren auf einem Weg. Ob es der richtige war, wusste sie noch nicht. Aber das spielte keine Rolle. Etwas tat sich.

 

Die Aufnahmen des Szenarios waren von schlechter Qualität und mit Handykameras aufgenommen worden. Jedoch erkannten Naruto und Sasuke genug, um ihre Leute ausmachen zu können, die die Riots von dem Platz vertrieben.

Für Sasuke war es schön zu wissen, dass seine Gang auch ohne ihn zurechtkam. Nicht, dass er daran gezweifelt hätte.

Er glaubte allerdings nicht an den Erfolg von einer Kooperation mit der Polizei. Das klang vielleicht etwas schwarzmalerisch, aber er konnte sich kaum einen neuen Polizeipräsidenten vorstellen, der es gut mit den Gangs meinte. Schön wäre es, aber utopisch. So viel Glück konnten sie nicht haben.

Sakura war heute auch auf dem Square gewesen. Wie es ihr wohl ging? In letzter Zeit wünschte er sich immer mehr, sie noch einmal sehen zu können. Es waren mehr als zwei Monate vergangen und es machte ihn verrückt, sie nicht sehen zu können. Er hatte Angst, Details zu vergessen. Die feinen, fast nicht sichtbaren Sommersprossen auf ihrer Nase zum Beispiel. Oder ihre Augenbrauen, die ihre Mimik immer so süss untermalten. Ihre schmalen Handgelenke, die er so leicht mit seinen Händen umfassen konnte. Selbst ihre Fingernägel, an denen sie beim Denken immer herumkaute. Er wollte nichts an ihr vergessen.

Das klang so verdammt dämlich, wenn er sich das genau überlegte. Er hatte Rührseligkeiten und Kitsch nie gemocht. Aber irgendwie kamen ihm in letzter Zeit andauernd solche Gedanken. Er hatte in diesem Gefängnis zu viel Zeit zum Denken, obwohl sie andauernd an irgendwelchen Aktivitäten teilnehmen mussten. Vorbereitung zur Reintegration. Was für ein Witz. Reintegriert würde er noch lange nicht werden.

Aber er machte brav mit. Er wollte nicht mehr rebellieren. Genau genommen wusste er überhaupt nicht mehr, was er wollte. Naomi sagte, dass das ein Prozess sei, der durch dieses «kritische Lebensereignis», also die Einweisung in die Strafvollzugsanstalt, hervorgerufen worden sei. Nun mache er sich Gedanken, was er wirklich wolle.

Seine Meinung nach war es dafür aber zu spät. Was brachte es ihm jetzt noch, wenn er das herausfand?

Beinahe hätte er den Fernseher ausgeschaltet, doch anscheinend gab es noch etwas, was sie interessieren könnte.

«…der Wahl des Polizeipräsidiums. Vor zehn Minuten wurden die Resultate bekannt gegeben. Wir haben nun einen neuen Präsidenten, sein Name ist Chief Kakashi Hatake. Er war unter anderem an der Aufklärung von Zabuza Momochis Gesetzesbrüchen beteiligt. Hatake wird bereits ab morgen in sein Amt eingewiesen werden. Laut eigenen Aussagen, aufgrund derer er unter anderem gewählt wurde, wird er so bald als möglich mit neuer Strategie an die Problematik in Konoha herangehen. Wir sind gespannt.»

Sasuke musste sich verhört haben. Hatake?!

«Ich fass es nicht», hörte er Naruto unter sich. «Das ist ja der Wahnsinn!»

Sasuke fasste sich ungläubig an den Kopf. Er nahm zurück, was er vorhin gedacht hatte. Man konnte Glück haben. Und ja, vielleicht konnte eine Kooperation mit Hatake gelingen.

 

Jubel, lauter Jubel um sie herum. Sakura musste lachen. Es war zu schön um wahr zu sein. Kakashi war Polizeipräsident. In ihrer scheinbar ausweglosen Situation gab es plötzlich wieder ein Lichtblick – kein Verrückter mehr an der Macht. Vielleicht war er bereit, den Gangs eine Chance zu geben, sich zu beweisen. Kakashi war immer korrekt gewesen, wenn es um wichtige Dinge ging, bei den Gangs hatte er ab und an ein Auge zugedrückt, solange sie es untereinander geregelt hatten. Aber sie zweifelte nicht daran, dass er ein gerechter und guter Präsident werden würde.

Vielleicht war das ein Anfang. Vielleicht gab es tatsächlich noch eine Chance für sie.

No Risk - No Win

Eine Woche war seit der Bekanntmachung vergangen.  Momochi machte man den Prozess. Laut den Medien sagten er und sein Anwalt wiederholt aus, dass Momochi durch die Kooperation mit den Riots nur Schlimmeres hatte verhindern wollen. Schlussendlich seien dadurch die zwei Leader gefangen genommen worden und die Kuramas und Takas von der Bildfläche verschwunden. Seine Chancen standen allerdings schlecht, da seine eigenen Leute gegen ihn aussagten.

Unterdessen übernahm Kakashi das Ruder und mit seiner neuen Strategie liess er nicht lange auf sich warten. Sakura kam gerade vom Einkaufen, als das Telefon ging und Tsunade den Hörer abnahm.

«Bitte wer?!», hörte Sakura sie aus dem Wohnzimmer sagen. «Ach so ist das… okay… mhm… ich werde sie Ihnen gleich geben. Einen Moment bitte.»

Sakura war bereits von ihrem Schreibtisch aufgestanden. Gerade war sie an ihrem Laptop neue Medienmitteilungen zu Momochis Verbleib und den Gangs durchgegangen.

«Wer ist es?», fragte sie. Tsunade stand die Überraschung nach wie vor ins Gesicht geschrieben.

«Hatake», antwortete ihre Tante nur mit grossen Augen.

Okay. Hatake. Das war absolut verrückt. Da hing also der oberste Polizeichef an ihrer Leitung. Klar, sie kannte Hatake ein wenig aus der Zeit, als er mit Sarutobi und Mitarashi ein hundsgewöhnlicher Cop gewesen war. Der Stand der Dinge hatte sich inzwischen aber ziemlich drastisch geändert.

Automatisch griff sie nach dem Hörer. «Sakura Haruno?»

«Kakashi Hatake hier.»

«Guten Tag», stammelte sie. «Wie kann ich Ihnen helfen?»

«Nun, zuerst einmal, keine Sorge, Sie haben nichts verbrochen.» Er klang sehr nett und hatte ihre Nervosität natürlich bemerkt. «Wie Sie wissen, befindet sich Konoha nicht gerade in seiner besten Zeit. Ich gebe hier offen und ehrlich zu, dass wir gegen Jaguar Riots im Moment alt aussehen. Sie wachsen in der Zahl und kennen jeden Winkel dieser Stadt – kurz gesagt sind sie uns immer zehn Schritte voraus. Wir wollen das ändern, jedoch sehen wir dazu nur wenig Möglichkeiten. Wir möchten die Opferzahl durch eine gut gewählte Vorgehensweise auf beiden Seiten möglichst geringhalten. Bisher konnten wir nur mit den uns möglichen Mitteln arbeiten und da die Riots eine sehr aggressive Taktik verfolgen können wir uns nur wehren. Und dabei entstehen die vielen Opfer. Wenn wir an der Strategie nichts ändern, wird das so weitergehen und wer weiss, was die Riots in Kauf nehmen, um zu gewinnen? Ich will nicht, dass wieder Zivilisten involviert werden.»

Er machte eine Pause. Sakura hatte aufmerksam zugehört und ahnte schon, worauf das hinauslaufen würde.

«Miss Haruno, Sie wissen, ich habe lange Zeit Erfahrungen mit den Gangs gemacht. Ich kenne sie besser, als andere Polizisten und verstehe sie daher auch besser. Ich weiss, warum ihr tut, was ihr tut. Und ich will dazu beitragen, dass die Gangdebatte anders angegangen wird. Und deshalb werde ich Ihnen jetzt ein Vorschlag machen.»

«Ich höre», meinte sie und merkte, wie ihre Hand zitterte.

«Kooperation. Ich denke, das Wort ist in der ganzen Angelegenheit schon öfters gefallen. Die Leute fordern es, spätestens seit dem Zwischenfall auf dem Square und wir denken, dass das die Möglichkeit sein könnte. Wenn sich die Kuramas und die Takas dazu bereiterklären würden, mit uns gegen die Riots vorzugehen, haben wir die bestmögliche Chance. Natürlich würde es nicht so laufen, dass wir euch alleine an die Front schicken. Ihr würdet quasi unsere Teams unterstützen, wenn nicht sogar führen. Ihr würdet an der Planung desgesamten Vorgehens teilhaben und von unseren Leuten vollkommen unterstützt werden. Dazu wollen wir Sanitäter immerzu in Bereitschaft haben. Es wären zwei Mächte gegen eine.»

Er atmete tief durch. «Ich weiss, das klingt sehr utopisch und schwierig. Dass die Gangs nicht unbedingt gut auf die Polizei zu sprechen sind, tut sein Übriges. Ich bin bereit, zu verhandeln, denn angesichts der Lage haben wir keine Wahl mehr. Was meinen Sie dazu?»

Sakura war ganz schön perplex. Der hiesige Polizeichef wünschte sich eine Kooperation zwischen ihm und den Gangs. Himmel.

«Ich denke, dass ich Ihren Vorschlag zuerst mit den Gangs besprechen muss, Chief. Ich kann nicht für sie Entscheidungen treffen. Und sie haben gesagt, wir dürfen gewisse Kriterien stellen, falls es soweit käme?»

«Ja. Das können Sie ihren Leuten sagen. Wir sind ihnen nicht böse gesinnt, das verspreche ich.»

Sakura nickte. «Dann werde ich Rücksprache nehmen.»

 

«Waaaaaaas?», rutschte es Konohamaru übertrieben laut heraus, als sie sich alle am Sonntagvormittag im geschlossenen Toad’s trafen. Sakura hatte den gesamten Inner zusammengetrommelt, Taka und Kurama und da Konohamaru derzeit wie Tenten bei Temari, Gaara unc Chiyo wohnte, war er natürlich auch mit von der Partie. Er gehörte eigentlich so gut wie dazu, auch wenn Naruto da bestimmt seine Einwände gehabt hätte.

Auch die anderen zeigten eine ähnlich grosse Mischung aus Überraschung und Misstrauen in ihren Gesichtern.

«Genau so hat Hatake es mir gesagt. Es liegt bei uns.»

«Ich finde es ja interessant, dass er uns Forderungen stellen lässt», meinte Shikamaru. «Ich meine ganz ehrlich, das ist eine Chance oder nicht?»

«Wollte ihr allen Ernstes der Polizei helfen?» Zetsu schüttelte entschieden den Kopf. «Die haben uns lange genug gejagt und jetzt kommen sie nicht mehr klar und brauchen unsere Hilfe. Erbärmlich ist das.»

«Hast ja schon Recht», meinte Pain. «Aber ich denke es kann nicht schaden, wenn wir einmal Vor- und Nachteile der Sache anschauen. Wir wollen die Riots loswerden, sind aber alleine nicht stark genug. Sie lassen uns Forderungen stellen – vielleicht könnten wir die Leader so mindestens für eine bestimmte Zeit raushauen.»

Shikamaru nickte. «Sehe ich auch so. Denn wenn wir es machen, dann nicht ohne Fox und Demon.»

Sakura zuckte unwillkürlich zusammen. Soweit hatte sie ja noch gar nicht gedacht!

«Die Forderungen müssten einfach realistisch sein.»

«Ich muss ja schon sagen, dass ich der Sache nicht traue», mischte sich Karin ein. «Die könnten uns zusammentrommeln, allesamt festnehmen und weg wären wir. Nur weil Hatake uns Gangs ab und zu hat davonkommen lassen heisst das nicht, dass er als Polizeichef nun ein Messias ist.»

Sie erntete zustimmendes Gemurmel.

«Nun, ich weiss, dass es nicht viel zählt, aber er klang am Telefon echt nicht gerade happy», meinte Sakura. «Der hat auch einen Ruf zu verlieren und die Stadt hofft so auf ihn. Und alleine gegen die Riots kommen sie ja tatsächlich nicht an oder? Ich meine, warum sollte er uns dann alle wegsperren?»

«Vielleicht auch erst, nachdem ein paar von uns draufgegangen und die Riots hinter Schloss und Riegel sind», meinte Karin zynisch.

«Es wäre ein Risiko, das wir eingehen müssten. Meint ihr nicht, es wäre sinnvoll sich einmal mit ihm zu treffen?», meinte Shino.

«Das ist mir eine zu grosse Gefahr. Je nachdem ist es wirklich eine Falle», lehnte Shika sofort ab.

Schweigen. Der innere Konflikt, der jeder gerade mit sich selber ausfocht, war deutlich zu spüren.

«Und wenn ich es mache? Ihr schreibt mir auf, was ihr wollt und ich bringe es zu Hatake? Mir kann er ja nicht wirklich etwas tun, oder?», fragte sie geradeaus in die Runde. Das würde ihr eine Heidenangst machen, klar. Aber für die Gangs würde sie es tun.

«Big Fox würde mir den Kopf abreissen», brummte Shikamaru. «Dich alleine dorthin schicken… nee.»

«Sie können mir nichts tun, Shika. Und es ist nichts Verbindliches. Wenn uns ihr Vorschlag nicht passt, können wir es in den Wind schiessen oder sie müssen uns einen besseren machen. Du könntest ja telefonisch dabei sein oder so?»

Er seufzte. «Wer hier im Raum wäre denn überhaupt bereit, sich wieder in Schlachten zu stürzen?»

«Hell yeah, wenn es gegen die Riots ist, sofort!», rief Deidara aus einer Ecke hervor. «Ich meine, wir wollen sie ja auch forthaben, dann ist wieder Ruhe!»

«Moment», sagte Pain. «Wenn wir diese Kooperation eingehen, werden die Dinge vielleicht nie mehr so sein, wie sie es waren, das wisst ihr?»

Kurz war es ruhig, doch dann durchbrach Konan die Stille. «Es ist doch schon jetzt nichts mehr so, wie es einmal war, oder?»

Sakura hörte eine tiefe Traurigkeit aus ihrer Stimme heraus. Arme Konan. Manchmal vergass sie, dass Itachi ihr Freund gewesen war. Es musste immer noch höllisch schmerzen. Über so etwas kam man nicht in einem halben Jahr weg.

«Die Frage ist, was haben wir zu verlieren?»

«Unsere Freiheit», brummte Kisame und strich sich durch die blauen Haarsträhnen. «Mal ehrlich, die wollen uns als Kanonenfutter. Zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen.»

«Demon und Fox haben ihre Freiheit schon eingebüsst. Ihre Haftstrafe wird bestimmt verkürzt werden, nun, da Momochi der Prozess gemacht wird. Vielleicht können wir diese Forderungen wirklich nutzen. Und wenn sie es nicht wollen, können wir uns immer noch zurückziehen.»

«Ganz ehrlich? Lasst Cherry hingehen!», rief Hidan aus der Ecke. «Auch, wenn sie nicht so aussieht, die Kleine ist taff!»

Wow, danke Hidan, dachte Sakura und musste grinsen.

«Ich finde es irgendwie feige, sie alleine gehen zu lassen. Ich meine, wir sind doch keine Angsthasen», meinte Kiba nachdenklich.

«Na, dann geh doch mit, wenn du willst. Du wirst ja dann eingebuchtet», meinte Zetsu, nach wie vor eher destruktiv.

«Klar, mache ich. Ich meine, was macht denn das für ein Bild, einfach ein Mädchen loszuschicken, dass dann verhandelt?» Kiba lehnte sich scheinbar entspannt zurück, jedoch wusste Sakura, dass er sich fürchtete. Die Freiheit war etwas vom Kostbarsten im Leben eines Gangmitgliedes.

«Also die Vizes sollten nicht mit», meinte Deidara. «Das wäre ziemlich dumm. Aber wenn ihr eine Vertretung von den Takas braucht, dann opfere ich mich heldenhaft auf. Sonst kommen wir nie weiter.»

Sein übertrieben dramatischer Tonfall nahm der Lage ein wenig den Ernst und das war gut. Sakura war überrascht, dass er diesen Schritt tun wollte. Ganz ehrlich, von ihm hätte sie diese Ritterlichkeit nicht erwartet.

«Wer ist dafür, dass Womanizer, Dog und Cherry das durchziehen?»

Es waren etwa zwei Drittel der Leute, die dafür stimmten. Die anderen fügten sich aber der Mehrheitsmeinung, wie sie es sich gewohnt waren.

«Gut. Dann lasst uns unsere Bedingungen aufsetzten. Und du, Cherry, rufst den Chief an, okay?»

Sie nickte, seltsam aufgeregt. Aber auf eine gute Art. Sie spürte, dass sie das Richtige taten.

 

Hatake klang äusserst erfreut und schlug vor, das Treffen auf neutralem Grund abzuhalten. Man wählte dazu ein schickes Nobelrestaurant in der Downtown, welches für dieses Treffen gänzlich geräumt werden würde. Es wurde Montag um 19 Uhr vereinbart.

«Muss ich mich da jetzt auch noch in Schale werfen?» Deidara sah aus, als bereue er seine Entscheidung schon. Nachdenklich sah er an sich runter. «Das Schickste, was ich bieten kann, ist eine Jeans mit nur zwei Rissen und ein schwarzes Shirt ohne Aufdruck.»

Sakura schüttelte den Kopf. «Ich denke, das reicht. Vielleicht Totenköpfe und Ähnliches vermeiden, aber ihr könnt doch euch selbst sein.»

«Gut. Ich hätte keine Ahnung, woher ich auf die Schnelle ein Hemd herkriegen sollte», meinte er erleichtert.

«Ach, so ein Hemd würde dir aber super stehen, Deidei!», rief Hotaru fröhlich zu ihm herüber und er verdrehte die Augen. «Caramelle, mir steht grundsätzlich alles gut. Aber Hemden passen nicht zu meinem… Image.»

«Irgendwann wirst du eines anziehen müssen», meinte Hotaru überzeugt. «Irgendwann.»

Er grinste und sie grinste zurück.

Sakura ging zurück zu den zusammengeschobenen Tischen, wo die Forderungen der Gangs festgelegt wurden.

Sakura, Kiba und Deidara hörten sich das Ganze an und machten aus, wie sie am nächsten Tag vorgehen wollten. Die Spannung stieg und Sakura fragte sich, ob sie da das richtige taten. Aber dann dachte sie an Sasuke und Naruto und das reichte, um sie wieder mutig zu stimmen. Vielleicht würde sie die beiden bald wiedersehen, wenn sie nun alles richtigmachten und sich trauten.

Am Montagabend um 19.00 schien die Abendsonne gar heiter auf sie hinunter, als der schwarze Banden-Suzuki der Kuramas in einer Seitenstrasse nahe des «Plaza» hielt. Pain fuhr den Wagen und Konan sass auf dem Beifahrersitz.

«Alles klar?», fragte sie mit einem prüfenden Blick auf den Rücksitz, wo sich Sakura, Kiba und Deidara befanden.

«Klarer könnte es nicht sein. Habt uns das ja genug oft vorgekaut», meinte Deidara.

«Und wenn ihr zweifelt - lehnt lieber ab», ermahnte Pain zum gefühlt hundertsten Mal.

«Verstanden. Dann gehen wir jetzt. Drückt uns die Daumen.»

Sakura trug eine weisse Bluse, eine dunkelblaue Jeans und ein schwarzer Blazer, den ihr Ino geliehen hatte. Ihre Freundin hatte darauf bestanden, sie zurechtmachen zu dürfen. Da durfte auch ein dezent-professionelles Make-Up und eine Hochsteckfrisur nicht fehlen. Sakura wollte eigentlich nicht wie eine Business-Lady wirken, aber irgendwie kam sie sich so vor. Deidara und Kiba waren beide in schwarz angetreten und trugen Sonnenbrillen, damit sie niemand erkannte. Besonders Deidara war durch die Amateurvideos von der Sache auf dem Downtown Square inzwischen schon fast eine kleine Berühmtheit und mit seiner blonden Mähne auch beinahe unverkennbar. Hätten die Jungs jetzt noch Anzüge getragen, hätte man sie glatt für die Mafia halten können.

Das «Plaza» hatte eine automatische Glastür, die sich vor ihnen wie das Tor zu einer fremden Welt öffnete. Schon von aussen war das zweistöckige Restaurant ein Hingucker. Die Glaswände im Untergeschoss liessen den Blick auf die Einrichtung frei. Tische mit schneeweissen Tischtüchern, die bis zum Boden reichten, weisse, schwere Seidenvorhänge an den Fenstern, mit schwarzem Samt gepolsterte Stühle. An der hinteren Wand stand ein Bartresen aus schwarzem Marmor, mit goldenen Fussleisten und Handläufen. Dahinter war ein breiter Spiegel angebracht, links und rechts davon waren Tablare in die Wand eingearbeitet, auf denen nur der teuerste Alkohol stand. Brandy, Scotch, Gin, Rum.

Das Licht brannte, nur auf dem Gang, der zur mit Teppich ausgelegten Treppe nach oben führte.

Sie wurden an dem kleinen Tisch, auf dem das Reservationsbuch lag, von einem herausgeputzten Kellner begrüsst und nach oben geführt. Hier waren die Fenster ebenfalls riesig jedoch hatte man die Vorhänge zugezogen. Die Deckenlampen tauchten den Raum in angenehm warmes Licht.

Auch hier befand sich eine solche Nobel-Bar, wie sie sie unten gesehen hatten. Die drei kamen aus dem Staunen und dem Kopfschütteln kaum mehr heraus. Am Ende des Raumes war ein Tisch bereitgemacht. Daran sassen nur drei Leute, wie Hatake es ihr versprochen hatte. Drei Plätze ihnen gegenüber waren frei für sie.

Förmlich begrüssten sie Kakashi Hatake, der seine rechte und seine linke Hand mitgebracht hatte. Zu ihrer Überraschung waren es Anko Mitarashi und Asuma Sarutobi. Die beiden waren zwar schon so lange aus ihrer Gangvergangenheit raus, sie aber hier zu sehen war wirklich eine Überraschung.

Sakura spürte, wie viel Hatake daransetzte, dass sie ihm vertrauten.

«Danke, dass ihr gekommen seid», meinte er, als sie sich setzten.

«Tja, nur weil Sie Anko hergebracht haben heisst das noch nicht, dass wir euch trauen», meinte Deidara geradehinaus und Sakura hätte ihm am liebsten den Mund zugehalten.

«Das ist mir sehr wohl bewusst», meinte Hatake ruhig. Der Kellner stellte sich neben die drei.

«Bestellt, was ihr wollt. Es geht auf uns.»

Deidara bestellte ohne mit der Wimper zu zucken einen teuren Scotch, Sakura und Kiba beliessen es bei Wasser.

«Daran könnte ich mich gewöhnen.» Deidara grinste vor sich hin und nahm einen Schluck des teuren Getränks.

«Nun, ihr wisst, warum ihr hier seid. Das hier ist kein Hinterhalt, ich hoffe, ihr habt das verstanden. Wir wollen verhandeln.»

Sakura nickte. «Deswegen sind wir hier.»

«Gut. Wenn das in Ordnung ist würde ich gerne noch einmal die Details erläutern. Es geht um eine Kooperation zwischen der Polizei und den Takas und Kuramas. Dabei soll gemeinsam ein Plan aufgestellt werden. Unser Vorhaben wurde von der städtischen Regierung gutgeheissen, es handelt sich also um nichts Illegales. Es handelt sich jedoch um einen Pakt, der nicht nach aussen getragen werden sollte, denn was wir vorhaben ist nach Gesetz eigentlich nicht erlaubt. Jedenfalls würden euch kugelsichere Westen, Funkgeräte und weitere benötigte Mittel zur Verfügung gestellt. Über Waffen lässt sich reden, obwohl ich weiss, dass ihr da bestens versorgt seid. Das Ganze sollte mit mobilen Sanitätstrupps erfolgen, richtige Sanitätsfahrzeuge und Sanitäter, die zur Verfügung stehen. Das wäre grob unser Vorhaben. Auch wir haben hier einige Bedingungen: Erstens, erfolgen die Hauptkommandos und wichtige Entscheidungen  durch die Polizei. Wir haben das Sagen in der Mission und ihr habt euch daran zu halten. Zweitens wird nicht auf Polizisten geschossen. Das Ziel ist es, gemeinsam die Riots zu bekämpfen und kein weiteres Feuer zu entfachen. Drittens: Ziel ist die Verwundung, nicht die Tötung. Diese darf nur in Notwehr erfolgen. Wir wollen euch nicht als unsere Killermaschinen missbrauchen. Diese Bedingungen müsst ihr im Fall eines Zustandekommens des Vertrages unterzeichnen.»

Das klang nicht besonders anspruchsvoll. Zeigte nur wieder, wie wichtig der Polizei diese Kooperation war.

«Nun gehe ich davon aus, dass Sie auch Bedingungen stellen möchten?»

Sakura nickte und nahm das Blatt Papier hervor, auf dem Shikamaru fein säuberlich jeden Punkt notiert hatte. «Wir würden eine Kooperation grundsätzlich sehr begrüssen. Unter folgenden Bedingungen: Wir werden nicht als Kanonenfutter oder wie sie gesagt haben, Killermaschinen missbraucht, um die schmutzige Arbeit zu verrichten. Wir werden von der Polizei mit dem Respekt behandelt, den wir ihnen entgegenbringen werden. Das ist wichtig: Diese Kooperation soll und eine Möglichkeit geben, uns von unseren Vergehen in der Vergangenheit zu befreien. Die Gangmitglieder der Kurama Foxes und der Taka Snakes sind nach dieser Kooperation frei zu gehen, wohin sie wollen. Die Staatsgewalt wird sie nicht in Gewahrsam nehmen dürfen, es sei denn, es werden Vergehen ausserhalb der Kooperation begangen.»

Die drei Polizisten hatten die Augenbrauen hochgezogen und staunten nicht schlecht, doch Sakura war noch nicht fertig. «In der Kooperation werden wir den Hauptkommandos folgen, jedoch benötigen wir, um effektiv zu sein, auch eine gewisse Freiheit untereinander. Wir brauchen eigene Kommandierende, die unsere Formationen leiten. Gangstrategien sind Stärken der Gangs, die Sie im Kampf gegen die Riots dringend brauchen.»

Das schienen sie zu verstehen.

«Und zu guter Letzt: Die Kooperation erfolgt nicht ohne Naruto Uzumaki und Sasuke Uchiha, die in diesem Kampf ebenfalls die Chance erhalten, sich zu beweisen und ihre Haftstrafe zu verkürzen.»

Die Polizisten hatten mit Forderungen gerechnet, jedoch schienen sie trotzdem ein wenig überrascht. Sarutobi führte fleissig Protokoll.

«Ich denke, dass ich Ihnen die ersten Punkte versprechen kann. Ihr zweitletzter Punkt… nun überrascht mich. Es ist natürlich schön, den Willen zur Versöhnung zu sehen. Jedoch weiss ich nicht, ob Sonderfälle dieser Art möglich sind. Nicht, weil ich es nicht wollte. Ich sehe das hier als perfekte Chance, das Dilemma mit den Gangs richtig anzugehen.» Er sah ihnen ehrlich in die Augen.

Sakura nickte. «Das habe ich mir schon gedacht. Aber wenn die Leute unsere Hilfe wollen, müssen sie auch bereit sein, uns eine Chance zu geben. So sehen wir das.»

«Das kann ich nachvollziehen. Ich werde das auf jeden Fall abklären. Was nun Letzteres betrifft», er seufzte. «Ich nehme an, es interessiert Sie zu erfahren, dass die Haftstrafe der beiden Anführer verkürzt und Momochi schuldig gesprochen wurde. Jedoch handelt es sich aufgrund der Führung einer kriminellen Vereinigung trotzdem noch um einige Jahre, die sie absitzen werden müssen. Deshalb kann ich nicht garantieren, dass eine zweckmässige und vorübergehende Freilassung von Sasuke Uchiha und Naruto Uzumaki bewilligt wird. Selbst unter polizeilicher Aufsicht ist das schwierig. Und dass sie ihre Haftstrafe mit ‘guten Taten’ wiedergutmachen, ist genau wie vorhin gesagt eher unrealistisch. Gesetzlich funktioniert das nicht.»

«Gesetzlich funktioniert auch nicht, dass sie Gangs mit Waffen ausstatten, damit die dann eine andere Gang aus dem Weg räumen, oder? Sie beteiligen sich ja indirekt an Gangaktivitäten», meinte Sakura. «Ich meine, sind wir mal ehrlich: Die Regierung ist doch schon längst dabei, Gesetze zu missachten. Wenn Sie das Problem mit unserer Hilfe beheben wollen, dann müssen sie das wieder tun. Denn Gangs sind nun mal gesetzlich nicht anerkannt. Es kommt jetzt ganz darauf an, was Ihre Prioritäten sind.»

«Wir ändern an den Bedingungen nichts», sagte Kiba. «Entweder, es passiert so, oder Sie müssen sich einen anderen Weg überlegen.»

«Sie verlangen viel», sagte er. «Nicht, dass mich das wundert.»

«Das ist uns bewusst. Aber wir sind selber an einem Punkt angelangt, an dem wir auf uns schauen müssen.» Sakura tat es leid. Hatake versuchte wirklich zu tun, was er konnte, doch er befand sich richtiggehend zwischen den Fronten.

«Ich werde Rücksprache nehmen», meinte er gefasst. «Wenn Sie mich entschuldigen.»

Er stand auf und verschwand mit seinen zwei Leuten auf dem Gang. Bis auf zwei Sicherheitsleute waren sie nun alleine im Raum.

«Um jetzt aber mal die wirklich wichtigen Fragen zu stellen: Welche Snobs können es sich leisten, hier zu essen?», fragte Deidara und nahm einen Schluck Scotch. «Da zahlt man bestimmt schon für ein Glas Wasser ‘nen Zwanziger.»

Sakura war beeindruckt, wie wenig ihn die Gesamtsituation aus der Ruhe brachte. Sie selbst hatte es vorhin alle Überwindung gekostet, nicht vor lauter Nervosität auszurasten.

«Mehr als du denkst», meinte sie gedankenverloren.

«Warum denn so ein Gesicht?», fragte er, als er ihre Abwesenheit bemerkte. «Du hast alles richtiggemacht. Richtig gut sogar.»

«Sehe ich auch so», meinte Kiba und klopfte ihr auf die Schulter. «Wir sehen und jetzt einmal an, was rauskommt.»

Hatakes Gespräch dauerte lange. Deidara war kurz davor, sich ein zweites Glas zu bestellen, als er und seine Leute zurückkehrten und sich wieder ihnen gegenüber hinsetzten.

Sein Blick war schwer zu deuten.

«Ich kann Ihnen mitteilen, dass die Forderungen bis jetzt zumindest nicht abgelehnt wurden. Jedoch bedarf die Sache weiterer Aufklärung. Wenn Sie sofort eine Antwort benötigen, dann kann ich leider nichts tun. Sind Sie aber bereit, auf unsere endgültige Entscheidung zu warten, werde ich mich gerne bei Ihnen melden, Miss Haruno.»

Sie wechselte einen vielsagenden Blick mit ihren Begleitern. «Dann warten wir. Wann kann ich einen Anruf von Ihnen erwarten?»

«Bald. Wir werden nicht mehr lange diskutieren. Die Zeit drängt.»

«In Ordnung.» Sie kritzelte ihre Nummer auf den Zettel, der Anko ihr reichte. Kakashis Nummer hatte sie auf einem zweiten notiert, den sie ihr auch hinlegte.

«Herzlichen Dank.» Hatake stand auf und schüttelte ihnen die Hände, bevor sie das Nobelrestaurant, diese völlig andere Welt, verliessen.

Um die Ecke wartete ihr Auto. Jetzt mussten sie Bericht erstatten.

 

Hatakes Bericht liess auf sich warten – die Angelegenheit löste vermutlich einen riesigen Zwiespalt innerhalb der obersten Ränge von Konoha aus.

Währenddessen wüteten die Riots munter weiter und je länger es dauerte, desto mehr gab Sakura ihre Hoffnungen auf. Es war schlicht zu unrealistisch. Sakura taten Konohas Menschen leid, obwohl die Gangs allen Grund dazu gehabt hätten, genüsslich dabei zuzusehen, wie die Stadt immer tiefer im Sumpf versank.

Es war ein Sommer im Ausnahmezustand. In der Stadt war es erstaunlich ruhig geworden, viele Menschen vereisten bei dieser Gelegenheit natürlich sofort, nur weg von dieser Stadt.

Ihr Handy war zu jeder Tages- und Nachtzeit eingeschaltet.

Das Leiden dauerte vier Tage. Sakura glaubte schon gar nicht mehr daran, als sie in der Küche Teig für einen Schokoladenkuchen zusammenmischte. Doch dann klingelte ihr Handy und Hatakes Name leuchtete wie ein Licht im dunklen Tunnel auf dem Display auf.

Sie griff so hastig nach dem Gerät, dass es ihr beinahe wieder aus der Hand fiel. «Sakura Haruno?»

«Hatake hier.»

«Guten Tag.» Sie war gespannt wie ein Bogen. «Haben Sie Neuigkeiten für mich?»

«In der Tat.» Er räusperte sich. «Es war eine lange Debatte und nicht alle sind ein Fan von ihren Ergebnissen. Jedoch wurde festgelegt, dass die Fälle von Sasuke Uchiha und Naruto Uzumaki nach einer allfälligen Kooperation neu aufgerollt werden sollen. Da für den Umgang mit der Problematik ‘Gangs’ im Allgemeinen nach neuen Methoden gesucht wird, kann sich das verschiedenartig auswirken. Ob es nun eine Haftstrafverkürzung, eine Freilassung auf Bewährung oder eine Form von obligatorischer Arbeitsleistung sein wird, ist noch nicht sicher. Um mich klar auszudrücken: Egal, wie sie sich entscheiden, die Strafe für die beiden Anführer wird gelockert, wenn Sie kooperieren. Es wurde also eingewilligt. Was die anderen Gangmitglieder angeht… da wir uns in einer Ausnahmesituation befinden wurde erklärt, dass ihrer Forderung nachgekommen werden soll. Jegliche kriminelle Handlung aus ihrer Vergangenheit, wird zu den Akten gelegt, abgesehen davon, dass es aufgrund fehlender Beweise schwierig werden würde, irgendjemanden auch nur für irgendetwas zu verurteilen. Was jedoch nicht zu vergessen ist: Für jedes unerlaubte Handeln, welches während oder nach dieser Kooperation geschieht, wird der oder die Verantwortliche zur Rechenschaft gezogen. Diese reine Weste gilt nur bis zum Zeitpunkt der beginnenden Kooperation und so lange, wie Sie sich nichts zu Schulden kommen lassen.»

Das waren viele Infos, doch Sakura hatte das wichtigste gehört. Die Kooperation würde stattfinden, soviel war sicher. Sie wären dumm, ja, absolut bescheuert, wenn sie diese Gelegenheit nicht ergreifen würden. Die Gelegenheit, aus Abschaum wieder Menschen zu machen.

«Das klingt vielversprechend. Ich werde mich innerhalb einer Stunde wieder bei Ihnen melden, wenn das für Sie okay ist», sagte sie und Hatake war einverstanden. Kaum hatte sie aufgelegt, suchte sie hastig nach Shikamarus Nummer in ihren Kontakten. Aus Nervosität tippte sie zweimal die falsche Person an.

Sie verspürte Hoffnung nach einer langen Zeit der Dunkelheit.

Nach dem ersten Läuten ging Shikamaru ran. «Cherry?»

«Ich brauche eine Antwort», sagte sie und konnte sich ein erleichtertes Lachen nicht verkneifen. «Es sieht gut aus.»

Shikamaru und die anderen fackelten nicht lange, nach denen sie ihnen die Situation erläutert hatte. Selbst jene, die nicht gerade begeistert davon waren, in ein Battle zu ziehen, erklärten sich bereit, mitzumachen. Es war die einzige Chance, den Anführern zu helfen und damit eigentlich das, was sie sich nun mehr als zwei Monate lang gewünscht hatten.

Die Takas informierten sie telefonisch, auch von ihnen kam schnell eine Zustimmung.

«Wir machen es. Verdammt, ja, wir machen es.» Shikamaru wusste, welche Risiken sie damit eingingen. Aber wenn sie wollten, dass dieser Albtraum endlich ein Ende hatte, dann mussten sie handeln.

Sakura rief Hatake über das Festnetz an, damit sie Shikamaru für allfällige Fragen zu Hand hatte. Er ging sofort ran.

«Hatake?»

«Wir kooperieren», sagte sie. Am anderen Ende der Leitung atmete der Polizeichef hörbar aus.

«Das sind erfreuliche Neuigkeiten. Ich danke Ihnen für Ihre Bemühungen. Nun bleibt mir eine Frage: Ich nehme an, dass Sie ihre Anführer in den Planungsprozess miteinbeziehen wollen?»

Shikamaru bejahte das.

«Ja, das möchten wir.»

«Gut. Stellen Sie bitte in Planungsteam zusammen, wenn möglich nicht mehr als vier Personen. Die JVA stellt Räume für die Planungsbesprechung zur Verfügung. Keine Sorge, sie werden nicht innerhalb der Verwahranstalt selber stattfinden, sondern in einem Aussengebäude. Dort wird dann auch der Vertrag unterzeichnet, den wir für Sie aufgesetzt haben. Das erste Treffen soll bereit morgen Nachmittag um 14 Uhr stattfinden, wenn Sie es bis dann schaffen. Wir geben Ihnen die Adresse, sehen Sie jedoch zu, dass Sie nicht beobachtet werden. Die Riots scheinen ihre Augen überall zu haben.»

Sakura übermittelte Shikamaru sofort die Infos und er notierte sich die Adresse, die Hatake nannte. Er bedankte sich noch einmal, bevor sie das Gespräch beendete.

«Vier Personen dürfen wir mitbringen?»

«Richtig.»

«Dann stehen Pain und ich vermutlich fest. Du möchtest doch sicher auch mit, Cherry, oder nicht?»

Und wie sie das wollte. Nichts hatte sie je so sehr gewollt, wie Sasuke und Naruto wiederzusehen. Und genau deshalb musste sie verneinen. Es gab richtige und falsche Motive und das war das falsche. Denn es handelte sich nicht um ein freudiges Wiedersehen, sondern um ein Planungsgespräch, dass über die Zukunft der Gangs entscheiden würde.

«Nein. Nehmt Leute mit, die euch bei der Planung tatsächlich helfen können. Ich bin keine Strategin und das wisst ihr. Und wenn das alles gut läuft, werden wir uns schon bald alle zusammen wiedersehen.»

«Okay, das klingt sinnvoll. Dann müssen wir uns jetzt mal einige Gedanken machen. Du hörst von uns, Cherry.»
 

Sasuke musterte den dicken Briefumschlag eingehend. Er erkannte weder die Handschrift, noch fiel ihm irgendjemand ein, der ihm einen Brief ins Gefängnis schreiben würde. Er betrachtete den Poststempel, der aber nass geworden zu sein schien. Die Schrift war zu verschwommen, als dass er sie hätte entziffern können.

Er mochte Briefe im Normalfall nicht besonders, weil er nicht wusste, was ihn in diesen Umschlägen erwartete. Nicht, dass er in seinem Leben viele Briefe erhalten hatte. Als Kind hatte er es geliebt, Post zu bekommen, aber jetzt?

Er lehnte den Kopf gegen die Wand. Das Bett über ihm war leer, Big Fox war wieder einmal ausgeflogen. Der Typ war zu kontaktfreudig, als dass er es so lange in seiner Zelle ausgehalten hätte. Er meinte immer, dass «er hier ja auch noch während den Sperrstunden versauern könne».

Sasuke störte das nicht, es war ihm ganz recht, seine Ruhe zu haben. Langsam riss er den Umschlag auf. Er war ziemlich gut gefüllt. So einen dicken Brief hatte er noch nie in seinem Leben bekommen. Er zog seinen Inhalt vorsichtig heraus.

Das erste war ein Papier, auf welchem etwas geschrieben stand. Er faltete es auseinander.

 

Lieber Sasuke

Es ist schon etwas länger her, das wissen wir. Nachdem du in Oto aufgetaucht bist, wurden alte Erinnerungen wach. Und es ist noch viel länger her, dass wir zusammen zur Schule gegangen sind, aber wir erinnern uns an so vieles. Als du unsere Schule damals verlassen hast, hat man uns nicht gesagt, was passiert ist. Wir erfuhren das erst später, als wir in einem Alter waren, in dem man uns das zugemutet hat. Du warst fort und wir lebten weiter, ganz normal. Was für ein Leben du und dein Bruder nach diesem Vorfall hattet, wussten wir nicht.

Dich wiederzusehen hat uns aufgewühlt. Wir haben oft über dich geredet, das geben wir zu. Haben uns unsere Gedanken gemacht. Und wir haben die Nachrichten fleissig verfolgt. Das mit der Kindesentführung zum Beispiel. Wir haben damals mit Ami geredet und sie sagte von Anfang an, dass du und deine Leute das nicht gewesen seid. Und wir wussten, dass sie Recht hatte. Sie hat uns auch noch ein paar andere Sachen erzählt. Nichts allzu Privates, mehr ein wenig von der ganzen Situation mit Gangs in Konoha. Sie sagte, dass sie ohne dein Einverständnis keine weiteren Dinge erzählen würde.

Wir sehen, was da abgeht und wir sehen, was alles falsch läuft. Vor kurzem haben wir auch deine Gang in den Nachrichten gesehen, die sich gegen die andere gestellt hat. Du sagtest, wir seien unterschiedlich und das sind wir zweifellos. Wir leben Leben, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Du hast seither mehr erlebt, als wir alle zusammen. Aber das heisst nicht, dass man sich nicht verstehen kann. Wir jedenfalls, haben einige Nachforschungen angestellt. Die Dachböden unserer Eltern auf den Kopf gestellt, die alten Schul- und Kindergartenmaterialien durchwühlt. Einige dieser Dinge sind hier, in diesem Umschlag. Wir wollten, dass du sie bekommst, damit du siehst, dass du ein Teil von unserer Klasse warst. Und dass du nicht einfach aus Oto verschwunden bist. Dass du Spuren hinterlassen hast, ob es dir nun gefällt oder nicht.

Wir schreiben dir das, weil du ein Recht darauf hast. Du hast es nicht einfach, besonders jetzt nicht. Aber wir denken an dich und drücken alle unsere Daumen, dass sich das Blatt für dich wendet. Wenn du möchtest, darfst du uns schreiben, du muss natürlich nicht. Die Adresse lautet:

 

Noriko Kusanagi

Wiesenweg 5

34632 Otogakure

 

Denk einfach ab und zu daran, dass du Menschen in Oto hast, die dich kennen und dich nicht vergessen haben.

 

Noriko, Inaho, Yui, Rima, Yasuo, Kaito, Suki

 

Sasuke war ganz schön platt. Mit vielem hätte er gerechnet, aber damit? Er erinnerte sich an Oto, als wäre es gestern gewesen und die Gesichter der Sieben hatte er glasklar vor Augen. Allerdings war in letzter Zeit viel passiert und er hatte sehr oft an anderem herumstudiert. Es überraschte ihn, dass sie ein solches Interesse an ihm zeigten. In ihren Augen müsste er doch eigentlich wie ein kompletter Versager dastehen, das war jedenfalls die normale Reaktion von Menschen, wenn sie erfuhren, dass sie es mit einem Gangmitglied und ehemaligen Strassenkind zu tun hatten.

Er wusste nicht, was er denken sollte und das war für ihn sehr beunruhigend, denn eigentlich wusste er das immer. Er war seltsam gerührt von Reaktionen der Oto-Leute und das war nichts, was er kannte. Andererseits wollte er nichts mit ihnen zu tun haben. Menschen mit einer makellosen Bilderbuchbiographie - da gehörte er nicht hin.

Der Entschluss wurde gefällt, dass das warten konnte. Da waren schliesslich immer noch Dinge im Umschlag.

Ein mulmiges Gefühl machte sich in seiner Magengegend breit. Was erwartete ihn da?

Das erste, was er herauszog, war ein alter Stundenplan. Das Blatt musste einmal sonnengelb gewesen sein, jedoch erinnerte ihn die verblichene Farbe inzwischen eher an Vanille. Es war der Stundenplan seiner Klasse aus Otogakure. «1b», stand im Titel und dahinter die Jahrzahlen.

Der Anblick des Stundenplans weckte Erinnerungen. Namen von Lehrern, die er längst vergessen hatte. Erinnerungen an den Unterricht. Das Klassenzimmer, welches er auch letzten April in Oto gesehen hatte, erschien ihm wieder vor Augen und in Gedanken füllte er sie mit den Kinderversionen von seinen Klassenkameraden. Ihm fielen die schönen Kreidezeichnungen an der Tafel ein, die seine Klassenlehrerin, Miss Tachibana, in jedem Quartal mit viel Liebe und passend zum Thema neu gemacht hatte. Sie alle hatten grosse Ehrfurcht vor diesen Zeichenkünsten gehabt.

Zeichnen, Sport, Mathematik. Bei jedem Fach fielen ihm die Gesichter seiner ehemaligen Lehrerinnen und Lehrer ein. Es war so verflucht lange her.

Dann kam eine Klassenliste in demselben verblichenen Gelb. Auch hier stiess er auf Namen, die er längst vergessen hatte. Doch kaum las er die Namen, erschienen deutliche Gesichter vor seinem inneren Auge. Er zählte nach. Genau zwanzig Kinder waren sie gewesen.

Nun zog er eine gefaltete Zeichnung aus dem Umschlag. Auf der Rückseite standen zwei Namen: Inaho & Sasuke U. Das Bild zeigte ein Fussballplatz und Strichmännchen als Spieler, eine grosse, gelbe Sonne am rechts oben und weisse Wolken am Himmel. Er erinnerte sich nicht an die Zeichnung, aber allen Anschein hatte er sie mit Inaho zusammen gemalt.

Was sollte er von alledem halten? Auf der einen Seite wollte er den Umschlag schnellstmöglich loswerden. So viele Erinnerungen, die eigentlich gut gewesen wären. Aber wenn die Geschichte als Ganzes nicht gut ausgeht, dann bringen auch die schönsten Kapitel davon nichts. Andererseits fühlte es sich an, als wären diese Erinnerungsstücke ein Teil von ihm, den man ihm hiermit zurückgegeben hatte. Und deshalb zog er nun den letzten verbleibenden Inhalt aus dem Umschlag. Es waren Fotos in einem schützenden, kleinen Papierumschlag.

Die Bilder waren zu dieser Zeit noch im Fotofachgeschäft entwickelt und auf richtiges Fotopapier gedruckt worden. Das erste war ein Bild von einem dekorierten Schulhaus, vom einem der Schulfeste. Vermutlich waren sie von einer Mutter oder einem Vater gemacht worden. Es zeigte Kinder, die sich auf einem Spielplatz austobten, gemeinsam Basketball spielten und am Tisch sassen. Bei genauerem Hinschauen erkannte er in ihnen seine alten Klassenkameraden… und ihn. Er musste damals etwa im Kindergarten gewesen sein. Und etwas stach ihm natürlich besonders ins Auge: Sein Kindergarten-Ich strahlte auf jedem einzelnen Bild in die Kamera.

Da waren noch mehr Bilder. Er, Inaho und Yasuo in Inahos Baumhaus, Fotos von Kindergeburtstagen, ein Klassenfoto aus der ersten Klasse. Er studierte die Bilder ausgiebig, verlor sich in Details, an die er sich plötzlich wieder erinnern konnte. Häuser von ehemaligen Klassenkameraden, bestimmte Erlebnisse, die er nie wirklich vergessen hatte. Erst, als er im Hintergrund eines Kindergeburtstagsfotos seine Mutter entdeckte, erstarrte er. Dort war sie im Hintergrund und lachte.

Wenn sie damals schon gewusst hätte, was aus ihrer Familie wird, hätte sie nicht gelacht. Schmerzlich wurde ihm wieder einmal bewusst, dass es der einzige von ihnen war, der noch unter den Lebenden weilte. Sein Körper verkrampfte sich und er spürte einen zunehmenden Druck auf dem Brustkorb, je länger er seine Mutter ansah. Mit dem Daumen strich er über die Abbildung seiner Mutter. Tut mir leid, Mama.

Er legte das Bild weg. Wie in Trance sammelte er das ganze Zeug in den Umschlag zurück und legte ihn unter sein Kopfkissen.

Seine Knöchel waren vor lauter Anspannung schneeweiss.

In diesem Moment betrat Big Fox ihre Zelle.

«Hey, Demon, der Aufseher hat vorhin gesagt, wir sollen vorerst in unseren Zimmern bleiben, es will irgendwer vorbeikommen.»

Er nickte nur. Vermutlich Zimmerinspektion oder so. «Hat er nicht gesagt, warum?»

«Nee, gar nichts», sagte er, kletterte die Leiter hoch und schmiss sich so schwungvoll auf sein Bett, dass das ganze Gestell bebte.

«Das Ding kracht irgendwann noch zusammen, wenn du dich nicht beherrschen kannst», brummte Sasuke,  Naruto lachte und meinte neckisch: «Du liegst ja dann drunter.»

Wenn man bedachte, dass sie sich bis vor einem Jahr nicht einmal in die Augen sehen konnten, ohne gleich sauer zu werden, schien die Tatsache, dass sie sich jetzt quasi ein Bett teilten, ziemlich unglaubwürdig. Aber sie kamen erstaunlich gut zurecht.

Nach etwa einer Viertelstunde klopfte es an der Zellentür und der Aufseher trat ein. «Uzumaki, Uchiha, ihr könnt mit mir mitkommen.»

«Hast du Scheisse gebaut, Big Fox?», fragte Sasuke in einem drohenden Tonfall und Naruto hob abwehrend die Hände. «Ich weiss von nichts!»

Der Wärter schloss die Zelle hinter ihnen ab und führte sie aus dem Wohntrakt hinaus. Beide kannten diesen Weg – er führte in die Besprechungsräume. Dort, wo Sasuke zweimal wöchentlich mit Naomi zusammensass.

In einem der Räume sassen zwei Männer am Tisch, im Raum befanden sich dazu zwei Polizisten, die vermutlich der Sicherheit dienen sollten. Innerlich verdrehte er die Augen. Keiner von ihnen hatte vor, diesen Typen an die Gurgel zu gehen.

Als er genauer hinschaute, erkannte er in dem einen Mann Kakashi Hatake, den Polizeichef. Naruto und er staunten natürlich nicht schlecht, doch in ihren Augen konnte das kaum etwas Gutes bedeuten. Was hatten sie angestellt, was man ihnen jetzt noch anhängen konnte?

Daneben sass der Direktor des Gefängnisses, er kannte ihn kaum, hatte ihn jedoch schon ein paarmal von Weitem gesehen.

Man forderte sie dazu auf, sich hinzusetzen. Big Fox schien dabei genauso unwohl wie ihm zu sein. Aber was sollten sie anders, als sich Ihrem Schicksal zu ergeben?

«Guten Tag, Mr. Uzumaki, Mr. Uchiha.» Hatake schüttelte ihnen freundlich die Hände. Sie kannten ihn beide und waren sich diese Förmlichkeiten gar nicht gewohnt. Normalerweise hatte er sie immer mit «Uchiha» oder «Uzumaki» angesprochen. So wie sie ihn «Hatake» genannt hatten. Damals.

«Nun, mein Auftauchen hier in der JVA hat einen guten Grund.»

«Was haben wir verbrochen?», fragte Naruto und sprach damit Sasukes Gedanken aus.

«Nichts. Keine Sorge. Gar nicht habt ihr verbrochen.» Er sah freundlich aus. Nicht so, wie sie es bisher von den hohen Tieren bei der Polizei kannten. «Es gibt Neuigkeiten für Sie beide.»

Sasuke und Naruto sahen ihn erwartungsvoll an.

«Ihre Haftstrafe wurde definitiv verkürzt, nachdem Zabuza Momochi schuldig gesprochen wurde. Genauere Infos werde ich Ihnen gleich mitteilen, das ist nämlich nicht das Einzige, was es heute zu besprechen gibt.» Er lehnte sich ein wenig nach vorne. «Nun, ich stehe seit einer Woche in Kontakt mit den Kurama Foxes und den Taka Snakes. Und wir haben einen Vorschlag für euch.»

 

Sakura bediente die wenigen Gäste im Toad’s, als das Planungstreffen stattfand. Sie war wie auf glühenden Kohlen und es kostete sie alle Mühe, sich auch nur halbwegs auf die Arbeit zu konzentrieren. Naruto und Sasuke hatten vermutlich gar nicht anders gekonnt, als einzuwilligen, nachdem ihre Gang derartige Vorarbeit geleistet hatte.

Vor ihnen lag so viel Ungewissheit und trotzdem verspürte sie Hoffnung. Hoffnung darauf, dass noch nicht alles vorbei war. Ino war auch da und half ihr ein wenig. Auch für sie stellten sich langsam aber sicher Zukunftsfragen. Für sie war es nicht so eine Sache mit einer Übergangslösung, im Blumengeschäft ihrer Eltern war eine Mitarbeiterin schwanger und würde in gut drei Wochen in den Mutterschaftsurlaub verschwinden. Da war Inos Mithilfe höchst willkommen. Auch sie wollte studieren und tendierte dabei ziemlich auf Jura. Für Sakura wäre das nichts, aber Ino konnte sie sich darin wunderbar vorstellen. Sie sprach schon seit längerem davon, Anwältin werden zu wollen.

Sakura hingegen verdiente sich halt hier ein paar Mäuse, jedoch musste sie irgendwann, wenn es in ihrem Kopf wieder Platz für solche Sachen gab, nach einem Weg suchen.

Plötzlich summte Inos Handy. «Das können ja wohl kaum schon die Jungs sein», murmelte sie. «Die sind doch erst seit einer Viertelstunde dran.»

Das Display zeigte eine unbekannte Nummer an und Ino nahm ab. «Ino Yamanaka, hallo? Hanabi?»

Sie stellte auf Lautsprecher. «Was ist los?»

«Nichts. Ich wollte nur fragen, ob Hina bei euch ist?», vernahm sie Hanabis Stimme am anderen Ende der Leitung.

Wie immer wenn Hinata erwähnt wurde, zog sich Sakuras Herz schmerzhaft zusammen. Wenn die arme Hanabi nur wüsste.

«Nein, Hana… wir haben sie schon seit einer Weile nicht mehr gesehen, tut uns leid.»

«Macht nichts. Ich habe mich nur gefragt. Sie wollte heute zu Mittag kochen und jetzt ist schon Nachmittag und sie ist immer noch nicht da.»

Hanabi tat ihr leid. Das arme Mädchen war gerade einmal zwölf und musste schon so viel alleine schaffen. Man merkte ihr an, wie reif sie war.

«Hast du denn jetzt etwas gegessen?»

«Ja, habe ich. Sie wird bestimmt bald heimkommen.» Die Sorge in ihrer Stimme konnte die Kleine nicht verbergen.

«Bist du alleine, Hana?», fragte Ino sanft.

«Ja.»

«Möchtest du zu uns ins Toad’s kommen? Ich komme dich holen, okay?»

Hanabi willigte ein und Ino beorderte Lee, der sich oben auf dem Bett herumfläzte, sie zu fahren. Himmel, den Führerschein mussten sie auch irgendwann noch machen… vielleicht konnten sie ihre freie Zeit dafür nutzen, wenn das ganze Gang-Dilemma hoffentlich irgendwann ein Ende fand.

Als Hana schlussendlich an der Bar sass, stellte Sakura ihr eine Cola mit Strohhalm hin. «Hat Hinata dir auch keine Nachricht hinterlassen?»

«Nein.» Hanabi schüttelte den Kopf. «Das ist schon komisch. Aber sie ist tagsüber sonst relativ oft zu Hause, deshalb kann ich auch verstehen, wenn sie ab und zu mal raus will. Ich habe ihr einen Zettel auf den Küchentisch gelegt.»

Sakura verstand, was Hanabi meinte. Jedoch wusste sie auch, wie fürsorglich Hinata auf ihre Schwester aufpasste. Sie war richtiggehend in die Mutterrolle geschlüpft. Deshalb verwunderte es sie schon, dass Hinata sich nicht gemeldet hatte.

Ino und Sakura fragten nicht mehr weiter nach. Sie wollten Hanabi nicht verunsichern. Vermutlich war Hinata bei Crow.

Hanabi besuchte über die Sommerferien einen Englisch-Nachhilfekurs, da sie mit diesem Fach ein wenig Mühe hatte. Vor sich hatte sie ein Buch aufgeschlagen, in dem Vokabeln abgefragt wurden. Während sie also die Gäste bediente, unterstütze Ino Hana bei ihren Hausaufgaben, im Hintergrund quäkte das Radio und einige Gäste unterhielten sich. Lee las nun auf einem der Barhocker die Tageszeitung.

Es war eine beinahe selige Ruhe. Bis Konohamaru kam.

Konohamaru verbrachte auch ab und zu Zeit im Toad’s. Und heute war er da. Kaum war er in der Bar angelangt, wurde es ein wenig lauter.

«Hey, Lee, ich habe da oben in GTA…» Verblüfft legte er den Kopf schief. «Wer bist denn du?»

Hanabi hob überrascht den Kopf und musterte den Jungen. «Ich heisse Hanabi.»

Konohamaru setzte ein spitzbübisches Grinsen auf und kletterte neben Hanabi auf einen Barhocker. «Ich bin Konohamaru. Was machst du da?»

«Englisch lernen. Ich bin nicht so gut darin», murmelte sie verlegen und er lachte.

«Ich kann kein einziges englisches Wort. Ausser Fluchwörter. Aber ich fluche nicht, wenn Mädchen da sind.»

Ino lachte laut auf. «Also wenn ich da bin fluchst du andauernd.»

Konohamaru zog eine Schnute. «Du bist auch zu alt, als dass dich das noch kümmern könnte.»

Dass sass. Inos Mundwinkel zuckte ein wenig und auf ihrer Stirn hatte sich eine gefährlich steile Falte gebildet. «Alt, was?»

Sakura lachte laut hinaus. «Alten Frauen wie uns muss er nicht imponieren.»

«Was heisst das?» Der Junge ignorierte sie total und zeigte mit dem Finger auf eines der Wörter.

«’Reading’. Das heisst lesen», erklärte Hanabi. «Und das ist ’writing’. Das heisst schreiben.»

Das weckte nun Konohamarus Interesse für Englisch. «Reading. Writing. Aber hey, das schreibt man ja mit ‘W’! Warum spricht man es dann wie ‘R’ aus?»

«Das macht man im Englischen so.» Hanabi schien es sichtlich Freude zu machen, dass einmal sie jemandem Englisch erklären konnte.

Sakura fand den Anblick süss. Konohamaru könnte es ganz guttun, ein wenig mit der relativ normalen Welt von Gleichaltrigen in Kontakt zu kommen. Sie hatte ihm vor gut einem Monat mal vorgeschlagen, in die Schule zu gehen, das war in Konoha ja möglich. Er war jedoch kein grosser Fan dieser Idee gewesen. Vielleicht konnte ihn das hier ja umstimmen.

Hanabi erklärte ihm geduldig alle Wörter und schien dabei auch Spass zu haben. Und erklären konnte für Hana auch viel Lerneffekt haben.

Ino und sie stellten sich etwas abseits. Ihre Freundin machte ein besorgtes Gesicht. «Meinst du, diese Riots sind wirklich gut zu Hina? Was, wenn sie ihr etwas angetan haben?»

Sakura wusste leider auch nicht mehr. «So sehr ich es auch komisch finde, das zu sagen, hoffe ich, dass es ihr gut geht. Weisst du, ich denke wie Naruto. Jeder von uns macht Fehler und irgendwie möchte ich sie auch wieder auf den richtigen Weg bringen, wenn man unseren denn richtig nennen kann.»

«Crow wirkte irgendwie so, als brauche er sie als Trophäe, um Big Fox zu verärgern. Was er auch geschafft hat. Ich denke Naruto ist in diesem Moment ein ganzer Kronleuchter aufgegangen.» Sie kaute an ihren Nägeln. Ino kaute nur in äusserst schwierigen Situationen an ihren Nägeln. «Dieser Crow… ich meine, Hinata war bei uns immer schüchtern und lieb… aber naiv ist sie nicht. Ich meine, sie würde Crows Spiel doch durchschauen, wenn es eines wäre, oder nicht?»

«Ihr Wechsel muss einen Grund gehabt haben, ganz bestimmt. Und ich bin überzeugt, dass sie nicht auf ihn reinfallen würde. Vielleicht gibt er ihr das, was sie von Naruto nie bekommen hat? All die Jahre hat sie sich das so gewünscht.»

«Genau deshalb kann ich mir das einfach nicht vorstellen. Ich will es mir nicht vorstellen. Sie hat Naruto schon als sie zur Gang kam so vergöttert und irgendwann richtig geliebt. Himmel, sie hätte alles für ihn gemacht und er hatte halt eine Leitung, die länger war als der Nil. Meinst du wirklich, sie hat die Hoffnung aufgegeben?»

Sakura zuckte mit den Schultern. Sie hatten das schon öfters besprochen. «Ich weiss es nicht. Man müsste sie selber fragen. Aber Hanabi können wir das auf keinen Fall erzählen, sie würde aus allen Wolken fallen. Hat es sonst schon schwer genug.»

Ino nickte. «Ich frage mich, warum sie Hana versetzt hat. Ich meine in all der Zeit, in der sie jetzt schon bei den Riots herumhängt, hat sie immer gut zu ihrer kleinen Schwester geschaut.»

«Ich kann es mir auch nicht erklären.»

Das konnte sie wirklich nicht.

 

In Ayatos Schubladen fand sie nichts, in seinem Schrank fand sie nichts. Nicht einmal unter seiner Matratze. Er würde sie nirgendwo ausserhalb seines Zimmers aufbewahren, da war sie sich hundertprozentig sicher. So viele Leute, wie hier verkehrten, machten es zu riskant.

Seit einer halben Stunde suchte sie danach und legte dann alles wieder mit übertriebener Sorgfalt wieder an seinen Platz zurück.

Er wollte ihr nicht sagen, wo sie sich befanden und das machte sie sauer. In dieser Gang wussten nicht viele über den ganzen Plan Bescheid, aber Ayato erzählte ihr einfach nichts. Er sagte, er mache das aus Sicherheitsgründen. Es ginge hier um zu viel und da sie eine ehemalige Kurama war, trauten ihr viele noch nicht vollkommen über den Weg. Das war in ihren Augen ein absoluter Witz, schlussendlich hatte sie sich vor Crow gestellt, als Naruto seine Waffe auf ihn gerichtet hatte. Sie hatte sich gegen ihre eigene Gang gestellt und ihr Leben riskiert. Ayato versuchte sie immer zu beruhigen, in dem er ihr erklärte, dass sie grosse Pläne hatten. Und wenn sie dann fragte, warum er ihr nicht traute, sagte er immer nur. «Ich traue dir in allem, Hina, aber nicht, wenn es um deine ehemaligen Freunde geht. Wenn ich etwas weiss, dann ist es der Fakt, dass man Freundschaften nicht von einem Moment auf den anderen einfach ausschalten kann wie ein Fernseher.»

Er hatte schon recht, Freundschaften konnte man nicht einfach so beenden, ohne dass noch Emotionen übrigbleiben. Und trotzdem war sie wütend. Sie wollte wissen, was Ayatos Plan war. Sie musste es wissen.

Sie suchte weiter, bestimmt eine weitere halbe Stunde. Er hielt seine Pläne immer in schriftlicher Form irgendwo fest, nie auf einem Laptop oder so. Das war ihm zu gefährlich, da Laptops nun einmal nicht vor professionellen Hackern der Polizei sicher waren.

Ihre Suche blieb erfolglos. Seufzend liess sie sich auf Ayatos Bett fallen und vergrub ihren Kopf im Kissen. Sie hatte alles so zurückgelegt, dass Ayato gar nichts merken konnte. Nicht auszudenken, wie er reagieren würde, wenn er von dieser Aktion etwas mitbekäme.

Zum Glück hatte sie aufgehört, denn Ayato kam keine zehn Minuten später die Treppe hoch und betrat das Zimmer. Bis vorhin war er noch unterwegs gewesen, um mit dem North-Flügel ein paar Sachen zu besprechen.

Als er eintrat, las Hinata die Tageszeitung, die er auf seinem Bett liegen gelassen hatte.

«Na, interessant?», fragte er und sie nickte.

«Da steht ein Haufen Zeug über deine Machenschaften drin. Also ja.»

Er lächelte. Es war beeindruckend, wie normal er aussah. Er wirkte wie andere junge Männer ins ihren Zwanzigern, abenteuerlustig, zufrieden, fröhlich. Nicht wie jemand, der sich gegen eine ganze Stadt verschworen hatte.

Sie stand auf und küsste ihn zur Begrüssung auf die Wange. Er sah trotz allem müde aus. «Bist du müde?» Sie legte ihren Kopf an seine Schulter und sie spürte sein Kinn an ihrem Kopf.

«Ich schlaf seit fast drei Wochen knapp fünf Stunden in der Nacht, Hina. Jap, ich bin müde.»

«Warum rennst du dann immer noch wie ein Verrückter durch die Gegend? Du hast doch so viele Leute, warum musst du immer alles organisieren?»

«Weil ich will. Die Leute brauchen einen Anführer, der sich ins Zeug legt und seine Arbeit nicht von anderen machen lässt.»

Auch wieder wahr. Über seine Schulter hinweg erkannte sie das Zifferblatt des Weckers, der auf dem Schreibtisch stand und als sie die Uhrzeit ablas, schreckte sie auf.

«Himmel!» Sie liess ihn los und schnappte sich ihre Tasche. «Ich muss los.»

Er lachte laut. «Wartet dein Schwesterchen auf dich?»

Sie hielt inne und schaute ihn mit einem stechenden Blick an. Das Lachen wich aus seinem Gesicht und er wurde ernst. «Ich sag nichts mehr. Kannst damit aufhören, mich so anzuschauen.»

«Ich muss los», sagte sie kühl und er nickte. «Sag Miranda, sie soll dich fahren.»

Hanabi musste sich Sorgen machen. Schnell kramte sie ihr Handy hervor und suchte nach ihrer Nummer.

Sie fühlte sich schuldig wie eine Mutter, die ihr Kind nicht aus der Schule abgeholt hatte. Ihrer Schwester sollte es gut gehen, das war das Einzige, was zählte.

Alles oder nichts

Es war abends um halb Elf als sich Shikamaru meldete. Der Plan stand – das Vorhaben sollte in einer Woche starten. Laut Shikas Ausführungen waren sie fast ohne Pause um die acht Stunden mit Hatakes Team zusammengesessen. Jedoch würden sie sich in den nächsten Tagen zu weiteren Besprechungen treffen, wichtig war jetzt, dass die Kooperation geheim gehalten wurde.

Sakura und die Anderen waren erleichtert, das zu hören. Jedoch war ihnen allen bewusst, dass Grosses bevorstand. Und nicht nur Grosses, sondern auch Gefährliches. Was sie vorhatten, war gewagt. Niemand war sicher.

In den kommenden Tagen bereiteten sie sich vor. Das bedeutete auch, dass sie ins HQ zurückkehrten, um ihre Autos und Motorräder vorzubereiten. Das HQ wieder in Betrieb zu nehmen, war zu riskant, da die Riots ihre Spitzel überall verteilt hatten. Deshalb machten sie sich zu fünft im Banden-Suzuki auf den Weg. Sakura, Kiba, Ino, Lee und Sai.

Als sie in der Garage ankamen, fühlte es sich an, als wären sie nach langer Zeit nach Hause gekommen. Die Garage lag verlassen vor ihnen, als sie aus dem Auto stiegen. Die beiden anderen Autos sowie etwa zehn Motorräder waren noch hier. Sie hatten sie allesamt abgedeckt, damit sie keinen Staub ansetzten.

Es war so ungewöhnlich still. Normalerweise konnte man selbst in der Garage Stimmen und Geräusche von nebenan hören. Als sie auf den Flur traten, fühlte sich Sakura fast schon wie in einem Geisterhaus. Kiba und Lee blieben gleich in der Garage, um sich die Maschinen anzuschauen, Sakura und Ino wollten mit Sai zur Waffenkammer, um ihm beim Tragen zu helfen.

Sie traten in den Aufenthaltsraum. Natürlich hüteten sie sich davor, das Licht einzuschalten. Durch die Oberlichter schien die Nachmittagssonne und sorgte so für eine gute Sicht.

«Das ist ja echt wie in so einem Gruselhaus hier», murmelte Ino. «Wenn wir hier wieder einziehen, müssen wir erst einmal alles abstauben.»

Da hatte sie schon Recht. Die Couch und die Sessel hatten sie allesamt abgedeckt, jedoch gab es einen Haufen Möbelstücke, die dem Staub schutzlos ausgesetzt waren. An den Wänden hing nichts mehr. Das war alles demontiert worden und ruhte nun in Kartonschachteln in Tsunades Keller.

«Darüber können wir uns Gedanken machen, wenn es soweit ist», meinte Sai nur und begab sich zielstrebig zu der kleinen Kammer in der hinteren linken Ecke, wo sie die Waffen verstaut hatten. Ino folgte ihm schnurstracks, aber Sakura musste diese ungewohnte Leere erst einmal auf sich wirken lassen. Es war verrückt, wie viele Erinnerungen sie an diese Räume hatte. Gute und schlechte, wobei die guten überwogen.

Als sie zur Abstellkammer kam, hörte sie Ino und Sai lachen. Bevor sie eintrat besann sie sich und mache rechtsumkehrt. Sie witterte bei den beiden etwas und wollte nicht einfach so in ihr Gespräch hineinplatzen. Deshalb verschwand sie in Richtung der Schlafzimmer und öffnete als erstes die Tür zum Schlafraum der Jungs. Bei dem (zugegebenermassen erwarteten) Anblick konnte sie nur den Kopf schütteln. Die Betten waren zwar gemacht, am Boden lag trotzdem noch jede Menge Müll herum. Leere Dosen, Chips-Tüten, sogar ein voller Aschenbecher. Sie konnte nicht anders, als die Unordnung zu beseitigen. Als sie fertig öffnete sie noch kurz die Fenster, um etwas frische Luft in die Räume zu lassen.

Das HQ in diesem Zustand zu sehen stimmte sie nachdenklich. Im letzten Jahr war so vieles geschehen. Es schien, als wäre nichts mehr so, wie es noch im letzten Sommer gewesen war. Und jetzt standen sie an einem Punkt, der ungewisser nicht hätte sein können. Wer wusste schon, wie ihre Situation in einem Monat aussehen konnte?

«Cherry! Könntest du uns mal helfen?», hörte sie Ino aus dem Aufenthaltsraum rufen. Anscheinend war ihre Hilfe nun doch von Nöten.

«Ich komme!»

 

Am nächsten Mittwoch waren die Inners der Gangs zu einem Briefing eingeladen. Das Ganze fand im Hörsaal der South Konoha University statt, da es zu auffällig wäre, die Gangs in den Hauptsitz der Polizei einzuladen. Da Semesterferien waren, fanden sie den Campus nicht ganz so belebt vor, wie während den regulären Unterrichtszeiten. Auf der grossen Rasenfläche vor der Universität hatten einige Leute Decken ausgebreitet, picknickten oder sassen einfach so gemütlich beisammen. Im Schatten der grossen Eichen konnte man das schöne Wetter bestens geniessen. Von ihnen ernteten sie einige interessierte Blicke, als sie durch das Tor auf dem Kopfsteinpflaster des Hauptweges in Richtung des alten Steingebäudes gingen.

«Hab noch nie ‘ne Uni von innen gesehen», murmelte Deidara, als er die Steinfassade musterte.

«Wir haben ja noch nicht einmal ein College von ihnen gesehen», meinte Hidan nur und Deidara zuckte mit den Schultern.

Die Universität hatte eine riesige Eingangshalle mit einer hohen Decke. Irgendwie sah alles ein wenig aus wie in einem Schloss, die Bilder, die Ornamente, die breite Steintreppe.

Der für sie vorbestimmte Hörsaal befand sich im Parterre und war riesig. Nach oben versetzte Bankreihen aus dunklem Holz, riesige Fenster und eine Wandtafel. Als Dozent musste man sich ganz schön klein fühlen, wenn der Saal mit Studenten gefüllt war, die nun wie das Publikum auf den Löwen in einer Zirkusarena hinunterschauten.

Die Kuramas und Takas setzten sich in die vordersten Reihen und Hatake stellte sich flankiert von Mitarashi und Sarutobi nach vorne.

Der ganze Plan war auf einer Powerpoint-Präsentation festgehalten. Shikamaru hob anerkennend eine Augenbraue und meinte: «Ein Hoch auf den Fortschritt. Gangs die sich in einer Universität briefen lassen – das hat es bestimmt noch nicht gegeben.»

«Willkommen in ‘Gangkampf 101’», scherzte Kiba und Sakura musste laut lachen. «Die Gang-Akademie. Das wäre mal eine gute Idee für eine Serie.»

Hatake räusperte sich und erhielt sofort die Aufmerksamkeit aller Anwesenden. Die Gangs waren topmotiviert, die neue Strategie zu erfahren. Es hiess jetzt alles oder nichts und das war jedem im Raum bewusst.

Die Polizisten hatten vorhin die alten Fensterläden geschlossen, damit niemand in den Raum hineinsehen konnte. Hatake begrüsste sie und bedankte sich bereits im Voraus für ihr Mitwirken.

Der Plan war bei Weitem grösser, als alles, was die Gangs bisher gemacht hatten. Das war auch kein Wunder, denn nebst den knapp hundert Personen der Kuramas und Takas, waren etwa 300 Polizisten und Polizistinnen im Einsatz. Und nicht nur das: Sie hatten tatsächlich fünfzehn vollbesetzte Sanitätsfahrzeuge aufgeboten, dazu kamen fünf Tanklöschfahrzeuge in Bereitschaft. Die Gangs staunten nicht schlecht. Shikamaru und Pain führten ab und an Hatakes Erklärungen noch ein wenig aus, um es etwas mehr in Gangsprache auszudrücken. Gangs benutzten oft Wörter oder Floskeln, die ganz bestimmte Bedeutungen hatten und nicht für jeden aussenstehenden Zuhörer dasselbe bedeuten würden.

Grundsätzlich war der Plan nicht allzu komplex. Die Polizei wusste nicht genau, wann sich die Jaguar Riots wo zeigen würden. Da sie aber sowieso immerzu irgendwo auftauchten, war es kein Problem, Bereitschaftsdienst zu machen. Und zwar hatte die Polizei in der ganzen Stadt zwölf Standorte festgelegt, richtige Quartiere in denen auch geschlafen werden konnte. Die Gang würden auf neun dieser Standorte verteilt werden. An jedem Standort gab es ein Gangmitglied, das eine Leitungsfunktion übernahm und als Ansprechperson für die Polizisten galt. Von diesen Standorten aus würde operiert werden. Das konnten einerseits Einsätze sein, die als Antwort auf Aktivität der Riots folgten, andererseits auch geplante Festnahmen an bestimmten Orten. Den Gangs kam hier ihr Wissen von vergangenem Winter zu Gute, als sie die Riots beschattet hatten. Es lohnte sich, diese Ortschaften erneut auszukundschaften und je nachdem war es möglich, ein ganzes Nest dieser Riots in irgendeinem Club ausfindig zu machen. Und nun, da ihnen die Polizei half, sollte es keine grossen Schwierigkeiten geben, einen Club ganz abzuriegeln. Dieses Beschatten und Auskundschaften sollte ganz in die Verantwortung der Gangs abgegeben werden, da sie sich damit besser auskannten. Sie verstanden es wie keine Zweiten, sich unauffällig unters Volk zu mischen.

Als Hatake erklärte, dass Waffen und Ausrüstung von der Polizei zur Verfügung gestellt wurden, hörte man fröhliches Johlen aus den Reihen der Gangs. Das gefiel ihnen natürlich.

«Ich bin noch nicht fertig.» Er wandte sich erneut an sein aufgeregtes Publikum. «Ich brauche nicht nur Leute, die mit der Polizei unterwegs sind, sondern auch solche, die die Sanitäter begleiten. Auch sie sollen jemanden an ihrer Seite haben, der Erfahrung mit Gangfights hat. Eure Leader haben folgende Personen vorgeschlagen.» Er las acht Namen herunter, Sakura und Inos waren dabei. «Ist das in Ordnung oder gibt es Einwände?»

Es bedurfte kurzer Absprache, jedoch dauerte es keine fünf Minuten, bis zugestimmt wurde. Sakura und Ino freuten sich natürlich und waren begeistert von der Idee, etwas zu der ganzen Sache beitragen zu können. Neben ihnen war Choji genannt worden, der nicht besonders aufs Kämpfen aus war und ein Mädchen vom Outer, Matsuri. Von den Takas wurden drei Outer- und zwei Inner-Taka bestimmt: zwei Jungs, die sie nicht kannte, Hotaru und ein weiteres Outer-Mädchen.

«Besten Dank. Die Sache wird am Freitag losgehen. Damit ihr auch vorbereitet seid, werdet ihr gleich morgen eure jeweiligen Divisionen kennenlernen. Die Einteilung werde ich euren Vizes gleich noch in Papierform geben. Eure Leader haben sich mit diesen Formationen einverstanden erklärt.» Er schaltete eine Folie ein, auf der die Divisionen ersichtlich waren.

Die Sanitätstrupps waren auch Standorten zugeteilt worden. Sie fand ihren Namen in der Division «South Konoha University». Hatake hatte bereits vorhin erwähnt, dass die Uni einer der beiden Hauptstützpunkte war. Ino war mit ihr gemeinsam eingeteilt. Da dieser hier, gemeinsam mit dem HQ der Polizei, der grösste Stützpunkt war, waren auch dementsprechend viele Leute eingeteilt. Karin, Suigetsu, Kiba, Tenten, Ripper und Sasuke. Ihr Herz hüpfte ihr beinahe aus der Brust, als sie seinen Namen dort stehen sah. Die beiden Leader waren auf die Hauptstandorte verteilt worden, Narutos Name fand sie beim HQ der Polizei.

Langsam aber sicher wurde ihr bewusst, dass sie hier und jetzt die Möglichkeit hatten, etwas an ihrer Situation zu verändern. Immerhin bekamen sie die Chance, mit der Polizei und all ihrer Technologie zu arbeiten. Sie befanden sich am längeren Hebel als die Riots, oder?

Nun, es würde sich zeigen. Aber ihre Chancen standen gut. Und vielleicht, ja vielleicht, war das hier der Wendepunkt in ihrem Leben. Vielleicht würde sich vieles zum Positiven entwickeln. Sie durften einfach die Hoffnung nicht aufgeben.

 

Den nächsten Tag verbrachten die Gangs bei ihrer jeweiligen Division in der Uni und wurden dort je nachdem den zuständigen Polizisten, Sanitätern oder auch Koordinatoren vorgestellt. Shika zum Beispiel würde in der Zentrale bleiben, um ein Auge auf das gesamte Geschehen zu haben.

Sakura würde ein Fahrzeug begleiten, das von zwei Sanitäterinnen und einem Sanitäter besetzt war. Sanae würde nebst ihrer Rolle als Sanitäterin das Fahren übernehmen und Sakura würde als ihre Beifahrerin agieren, während Aoi und Kenta sich hinten um Verletzte kümmerten. Die drei waren richtig nett und schienen ihr gegenüber vollkommen vorbehaltslos zu sein. Sie zeigten ihr den gesamten Krankenwagen und gaben ihr einige Erklärungen dazu, wie sie vorgingen und was zu beachten war.

«Du musst wissen, wir haben so etwas noch nie gemacht. In einer so grossen Mission mitgewirkt, meine ich. Du bist von daher in dieser Hinsicht die Erfahrenste», meinte Sanae als sie ihr die Gerätschaften im Fahrerraum des Krankenwagens erklärte. «Denkst du, es besteht eine Gefahr, dass wir auch attackiert werden?»

Sakura musste sich ihre Antwort gut überlegen. «In einem normalen Gangkampf, nein. Aber das hier ist kein normaler Gangkampf und die Jaguar Riots sind auch keine gewöhnliche Gang. Weisst du, auch wir haben gewisse Regeln in jedem Kampf. Ungeschriebene Gesetze, die für ein Mindestmass an Fairness sorgen sollen. Zum Beispiel, dass keine Wehrlosen oder Verletzen attackiert werden dürfen. Im Falle der Riots ist aber Vorsicht geboten. Sie sind nicht gerade bekannt dafür, sich an Regeln zu halten. Sie sind so viele, dass es für den Leader sowieso unmöglich ist, alle im Griff zu haben. Ich denke nicht, dass ein Krankenwagen ihr Ziel Nummer 1 ist, aber Vorsicht geboten ist auf jeden Fall.»

Sanae nickte. «Nur damit wir wissen, was auf uns zukommt. Man hat uns gesagt, die Polizei würde uns schützen, aber sind wir ehrlich, es ist ein Strassenkampf. Es kann alle passieren.»

«Macht ihr das hier aus freien Stücken?», fragte Sakura.

«Ja und nein. Es wurde uns eine Zahl von Sanitätern aufgedrückt, die zur Verfügung gestellt werden müssen. Manche, darunter auch wir drei, haben sich freiwillig bereiterklärt. Wir wollen alle endlich wieder Ruhe haben. Seit die Riots in dieser Stadt wüten müssen wir andauernd ausrücken, meistens wegen verletzten Polizisten, manchmal Zivilisten. Es wird Zeit, dass sich etwas ändert und wir werden da nicht einfach zusehen. Man kann nicht immer andere für einen aufräumen lassen. Und wir werden euch unterstützen. Denn grundsätzlich seid ihr hier diejenigen, die am wenigsten Grund haben, irgendetwas zu tun. Andere an eurer Stelle hätten sich vielleicht zurückgelehnt und genossen, wie alles den Bach abgeht. Aber ihr macht mit. Ich weiss nicht, was euer Endziel ist, aber ich bin dankbar, dass ihr mitmacht.»

«Und wir sind froh diese Chance hier zu bekommen», sagte Sakura. «Wir haben euch zu danken, dass ihr dabei seid.»

«Eine Hand wäscht die andere, Sakura. So sollte es eigentlich sein.»

 

Der Startschuss sollte an der Universität fallen. Es war ein Anliegen der Gangs gewesen, ihre Leader noch einmal in der Gemeinschaft in Empfang nehmen zu können, bevor sie sich auf die verschiedenen Posten verteilten. Hatake hatte das gutgeheissen, schlussendlich würde das auch der Motivation der Gangs dienlich sein.

Sakura hatte sich schon ein bisschen in die zur Verfügung gestellten Räumlichkeiten eingewöhnt. Es waren drei grosse Zimmer im linken Flügel mit Matratzen für die Inners und Outers zu schlafen da, das grosse Foyer wurde als Materiallager benutzt und die Polizei hatte sich im rechten Flügel einquartiert. Die Cafeteria im Keller war für die Verpflegung da und im Hof standen alle Motorräder und Autos bereit.

Seit zwei Stunden, es wurde bereits dunkel, waren Sakura, Ino und ihre Gangleute da, genau wie die Takas. Sie waren in ihren jeweiligen Gruppen noch einmal den Plan durchgegangen und hatten die Karten der jeweiligen Gebiete begutachtet, für die sie zuständig waren. Sie sprachen hier nicht von gewöhnlichen Karten, sondern von Gang-Karten. Dort war so einiges mehr darauf eingezeichnet oder markiert worden, was auf herkömmlichen Karten nicht zu finden war. Die Karten waren Gangeigentum und wurden den Polizisten nicht gezeigt.

Sie waren alle nervös, auch wenn das nicht jeder zugab. Die Tatsache, dass einige von ihnen vielleicht nicht zurückkommen würden, war noch nicht so recht zu allen durchgedrungen. Und zu Sakura schon gar nicht. Sie war viel zu aufgeregt. Denn in wenigen Minuten würden die Leader hier eintreffen. Dabei hätte man meinen können, dass der Ernst der Lage zu ihr durchgedrungen war, denn inzwischen trug sie ein Leuchtkombi, genau wie die Sanitäter und auch Ino, Choji und die anderen. Sie war vollkommen bereit. Und trotzdem noch nicht wirklich im Jetzt angekommen.

Auf dem Vorplatz der Uni hatten sich inzwischen alle versammelt, es war ein riesiger Auflauf. Sogar Haruka und ihr Kameramann waren da, um diesen Moment festzuhalten. Das Material würde selbstverständlich nicht im Fernsehen ausgestrahlt werden, jedoch wollte man Film- und Bildmaterial einer Kooperation sammeln, wie es sie noch nie gegeben hatte, um sie später, wenn alles vorbei war, in Berichten verwenden zu können.

Zu ihrer eigenen Ablenkung unterhielt sich Sakura noch ein wenig mit den Sanitätern, die selbst schon richtig nervös waren.

Ihre Aufregung erreichte ihren Höhepunkt, als sie Suigtetsu rufen hörte. «Da kommen sie!»

Ein Kastenwagen ohne Aufschrift kam näher. Begleitet wurde er von zwei zivilen Fahrzeugen der Polizei, vermutlich um keine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.

Die Gangs jubelten und sie sah unter den Polizisten und Sanitätern einige amüsierte und weniger amüsierte Gesichter. Letztere waren ihr herzlich egal.

Die Wagen parkten direkt vor der Uni, Sakura stand etwas entfernt von dem ganzen Trubel. Sie befanden sich auf der Vorderseite der Uni. Vom Vorhof aus führte eine steinerne Treppe hinauf zu einer höher gelegenen Terrasse mit kunstvollem Steingeländer, von der aus die Uni zugänglich war. Von hier oben hatte sie einen wunderbaren Überblick über das Geschehen. Sie wollte sich nicht in die vielen Leute hineinbegeben, auch wenn sie es kaum erwarten konnte, die Leader zu sehen. Es war schon so verdammt lange her. Das letzte Mal war in dieser verheerenden Nacht in der BZ gewesen, als man ihre Köpfe auf den staubigen Boden gedrückt und sie danach wie Schwerverbrecher abgeführt hatte. Allein die Erinnerung daran jagte ihr einen unangenehmen Schauer über den Rücken.

Sie waren weit gekommen. Niemals hätte sie sich vor zwei Monaten erträumt, dass sie sich wiedersehen würden, und schon gar nicht in einem Rahmen wie diesem hier.

Doch da war er, der Kastenwagen. Er hielt an und zwei Polizisten öffneten das Schloss am Wagen. Und dann war es soweit. Das freudige Jubeln ihrer Leute klang wunderbar in ihren Ohren. Es war die Vorfreude auf eine Wiedervereinigung.

Sie hätte Luftsprünge machen können, als sie Naruto aus dem Kastenwagen springen sah. Er grinste übers ganze Gesicht und liess sich von seinen Leuten gebührend in Empfang nehmen. Innerhalb einer Sekunde war er von seinen Gangmitgliedern umringt, wurde umarmt, gedrückt und willkommen geheissen. Und gleich nach ihm entdeckte sie Sasukes rabenschwarzen Haarschopf. Genau wie Naruto trug er eine kugelsichere Weste mit der Aufschrift «Konoha City Police Department». Er sprang aus dem Wagen und die Takas waren sofort da, um ihn zu begrüssen. Sakura hätte vor Freude weinen können. So lange hatte sie es sich gewünscht, ihn in Fleisch und Blut vor sich sehen zu können. Und nun war er da und sie wusste nicht, was sie tun sollte. Wie versteinert stand sie bei den anderen Sanitätern und konnte sich nicht rühren. So viele Emotionen brachen wie ein Sturzbach über sie herein. Da war er, ihr Sasuke. Der einzige Mann, den sie jemals geliebt hatte. Sie konnte ihre Augen nicht mehr von ihm nehmen. Er lächelte, umgeben von seinen Freunden, seiner Familie. Trotzdem erkannte sie auch aus dieser Distanz, dass ihn die Monate im Gefängnis mitgenommen hatten. In seinen Augen stand Anspannung, was sie ihm bei dem, was bevorstand, kaum verübeln konnte.

Und trotzdem war er so schön. Der Drang in ihr, ihm in die Arme zu fallen, wurde immer grösser. Aber sie wusste auch, dass hier eine Kamera in der Nähe war.

 

Karin klopfte Sasuke nach einer herzhaften Umarmung anerkennend auf die Schulter. «Schön dich zu sehen, Demon.»

Er lächelte sie und seine Leute an, doch dann schweifte sein Blick suchend über sie hinweg. Karin verdrehte die Augen, musste aber trotzdem ein wenig lachen. «War ja klar.»

Als er sie entdeckte, musste er erst einmal schlucken. Seine Hand rutschte in seine Hosentasche zu dem vertrauten Stück Papier. Dem Licht im Dunkeln, welches sie ihm geschenkt hatte. Sie schaute direkt in seine Richtung und ihre Blicke ruhten aufeinander. Sie trug Jacke und Hose mit Leuchtstreifen wie die Sanitäter um sie herum und ihr Haar war zusammengebunden. Ein Blick zur Seite. Da war die Presse, das sah er schon. Wäre das hier ein normaler Tag gewesen, unter normalen Umständen, dann hätte er jetzt schön brav gewartet, bis er sie in einer ruhigen Minute erwischte.

Aber seine Geduld war am Ende. Er wollte nicht mehr darauf warten, sie bei sich zu haben. Seit sie über die Kooperation informiert worden waren, wartete er darauf, sie sehen zu können. In diesem Moment wollte er es aufgeben, seinen Gefühlen für dieses Mädchen zu widerstehen. Jetzt war sie da und ihre Zeit war begrenzt. Es war ihm egal, was von nun an passieren würde, wenn er sie nur noch einmal bei sich haben konnte.

«Sorry, Leute.» Sasuke schob sich zwischen Hidan und Suigetsu hindurch.

Sakura zögerte, doch als sie bemerkte, dass er auf sie zusteuerte, kam sie ihm langsam die Treppe hinunter entgegen. Er beschleunigte seine Schritte.

Sekunden später fiel sie ihm in die Arme und er war so voller Energie, dass er sie hochhob und einmal herumwirbelte, bevor er sie vor sich absetzte und sie an sich drückte. Er konnte kaum beschreiben, wie sehr er ihren Geruch, ihr Lächeln, ihr Haar, ihre Stimme vermisst hatte. Es war, als würde die Zeit um sie herum völlig stillstehen.

Er hörte, wie die Takas laut pfiffen und lachten, aber es war ihm sowas von egal. Sollten sie es ruhig alle endgültig wissen. Er mochte das nicht mehr unter den Teppich kehren.

Sie umklammerte ihn und vergrub ihr Gesicht an seiner Brust. Er konnte kaum in Worten ausdrücken, wie froh er um diese Reaktion war. Langsam spürte er ihre sanften Hände unter der Weste an seinen Rücken gleiten.

Er hatte seinen Kopf an ihren gelegt und atmete ihren Geruch ein. Obwohl er es nicht gerne zugab, aber diesen Moment hatte er sich in seiner Zelle oft ausgemalt.

Als seine Hand an ihre Wange wanderte, hob sie den Kopf und sah in mit ihren wunderschönen, sanften Augen an.

 

Ihr Herz klopfte. Endlich war er da, endlich konnte sie ihm nahe sein. Sein Geruch, seine Wärme, seine sanften Arme um sie. Sein Blick war so offen, wie sie ihn noch nie erlebt hatte. Sachte strich er ihr mit dem Daumen über die Wange. Es war ihr sowas von egal, ob man nur Fotos von ihnen machte oder sie filmte und das Pfeifen und Grölen der Takas ignorierte sie sowieso. Und die Kuramas sollten denken was sie wollten.

Sein Gesicht verschwamm vor ihren Augen vor lauter Tränen. Langsam näherte er sich ihren Lippen und sie spürte die Luft zwischen ihnen förmlich vibrieren.

Ihn zu küssen war noch viel schöner, als sie es in Erinnerung gehabt hatte. Sie hatte sich so danach gesehnt und jetzt übertraf es all ihre Vorstellungen bei Weitem. Sie wusste wirklich nicht, was die bevorstehende Zeit bringen würde, aber in diesem kurzen Augenblick war es ihr gleichgültig.

Als sie sich allmählich von ihm löste, vergrub sie den Kopf in seiner Halsbeuge. Sie spürte seinen warmen Atem in ihrem Haar.

«Ich liebe dich», murmelte sie, während die Tränen einfach nicht mehr versiegen wollte. Als Antwort schloss er seine Arme noch enger um sie.

 

Naomi Ito ging ein ganzer Kronleuchter auf, als sie das Geschehen vom Kastenwagen aus beobachtete. Sie hatte die Chiefs gebeten, die Gangleader bis zur Uni begleiten zu dürfen. Sie wollte diese Gangs erleben und die Dynamik kennenlernen, die Sasuke ihr immer wieder geschildert hatte. Übertrieben hatte er keinesfalls, ganz und gar nicht. Sie verstand, warum das hier seine Familie war. Warum er alles für diese Menschen tun würde.

Was sie aber noch mehr überraschte war die Tatsache, dass das Mädchen aus dem Fernsehen anscheinend die sagenumwobene junge Dame war, von der Sasuke gesprochen hatte. Es machte durchaus Sinn – dieses Mädchen schien etwas ganz Besonderes zu sein.

Es war schon fast beunruhigend, was für eine Sympathie sie in dieser kurzen Zeit für Sasuke entwickelt hatte. Rein anhand seiner Akte hätte man ihn für den grössten Gangster in Konoha halten können. Aber ihn zu erleben war etwas ganz Anderes. Und sie hoffte das Beste für ihn.

Selig hielt er dieses Mädchen in den Armen und wenn sie heute Abend nicht andere Pläne gehabt hätten, wären sie bestimmt noch lange so eng umschlungen dagestanden.

«Wir brechen in einer halben Stunde zu den jeweiligen Stützpunkten auf», informierte Hatake die Umstehenden.
 

Sakura trennte sich für diese halbe Stunde von Sasuke, um noch einmal Zeit mit den Kuramas zu verbringen. Zudem hatte sie Naruto noch gar nicht begrüsst.

«Na, ich dachte schon, du hättest mich vergessen», meinte er schmollend, jedoch machte sich gleich darauf ein Grinsen in seinem Gesicht breit. «War ein Witz. Hi, Cherry.»

Sie umarmte ihren besten Freund mit aller Kraft. Ihn hatte sie auch vermisst. Und wie. Seine Energie und seine Ausstrahlung gehörten einfach zu den Kuramas und deshalb hatte in diesen vergangenen Monaten das Herzstück ihrer Gang gefehlt.

«Danke für alles, Cherry. Ohne dich wären wir nicht hier. Du hast uns da rausgehauen. Auch wenn es nur für den Moment ist.»

«Ich hatte tatkräftige Unterstützung und viel Zufallsglück, sonst hätte das nie geklappt.»

«Aber du hast das ins Rollen gebracht. Das ist, was zählt.»

«Und jetzt?», fragte sie. «Meinst du, wir können alles irgendwie hinbiegen?»

«Alles retten können wir bestimmt nicht. Aber wir haben die Chance, etwas zu verändern. Das ist für den Moment genug.» Er sah so zuversichtlich aus. Genau diese Zuversicht hatte ihnen allen gefehlt. Dieses Vertrauen in die Zukunft. «Wir haben noch einiges zu erledigen, bevor wir einfach so von der Bildfläche verschwinden können.

Gerne hätte sie ihn nach der Zeit im Gefängnis gefragt, aber irgendwie spürte sie, dass das jetzt nicht Thema sein sollte. Die anderen Kuramas, Inners und Outers, kamen und sie setzten sich etwas abseits hin, wo sie sich unterhielten, lachten und sich amüsierten. So wie es früher gewesen war. Einfach noch einmal die normalen Kuramas sein, das wollten sie – für eine halbe Stunde sollte die Welt in Ordnung sein.

Aber eine halbe Stunde war kurz. Ehe sie es sich versahen, brachen die Kuramas und Takas mit ihren Divisionen in alle möglichen Richtungen auf. Die weitere Ausrüstung würden sie jeweils vor Ort erhalten. Am Ende standen immer noch etwas über dreissig Leute auf dem Platz, doch im Vergleich zu vorher war das definitiv wenig.

Ihre Division wurde von Asuma Sarutobi geleitet, der ihnen nun erklärte, dass sie sich zurückziehen konnten, bis der erste Einsatz angesagt war. Sie sollten aber in Bereitschaft bleiben.

Sakura hielt nach Sasuke Ausschau, doch konnte ihn nirgends entdecken. Sie erschrak, als plötzlich jemand neben ihr auftauchte und sie bei der Hand nahm. «Komm.»

Sasuke führte sie die Treppe hinauf ins Uni-Gebäude. «Ist der obere Stock auch besetzt?», fragte er und sie schüttelte den Kopf. «Soviel ich weiss nicht.»

Er sagte nichts mehr und führte sie die breite Treppe hinauf, wo er den rechten Gebäudeflügel ansteuerte.

Sasuke öffnete die erste Tür. Vermutlich hatte man für die Polizei extra keine der Türen abgeschlossen.

Es war ein kleiner Hörsaal mit etwa halb so vielen Bänken, wie der, in dem das Briefing stattgefunden hatte. Sasuke schob Sakura mit einer Hand in den Raum mit der anderen schloss er die Tür hinter ihnen. Es roch nach Holz, Papier und Kreide.

Die Sonne war nun endgültig verschwunden und der Mond warf sein sanftes, silbernes Licht durch die grossen Bogenfenster. Es war angenehm ruhig. Durch die dicken Wände drangen keine Geräusche von ausserhalb.

«Du wirst vielleicht auch einmal in einem solchen Hörsaal sitzen und dir Vorlesungen anhören», meinte er und sie lachte leise.

«Kann ich mir ehrlich gesagt nicht wirklich vorstellen.»

«Und warum nicht?» Er betrachtete die leere Tafel.

«Weiss ich auch nicht. Scheint irgendwie nicht so meine Welt zu sein.» Sie setzte sich auf eines der Pulte. Sie betrachtete ihn. Seine kugelsichere Weste hatte er bereits vorhin unten im Foyer abgelegt. Trotzdem war er immer noch wie ein Polizist gekleidet. Ungefähr so, wie die Polizisten, die man an Demonstrationen sah. Ein schwarzer Overall und Gurte, an denen er seine Waffen befestigen konnte.

«Müsst ihr das tragen?», fragte sie und wies auf seine Kleidung.

Er schüttelte den Kopf. «Hatte nichts anderes, was in ein Battle gepasst hätte. Zudem ist es recht praktisch. Man kann sich gut bewegen und es ist pechschwarz. Sollte also nicht schwer sein, mit der Dunkelheit zu verschmelzen. Die anderen wollten nicht, ich habe ihnen aber wenigstens die Weste aufschwatzen können. Unsere Leute sind sich das Kämpfen nun einmal anders gewohnt und ja, die Weste kann die Bewegungsfreiheit des Oberkörpers schon einschränken, aber während Motorradfahrten oder in anderen Momenten, in denen man exponiert ist, kann sie einen vor einer tödlichen Kugel bewahren.»

Er schaute sie an. «Und du? Ist das obligatorisch?»

«Ja. Sie wollen, dass Sanitäter von Kämpfern unterschieden werden können. Mich stört es nicht.»

«Du siehst richtig taff aus», meinte er und lächelte eines seiner typischen Sasuke-Lächeln, die wie eine Mischung zwischen frechem Grinsen und aufrichtigem Lächeln waren. Wie sie das vermisst hatte.

«Kann ich nur zurückgeben. Hätte dich beinahe mit einem Polizisten verwechselt.»

Auf diese Aussage hin wirkte er nachdenklich. «Ich muss mich schon noch daran gewöhnen, dass wir jetzt mit Cops zusammenarbeiten. Ich meine, das sind wir einfach nicht.»

Sie wusste schon, was er meinte. Die anderen hatten das auch öfters diskutiert. Die Frage, ob sie sich selbst verrieten, indem sie mit ihrem grössten Feind, der Regierung zusammenarbeiteten.

«Um das nicht falsch zu verstehen: Es ist der einzige Weg, wie wir die Riots besiegen können. Und ich bin dankbar für diese Chance. Es geht nur ein wenig ums Grundsätzliche.»

«Und genau dieses Grundsätzliche ist das Problem. Wenn sich an unserer Situation irgendetwas bessern soll, dann müssen wir dieses Gut-Böse-Denken ablegen. Sonst kommen wir nie zum Ziel.»

Er nickte. «Du hast recht. Diese Einstellung hat dich weit gebracht.»

Sie schwiegen einen Moment.

«Darfst du dich innerhalb des Gebäudes eigentlich frei bewegen?»

«Ja. Wir dürfen uns hier frei bewegen. Das Gelände ist sowieso an allen Ausgängen und Seiten gesichert, haben sie gesagt. Big Fox und ich hätten keine Chance, zu türmen. Zudem gehen sie dieses Risiko ein, wenn sie uns in die Battles lassen. Können ja nicht dauernd ein Auge auf uns haben.»

«Und wenn ihr abhauen würdet, dann wäre eure Chance auf eine Reduktion des Strafmasses vom Tisch oder?»

«Richtig. Und sie wissen, dass wir das nicht riskieren werden.»

Nun war es wieder still. Die Zeit im Gefängnis war der Elefant im Raum, aber Sakura traute sich kaum, das anzusprechen.

«Im Knast hat man viel Zeit zum denken», sagte er plötzlich in die Stille hinein. Konnte er nun auch noch Gedanken lesen?

Das überraschte sie nun ziemlich. Unangenehme Themen umging Sasuke sonst immer. Damit, dass er selbst darauf zu sprechen kam, hätte sie nicht gerechnet.

«Ich werde nicht ohne Strafe davonkommen, Sakura. Ich werde vielleicht nicht mehr so lange im Knast sitzen, aber ich werde sitzen. Da bin ich mir sicher. Und diese Zeit im Gefängnis wird immer ein Teil davon sein, was ich bin. Ich meine nicht, dass ich sonst eine grosse Chance auf ein normales Leben gehabt hätte, aber mit dieser Verurteilung ist die Sache gegessen.»

Sie beobachtete seine Silhouette im Mondlicht. Worauf wollte er hinaus?

«Nicht, dass ich unschuldig wäre. Ich sehe meine Fehler klar und deutlich. Die Frage ist nur…» Er machte eine lange Pause, weil ihm die richtigen Worte nicht einzufallen schienen. «Ich werde nie so sein wie du oder die anderen aus Oto. Dafür ist es zu spät.»

Sie hörte den unterdrückten Schmerz in seiner Stimme, auch wenn er sich die grösste Mühe gab, es nicht durchdringen zu lassen.

Sakura tat es im Herzen weh. Dass er so über sich selber redete… er hatte sich verändert. Ja, er musste in der Tat viel nachgedacht haben.

«Was möchtest du mir damit sagen?», fragte sie leise.

«Dass ich mich freue, dich zu sehen Sakura. Mehr als ich es in Worten ausdrücken könnte. Aber ich werde nach alldem wieder weg sein. Fort von der Bildfläche. Das hier ist eine befristete Freiheit. Und auch nachdem ich meine Strafe abgesessen habe, werde ich immer ein Ex-Knasti sein.» Er machte eine Pause und die Worte, die folgten klangen gepresst. «Willst du dich wirklich mit sowas abgeben? Ich meine, du wirst warten müssen. Und auch danach bin ich…»

«Sasuke, ich weiss, warum man dich eingesperrt hat. Ich finde diese Strafe nicht gerechtfertigt.»

Nun sah er sie an. Ohne, dass sie jedes Detail in seinem Gesicht erkennen konnte, wusste sie, wie ernst sein Blick war.

«Bist du dir da ganz sicher?» Er klang herausfordernd.

Sie schwieg, seine Art verunsicherte sie.

«Ich habe eine kriminelle Organisation angeführt. Ich habe geklaut, vandaliert, mich geprügelt und gemordet. Und im Gegensatz zu anderen Gangleuten habe ich Menschen ermordet, die für mich keine Bedrohung mehr waren. Die ich getötet habe, weil ich wütend war. Wenn du mich fragst, dann klingt das nach genug Rechtfertigung.»

Sie wusste nicht, was sie sagen sollte. Er hatte recht, aber irgendwie einfach auch nicht.

«Und selbst, wenn das stimmt», begann sie, «dann beeinflusst das nicht, wie ich zu dir stehe.»

«Sollte es aber, Sakura. Ich habe so viel Scheisse gebaut und du warst auch davon betroffen.»

Er wandte sich ab. «Ich liebe dich, Sakura. Aber genau deshalb sage ich dir, dass es besser ist, wenn du dich nachdem das alles hier vorbei ist Neuem zuwendest.»

Sie schüttelte den Kopf. «Warum machst du das? Ich meine, ich habe mich wirklich gefreut dich wiederzusehen. Ich will niemanden anderen, Sasuke. Aber es verletzt mich, dass du meine Gefühle dir gegenüber einfach so abtust. Dass du sie nicht wertschätzt, nicht einmal anerkennst. Hör endlich auf damit, immer alle von dir wegzustossen und akzeptiere, dass du keine Kontrolle darüber hast, wie dich andere sehen.»

«Sakura…»

«Es ist nicht falsch für seine Fehler Reue zu zeigen, im Gegenteil. Aber das heisst nicht, dass du dich selbst hassen musst! Und schon gar nicht, dass alle anderen dich hassen müssen!»

Er setzte an, etwas zu sagen, doch sie liess ihn nicht sprechen. Schnell sprang sie vom Pult.

«Das alles hier kann doch kein Zufall sein, Sasuke! Ich meine, wie gross war die Chance, dass wir aus diesen Tausenden von Leuten an der Strassenparty ausgesucht werden, um uns vor genau den Leuten zum Affen zu machen? Wie gross war die Wahrscheinlichkeit, dass wir beide einen passenden Tanz gekannt haben und uns deshalb doch nicht blamiert haben? Wie um alles in der Welt kam es dazu, dass ausgerechnet wir in der Blood Zone aneinandergeraten sind, dass wir aus verschiedenen Gangs kommen und daraus trotzdem etwas entstanden ist? Das kannst du mir alles nicht mit Zufallslogik erklären!»

Inzwischen machte er keine Anstalten mehr, etwas zu sagen.

«Warum, ja sag mir, warum gibt man dir eine Chance, dich jetzt erneut zu beweisen und zu zeigen, wer du wirklich bist? Für dich ist jetzt nicht die Zeit, die Flinte ins Korn zu werfen, sondern zu dem zu werden, was du sein willst. Was denkst du, wie viele Menschen sich eine zweite Chance wünschen und sie nie erhalten? Und hier stehst du mit einer solchen Chance, kurz davor, sie wegzuwerfen! Was denkst du dir eigentlich dabei?!»

Ihre Stimme versagte gegen Ende beinahe. Sein Blick hatte sich verändert. Er war näher zu ihr getreten und im Mondlicht konnte sie sein Gesicht erkennen. Es hatte etwas Verletzliches, Sanftes, aber irgendwie sah er auch aus, als ob er sich regelrecht nach diesen Worten gesehnt hatte.

«Akzeptiere es einfach. Bitte.»

Er nickte langsam.

«Und jetzt… lass uns einfach diese kurze Zeit geniessen, in der wir noch nicht ausrücken müssen. Okay?»

Sie machte zwei Schritte auf ihn zu und umarmte ihn. Was sie gesagt hatte schien bei ihm immer noch richtig ankommen zu müssen, denn er zögerte, bevor er ihre Umarmung erwiderte. Sie hatte den Kopf an seine Brust gelegt und lauschte der angenehmen Stille, die nur von ihren ruhigen Atemzügen begleitet wurde. Es war einer von diesem ganz besonderen Momenten, in denen sie ausblenden konnte, was gewesen war und was kommen würde. Einer dieser Momente, in der sie einfach in der Gegenwart war und sich keine Gedanken machen musste.

Seine Arme schlossen sich enger um sie. Sie spürte seine sanften Lippen auf ihren, seine Hände an ihrem Körper. Da sie diesen Overall trug, spürte sie seine Wärme nicht so, wie sie es gerne gewollt hätte. Kurzerhand schlüpfte sie aus ihrer Jacke, unter der sie noch ein schwarzes T-Shirt trug. Er erkannte die Einladung und strich ihr sachte über ihre Arme. Ihre Haut kribbelte überall da, wo er sie berührt hatte.

Sie spürte dieses Verlangen nach ihm, welches sie über Monate unterdrückt hatte und nun, da er bei ihr war, wieder an die Oberfläche trat. Sie küsste ihn intensiver und er erwiderte das. Sie spürte, es ging ihm ähnlich wie ihr. Sie fuhr mit ihren Händen durch sein weiches Haar, während in ihr eine feurige Hitze aufstieg. Irgendwann wurde ihnen die Differenz in ihrer Körpergrösse zu mühsam. Sasuke hob sie mit einer Leichtigkeit hoch und sie schlang ihre Beine um ihn. Ihr Atem beschleunigte sich und sie wollte ihn so nahe bei sich haben, wie es nur möglich war. Sasuke machte zwei Schritte vorwärts und setzte sie auf dem Pult ab, welches die perfekte Grösse hatte. Seine Hände rutschten unter ihr Shirt und liebkosten ihren Rücken. Sie musste ein Keuchen unterdrücken, als er ihren Hals küsste und sie kurze Zeit später seine Lippen auf ihrem Schlüsselbein spürte.

Heute wäre sie bereit gewesen, ihm alles zu geben. Alles. Aber Zeit und Ort waren nicht wirklich optimal. Es war nicht der Moment.

Und wie wenn ihr das Universum eine Bestätigung schicken wollte, vibrierte Sasukes Handy in diesem Augenblick. «Demon, die wollen dich in zehn Minuten für eine Besprechung hier unten haben», vernahm sie Suigetsu sagen.

«Alles klar.» Er hängte ab und seufzte. «Du hast es gehört.»

«Na und? Bleibt noch ein wenig Zeit.» Sie grinste und zog ihn wieder an sich heran.

 

Zehn Minuten später machten sie sich auf den Weg nach unten, wo Sasuke sich in das Kommandobüro begab und Sakura beschloss, ein wenig schlafen zu gehen. Allerdings widerstrebte es ihr, in den grossen Raum voller Leute zu spazieren, der eigentlich für das Schlafen vorgesehen war. Sie wollte ein wenig Ruhe für ihre Gedanken haben. Also machte sie sich auf den Weg in die Cafeteria, die zu diesem Zeitpunkt leer war. Wie sie erwartet hatte, befanden sich dort einige Sofas. Es war relativ dunkel, durch die Kellerfenster fiel ein wenig Licht und die drei Getränke- und Snackautomaten spendeten auch noch ein wenig Helligkeit. In der hinteren Ecke fand sie ein rotes Sofa, das für ihre Grösse perfekt war. Ein wenig schlafen, bevor alles losging, schien ihr verlockend. Sasuke würde sie anrufen, wenn es soweit war, deshalb stellte sie ihr Handy auf laut.

Bis auf das Summen der Automaten war es vollkommen still. Es brauchte keine Minute, bis sie auf dem Sofa eingedöst war.

Erwachen tat sie erst wieder, als ihr jemand übers Haar strich. Langsam öffnete sie die Augen, dabei wusste sie längst, wer sie hier weckte.

«Geht es los?», fragte sie schlaftrunken und er schüttelte den Kopf. «In einer Stunde.»

Er streckte ihr einen Becher Automaten-Kaffee hin. «Und ich dachte mir, dass du vielleicht etwas Zeit zum Wachwerden brauchst, nachdem du eine Stunde geschlafen hast.»

Sie griff nach dem Becher. «Danke, da hast du vollkommen recht. Wie spät ist es?»

«Viertel vor Elf.»

Sie setzte sich auf. «Und was habt ihr vorhin noch besprochen?»

«Es wurde eine grosse Gruppe von Riots im Business-District gesichtet, in einem der Innenhöfe. Dort fühlen sie sich geschützt, weil rundherum grosse Gebäude stehen und sich an den Wochenenden auf den Fabrikgeländen sowieso niemand aufhält. Würde mich auch nicht wundern, wenn ein Teil dieser Fabriken Tomcats Eltern gehören würden und er sich so freien Zugang verschaffen kann.»

«Meinst du, seine Eltern wissen von seinen Machenschaften?»

Er schüttelte den Kopf. «Nee. Seine Eltern leben im Ausland, soviel ich weiss. Haben neben ihrem riesigen Haus in der Sunside irgendeine dicke Villa an einem See in der Schweiz und leben auch die meiste Zeit dort. Ich denke nicht, dass Leute wie die es so toll fänden, wenn ihr Sohn in einer kriminellen Gang mitmischt.»

«Er passt so gar nicht in dieses Gangjungen-Schema, nicht wahr? Als er mit mir geredet hat, dachte ich…»

«Du hast mit Tomcat gesprochen?!» Sasukes Augen verengten sich.

«Oh. Hat euch Shika nicht erzählt, wie es überhaupt zu dem Moment gekommen ist, als ich die Zusammenarbeit der Riots mit Momochi im Fernsehen preisgegeben habe?»

«Er hat nur gesagt, das die Riots euch dazu angehalten haben. Nicht, dass du mit Tomcat gesprochen hast.»

Sie nickte. «Gut, dann weisst du es jetzt. Der ist beim Toad’s aufgetaucht als ich gerade Feierabend machen wollte. Die Jungs waren nicht da und wir haben gesprochen. Er hat mir erzählt, was für ein kranker Mensch Momochi ist und dass er ebenso kranke Pläne gehabt hat. Sie wollten ihn loswerden. Er meinte, dass es uns ja auch dient, Momochi loszuwerden.»

«Hat er sonst noch etwas gesagt?» Sasukes ganzer Körper war angespannt.

«Er hat mir noch ans Herz gelegt, dass ich es bereuen werde, wenn ich irgendetwas tue, was den Riots schadet.»

«Was für ein bescheuerter Typ», brummte Sasuke sichtlich gereizt. «Ist dir bewusst, dass du in genau diesem Moment etwas tust, was den Riots schadet? Die Kooperation mit der Polizei wäre ohne dich nicht zu Stande gekommen, jedenfalls wird das in Tomcats Augen so aussehen. Er dreht die Realität so, wie er sie gerne haben möchte.»

«Darüber habe ich nicht wirklich nachgedacht…» Das beunruhigte sie schon ein wenig. «Meinst du wirklich, er würde das tun?»

Er nickte. «Falls du Tomcat irgendwo da draussen begegnest, geh ihm aus dem Weg, okay? Ich meine, das solltest du sowieso tun. Aber jetzt musst du dir bewusst sein, dass er irgendetwas an dir als Gefahr ansieht. Er wäre nicht auf dich zugekommen oder hätte dir gedroht, wenn es anders wäre. Beweg dich nie alleine und bleib immer im Kreise der Leute, mit denen du unterwegs bist.»

«Meinst du nicht, der wird anderweitig beschäftigt sein?»

«Vermutlich. Aber schliesse nichts aus. Er ist sich gewohnt, zu bekommen, was er will. Er hat Macht und geniesst diese Macht. Ich werde trotzdem nicht wirklich schlau aus ihm und das macht ihn gefährlich. Auch wenn er ziemlich besonnen und clever wirkt, ich weiss nicht, wie berechenbar er wirklich ist. In dieser Hinsicht ist er ein wenig wie Crow. Er weiss sich zu präsentieren, aber wer weiss schon, was er dabei alles versteckt.»

«In Ordnung. Ich werde vorsichtig sein. Du aber auch, ja? Die werden Augen machen, wenn sie euch sehen.»

«Wir müssen einfach aufpassen. Ihre miesen Tricks haben uns schon öfters kalt erwischt. Der Plan ist, dass wir die Gruppe direkt angreifen, beziehungsweise wird die Polizei erst eine friedliche Verhaftung versuchen, jedoch wird das zu neunundneunzig Prozent nicht funktionieren. Das wissen Hatake und die anderen. Dann werden wir ins Spiel kommen. Es seien ungefähr vierzig, es sollte also klappen, da wir in der Überzahl sind.»

«Ich hoffe, es wird gut gehen.»

Die restliche Zeit bis zum Aufbruch verbrachten die beiden damit, einander von den vergangenen Monaten zu erzählen und ihre Kaffeebecher zu leeren. Es war so viel geschehen. Sasuke erzählte ihr vom Gefängnis und liess sogar seine regelmässigen Gespräche mit der Sozialarbeiterin nicht aus. Es schien, als hätte er da wirklich eine gute Person erwischt, die wusste, wie er anzugehen war. Was sie besonders freute war, dass er von seinen ehemaligen Klassenkameraden einen Brief erhalten hatte.

«Du musst ihnen unbedingt zurückschreiben, Sasuke. Oder wir besuchen sie irgendwann einmal wieder.»

Er nickte nur.

«Wirst du mir die Sachen einmal zeigen, die sie dir geschickt haben?»

«Klar. Die Sachen habe ich allerdings noch in unserer Zelle. Ist ja nach wie vor mein Wohnort.»

Um halb Zwölf standen sie auf, schmissen die Plastikbecher in den Abfalleimer und machten sich auf den Weg nach oben. Kurz bevor sie in Sichtweite der anderen kamen, zog Sasuke sie noch einmal an sich ran. Sie küssten sich ein letztes Mal.

«Bereit?», fragte er.

«Bereit.»

 

Aoi winkte ihr bereits, als sie auf den Krankenwagen zusteuerte. «Na, ready?»

Sakura nickte lächelnd. «Na klar. Und ihr?»

«Ich hab selten so viel Energie gehabt», meinte Kenta. Es war toll, dass sie alle so motiviert waren.

«Sanae sitzt bereits am Steuer. Kannst gleich zu ihr gehen.»

Sakura steuerte die Beifahrertür an. Auf dem Platz herrschte ein emsiges Treiben. Die Polizei hatte Jeeps organisiert, die ziemlich militärisch aussahen. Auf ihnen konnten einige Gangleute mitfahren, die andere würden wie sie es gewohnt waren, auf ihren Motorrädern mitfahren. In all dem Gewusel entdeckte sie Sasuke. Bei ihm stand eine Frau, die sie nicht kannte. Sie sprachen miteinander und Sasuke wirkte entspannt. Ob das diese Sozialarbeiterin Miss Ito war?

Sie hatte keine Zeit mehr, darüber nachzudenken.

«Hey, Saku!» Tenten kam angerannt. Sie war bis an die Zähne bewaffnet und Sakura musste unwillkürlich lachen. Das war Tenten wie man sie kannte. Hinter ihr stand Neji und Kiba.

«Wir wollten nur noch einmal nachsehen, ob du bereit bist. Alles klar?», fragte Letzterer.

«Danke, ich bin bereit. Und ihr?»

«Sowas von!» Tenten lächelte und wies auf das Gewehr an ihrem Rücken. «Diese Babys haben eine Qualität, von der sogar Oro nur träumen kann!»

Sie legte ihr eine Hand auf die Schulter. «Jedenfalls, viel Erfolg, Saku. Wir werden natürlich auf euch aufpassen. Trotzdem.»

«Das wünsche ich euch auch. Wir müssen unser Bestes geben, ja?»

«Natürlich werden wir das. Das hier ist unsere Chance.»

Selbst der eher kühle Neji liess sich von Tenten noch zu einer Gruppenumarmung überreden. Sakura streichelte noch einmal Akamaru, bevor er und Kiba sich in Richtung eines Jeeps begaben.

«Wir sehen uns, Cherry!», rief Tenten und zog Neji in Richtung der Motorräder.

Sakura stieg mit einem Lächeln im Gesicht in das Fahrzeug ein.

«Willkommen im Verbandsmobil, Sakura», begrüsste sie Sanae. «Na, bist du soweit?»

«Absolut.»

«Gut zu hören. Mal sehen, wie das heute wird.»

In diesem Moment hörte sie draussen die Motore aufheulen. Gleich darauf setzten sich fünf Jeeps, zwei Krankenwagen und etwa zwanzig Motorräder in Bewegung. Sanae startete den Motor des Wagens. Durch das kleine Fenster, welches Fahrerkabine und den Raum dahinter verband, rief sie: «Startklar.»

Von hinten kam Zustimmung.

«Na dann los.» Der Wagen setzte sich in Bewegung und Sakura fühlte, wie sich ihr Puls beschleunigte. Das war der Moment, auf den sie gewartet hatten.

Von diesem Punkt an hiess es: Alles oder nichts.

 

Undercover

Zeit verstrich und Sakuras Nervosität nahm mit jeder Minute zu. Sie warteten inzwischen seit mindestens einer halben Stunde in einer Seitengasse im Business-Viertel von Konoha. Zu ihrem Schutz war ein Jeep der Polizei in der Nähe geblieben.

«Sarutobi hat gesagt, dies sei eine Mission, bei der es seiner Vermutung nach noch nicht allzu viele Verletzte geben sollte. Meinst du, er behält recht?», fragte Sanae und beobachtete ihre Umgebung durch die Frontscheibe der dunklen Fahrerkabine. Motor und Licht waren aus.

«Schwer zu sagen. Die Riots sind unberechenbar, aber andererseits denke ich nicht, dass sie mit Aktivität von unserer Seite her rechnen. Ich weiss nicht, ob sie schon etwas mitbekommen haben, was unsere Kooperation angeht, so viele Spitzel wie sie überall haben. Aber ich gehe davon aus, dass dies hier eines ihrer friedlichen Saufgelage-was-auch-immer ist. Die sind nicht aufs Kämpfen vorbereitet.»

«Ich hoffe ja wirklich nicht, hier gleich in Aktion treten zu müssen. Es wäre verdammt früh in Anbetracht der Tatsache, dass Hatake so wenig Verluste und Verletzungen wie möglich auf beiden Seiten haben will. Aber wie du bereits gesagt hast, man kann bei diesen Riots nie wissen.» Sie warf einen Blick nach hinten, wo Kenta und Aoi tatsächlich ein Kartenspiel spielten. «Weisst du, wir sind solche Missionen nicht gewohnt. Ich fühle mich irgendwie wie in einem ziemlich realistischen Action-Film. Es ist so eine Mischung aus Spannung und Nervosität.»

Sakura lachte leise. «Geht mir genauso. Ich weiss nicht, ob man sich jemals an diesen Nervenkitzel gewöhnt. Ich bin selber nicht das aktivste Gangmitglied, deshalb geht es mir immer noch genau wie dir.»

Sanae lächelte. «Einen gewissen Reiz hat das Ganze ja schon, auch wenn damit nicht zu spassen ist. Aber sind wir ehrlich, wir sind nicht Rettungssanitäter geworden, weil wir uns nach einem ruhigen Job gesehnt haben. Wir brauchen das Adrenalin.»

In diesem Moment rauschte es im Funkgerät. «Mission erfolgreich. Drei Leichtverletzte, AS1 bitte zum Einsatzort vorrücken.»

Sanae hatte ihr die Bedeutung ihres Codenamens erklärt. Sie waren die erste Ambulanzeinheit im South-Bezirk – AS1.

«Verstanden», antwortete Sanae und kommunizierte die Info nach hinten, damit Kenta und Aoi sich anschnallten. Sie startete den Motor und drei Minuten später waren sie am Einsatzort. Sie passierten ein grosses, schmiedeeisernes Tor zwischen zwei grossen Fabrikhallen. Auf dem Platz herrschte ein Gewimmel an verschiedensten Personen. In der Mitte befanden sich aneinander gekettete Riots, die Kastenwagen zu ihrem Abtransport standen schon bereit.

Sie wurden eingewiesen. Auf die drei Sanitäter warteten bereits die Verletzten – zwei Riots, ein Kurama-Outer. Es handelte sich dabei um kleinere Schnittwunden. Die Riots sahen ziemlich sauer aus, jedoch wehrten sie die Hilfe der Sanitäter nicht ab. Sakura entdeckte bei ihnen auch Sasuke und Sarutobi, die in ein Gespräch vertieft waren.

Sie erschrak fürchterlich, als sie etwas Nasses an ihrer Hand spürte. Schnell stellte sie fest, dass es sich dabei um Akamarus Hundeschnauze handelte.

«Na, Cherry? Das war doch mal ein guter Anfang, oder?» Kiba war neben ihr aufgetaucht.

«Hat alles so geklappt, wie es sollte?», fragte sie ihn.

«Wir sind hier hingekommen und sie wussten sofort, dass sie keine Chance hatten. Die zwei Knallköpfe da haben sich noch zu wehren versucht.» Er wies auf die beiden verletzen Riots. «Aber die hatten keine Chance.»

«Und wie geht es jetzt mit ihnen weiter?», fragte sie nachdenklich. «Ich meine, die können ja schlecht alle eingesperrt werden. Und kann man denen ihre Schuld überhaupt beweisen?»

«Sarutobi hat uns das vorhin erklärt, als einer der Riots meinte, dass man ihnen nichts beweisen könne. Sie werden vorläufig in U-Haft kommen. Die werden nicht alle weggesperrt werden, erstens wegen mangelnden Beweisen und zweitens, weil die meisten keine Vergehen begangen haben, die gross genug waren. Dass sie aber den Riots angehören reicht für eine Einweisung in die U-Haft. Kriminelle Organisation halt. Und strafen wird man sie schon können, vermutlich aber nicht mit Gefängnis. Mal sehen.»

«Das waren alle Outers?»

Er nickte. «Ja. Jedenfalls Angehörige der Riots. Die haben ja in letzter Zeit enormen Zuwachs bekommen und ich weiss nicht, ob die dieselben Hierarchien und Untergruppen wie wir haben.»

Er wirkte nachdenklich. «Wir müssen die grossen Fische erwischen. Das wäre weitaus effektiver. Solange Leute wie Crow, Tomcat und all die anderen Drahtzieher frei herumlaufen, können wir nicht aufatmen. Und leider wissen die, wie man sich versteckt und dabei trotzdem noch den grösstmöglichen Schaden anrichten.»

«Crow ist ein geborener Anführer und das ist das eigentliche Problem.» Sakura hatte gar nicht bemerkt, wie Neji mit Tenten neben ihnen aufgetaucht war. «Wenn er etwas sagt, dann hängen seine Leute an seinen Lippen. Er braucht nur mit dem Finger zu schnippen und sie tun, was er will. Und ob wir nun wollen oder nicht, das ist eine Macht, die man nicht unterschätzen sollte.»

«Er spielt mit den Schwachstellen der Menschen. Verspricht ihnen das, was sie sich am meisten wünschen. Manchmal frage ich mich, ob sie für ihn nur Mittel zum Zweck sind oder er denkt, dass er auf diese Weise wirklich etwas bewirken kann.» Tenten seufzte. «Lasst uns weitergehen. Sarutobi wird es gleich sagen, aber wir werden gleich eine weitere Verhaftung vornehmen. Haben eine etwas grössere Sache am Laufen.»

Die Riots wurden abgeführt und in den Kastenwagen gebracht. Tenten behielt recht – kurz nachdem die Riots weg waren, wurden ihnen Anweisungen über Funk gegeben.

Die nächste Verhaftung stand an.

Gerade als sie dachten, in dieser Nacht würde alles glimpflich verlaufen, kam der verhängnisvolle Funkspruch. Ihnen war bewusst gewesen, dass sie mit vielem rechnen mussten, jedoch war die rasche Reaktion der Riots doch eine Überraschung.

Nachdem sie eine weitere Gruppe Riots verhaftet hatten und sich gerade auf den Weg zurück zur Uni machen wollten, meldete sich Sarutobi über Funk.

«Planänderung. Alle Einheiten sofort zum City-Park. Geiselnahme, ich wiederhole, Geiselnahme. AS1, AS2 und AS3 vom Park fernhalten. Verfügbar auf Abruf.»

Kaum hatte sie das Wort «Geiselnahme» gehört, klopfte ihr Herz schneller. Erinnerungen an die verhängnisvolle Nacht der Kindesentführung und die Demonstration vor dem Polizeidepartement kamen auf.

«Wem tun diese Monster es dieses Mal an?», murmelte Sakura zwischen zusammengebissenen Zähnen. «Darf ja nicht wahr sein.»

Sanae schaute konzentriert auf die Strasse vor ihr. Damit niemandes Aufmerksamkeit auf die Krankenwagen fielen, hatten sie den anderen einen Vorsprung gelassen. So konnten sie sich nachher hoffentlich unbemerkt in einer Seitengasse postieren.

«Diese Geiselnahme ist die Antwort auf unsere Aktivitäten in dieser Nacht», murmelte sie nachdenklich. «Es ist die ultimative Waffe der Riots, die wir ihnen nicht wegnehmen können.»

«Sie können so also unsere ganzen Aktivitäten kontrollieren. Sie haben uns in der Hand, ist das richtig?»

Sie nickte. «Zum grössten Teil, ja. Obwohl Gangs normalerweise keine Zivilisten als Geiseln nehmen. Aber die Riots sind ja leider keine normalen Gangs.»

Die Strassen der Downtown waren wie leergefegt. Wären die Riots nicht, würden sie hier noch massenweise Nachtschwärmer antreffen.

Sanae parkte wieder in einer Seitenstrasse. Sakura öffnete das Fenster in ihrer Tür ein wenig, um etwas frische Nachtluft zu schnappen, die trotz des warmen Sommers angenehm kühl war. Ein leiser Wind strich um die Ecken und bewegte herumliegenden Müll von Ort zu Ort. Es war schon fast beängstigend, wie gespenstisch Konoha so ausgestorben wirkte. Als ob die gesamte Bevölkerung weitergezogen wäre, fast wie in einer dystopischen Zukunftsgeschichte.

Sanae schien das Gleiche zu denken. «Sag mal, ist hier irgendwo ein Atomkraftwerk in die Luft gegangen und wir haben es noch nicht gemerkt?», meinte sie trocken. «Um diese Zeit gabeln wir normalerweise noch einen Haufen Nachtschwärmer auf, die es mit dem Alkohol übertrieben haben.»

Sie warteten. Und warteten. Sakura wurde vor lauter Nichtstun müde. Trotzdem hielt sie ihre Ohren gespitzt in der Hoffnung, bald etwas aus dem Walkie-Talkie hören zu können.

Zeit verstrich.

 

«Ihr habt jetzt noch die Chance, euch zu ergeben. Das dürfte euer Strafmass noch ein wenig mildern.» Hatake sagte das in kühlem, jedoch neutralem Ton.

«Warum sollten wir?», brüllte der Riot von der Anhöhe her. Sie waren nur zu fünft, die Geisel war eine junge Frau. Alle anderen Zivilisten waren weggebracht worden.

Naruto seufzte. «Wir wissen, dass ihr nur Zeit schinden wollt. Ihr seid umstellt, wo wollt ihr hin? Eure Situation ist ausweglos, also her mit dem Mädchen.»

Die Riots wussten um ihre Lage. Die Geiselnahme musste eine Art Schreckreaktion gewesen sein.

«Und was, wenn nicht?»

Hatake blieb ruhig und spielte seine Trumpfkarte. «Wie ihr seht, stehen hier viele Hochhäuser. Auf zwei von ihnen sind zwei meiner besten Scharfschützen positioniert. Die haben euch in diesem Moment im Visier und warten nur auf mein Kommando. Aus dieser Distanz ist das für sie ein Kinderspiel. Ihr habt keine Chance. Ergebt euch.»

Die Riots ergaben sich. Fünf Minuten später sassen sie in einem Kastenwagen auf dem Weg in U-Haft.

«Da waren keine Snipers, oder?», fragte Naruto belustigt und Hatake schüttelte den Kopf. «Nein, kein einziger. Für so etwas müssen wir nicht einen derartigen Aufwand betreiben. Die Scharfschützen brauchen wir vielleicht später – dann, wenn sie einen Plan haben. In dieser Nacht können wir unseren Vorteil noch ausnutzen und so viele wie möglich dingfest machen.»

«Das war nur der Auftakt», meinte Naruto grinsend.

Nach und nach begaben sich die Divisionen wieder in ihren jeweiligen Bezirk, um dort weiterzumachen, wo sie angefangen hatten.

Zehn Minuten später war der Park wie leergefegt.

 

Der Funkspruch liess alle aufatmen. Sakura war froh, dass sich am City Park alles so glimpflich entwickelt hatte.

«Sarutobi hat gesagt, wir können zurück. Für diese Nacht sei das alles», gab Sanae den beiden anderen Sanitätern Bescheid.

«Schon? Wir haben ja noch gar nichts gemacht», meinte die junge Aoi und Kenta schüttelte den Kopf. «Sei froh. Schon sehr bald werden wir mehr zu tun haben.» In seiner Stimme schwang ein beunruhigender Unterton mit.

Gerade, als Sanae den Motor starten wollte, bemerkte Sakura vorne auf der Strasse zwei junge Frauen, die den abgestellten Krankenwagen in der Seitengasse nicht entdeckten.

«Warte mal, Sanae», sagte sie ruhig und beobachtete die Mädchen. «Was machen die Zwei da?»

Sanae sah etwas verwirrt aus. «Ich weiss nicht, warum?»

Sakura konnte es nicht genau beschreiben, aber etwas an diesen Mädchen machte sie stutzig. Vielleicht waren es ihre zielstrebigen Schritte oder die lila-gefärbten Haare der einen. Was auch immer, irgendetwas war komisch.

«Irgendetwas ist komisch.»

Und dann fiel es ihr ein. Diese lila Haare hatte sie schon einmal gesehen und zwar an dem Tag am Güterbahnhof, als Hinata zu den Riots übergelaufen war. Sie war bestimmt nicht ihr Hauptfokus gewesen, aber Sakura hätte schwören können, sie schon einmal gesehen zu haben. Gut, vermutlich war sie nicht die Einzige in der Stadt, die mit lila Haaren herumlief. Sakura konzentrierte sich dermassen auf sie, dass sie der anderen beinahe keine Beachtung geschenkt hätte. Doch die langen dunklen Haare stachen ihr dann doch ins Auge – Hinata. Sie musste schwer schlucken.

Die beiden Mädchen bewegten sich weiter und Sakura hätte in diesem Moment ihre Leuchtjacke verfluchen können.

«Das sind Riots.»

Sanae schaute sie ungläubig an. «Bist du dir sicher?»

«Hundertprozentig. Und wo immer sie mitten in der Nacht hinwollen, es könnte aufschlussreich sein.»

Sanae musterte sie. «Du kannst da jetzt nicht raus, das ist viel zu gefährlich. Noch dazu in diesem Aufzug.»

«Sanae. Ich kenne eines der Mädchen. Wenn sie dabei ist, dann muss hier in der Nähe irgendetwas sein. Wie weit sind wir vom City-Park entfernt?»

«Etwa drei Minuten?»

«Okay. Meinst du, die anderen sind weg vom Park?»

«Vermutlich.» Der Blick der Sanitäterin war mehr als verwirrt.

Sakura überlegte. Hinata und das Lilamädchen hatten ziemlich vorsichtig gewirkt. Einmal hatten sie sich umgesehen, wie wenn sie Angst hätten, ihnen könne jemand folgen.

Ohne noch weiter nachzudenken streifte Sakura ihre Jacke ab und stieg aus dem Krankenwagen. Sie erinnerte sich an das, was Sasuke ihr wegen Tomcat gesagt hatte und schob es schnell auf die Seite. Das hier könnte sie zu einem geheimen Treffpunkt führen.

«Wartet einen Moment. Keine Angst, ich werde nichts Gefährliches tun!»

Sanae sah zwar beunruhigt aus, hielt sie jedoch nicht auf.

Schnell lief Sakura ans Ende der Gasse, um vorsichtig um die Ecke spähen zu können. Da waren Lilamädchen und Hinata, die in die nächste Seitengasse weiter vorne einbogen.

Nach einem prüfenden Blick auf die leergefegten Strassen näherte sie sich der Verzweigung. An der Ecke angekommen hielt sie sich nahe an der Hauswand und spähte vorsichtig um die Ecke. Viel zu sehen war allerdings nicht. Gerade hörte sie noch die Tür zu einer zwielichtig aussehenden Spelunke zugehen. Über der Tür stand in verwitterten Buchstaben kaum erkenntlich «Leopard» geschrieben. Vor der Tür standen keine Motorräder, was sie stutzig machte. Wenn das hier ein Treff der Riots war, dann müssten hier ja wohl auch Motorräder herumstehen. Es sah sowieso überhaupt nicht aus, als wäre diese Bar noch in Betrieb. Zudem man sie von der Strasse nicht einmal wirklich sehen konnte.

Ihr Herz klopfte. Sollte sie näher rangehen?

Sie befand sich hier möglicherweise in einer riesigen Gefahr, aber es bestand die Chance, etwas über die Riots herauszufinden. Und wenn Hinata da war – als Freundin von Crow eine ziemlich wichtige Riot – dann musste hier doch irgendetwas Wichtiges in Gange sein.

Sie atmete tief durch und sah sich noch einmal um. Niemand da. So leise wie möglich schlich sie an ein paar stinkenden Mülltonnen vorbei, bis zur Tür. Ihr war klar, wenn gleich jemand aus dieser Tür trat, stand sie dumm da und wenn es ein Riot war, dann musste sie laufen.

Neben der Tür befand sich ein kleines Fenster, durch das Sakura ins Innere der Spelunke spähen konnte. Das trübe, schmutzige Glas bot zwar nicht gerade die beste Sicht, aber etwas erkennen konnte sie allemal. Das Lokal war schummrig, es hatte einen Bartresen und einige Tische. Es waren erstaunlich viele Leute im Raum, die meisten von ihnen bereits sichtlich betrunken. Sie war sich ziemlich sicher, dass das nicht alles Riots waren. Zu wenig schienen sie mit Hinata und den drei Leuten zu tun zu haben, die sie und Lilamädchen gerade begrüssten. Also war das hier kein Riot-Nest, aber möglicherweise einer ihrer Treffpunkte. Die Gruppe schien den Barkeeper zu kennen, der sie ebenfalls freundlich begrüsste. Sie verliessen den Raum durch eine Tür hinter der Bar. Wohin gingen die?

In diesem Moment erhoben sich zwei Leute von ihrem Tisch und steuerten die Tür an. Für Sakura wurde es also höchste Zeit, zu verschwinden.

Schnell lief sie auf die Strasse hinaus und zurück zum Krankenwagen, wo Sanae und die anderen schon ganz besorgt warteten.

«Sakura! Bist du verrückt geworden?! Wo warst du?!»

«Ich habe etwas Interessantes entdeckt. Aber ich erzähle es euch auf der Rückfahrt, okay?»

 

Sakura erstattete nicht nur den drei Sanitätern ausführlich Bericht, sondern auch Sasuke, Sarutobi und all den andere wichtigen Köpfen.

«Das war sehr gefährlich Mädchen. Wer weiss, was sich bei dieser Bar alles herumtreibt?»

Sakura nickte. «Es tut mir leid. Aber da ich…», sie besann sich, Hinata nicht im Beisein der Polizei zu erwähnen, «… da ich eine mir bekannte Riot gesehen habe, wusste ich um wen es sich bei den beiden gehandelt hat. Und sie gehört zu den Wichtigeren in der Gang, also vermute ich, dass dort irgendetwas sein muss.»

«Da könntest du allerdings recht haben. Wir werden besprechen, was zu tun ist. Und nun würde ich vorschlagen, dass ihr schlafen geht. Die Tag-Patrouille übernehmen andere.»

Sakura nickte. Es war fast vier Uhr morgens und die Müdigkeit machte sich in all ihren Gliedern bemerkbar.

Sie verliess den Besprechungsraum und machte sich auf den Weg in den Saal, der zum Schlafen vorgesehen war. Sie kam nicht weit. Eine warme Hand fasste sie am Handgelenk.

«Was hast du dir dabei gedacht?», fragte er ruhig, jedoch hörte sie, wie unzufrieden er damit war. «Nach dem, was ich dir alles gesagt habe.»

«Es tut mir leid. Aber es war eine einmalige Gelegenheit… ich habe Hinata gesehen, Sasuke.»

Seine Augenbrauen wanderten nach oben. «Hinata?»

«Ja. Weisst du jetzt, warum ich mir so sicher war, dass es wichtig sein muss? Hinata hat einen Spezialstatus in der Gang und wenn sie dabei ist, dann…»

«Dann können ihre Inners auch nicht allzu weit sein. Oder wie auch immer sie sich nennen.»

«Richtig.»

Er grinste anerkennend. «So sauer mich deine Leichtsinnigkeit auch macht, das war in der Tat keine schlechte Entdeckung.»

«Und was denkst du, machen sie jetzt?»

«Ich werde bei der Besprechung morgen dabei sein. Ich würde sagen, wir sollten sie ausspionieren. Einfach so reinzuplatzen ist nicht die beste Idee. Wir wollen schliesslich viele Riots schnappen, nicht wahr?»

«Meinst du denn, das ist eines ihrer Quartiere?»

Er zuckte mit den Schultern. «Möglich ist alles.»

Sakura gähnte. «Na, dann habe ich in dieser Nacht wenigstens noch etwas Sinnvolles gemacht.

«Dumm, aber sinnvoll», fügte er an und sie seufzte.

«Man kann es dir ja sowieso nicht recht machen, oder?»

«Keine Antwort auf diese Aussage», brummte er gespielt verärgert. «Wir sollten jetzt ohnehin schlafen gehen.»

«Einverstanden.» Gemeinsam begaben sie sich zum Schlafraum, der jedoch gerammelt voll war. Für sie reichte ein kurzer Blick in die Augen des anderen, um sich einig zu werden. Zwei Minuten später befanden sie sich in dem ihnen vertrauten Hörsaal im ersten Stock. Da gab es zwar keine Matratzen, aber das machte nichts. So dünn wie sie waren, machte es kaum einen Unterschied, ob man auf einer schlief oder nicht. Sie rollten ihre Jacken zu Kopfkissen zusammen und machten es sich auf dem Boden bequem. Draussen dämmerte es bereits.

Sakura kuschelte sich in seinen Arm und er zog sie ganz nahe an sich.

«Das habe ich vermisst», flüsterte sie an seinem Hals.

Er schloss seine Arme noch enger um sie, was Antwort genug war. Sie spürte seinen Atem in ihrem Haar und die Wärme seines Körpers an ihrem.

«Wenn ich irgendwann einmal aus dem Gefängnis rauskomme», murmelte er leise, «dann möchte ich weg aus dieser Stadt.»

Sakura hatte nicht mit einer solchen Aussage gerechnet, aber irgendwie freute sie sich darüber. «Und warum?»

«Da fragst du noch?», er lachte leise. «Ich denke Konoha spricht für sich.»

Sie nickte. «Und wohin willst du denn?»

«Keine Ahnung. Weg. Ich kenne gar nichts anderes als die Grossstadt.»

Bei dem Gedanken wurde sie nachdenklich. Obwohl sie sich immer geschworen hatte, dass sie nach Studium und College Konoha verlassen würde, hatte sie sich fast zu sehr an dieses Leben gewöhnt. Die Stadt war weder schön, noch ein besonders guter Wohnort, aber durch die Gangs hatte sie ein ganz besonderes Band zu den grauen Hochhäusern und dem Strassenlärm entwickelt. Konoha war ein Teil von ihr, aber für Sasuke war Konoha fast das ganze Leben. Er war als Kind hierhergekommen und hatte es nie wieder verlassen.

«Stellst du dir so etwas wie Otogakure vor?»

«Etwas wie Oto, aber nicht Oto. Aber vergiss es, ich werde wahrscheinlich niemals aus der Stadt rauskommen. Selbst wenn ich dann einmal aus dem Knast raus bin, habe ich ja immer noch kein Geld und muss erst einmal arbeiten. Und auch das könnte schwierig werden.»

«Lass uns doch einfach mal weiterspinnen, ohne ständig düstere Gedanken zu haben», forderte sie ihn auf.

Er musste ein wenig lächeln. «Ich habe mir das nie so genau überlegt. Aber falls ich irgendwann die Chance dazu bekomme, will ich woanders hin. Neu anfangen.»

Selten hatte sie ihn von der Zukunft reden hören und schon gar nicht auf eine positive Art. Es war schön, ihm zuzuhören. Nur weil er als Strassenkind in einer Gang grossgeworden war, hiess das nicht, dass er nicht träumen durfte. Zum ersten Mal hörte sie so etwas wie eine Sehnsucht in seiner Stimme und seinen Worten. Eine Sehnsucht nach einem ruhigen und guten Leben, ohne Gewalt, ohne Blut, ohne diesen ständigen Kampf ums Überleben.

Sie musterte ihn. An seinem Arm erkannte sie im Mondlicht das Tattoo mit der geflügelten Schlange, die sich pechschwarz an seinem Arm empor schlängelte. Seine Augen waren so dunkel und unergründlich, manchmal eiskalt, jetzt aber voller Wärme. Die Narbe, über seinem rechten Auge, die durch seine dunkle Braue schnitt. Die Strasse hatte seinen Körper gezeichnet, kannte sie doch die vielen Male an seinem Körper, die alle aus Kämpfen stammten. Sie hatte ihn gezeichnet, aber auch kräftig und schlau gemacht. Breite Schultern, gut gebaute Muskeln und ein scharfsinniger Verstand. Raue aber geschickte Hände. Rabenschwarzes, weiches Haar. Schöne Lippen, hohe Wangenknochen.

Ein abgehärtetes Herz, von innen fragil und verletzlich. So unnahbar und stark, und doch so sanft und liebevoll.

Taka-Demon. Oder einfach nur Sasuke.

Ob er ihren Blick bemerkt hatte? Es schien, als ob er gerade selber darin vertieft war, sein Gegenüber zu mustern.

«Ich möchte, dass du dabei bist», sagte er urplötzlich.

«Wobei?», fragte sie, überrumpelt von dieser plötzlichen Aussage.

Er lachte. «Wenn ich hier weggehe.»

Ein weiterer Blick auf ihr perplexes Gesicht und er fügte etwas leiser an: «Natürlich nur, wenn du das auch möchtest.»

Die Botschaft kam langsam aber sicher bei ihr an. Wenn er aus Konoha fortging, wollte er sie dabeihaben. Mit ihr gemeinsam weggehen. Und die Idee verursachte ein Kribbeln in ihrem Bauch.

«Ich will hier auch weg. Wenn du irgendwann gehst, komme ich mit. Versprochen», flüsterte sie.

«Du musst mir nichts versprechen. Es reicht mir wenn ich weiss, dass du trotz allem jetzt in diesem Moment mitkommen würdest.» Er nahm ihre Hand und küsste sie.

Er hatte sich in diesem Jahr so verändert. Die Gang war sein Leben gewesen, die Stadt sein zu Hause. Und nun hatte er eine Vision. Träumte. Wollte neue Perspektiven haben.

Sie lächelte ihn an und konnte gar nicht anders, als ihn auf den Mund zu küssen.

In diesem Moment war es, als schwebten sie in ihrer ganz persönlichen Seifenblase. Die Aussenwelt und ihre Probleme schienen meilenweit entfernt zu sein. Als ob es kein Gestern und kein Morgen mehr gäbe.

Es herrschte komplettes Einverständnis zwischen ihnen, sie benötigten keine Worte. Ein Glück der ganz besonderen Art. Beide wussten, sie gehörten zusammen, ob das nun verrückt war oder nicht.

 

«Und was gedenkst du jetzt zu tun, Boss? Diese verdammten Bastarde haben so wenig Stolz, dass sie sich mit den Bullen zusammentun müssen!»

«Reg dich ab, Cracker.» Crow hatte die Füsse auf die Mahagoni-Tischplatte gelegt. Tomcats Eltern hatten echt zu viel Kohle. Aber hier in ihrer Aussenresidenz liess es sich wunderbar planen und beraten, ohne gestört zu werden. Die Villa (Tomcat betonte immer wieder, dass es ihr kleinstes Haus sei) lag etwas ausserhalb der Stadt an einem grasbewachsenen Hügel, zusammen mit Prunkhäusern von anderen Bonzen.

Cracker war nervös. Der Typ war stark, schnell und clever, aber er konnte es nicht ab, wenn etwas nicht so lief, wie er es gerne gehabt hätte. Im Raum sassen noch drei weitere seines engsten Kreises. Alles hervorragende Leute. Sie schwiegen und hörten zu.

«Ich soll mich abregen? Durch die Bullen sind die mit den modernsten Waffen ausgestattet, kriegen kugelsichere Ausrüstung und eine perfekte Versorgung der Verletzten. Was für ein schräger Deal der Polizei ist das eigentlich? Die Takas und Kuramas waren ihnen Jahre bevor uns ein Dorn im Auge und nun arbeiten sie mit ihnen zusammen? Wie kommt man auf sowas?!»

«Krieg dich wieder ein, Cracker», meinte Tomcat entspannt und nippte an seinem Weinglas, gefüllt mit Château le Pin. «Die Bullen haben also keinen anderen Weg mehr gewusst, als sich an ihre Feinde zu wenden. Ich meine, sowas muss man erst einmal hinkriegen.»

«Ich frage mich, was die den Gangs angeboten haben, damit sie da mitmachen. Ich meine, du kennst doch Big Fox? Stolzer als der kann man ja nicht mehr werden. Worauf auch immer.» Crow spielte mit einem goldverzierten Kugelschreiber. «Alles in allem gesehen ist es ein kluger Schachzug von ihnen. Sie haben nun die Stärke in Ausrüstung und Zahl und das in Kombination mit Tricks und Wissen der Kuramas und Takas. Das ist schon ein Vorteil.»

Cracker liess sich auf einen Stuhl sinken. «Eure Nerven sollte man haben. Und was gedenkt ihr jetzt zu tun?»

«Cracker, ich habe damit gerechnet, dass die Polizei irgendwann die Initiative ergreifen würde. Dass sie dazu die Gangs brauchen, das hätte ich nicht gedacht. Aber das macht nichts. Wir können uns anpassen.»

«Und mit welcher Waffe willst du ihnen standhalten?»

Crow lehnte sich entspannt zurück. «Na, mit unserer besten. Wir machen das, was wir immer machen.»

«Und das wäre?»

Crow grinste. «Die Quintessenz ist nicht Stärke oder Waffengewalt. Was haben wir bis jetzt immer gemacht?»

«Sie eingeschüchtert?» Cracker sah etwas planlos aus der Wäsche.

«Nicht direkt. War sicher auch ein Teil davon. Nein, Cracker, wir spielen mit ihnen. Wir zerstören ihren Kampfgeist, ihre Motivation. Emotion ist ihr schwächster Punkt. Das Pack steht sich nahe, sie sind aufeinander angewiesen, auch wenn sie es nicht wahrhaben wollen. Als Red Raven getötet wurde, waren die Takas weg vom Fenster, weil wir ihren Kampfgeist gebrochen haben. Als wir Hinata zu uns geholt haben, konnten das die Kuramas kaum glauben. Du erinnerst dich an ihre Gesichter? Absolut fassungslos. Der Tod von Kurama-Shooter gleich darauf war die Krönung ihrer Niederlage, auch wenn sie das eigentliche Battle gewonnen haben. Und dann die Festnahme der Leader – die übrigen Gangmitglieder wurden zu einem Haufen Unsichtbarer, unfähig, ohne ihre Herrchen zu funktionieren. Total fertig.» Er legte den Kopf schief und betrachtete das dunkle, schwere Rot des Weines in seinem Glas. «Es ist bestimmt keine nette Strategie. Aber die Effektivste.»

Cracker nickte. «Und wie sollen wir das anstellen?  Ich meine, es ist nicht allzu einfach, jemanden von ihnen abzuknallen oder auf unsere Seite zu ziehen.»

«Wir tun das, was wir gut können – spielen, Radau machen.»

«Meinst du nicht, es wäre ziemlich schlau, Kurama-Cherry zur Zielscheibe zu machen? Die geniesst auch bei den Takas einen Sonderstatus. Die hat scheinbar sogar was mit Demon.» Tomcat klang unbeteiligt, aber Crow wusste, wie sehr es ihn reizte, Cherry Blossom ins Visier zu nehmen. Er musste zugeben, es wäre ein kluger Schachzug, der einen grossen Effekt haben würde. Allerdings kannte er Tomcat zu gut. Er hatte die Tendenz dazu, sich auf etwas zu fixieren und Gefallen daran zu finden. Und das auf eine ungesunde Weise. Er hatte längst gemerkt, dass er Cherry Blossom im Auge hatte. Er hatte sich jedes Mal über ihren Auftritt als Gutmensch im Fernsehen aufgeregt und man konnte so ziemlich sagen, dass er sie nicht leiden konnte – nämlich, weil er in ihr eine Bedrohung erkannt hatte, die grösser war, als man einem solchen, scheinbar naiven Mädchen zutraute. Andererseits war es bei Tomcat zwischen Hass- und Lustobjekt ein schmaler Grat. Und das gefiel Crow nicht. Zudem erinnerte er sich an Hinatas Bitte.

«Cherry Blossom anzuvisieren ist mir im Moment zu riskant. Gerade weil beide Gangs sie so achten, wird sie umso besser beschützt. Zudem wissen wir überhaupt nicht, ob sie auch in den Battles mitmischt. Aber ich werde das im Hinterkopf behalten.»

Tomcat sah nicht gerade zufrieden aus, aber er war schon immer loyal gewesen und hatte seine Entscheidungen akzeptiert.

«Wir haben etwas anderes, was sie schwach werden lässt, keine Sorge», sagte er grinsend, in dem Moment, als Hinata durch die Tür trat.

 

Der Morgen kam mit der Nachricht, dass die aktiven Patrouillen fünfzehn weitere Riots gefasst hatten. Ansonsten schien es, als ob sie sich zurückgezogen hatten, da sie auf eine Aktion der Polizei in diesem Ausmass nicht vorbereitet gewesen waren.

Die Frage war nun, womit sie jetzt rechnen mussten. Denn die Ereignisse der letzten Nacht würde Crow nicht auf sich sitzen lassen. Er war ein begnadeter Puppenspieler und seine Leute waren unglaublich loyal, betrachtete man den Fakt, wie wenige von ihnen ihn persönlich kannten. Sie waren so viele – unmöglich kam dieses Gottvertrauen in ihn durch gemeinsames Plaudern bei Kaffee und Kuchen. Riot-Crow war wohl oder übel als Anführer geboren worden, er hatte die Intelligenz und das nötige Charisma dazu.

Im Falle von Sakuras nächtlicher Entdeckung berieten sich die führenden Köpfe ihrer Truppe. Nach Rücksprache mit Kakashi wurde beschlossen, die Spelunke erst einmal auszuspionieren. Es brachte nichts, einfach einzumarschieren und womöglich auf leere Hinterzimmer zu stossen.

«Wir brauchen Undercover-Leute», kündete Sarutobi an. Es war halb zehn Uhr morgens und die Angestellten der Cafeteria hatten Frühstücksverpflegung für die gesamte Truppe hergerichtet. Sakura kaute also während dieses Bekanntgabe auf einem warmen Brötchen herum, sie hatte tierischen Hunger. «Dazu brauchen wir Freiwillige aus den Reihen von euch Gangs. Es dürfte sich von selbst verstehen, dass keine Berühmtheiten aus euren Reihen in Frage kommen.»

«Mein Vorschlag ist Taka-Sniper. Sie ist den Riots zwar bekannt, aber dafür gibt es Perücken und andere Mittel. Sniper ist eine sehr geschickte Spionin», fügte Sasuke an.

Die Blicke wanderten zum Nebentisch, an dem die grinsende Karin sass. Sakura konnte sich Karin gut als Spitzel vorstellen. Und Manipulation war bestimmt eine ihrer Spezialitäten.

«Klar, ich mach das schon. Aber Fangs kann auch gleich mitkommen. Ich denke, zu zweit sind wir besser dran.»

Sarutobi nickte. «Zwei reichen. Wenn ihr einverstanden seid, dann werden wir die Aktion so starten.»

Suigetsu grinste. «Bin dabei.»

«Bestens», meinte der Polizist.

Nach dem Frühstück kam Sasuke auf Sakura und Ino zu. «Hey, kann ich euch kurz etwas fragen? Also eigentlich geht die Frage mehr an Flower Power.»

Ino zog überrascht die Augenbrauen hoch. «Worum geht’s?»

Sakura spürte die Unsicherheit in ihrer Haltung gegenüber Sasuke. Sie schien sich ihrer Position immer noch nicht recht sicher zu sein.

«Ich habe vernommen, dass du ziemlich begabt im Schminken bist. Karin sagt mir, sie könne sich selber nicht gut genug schminken, damit sie als Person nicht mehr zu erkennen ist. Würdest du das für uns übernehmen?»

Ino schien sichtlich überrascht von dieser Bitte, aber Sakura erkannte sehr schnell, wie geschmeichelt sie war.

«Natürlich kann ich abhelfen. Ich brauche nur ein Fahrer und dann bin ich in einer Stunde mit meiner Ausrüstung wieder da.» Ihre Augen leuchteten. Ino besass einen XXL-Schminkkasten, worin es alles gab, was das Visagistenherz benötigte. Ino hatte auch früher öfters bei Spionageaktionen ein wenig mit Schminke nachgeholfen und manchmal, bevor sie auf Partys gingen, war sie für das Make-Up der gesamten Kurama-Mädchen-Fraktion zuständig gewesen. Sie war tatsächlich sehr gut darin.

Eine Stunde später war sie zurück. Sai hatte freundlicherweise den Taxidienst übernommen, was Sakura wiederum zum Schmunzeln brachte. Die aufgedrehte Ino und der ruhige Sai – wer hätte gedacht, dass sich die beiden einmal so gut verstehen werden?

Ino und Karin waren keine Freundinnen, was man ziemlich leicht feststellen konnte. Jedoch schienen sie stillschweigend ein Arbeitsbündnis vereinbart zu haben, so fielen weder giftige Worte, noch wurden böse Blicke ausgetauscht. Suigetsu und Sai waren bei ihnen, da musste Sakura nicht auch noch in der Gegend rumstehen. Sie gesellte sich stattdessen in die Cafeteria. Es waren kaum Leute da, viele waren am Schlafen oder auf Patrouille. Für zehn Minuten hatte sie das Sofa für sich und vertiefte sich in einem Buch, das sie auf einem der Tische herumgelegen war, bevor sich zwei Herren schwungvoll links und rechts neben ihr platzierten.

«Hallihallo, Cherrylein», begrüsste sie Deidara und Sakura fuhr erschrocken hoch, so vertieft war sie in den Fantasy-Roman gewesen.

Rechts von ihr sass Hidan und grinste genauso bescheuert wie sein Kumpan. Die zwei waren doch wirklich nicht zu fassen. «Hi, Süsse.»

«Was genau wollt ihr von mir?», fragte sie ziemlich verwirrt.

«Nun wir wollten nur nach dem Rechten sehen.» Selbst wenn dieser blonde Schönling seine beste Unschuldsmiene aufsetzte, erzeugte er eine genau gegenteilige Wirkung auf sie.

«Mir geht es blendend, danke», meinte sie und wollte sich gerade wieder in ihr Buch vertiefen.

«Sag mal, wie lange bist du denn eigentlich schon mit Demon zusammen?», fragte Hidan.

Sakura wäre beinahe die Kinnlade hinuntergefallen. «Wie bitte?»

«Na, wie lange macht ihr’s…», begann Deidara, doch Hidan fuhr ihm hastig über den Mund. «Du hast schon richtig verstanden. Wir wollen wissen, wie lange ihr zusammen seid.»

«Und warum?»

«Nicht wichtig, sag es uns einfach.»

Hatten Sasuke und sie so etwas wie ein «Zusammenkommen» gehabt? Nicht wirklich, wenn sie genau darüber nachdachte. Sie hatten einander kennengelernt und über viele Höhen und Tiefen weg hatten sie festgestellt, dass sie einander liebten und es ihnen ernst war. Eigentlich mochte sie den Fakt, nicht den typischen Pärchen-Weg durchgemacht zu haben. So ungewöhnlich wie sie einander lieben gelernt hatten, so ungewöhnlich war auch ihre Beziehung.

«Sagt mir erst, warum ihr das wissen wollt.»

«Ach, Cherry, jetzt sei doch nicht so. Es ist nichts Schlimmes, okay?», bettelte Deidara.

Sakura musste grinsen, weil diese beiden Jungs in ihrer ganzen Art einfach absolute Unikate waren. «Es gibt aber kein wirkliches Datum.»

Hidan seufzte theatralisch. «Du machst es uns aber schwer, Cherry. Sag uns einfach, den Zeitpunkt, der am nächsten dran hinkommt.»

Sakura überlegte. War es damals im Gold Park gewesen? Nein. In Oto? Vielleicht. Oder doch erst gestern? Wäre auch möglich. Die beiden hatten ihre Augen aufmerksam und gespannt auf sie gerichtet, als ob es nichts Wichtigeres auf dieser Welt gäbe.

«Wir sind da nicht wirklich zusammengekommen, aber ich denke, das ist der Zeitraum, den ich nennen würde: Ende April dieses Jahres.»

Deidara verwarf die Hände und gab ein enttäuschtes Stöhnen von sich, während Hidan aufsprang und die Faust in die Luft streckte. «Ja! Ich bin näher dran! Ich bin sowas von näher dran!»

Ach so. Die beiden hatten gewettet. Sakura verdrehte die Augen, musste aber lachen.

«Und um was habt ihr gewettet?»

Hidan lachte, als hätte er gerade den Hauptpreis gewonnen. «Zwanzig Mäuse und einen Versuch bei Caramelle.»

Zwanzig Mäuse? Anhand seiner Reaktion hätte man denken können, er wäre jetzt reich. Erst danach wurde ihr bewusst, was er noch gesagt hatte. Sie musste sich verhört haben.

«Einen Versuch bei Caramelle?»

Hidan setzte sich wieder und Deidara lag wie erschlagen quer über der Sofalehne. «Bis jetzt hat er mir nicht erlaubt, es bei Caramelle zu versuchen, weil er meint ‘sie sei viel zu süss und unschuldig für so einen Gestörten’. Aber dank dieser Wette habe ich jetzt freie Bahn.» Er grinste selbstzufrieden. «Entschuldigt mich, ich habe zu tun.» Und damit war er weg.

«Was wettet ihr auch für Blödsinn miteinander», kommentierte Sakura trocken als sich Deidara nach wie vor nicht rührte.

«Du verstehst das nicht, Cherry. Wetten ist Ehrensache. Und ich bin normalerweise gut darin. Bist du sicher, dass ihr nicht erst gestern definitiv zusammengekommen seid?»

Sakura schüttelte den Kopf. «Ich habe dir schon gesagt, dass es kein Datum gibt. Aber wenn, dann wäre es vermutlich April – wie gesagt.»

«Okay.» Er seufzte, blieb aber liegen.

«Nimmt dich diese Wette so mit?»

«Natürlich nicht», brummte er und setzte sich auf. Sie hatte noch nie einen mürrischen Deidara gesehen.

«Solltest halt nicht um sowas wetten, wenn du es nicht erträgst, zu verlieren.» Sakuras Mitleid hielt sich in Grenzen. Es war so typisch für die Zwei, Wetten um so einen Schwachsinn abzuschliessen. Die arme Hotaru war doch kein Objekt! Aber so wie sie Deidara kannte, hatte er eine ziemlich andere Einstellung zu Frauen und wie mit ihnen umzugehen war. Ein Schürzenjäger, wie er im Buche stand.

«Tja Cherry, wie wärs denn mit uns Beiden? Demon ist nicht so toll wie er tut und ich habe noch nie eine Kurama abgeschl… gedatet, meine ich.» Die Bedrückung in seinem Gesicht war einem gewinnenden Lächeln gewichen.

Er meinte das nicht ernst, Sakura war das bewusst, doch bevor sie irgendetwas sagen konnte, vernahm sie einen lauten Pfiff.

Deidara fuhr hoch und sie drehten sich in die Richtung, aus der der Pfiff gekommen war. In ihrer Nähe stand Sasuke und bedachte Deidara mit einem vielsagenden Blick.

«Oh, hey Demon! Habe Cherry gerade…»

«Ich weiss, was du gemacht hast, Blondie. Wie wäre es, wenn du zur Abwechslung mal niemanden nervst und dich nützlich machst?»

Deidara lächelte übertrieben freundlich. «Es war ein Witz, Boss, ich habe Cherry nicht ernsthaft angegraben.»

«Das ist mir schon klar. Ich rede von eurer bescheuerten Wette. Du und Hidan verhaltet euch wie Kleinkinder, so wird uns kein Mensch auf der Welt jemals ernst nehmen. Es werden keine Wetten auf Gangmitglieder abgeschlossen, verstanden?! Habe es Hidan auch schon gesagt. Der Typ konnte es nicht laut genug in der Gegend herum posaunen. Hotaru lässt dir übrigens ausrichten, dass du ein 'verdammter Vollidiot’ bist. Und jetzt Abmarsch.»

Deidara trollte sich wie ein geschlagener Hund und verschwand aus der Cafeteria.

«Tut mir leid, Sakura. Keine Ahnung, was ich mit denen machen soll. Die werden wohl nie erwachsen.»

Sakura lächelte. «Weisst du, ich finde es irgendwie ganz lustig. Ihr habt ein paar einzigartige Persönlichkeiten in eurer Gang, das muss ich sagen.»

«Wenn du mit einzigartigen Persönlichkeiten Volltrottel meinst, dann stimme ich dir zu.» Er setzte sich neben sie.

«Mag Deidara Hotaru?»

Sasuke grinste leicht. «Ich denke schon. Das kann er sich aber nicht eingestehen.»

Er legte ihr einen Arm um die Schulter. «Karin sollte kurzum fertig sein. Du musst heute Abend mitkommen, um uns den Ort zu zeigen. Wir haben dich bereits bei deiner Sanitätseinheit abgemeldet.»

«Klar, mache ich gerne.» Sie legte ihren Kopf an seine Schulter. «Dann kommst du auch mit?»

«Ja, ein Leader sollte dabei sein, denke ich. Habe mich heute übrigens noch mit Big Fox am Telefon unterhalten. Bei ihrer Einheit ist alles in Ordnung. Die Frage ist halt einfach, wie lange Crow braucht, um eine Konterattacke zu starten.»

«Wir werden bereit sein, oder?»

Er grinste leicht. «Natürlich.»

Es war schön, wieder das Feuer in seinen Augen zu sehen.

 

Der Kastenwagen rollte gegen halb elf Uhr abends vom Vorplatz der Universität weg. Mit von der Partie waren nebst Sarutobi und zwei seiner Männer Ino, Sakura, Sasuke und natürlich Karin und Suigetsu – wobei man die letzten beiden kaum erkannte. In einem weiteren Wagen zwei Strassen weiter, wartete Verstärkung für den Fall. Ino hatte ganze Arbeit geleistet. Karin trug über ihrer roten Feuermähne eine braune Perücke, die man locker für ihre echten Haare hätte halten können, dazu war sie sehr dezent und süss geschminkt, was überhaupt nicht ihr Stil war. Ihre Kleider waren unauffällig, hatten aber trotzdem Stil. Suigetsu hatte kein ganz so aufwändiges Makeover gebraucht. Ino hatte seine Haare ein wenig anders gestylt, als er es normalerweise tat. Sie waren nun zu einem grossen Teil nach hinten gegelt und seine Kleidung war etwas weniger locker. Er sah mehr aus wie ein Macho.

Sakura hatte Sarutobi die Seitengasse auf Google Maps gezeigt. In diesem Moment bogen sie in die kleine Strasse ein, in dem sie heute Morgen früh mit dem Krankenwagen gestanden hatten.

Suigetsu und Karin waren mit Wanzen sowie zwei kleinen Chips fürs Ohr ausgestattet worden, damit mitgehört werden konnte. Sakura hoffte inständig, dass das alles nicht umsonst war, erstens, weil sie vorwärtskommen wollten und zweitens, weil sie es gewesen war, die diese Adresse genannt hatte.

Sasuke bemerkte ihre Anspannung. «Selbst wenn wir nichts finden, es ist ein Versuch wert.»

Sarutobi ging noch einmal die wichtigsten Punkte mit den beiden durch: Zuerst sollten sie sich wie normale Barbesucher einfach hinsetzen und etwas trinken. Falls nichts passierte, was wohl der Fall war, sollte Karin den Barkeeper in ein Gespräch verwickeln, um vielleicht etwas mehr rauszufinden.

«Alles klar. Na dann, los», meinte Karin und die Beiden stiegen aus dem Kastenwagen. Und damit begann die Mission – fast wie in alten Zeiten.

Karin hatte sich bei Suigetsu eingehakt. Für diesen Abend hatten sie beschlossen, ein Pärchen zu mimen, was am einfachsten zu spielen war.

Die Spelunke sah genauso zwielichtig aus, wie Sakura sie beschreiben hatte. Es würde sie überhaupt nicht wundern, hier Riots anzutreffen. Niveau hatten sie noch nie gehabt. Dass sich hier in diese Seitengasse überhaupt jemand verirrte, grenzte an ein Wunder. Von der Strasse aus war sie nicht einmal zu sehen und wenn sie es nicht besser gewusst hätte, dann wäre sie nicht im Traum auf die Idee gekommen, dass dieses «Leopard» eine Bar wäre. Es war schon höchst verdächtig.

Als sie die Tür öffneten schlug ihnen der Geruch von Zigaretten, Schweiss und billigem Fusel entgegen. Meine Güte, war das ein Laden. Trotzdem waren die Sitz- und Stehplätze fast alle besetzt und der Barkeeper schien einiges zu tun zu haben. Stimmengewirr hing im Raum und machte es für sie perfekt, unauffällig zu bleiben. Sie holten sich etwas zu trinken und begutachteten nebenbei die von Sakura beschriebene Tür hinter dem Bartresen.

Sie fanden einen Tisch, der eine gute Sicht auf die Bar zuliess und setzten sich, redeten über belangloses Zeug und musterten gleichzeitig so unauffällig wie möglich den Raum. Es war nichts ungewöhnlich, bis auf die Tatsache, dass sich hier nur junge Leute aufhielten. Aber auch das musste nicht unbedingt verdächtig sein.

Und es passierte nichts.

Mindestens eine Stunde verstrich, bis Karin sich noch einmal zu Bar begab, um Nachschub zu holen und vielleicht um einige Infos reicher zu werden. Sie spürte die angeklebten Wanzen unter ihrem Oberteil und hoffte, dass man trotzdem Stimmengewirr im Raum etwas hören würde.

«Noch zwei Gin Tonic bitte», bestellte sie beim Barkeeper. Er war vermutlich nur wenige Jahre älter als sie und begann sofort, ihr den Drink bereitzumachen.

«Na, hast du auch genug vom Hundeleben?», fragte er. Karin machte das nicht zum ersten Mal. So wenig sie auch verstand, was er damit meinte, ihr war klar, dass sie antworten musste. Ihr blieb nur zu hoffen, dass sie ihn zufriedenstellen würde.

«Und wie. Darf ich nach deinen Gründen fragen?» Er hatte «auch» gesagt, deshalb konnte sie vielleicht mit dieser Frage etwas mehr erfahren.

«Klar. Ich war ein Nichts, bevor ich beigetreten bin. Kein Geld, kein Job, kein Dach über dem Kopf. Hab die Schule geschmissen, als ich vierzehn war. Gebe zu, das war nicht schlau. Aber meine Eltern hat es nie gekratzt, ob ich hingegangen bin oder nicht. Tja und jetzt bin ich hier und lebe besser als je zuvor.»

Eine dunkle Ahnung stieg in Karin auf. Wo waren sie hier? Wenn sie nicht alles täuschte, dann war das hier gar keine richtige Bar, sondern eine Kulisse für viel Übleres.

Bevor sie noch weitersprechen konnte, öffnete sich zu ihrem Erstaunen die Tür hinter der Bar und ein Mädchen mit lila Haaren trat hinaus. Sie sah ziemlich flippig aus und trug Kleider in allen möglichen Violett – und Lilatönen. Schlagartig wurde es still in der Bar und Karin gesellte sich mit den Drinks zurück zu Suigetsu. Dieser sah sie fragend an, doch sie wies ihn mit ihrem Blick dazu an, ruhig und unauffällig zu sein.

«Guten Abend», begrüsste das Mädchen die Anwesenden. «Mein Name ist Purple. Ihr wisst, warum ihr hier seid. Zumindest hoffe ich das. Ich werde gleich einen nach dem anderen nach Namen und Motivation fragen, weiteres erfahrt ihr hinter dieser Tür.»

Karin hoffte inständig, dass die anderen mithören konnten. Die Wanzen waren unter ihrem Unterhemd versteckt. Suigetsu schien immer noch nicht ganz zu verstehen. Sie beugte sich zu ihm hinüber und flüsterte «Riot-Rekrutierung».

Das reichte bereits. Suigetsu grinste leicht. Ja, sie waren hier auf eine Goldgrube gestossen. Und jetzt mussten sie das weiter durchziehen, damit sie mehr erfahren konnten. Ihnen stand die Möglichkeit offen, die Polizei herzubeordern, jedoch wollten sie mehr erfahren. Vielleicht war das der Zugang, den sie brauchten. Sie stellten sich also schön brav in die Reihe und warteten, bis sie an der Reihe waren. Purple fragte nach ihrem Namen.

«Toya Nijishima», sagte Karin. Namen hatten sie sich natürlich längst überlegt.

«Yuma Suzuki.»

«Gehört ihr zusammen?»

«Ja, wir sind befreundet.» Karin beschloss in diesem Moment, das Pärchenkonzept sausen zu lassen. Jetzt hatten sie noch die Möglichkeit dazu und es war von Vorteil, nicht schon gebunden in die Gang einzutreten.

«Warum wollt ihr beitreten?»

«Hörst du bestimmt dauernd. Wir waren Strassenkinder und arbeiten jetzt für einen Sklavenlohn in einer Kneipenküche.» Suigetsu improvisierte gekonnt. Sie wusste schon, warum sie ihn als Begleitung ausgewählt hatte.

«Wollen den Assis von der Regierung in den Arsch treten.»

«Habt ihr Vorerfahrung mit Waffen oder im Nahkampf?»

«Wir wurden vom Untergrund höchstpersönlich unterrichtet. Haben als Kinder jahrelang für die Yakuza Botengänge gemacht und wurden von ihnen trainiert.»

Purple hob anerkennend die Augenbrauen. «Klingt vielversprechend.» Sie winkte die beiden durch. «Da hinten erfahrt ihr mehr.»

Hinter der Bar befand sich nicht nur eine Kammer, so wie anhand der kleinen Tür zu vermuten gewesen wäre. Nein, da war ein ziemlich grosser Raum, grösser als die Bar selber, mit einer hohen Decke. Nebst den Leuten, die vorhin in der Bar gewesen waren, befanden sich noch drei weitere im Raum, die sie leicht als Riots identifizieren konnte; sie trugen alle irgendwo das Jaguar-Symbol, sei es auf Kleidungsstücken oder als Tattoos.

Schnell wurde Karin bewusst, was hier gemacht wurde: Körperinspektionen, vermutlich eine Suche nach Taka- oder Kurama-Tattoos. Stillschweigend schickte sie einen telepathischen Dank an die blonde Kurama, welche darauf bestanden hatte, ihre Bandentattoos sauber mit Concealer abzudecken. Und dabei hatte sie ganze Arbeit geleistet. Hätte sie es nicht besser gewusst, wäre sie nicht auf die Idee gekommen, dass sie auf der linken Brustseite jemals ein Schlangemotiv tätowiert gehabt hatte.

Ihre einzige Sorge war jetzt noch die verfluchte Wanze. Sie musste sie abreissen, während sie ihr Oberteil auszog. Schon jetzt löste sie unauffällig durch ihr Shirt hindurch die feinen Klebestreifen, die das Gerät an ihr befestigten.

«Hättest du so eine Körperinspektion erwartet?», fragte sie Suigetsu so deutlich wie möglich und er lächelte zufrieden. «Nein, aber das zeigt, wie gründlich sie ihre Sache machen.»

Die anderen sollten nun gehört haben, dass sie auf die Wanze verzichten musste.

Geduldig warteten sie, bis sie an der Reihe waren. Es gab eine Schlange für Mädchen und für Jungen. Die Zone, in der sie begutachtet wurden, waren mit einem schmutzigen Laken abgetrennt, damit das jeweils andere Geschlecht nichts sah, was es nicht sehen sollte.

Als nur noch ein Mädchen vor Karin war, das sich bis auf die Unterwäsche ausgezogen hatte und einen absolut reinen Körper präsentierte, zog Karin sich zuerst ihr Shirt und dann ihr Unterhemd aus. Sie sah zu, dass sie die Wanze schön zu fassen bekam und zog sie mit dem Unterhemd über den Kopf. Gut versteckt in dem Stück Stoff bemerkte die Wanze niemand und ihre Perücke blieb auch wo sie war. Das war gut gelaufen.

Ein Riot-Mädchen musterte sie von Kopf bis Fuss. Karin hatte noch einige andere kleine Tattoos, die aber nicht mit der Gang in Verbindung standen, weshalb sie von dem Riot-Mädchen durchgewinkt wurde. Schnell zog sie sich ihre Kleidung wieder an und schob die Wanze in ihre Handtasche.

Auch Suigetsu war gut durch die Kontrolle gekommen. Man führte sie weiter zu einem Tisch, an dem die Leute nun auch noch schriftlich registriert wurden. Sie nannten noch einmal ihre Namen.

«Wartet dort drüben», wies sie der Riot an. «Gleich kriegt ihr mehr Anweisungen.»

Karin kam das alles hier ziemlich schräg vor. Irgendwie wirkte das hier mehr wie eine militärische Aktion, als wie etwas, das von einer Gang organisiert wurde. Es hatte etwas Beunruhigendes, wie hier Gangmitglieder rekrutiert wurden. Heute mussten an die fünfundzwanzig Leute in der Bar gewesen sein. Wie oft zogen die das hier durch? Einmal im Monat? Einmal in der Woche?

Als alle durch diese dämliche Kontrolle geschleust worden waren, öffnete Purple noch einmal eine Tür und rief nach jemandem. Karin musste schon ziemlich schwer schlucken, als sie sah, wer aus dieser Tür trat. Blieb nur zu hoffen, dass ihre Verkleidung gut genug war.

Ihr dunkles Haar glänzte seidig und ihre Augen wirkten kühl und ernst. Dann half sie also bei der Rekrutierung mit oder noch besser, war sie die Aufseherin hier?

Wie auch immer, hier war sie: Kurama-Cutie.

In feindlichen Gewässern

Hinata warf einen aufmerksamen Blick in die Runde und musterte jeden einzelnen ihrer «Rekruten». Karin schickte indes ein Stossgebet zum Himmel, dass sie die beiden Takas nicht entdecken möge. Sie waren so nahe dran! Bei sich selbst machte sie sich weniger Sorgen, aber bei Suigetsu… klar, Flower Power hatte ihm die Haare ganz schön untypisch für ihn nach hinten gegelt und sogar ein wenig Eyeliner aufgetragen, damit er einen schön schrägen Style hatte. Normalerweise war er Trainingsanzug-Suigetsu oder Schlabbershirt-Suigetsu, jedoch wusste sie nicht, ob dieser Look-Veränderung genug war.

Fieberhaft dachte sie darüber nach, in welchen Momenten Hinata Suigetsu gesehen hatte. Höchstens an gemeinsamen Treffen von Takas und Kuramas. Fangs war nicht so auffällig, wie andere Gangmitglieder, Deidara zum Beispiel. Der schrie geradezu danach, dass man sich ihn merkte.

Sie schienen Glück zu haben – Hinatas Blick ging über sie hinweg. Kein zweiter Blick, kein Misstrauen. Jedenfalls wirkte es so.

«Ich begrüsse euch», erhob sie ihre Stimme. «Ihr alle habt euch dazu entschieden, den Jaguar Riots beizutreten. Glückwunsch zu dieser Entscheidung. Jedoch ist es nicht so, dass man bei uns einfach mitmachen kann, weil man gerade Lust hat. Um ein Mitglied zu werden, müsst ihr euch beweisen. Wir erwarten grundlegende Fähigkeiten, die uns von Nutzen sind.» Auf diese Worte hin ging ein leises Raunen durch die Menge und Hinatas Gesicht wurde trotz bleibender Eiseskälte ein wenig sanfter. «Keine Sorge, ihr müsst keine Profis sein. Aber wir schicken niemanden in die Schlacht, der nicht wenigstens einige Basics im Kampf beherrscht. Dazu zählen Schiessen und der Nahkampf mit und ohne Waffen. Uns bleibt aufgrund jüngster Ereignisse keine Zeit, auch alle auf jedem Gebiet zu trainieren, deshalb werdet ihr euch spezialisieren. Ihr wurdet vorhin nach Vorerfahrungen gefragt und wir werden uns erlauben, euch anhand eurer Antworten zu gruppieren. Hört euren jeweiligen Aufsehern genau zu. Sie werden auch entscheiden, ob ihr bereits kampffähig seid oder nicht. Ich habe gehört, es gibt hier einige erfahrene Exemplare unter euch.»

Sie verlas die Liste mit den Namen. Toya Nijishima und Yuma Suzuki wurden einem Trainer namens Cracker zugeteilt. Sie selber schien keine Trainerin zu sein. Hätte Karin auch verwundert, denn so wie sie sich erinnerte, war Kurama Cutie selten auf dem Schlachtfeld anzutreffen gewesen. Purple hatte jene zugeteilt bekommen, die nur wenig Erfahrung hatten. Sie wurden in den Raum geführt, aus dem Hinata gekommen war. Es war eine alte Garage mit beachtlich viel Platz, jedoch erinnerte sie das hier mehr an ein Trainingsraum für Soldaten oder Polizisten.

Cracker richtete ihr Wort an sie, als sie etwas abseits von den anderen beiden Gruppen vor einem Regal mit Messern und Schusswaffen standen. «Ihr seid die, von denen wir uns am meisten versprechen. Das alleine anhand eurer Aussagen. Wenn ihr also gelogen habt, fliegt ihr raus. Wir brauchen niemanden, der seinen Weg an die Spitze erschleichen will. Wenn es euch interessiert, ich bin einer der fünf Jaguare und gehöre damit zum engsten Kreis unseres Leaders, Crow. Ich bin ein Schwarzgurt in Karate und einer der besten Schützen in unserer Gang – wir sind über zweihundert Mitglieder. Zeigt mir was ihr könnt, einer nach dem anderen.»

Karin und Suigetsu reihten sich schön hinter den anderen ein. Sie wollten zuerst sehen, mit welchem Kaliber von Stärke sie hier konfrontiert waren. Sie waren im Gegensatz zu den beiden anderen Gruppen relativ wenige.

Ein junger Mann mit einem markanten Unterlippen-Piercing machte den Anfang. Er holte sich bei Cracker eine Pistole und schoss zweimal mit sehr wenig Aufwand absolut treffsicher auf die Zielscheibe, die in einer beachtlichen Distanz nahe an der Wand des Raumes platziert worden war. Die Löcher befanden sich beide fast mittig. Als nächstes griff er nach einem Messer, warf dieses und traf die Zielscheibe. Nur in die drittinnerste Zone, aber für diese Distanz war das ganz schön beachtlich. Von Cracker erntete er ein anerkennendes Nicken.

Die Nächsten taten Ähnliches wie der Typ mit dem Piercing. Manche massen sich im Nahkampf mit Cracker, wobei dieser immer gewann. Jedoch gab es zwei unter ihnen, die ihm ziemlich gut das Wasser reichen konnten.

Als Suigetsu an der Reihe war demonstrierte er eine solide Leistung mit der Pistole und im Nahkampf. Cracker schien zufrieden zu sein, allerdings wusste Karin auch, dass er sich ziemlich zurückgehalten hatte. Er war auch mit dem Messer sehr geschickt, ja, sogar richtig gut. Aber er hatte erkannt, dass sie unauffällig bleiben mussten. Sie wollten keine zusätzliche Aufmerksamkeit, besonders nicht von Kurama Cutie.

Als Karin dran war, steuerte diese direkt die Messer an. Sie war Taka-Sniper, aber genau diese Fähigkeiten könnten sie auffliegen lassen.

«Zu guter Letzt, die einzige Frau in dieser Gruppe. Zeig was du drauf hast, Toya.»

Mit Selbstsicherheit schnappte sie sich ein Messer. Sie wollte ihn schon irgendwie beeindrucken, immerhin machte sie solche Sachen seit Jahren. Sie positionierte sich. Karin mochte dieses Gefühl. Das kühle Metall des Griffs in ihrer Handfläche und die Gewissheit, damit auch zu treffen.

Gerade, als sie bereit zum Werfen war, spürte sie einen eisigen Blick im Nacken. Hinata beobachtete sie aus der Ferne. Innerlich fluchte sie, jedoch war ihr bewusst, dass sie jetzt nichts Auffälliges tun durfte.

Sie holte aus und warf – das Messer verfehlte die Mitte und landete im zweitinnersten Ring. Messer waren leider keine Pistolen oder Gewehre, trotzdem hätte sie besser getroffen, wenn sie gewollt hätte. Und mit einer Schusswaffe hätte sie ohne Probleme geradewegs in die Mitte getroffen.

Hinata wandte ihren Blick glücklicherweise wieder anderen Dingen zu, sie war also nicht stutzig geworden. Diese Chance ergriff Karin um noch kurz einige ihrer Nahkampffähigkeiten an Cracker zu demonstrieren. Sie war zwar ziemlich gut, konnte ihn aber im Endeffekt nicht bezwingen. Der Typ war stark, besonnen und geschickt.

«Nicht schlecht.», meinte Cracker anerkennend. «Das war ziemlich gut, Toya. Vor allem wenn man beachtet, dass du deine Defizite in Körperkraft durch Tempo und Geschick wett machst.» Er wandte sich an alle. «Vielversprechende Leistungen, wie ich sehe. Was ich hier gesehen habe wird wesentlich bestimmen, in welcher Funktion ihr für uns aktiv sein werdet. Und euch allen ist eine gute Position sicher.»

Nach Abschluss dieser Tests wurden sie noch einmal in den Raum beordert, in dem die Körperinspektionen stattgefunden hatten.

«Alle, die keine guten Resultate haben liefern können, werden ab morgen weiter hier trainieren», ordnete Hinata an. «Ich will euch alle morgen Abend zur selben Zeit wieder hier sehen. Jene, die nicht genannt wurden, werden gleich morgen einer Funktion zugeteilt und ihre Aktivität bei den Riots beginnen. Ihr werdet auch hierherkommen, jedoch gleich darauf zu euren Fraktionen gebracht. Morgen Abend, selbe Zeit. Ist das klar?»

Zustimmendes Gemurmel erfüllte den Raum. Hinata begann damit, Namen zu lesen, wobei Karins und Suigetsus Decknamen nicht fielen. Das lief ja wie am Schnürchen.

 

Im Kastenwagen der Polizei sassen alle wie auf glühenden Kohlen. Nun war fast eine Stunde vergangen, seit Karin ihre Wanze abgerissen hatte. Die Beiden hatten sich für ein gewagtes Unternehmen entschieden. Undercover in die Reihen der Riots eindringen?

Sie hatten nicht alles verstanden, aber sie wussten, es handelte sich bei dieser Bar um eine Art Sammelbecken für Leute, die den Riots beitreten wollten.

«Sollten wir nicht eingreifen?» Fragte Sarutobi, dem sichtlich unwohl bei der Sache war. Er war es nicht gewohnt, so wenig Kontrolle über eine Situation und vor allem über das Schicksal seiner Leute zu haben.

«Nein. Sniper und Fangs wissen was sie tun. Wenn sie es schaffen, sich in ihre Reihen einzuschleichen, offenbaren sich uns Möglichkeiten, von denen wir vor kurzem nicht einmal zu träumen gewagt hätten.»

Der Graben zwischen Polizei und Gangs wurde hier spürbar. Da war Sarutobi, ein verantwortungsbewusster Polizeichef, der das Wohle seiner Leute über alles stellte. Dasselbe galt für Sasuke, jedoch gab es einen nennenswerten Unterschied: Sasuke kannte jedes seiner Gangmitglieder. Er hatte dieses Grundvertrauen in ihre Fähigkeiten und ihre eigene Intelligenz, welches jemandem wie Sarutobi fehlte. Er sah dementsprechend nicht gerade begeistert aus.

«Vertraut mir», sagte Sasuke. «Vertraut Fangs und Sniper. Ihr habt die Zusammenarbeit mit uns begonnen, damit ihr von uns und unserer Erfahrung profitieren könnt. Also lasst uns diese Freiheit. Wenn etwas schief geht, werde ich die volle Verantwortung übernehmen.»

Er vertraute seinen Leuten durch und durch. Er wusste, sie würden ihn nicht enttäuschen, das konnten sie deutlich aus seiner Stimme heraushören.

Sarutobis Blick blieb misstrauisch und in seinem Gesicht konnte sie die Anspannung deutlich erkennen. Jedoch nickte er auf Sasukes Worte hin. «Wie du meinst.»

Und sie warteten. Im Wagen herrschte Schweigen, so war die Anspannung viel zu gross, als dass jemand ein Gespräch hätte beginnen wollen.

Etwa zehn Minuten verstrichen. Doch dann hörten sie endlich wieder etwas.

«Gehen zu Fuss zurück. Nur für den Fall», vernahmen sie Karins flüsternde Stimme.

Der ganze Wagen atmete auf – es schien alles gut gegangen zu sein.

«Na dann: Ich brenne darauf, ihren Bericht zu hören», sagte Sarutobi. «Startet den Wagen. Wir fahren zurück.»

 

Zurück an der Universität erzählten ihnen Karin und Suigetsu Unglaubliches. Sakura kam aus dem Staunen nicht mehr heraus. Doch als die Beiden ihr später, ausser Hörweite der Polizei von Hinata berichteten, rasselte Sakuras Freude über diesen Erfolg sofort in den Keller. Das durfte ja nicht wahr sein. Bis anhin hatte sie Hinata für eine stille Mitläuferin bei den Riots gehalten, die sich auf Chefetage hatte etablieren können. Zu hören, wie aktiv sie tatsächlich war, tat weh. Dass ihre Freundin in solch halbmilitärischen Aktionen Riots rekrutierte und die Ausbildung organisierte, war für sie zu viel. Bei den Kuramas erfolgten keine Rekrutierungen. Mitglieder wurden aufgenommen und bekamen die Chance, ihre Fähigkeiten im Kampf zu trainieren, mit einem wesentlichen Unterschied: Sie hatten eine Wahl. Niemand wurde dazu gezwungen, kämpfen zu lernen und eine Aufnahmebedingung war es schon gar nicht.

Karin hatte Hinata so komplett anders beschrieben, als Sakura sie kannte. Wie hatte es nur so weit kommen können? Was genau war schiefgelaufen?

«Ich weiss nicht, was genau ihre Position ist, aber es scheint jeder ziemlich viel Respekt vor ihr zu haben», meinte Suigetsu.

«Könnte auch nur daran liegen, dass sie die Freundin von ihrem Boss ist? Oder ist sie das gar nicht?», fragte Karin in Richtung Sakura und Ino.

«Keine Ahnung. Wir wissen nicht mehr als ihr», meinte Ino und in ihrer Stimme schwang eine Bitterkeit mit, die Sakura nur allzu gut nachvollziehen konnte.

«Jedenfalls werden wir morgen Abend dort wieder antraben, um mehr zu erfahren. Ich brauche also deine Make-Up-Künste wieder, Flower Power», meinte sie in Inos Richtung.

Diese grinste nur selbstsicher. «Kein Problem. Das ist wirklich ein Kinderspiel.»

Sie waren zwar alle müde, trotzdem begaben sie sich noch alle zusammen in die Cafeteria, um ein wenig zur Ruhe zu kommen. Zu ihnen stiessen bald noch, Hidan, Deidara, Kiba und einige andere Gangleute.

Sakura hätte bis anhin nicht gedacht, dass es möglich wäre, aber an diesem Abend sassen Kuramas und Takas gemeinsam in der Sofaecke, tranken heisse Schokolade und Kaffee. In der Cafeteria hatten noch einige Brötchen übrig gehabt und sie der Gang zu Verfügung gestellt. Es war ein gemütliches Beisammensein im schummrigen Licht einer der vielen Lampen. Erstaunlich, wie gut sie ins Gespräch kamen und ihre Gangrivalitäten vergessen konnten, einfach nur für diesen Moment, in dem sie zusammenarbeiten mussten, um weiterzukommen. Und während alle den heutigen Erfolg feierten, sich amüsierten und lachten, dachte Sakura über die Zukunft nach. Gesetztenfalls, sie würden die Riots besiegen, was war dann? Die Leader würden ihre Strafen absitzen. Die anderen waren von jeglicher Schuld aus ihrer Vergangenheit befreit. Würde alles wieder ins alte Schema fallen und von vorne beginnen? Oder gab es tatsächlich die Möglichkeit für sie, neu anzufangen?

Wenn sie sich an die Zustände vor einem Jahr erinnerte, kam ihr das alles beinahe unwirklich vor. Damals hatte es nur Kuramas gegen Takas gegeben. Irgendwie hatte sie diese Zeit als sehr viel einfacher in Erinnerung. Nicht besser, aber einfacher.

Aber wer konnte jetzt schon sagen, was die Zukunft bringen würde.

 

Trotz der Unruhe in der Stadt erfüllte sie ein wohliges Gefühl, als sie sich schlafen legte. Sasuke und Sakura hatten inzwischen eine Matratze in den kleinen Hörsaal verfrachtet, da der Boden nun wirklich nicht der angenehmste Schlafplatz war.

Sie genoss jede Sekunde mit ihm in vollen Zügen. Seine Wärme so nah bei sich zu spüren, seinen wunderbaren Geruch einatmen zu können – und all das ohne ein mulmiges Gefühl bei dem Gedanken, was die Kuramas und Takas darüber denken würden. Es war ein kleines Paradies in einer gnadenlosen Welt. Jedoch war beiden bewusst, dass ihre Zeit begrenzt war. Umso mehr mussten sie es geniessen.

Bevor sie überhaupt einschlafen konnte, wurde sie von ihrem summenden Handy geweckt. Sasuke neben ihr war bereits eingeschlafen. Ihr Display zeigte eine Nachricht und einen verpassten Anruf an. Die SMS war von Tsunade, die nach ihrem Wohlergehen fragte. Sie gab ausführlich Antwort und fragte zurück, ob alles in Ordnung sei. Ihre Tante hatte sie bei all der Aufregung beinahe vergessen. Aber Tsunade dachte immer an sie.

Sie hätte es nicht für möglich gehalten, aber der verpasste Anruf stammte von ihrer Mutter. Es war erst eine halbe Stunde her, vermutlich hatte sie es einfach nicht gemerkt, als sie sich unten in der Cafeteria unterhalten hatten. Was wollte denn ihre Mutter?

Oft fiel es ihr schwer zu beschreiben, wie sie sich fühlte, wenn ihre Mutter anrief. Meistens war es dieses ungute Gefühl, dieser innere Drang, den Anruf nicht entgegenzunehmen. Zum letzten Mal hatte sie ihre Mutter an der Abschlussfeier gesehen und nun rief sie einfach so an?

Vorsichtig darauf bedacht, Sasuke nicht zu wecken, wand sie sich aus ihrem Schlafsack und tapste leise zur Tür. Im Gang war es dunkel, nur durch das Fenster am Ende drang Mondlicht. Sie setzte sich auf das Fensterbrett und schaute auf das nächtliche Konoha hinaus. Dieses Gebäude war echt ein Meisterwerk und dann noch in solch schöner Lage gebaut.

Missmutig starrte sie auf das Display und die Nummer ihrer Mutter. Vielleicht nahm sie ja um diese Zeit gar nicht mehr ab. Zu hoffen wäre es. Schlussendlich konnte sie sich aber dazu überwinden, den Anruf zu starten. Ihre Mutter nahm erst nach dem vierten Läuten ab.

«Ja?»

«Mom?»

«Sakura. Beehrst du mich also doch noch mit einer Aufmerksamkeit? Was treibst du denn bitte schon wieder, dass du nicht einmal ans Telefon gehen kannst?»

Es war so typisch. Keine nette Begrüssung und nur unterschwellige Vorwürfe.

«Ich war unterwegs. Was ist los?»

Am anderen Ende der Leitung vernahm sie ein Seufzen. «Nun, genau deswegen muss ich mit dir reden.»

«Weswegen?»

«Du treibst dich mit Gangs herum?!»

Gratulation zu dieser Erkenntnis, Mutter. Hättest du auch nur ein bisschen Ahnung von deiner Tochter, dann wüsstest du das längst. Himmel, sie war vor etwa zwei Monaten zum ersten Mal im Fernsehen aufgetreten und hatte nie einen Hehl aus ihrem Umgang mit den Kuramas und Takas gemacht. Nun gut, sie hatte keine Details preisgegeben, aber trotzdem.

«Ja, Mom. Hast du es nicht im Fernsehen gesehen?»

«Ich war fast die ganzen letzten zwei Monate auf Reisen. New York, Miami, Karibik…Genma hat die Beiträge per Zufall im Internet gefunden. Im Rahmen dieser ganzen Gang-Sache.»

«Na das erklärt ja einiges.» Sakura fühlte, wie der Zorn in ihr aufstieg. Das hatte sie ihr nicht einmal gesagt. Mit ihrem reichen Freund konnte sie das natürlich. Aber ihr etwas davon erzählen?

«Warum hast du mir das nicht gesagt?»

«Ach, Sakura, ich habe es vergessen. Tut mir leid. Aber du meldest dich ja auch nie bei mir.» Nach jeder Entschuldigung gleich wieder ein Vorwurf. Ihre Mutter war inzwischen richtig berechenbar. «Jedenfalls finde ich das gar keine gute Idee. Du solltest dich mit guten Leuten abgeben, so wie Ino und Hinata.»

Sakura musste sich Mühe geben, nicht bitter aufzulachen. Wenn ihre Mutter wüsste. Ino war in einer Gang und Hinata die Freundin des Riot-Leaders.

«Ich suche mir meine Freunde selber aus, Mom.»

«Sakura! Das ist kein Witz. Was wird nur aus dir werden, wenn du mit solch... delinquenten Menschen abgibst? Glaube mir, die haben gar keinen guten Einfluss auf dich.»

Kein Wort darüber, dass sie stolz auf sie war. Kein Wort verlor sie darüber, dass ihre Tochter im Fernsehen gewesen war. War ihr nicht bewusst, dass sie der schlechteste Einfluss überhaupt war? Da war ihr ja ihr Vater noch lieber, den sie seit Jahren nicht mehr gesehen hatte. Der liess sie wenigstens in Ruhe.

«Du kennst sie nicht. Hast du dir die Beiträge überhaupt ganz angeschaut?»

«Nicht alle. Jedenfalls muss ich dir als deine Mutter sagen, du verbaust dir so deine Zukunft! Anstatt ein Studium zu beginnen und deine Zeit zu nutzen, verbringst du Zeit mit diesen Leuten! Und deshalb musst du aus der Stadt raus, das ist viel zu gefährlich. Auch wenn man bedenkt, was da alles passieren kann, in diesen Zeiten! Ich werde Tsunade kontaktieren. Du kannst zu uns nach…»

«Nein. Ich komme sicher nicht zu dir und deinem reichen Typen! Das kannst du vergessen!»

«Sakura», ihre Mutter wurde drohend. «Ich bin deine Mutter. Und als deine Mutter sage ich dir, du wirst auf der Stelle deine Sachen packen!»

«Vergiss es. Ich bin volljährig. Du kannst mir keine Befehle mehr erteilen. Ich bleibe hier und Tsunade wird das unterstützen, da kannst du sicher sein.»

«Sakura, du benimmst dich wie ein kleines, unreifes Kind.»

«Nein, Mom. Die einzige unreife Person hier bist du. Du wolltest mich nie haben und jetzt plötzlich hast du Angst, dass ich eine Enttäuschung werde? Erst jetzt nach all den Jahren denkst du, du könnest schnell anrufen und ich würde angerannt kommen? Ich habe meine eigene Familie hier. Eine, die mich auch will.»

In ihren Augen sammelten sich Tränen. Warum trieb ihr die Wut auch immer Tränen in die Augen?

«Was ist denn das für ein Ton?!» Sie fühlte wie ihre harschen Worte in der Luft vibrierten.

«Ich habe genug von dir, Mom», sagte sie mit möglichst beherrschter Stimme. «Lebe du dein Leben. Kannst die Tochter, die du eigentlich gar nicht willst, vergessen. Jetzt will ich nichts mehr mit dir zu tun haben. Verstanden?»

Bevor ihre Mutter noch etwas erwidern konnte, legte sie auf. Vor Wut zitterte sie am ganzen Körper und sie spürte diese enorme Anspannung in ihrer Brust. Es war richtig schmerzhaft und es erforderte eine enorme Anstrengung, überhaupt richtig atmen zu können.

Leise schluchzte sie in den Ärmel ihres Pullovers. Da hatte man Eltern, aber sie wollten einen nicht. Sie wusste nicht, ob diese endgültige Ansage ihrer Mutter gegenüber gut gewesen war. Aber sie hatte es satt. Und was ihre Mutter konnte, das konnte sie auch. Kontaktabbruch. Sie würde schon irgendwie klarkommen. Irgendwie.

Das Mondlicht beruhigte sie ein wenig. Draussen strich ein sanfter Wind durch Zweige der hohen Tanne neben dem Fenster.

Atmen. Einfach atmen.

 

«Und? Vielversprechende Anwärter?», fragte Ayato und streckte sich gemächlich auf dem viel zu grossen Bett aus. Tomcats Gästezimmer waren luxuriös und einfach nur riesig. Die Wohnung ihres Vaters war zwar auch relativ gross, aber gleich so? Man musste schon enorm viel Geld haben, um sich solch luxuriöse Zimmer leisten zu können, die fast durchgehend unbewohnt waren.

Sie nickte. «Lässt sich aus allen was Nützliches machen. Und es hatte einige starke Kämpfer dabei. Hat dir Cracker nichts erzählt?»

«Der Typ ist gleich schlafen gegangen. Vielleicht wird er langsam alt.»

«Er ist vierundzwanzig Jahre alt», meinte sie daraufhin nur. «Da muss er noch ein wenig durchalten.»

«Ich mag diesen trockenen Humor. Wirklich.» Ayato lachte. «Jedenfalls ist es gut zu wissen, dass nach wie vor Leute den Riots beitreten wollen. Uns steht der schwierigste Teil der Sache bevor. Beeindruckend, was deine kleine Freundin ausgelöst hat.»

«Das war nicht nur ihr Verdienst. War es nicht Tomcat, der sie davon überzeugt hat?»

«Schon. Aber sie hatte immer noch die Wahl.»

Hinata nickte. «Das mag schon sein.»

Er setzte sich hin. Selbst wenn sein Haar vollkommen zerzaust war, sah er noch attraktiv aus. «Habe ich schon mal gesagt, wie sehr mich dein Sinneswandel damals überrascht hat?»

Ein Lächeln stahl sich auf ihre Lippen. «Ich konnte nichts dafür.»

«Und warum nicht?»

Sie ging auf ihn zu. Seine schönen braunen Augen folgten ihr aufmerksam. «Das muss ich dir nicht erklären», flüsterte sie und lachte leise.

Sie fühlte sich gut. Auch jetzt, als sie seine Hände an ihrer Taille spürte, die sie langsam zu sich herunterzogen, seine weichen Lippen auf ihren. Und wenn sie die Augen schloss, dann sah sie nur Glück. Daran musste sie festhalten.

 

Sakura spielte mit dem Gedanken, zurück in den Hörsaal zu gehen. Jedoch würde das auch Sasuke aufwecken, da war sie sich sicher. Er hatte etwas von einem Kater, der selbst im Schlaf wachsam war. Er würde ihre Wut und ihre Traurigkeit sofort bemerken, dabei wollte sie ihn nicht mit solchen Sachen belasten. Und darüber reden wollte sie eigentlich auch nicht. Genauer gesagt wusste sie gar nicht, was sie eigentlich wollte.

Also blieb sie auf der Fensterbank sitzen und schaute in die ruhige Nacht hinaus. Es spendete Trost, für einen Moment einfach nur bei sich zu sein und die Lichter der Stadt auf sich wirken zu lassen. Da draussen geschahen so viele Dinge, die nicht passieren sollten. Kinder, die auf der Strasse ums Überleben kämpften, Stärkere, die über die Schwächeren herfielen, Existenzen, die sich in Luft auflösten. Von Verzweiflung getriebene Menschen.

Es war so vieles falsch da draussen. Warum sonst sollten aggressive Gruppen wie die Riots einen solchen Zulauf erhalten? Crow war intelligent und wusste, wo die Menschen in der untersten Schicht der Nahrungskette standen und vermochte ihnen ein Ziel zu geben, auf das es sich in seinen Augen hinzuarbeiten lohnte. Irgendwie konnte sie nicht ganz glauben, dass er diese jungen Menschen nur instrumentalisierte. Was mochte er für Motive haben? Nun, Hinata könnte ihr das bestimmt sagen. Der Gedanke war bitter.

Etwas anderes fiel ihr ein. Würde ihre Mom jetzt die finanzielle Unterstützung für Tsunade kappen? Sie war volljährig und Mebuki Haruno somit zu keinen Zahlungen mehr verpflichtet. Das war ziemlich wahrscheinlich. Sie musste morgen unbedingt ihre Tante anrufen und ihr die Sache erklären. Es war schön, vor dem Gespräch mit ihr keine Angst haben zu müssen, denn Tsunade verstand sie.

Vage erinnerte sie sich an die Zeit zurück, in der ihre Familie noch intakt gewesen war. Als ihre Mutter ihr noch Geschichten vorgelesen hatte. Sakura getröstet hatte, wenn sie traurig war. Das alles war schon so lange her. Und von da an, als die Sachen mit ihrem Vater passierten, ging alles bergab. Es war, als wolle ihre Mutter nichts mehr mit den Dingen zu tun haben, die ihren Ex-Mann involvierten. Und dazu gehörte nun einmal Sakura.

Sie lehnte den Kopf gegen die kühle Scheibe. Stille Tränen liefen ihr über die Wangen. Auch wenn sie nicht solch schlimme Vergangenheiten wie andere hatte, durfte sie doch trotzdem traurig über ihre eigene Situation sein, oder?

«Ist das bequem da?»

Sie schloss die Augen. Das hätte sie sich ja denken können. Die Wachsamkeit eines Katers.

«Mehr als es aussieht», antwortete sie leise.

«Dann darf ich mich dazusetzen?»

«Mhm.»

Sasuke setzte sich ihr gegenüber auf die Fensterbank und schwieg. Man sah ihm an, dass er erst gerade aufgestanden war. Sein Blick wanderte hinaus zum nächtlichen Konoha.

«Schwieriges Telefonat?»

Im ersten Moment war sie überrascht. Hatte er sie etwa belauscht? Doch dann fiel ihr ein, wie krampfhaft sie schon die ganze Zeit ihr Handy umklammerte – das liess Schlüsse zu.

Sie nickte nur.

«Deine Mutter?»

Ihm konnte sie nichts vormachen. Es gab wohl niemand anderes, der mit einem Einzigen Telefonat so viel bei ihr auslösen konnte.

Sie nickte wieder. «Meine Mutter hat sie nicht mehr alle. Ganz einfach. Hängt zwei Monate irgendwo in den grössten Ferienparadiesen herum, kommt zurück und ruft mich an, ich solle gefälligst zu ihr kommen, weil ich hier Umgang mit falschen Leuten pflege.»

«Und das nicht aus Sorge um dich, nehme ich an?»

«Nein, aus Sorge um meine Karriere, die bisher noch nicht existent ist. Und das ist das ist für meine Mutter das Schlimmste, was auf dieser Welt überhaupt passieren kann.» Erneut stieg diese unbändige Wut in ihr auf. «Ich meine, meine Eltern kümmern sich überhaupt nicht. Ich bin nicht auf sie angewiesen. Aber Eltern sind doch nicht dazu da, einen nur noch mehr herunterzuziehen? Ich habe ihr gesagt, sie brauche nicht mehr anzurufen»

Sie wusste, dass das Thema Eltern bei Sasuke nicht unbedingt das sicherste Terrain war. Aber es war doch einfach wahr.

Sasuke nickte ruhig. Er schien sich ihre Worte wirklich gründlich durch den Kopf gehen zu lassen.

«Deine Mutter verdrängt was passiert ist genauso wie du.»

Sakura legte den Kopf schief. «Was verdränge ich?»

«Du sprichst nie wirklich über deine Eltern, wenn du mich fragst. Dein Vater ist ein Phantom, deine Mutter ruft ab und zu an.»

«Weisst du warum ich nicht über sie nachdenke? Weil sie beide egoistisch sind. Setzen ein Kind in die Welt und benehmen sich dann so. Ich meine, das betrifft ja nicht nur meine Eltern. Denk an die von Karin. Oder Kiba.»

«Ich will dir damit keinen Vorwurf machen, Sakura. Und ich kann deine Wut auch verstehen. Wirklich.»

«Kannst du nicht einfach irgendwas wie ‘Deine Mutter ist wirklich bescheuert’ sagen?» Sakura zerknüllte ein Papiertaschentuch.

«Ich kenne deine Mutter nicht. Nur das, was du mir erzählt hast.»

«Und das sollte doch reichen.»

Daraufhin sagte er nichts. Sakura verstand nicht. Warum sympathisierte er jetzt plötzlich mit ihrer Mutter?

«Euch Gangs hasst sie übrigens. Die würde rückwärts umkippen, wenn ich dich ihr vorstellen würde.» Das war etwas bissig gewesen, aber Sakura konnte gerade nicht anders. In ihr brodelte es einfach.

«Das kann ich mir schon denken», meinte er daraufhin nur und ging nicht auf ihre Provokation ein. «Es ist nur meine Meinung, aber bevor du deine Eltern zu den Akten legst, solltet ihr euch vielleicht einmal aussprechen?»

«Was denkst du eigentlich, wie oft ich das schon versucht habe? Mit der Frau kann man nicht reden.»

«Hast du es einmal ernsthaft versucht. Wirklich mit dem Ziel, dein Problem klarzumachen?»

Das hatte sie nicht. Aber was sollte das schon gross bringen?

«Weisst du, ich glaube deiner Mutter liegt immer noch viel an dir. Sie sorgt sich um dich.»

«Ja, um meine Karriere, Sasuke. Sonst um nichts!»

Sie sah etwas in seinen Augen aufflackern, doch er hielt sich zurück. «Da bin ich mir nicht so sicher.»

«Ich aber! Warum rede ich überhaupt mit dir darüber? Sie hat nichts Besseres zu tun als mir zu verstehen zu geben, was ich tun soll, wie ich zu sein habe und vor allem, dass sie sich ansonsten nicht für mich interessiert!» Gerade in diesem Moment machte Sasuke sie wütend. «Willst du mir etwa sagen, dass meine Mom recht hat?»

«Nein. Das habe ich nie gesagt. Ich finde ihr Verhalten nicht gut. Ich versuche nur das grössere Bild zu sehen. Und zu verstehen, was genau das Problem ist.»

«Das Problem dürfte ja wohl klar sein.»

«Ich stelle mich nicht auf ihre Seite, Sakura. Du hast eine solche Behandlung nicht verdient, da bin ich ganz deiner Meinung. Aber ich denke, dass du und deine Mutter euch versöhnen könntet, wenn ihr beide es wollen würdet.»

Sakura merkte es. Genau das war der Punkt. «Das will ich aber nicht. Ich will ihr nichts verzeihen.»

Sasuke nickte. «Das habe ich mir schon gedacht. Ich weiss, das klingt jetzt blöd, wenn es ausgerechnet von mir kommt. Ich werde Crow nie verzeihen, was er anrichtet. Er hat… nun er ist die eigentliche Person, die meinen Bruder auf dem Gewissen hat. Und viel zu viele andere Menschen. Und das kann ich ihm nie verzeihen. Deshalb bin ich wohl kein gutes Beispiel. Aber wenn es um Familie geht… man weiss nie, was passiert. Ich fände die Vorstellung unerträglich, im Streit auseinandergegangen zu sein und nie mehr die Chance zu bekommen, es wieder zu richten. Wenigstens im Frieden getrennte Wege gehen. Verstehst du?»

Sie wusste, dass er von seiner Familie sprach. Es war der Moment, in dem sich Sakuras Wut ein wenig legte. Er sprach gerade tief aus seinem Herzen und wollte ihr einen gut gemeinten Ratschlag geben. Und dass er dabei Itachis Person erwähnte, zeugte von der Wichtigkeit seiner Worte.

Und auch wenn sie nach wie vor richtig wütend auf ihre Mutter war, ihr Körper entspannte sich. Sie hatte ja auch den Luxus, sich über ihre Eltern beschweren zu können.

«Tut mir leid.» Schon wieder floss das Augenwasser. «Du hast ja recht… es tut mir so leid.»

Er schüttelte nur den Kopf. «Nicht deswegen. Ich sage nicht, dass man seine Eltern lieben soll, egal was kommt. Du sollst nur nichts zu bereuen haben, wenn du einmal zurückschaust. Das wünsche ich mir. Denn Reue ist echt ein bescheuertes Gefühl, das kannst du mir glauben.»

Sie wischte sich die Tränen von den Wangen aber es nütze nichts. Die Schleusen waren geöffnet. «Sorry, ich kann grad nicht…»

Sekunden später spürte sie seine warmen Arme um sie geschlungen. Sie drückte sich an ihn und sog die Geborgenheit und Wärme auf, die er ihr geben konnte.

«Ich wollte nicht wütend auf dich sein…»

«Ich weiss. Macht nichts.»

«Doch. Du kannst ja gar nichts dafür.»

«Es ist alles okay. Ich weiss wie es ist, wenn man Sachen sagt, die man gar nicht so meint.»

Sakura wischte sich noch einmal über die Augen. «Ich kann gar nicht mehr denken. Wir sollten schlafen gehen, sonst können die uns morgen nicht gebrauchen.»

Er grinste und küsste sie auf die Stirn.

 

Der grosse Raum hinter der Bar war bereits voller Leute, als Suigetsu und Karin eintrafen. Bereits an der Tür wurden sie von Purple instruiert, sich zu der kleinsten Gruppe Jungs und Mädchen zu stellen. Sie alle waren gestern mit ihnen in derselben Testgruppe gewesen.

Zu ihrem Bedauern war auch Hinata heute wieder vor Ort. Ino hatte Suigetsu extrastark zurechtgemacht und ihm sogar noch etwas schwarzen Eyeliner aufgetragen, damit er ja schräg aussah und hoffentlich nicht als Suigetsu wiederzuerkennen war. Bei Karin hatte sie sich erneut ins Zeug gelegt, die Schminke war dicht aufgetragen und die Perücke sass fest auf ihrem Kopf.  Die Tattoos waren wieder mit Concealer abgedeckt, Karin trug aber zusätzlich ein extra hochgeschlossenes Oberteil.

Es war auch heute Hinata, die das Sagen zu haben schien. «Guten Abend. Es ist gut, euch wieder hier zu sehen. Wie ihr bemerkt habt, steht ihr bereits in Gruppen. Die Gruppen zu meiner Linken», sie wies mit einer Handbewegung auf die Mehrheit der Leute, «werden hierbleiben und unter Aufsicht trainieren. Es ist in eurem eigenen Interesse, euch ins Zeug zu legen, denn das Schlachtfeld ist ein hartes Pflaster. Überleben soll gelernt sein.»

Sie richtete sich an ihre Gruppe und noch einer weitere. «Die beiden zu meiner Rechten werden ab heute aktive Riots. Ihr habt noch nicht den Status vollwertiger Mitglieder und müsst euch erst beweisen. Trotzdem werdet ihr an verschiedene Standorte verteilt.»

Karin und Suigetsu grinsten innerlich. Genau das war für sie von Interesse. Als Hinata ihre kleine Ansprache beendet hatte, kam sie gemeinsam mit Cracker zu ihnen, während Purple und zwei andere sich den Überbleibenden annahmen und sie in die Trainingshalle führten.

«Wir haben eine Gruppeneinteilung vorgenommen. Da wir zahlreiche Standorte haben, werdet ihr in Fünfergruppen aufgeteilt.»

Hinata verlas die Einteilung. Karin und Suigetsu waren sich ziemlich sicher, dass man sie zusammen an den selben Ort stecken würden. Es war von Vorteil, Leute zu haben, die sich schon kannten. Die Chance auf eine gute Dynamik und ein eingespieltes Vorgehen waren so einfach grösser. Und tatsächlich wurden Toya und Yuma in dasselbe Team gesteckt. Bei ihnen war ein junger Mann namens Akira, ein Mädchen und ein Junge, die sie nicht kannte. Akira war dunkelhaarig und unscheinbar, jedoch erinnerte sich Karin noch gut an seine Performance gestern. Er war ziemlich gut. An die anderen erinnerte sie sich nicht. Vielleicht wurden sie an einem anderen Abend rekrutiert?

Cracker gesellte sich zu ihrer Gruppe. «Ihr werdet an den Ort kommen, der dem HQ am nächsten kommt. Es ist der wichtigste Aussenposten in Konoha. Das habt ihr euren ausserordentlich weit entwickelten Fähigkeiten zu verdanken.»

Cracker wies sie an, mitzukommen. Sie stiegen in ein grosses, jedoch unscheinbares Auto. Im Inneren roch es nach Tabak. Als sie sich auf die Sitze verteilt hatten, stieg auch Cracker auf den Beifahrersitz. Ein anderer Riot fuhr den Wagen, vermutlich damit Cracker Zeit hatte, um Instruktionen zu geben.

«Ich werde an dieser Stelle noch einmal ganz deutlich sagen: Wer den Riots schadet, mit welchen Handlungen auch immer, wird bezahlen. Unser Netz erstreckt sich über ganz Konoha hinweg und es gibt kein Ort, an dem ihr vor uns sicher seid, wenn ihr plötzlich andere Prioritäten haben solltet. Ihr wusstet, worauf ihr euch einlasst. Eure Loyalität gilt von nun an den Riots und wenn sich das ändern sollte, werdet ihr es zu spüren gekommen. Ihr wärt nicht die Ersten.»

Karin erinnerte sich an den dunklen Abend, damals bei der DD-Area. Ravens Mörder war bis zu seinem bitteren Ende loyal gegenüber den Riots gewesen. Er hatte mit seinem Leben bezahlt, aus Angst vor den Konsequenzen.

Es war ein bitterer Gedanke. Im Regime der Riots war viel zu viel Macht im Spiel. Macht gab es überall, auch bei den Takas. Aber nie hatten Leader eben diese Macht ausgenutzt, um ihre eigenen Gangmitglieder zu unterdrücken.

Sie nickte jedoch brav mit den anderen im Wagen mit. Sie hatten eine Mission. Ihre Loyalität würde niemals einer Gruppierung wie den Riots gehören. Nie im Leben.

Sie fuhren bestimmt eine halbe Stunde, währenddem sie Cracker über die Grundstrukturen der Riots aufklärte. Es gab also wie vermutet einen inneren Kern, der nur aus Crows engsten Beratern bestand, Cracker und Tomcat gehörten zu ihnen. Er informierte sie auch über Hinatas Status in der Gang. Anscheinend hiess sie bei den Riots «Foxy», was eine bescheuerte Anlehnung an ihre Herkunft war. Offiziell war sie also die «Frau vom Boss» und es wurde ihnen eingetrichtert, ihr und auch allen anderen höhergestellten mit grösstem Respekt zu begegnen.

Cracker präsentierte ihnen die ganze Riot-Hierarchie, aufgebaut wie eine Pyramide. Ganz oben stand natürlich Crow, darunter gleich sein engster Kreis. An jedem Standort gab es einen stellvertretenden Boss, diese unterstanden wiederum der Kontrolle des engsten Kreises. Und in den Standorten wurden weiter verschiedene Ränge unterschieden.

«Ihr fangt ganz unten an, versteht sich. Aber sich hochzuarbeiten hat seinen Reiz.»

Karin musste sich Mühe geben, nicht den Kopf zu schütteln. Und sie, die Takas und Kuramas, hatte man bisher als kriminelle Gruppierung bezeichnet? Die Riots waren ja aufgebaut wie die Mafia!

Der Wagen bog in eine Seitenstrasse ein. Sie befanden sich hier im North, vielleicht eine Viertelstunde vom Taka-HQ entfernt. Sie musste ein teuflisches Grinsen unterdrücken. Jetzt nur nicht die Beherrschung verlieren. Sie waren drauf und dran, diese Riots für immer von der Landkarte zu wischen. Versagen war jetzt keine Option. Zeit, ihr Pokerface aufzusetzen. Denn nun kam erst der schwierige Part – ein Teil der Riots werden.

 

Sasuke war wie auf glühenden Kohlen und tigerte unruhig im Universitätsgebäude herum. Sakura war sich das von ihm gar nicht gewohnt. Seine ruhige und besonnene Art drückte ansonsten immerzu durch, aber heute schien das gar nicht zu klappen. Als sie ihn fragte meinte er nur kurz angebunden, dass er sich nun einmal Gedanken mache. Und er hatte ja recht. Würden Suigetsu und Karin auffliegen, konnte das haarsträubende Konsequenzen haben. Zur Sicherheit hatte man die beiden mit keinerlei Abhörgerätschaften versehen und vertraute darauf, später einen genaue Bericht der Lage zu erhalten.

Während also Sasuke mit sich selbst beschäftigt war, gesellte sich Sakura zu den anderen Verbleibenden. Es waren derzeit nur wenige Patrouillen unterwegs und das hatte einen Grund: Die Riots hatten sich zurückgezogen. Die Polizei und die Gangs waren sich einig, sie mussten so bald wie möglich handeln. Es wäre ein grosser Fehler, den Riots auch noch Zeit zu geben, einen Plan auszuhecken und sich neu zu formieren. Jedoch stellte genau dieser Punkt eine grosse Herausforderung dar. Sie konnten schlecht angreifen, wenn sie nicht wussten, wo die Quartiere der Riots waren. Es gab einige Anhaltspunkte, die sie bei ihrer letzten grossen Beobachtungsmission im Winter herausgearbeitet hatten, aber ob die noch aktuell waren wussten die Götter. Vor allem galt es, keine Zivilisten zu involvieren, da die Gefahr von solch unbedachten Geiselnahmen seitens der Riots viel z gross war. Razzien wurden bereits regelmässig in der DDM, dem High Skies und eigentlich jedem anderen grossen Club gemacht, aber die Riots schienen wie vom Erdboden verschwunden zu sein.

Sakura beliess es also dabei, in der Cafeteria zu sitzen und mit nur halbherziger Aufmerksamkeit in ihrem Buch zu lesen. Es war zu schade, denn das Buch war echt gut. Aber ihre Gedanken wanderten immerzu wieder zum Gespräch mit ihrer Mutter und zu Sasukes Worten von letzter Nacht. Irgendwie wusste sie immer noch nicht, wie sie zu alldem stehen sollte. Und in all dieser Aufruhr war es schwierig, einen klaren Gedanken zu fassen.

Irgendwann gesellte sich Sasuke zu ihr auf das Sofa, legte sich hin und schaute sie erwartungsvoll an. «Erzähl mir was, Sakura.»

Sie legte den Kopf schief. «Was soll ich dir denn erzählen?»

«Irgendetwas Schönes. Damit ich nicht ausraste.»

Sie musste lachen. In seinem Blick lag ein kindlicher Trotz, das hatte sie noch nie gesehen.

«Ich brauche Ablenkung. Also tu mir den Gefallen.»

«Ich weiss aber nicht, was ich dir erzählen soll, Sasuke.»

«Was passiert da in deinem Buch?»

«Nichts Schönes, jedenfalls. Die Heldin wurde gerade in einen Kerker geworfen.»

«Hm.» Er schwieg einen Moment und schien fieberhaft nachzudenken.

«Dann erzähl mir von dir.»

«Du weisst doch schon alles von mir.»

«Das bezweifle ich. Erzähl mir von der Zeit, als du noch nicht in Konoha gelebt hast.»

Sakura musste schmunzeln. Sie erzählte nicht allzu gerne von sich, weil sie Angst davor hatte, ihr Gegenüber könnte sich langweilen. Aber wenn er das wollte…

Irgendwann, nachdem sie sicher schon zehn Minuten erzähl hatte, legte er seinen Kopf auf ihren Schoss und schloss die Augen. Sakura war mehr als überrascht, aber er sah richtig friedlich aus. Manchmal hatte er Fragen zu dem, was sie erzählte, die sie ihm gerne beantwortete, während sie mit ihren Fingern durch sein wunderschönes, pechschwarzes Haar strich.

Er hatte sich verändert, ja wirklich. Er begann zu heilen.

Mittel und Wege

Das Aussenquartier war ein altes Fabrikgebäude am Rande des North, fast schon im Little East. Es bestand aus seiner grossen Halle und diversen Räumen mit hohen Decken. In dem Gebäude tummelten sich Riots wie in einem Ameisenhaufen. Cracker informierte sie, dass sie sich im Moment zurückgezogen hielten. Die Polizei habe aufgerüstet und mit den Kuramas und Takas zusammengespannt. Innerlich lachten Karin und Suigetsu natürlich darüber.

Cracker zeigte ihnen ihre Quartiere – Massenschlafsäle mit Matratzen am Boden und riesige, kahle Waschräume. Es gab einen grossen Aufenthaltsraum. Wo die Waffen waren, wurde ihnen nicht gezeigt, dafür aber auch die Garage. Es war ziemlich schlecht aufgeräumt, was aber auch mit der Anzahl der hier lebenden Personen zu tun haben konnte.

Der Boss dieses Stützpunktes hiess Runch, war geschätzt vierundzwanzig Jahre alt, gross, dunkelhaarig und versprühte eine ziemlich unangenehme Aura. Er war muskulös und wirkte bullig, jedoch wussten die beiden Takas, dass er auch intellektuell etwas auf dem Kasten haben musste, wenn er zu einem der Quartier-Bosse auserkoren worden war. Crow war hinterlistig, aber bestimmt nicht blöd.

«Ich bin hier der Boss und ihr habt zu folgen. Wer Scheisse baut, der kann sich auf etwas gefasst machen, versucht es also besser gar nicht erst.» Er wies mit der Hand auf ein zierliches blondes Mädchen, dass viel zu jung für dieses Milieu hier wirkte. Sie war ziemlich klein und ihre grünen Augen strahlten etwas Nettes aus. «Wenn ihr Fragen habt: Pixie wird euch gerne aufklären. Sie wird euch auch zu euren jeweiligen Subgruppen begleiten.»

Damit verschwand Runch.

Pixie lächelte freundlich, als wäre sie die Rezeptionistin in der Hotellobby dieses Quartiers. «Hey zusammen! Freut mich, euch kennenzulernen. Wie Runch schon gesagt hat, mein Name ist Pixie und ihr könnt mich gerne alles fragen, was euch so einfällt. Hier im HQ gibt es nur wenige Regeln. Dem Boss wird gehorcht und im Moment herrscht eine Art Ausgangssperre, da die Cops mit den Kuramas und Taka ihr Unwesen treiben. Der Leader arbeitet an einem Plan, bis dieser steht müssen wir uns zurückhalten.»

Allem Anschein nach war Pixie eine kleine Quasseltante. «Ich weiss, es ist ziemlich schmutzig hier, aber ich sage euch, die Typen hier räumen einfach nie auf. Vielleicht seid ihr ja etwas ordentlicher?» Sie bedachte die Neu-Riots mit einem vielsagenden Blick. Während Pixie sie also zu ihren jeweiligen Gruppen begleitete, mussten sie ihr allesamt ihre Namen mitteilen, weil sie diese unbedingt lernen wollte. Einen nach dem anderen setzte Pixie bei ihren Leuten ab, bis nur noch Karin und Suigetsu übrig waren.

«Toya und Yuma. Toya und Yuma. Toya und Yuma», murmelte sie ihre Namen wie ein Mantra vor sich hin. «Ich darf euch beglückwünschen! Ihr seid meiner Gruppe zugeteilt worden! Juhu!» Sie hüpfte grinsend von einem Bein aufs andere und Karin musste zugeben, es kostete sie ziemliche Mühe, nicht loszulachen. Die Kleine hatte etwas wirklich Süsses an sich. Und auch wenn sie kindlich wirkte, wenn Runch sie als wichtig genug ansah, um ihr die Neuen anzuvertrauen, sollten sie Pixie besser nicht unterschätzen.

«Wie lange bist du schon dabei, Pixie?», fragte Karin locker.

«Hm, inzwischen müsste es etwa ein dreiviertel Jahr sein. Die Riots sind noch relativ jung. Gegründet wurden wir offiziell im Juli des Vorjahres. Die Gang hat rasant an Mitgliedern gewonnen und irgendwann im Herbst war dann der erste offizielle Auftritt in der Stadt.»

Suigetsu und Karin erinnerten sich gut an den Tag, an dem ihre Gangflagge lichterloh auf der Glade’s Terrace gebrannt hatte.

«Und wie bist du überhaupt dazugekommen?» Pixie hatte ihr Interesse geweckt.

«Meine Eltern sind beide Junkies und leben quasi in der Entzugsklinik. Ich habe bis zum Beitritt in einer Restaurantküche den Abwasch gemacht. Es war langweilig, ich habe es gehasst. Mein Chef war ein Arsch und die Arbeit undankbar. Tja und dann ist mir Cracker über den Weg gelaufen, wir sind in derselben Nachbarschaft aufgewachsen, wisst ihr. Und er hat mich hierhergebracht.» Sie lächelte. «Vorher machte nichts wirklich Sinn und jetzt habe ich eine Aufgabe. Und ihr?»

Die beiden erzählten ihnen die Story, die sie gestern noch gemeinsam bis ins letzte Detail ausgefeilt hatten. Von ihrer Zeit im Untergrund und ihren Botengängen für Hochkriminelle bis hin zu dem Abend, an dem sie beschlossen hatten, den Riots beizutreten.

«Dann habt ihr ein paar echt wilde Sachen gemacht», meinte Pixie beeindruckt. «Ich konnte vor meinem Beitritt knapp abwaschen. Aber Cracker hat mich zu Crow gebracht und der hat mir versichert, dass das kein Problem ist und er mich gerne dabeihaben möchte. Damals waren wir noch nicht so viele wie heute. Ich wurde intensiv im Kampf trainiert, das war echt eine anstrengende Zeit. Ich bin nach wie vor nicht so gut wie andere, aber für die Basics hat es gereicht. Und mich brauchen sie wegen meiner Grösse sowieso gerne fürs Kundschaften und Spionieren.»

«Dann habt ihr auch bestimmte Funktionen in der Gang?»

«Jep. Und ihr werdet sicher auch bald eine zugeteilt bekommen. So wie ich gehört habe, seid ihr gute Kämpfer. Nun, in meiner Subgruppe gibt es einige gute Kämpfer, ihr werdet sie kennenlernen. Sie sind allerdings noch unterwegs. Man kann schon rausgehen, allerdings darf man sich nicht als Riots zu erkennen sein. Crow empfiehlt aber drinnen zu bleiben.»

«Alles klar.»

«Es ist jedem selber überlassen, ob er hier im Quartier schlafen will. Für diese Nacht empfehle ich euch, zu bleiben. Der Leader wird morgen eine wichtige Ankündigung machen und ich denke, dass ihr da dabei sein solltet. Ansonsten ist alles andere ein wenig Learning-by-Doing.»

«Finde ich gut», meinte Suigetsu und wechselte einen vielsagenden Blick mit Karin.

Den Rest des Abends verbrachten sie mit Pixie und den anderen im Aufenthaltsraum. Auf die Neuen wurde mit Bier angestossen und alles in allem konnten die beiden Takas nicht viel Negatives über ihren Empfang sagten. Die Einstellung gegenüber Neulingen schien durchaus positiv zu sein. Man sah sie als Verstärkung und nicht als Last an – Karin wäre auch beleidigt gewesen, wenn man sie als Klotz am Bein bezeichnet hätte. Immerhin war sie Taka-Sniper.

Sie lernten auch die anderen Mitglieder ihrer Subgruppe kennen, ihre Namen konnten sie sich jedoch nicht auf Anhieb merken, schliesslich waren es an die fünfzehn Mitglieder. Pixie war nicht die Leaderin der Subgruppe, sondern ein Typ namens Rifle. Sein Bandenname liess verlauten, dass er ein guter Schütze sein musste. Rifle war in ihrem Alter, hatte dunkles Haar und wachsame Augen. Er war nicht besonders gesprächig, aber Karin wusste sofort, dass er intelligent war. Seine Ausstrahlung sprach für sich.

Karin legte sich an ihrem zugeteilten Platz hin. Sie konnte eigentlich überall schlafen, aber an diesem Ort blieben ihre Instinkte geschärft. Sie befanden sich schliesslich mitten im feindlichen Lager. Deshalb döste sie mehr vor sich hin, als dass sie schlief. Im Männerschlafraum ging es Suigetsu ähnlich. Jedoch wussten beide, sie waren auf eine Goldgrube gestossen. Wenn sie das hier durchzogen, dann konnte das für ihre Gangs grosses bedeuten. Und deshalb würden sie ausharren, solange es nötig war.
 

Sasuke wälzte sich neben ihr von einer Seite auf die andere. Es machte ihn wahnsinnig, nichts über den Status von Karin und Suigetsu zu wissen. Heute am Nachmittag hatte er sich ein wenig beruhigen können, nachdem sie ihm mit Engelsgeduld ihr halbes Leben erzählt hatte. Aber nun, da er auf der Matratze liegen musste und er in seinem Kopf wieder Platz für Gedanken hatte, war alles beim Alten.

Sakura wusste wirklich nicht, wie sie ihm helfen sollte. Deshalb drehte sie sich zu ihm und schlang von hinten ihre Arme um ihn und legte ihr Gesicht in seinen Nacken. «Alles wird gut», flüsterte sie und küsste ihn auf seine warme, weiche Haut.

«Das ist unsere letzte Chance, Sakura», murmelte er nach einer Weile. «Wenn wir es vermasseln, will ich nicht noch mehr Leute verlieren, nur weil ich zu viele Risiken eingegangen bin.»

«Du kennst Karin und Suigetsu. Die beiden sind schlau, flink und vor allem eines: verlässlich. Sie wollten diese Mission übernehmen und jetzt musst du ihnen vertrauen. Ich bin überzeugt, dass sie das schaffen werden. Du kannst nicht immer alles unter Kontrolle haben.»

Er sagte zuerst nichts. Nur das Rascheln der Baumkronen drang durch das offene Fenster an ihre Ohren. Sein Atem ging ruhig, sein Körper war wunderbar warm. Er roch nach einer Mischung aus seinem Sandelholz-Duschgel und diesem vertrauten Geruch, der ihr immer von wilden Abenteuern erzählte.

«Das ist meine letzte Zeit, in der ich als Leader funktioniere. Pain wird das übernehmen, wenn das Ganze hier vorbei ist. Ich will noch einmal alles richtig machen», meinte er.

Sie bekam seine Hand zu fassen und drückte sie. «Du wirst es richtig machen. Aber vergiss nie, dass du nicht auf alles Einfluss nehmen kannst. Sonst wirst du an diesem Ziel kaputt gehen.» Sie küsste ihn noch einmal. Er seufzte, jedoch spürte sie, wie sich seine angespannten Muskeln ein wenig lockerten.

«Ich bin das nicht gewohnt», flüsterte er so leise, dass sie beinahe glaubte, sie hätte es nicht nur eingebildet.

«Was?»

Er schwieg. «Ich hatte noch nie so viel zu verlieren, wie jetzt.»

Als er das sagte und Sakura hörte, welch schwere Traurigkeit aus längst vergangen Tagen in seinen Worten mitschwang, spürte sie einen schmerzhaften Kloss im Hals. In der Tat hatte er viel zu verlieren. Und es war schön, dass er es auch realisierte. Sasuke war drauf und dran, aufzutauen. Seine Fassade hatte stark zu bröckeln begonnen, schon seit längerer Zeit. Aber in der Zeit seines Gefängnisaufenthaltes hatte er besonders grosse Schritte gemacht. Hier war er und mit jedem Tag sah sie mehr Facetten von ihm. Er öffnete sich und das erfüllte sie mit einer Wärme, die sie kaum beschreiben konnte.

«Glaubst du mir, wenn ich dir sage, dass das etwas Gutes ist?»

Er kam in Bewegung und drehte sich zu ihr um. Sein Blick konnte sie nicht deuten, aber er ging wie immer tief. Sein Gesicht war nur wenige Zentimeter von ihrem entfernt. «Ist es das?»

Sakura nickte. «Hundertprozentig.»

Er lächelte schwach. «Na dann.»
 

Karin fühlte sich nicht besonders ausgeruht als sie am nächsten Morgen in den Aufenthaltsraum des Quartiers trat. Ihr Make-Up und ihre Perücke sassen, das hatte sie bereits vor dem Spiegel im Bad überprüft. Und nun waren sie von Runch zusammengetrommelt worden, der nicht viel freundlicher als gestern aussah. Suigetsu konnte sie neben Pixie ausmachen und sie gesellte sich zu ihnen.

«Morgen, Toya! Na, hast du gut geschlafen?», fragte sie aufgeweckt – keine Spur von morgendlicher Müdigkeit. Sie verstand schon, woher sie ihren Namen hatte. Ihr Gesicht, ihre Figur, ja ihre gesamte Aura hatte etwas Elfenhaftes. Irgendwie wollte sie der Gedanke nicht loslassen, das Pixie einfach nicht hierhin gehörte.

«Ja, danke», log sie. «Sind wir hier wegen der Ankündigung vom Boss?»

Pixie nickte. «Genau richtig! Er geht von Quartier zu Quartier und macht die Ankündigung, in etwa fünf Minuten sollte er hier sein. Habe Crow schon lange nicht mehr gesehen, drum freue ich mich riesig!» Sie hüpfte von einem Bein aufs andere. Karin und Suigetsu wechselten einen Blick. Normalerweise mochte Karin kleine, naive Mädchen nicht, aber Pixie war einfach liebenswert. Man konnte gar nicht anders, als sie zu mögen.

Tatsächlich kam der Leader – mit von der Partie waren Purple und Tomcat. Karin und Suigetsu hielten sich deshalb in den hintersten Reihen auf, Suigetsu streifte die Kapuze seines Pullovers über. Es wäre fatal, von Tomcat oder Crow erkannt zu werden.

Die ganze Atmosphäre im Raum veränderte sich, als Crow eintrat. Die Riots jubelten freudig, Crow begrüsste grinsend die Menge. Er hatte Charisma, das konnte niemand leugnen. Er wirkte echt und überhaupt nicht überheblich. Wäre er nicht bejubelt worden, hätte man ihn für ein ganz normales Mitglied der Riots halten können. Von Tomcat konnte man das allerdings nicht behaupten. Sein ganzes Auftreten hatte etwas Extravagantes, sein Kinn trug er hoch, sein Blick strahlte ein unerschütterliches Selbstbewusstsein aus. Er machte vielmehr den Eindruck eines Königs, der auf sein Fussvolk hinuntersah.

Crow begrüsste diejenigen mit einer Umarmung oder einem Handschlag, die er vermutlich besser kannte. Karin bemerkte erst, dass Pixie gar nicht mehr neben ihnen stand, als sie weiter vorne dem Riot-Leader vor Freude um den Hals fiel. Crow musste lachen, die Szene hätte fast so schön zum Zuschauen sein können, wenn man den offensichtlichen Haken der Sache ausser Acht liess. Er blieb nicht vor den Leuten stehen sondern setzte sich auf einer der Couches im Raum. Purple setzte sich dazu und Tomcat stellte sich fast schon ein wenig desinteressiert daneben. War Purple also auch Teil seines inneren Kreises?

Die Riots setzten sich auf den Boden, so dass sie alle einen Blick auf den Leader erhaschen konnten.

«Schön euch zu sehen», begann er. Bereits beim ersten Wort wurde Karin klar, dass er sich jetzt vollkommen auf einer Ebene mit seinen Leuten bewegte. Sie kaufte ihm das aber nicht ab. Er stellte sich nicht über sie, doch er war ihnen überlegen. Und ihm war das durchaus bewusst.

«Ich habe heute nur eine kurze Mitteilung für euch. Wie ihr wisst geht es im Moment etwas rau zu. Wie bereits angekündigt, haben wir einen Schlachtplan ausgearbeitet. Und euch brauchen wir dazu. In den kommenden Tagen werden wir aktiv werden, wie genau erfahrt ihr wie immer kurz vor Einsatz. Eure Aufgabe wird es bis dahin sein, Auszukundschaften und in Bereitschaft zu sein. Macht euch darauf gefasst, dass es ein harter Kampf wird. Die Polizei kombiniert mit Takas und Kuramas ist, obwohl ich es nicht gerne sage, ein gefährlicher Gegner. Ich will, dass ihr herausfindet, wo sie patrouillieren, woher sie kommen und vor allem, welche Takas und Kuramas wo dabei sind. Das wird für weitere Manöver hilfreich sein.»

Die Riots hingen gebannt an seinen Lippen. Karin hätte den Leader verfluchen können. Warum konnte er nicht einfach seinen verdammten Plan preisgeben? Die Antwort wusste sie. Weil er zu schlau war. Die Riots waren so viele, da die Kontrolle über Informationen zu behalten, war unmöglich. Und seine Leute trauten ihm auch so, in ihren Augen hatte er sich längst bewiesen.

«Und ich versichere euch: Der Plan ist gut. Wenn ihr alle mitmacht, kriegen wir auch die Polizei in die Knie. Und dann steht uns nichts mehr im Weg.»

Es folgte zustimmendes Jubeln und Johlen. Karin musste sich Mühe geben, ihr Schauspiel aufrechtzuerhalten. Dem Typen wurde so viel Vertrauen entgegengebracht, dass er ihnen nicht einmal seinen Masterplan erklären musste. Er wusste genau, was er sagen musste, um die gewünschte Reaktion zu erhalten. Sie konnte es nicht abstreiten – er war ein Leader. Die Frage war nur, was für einer er war. Ob ihm seine Leute wirklich am Herzen lagen, konnte sie zu diesem Zeitpunkt kaum beurteilen. Nutze er sie nur aus um seinen Machthunger stillen zu können oder lag ihm tatsächlich was an ihrem Schicksal?

Und nun blieb er tatsächlich noch eine Weile so sitzen und kam mit seinen Leuten ins Gespräch, während sich die Runde auflöste.

Karin gesellte sich zu Suigetsu. Dieser beobachtete den Leader, welcher gerade lächelnd mit der Hand durch Pixies Haar wuschelte. Sie wechselten einen vielsagenden Blick und wollten gerade von der Bildfläche verschwinden, doch da: «Yuma! Toya!»

Pixie winkte ihnen aufgeregt zu. Karin mochte Pixie, wirklich. Aber das war jetzt äusserst ungünstig. Glücklicherweise hatte sie ihre Schminke heute noch nachgezogen. Suigetsu hatte ähnliche Gedanken wie sie gehabt und sich die Haare nach hinten gegelt, zur Sicherheit aber noch die Kapuze hochgezogen. Nichtsdestotrotz mussten sie sich nun in die Höhle des Löwen begegnen. Es stand viel auf dem Spiel, jetzt also bloss nicht schwach werden.

Rasch setzte sie ein schüchternes Gesicht auf und versuchte, möglichst zögerlich zu gehen. Sie versuchte, ihn mit möglichst viel Respekt und Verehrung anzuschauen, jedoch durfte sie es auch nicht übertreiben.

«Das sind meine beiden Schützlinge. Cool, was?» Meinte Pixie und zeigte stolz auf Karin und Suigetsu.

Der Leader schüttelte ihnen die Hand. «Es ist immer eine Freude, neue Mitglieder begrüssen zu dürfen.»

«Die beiden haben echt was drauf», meinte Pixie stolz.

«Das kann ich mir denken. Rekrutierung war vorgestern, wenn sie jetzt schon hier sind, müssen sie beachtliche Fähigkeiten haben. Schau zu, dass sie sich gut einleben, Anju.» Sein Blick war unergründlich und Karin musste sich ihre Nervosität eingestehen.

«Leute wie ihr habt bei uns eine echte Zukunft. Ich freue mich, von euren Einsätzen zu hören.»

Er nickte freundlich und wandte sich dann ab, weil Tomcat irgendetwas von ihm wollte.

«Tja, das ist unser Crow.»

«Und dein richtiger Name ist also Anju?», fragte Suigetsu interessiert. Karin musste sich Mühe geben, nicht die Augen zu verdrehen. Was für ein Schürzenjäger. Und Pixie passte genau in sein Beuteschema.

«Anju Ishida. Gut aufgepasst, Yuma Suzuki.» Sie lächelte frech und verschwand dann in den herumstehenden Leuten.

Karin rammte Suigetsu ihren Ellenbogen in die Rippen. «Reiss dich zusammen, Yuma Suzuki!» Sie betonte seinen Decknamen mit Absicht scharf.

Er lachte nur. «Hey, ich will meinen Spass haben.»

Karin schüttelte den Kopf. «Heute geht’s auf Streife, wie du gehört hast. Also konzentrier dich!»

An diesem Nachmittag spazierten sie zu Dritt mit Pixie durch Konoha Downtown. Natürlich ging es nicht nur darum, sich die Beine zu vertreten, sondern zu kundschaften. Karin und Suigetsu versuchten, Pixie möglichst von Stützpunkten der Polizei wegzuführen, jedoch wussten sie, dass diese Methode nur bedingt Wirkung zeigen würde. Schliesslich waren sie nicht die Einzigen, die kundschafteten. Heute auf der Toilette hatte sie Sasuke eine ellenlange SMS mit den Informationen geschickt, die sie heute erhalten hatte und die Ortsangabe ihres Quartieres. Sie betonte dabei, dass mehr ausgekundschaftet wurde. Das hiess zum einen, dass die Polizei aufpassen musste, um ihre Standorte nicht zu verraten, andererseits konnten sie gezielt Leute auf den Strassen kontrollieren und festnehmen. Und das taten sie auch. Als sie am Abend zurückkehrten, herrschte im Quartier angespannte Stimmung.

Runch war noch grimmiger drauf als sonst. Einige der Riots sagten ihnen, dass die Polizei heute auf der Strasse Kontrollen gemacht hatten und dabei mehrere Leute aus ihren Reihen festgenommen. Karin und Suigetsu fiel es schwer, in Anbetracht dieser Neuigkeiten ein bestürztes Gesicht aufzusetzen.

Ein wenig leid tat es ihr für Pixie, die ziemlich traurig wirkte. Sie war es, die auf Runch zuging und ihn etwas fragte. Karin war zu weit weg, um verstehen zu können, was genau sie sagte. Was sie jedoch sehen konnte war, wie Runch sie grob zu Seite stiess, sodass Pixie ins Taumeln geriet und hinfiel. Das machte sie sauer, jedoch hielt sie sich zurück. Nicht so Suigetsu. Von wegen nicht auffallen. Es dauerte keine fünf Sekunden, bis er bei Pixie war und ihr beim Aufstehen behilflich war. Glücklicherweise zettelte er keinen Streit mit Runch an, aber somit war er natürlich gleich der Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Niemand traute sich, ihr zu helfen. Der Respekt vor dem bulligen Runch war zu gross.

«Alles klar bei dir?», fragte Suigetsu.

Pixie wirkte etwas durcheinander. «Ja, danke… seid nicht böse auf ihn, er spürt sich manchmal nicht so richtig, wenn er wütend ist.»

Karin seufzte. Was auch immer das bedeuten sollte.
 

Sarutobi wich das Lächeln an diesem Abend nicht mehr aus dem Gesicht. War auch kein Wunder, denn insgesamt hatten sie über zwanzig Riots auf der Strasse dingfest machen können. Und das war ein Fortschritt.

«Wie gerne würde ich jetzt Crows Gesicht sehen», meinte Hidan, als sie gerade in einer kleinen Gruppe in der Cafeteria sassen. «Der raucht doch bestimmt zu den Ohren raus!»

Sasuke winkte ab. «Ich glaube nicht, dass das Crow allzu wehtut. Er muss sich im Moment noch keine Sorgen um den Mangel an Leuten machen, so viel wie die erst gerade rekrutiert haben. Von heute an wird er vorsichtiger sein. Und wie ihr wisst: Seinen Plan hat er seinem Fussvolk nicht verraten. Das wissen nur diejenigen, die ihm am nächsten sind.»

«Meinst du, der wird tatsächlich mit einem richtigen Masterplan aufkreuzen? Wenn du mich fragst haben wir so oder so die Überhand. Was soll der schon gross anstellen können?», meinte nun Deidara.

Sasuke schüttelte den Kopf. «Macht nicht den Fehler, die Riots zu unterschätzen. Ihr wisst, er arbeitet zum Beispiel gerne mit Geiseln und das macht ihn schon mächtig. Zudem waren Big Fox und Genius heute in Oros Gruft – der Typ ist mit Sack und Pack verschwunden. Hat wohl gerochen, dass es brenzlig wird für ihn, jetzt wo wir mit den Cops gemeinsame Sache machen.» Er blickte ernst in die Runde. «Gerüchten zu Folge hat er die Stadt verlassen.»

Sakuras Gedanken gingen zurück zu Drop Down. An diesem Abend wären ihre Leute – allen voran Sasuke – beinahe dem Sprengstoff zu Opfer gefallen, den Oro für die Riots aufgetrieben hatte. Vor ihrem geistigen Auge sah sie Sasukes schreckliche Verbrennungen auf dem Rücken. Er musste solche Schmerzen gehabt haben. Da waren ihre kleinen Brandmale eine Kleinigkeit gewesen.

«Scheiss-Oro. Da waren wir jahrelang seine besten Kunden und jetzt bringt der so etwas.» Deidara legte den Arm um Hotaru, welche ihn aber gleich wieder wegstiess. Sakura hätte beinahe ein wenig lachen müssen, als sie Deidaras verwirrten Blick sah. Aber ihr Mitleid hielt sich in Grenzen.

«Was hast du mit Sarutobi besprochen?», fragte Kiba nun. «Ich meine, sollen wir einfach abwarten?»

«Das ist jetzt die grosse Frage. Karin und Suigetsu befinden sich in einem ziemlich grossen Quartier. Es jetzt zu überfallen würde den Riots ziemlich wehtun. Allerdings wäre es dann aus mit spionieren. Und wenn es nicht reicht haben wir Pech gehabt. Deshalb werden wir abwarten und so gut wie möglich die Umgebung im Auge halten. Das bedeutet für euch, alles zu tun, damit unsere Stützpunkte so lang wie möglich von den Riots unbemerkt bleiben. Klar?»

Zustimmendes Nicken.

«Es könnte auch sein, dass er früher angreifen wird, als er es selber geplant hat. Macht euch auf was gefasst.»

Gegen halb zehn verabschiedete sich Sakura von den anderen. Sie hatte beschlossen, heute wieder einmal nach Hause zu gehen. Tsunade hatte sie nun schon eine ganze Weile nicht mehr gesehen. Sasuke hatte angeboten, sie nach Hause zu bringen und Sarutobi hatte nichts dagegen gehabt. Käme Sasuke auf die Idee, abzuhauen, würde er sich ins eigene Fleisch schneiden.

Der Audi der Takas stand unten im Hof der Universität. Bei seinem Anblick stieg in Sakura ein Gefühl von Nostalgie auf. Gerne wäre sie mit Sasuke Motorrad gefahren, so wie früher, aber dieser Gefahr setzten sie sich nicht aus. Sasuke schien sichtlich Freude daran zu haben, wieder einmal Autofahren zu können. Sie fuhren schweigend durch die klare Spätsommernacht. Sakura öffnete das Fenster einen Spalt breit und sog die kühle Nachtluft ein. Es hätte ein wunderbarer Moment sein können, wenn nicht ständig dieses Gefühl von Bedrohung präsent wäre. Nach etwa zehn Minuten ging Sakuras Handy. Tatsächlich war die Anruferin Ami, die sich erst einmal für den Anruf zu später Stunde entschuldigte. Ami hatte Sakura ganz vergessen und brachte sie deshalb auf den neuesten Stand. Tatsächlich berichtete Ami, dass die Zeitungen inzwischen über die Kooperation berichteten, nun da die Riots ja Bescheid wussten. Der Deal mit den Medien war allerdings, dass sie keine Details schreiben durften.

«Da gab es so ein Foto von euch!»

Sakura stellte auf Lautsprecher. «Was für ein Foto?»

«Na, eines von euch. Ich war ganz gerührt. Sasuke, du siehst ja wie ein richtiger Polizist aus.»

Sasuke lächelte verlegen. «Ist das ein Kompliment, Ami?»

«Natürlich ist es das! Von Sakura sieht man leider kein Gesicht. Ich schicke euch das Bild nachher, okay?»

«Ja gerne.»

Sie redeten noch ein wenig mit Ami und Sakura war überrascht, wie viel Sasuke zu dem Gespräch beitrug. Zum Abschluss übermittelte Ami ihnen noch einen Gruss von Sasukes ehemaligen Schulfreunden. Tatsächlich wurde das Geschehen hier in Konoha von halb Oto gakure verfolgt, nachdem sich die Neuigkeiten des zurückgekehrten Uchiha-Kindes herumgesprochen hatte.Sie legte erst auf, als sie in die allzu vertraute Strasse einbogen, an der ihr Block stand. Gleich darauf erhielt sie eine MMS von Ami. Das Bild beinhaltete genau das, was sie vermutet hatte. Es war eines von denen die Haruka gemacht hatte. Nicht auf dem Titelblatt, jedoch als Illustration in einem Bericht. Es waren Sasuke und sie, in enger Umarmung, im Hintergrund Polizeiwagen. Das Universitätsgebäude war nicht zu sehen. Haruka hatte die Bilder mit Absicht so geschossen, dass es keine Rückschlüsse auf Ortschaften zuliess.

Als Sasuke den Motor ausschaltete, hielt sie ihm ihr Handy hin. Er musterte das Bild und schüttelte den Kopf. «Von all den Bildern, die sie hätte nehmen können.»

«Ich bin auch nicht gerade begeistert. Aber Haruka wird schon ihre Gründe dafür gehabt haben. Und unsere Gesichter sieht man ja nicht.»

Sie schwiegen, doch Sakura sah im Augenwinkel, dass er sie musterte.

«Was ist?», fragte sie.

«Nichts. Ich würde dich nur am liebsten wieder mitnehmen.»

«Ich bin ja nicht lange weg.»

«Aber es ist gefährlich. Klar, solange du zu Hause bist, passiert dir nichts. Aber bleib bitte zu Hause. Geh nicht einkaufen oder was weiss ich. Die Riots wissen, wer du bist.» Sein besorgter Unterton bescherte ihr eine Gänsehaut.

«Möchtest du nicht… mit nach oben…», begann sie, doch er unterbrach. «Nein. Ich muss zurück Sakura und deine Tante würde vermutlich nicht gerade vor Freude in die Luft springen. Okay?»

«Okay», meinte sie etwas enttäuscht. Das überhörte er natürlich nicht. Ehe sie es sich versah, hatte er sich zu ihr hinübergebeugt und geküsst. Seine Lippen waren warm und sie spürte seine Hand an ihrem Hals.

«Ich liebe dich», flüsterte er.

«Ich liebe dich auch.» Sie öffnete die Tür. «Bis morgen.»

Sasuke fuhr nicht los, bis sie in der Eingangstür verschwunden war. Oben angekommen wurde sie von Tsunade mit einer herzhaften Umarmung begrüsst.

«Ich bin so froh, dass es dir gut geht, Mäuschen. Komm, ich habe Teewasser aufgesetzt.»

Es fühlte sich wunderbar an, mit ihrer Tante in ihrem kuscheligen Wohnzimmer auf der Couch zu sitzen. Sie brachte Tsunade erst einmal auf den neuesten Stand, danach plauderten sie über alles Mögliche. Sakura bemerkte die Zeitung auf dem Wohnzimmertisch und fragte sich, ob Tsunade das Bild gesehen hat. Ziemlich sicher hatte sie das. Aber da Tsunade sie nicht darauf ansprach, fragte sie auch nicht nach. Natürlich liess sie auch das hitzige Telefongespräch mit ihrer Mutter nicht aus.

Bevor Sakura an diesem Abend ins Bett ging, prüfte sie noch einmal, ob sie die Tür wirklich abgeschlossen hatten.
 

Sakura hielt sich an Sasukes Ermahnung und verliess die Wohnung am nächsten Tag nicht. Stattdessen putzte sie die Fenster, welche es bitter nötig hatten. Danach suchte sie in der Zeitung und im Internet nach Jobanzeigen, irgendetwas einfaches für Leute, die neben dem Studium jobbten oder so, jedoch schien in Konoha momentan die totale Flaute zu herrschen. Sollte sie eigentlich nicht verwundern, in Zeiten wie diesen gingen die Leute nicht mehr aus dem Haus. Und Tourismus konnte man sowieso vergessen. Nicht, dass sie jetzt mit Arbeiten hätte anfangen können, schliesslich befanden sie sich mitten im Krieg. Aber sie hatte Tsunade gegenüber ein schlechtes Gewissen. Sie wollte ihr nicht mehr dauernd auf der Tasche sitzen.

Seufzend schaltete sie den Laptop wieder aus. In was für einer komischen Zeit sie sich befand. Gerade mal neunzehn Jahre alt und mitten in einem Gangkrieg. Manchmal fragte sie sich, wie es die Söhne und Töchter wohlhabender Leute haben mussten. Ein sorgenfreies Leben, oder?

Doch da kam ihr Tomcat in den Sinn. Reicher als der konnte man vermutlich nicht mehr werden. Ihre Gedanken gingen zurück zu dem Abend, als Tomcat vor dem Fenster des Toad’s aufgetaucht war. Was hatte er gesagt? Man könne auf verschiedene Arten ein beschissenes Leben haben. Sie musste zugeben, der junge Mann interessierte sie. Sein Hintergrund war ihr ein Rätsel und genau deshalb hätte sie gerne mehr über ihn gewusst. Alles, was sie über ihn wusste, sprach nicht für einen Gangjungen. Falsche Freunde vielleicht?

Bevor sie noch weiter darüber nachdenken konnte, vibrierte ihr Handy. Sasuke fragte, wann er sie abholen kommen sollte. Sie vereinbarten halb Acht Uhr abends. Bis dahin zog sich Sakura in ihr Zimmer zurück. Es war schon eine Weile her, dass sie hier gewesen war und ehrlich gesagt hatte sie es ziemlich vermisst. Ehe sie es sich versah, war sie eingeschlafen.

Sie erwachte erst, als ihr Handy neben ihr läutete, jedoch war es nicht Sasuke, der anrief.

«Cherry!», brüllte Ino ihr ins Ohr.

«Ino, was ist?»

«Komm sofort zur Uni!»

«Warum?»

«Die haben schon losgelegt! Wie Sasuke es vermutet hat!»

Sakura verstand immer noch nicht ganz. «Losgelegt?»

«Der erste Kampf hat begonnen, Saku! Leider kann dich niemand abholen kommen, mit der U-Bahn solltest du sicher sein. Das Battle findet im East statt, also solltest du das gut schaffen! Aber halt dich bedeckt, ja?»

«Ich komme sofort.»

In ihren Schläfen pochte es. Jetzt schon?!

So schnell sie konnte zog sie sich an, hinterlegte einen Zettel für Tsunade und verliess die Wohnung. Sie trug die Kapuze ihres Pullovers oben, die Haare hatte sie zusammengebunden. Sie musste sich Mühe geben, nicht bis zur U-Bahn-Station zu rennen. Jedoch wusste sie, wie wichtig es war, unauffällig zu bleiben. Und deshalb lief sie gemächlich bis zur U-Bahn-Station und wartete auf den nächsten Zug. Sie sah sich bestimmt noch fünfmal vorsichtig um, bevor sie in die Bahn einsteigen konnte. Schon auf dem Bahnsteig waren kaum Leute und im Zug sah es nicht viel anders aus. Bis zur Uni musste sie einmal umsteigen und als sie die U-Bahn-Station verliess, prüfte sie vorsichtig, ob ihr niemand gefolgt war.

Sie musste schwer schlucken, als sie den Hof der Uni halb leer vorfand. Die meisten Polizeiwagen sowie einer der Krankenwagen waren ausgerückt. Hier, im blickgeschützten Hof hinter den roten Backsteinmauern der Uni, konnte sie laufen. Schon auf der Aufgangstreppe kam ihr Ino in voller Sanitätsmontur entgegen.

«Saku!» Ihre Freundin fiel ihr um den Hals. «Demon und die anderen sind schon weg und meine und deine Einheit sind auf Standby. Aber so, wie ich bis jetzt gehört habe, ist da etwas Grobes im Gange.»

Sakura nickte. «Lass uns reingehen, ich muss mich noch umziehen.»

Im Inneren des Gebäudes herrschte gespenstische Stille. Nur aus der Kommandozentrale in einem der Hörsäle vernahm sie Stimmen.

«Die Übriggebliebenen sind in der Cafeteria», informierte sie Ino noch, als Sakura schon die Treppe hochhastete. Ihren Hörsaal fand sie natürlich leer vor. Sasukes Sachen lagen wild verstreut in der Gegend herum – kaum war sie mal für einen Moment nicht da. Ihre Kleider lagen jedoch sauber gefaltet auf einem der Pulte, so wie sie sie zurückgelassen hatte. Mit dem Fuss stiess sie unter dem Schlafsack gegen etwas Hartes. Unter dem Schlafsack rollte eine Bierflasche hervor. Sie stutzte. Trank Sasuke hier? Sie fischte die Flasche vom Boden auf und stellte sie neben den Papierkorb in Zimmer, damit der Hauswart sie mitnehmen konnte. Eigentlich hätte sie sich jetzt darüber Gedanken machen sollen, wie die Flasche hierherkam, jedoch musste sie das vertagen. Sie würde Sasuke damit konfrontieren, wenn sie die passende Gelegenheit dazu bekam. Natürlich hatte sie nicht vergessen, was sie über seinen zeitweise exzessiven Alkoholkonsum gehört hatte.

Da Ino noch nicht nach ihr rief, beschloss sie, noch schnell ein wenig aufzuräumen. Sie hob seinen Schlafsack und schüttelte ihn aus. Dabei fiel ihr ein zerfleddertes Stück Papier vor die Füsse. Sakura faltete es auseinander. Es war ein handschriftlich verfasster Brief und total abgegriffen. Als ob er ihn schon hunderte von Malen in den Händen gehalten hätte. Eigentlich wollte sie ihn nicht lesen. Doch dann sah sie die Unterschrift: Itachi. Und da konnte sie nicht mehr anders. Sie würde es Sasuke erklären müssen. Der sorgfältig niedergeschriebene Inhalt zerriss ihr das Herz. Das waren die letzten Worte, die Sasuke von seinem Bruder erhalten hatte. Ihr stiegen die Tränen in die Augen. Sie konnte diese unglaublich tiefe Verbundenheit der beiden Brüder richtiggehend aus dem Text herausspüren. Und der letzte Satz erklärte einiges.
 

«P.S: Finger weg vom Alk, du hast es einfach nicht im Griff mit dem Zeug.»
 

Er musste diesen Brief gelesen haben und da war er schwach geworden. Ach, Sasuke.

«Saku! Wo bleibst du denn?! Wir haben den Befehl zum Ausrücken bekommen!»

Hastig faltete sie das Papier wieder und legte es auf Sasukes Schlafsack. Dann lief sie los.
 

Karin griff hastig nach ihrem Handy und brauchte drei Anläufe, um ihren Pin-Code richtig einzugeben. Ihre Hand zitterte regelrecht. Die Nummer der Zentrale hatte sie in der Kurzwahl gespeichert. Vor kurzem hatten sie das Update zu Crows Plan erhalten. Sie hatte sich so schnell wie möglich davonstehlen müssen. Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit, bis jemand ranging.

«Sniper?»

«Ordnet sofort den Rückzug aller Truppen an! Sie sollen sofort von diesem Ort weg, aus den Gebäuden raus, Deckung suchen! Gleich fliegt dort alles in die Luft!»
 

Sasuke traf den Riot mit einem rechten Haken direkt ins Gesicht, worauf er zurücktaumelte. Sarutobi hatte sie dazu angewiesen, keine tödlichen Verletzungen zu landen, wenn es möglich war. Das war nicht allzu einfach bei einem Gegenüber, der einen um jeden Preis töten wollte. Er sah die Aufregung in ihren Augen. Natürlich würde es ihnen viel bringen, wenn sie den Leader der Takas umlegten. In dieser schrägen Riot-Hierarchie würde sie das vermutlich nahe an die Spitze katapultieren. Aber so einfach konnte man ihn nicht ausschalten. Er war noch längst nicht eingerostet, ganz im Gegenteil. In ihm spürte er eine Energie aufsteigen, die ihm nur allzu bekannt vorkam. Das Adrenalin in Gangkämpfen hatte etwas von einer Droge, die jedoch nicht zum Kontrollverlust, sondern zu mehr Kraft und Präzision führte.

Neben ihm schlugen sich Deidara und Hidan wacker. Die Schützen hatten sich hinter ihren Autos verschanzt und unterstützen sie. Der Nahkampf liess sich bei der Zahl an Riots nicht vermeiden. Es wäre einfacher gewesen, ein Massaker zu veranstalten und einfach zu schiessen. Aber das wollte weder Sarutobi, noch sonst jemand. Die Aggressivität ihrer Feinde war jedoch nicht zu unterschätzen.

In seinen Ohren dröhnten Kampfgeschrei, Schüsse und das Geräusch von Motoren. Um sie herum standen leere Fabrikgebäude, bei denen es wenigstens nicht allzu schlimm war, wenn sie Schaden nahmen. Eigentlich war es ihr Auftrag, die Riot-Schützen innerhalb der Fabrikgebäude auszuschalten, doch die Zahl ihrer Feinde war nicht zu unterschätzen. Crow hatte sich eine Armee aufgebaut, anders konnte man das gar nicht ausdrücken. Und mit seinen hirnrissigen Plänen meinte er es todernst.

Sasuke trat die morsche Tür auf. Sie war von innen verbarrikadiert worden, weshalb sie sich gemeinsam dagegenstemmen mussten, damit sie durchkamen.

Karin hatte ihm vor gut zwei Stunden gesimst, was genau ihr Auftrag war. Leider hatten sich seine Vermutungen bestätigt – Crow gab seinen Leuten nie seinen ganzen Plan preis, sondern immer nur die Aufgaben der jeweiligen Truppen. Wie auch immer er ihnen das verkaufte, es schien zu funktionieren. Und was genau der Sinn der heutigen Aktion war, wusste Sasuke beim besten Willen nicht.

Hinter ihm waren Kiba und Deidara, gefolgt von Ukon, Sakon und Tayuya. Sie bewegten sich in kleinen Gruppen, um möglichst wenig Aufsehen zu erregen. Sie befanden sich in einem Gebäude links vom Kampfschauplatz. Hidan und einige andere hatten das rechte übernommen.

Es war eine alte Einstellhalle, ein hoher Raum mit allerlei Gerümpel. Die einzige Schutzmöglichkeit boten die Säulen, welche die Decke trugen. Die Geräusche von draussen waren hier nur noch gedämpft wahrzunehmen. Ansonsten war es gespenstisch ruhig im Raum.

Sasuke drehte sich zu seinen Leuten um und wies mit dem Finger nach oben. Die andere verstanden. Vorsichtig schlichen sie sich durch die Halle. Sie blieben natürlich nicht lange unentdeckt. Sasuke nahm die Riots bereits wahr, als diese sie erst entdeckten. Sie zückten ihre Messer und der Kampf ging los. Es waren nur vier, allesamt nicht gerade allzu stark im Nahkampf. Sie schafften es, sie ohne Verletzungen zu überwältigen, fesselten sie mit herumliegenden Gegenständen wie Seilen und Kabelbinder aneinander. Ukon blieb hier, um ein Auge auf den Eingang und ihre Gefangenen zu haben.

«Verräter! Verbündet euch mit den Cops!» Einer der Riots spuckte Kiba vor die Füsse. Ukon, trat ihm gegen den Schädel, sodass er das Bewusstsein verlor.

Sasuke bedachte seinen Outer mit einem tadelnden Blick.

«Was? Er lebt ja noch. Müssen wir uns doch nicht von denen gefallen lassen!», war seine trotzige Antwort. Und eigentlich hatte er ja recht.

Kiba, Deidara und er schlichen weiter. Eine Treppe aus abgewetztem Beton führte in die oberen Stockwerke. Leider brachte Lauschen nicht wirklich viel, bis auf das Geräusch von Gewehrschüssen und Schritten in der oberen Etage. Rückschlüsse auf ihre Zahl so nicht möglich. Ihnen blieb nur eine Option: Da hochgehen und diesen verfluchten Riots davon abhalten, auf ihre Verbündeten zu schiessen.

Sasuke suchte den Blickkontakt mit seinen Leuten und gab ihnen ein unmissverständliches Handzeichen. Drei, zwei, eins.

Die Treppe gingen sie so leise wie möglich hoch, oben angekommen blieb ihnen nichts anders übrig, als auf Tempo zu setzen. Es waren zehn Schützen da und sie waren nur zu sechst. Doch Sasuke hatte das im Voraus mit seinen Leuten besprochen – nun setzten sie für einmal auf die Geiseltaktik. Jene Riots, die ihnen am nächsten waren, wurden innerhalb Sekunden entwaffnet und hatten ein Messer an der Kehle.

«Waffen runter!», befahl er ruhig. Die anderen Vier hatten ausgehört zu schiessen und konnten nichts anderes tun, als auf diesen Befehl hin ihre Waffen niederzulegen. Es war ein Einfaches, sie zu fesseln.

Sasuke stutzte. Das war zu einfach gewesen. Viel zu einfach.

«Was hat Crow für einen Plan?», fragte er seine Geisel, der er immer noch die Kante seines Messers an den Hals drückte.

«Wir wissen es nicht!», stiess der Riot hervor. «Wir haben nur den Auftrag bekommen, zu schiessen.»

Er hatte es vermutet. Jedoch war es ein Versucht wert gewesen. «Crow führt sogar seine eigenen Leute an der Nase herum. Nichts als armselige Handlanger seid ihr.»

Plötzlich meldete sich die Kommandozentrale in seinem Ohr. Er hatte ganz vergessen, dass nun Technologien wie diese Ohr-Walkie-Talkies zur Verfügung hatten.

«Alle Truppen: Sofortiger Rückzug! Aus den Gebäuden raus und in Deckung! Ich wiederhole: Alle Truppen, sofortiger Rückzug! Aus den Gebäuden raus und in Deckung!»

In Sasuke stieg ein ungutes Gefühl auf. Viel zu einfach war es gewesen. Sein Gefühl hatte recht behalten. Er brauchte keine weitere Erklärung – Karin und Suigetsu mussten mehr Details erfahren haben.

«Raus hier! Alle raus!», brüllte er noch, bevor der erste Sprengsatz gezündet wurde.
 

Eine halbe Stunde zuvor. Sakura hatte Sanae dazu angewiesen, sich in einer Seitengasse etwas abseits zu positionieren. Ihren Standort gaben sie per Funk an die Zentrale weiter. Sakura hatte davon abgeraten, zu nahe an das Kampfgeschehen heranzugehen, stattdessen die Verletzten aufzusuchen oder sie von anderen bringen zu lassen. Bisher funktionierte das gut.

Gerade verband sie Soras Arm. Ihn hatte sie schon lange nicht mehr gesehen, was auch für viele andere Outers galt. Er hatte einen Streifschuss abbekommen und die Wunde hatte ziemlich heftig geblutet.

«Du scheinst ziemlich versiert mit solchen Verletzungen zu sein, Sakura», meinte Aoi anerkennend, die selber eine Outer-Kurama verarztete. «Wo hast du das gelernt?»

Sakura schmunzelte. «Learning by doing, vermutlich. Meine Tante ist Krankenschwester und unsere Gangärztin hat mir auch viel beigebracht.»

«Gangärztin?» Kenta musste trotz ihrer angespannten Situation lachen. «Ihr hab eine Gangärztin?»

Sakura grinste zurück. «Sogar mehrere. Wir sind gut vernetzt.»

«Ich hätte nie gedacht, dass ihr so ein ausgeklügeltes System hat. Jeder scheint genau zu wissen, welche Funktion er hat und was zu tun ist. Es sind so komplexe Abläufe, die ganz selbstverständlich von Statten gehen – Wahnsinn», meinte er beeindruckt. «Ich bin froh, habe ich mich für diese Aufgabe hier gemeldet. Muss ich ehrlich sagen. Ich sehe euch Gangs längst nicht mehr im gleichen Licht, wie noch vor ein paar Monaten.»

«Das ist wirklich schön zu hören.»

Sakura tat sie Ablenkung durch die Gespräche gut. Ihre Gedanken fanden immer wieder ihren Weg auf das Schlachtfeld auf dem Platz zwischen den verwahrlosten Gebäuden. Das Kurama-HQ war nur fünf Minuten von hier entfernt. Naruto, Shika, Temari und all die anderen hatte sie schon seit einer gefühlten Ewigkeit nicht mehr gesehen. Hoffentlich ging es ihnen allen gut.

Fleissig verarzteten sie weiter, bis es auf einmal lauter als gewöhnlich an die Tür des Krankenwagens klopfte. Sakura spähte hinaus und erkannte Gaara. Schnell riss sie die Tür auf.

«Gaara!»

«Hey, Cherry! Ich brauche deine Hilfe! Habe da vorne jemand, der unmöglich laufen kann. Links und rechts angeschossen. Wir können sie nicht tragen, sie ist echt schlimm dran.» Er keuchte. Er hatte eine kleine Platzwunde am Kopf, die über seine Wange geblutet hatte, seine Kleider waren schmutzig vom Strassenstaub und Blut.

Sakura wechselte einen Blick mit Kenta. Eigentlich war es ihr Auftrag, sich nicht zu weit vom Krankenwagen wegzubewegen. Jedoch brauchte da draussen jemand ihre Hilfe.

«Wie weit entfernt?», fragte Kenta.

«Zwei Gehminuten von hier!»

Kenta schnappte sich die Krankenbahre und sprang aus dem Wagen. «Los geht es, Sakura. Ich folge dir.»

«Sind noch mehr Leute da, Gaara?», fragte Sakura. Sie wollte niemanden unnötig der Todesgefahr aussetzen. Kenta war in diesen ganzen Gangkrieg nicht involviert, sie wollte nicht, dass er Schaden nahm.

«Um die Ecke sind Lee und noch ein Outer.»

«Dann gebt uns Deckung», wies sie an und half Kenta, die Bahre zu schieben. Da sie rannten, schafften sie es unter zwei Minuten um die Häuserecken, wo die Verwundete lag, versteckt hinter zwei Mülltonnen. Sie sah übel aus – es war Matsuri, ein junges Outer-Mädchen. Kenta und Sakura nahmen sich sofort den Wunden an, die am übelsten bluten. Sie hatte insgesamt drei Kugeln erwischt, wenigstens waren keine lebensgefährlichen Stellen betroffen. Sie weinte und unterdrückte einen Schrei, als sie gemeinsam und möglichst vorsichtig auf die Trage legten.

«Alles wird gut, Matsuri.» Sakura streichelte sanft ihr weiches, braunes Haar. Sie war achtzehn Jahre alt und Sakura kannte sie nur als kleinen Sonnenschein. «Wir bringen dich ins Krankenhaus.»

«Der Riot war echt verrückt. Er hat sie absichtlich dreimal angeschossen und nicht nach dem ersten aufgehört. Ich habe…», Gaaras Blick wanderte zu Kenta, der mit Matsuri beschäftigt war. «Ich habe ihn ausgeschaltet.»

Sakura wusste was das bedeutete. Sie wusste nicht, ob Gaara in absichtlich umgebracht hatte oder nicht. Für sie spielte das im Moment auch keine Rolle.

Auf dem Weg zum Krankenwagen gab es keine Zwischenfälle. Doch als sie Matsuri sicher in den Wagen gehoben hatten, hörte sie es.

Es war ein ohrenbetäubendes Knallen – es kam ihr nur allzu vertraut vor. Bilder von Drop Down schossen ihr durch den Kopf. Da waren Sprengsätze gezündet worden. Und nicht von der Polizei.

Die anderen waren gleichermassen geschockt. Noch ein Knall. Über den Dächern stieg Rauch auf.
 

Zwei Minuten zuvor. Crow stand auf dem Dach des Hochhauses und beobachtete das Geschehen aus angenehmer Entfernung. In seinem Blick lag eine Zufriedenheit, die nicht wirklich in die Situation hineinpasste. Seine Leute waren zurückgedrängt worden, so wie er es erwartet hatte. Vor einer halben Minute hatte er seinen Leuten den Befehl zum Rückzug gegeben und er war amüsiert, wie einfach sein Plan aufging. Den Sprengstoff hatten sie nicht mit einkalkuliert. Nun gut, wie hätten sie das auch ahnen können? Oro konnte solches Zeug im Normalfall gar nicht beschaffen, schon gar nicht, wenn er irgendwo im nirgendwo auf der Flucht war. Und wenn er doch davon hatte, war es verflucht teuer. Aber an Geld fehlte es gewissen Gangmitgliedern nicht. Und Oro war mehr als nur erfreut gewesen, wieder mit ihnen Geschäfte zu machen, auch wenn sie über eine weitere Distanz stattfinden mussten.

In der Hand hielt er das kleine, machtvolle Gerät. Gleich würde der Druck auf dieses winzige Knöpfchen eine riesige Explosion auslösen. Nachdem man ihm viele seiner Mitglieder genommen hatte, musste er wieder zu bewährteren Methoden greifen. Tricksen, täuschen und Sachen in die Luft jagen. Es war vielleicht nicht besonders stilvoll, aber effektiv. Sollte nur die ganze Stadt wissen, dass er keine Scherze machte.

Das Fake-Manöver hatte ihm einige Verluste eingebracht. Und die Explosionen – nun er musste sie früher einleiten, als er gedacht hatte. Blieb zu hoffen, dass es alle Riots rechtzeitig rauschafften. Aber wenn er noch länger wartete, entkamen zu viele seiner Gegner und die Aktion wäre für die Katz gewesen. Es war ein Krieg und er musste das Ziel vor Augen haben. Jenes Ziel, auf das jeder einzelne Riot hinarbeitete und bereit war, alles zu geben.

Er wollte eine bessere Zukunft für die Menschen, die als Abschaum galten. Sie waren keine Spielzeuge, die man einfach auf den Strassen verrecken lassen konnte, während man selbst ein privilegiertes Leben führte. Zu lange waren die Stimmen der vermeintlich Schwächeren unterdrückt worden. Nur war nicht bedacht worden, dass sie überhaupt nicht schwächer waren. Sie hatten durchaus Mittel und Wege, jedoch waren sie radikal. Und jetzt, nachdem nie etwas für die Randständigen getan worden war, kamen sie zum Einsatz. Er wusste, dass es ein moralisch fragwürdiger Weg war. Er wusste, dass auf diese Weise Blut vergossen werden musste. Aber er wusste auch, dass es der einzige Weg war.

Das war der Moment, in dem dunkle Erinnerungen in Ayato Kirishimas Bewusstsein drangen. Er spürte den Knopf unter seinem Daumen, als Gesichter an ihm vorbeizogen, die er so verabscheute. Die Gesichter all seiner Peiniger vor seinem geistigen Auge machten es ihm leicht, den Knopf zu drücken.

Er setze sich seine Sonnenbrille auf die Nase und ging in Richtung Treppenhaus, als die erste Detonation erfolgte.

Tomcat

Die erste Explosion war noch weit genug von ihnen entfernt. Wenn sie jetzt rannten, konnten sie es raus schaffen, auch wenn die Chancen nicht gerade gross waren.

Seine Leute waren geistesgegenwärtig losgelaufen, die Riots folgten ihnen. In ihren Gesichtern sah er blanke Panik und Entsetzen. Sie hatten nicht damit gerechnet, von ihrem Leader im Stich gelassen zu werden.

Sasuke war der Letzte, der loslief. Doch gerade als er die Treppe hinuntersprang, bemerkte er etwas in seinem Augenwinkel. Oben an der Treppe stand ein Riot-Mädchen, sicher nicht älter als sechzehn Jahre. Sie stand da, erstarrt, mit aufgerissenen Augen. Ihre Hände zitterten, vollkommen im Schock.

«Verdammte Scheisse!», fluchte er, sprang die Stufen hoch und packte das Mädchen am Handgelenk. Er rannte los und zog sie dabei einfach mit. Die Kleine schien aus ihrer Schockstarre erwacht zu sein und wurde schneller.

Unten angekommen waren seine Leute dabei, die Fesseln der Riots aufzuschneiden. Mit scharfen Messern war das nur ein kurzer Handgriff, in ihrer Situation brachte jedoch jede verlorene Sekunde die Wahrscheinlichkeit näher, in die Luft gesprengt zu werden. Schnell rasten sie zum Ausgang. Es war der Moment, an dem in dieser Halle ein Satz gezündet wurde.

Sasuke spürte die Vibration des Bodes in seinen Füssen und die Hitze auf seiner Haut, ganz zu Schweigen von dem Knall, der sein Gehör betäubte. Er hörte nur noch einen hohen Pfeifton in seinen Ohren, als er zur Eingangstür hinaussprang, rannte und sich dann auf den Boden warf. Das Mädchen war immer noch neben ihm und er versuchte, sie mit seinem Körper vor der Explosion und den herumfliegenden Trümmerteilen zu schützen. Seinen Kopf schirmte er mit seinen Armen ab.

Hitze überkam sie wie eine Welle, in seinem Ohr das Pfeifen. Er spürte, wie ihn etwas am Rücken traf, dann am Bein. Es war wie im Film, er spürte nichts ausser der Hitze. Erst, als sie langsam abklang und er keine Trümmer mehr sah oder an seinem Körper spürte, rappelte er sich auf. Wie in Trance packte er das Mädchen an der Hand. Um ihn herum erhoben sich auch die anderen – aber nicht alle. Er war zu benommen, als dass er genaue Verletzungen hätte ausmachen können.

Langsam vernahm er wieder Geräusche, jedoch nur dumpf, wie durch einen Schleier. Sein Ohrfunkgerät war tatsächlich noch drin, als er mit der Hand nachprüfte, er hörte aber nichts. Vielleicht war es kaputt. Vielleicht hörte er einfach noch nicht gut genug. Möglicherweise kamen seine Funksprüche trotzdem an.

«Verletzte. Linkes Gebäude, Hintereingang. Wir haben es rausgeschafft.» Kaum hatte er das gesagt, überkam ihn ein regelrechter Hustenanfall. Rauch stieg von dem Gebäude her auf und hüllte die Umgebung in graue Schwaden, die im Hals kratzten. Geistesgegenwärtig schnappte er sich sein Messer und schnitt einen Fetzen von seinem schwarzen Shirt ab, welchen er sich um den Kopf band, sodass Mund und Nase verdeckt waren. Der Rauch brannte in den Augen und verschwommen konnte er die Schemen seiner Leute erkennen, die sich aufrappelten und sich umsahen.

«Raus aus dem Rauch und nehmt die Verletzten mit!», brüllte er. Selbst seine eigene Stimme nahm er nur dumpf wahr.

Er packte das Mädchen am Arm und zog es auf die Beine. Sie schien bis auf einige Kratzer unversehrt zu sein. Die Kleine liess sich mitziehen, immer noch geschockt von dem, was gerade passiert war. Sasuke war nicht das erste Mal so knapp dem Tod entkommen. Aber das war nichts, woran man sich gewöhnte. Ihm war völlig klar, sobald sich das Adrenalin verabschiedete, würde auch er einen Moment brauchen, um sich wieder zu fassen.

Sasuke drückte den Arm des Mädchens Kiba in die Hand und versicherte sich dann, dass niemand mehr zurückgeblieben war. Aber dann musste er weg. Auch wenn der Rauch dichter hätte sein können, er würde das nicht mehr lange aushalten. Seine Augen tränten und jeder Atemzug kratze unerbittlich im Hals, inzwischen tat es richtig weh.

Als sich der Rauch lichtete, erkannte er Blaulicht und einen Krankenwagen. Sie hatten Glück gehabt. Ob es für die anderen auch gereicht hatte, würde er bald erfahren.

Er hätte sich ohrfeigen können – sie hatten Crow direkt in die Hände gespielt.

Es waren sanfte Hände, die ihn in Empfang nahmen und vertraute grüne Augen, die in ihm ein Gefühl von Dankbarkeit auslösten. Ihre Stimme klang in seinen angeschlagenen Ohren nur dumpf, doch war sie voller Besorgnis.

«Mir geht es gut», sagte er, doch sein Körper musste etwas anderes aussagen, als er von mehreren Sanitätern umringt wurde. Kurz darauf wurde alles schwarz.

 

Er erwachte in einem grossen, weissen Raum. An der Decke über ihm hing eine Neonlampe. Vermutlich das Krankenhaus.

Er drehte den Kopf zur Seite, doch der stechende Schmerz, der sich über seinen ganzen verfluchten Schädel zog, liess ihn sofort innehalten. Solche Kopfschmerzen hatte er schon lange nicht mehr gehabt. Und sein Hals… bei jedem Atemzug spürte er, dass da irgendwas nicht in Ordnung war. Wenigstens schienen seine Ohren wieder zu funktionieren, denn er hörte Stimmen im Raum.

«Mr. Uchiha?» Neben ihm war eine Krankenschwester aufgetaucht. «Wie geht es Ihnen?»

«Blendend.»

Die Schwester musste lächeln. Sie hatte bereits graues Haar, aber ein warmes Lächeln.

«Haben sie Schmerzen?»

«Kopfschmerzen.»

«Ich werde Ihnen gleich ein Schmerzmittel intravenös verabreichen.» Er spürte ihre Hände an seinem Arm, dort, wo sie die Infusion ansteckte.

«Sie haben eine leichte Rauchgasintoxikation erlitten. Oder kurz, eine leichte Rauchvergiftung.»

«Was ist mit den anderen?!» Er fuhr hoch, als ihn die Erinnerung an die Explosion einholte und bereute es sogleich, als sein Kopf sich mit einem bösen Schmerz meldete. Ihm war schwindlig. Sein Magen rebellierte.

Die Krankenschwester war schnell und hielt ihm eine Schale hin, gerade noch, bevor er sich übergab. Mütterlich tätschelte sie ihm die Schulter. «Mir wurde mitgeteilt, dass es alle aus Ihrer Gruppe mit kleineren Verletzungen überstanden haben. Sie scheinen am längsten im Rauch gewesen zu sein, weshalb Sie als einziger eine Rauchvergiftung haben.»

Er fasste sich an den Kopf. «Danke für die Mitteilung.»

«Sehr gern geschehen.» Sie reichte ihm ein Glas, damit er seinen Mund ausspülen konnte.

«Sie müssen sich jetzt unbedingt wieder hinlegen. Es ist zwar nur eine leichte Vergiftung, erholen müssen sie sich aber trotzdem. Ihre Freunde werden sicher bald vorbeikommen und Sie auf den neusten Stand bringen.»

Sie verschwand kurz und kehrte wenige Minuten später mit einer weiteren Infusion zurück. «Gegen die Übelkeit», meinte sie auf seinen fragenden Blick hin.

Irgendwann schlief er wieder ein. In seinen Träumen war er in Otogakure unterwegs.

 

Sakura fühlte sich wie ein ausgedrehter Waschlappen. Stunden hatte sie damit zugebracht, Wunden zu verarzten, zwischen Krankenhaus und Little East hin- und herzufahren und Menschen zu beruhigen. Das Traurigste an der ganzen Sache war, dass von den Schwer- und Leichtverletzen ein knappes Viertel Riots waren, die ihr Boss nicht eingeweiht hatte. Das Mädchen, welches von Sasuke gerettet worden war, hatte lange geweint und sich bei ihr entschuldigt. Aber Sakura konnte ihr und den anderen nicht wirklich böse sein. Ihnen war in der Verzweiflung Hilfe versprochen worden und sie hatten an ihren Leader geglaubt. Aber von ihm aufgegeben zu werden, hatte für einen Sinneswandel gereicht.

Die anderen hatten ihr geschildert, wie das mit der Explosion von Statten gegangen war. Tatsächlich gab es in dieser Gruppe nur einige leichte Wunden, die binnen einigen Tagen geheilt sein würden. Nur Sasuke hatte es etwas schwerer erwischt, weil er sichergehen wollte, dass alle rausgekommen waren. Das Riot-Mädchen hatte ihr berichtet, wie Sasuke sie aus dem Gebäude rausgebracht und von dem Feuer und den Trümmern abgeschirmt hatte. Sakura fühlte sich beinahe stolz, das zu hören. Aber bei dem Gedanken, dass Sasuke nun mit einer Rauchvergiftung im Krankenhaus lag, verflüchtigte sich dieses Gefühl in Windeseile. Sie machte sich Sorgen. Gerne wäre sie bei ihm geblieben, aber im Einsatz mit den Rettungskräften war sie weitaus mehr von Nutzen gewesen.

Crow und seine Leute hatten ganz schöne Arbeit geleistet. Orochimaru musste ihnen Unmengen von Sprengstoff verkauft haben, ansonsten hätten sie nicht zwei Gebäude in dieser Grösse in die Luft jagen können. Die alte Fabrik der DD-Area war nicht halb so gross gewesen, wie diese beiden. Wie hätte man auch damit rechnen sollen? Ein Leader, der so viele Opfer auf seiner Seite in Kauf nahm, um seine Gegner zu schwächen, wäre absolut unvorstellbar. Dass Crow skrupellos war, wussten sie spätestens seit Drop Down. Aber damals hatte es sich um etwa vier Personen gehandelt, was schon vier Personen zu viel sind. Aber heute… es waren mindestens dreissig Riots in den Gebäuden stationiert gewesen. Mindestens.

Dieser Kampf war eine Niederlage gewesen. Insgesamt waren zwanzig Leute schwer verletzt. Es gab über fünfzig Leichtverletzte und… es gab zwölf Tote. Zwei Outer-Kurama, drei Outer-Takas und sieben Riots. Drei davon waren erst im Krankenhaus ihren Verletzungen erlegen. Bei dem Gedanken verkrampften sich ihre Muskeln. Dass es nicht mehr Tote waren, hatten sie allein Karin und Suigetsu zu verdanken, die erfahren hatten, was wirklich vorging und sich umgehend gemeldet hatten. Ansonsten wären heute all diese Verletzten auch gestorben.

Sakuras Herz fühlte sich schwer an. Sie hatte die Outer gekannt. Und die Riots? Nun, sie waren von ihrem eigenen Boss getötet worden. Es war unfassbar. Junge Menschen, die all ihre Hoffnungen in ihren Anführer gesteckt hatten, waren einfach so ausgelöscht worden. Von ihm.

Wie ein Roboter bewegte sich Sakura durch die weissen Flure des City Hospitals, auf ins Zimmer 247. Von den Kurama-Inners lagen Temari, Lee und Neji im Krankenhaus, welche sie bereits besucht hatte. Lee hatte sich ein Bein gebrochen und eine grobe Schnittwunde am Rücken, die beiden anderen konnten morgen entlassen werden, da ihre Verletzungen relativ harmlos waren. Typische Kampfverletzungen, die im Normalfall von Tsunade oder Shizune behandelt worden wären. Von den Takas wusste sie nur von Hidan und Juugo, die auch morgen heimgehen konnten. Ob es noch andere gab, würde sie vermutlich noch erfahren. Gerade vorhin hatten sie und Ino fast eine Stunde lang mit Sarutobi, Naruto, Yahiko, Deidara und Kiba über den Kampf gesprochen. Man versuchte, aus dieser miserablen Situation das Beste zu machen, indem man die Riots analysierte und ihre Verhaltensweisen und Schwachstellen durchging. Es stand jedenfalls fest, dass sie bald zurückschlagen mussten. Doch ihre Kampfkraft war geschwächt. Crow hatte sein Ziel wieder einmal erreicht, ohne sich die Hände schmutzig machen zu müssen.

Irgendwann hatte sie aber genug gehört. Tsunade war ins Krankenhaus gekommen um sich zu vergewissern, dass Sakura keinen Schaden genommen hatte und sich selber ein Bild von der Situation zu verschaffen. Nur wenige Minuten später war auch Jiraiya aufgetaucht.

Und jetzt wollte sie zu Sasuke. Zimmer 247 lag fast am Ende des Ganges. Trotz später Stunde herrschte ein emsiges Treiben. Sogar der Hörsaal war zu einem Patientenzimmer mit fast fünfzehn Betten umfunktioniert worden. Die Kapazität des Krankenhauses war absolut ausgenutzt, wenn nicht schon überstrapaziert. Die Gangs unterstützten das Pflegepersonal so gut sie konnten und versuchten, ihnen jede Arbeit abzunehmen, die sie ihnen abnehmen konnten. Die Gangleute wurden, sobald sie stabil waren, nach Hause oder zurück zu ihrem Standort geschickt, um sich zu erholen.

Sie fragte eine Schwester, ob sie das Zimmer 247 betreten darf.

«Natürlich. Einfach leise sein, es sind sechs Nasen drin. Zu wem wollen Sie?» Sie lächelte, doch die Müdigkeit war ihr ins Gesicht geschrieben. Sogar das Pflegepersonal der Stadt litt unter den Riots.

«Zu Sasuke Uchiha.»

«Er liegt in der Mitte rechts.»

«Danke.»

Die Schwester verschwand im Nebenzimmer und Sakura klopfte leise an die Tür. Als sie eintrat, schlug ihr der Geruch von Desinfektionsmittel, vermischt mit Männerdeodorant und Rauch entgegen. Die Vorhänge zwischen den Betten waren zugezogen und nur ganz hinten links brannte noch die Nachttischlampe. Gleich rechts von ihr schlief Juugo tief und fest. Er hatte einen Verband um den Kopf.

Sie schlüpfte hinter den Vorhang und sah sogleich Sasuke vor sich liegen. Er hatte offene Kratzwunden an den Armen. An der Schläfe trug er ein breites Pflaster. Sie erinnerte sich, er hatte irgendwo den Kopf aufgeschlagen und eine kleine Platzwunde davongetragen. Er selber schien es aber in diesem Moment gar nicht bemerkt zu haben.

Sie war ganz schön erschrocken, als er auf sie zu getaumelt war und dann das Bewusstsein verloren hatte. Sie hätte ihn nicht halten können, wären ihr nicht Kenta und Sanae zu Hilfe gekommen. Wie hatte sie Angst gehabt. Noch nie war er in ihrer Gegenwart wehrlos gewesen. Nicht einmal dann, als sie von der Polizei geschnappt wurden. Doch in diesem Moment war er einfach nur in ihren Armen gelegen. Russ und Blut im Gesicht. Er hatte einen Stofffetzen vor Mund und Nase gehabt, ansonsten hätte er wohl eine sehr viel schwerere Rauchvergiftung erlitten.

Langsam ging sie näher zu ihm hin. Ihn zu sehen spendete ihr Trost bei all der Trauer um die verlorenen Leben an diesem Tag. Es hatte etwas Friedliches, wie er dalag. Vorsichtig streckte sie die Hand aus und streichelte sein schönes, pechschwarzes Haar. Entweder hatte er sein Gesicht selber gereinigt oder die Schwester hatte es gemacht, jedenfalls war keine Spur von Russ oder Blut mehr auf seiner Haut zu entdecken. Jedenfalls konnte sie in dem schummrigen Licht nichts anderes erkennen.

Sie griff nach einem Stuhl, setzte sich neben ihn und nahm seine Hand in ihre. Sie fühlte sich kühl an, was für ihn eher ungewöhnlich war.

Sicher zehn Minuten sass sie da und liess ihren Gedanken freien Lauf. Schmerz und Trauer, Angst und Verzweiflung, sie wusste gar nicht, bei welcher Emotion sie anfangen sollte. Das hier war einer der schlimmsten Tage in ihrem Leben, da war sie sich sicher. Gleichauf mit dem Tag, an dem Kankuro gestorben war. Und dem Tag dieses scheusslichen Gewitters, als ihr Vater ihre Mutter geschlagen hatte – von da an war alles bergab gegangen.

Sie war so unendlich dankbar dafür, dass so viele ihrer Lieben überlebt hatten und gleichzeitig zerriss sie der Gedanke an die Opfer dieses Tages. Sie hatte so viele Menschen leiden gesehen und manche in ihren letzten Stunden. Sicher, sie hatten aufgrund der Zusammenarbeit mit der Polizei und den Sanitätern so viele Leben retten können, wie es in einem gewöhnlichen Gangkampf nie möglich gewesen wäre.

Aber Menschenleben waren Menschenleben. Ob es nur eines oder tausende waren.

Diese Ansicht schien Crow nicht zu teilen.

Sie erschrak, als sich Sasukes Hand plötzlich fester um ihre schloss. Er hatte die Augen geöffnet und musterte sie müde.

Sie lächelte schwach und er tat es ihr gleich. In diesem Moment brauchten sie keine Worte. Eine Weile verharrten sie so, bis Sasuke von einem Hustenanfall geschüttelt wurde. Er setzte sich auf und als er sich wieder erholt hatte, musste er erst einmal tief durchatmen.

«Wie geht es dir?», fragte Sakura leise.

«Gut.» Er war heiser. Kein Wunder.

«Du hast mir einen schönen Schrecken eingejagt», flüsterte sie und spürte schon wieder diesen Kloss im Hals.

«Tut mir leid», antwortete er und senkte seinen Blick.

Es war eine lähmende Angst gewesen, die sie heute verspürt hatte und ihr immer noch in den Knochen sass. Und trotzdem war ihr nichts anderes übriggeblieben, als weiterzumachen und zu retten, was noch zu retten war. Und tatsächlich hatten sie vielen Leuten helfen können. Aber für zwölf war jede Hilfe zu spät gekommen.

«Wir haben zwölf verloren», presste sie mit aller Kraft hervor und er nickte.

«Ich weiss.»

«Warum macht er das, Sasuke?» Sie schluckte. «Wie kommt er auf die Idee, dass das okay ist?» Ihre Hand schloss sich noch fester um seine.

«Irgendwas in seinem Leben muss furchtbar schiefgelaufen sein. Anders kann ich mir das nicht erklären. Ich glaube nicht, dass er der einzige hier in Konoha ist, der zu solchen Aktionen imstande ist. Aber er hat die nötige Intelligenz und verdammt viel Charisma. Das macht ihn anders. Gefährlicher.» Er hustete.

Sakura stand auf und setzte sich auf die Bettkante. Auf dem Beistelltisch stand eine Flasche Wasser und ein Glas. Schnell füllte sie das Glas und reichte es ihm.

«Sogar Wasser fühlt sich wie Schleifpapier an», meinte er nachdem er einige Schlucke genommen hatte. «Danke.»

Die letzte Nachttischlampe im Raum wurde gelöscht. Ihre Augen brauchten einen Moment, um sich an das Dunkel zu gewöhnen. Durch das Fenster fiel Mondlicht.

Inzwischen hielt sie ihn mit beiden Händen fest. Warum brauchte es einen Tag wie diesen, um ihr wirklich bewusst zu machen, wie fragil Menschenleben waren? Es würde noch mehr Opfer geben, das wusste sie. Wer würden diese Opfer sein? Wen wollte Crow noch auf dem Gewissen haben?

Vielleicht war es egoistisch. Aber in diesem Moment dachte sie daran, in welche Gefahr Sasuke war. Genau wie Naruto, würde er seinem potenziellen Mörder viel Ruhm innerhalb der Gang verschaffen. Von allen waren sie diejenigen, die Crow am liebsten tot sehen wollte. Sie liebte ihre Freunde und jedes einzelne Gangmitglied, jeder Polizist… nein, jeder Mensch war wertvoll. Aber in Sasuke hatte sie etwas gefunden, das sie nie wieder hergeben wollte. Sie liebte ihn von ganzem Herzen. Bei ihm fühlte sie sich so, wie bei niemandem sonst. Er war für sie zu Hause. Er war Geborgenheit und Wärme, auch wenn er in der Vergangenheit mehr als deutlich gezeigt hatte, dass er auch eine kalte und dunkle Seite besass. Aber sie liebte ihn mit all diesen Macken. Er würde heilen, wenn man ihm nur die Gelegenheit dazu gab. Und das galt auch für viele andere Gangmitglieder.

Tränen stiegen ihr in die Augen – sie war einfach eine Heulsuse. Ihr häufiges Augenwasser war ihr wirklich langsam peinlich. Dieses ständige Weinen. Aber sie hatte keine Kontrolle darüber.

Sasuke bemerkte es bereits, bevor die erste Träne gefallen war, auch wenn es dunkel war. Er zog sie an sich heran und drückte sie ganz fest an sich. Sie klammerte sich mit aller Kraft an ihn und vergrub ihr Gesicht an seiner Schulter. Sein Haar roch noch immer ein wenig nach Rauch. Er war da, er lebte. Wäre Karin nicht gewesen, hätte das ganz anders sein können. Sie war so dankbar dafür, dass es so viele geschafft hatten, auch wenn die Trauer um die Verstorbenen diese Tatsache überschattete.

Seine Umarmung war tröstlich. Doch Sakura wurde das ungute Gefühl nicht los, dass ihnen noch Schlimmeres bevorstand. Viele waren heute davongekommen.

Doch der Kampf war noch nicht zu Ende.

 

Karin und Suigetsu waren nur des Scheines Willen noch eine Nacht länger im Quartier der Riots verweilt. Heute verliessen sie es zum ersten Mal seit ihrer Ankunft. Der Schock sass den beiden noch tief in den Knochen und das Schlimmste daran war, dass sie sich nichts anmerken lassen durften. Tatsächlich hatten sie mit den Riots ihren Erfolg feiern müssen. Noch nie in ihrem Leben hatten sie so etwas Makaberes gemacht. Aber was war ihnen anderes übriggeblieben?

Eine wichtige Tatsache hatten sie dadurch aber herausgefunden: Niemand sprach darüber, was der Leader für diesen Erfolg getan hatte. Tatsächlich wurden die Verstorbenen beinahe in einen Heldenstatus hinaufgehoben. Natürlich wurde getrauert. Doch niemand, aber wirklich niemand sagte irgendetwas gegen Crows Methoden. An dieser Stelle waren sich die beiden Takas nicht sicher, ob sich niemand traute oder ob sie es vor lauter Verblendung schlichtweg nicht realisierten.

Crow hatte sich hier ein kleines Imperium aufgebaut, in dem er über alle Zweifel erhaben war. Und diejenigen Riots, die die Explosion überlebt hatten, würden weggesperrt werden. Sie bekamen keine Chance, ihre Gangmitglieder umzustimmen. Sich für einen höheren Zweck opfern hatte auch nur einen Reiz, solange man sich nicht in der Rolle des Opfers befand und seine Kameraden damit in den Himmel hochloben konnte.

Es war so verdammt krank. Und trotzdem gab es überall auf der Welt Systeme wie das der Riots.

Karin hatte gerade heute Morgen noch mit Pixie gesprochen und sie ein wenig ausgehorcht. Sie mimte brennendes Interesse an Crow und stellte einige Fragen zu seinem Stützpunkt und zum Aufbau seines Zirkels. Tatsächlich wusste Pixie, wo Crow und sein Zirkel ihr Hauptquartier hatten und wo sie Besprechungen abhielten. «Ich kann dir aber nicht mehr sagen, Crow gibt diese Infos nur einigen ausgewählten Leuten. Er sagt, es sei zur Sicherheit. Gerade in einer grossen Gang wie unserer weiss man halt nie, wann sich jemand gegen einen wendet. Mir hat er das nur gesagt, weil ich schon lange ein Mitglied bin, fast schon seit Beginn.»

Pixie war ganz freundlich gewesen und hatte sich entschuldigt, dass sie nicht mehr preisgeben durfte. Karin tat es leid für sie. Schlussendlich war sie in der Sache auch nur ein Opfer. Und bei der Attacke von gestern, war sie gar nicht dabei gewesen. Jedoch musste sie sich dazu zwingen, nicht mir ihr zu sympathisieren. Wer wusste schon, ob sie wirklich das naive Mädchen war, welches sie zu sein schien.

«Aber zu deiner anderen Frage. Crow hat seinen engen Kreis um sich herum. Inzwischen sind es sechs Leute. Von ihnen kennst du Cracker, Tomcat und Foxy. Foxy ist eine Ex-Kurama, wie du vermutlich schon weisst. Jedenfalls hecken sie gemeinsam die Pläne aus.»

«Tomcat ist der Blonde, der dabei war, als Crow hier war, richtig?» Karin spielte die Unwissende.

«Genau. Er kommt aus einer steinreichen Familie, aber seine Eltern haben einen Dachschaden, das sage ich dir. Haben ihn dann in ein teures Internat gesteckt, um ihn loszuwerden. So viel ich weiss legt sich seine Mom andauernd bei ‘nem Schönheitschirurgen unters Messer und hat üble Depressionen. Und nun schiesst sie sich mit Medikamenten und manchmal auch Drogen ab. Eigentlich nur eine Hülle von der Frau, die sie einmal gewesen sein muss. Und sein Vater jettet durch die Gegend, macht fette, oft krumme Geschäfte und hat vermutlich schon überall auf der Welt eine Affäre gehabt. Und wenn er zu Hause ist, brüllt er nur rum und zerlegt Sachen. Das hat mir Cracker erzählt – Tomcat selber redet nicht viel über sich.»

Er vielleicht nicht, aber Pixie lieferte ihr in ihrem Erzählfluss gerade wertvolle Informationen. Gut, dass sie so eine Plaudertasche war. «Klingt echt beschissen. Reich sind sie, hast du gesagt?»

«Mhm, und wie! Haben überall auf der Welt dicke Villen. Tomcat ist so grosszügig und unterstützt uns mit seiner Kohle und seinem Einfluss. Sagt immer, dass seine Eltern ja genug davon haben. Die Riots hätten ohne ihn vermutlich nicht so gross werden können, wie sie jetzt sind.»

«Kennt man denn seine Eltern in Konoha?», fragte sie mit einer Neugier, die hoffentlich naiv klang. Pixie sollte den Eindruck haben, als interessiere sie sich einfach für Klatsch und Tratsch.

«Jup. Kennst du Murakami Credits? Die Privatbank? Er ist der Sohn von Shoto Murakami, dem Besitzer und Geschäftsführer.»

Natürlich. Murakami Credits war die Bank für die hiesige und die internationale Hochfinanz. Wer reich war, legte sein Geld bei den Murakamis an. Dann war er also der Sohn dieser Geier? Nun, in den Medien wurde viel über diese Bank diskutiert, von einem Sohn hatte sie noch nie gelesen.

«Der alte Murakami wollte ihn als Nachfolger, aber er war immer ein Rebell, ob zu Hause oder in der Schule. Tomcat wollte die Bank nie übernehmen. Tja und da hat sein Vater das Interesse an ihm verloren und in ein Internat gesteckt, in der Hoffnung, er überlege es sich noch anders. Aber nix da.»

Die wichtigen Infos sprudelten förmlich aus Pixie raus. Tatsächlich war Tomcats realer Name von vielen verschwiegen und ausserhalb der Gang ein gehütetes Geheimnis. Das erklärte einiges.

Fast schon bereitete es ihr ein schlechtes Gewissen, das Mädchen derart auszuhorchen. Aber sie hatte einen Auftrag und nachdem, was gestern passiert war, würde sie jede nutzen, um an Infos zu kommen. Wenn sie mehr über diese Murakamis herausfanden, würden sie vielleicht neue Aufenthaltsorte der Riots ausfindig machen können. Tomcat unterstütze die Riots mit Geld, aber auch mit anderen Ressourcen.

«Weisst du, Tomcat ist zwar reich und scheint nicht wirklich hierhin zu passen. Aber in vielerlei Hinsicht ist er genau wie wir. Wenn du mich fragst, passt er nirgendwo so gut hin, wie zu uns.»

Pixie schien Tomcat selber nicht wirklich zu kennen, ihre Gutmütigkeit drang aber durch. Sie verurteilte ihn nicht, sondern sympathisierte mit ihm, weil er eine beschissene Vergangenheit oder genauer gesagt, ein beschissenes Leben hatte. Gemeinsames Leiden konnte starke Bande knüpfen, das wusste sie aus eigener Erfahrung. Im Zusammenhang mit den Riots war dieses Band aber ganz schön gefährlich.

Über Foxy konnte Pixie ihr leider nicht allzu viel erzählen. Anscheinend war Hinata tatsächlich Crows Freundin. Was sie natürlich absolut nicht nachvollziehen konnte und ihr irgendwie ziemlich abwegig vorkam, aber überraschen sollte sie eigentlich nichts mehr. Nicht bei den Riots.

Und nun sass sie mit Suigetsu in der U-Bahn in Richtung Downtown. Sie trauten den Riots noch nicht über den Weg und stiegen deshalb mehrmals um. Eigentlich hätten sie nicht einmal mit der U-Bahn fahren müssen, denn ihr Ziel war Taka-HQ, wo sie sich mit Pain und Blue treffen würden. Von Sasukes Rauchvergiftung hatten sie bereits Kenntnis genommen, da an seiner Stelle Pain den Kontakt mit ihnen aufgenommen hatte.

Es erfüllte sie mit einem Wohlgefühl, als sie durch einen Hintereingang das alte Werkstattgebäude betraten. Taka-HQ war ihr zu Hause und sie hatten sich ganze drei Tage durchweg als jemanden anderen ausgeben müssen. Karin brannte darauf, ihre Haare endlich waschen zu können und diese bescheuerte Perücke loszuwerden.

Sie öffneten die Flügeltür zum Aufenthaltsraum, wo sie die Deidaras Graffiti einer geflügelten Schlange an der Wand begrüsste.

«Heimat», seufzte Suigetsu und warf sich auf die Couch. Karin hingegen steuerte direkt an ihm vorbei in Richtung ihres Schlafraums und der Dusche. «In einer halben Stunde sollten Yahiko und Konan hier sein. Sieh zu, dass du bis dann dieses eklige Haargel rausgewaschen hast.»

 

Als Sakura an diesem Morgen in Begleitung von Tsunade den Wohnblock verliess, fühlte sie sich nicht wirklich erholt. Sie hatte zwar vor lauter Erschöpfung durchgeschlafen, aber selbst in ihren Träumen hatten die Riots sie verfolgt.

Tsunade schloss ihren klapperigen Fiat auf, der im Innenhof stand. Obwohl Sakura angeboten hatte, mit der U-Bahn ins Krankenhaus zu fahren, bestand Tsunade darauf, sie zu fahren. «Es liegt praktisch auf dem Weg, Mäuschen, hatte sie nur gemeint. Und sie hatte Recht, die Kanzlei ihres Chefs lag nur wenige Strassen weiter entfernt.

In Konohas Strassen tummelten sich trotz des Gangkriegs Autos. Zu den Stosszeiten in den Morgenstunden herrschte nach wie vor eine hohe Verkehrsdichte, da nur noch wenige Menschen es riskieren wollten, zu Fuss zur Arbeit zu gehen. Tsunade fluchte wie immer über die vielen Ampeln und hatte ein rasantes Tempo drauf. Leider waren sie knapp dran.

«Mäuschen, macht es dir etwas aus, die zwei Blocks noch zu laufen? Wenn ich den Schwenker zum Krankenhaus noch machen muss, komme ich zu spät. Tut mir leid.»

«Ist doch kein Problem», meinte Sakura.

Bei der nächsten Gelegenheit fuhr Tsunade rechts ran und Sakura stieg aus.

«Sorg dafür, dass du eine Mitfahrgelegenheit für nach Hause hast oder ruf mich an ja?», rief sie noch, bevor Sakura die Tür hinter sich zumachte.

«Mache ich! Danke!»

Ein bisschen Laufen war ihr gar nicht mal so unrecht. Es war ein angenehmer Morgen im Spätsommer. Jedoch war der Herbst unterwegs. Hoffentlich zog sich dieser Krieg nicht mehr bis in den Winter. Battles bei niedrigen Temperaturen waren doppelt so anspruchsvoll.

Um die nächste Ecke konnte sie bereits das City Hospital sehen – von aussen ein grosser Gebäudekomplex aus grauem Beton.

Wie es Sasuke wohl ging? Sie hatte ihm Gummibärchen mitgebracht, da sie einerseits seinen Hals ein wenig schmieren konnten, andererseits, weil er laut Hotaru vollkommen auf Gummibärchen abfuhr. Das hatte sie ihr gestern erzählt, als sie Sakura freundlicherweise nach Hause gefahren hatte.

Die Bärchen ruhten also in ihrer Tasche, als sie sich dem Krankenhaus näherte. In dem Moment spürte sie eine Hand auf ihrer Schulter. Rasch drehte sie sich um, in der Annahme, es sei einer ihrer Freunde. Doch freundliche Worte blieben ihr im Hals stecken, als sie den jungen Mann mit dem schwarzen Kapuzenpullover vor sich sah und sein Gesicht sofort erkannte. Das durfte ja nicht wahr sein.

«Na, Cherry Blossom?»

Tomcat. Es war Tomcat. Ihr Puls schoss schlagartig in die Höhe. Instinktiv checkte sie mögliche Fluchtwege ab und überlegte, wie sie sich gegen ihn zur Wehr setzen konnte. Doch bei genauerer Überlegung fiel ihr ein, dass sie mitten auf offener Strasse waren. An ihnen gingen im Sekundentakt Leute vorbei. Was also, konnte er ihr schon antun?

«Was willst du?», fragte sie und konnte das leichte Zittern in ihrer Stimme nicht unterdrücken.

Er lächelte. Es war furchteinflössend. Da war etwas in seinen Augen, was sie nicht deuten konnte. Ein Blick, den sie so noch nie gesehen hatte.

«Seit wann lassen dich Demon und Big Fox alleine auf der Strasse rumlaufen?»

Nun, sie hatte bis zu diesem Moment gedacht, dass Naruto und Sasuke mit ihren Sicherheitsvorkehrungen übertrieben. Da hatte sie falsch gedacht.

«Hast du mir aufgelauert?» Auf seine Provokationen ging sie gar nicht ein. Aber sie konnte nicht leugnen; alles an seiner Aura jagte ihr Angst ein. Er gab ihr dieses Gefühl, unantastbar zu sein.

«Nun, was soll ich sagen. Ich beobachte dieses Krankenhaus schon eine ganze Weile und sehe mir an, wer ein- und ausgeht.»

Vermutlich ging es dabei darum, herauszufinden, wer von den Takas und Kuramas noch oder wieder kampffähig war. Die Polizei bewachte zwar das Gebäude, aber auf mögliche Beobachter suchten sie die Umgebung nicht ab. Blieb nur noch eine Frage: Warum übernahm einer der Ranghöchsten einen solch niederen, mühsamen Auftrag an? Und allen voran noch Tomcat? Er wirkte eher, als wäre er sich für solche Sachen zu schade.

«Schön für dich. Ich werde jetzt gehen.»

«Nicht so hastig», er erwischte sie am Handgelenk. Seine Hände fühlten sich unangenehm an und es gelang ihr, die Hand zurückzuziehen.

«Ich will nichts mit dir zu tun haben, Tomcat!»

«Das ist mir ziemlich egal. Andere Frage: Hast du nicht genug vom ständigen Verlieren?»

Was wollte er jetzt damit wieder bezwecken?

«Tomcat! Lass. Mich. Vorbei.» Sie bedachte ihn mit einem ernsten Blick, doch er grinste schamlos weiter.

«Du darfst gleich gehen, Cherry Blossom. Aber hör mich an. Du hast in diesem Krieg alles zu verlieren, oder? Deine Freunde, dein Liebchen und dein eigenes Leben. Du hast es nicht einmal nötig, wie ich aus zuverlässiger Quelle vernommen habe. Und trotzdem spielst du die Heldin der Gerechtigkeit. Realisierst du, wie dumm du dich verhältst?»

Sakura wusste nicht viel über Tomcat. Aber Manipulation war ohne Zweifel eines seiner Fachgebiete.

«Kommst du im Auftrag von Crow? Wenn ja, kannst du ihn ausrichten, dass ich nicht mehr die treibende Kraft hinter all dem bin. Ich habe vielleicht damit angefangen, aber ich kontrolliere weder die Polizei, noch die Takas oder Kuramas. Wenn er also glaubt, dass es euch etwas bringt, mich zu verunsichern, dann hat er sich geirrt.»

Tomcat schüttelte langsam den Kopf. «Ich komme nicht in Auftrag von Crow. Weisst du, wir haben alle eigenständige Gehirne, auch wenn du es uns nicht zutraust.»

Er kam nicht in Crows Auftrag? Das brachte sie schon ein wenig aus dem Konzept. Natürlich konnte er lügen, aber was hätte er davon? Ihr wurde zusehends mulmiger.

«Cherry Blossom, mein Interesse gilt nicht deiner Gang. Mein Interesse gilt dir. Alles lief gut, bis du auf die bescheuerte Idee gekommen bist, die Gangs in ein gutes Licht zu rücken. Es hätte gereicht, unsere Kollaboration mit Momochi bekanntzugeben. Aber du hast es weitergetrieben. Habe ich dich nicht gewarnt?»

Er legte den Kopf schief. «Trotz deiner grenzenlosen Naivität hast du es geschafft, dass dir die Stadt Glauben schenkt. Ohne dich wären wir längst dort, wo wir sein wollen. Crow will es nicht einsehen, aber ich sehe es. Du bist auf eine dumme, unüberlegte Art gefährlich. In beiden Gangs ein wenig zugehörig, ihre ganz persönliche Goldmarie. Eine Geheimwaffe. So unschuldig und süss, dahinter kann doch nichts Böses sein.» Die letzten Worte trieften vor Spott. Er klang herablassend, aber kontrolliert. «Du bist kein Gangmitglied, Cherry Blossom. Du denkst, in diesen Gangs bist du zu Hause, dabei gehörst du dort überhaupt nicht hin.»

Sakura verstand gar nichts mehr. Was wollte er mit diesen Worten bezwecken?

«Ich mag dumme Mädchen eigentlich nicht. Dumme Mädchen sind etwas fürs Vergnügen und dann für den Mülleimer.» Er kam einen Schritt näher.

Sakura wusste nur Eines: Sie durfte jetzt keine Angst zeigen. Er spielte ein Spiel, auf das sie nicht eingehen durfte.

«Du bist dumm. Einerseits verabscheue ich diese Selbstlosigkeit und deine naive Überzeugung, dass in allem etwas Gutes steckt. Du bist so blind und trotzdem hast du Erfolg. Doch andererseits…»

Er brach mitten im Satz ab. Seine Augen musterten sie in einer aufdringlichen Weise.

Sakura fürchtete sich trotz all der Leute um sie herum, wie sie sich noch selten zuvor gefürchtet hatte.

«Ich warne dich noch ein letztes Mal: Du solltest besser von der Bildfläche verschwinden. Deine blosse Anwesenheit in diesem Krieg provoziert mich mehr, als ich mir selber zugetraut hätte. Und wenn du es nicht von selbst tust… tja, dann werden wir sehen.» Er bedachte sie mit einem stechenden, bedrohlichen Blick. «Du lebst gefährlich, Cherry Blossom. Ich behalte dich im Auge.»

Und damit lächelte er eines seiner unangenehmen Lächeln und löste sich in der Menge an Leuten auf dem Gehsteig auf. Er war so schnell verschwunden, wie er gekommen war.

Es war eine unangenehme, kriechende und kalte Angst, die Tomcat in ihr auslöste. Er wirkte unberechenbar und so, als würde er Worte wie «Einfühlungsvermögen» und «Freundschaft» gar nicht kennen.

Wenn sie ihn richtig verstanden hatte, war er auf eigene Faust gekommen, ohne das mit seinen Leuten abzusprechen. Sie verstand nicht, was genau er von ihr gewollt hatte, geschweige denn, warum er in ihr so eine grosse Gefahr sah. Hätte er sie getötet, wenn nicht all diese Menschen um sie herum gewesen wären?

Naruto war das erste bekannte Gesicht, welches sie sah. Er kam gerade aus dem Zimmer, das voll mit Kurama-Outers war. Natürlich erzählte sie ihm sofort von der Geschichte. Und je weiter ihre Erzählung fortschritt, desto finsterer wurde Narutos Gesichtsausdruck.

«Was zur Hölle denkt sich dieser Typ eigentlich?!» Seine Fäuste waren geballt und seine Augen verengten sich. «Und er hat dir nichts getan?»

Sie schüttelte den Kopf. «Da waren zu viele Leute. Ich weiss nicht, ob er es sonst versucht hätte.»

«Und er hat dir gedroht?»

«Ja. Ich weiss auch nicht, warum er glaubt, ich sei so gefährlich.»

Er atmete tief durch. «So wie das klingt, Sakura, glaube ich nicht, dass es nur darum geht.»

Sakuras Atem stockte. Sie hatte bereits eine Vermutung gehabt und gehofft, Naruto würde etwas anderes sagen.

«Es klingt irgendwie wie eine Art… Besessenheit. Warum sonst würde er sich so tief herablassen und einen langweiligen Beobachtungsjob übernehmen? Er hat das doch gar nicht nötig. Einerseits erzählt er dir, wie sehr er dich verabscheut, wie dumm und naiv du bist und auf der anderen Seite lauert er dir auf. Ich meine, das ist jetzt schon das zweite Mal, nicht wahr? Und dieses Mal hat er gar keinen wirklichen Grund gehabt.»

«Ich weiss nicht, ob es Besessenheit ist. Weisst du, was er sagt klingt überhaupt nicht rational. Aber während er darüber spricht, klingt er vollkommen kontrolliert. Damals, als er zum Toad’s gekommen ist, wirkte er anders. Er hatte mehr so diese coole Attitüde, diese Unantastbarkeit drauf.»

Doch da fiel ihr ein, was er ihr damals gesagt hatte:

 

«Wenn du allerdings irgendetwas tust, was den Jaguar Riots sonst irgendwie schadet, dann kriegen wir dich und du wirst es bereuen. Versprochen, meine Süsse.»

 

«Das hat er gesagt?», fragte Naruto aufgebracht, als sie ihm das erzählte.

«Damals habe ich es für eine typische Drohung gehalten. So eine, die ein Riot nun mal ausspricht, um Angst zu schüren.»

«Kann ich dir nicht einmal verübeln, bei all dem Stuss, den die von sich geben. Aber es scheint, als hätte er das durchaus ernst gemeint. Sakura, von jetzt an gehst du gar nicht mehr alleine raus. Ich traue dem Typen alles zu. Der sieht etwas in dir und ich kann noch nicht einordnen, was genau es ist.»

Sakura widersprach nicht. Der blosse Gedanke an Tomcat, sorgte bei ihr für eine Gänsehaut. Dieser Mann war mächtig und unberechenbar.

Nach dieser Begegnung fand in Sasukes Zimmer Kriegsrat statt. Naruto hatte sofort dafür gesorgt, dass die Umgebung des Krankenhauses nach Beobachtern abgesucht wurde.

Sasuke war sauer, als er die ganze Geschichte hörte. In seinen Augen vermeinte Sakura, dieses dunkle Etwas zu erkennen. Und das war nicht gut.

Zu ihrer Überraschung waren nebst Sarutobi, Mitarashi, Hatake und einigen Kuramas und Takas auch Konan und Yahiko da, die brandneue Informationen von Karin und Suigetsu brachten, die sich derzeit gerade im HQ ausruhten. Sie würden aber an die bevorstehende Trauerfeier für die Verstorbenen kommen, teilte ihnen Konan mit.

Es war ein interessanter Zufall, dass sich viele der Infos auf Tomcat bezogen. Nie hätte sie gedacht, dass Tomcat der Sohn der Murakami-Familie war. Er war reich, das hatte sie gewusst, aber der Sohn von einer derart angesehenen Familie? Nun, so wie Konan und Yahiko das übermittelten schien er mit seiner Familie nicht mehr viel am Hut zu haben – bis auf das Geld.

«Wir haben uns im Internet ein wenig schlau gemacht. Der Präsident der von Murakami Credits ist derzeit Shoto Murakami. Die Murakamis haben in den verschiedensten Gewerbezweigen ihre Finger drin. Und über seine Familie ist erstaunlich wenig zu finden. Er scheint nur ein Kind zu haben. Tomcats richtiger Name muss in diesem Fall Yohei Murakami sein.»

«Yohei Murakami also…» Hatake nickte. «Sarutobi, überprüfen sie die Familie Murakami. Ich will wissen, wo sie ihre Residenz haben und welche Liegenschaften ihnen gehören. Wir müssen potenzielle Quartiere ausmachen.»

Saurtobi nickte und verliess das Zimmer, um zu telefonieren.

«Das könnte eine heisse Spur sein», meinte der Polizeichef nachdenklich. «Wer weiss, wenn die Murakamis verschiedene Häuser haben, dann ist es sehr gut möglich, dass die Riots eines als Quartier verwenden. Niemand käme auf die Idee, in irgendwelchen Villenvierteln nach Strassengangs zu suchen.»

Naruto bestand darauf, Hatake von dem Vorfall mit Tomcat zu erzählen. Es war ihr ein wenig peinlich, jedoch wusste sie, wie wichtig das war. Die Polizei musste über alles informiert sein, was irgendwie mit den Riots zu tun hatte.

Hatake war nicht sonderlich erfreut. «Du bist selbstverständlich nicht gezwungen, bei dieser Aktion mitzumachen, Sakura. Deine Hilfe ist von grossem Nutzen, aber ich will nicht riskieren, dass du einen Schaden davonträgst. Die Riots sind unberechenbar und gerade Menschen wie Tomcat traue ich einiges zu.»

Sakura wusste zuerst nicht, was sie darauf erwidern sollte. Natürlich war sie nicht gezwungen, jedenfalls nicht aus objektiver Sicht. Aber für sie war es keine Option, ihre Freunde einfach ihrem Schicksal zu überlassen. Sie war eine Kurama und wollte ihre Gang dabei unterstützen, diese Riots zu besiegen und ihren Ruf zu verbessern. Und sie wollte Naruto und Sasuke helfen, ihre Haftstrafe zu mildern.

«Danke, aber ich werde dabeibleiben. Ich will nicht, dass er glaubt, er könne mich mit seinen Drohungen einschüchtern.»

«In Ordnung. Du musst mir aber versprechen, noch vorsichtiger und vor allem, nie alleine unterwegs zu sein. Nicht einmal für zehn Sekunden.» Hatake fixierte sie mit einem ernsten Blick.

«Versprochen», erwiderte sie mit demselben Ernst. Sie war nicht dumm, nein, sie erkannte die Gefahr, die von Tomcat ausging. Und es machte ihr Angst, aber hier in dieser Runde würde sie das nicht sagen. Jenen, die es wissen mussten, war das bereits klar.

Die Besprechung dauerte sicher noch eine Stunde und es wurde lebhaft diskutiert. Sarutobi kam zurück und berichtete von zwei Residenzen in Konoha. Eine in der Sunside, eine weitere ausserhalb der Stadt. Tatsächlich waren auch der Hauptsitz von Murakami Credits in der südlichen Downtown und einige Firmen aufgelistet, bei denen Shoto Murakami im Vorstand sass. Und natürlich der Hauptsitz von Murakami Credits.

Es wurde beschlossen, diese Gebäude zu überprüfen. Die sollte natürlich möglichst unauffällig geschehen, damit eine Durchsuchung eingeleitet werden konnte, falls tatsächlich Riots ein- und ausgingen.

Die Planung ging natürlich weiter, aber für heute war genug. Es stand jedenfalls fest, dass das Vorgehen weitaus besser geplant werden musste. Zudem hielt es Hatake für die beste Möglichkeit, in die Offensive zu gehen, damit die Riots keine Zeit für eine Gegenattacke hatten.

Sakura begleitete Sasuke auf einen Spaziergang durch den kleinen Park im Innenhof des Krankenhauses. Er sagte zuerst nicht viel, als sie über die Kieswege zwischen den sauber gemähten Rasenflächen und einigen Bäumen entlanggingen. Auch er war aufgebracht. Das alles war auch für ihn viel gewesen.

«Hat er dich angefasst?», fragte er auf einmal.

«Tomcat?»

Er nickte.

«Nur an den Handgelenken, als ich an ihm vorbeigehen wollte.»

Er schwieg.

«Es ist nichts passiert, Sasuke. Ich werde nicht mehr alleine unterwegs sein und das wars. Tomcat wird mir nichts tun können.» Sie sagte das, um ihn zu beruhigen. In Wahrheit fürchtete sie sich vor Yohei Murakami. Aber wenn sie nicht mehr alleine rumlief, sollte dieser Typ auch keine Gelegenheit mehr bekommen.

«Du weisst aber schon, wie ernst das ist, Sakura?» Er war aufgebracht und das brachte einen Hustenanfall mit sich.

«Natürlich. Ich will nur nicht, dass du dich deswegen jetzt wahnsinnig machst. Das heute war ein Zufall. Tomcat weiss nicht wo ich wohne, geschweige denn sonst irgendetwas über mich.»

Als er sich erholt hatte, nahm sie bei der Hand und bedachte sie mit diesem durchdringenden Blick. «Er wird dich nicht kriegen. Dafür werde ich schon sorgen.»

Sie streichelte ihm sanft über den Arm und verschloss ihre Hand mit seiner. Und als er sie umarmte fühlte sie sich sicher. Der Geruch nach Rauch an seinem Körper war dem von Duschgel gewichen. Sie spürte, wie sein Atem langsam ruhiger ging.

Diese kleinen Momente des Durchatmens mussten sie geniessen. Schon bald würde ihnen dafür keine Zeit mehr bleiben.

 

«Warum sind so viele davongekommen? Kannst du mir das mal erklären?» Tomcat fragte das auf eine ganz ruhige Weise. Wutausbrüche waren nicht sein Ding. Emotionen waren nicht sein Ding. Jedoch kannte Crow Tomcat gut genug um zu wissen, dass er fuchsteufelswild war – auf seine Weise.

«Es ist nicht ganz so gelaufen, wie wir erwartet haben», antwortete Crow

«Die Bosse waren beide in der Nähe von Sprengsätzen. Sie hätten in die Luft gehen müssen.»

«Sie haben Wind von der Sache bekommen, sonst wären sie kaum alle gleichzeitig rausgelaufen. Das muss über Funk kommuniziert worden sein.»

Cracker meldete sich zu Wort. «Und woher denkst du, ist diese Info gekommen?»

Crow lehnte sich zurück und nahm entspannt ein Schluck Wasser aus dem Kristallglas von Tomcats reichem Dad. «Es muss fast aus unseren eigenen Reihen gekommen sein.»

«Und was ist mit Foxy? Glaubst du, die hat wirklich alle Verbindungen zu den Füchsen gekappt?»

Crown nickte. Foxy war eine naheliegende Möglichkeit, jedoch wusste er es besser. «Ich habe Foxy nicht das Geringste erzählt. Sie hat erst von den Sprengsätzen erfahren, als sie bereits gezündet waren. War zwar nicht begeistert, aber sie kann nicht gesungen haben. Es sei denn, jemand von euch hat geplaudert.»

Allgemeines Kopfschütteln.

«Foxy war die letzten vier Tage nicht hier. Sie kann nichts von dem Deal mit Oro erfahren oder mitbekommen haben», setzte er noch obendrauf.

«Und wer war es dann?»

Crow drückte seine Zigarette aus. «Irgendjemand denkt, wir seien bescheuert. Informiert die Quartierchefs. Sie sollen Augen und Ohren offenhalten. Wenn wir die erwischen, werden sie es bereuen, jemals auch nur einen Fuss in unsere Gang gesetzt zu haben.»

 

Die Trauerfeier um die zwölf Verstorbenen fand drei Tage später statt. Auch die Verletzten waren gekommen um Abschied von den Opfern dieses verheerenden Tages zu nehmen. Sie wurden in einem Gemeinschaftsgrab begraben, das später in Erinnerung an diesen Krieg mit einer grossen Steinplatte mit allen Namen der verstorbenen Gangmitglieder versehen werden. Ein zweites Gemeinschaftsgrab war für die sieben Riots da. Nachdem man ihre Identität ermittelt hatte, waren ihre Todesanzeigen publik gemacht worden. Doch wie es bei Gangmitgliedern üblich war, kamen kaum Leute, die nicht Teil der Gangs waren, an die Beerdigung. Sakura tat es leid. Wo waren ihre Lieben? Oder hatten sie all ihre Lieben in der Gang gehabt, von denen natürlich niemand auftauchte?

Es war beklemmend und Sakura weinte stille Tränen, neben ihr Sasuke, der ihre Hand drückte. Er weinte natürlich nicht. Aber sie sah den Schmerz und die Wut in seinen Augen.

Den anderen erging es ähnlich.

Und ohne es zu wollen fragte sich Sakura, wer von den hier anwesenden Inners und Outers noch auf diesem Friedhof enden würde.

Sie drückte Sasukes Hand fester.

Der aufsteigende Ast

Sasukes Husten dauerte noch einige Tage an. Diese verbrachte er entgegen der ärztlichen Empfehlung nicht in Ruhe, sondern wieder inmitten von Besprechungen und Vorbereitungen für den nächsten Schritt der Gangs und der Polizei.

Aus dem Krankenhaus war er schon vor der Trauerfeier entlassen worden und obwohl Sakura und er sich im Universitäts-Gebäude aufhielten, sahen sie sich nicht oft. Abends kam er spät ins Bett und morgens war er früh schon wieder weg. Sakura machte das schon ein wenig Sorgen, aber es schien für ihn im Moment wichtig zu sein, etwas zu tun. Die Trauerfeier musste auch bei ihm Erinnerungen ausgelöst haben.

Manchmal ertappte sie sich dabei, wie sie seine Sachen auflas und nach Bierflaschen Ausschau hielt. Eigentlich wollte sie ihn nicht kontrollieren, jedoch wusste sie um Sasukes Instabilität. Auch wenn er in letzter Zeit ausbalancierter wirkte, so trug er immer noch schwere Bürden mit sich herum. Itachi, das Gefängnis, seine Leader-Position… und das waren nur einige davon.

Aber sie liess ihn machen. Eine Aufgabe zu haben, schien ihn aus dem Trott rauszuholen. Und als sie eines Abends bereits im Halbschlaf am Wegdämmern war, betrat Sasuke den kleinen Hörsaal. Seine Schritte waren für sie unverkennbar. Er bemühte sich, leise zu sein, zog sich rasch um und legte sich neben sie. Er roch frisch nach Duschgel, kam also gerade von den Gemeinschaftsduschen im Keller der Universität.

Sakura hatte nicht vor, ihn einfach so wegschlafen zu lassen und drehte sich zu ihm um. Er wirkte überrascht, aber nicht erschrocken.

«Noch wach?»

«Sieht so aus.»

«Hättest du mir auch früher sagen können.» Er sagte das mit dem Anflug eines Lächelns im Gesicht. Seine Stimme war immer noch rau.

«Gibt es etwas Neues?»

«Mhm. Es wird eine Razzia in den Liegenschaften von Shoto Murakami durchgeführt. Vielleicht ist das die Goldgrube, nach der wir suchen.»

Sakura wünschte sich nichts mehr, als dass die Polizei endlich weiterkam. Die letzte Operation war ein Rückschlag gewesen und zeigte einmal mehr, was für ein begnadeter Marionettenspieler Crow war.

«Denkst du, wir können sie irgendwann schlagen?

Er nickte ohne zu Zögern. «Wir müssen. Sobald uns Karin und Suigetsu mehr Infos liefern können, sollten wir endlich vorankommen. Allerdings wird sehr viel von den neu rekrutierten Riots geheim gehalten. Crow ist nicht blöd, das wissen wir ja längst. Wir müssen diese Trumpfkarte geschickt nutzen. Früher oder später wird er uns auf die Schliche kommen. Wir müssen deshalb umso besser planen, wann wir die Quartiere der Riots angreifen. Bisher kennen wir nur zwei Standorte. Das reicht nicht.»

Sakura verstand, doch das machte die Situation nicht besser. Das mit der Razzia war eine Hoffnung, doch Hoffnungen konnten bitter enttäuscht werden.

Sie kuschelte sich näher an ihn und seine Arme schlossen sich um sie. Sein Atem war in ihrem Haar zu spüren. Es war ein wohliges, geborgenes Gefühl. Und wie so oft, wenn sie sich so nahe waren, wünschte sie sich, sie könnte die Zeit stillstehen lassen.

Sie klammerte sich noch enger an ihn. Wer wusste schon, wie dieser ganze Krieg hier ausgehen würde.

«Ist etwas passiert?», fragte er, offensichtlich etwas überrascht von ihrer engen Umarmung.

«Es passieren doch die ganze Zeit ungute Dinge. Ich will nicht mehr, Sasuke. Ich will, dass es aufhört.» Ihre Gedanken gingen zurück zu der Trauerfeier und der Explosion im East. Zur DD-Area und all dem vergossenen Blut.

«Wir machen, dass es aufhört.»

«Zu welchem Preis?»

Er schwieg. Sein Atem ging ruhig.

«Zu einem hohen. Aber es ist nicht so, als hätten wir eine Wahl.»

Recht hatte er. Und diese Tatsache war einfach nur krank. Die Takas und Kuramas hatten keine andere Möglichkeit, als zu kämpfen. Mit oder ohne Polizei, sie hätten sich sowieso gegen die Riots stellen müssen.

Nach einem weitern Moment des Schweigens fragte er: «Ist es wegen Tomcat?»

Sie schüttelte etwas zu schnell den Kopf. Ja, Tomcat machte ihr Angst. Aber in dem ganzen Trubel war Yohei Murakami nur ein kleines Problem von vielen. Dass sie aber viel zu oft über diesen jungen Mann nachdachte, den sie so gar nicht erfassen konnte, verschwieg sie ihm. Tomcat war oft in ihren Gedanken. Gerne hätte sie gewusst, was ihn zu dem gemacht hatte, was er heute war. Es war eine ungewöhnliche Mischung aus Interesse und Furcht.

Sie musterte ihn. Er hatte die Augen nun geschlossen und sein Atem ging ruhig. Seine Müdigkeit war auch kein Wunder. Er war von Kopf bis Fuss in alles involviert, was die Polizei plante und tat. Für ihn hing vieles von dieser Aufgabe ab. Naruto und ihm sassen ihre Haftstrafen im Nacken. Dass er sich so viel Mühe gab, zeigte, wie sehr er aus diesem Gefängnis raus wollte.

Hoffentlich übernahm er sich dabei nicht. Sasuke befand sich mitten in einem Wandlungsprozess, das spürte und sah sie. Er hatte vieles zu verarbeiten. Wenn das alles hier vorbei war, dann brauchte er eine Pause. Nun, sie alle brauchten eine Pause. Aber er eine richtig lange.

Sachte strich sie ihm mit der Hand übers Haar. Er schlief tief und fest.

 

Es war eine warme Nacht. Leiser Wind strich durch die vereinzelten Bäume der Strasse, ansonsten war es still. Seit zwei Stunden wartete er mit hochgezogener Kapuze in der Seitengasse, an die Mauer des Wohnblocks gelehnt. Er hatte sich davongestohlen, wohlwissend, dass er sich damit auf gefährlichem Terrain bewegte. Aber es gab Prioritäten. Von seinen nächtlichen Aktionen wussten nur Kiba und Shikamaru, die ihn bisher zuverlässig gedeckt hatten. Inzwischen stand er zum fünften Mal abends in dieser Seitenstrasse und wartete. Irgendwann musste er sie erwischen.

Es sollte anscheinend heute sein, denn nach fast zwei Stunden kam eine junge Frau die Strasse hinunter. Das seidenglatte, dunkle Haar hätte er auch aus einem Kilometer Entfernung sofort erkannt. Ansonsten war niemand zu sehen – Hinata kam alleine.

Er verhielt sich ruhig und blieb vor Blicken geschützt im Schatten der Hausmauer stehen. Als sie an der Seitenstrasse vorbeiging, bemerkte sie ihn nicht. Er hatte sich auch gut verdeckt gehalten.

«So spät noch alleine unterwegs?»

Innerhalb einer Millisekunde hielt Hinata inne und erstarrte zu einer Salzsäule. Nicht eine ungewöhnliche Reaktion, aber er hatte etwas anderes erwartet. Erschrecktes Zusammenzucken oder ein Aufschrei zum Beispiel. Aber dieses Erstarren, ohne sich sofort umzudrehen, war seltsam. Als wüsste sie genau, wer hier im Dunkeln lauerte.

«Und Crow wollte dich nicht begleiten?» Er trat aus dem Schatten der Gasse hervor.

Hinata hatte seine Stimme inzwischen einordnen können, denn sie drehte sich um und hatte diesen eiskalten Blick aufgesetzt, den sie seit der Nacht am Güterbahnhof immer zur Schau trug.

«Was willst du hier, Big Fox?»

Hätte er es nicht besser gewusst, hätte er sofort geglaubt, es handle sich bei dieser Person nicht um Hinata. Ein Double. Ein Platzhalter für das schüchterne, aufrichtige Mädchen, welches sie einmal gewesen war. Oder von der er geglaubt hatte, sie wäre es gewesen.

«Mit dir reden.»

Sie hielt einen grosszügigen Sicherheitsabstand. «Geh. Ich will nichts mit dir zu tun haben.»

Er hielt inne und suchte ihren Blick. Sie war ihm keineswegs freundlich gesinnt. Jedenfalls drückte das ihr Gesicht nicht aus. Aber er wusste eines: Hinata wandelte auf einem Weg, der ihr alles nehmen konnte. Er nahm sich die Frechheit, in diesem Fall urteilen zu können, was richtig und was falsch war. Hinatas Weg war durchweg falsch – warum auch immer sie ihn gehen wollte.

Die Abweisung verletzte Naruto, auch wenn er es nicht zugeben wollte. Auch wenn er damit gerechnet hatte. Geistesgegenwärtig rief er sich noch einmal das Gespräch mit dem zwölfjährigen Klugscheisser in Erinnerung.
 

 «Weisst du, da draussen hörte man vor einiger Zeit viel über die Foxes. Man hielt etwas von ihnen, sagte, dass sie niemals aufgeben. Wenn sie verlieren, gewinnen sie wieder. Wenn man jemandem von ihnen etwas antut, kriegt man es in dreifacher Wucht zurück. Und wenn man ihnen etwas nimmt, dann holen sie es sich wieder

 

Konohamaru hatte Recht. Die Kuramas gaben nicht einfach so auf und liessen sich schon gar nicht von irgendwelchen bescheuerten Riots auf der Nase herumtanzen.

«Ich bleibe, ob du willst oder nicht. Und ich werde dafür sorgen, dass du mir zuhörst.»

Sie schüttelte den Kopf. «Vergiss es, Big Fox. Ich will nichts mehr von euch wissen. Und von dir schon gar nicht.»

Er nickte. «Ich bin nicht bescheuert, Hina, ich weiss das. Und es ist mir scheissegal.»

Sie schnaubte verächtlich, drehte sich um und wollte davonlaufen, doch darauf war er vorbereitet gewesen.

 

«Hinata ist eine Kurama. Und egal, warum sie dazu gebracht wurde, bei diesen Riots mitzumachen, die Kuramas können sie wiederkriegen. Aber dazu musst du es wollen, du Waschlappen.»

 

Er wollte nicht, dass sie in Crows Fängen blieb. Ob sie nun freiwillig da war oder nicht, er wollte das nicht. Was genau er wollte, war ihm inzwischen sonnenklar.

Schnell hatte er sie am Handgelenk erwischt und zog sie zurück, sodass sie ihn anschauen musste. «Falls ich dich jemals verletzt haben sollte, tut es mir leid. Du bist ein Teil von uns und wirst es immer bleiben. Ich bin manchmal etwas… naja, schwer von Begriff trifft es vielleicht am besten. Aber irgendwas ist passiert, was dich dazu bringt, nichts mehr mit uns zu tun haben zu wollen.»

Sie starrte ihn ziemlich perplex an. «Du bist uns… mir sehr wichtig… mehr als du denkst vielleicht.» Er hatte keine Ahnung, warum seine Stimme versagte, doch er musste erst einmal Luft holen, bevor er weiterreden konnte. Hinata musste zurückkehren. Rein der Gedanke, dass sie mit Crow zusammen war, machte ihn rasend.

«Wenn du jemals… wenn du jemals zurückkommen möchtest, dann bist du bei uns… und bei mir herzlich willkommen. Immer.»

In Hinatas Gesicht konnte er eine Gefühlsregung lesen. Eine kleine, minimale, aber etwas war da. Sie löste ihre Hand aus seinem Griff, nicht ruckartig, sondern ganz vorsichtig. In ihren Augen war Härte einem mitleidigen Bedauern gewichen. Und bevor sie sich umdrehte und in Richtung ihres Blocks verschwand, formte sie Worte mit ihren Lippen, ohne etwas zu sagen. Und für eine Sekunde lang, blitzte das Wesen der liebevollen und sanften Hinata wieder auf. Ein Fragment der Person, die sie einmal gewesen war.

 

Es tut mir leid.
 

Noch auf dem Heimweg ärgerte sich Naruto grün und blau. Er war so in Gedanken versunken, dass er sogar jemanden anrempelte. Dabei waren kaum mehr Leute unterwegs. Der Typ quittierte dies nur mit einigen Fluchwörtern, ging dann aber seines Weges. Naruto war es egal.

Er hätte mehr tun, gegenüber Hinata überzeugender sein müssen. Er hatte seinen Willen nicht einmal klar ausgedrückt. Nie hatte er deutlich gesagt, dass er sie unbedingt zurückwollte. Sein Auftritt war mehr als nur schwach gewesen, dabei konnte er überzeugend sein, das wusste er mit absoluter Sicherheit. Warum hatte es heute Abend nicht geklappt?

Es war niederschmetternd. Ihr Blick war so abweisend und desinteressiert gewesen. Bis auf diese leichte Veränderung in den letzten Sekunden, hatte er keine positive Gefühlsregung in ihrem Gesicht lesen können.

«Es tut mir leid», hatte sie gesagt. Was tat ihr leid? Dass sie die Kuramas einfach zurückliess? Dass er eine so bemitleidenswerte, verzweifelte Performance abgegeben hatte?

Dabei war er sich so sicher gewesen, was er ihr alles hatte sagen wollen. Und im entscheidenden Moment war er eingeknickt. Das kannte er gar nicht von sich.

Er kam erst kurz vor Mitternacht an die Uni zurück. Er war aufgrund verschiedenster Besprechungen für den Moment auch hier stationiert.

Im Gebäude war es ruhig, nur von der Cafeteria her waren noch Stimmen zu vernehmen. Naruto hatte keine Lust, sich zu den anderen zu begeben und schlich sich stattdessen in den ersten Stock hinauf. Dort war ein grosses Fenster mit einer breiten Fensterbank. Vielleicht konnte er da ein wenig seine Ruhe haben. Doch von Ruhe war gar nicht zu sprechen. In ihm rasten die Gedanken und sein Körper war wie auf Nadeln. Er war so wütend auf sich selbst. Wäre er ein guter Leader gewesen, wäre Hinata nicht zu Crow übergelaufen. Er hätte es verhindern können, war aber viel zu sehr auf sich selbst und den Kampf gegen die Riots konzentriert gewesen, als dass er seine Mitglieder im Auge behalten hätte. Und er hasste sich dafür. Hinata war immer gut zu ihm gewesen. Immer da, wenn sie gebraucht wurde. Hatte ein ausgesprochen gutes Gespür für ihr Umfeld und andere Menschen. Sie war besonnen und intelligent. Und nicht zu vergessen: Bildhübsch. Naruto hatte ihr langes, glattes Haar und ihre hellen, grossen Augen immer bewundert.

Am Ende des Ganges öffnete sich auf einmal eine Tür – es war die verschlafene Sakura. Sie verschwand bei den Toiletten und kam zwei Minuten später wieder zurück. Da bemerkte sie ihn auf der Fensterbank.

«Naruto? Ich dachte, du schläfst längst.»

Er schüttelte nur den Kopf.

Sakura, wie sie nun einmal war, spürte schnell, dass es ihm nicht besonders gut ging.

«Ist etwas passiert?» Langsam kam sie näher.

«Nein.» Das war selbstverständlich gelogen. Und Sakura war nicht dumm.

«Ich bin nicht blind, Naruto. Was ist los?»

Bei ihr hatte es keinen Zweck. Sie würde hartnäckig bleiben.

Er schwieg für einen Moment, weil er nicht wusste, wie er das sagen sollte.

«Sag mal, Sakura…», er holte tief Luft. «Stimmt es? Stimmt es, dass Hinata mich gemocht hat?»

Sakura schien erst überrascht, doch dann schlich sich ein Lächeln auf ihre Lippen. «Dass du da erst jetzt draufkommst.»

«Was meinst du damit?»

«Jetzt kann ich es dir ja sagen… Hinata war seit ihrer Schulzeit in dich verliebt. Das hat vermutlich schon bei ihrer Aufnahme in die Gang begonnen. Und sie war nicht nur verliebt, sie hat dich geliebt. Und war immer viel zu schüchtern.»

Das von Sakura zu hören, war noch einmal anders. All die Jahre also? Und er hatte es nie bemerkt? Wie hatte das passieren können?

Er vergrub das Gesicht in den Händen. «Meine Fresse. Und ich hab’s nicht geschnallt…»

«Hast du mir noch mehr zu erzählen?», fragte sie und er nickte. Es war Zeit, ihr von seinen nächtlichen Ausflügen zu berichten.

Was Naruto ihr erzählte, überraschte sie. Keine Frage. Aber wundern? Nein. Naruto hielt sich selber in diesem Augenblick für den schlechtesten Gang-Leader auf Erden. Doch welcher Leader setzte schon alles daran, ein entlaufenes Mitglied wieder zurückzuholen? Welcher Leader wartete ernsthaft Abende lang in einer Seitenstrasse, in der Hoffnung, dieses entlaufene Mitglied würde auftauchen? Sein Verständnis von Leadership beeindruckte sie jede mal aufs Neue. Und was tat er? Er putzte sich runter, weil Hinata ihm die kalte Schulter gezeigt hatte.

Und genau so sagte sie ihm das auch.

«Ich weiss nicht, Sakura. In meiner Amtszeit habe ich nicht mehr erreicht, als dass zahlreiche Mitglieder gestorben sind, die Kuramas kurz vor ihrer Auflösung standen und nun, dass mir eine so bescheuerte Gang wie die Riots ein wichtiges Inner-Mitglied abwirbt. Das ist nicht gerade eine tolle Liste an Errungenschaften, wenn du mich fragst.»

«Für äussere Umstände kannst du nichts, Naruto. Das wäre jedem anderen Leader auch so gegangen. Eine solche Herausforderung hat noch kein Anführer vorher bewältigen müssen und ich finde, du machst deine Sache hervorragend.»

Er antwortete darauf nichts. Sein verbissener Blick sagte jedoch alles – er sah das anders. Wie immer war er viel zu streng mit sich selber.

Unwillkürlich stellte sie sich die Frage, ob es Sasuke manchmal auch so ging. Er hinterfragte sich selber nie so offen, meistens wirkte er, als hätte er alles im Griff. Was hinter seiner Fassade abging, war immer schwierig zu sagen. Naruto äusserte sich wenigstens dazu, auch wenn es nur ihr gegenüber war.

«Hinatas Absprung nagt an uns allen, Naruto. Für mich ist es auch schwer… sie war eine meiner besten Freundinnen. Aber du darfst dir das nicht zu Kopf steigen lassen. Wir haben alle unseren eigenen Kopf und treffen unsere eigenen Entscheidungen. So auch Hina.»

Er nickte. «Ich frage mich nur, ob ich etwas hätte ändern können, wenn ich nicht so blind gewesen wäre…»

«Hättest du denn etwas anders gemacht, wenn du es gewusst hättest?»

Wieder Stille. «Ganz ehrlich? Ich weiss es nicht. Ich habe mir in den letzten Jahren wenige Gedanken um Frauen gemacht… hab halt irgendwie mein Job als Leader gelebt. Und ich habe es gern gemacht. Die Gemeinschaft in der Gang reichte mir und Frauen hätten das vermutlich nur verkompliziert. Aber ich habe so auch keine Rücksicht auf sie genommen. Hätte ich Bescheid gewusst, wäre es vielleicht anders gewesen. Ich habe mir das wirklich nie überlegt…»

«So war es nun mal aber nicht. Deshalb müssen wir die Situation jetzt nehmen, wie sie ist. Was bringt es uns zu wissen, dass du eventuell in der Vergangenheit etwas anders gemacht hättest? Und woher wollen wir überhaupt wissen, aus welchen Beweggründen sie zu den Riots übergelaufen ist? Vielleicht hatte das ja nichts mit dir zu tun?»

«Und vielleicht doch.» Er seufzte. «Aber du hast schon recht, Wahrscheinlichkeiten bringen uns auch nicht weiter.»

«Glaubst du, dass sie nur wegen Crow übergelaufen ist?»

Er zuckte mit den Schultern. «Möglich wäre es. Wenn sie in ihn verknallt ist…»

Seine Stimme wurde gegen Ende dieses Satzes leiser. Genau wegen dieser Verknalltheit in Crow machte er sich Vorwürfe.

«Du hast selber gesagt, dass für dich einige Dinge nicht aufgehen, was Hinatas Wechsel betrifft. Hat nicht Crow zum Beispiel geglaubt, sie sei eine Outer?»

«Ja. Jedenfalls hat es so geklungen.»

«Und warum hat sie den Riots unser Standort noch nicht verraten?»

Naruto schüttelte den Kopf. «Ich nehme dir ja nur ungern diese Hoffnung, aber ich glaube nicht, dass das etwas beweist. Vielleicht hat sie sich als Outer ausgegeben, um ihnen nicht zu viel verraten zu müssen. Kann ja sein, dass ihr trotzdem noch ein wenig etwas an uns liegt und sie trotzdem Vollmitglied bei den Riots ist. Sie wird ihnen irgendwelche gute Lügen aufgetischt haben.»

«Sie lügt die Riots also an, oder? Für mich klingt das, als ob sie den Riots gegenüber doch nicht so loyal ist, wie sie uns glauben machen will.»

«Und selbst wenn, Sakura, was wären ihre Beweggründe?»

«Kann ich dir auch nicht sagen. Aber irgendwas ist doch faul.» Sie dachte nach. «Du hast gesagt, sie habe sich bei dir entschuldigt. Ein Funken Sympathie für die Kuramas muss noch da sein, sonst hätte sie das nicht getan, Naruto.»

Er war nahe dran, aufzugeben und das musste sie um jeden Preis verhindern. Wenn Naruto etwas aufgab, dann waren sie an einem tiefen Punkt angelangt.

«Vielleicht wird sie ja dazu gezwungen? Erpresst, was weiss ich?», stellte sie eine Vermutung in den Raum.

«Hast du gesehen, wie sie sich vor Crow gestellt hat, als ich ihn abknallen wollte? Sie hat sich unaufgefordert vor ihn geworfen, mit dem Risiko, eine Kugel für ihn abzufangen.»

Da hatte er allerdings recht. «Sie wirkt allgemein nicht wirklich so, als wäre sie ungern bei den Riots. Laut Berichten ist sie ja ziemlich eng mit Crow.»

«Und deshalb fällt es mir schwer, noch an diese Möglichkeit zu glauben», sagte er und richtet seinen Blick wieder zum Fenster hinaus.

«Kopf hoch.» Sie legte ihm einen Arm um die Schulter. «Wir schaffen das alles. Irgendwie haben wir noch alles hinbekommen.»

Doch sie sah die Traurigkeit in seinen Augen. Was heute Abend geschehen war, hatte ihn erschüttert. Es lag nicht gerade eine einfache Zeit hinter ihm und die Zukunft sah auch nicht viel rosiger aus. Hinatas Bruch mit den Kuramas drang langsam aber sicher bis zu seinem Herz durch. Er wusste nicht, was er denken sollte und wusste nicht mehr, wie er zu Hinata stand. Sie sah die Verwirrung seinem Gesicht an. Und was sie noch viel deutlicher sah, war Reue.

Es zerriss ihr beinahe das Herz. In ihm war etwas passiert. Ob das gut oder schlecht war, konnte sie noch nicht sagen.

 

Suigetsu und Karin liessen täglich von sich hören. Mal waren die Infos hilfreicher, mal weniger. Doch es half, ein besseres Bild von der inneren Organisation der Riots zu erhalten. Tatsächlich kristallisierte sich vor allem eines heraus: Crow war ein Geheimniskrämer, selbst gegenüber seinen eigenen Leuten. Es schien, als wüsste die Obrigkeit alles und die Untergeordneten folgten, ohne etwas zu hinterfragen. Selbst nach dem Zwischenfall im East, schien wenig Misstrauen zu herrschen, obwohl Crow für seine Zwecke Leben aufs Spiel gesetzt und Leben geopfert hatte. Niemand stellte ihn in Frage. Er war ein Paradebeispiel für einen charismatischen Leader. Die Riots frassen ihm regelrecht aus der Hand.

Was aber noch anstand, war der Polizeibesuch in Tomcats Villa.

Und zwei Tage nach ihrem nächtlichen Gespräch mit Naruto, war es soweit. Die Polizei rückte aus – ohne die Begleitung von Gangs natürlich.

Das führte zum Unvermeidlichen: In der Uni tigerten zwei ruhelose Gang-Leader herum, die nichts mit sich anzufangen wussten. Sakura wurde es irgendwann zu bunt, als Sasuke ständig neben ihr auf dem Sofa hin- und her rutschte und sie doch nur in Ruhe ihr Buch zu Ende lesen wollte. Ja, sie war auch nervös, aber was brachte es denn, hier so eine Unruhe zu verbreiten? Also schickte sie ihn zum trainieren, was er erstaunlicherweise ohne den geringsten Widerwillen tat.

Sie konnten jetzt nicht mehr als Daumen drücken.

 

Hatake hatte eigenhändig die Klingel an dem schmiedeisernen Tor bedient, welches die stattliche Villa der Murakamis von der Strasse trennte. In der Gegensprechanlage ertönte eine ruhige Stimme, die vermutlich jemandem vom Hauspersonal gehörte. Der Polizei öffnete er ohne zu zögern, dabei hatte Hatake noch nicht einmal den Durchsuchungsbefehl erwähnt.

An der Villa wurden sie von einem schick angezogenen Mann erwartet, der vermutlich so etwas wie ein Butler war. Er begrüsste sie höflich und Hatake hielt ihm ebenso höflich den Durchsuchungsbefehl unter die Nase. Der Mann wirkte ziemlich vor den Kopf gestossen und meinte stotternd, dass er zuerst den Hausherrn kontaktieren müsse.

«Wir haben einen Durchsuchungsbefehl. Da kann auch ihr Hausherr nichts daran ändern. Und deshalb werden wir sofort beginnen, sie können sich in der Zwischenzeit mit ihm in Verbindung setzen.»

Die Durchsuchung begann. Hatake und seine Leute staunten nicht schlecht über die prunkvolle Eingangshalle, die schmucken Räume mit pompöser Deckenbeleuchtung, die teuren Möbel und überdimensionalen Fenstern. Das Bankgeschäft war ein lukratives Geschäft. Vor allem wenn man bedachte, dass Shoto Murakami noch mehr solche Häuser in aller Welt besass. Hier war also dieser verdächtige Yohei Murakami aufgewachsen. Sich in diesen Räumlichkeiten ein spielendes, lachendes Kind vorzustellen, war ein Ding der Unmöglichkeit. So teuer die Einrichtung der Villa auch war, sie hatte nichts Warmes.

Fast drei Stunden untersuchten sie die Räume – und fanden zu ihrer grossen Ernüchterung nichts. Nicht der kleinste Hinweis auf den Verbleib von Gangs.

Der Butler hatte inzwischen seinen aufgebrachten Hausherrn am Telefon beruhigt – anscheinend hielt sich dieser gerade irgendwo in Hongkong auf – und stand nun betreten in der Nähe. Die Durchsuchungsaktion hatte auch anderes Hauspersonal aufgescheucht.

«Gibt es auf dem Gelände noch andere Gebäude?», fragte Hatake und er sah, wie der Butler für eine Millisekunde seinen Gesichtsausdruck veränderte und sich gleich wieder fasste. Er schien gehofft zu haben, dieser Frage aus dem Weg gehen zu können.

Nach einer kurzen Pause sagte er: «Ja. In dem kleinen Waldstück im Park gibt es ein Gästehaus. Es ist aber seit längerer Zeit unbenutzt.»

Na das war doch einmal eine Info. Unbenutzt klang gut. Während also die eine Hälfte noch das Gelände inspizierte, machte sich die andere direkt auf den Weg zum Gästehaus. Tatsächlich hatte Murakami in einem Park ein ganzes Waldstück – nicht schlecht.

Das Gästehaus war übrigens sehr viel grösser als das Haus eines normal sterblichen Bürgers.

Der Butler schloss die Tür auf und liess die Polizei gewähren. Auf den ersten Blick war an dem Gästehaus nichts Auffälliges zu entdecken – bis auf die Tatsache, dass es eine Miniversion der Villa von nebenan war. Wobei «Mini» auch nicht wirklich stimmte.

Das erste, was ihnen auffiel war, dass die Küche sowie drei der vier Schlafräume in letzter Zeit benutzt worden waren.

«Hat die Familie Murakami in letzter Zeit Gäste empfangen?», fragte Hatake, kannte die Antwort jedoch bereits.

«Nun, der junge Herr empfängt hier an den Wochenenden immer mal wieder Freunde.» Der Butler wirkte selber überrascht über die offensichtliche Unordnung in gleich mehreren Zimmern. «Normalerweise informiert er danach aber das Hauspersonal, damit sie aufräumen.»

Hatake legte zufrieden den Kopf schief. «Dann könnten wir hier fündig werden.»

Und tatsächlich waren sie auf eine Goldgrube gestossen. Im Keller des Hauses fanden sie zehn Holzkisten mit Waffen, von Gewehren über Pistolen, bis hin zu Messern war alles vorhanden. Einen Raum weiter war Sprengstoff untergebracht, gut verpackt und getarnt wie die Waffen, in verschliessbaren Apfelkisten. Der sichtlich verstörte Butler informierte sie, dass es im Park zehn Apfelbäume gab, deren Früchte immer hier im Gästehaus gelagert wurden. Er tupfte sich gehetzt die Schweissperlen von der Stirn.

Weiter fanden sie allerlei Indizien für den Aufenthalt von Gangs; ein mit Alkohol gefüllter Kühlschrank, volle Aschenbecher auf den Balkonen der Schlafräume, herumliegende Chipstüten. Natürlich konnte das auch einfach von einem Partyvolk herstammen, die Waffen und der Sprengstoff liessen daran aber erhebliche Zweifel.

Im grossräumigen Esszimmer, so vermuteten Hatake und Sarutobi, wurden Besprechungen abgehalten. Es war jedoch sauber aufgeräumt und liess keine definitiven Rückschlüsse darauf zu.

«Ich nehme an, Sie wollen den Keller räumen?», meinte der Butler ernüchtert.

«Das sehen Sie absolut richtig.»

 

Die freudige Nachricht verbreitete sich wie ein Lauffeuer an der Universität und auch an jedem anderen Standort. Endlich waren sie wieder auf einen grünen Zweig gestossen. Doch die Mission «Tomcats Villa» war damit noch nicht beendet.

«Der Butler hat uns mitgeteilt, dass er Yohei Murakami schon seit eine Woche nicht mehr gesehen hat. Er hat bis vor drei Monaten noch ein High-Society-College besucht, hat inzwischen aber seinen Abschluss gemacht und ist seither dort ausgezogen. Im Moment lebt er offiziell noch zu Hause, hat aber laut dem Butler viel Zeit im Gästehaus verbracht, da er dort seine Ruhe hat. Laut seinem Vater war es ursprünglich auch sein Plan, an der Uni Wirtschaft zu studieren.» Hatake lehnte sich nach vorne über seine Notizen.

Alle an der Uni Stationierten hatten sich in der Cafeteria versammelt und hingen gespannt an seinen Lippen.

«Jedenfalls werden wir heute Nacht zurückkehren. Ich habe mit Shoto Murakami am Telefon gesprochen. Die Möglichkeit, dass sein Sohn in die Machenschaften der Riots involviert ist, streitet er vehement ab. Ich bin ziemlich sicher, dass Tomcat ihm nichts davon gesagt hat. Er glaubt stattdessen, dass in seinem Personal jemand ist, der den Riots Zugang auf das Gelände gewährt, zumal die Villa selten bewohnt ist und nur das Personal vor Ort ist, um das Haus in Stand zu halten. Nun, wir werden sehen. Wir überwachen von nun an das Gelände, um herauszufinden, was sich in diesem Gästehaus abspielt. Gerne nehme ich zwei Vertretungen der Gangs mit, mehr will ich nicht dabeihaben. Es handelt sich schlussendlich um eine Polizeiaktion. Das Ziel ist es, das Haus zu einem geeigneten Zeitpunkt zu umstellen und möglichst viele Riots in Gewahrsam zu nehmen.»

Natürlich schnellten sofort Narutos und Sasukes Hände in die Höhe, doch Hatake lehnte ab.

«Nein. Die Leader werden hierbleiben – ich brauche jemanden unauffälligeren.» Die Leader waren sichtlich enttäuscht, doch sie verstanden und akzeptierten die Entscheidung.

Schlussendlich meldeten sich Kiba und Shion, das blonde Taka-Mädchen, Taka-Angel.

«Alles klar. Dann brechen wir in zwei Stunden auf.»

 

In den ersten beiden Nächten passierte nichts. Hatake hatte niemanden vom Personal über die Überwachung informiert. Nachdem sie die Waffen und den Sprengstoff aus den Kisten entfernt hatten, hatten sie die Kisten so hingestellt, wie sie gelagert gewesen waren.

Im hinteren Teil des Parks hatte die Polizei ein Loch in der Mauer entdeckt, durch das eine Person passte, wenn sie auf allen Vieren ging. Es war gut von Büschen versteckt und von aussen mit einer Steinplatte verschlossen gewesen.

Natürlich parkten sie nicht direkt davor, aber durch dieses Loch gelangten die Polizisten nach innen. Insgesamt stellen sie innerhalb der Mauern acht bewaffnete Polizisten auf, die sich im Wald oder im Gebüsch versteckt auf die Lauer legten. Dabei waren auch Shion und Kiba, die sich freiwillig für die Überwachung innerhalb der Mauern gemeldet hatten.

Es waren lange Nächte, in denen nichts passierte. Bis Freitag. Freitagnacht tat sich etwas.

Kiba lag wie immer neben Shion auf dem Waldboden, gut versteckt hinter Büschen. Unter dem Gebüsch konnten sie direkt auf den Eingang des Gästehauses sehen. Es war kurz vor Mitternacht, als sich Gestalten durch das Loch in der Mauer auf das Gelände schlichen, die Tür des Hauses aufschlossen und eintraten. Die Fensterläden waren geschlossen, weshalb von aussen nicht sichtbar war, ob Licht gemacht wurde.

Es waren nur drei Personen gewesen, deshalb vermuteten sie, dass noch mehr Leute auftauchen würden. Doch die Nacht zog sich hin und niemand mehr tauchte auf.

Per Funk gab Hatake nach zwei weiteren langen Stunden des Wartens den Befehl zum Zugriff durch.

Es war einfach – die vier Gangmitglieder hatten ihnen nichts entgegenzusetzen. Es waren drei Inners und nach Shions und Kibas Beurteilung Mitglieder von Crows Beraterkreis. Das war ein Spitzenfang, doch eine Tatsache überschattete das Ganze: weder Tomcat noch Crow waren ihnen ins Netz gegangen.

In den folgenden Nächten zogen sie die Überwachung noch weiter, jedoch tauchte niemand mehr am Gästehaus auf. Irgendwann wurde beschlossen, dass nur noch wenige Einheiten für den unwahrscheinlichen Fall einer Rückkehr der beiden am Park stationiert sein sollten.

Hatake wurde das komische Gefühl nicht los, dass Crow und Tomcat auf irgendeine Weise gewarnt worden waren. Vielleicht der Butler. Aber Hatake glaubte nicht an Zufälle.

 

Am Abend zuvor, eine halbe Stunde nach Mitternacht. Tomcat befand sich wie fast jeden Abend im Riot-HQ. Er wartete auf Crow, damit sie für die Besprechung zum Gästehaus gehen konnte und sah sich währenddessen eine Aufzeichnung der Interviews mit der kleinen Kurama an und ärgerte sich bei jedem braven Wort aufs Neue über sie.

«Sag mal, wie oft willst du dir den Müll noch geben?», fragte Cracker, der gerade die Treppe in den Aufenthaltsraum hinunterkam. Er war bereit für den nächtlichen Ausflug.

«Ich versuche nur zu verstehen, was die Leute dazu bewegt, einer dummen kleinen Mädchen Glauben zu schenken.»

Cracker seufzte. «Sie ist unschuldig und passt nicht ins Gang-Schema. Sie kriegt ihr Leben auf die Reihe, ist süss und ehrlich. Das reicht bereits.»

Tomcat reichte das noch nicht, aber es war ihm egal. Sein Handy vibrierte in diesem Moment zum gefühlt hundertsten Mal an diesem Tag und er wusste genau, wer es war. Sein Vater wollte wieder irgendwas von ihm, da war er sich sicher. Deshalb hatte er das Gerät mit Geduld läuten lassen, aber jetzt ging es ihm zu sehr auf die Nerven. Hastig griff er danach.

«Ja?»

«Yohei?» Wie erwartet. Es war sein Erzeuger.

«Mhm», brummte er gelangweilt als Antwort.

«Yohei. Die Polizei war heute an der Residenz in Konoha. Ich habe ihnen zwar gesagt, dass du nichts mit der ganzen Gang-Sache zu tun hast. Trotzdem: Ich traue ihnen nicht, also bleib von zu Hause fern! Nicht, dass du noch in irgendwelche falschen Schlagzeilen involviert wirst!»

«Ich habe nichts mit den Gangs zu tun!», rief er aufgebracht und spielte seine Rolle damit gut genug. Er liebte es, seinen Vater anzulügen. Es erfüllte ihn mit Genugtuung.

«Das hoffe ich doch sehr für dich! Ich will dich nicht noch nichtsnutziger wissen! Es ist schon rufschädigend genug, dass die Polizei überhaupt bei uns aufgetaucht ist. Also mach keinen Scheiss und reiss dich zusammen, die Zukunft unseres Unternehmens steht auf dem Spiel!»

Noch bevor es in der Leitung klickte blaffte er: «Und schau, dass du endlich an die Uni kommst!»

«Danke für das anregende Gespräch, alter Mann», sagte Tomcat mit einem gespielten Lächeln auf den Lippen. «Immer wieder nett mit dir.»

Cracker neben ihm sah ihn entgeistert an, nicht etwa wegen seinem Vater, sondern wegen dessen Botschaft.

«Crow!», rief er laut in den oberen Stock hinauf, während Tomcat schon die Nummer von Rambo wählte.

Crow kam indes die Treppe hinunter, dicht gefolgt von der verschlafen aussehenden Foxy. Um sie herum versammelten sich alle anwesenden Riots.

«Was ist?»

«Wir stecken tief in der Scheisse.»

Tomcat erreichte ihn, doch sie waren zu spät. Die drei befanden sich bereits im Inneren des Gästehauses. Cracker erklärte die Situation umgehend Crow, welcher zwar angespannt aussah, aber sofort den Leader übernahm.

Er liess sich von Tomcat das Handy in die Hand drücken. Crow schaltete blitzschnell in den Leader-Modus und erklärte den drei am anderen Ende der Leitung die Situation.

«Ihr sitzt in der Falle. Das ist Fakt. Und ihr kommt da nicht mehr raus, denn das Gelände ist mit absoluter Sicherheit umstellt. Vermutlich warten sie noch auf den Rest von uns.»

Am anderen Ende der Leitung war es still. Sie hörten aufmerksam zu und beklagten ihre missliche Situation nicht.

«Wenn sie euch verhören, haltet ihr dicht, so wie ihr es in eurem Eid geschworen habt. Früher oder später holen wir euch da entweder raus oder leisten euch Gesellschaft. Kommt darauf an, was die Zukunft für uns bereithält.» Seine Stimme klang wie die eines guten Freundes, der für eine unbestimmte Zeit Abschied nahm.

«Wir wussten, dass sie früher oder später gezieltere Gegenattacken starten. Anscheinend ist es jetzt so weit.»

Die Drei stimmten zu. Crow war stolz. Sie akzeptierten ihr Schicksal und waren fest entschlossen, aus dieser Lage das Beste für die Riots zu machen.

«Wir nehmen das in Kauf. Für einen höheren Zweck», sagte Rambo bestimmt. «Schütze dich selber, Leader. Wir brauchen dich noch.»

Er zweifelte nicht und Crow nickte, auch wenn seine Gesprächspartner das nicht sehen konnten. Crow war stolz auf seine Leute. Sie waren sich der Schlacht bewusst, die um sie herumtobte. Opfer waren nötig, um ans Ziel zu kommen und war ihnen klar.

Crow liess sich aufs Sofa sinken. Die Situation nahm ihn mit, auch wenn er es sich nicht anmerken zu lassen versuchte. Hinata setzte sich neben ihn und hielt seine Hand.

Ein Leader brachte Opfer. Und seine Opfer waren in vollstem Einverständnis mit ihm.

Nun hörte er zu, wie die drei Jungs noch gemeinsam ein Bier öffneten und auf die Riots tranken. Sie im HQ taten es ihnen gleich und erwiesen ihnen diese letzte Ehre. Es war ruhig, die Gespräche bedeutsam.

Und dann hörten sie über den Lautsprecher, wie die Polizei das Gästehaus stürmte.

 

Freude war gar kein Ausdruck für die Stimmung, die in den Standorten der Gang-Polizei-Fraktion herrschte. Ihnen waren drei grosse Fische ins Netz gegangen, wichtige Zahnräder im Herzen der Riots. So wie sie Crow kannten, war er gut darin, zu improvisieren. Deshalb durften sie jetzt nicht das Ziel aus den Augen verlieren. Das hatte auch niemand vor. Hatake plante bereits den nächsten Vorstoss.

«Es ist an der Zeit, das Aussenquartier, in dem sich Karin und Suigetsu aufhalten, zu stürmen. Wir müssen weitermachen und ihnen keine Verschnaufpausen ermöglichen. Irgendwann werden sie erschöpft sein. Heute Abend werde ich euch den Plan dafür verkünden. Ich brauche die Leader und die Vizes in der Zentrale. Jeder, der sonst noch eine gute Idee hat, ist ebenfalls eingeladen.»

Die gefüllte Cafeteria stimmte ihm unter lautem Jubeln zu. Die Motivation war hoch, doch Sakura traute dieser Freude nicht. Die Riots waren starke Gegner und hatten kein Problem damit, über Leichen zu gehen. Sie würden zurückschlagen, sobald sie konnten, da bestanden keine Zweifel. Solange sie Crow nicht hatte, würden die Riots noch lange weitermachen. Denn Tomcat und ihn hatten sie nicht gekriegt. Aus welchen Gründen auch immer sie dem Gästehaus in dieser Nacht ferngeblieben waren, spielte keine Rolle. Nach wie vor gingen die beiden gefährlichsten und unberechenbarsten Riots auf freiem Fuss. Wo waren ihre Schwachstellen? Sie schienen keine zu haben.

Ihre Mission kam jedenfalls ins Rollen. Und schon heute Abend würden sie mehr wissen. Ja, sie befanden sich auf dem aufsteigenden Ast. Nur zu gut war ihr bewusst, dass sich das im Handumdrehen wieder ändern konnte. Aber sie wollte daran glauben: Es würde alles gut werden.

Hätte sie zu diesem Zeitpunkt bereits gewusst, welche schweren Zeiten sie noch erwarteten, wäre sie nicht so zuversichtlich gewesen. Aber im Nachhinein war man immer schlauer.

Ein Schlag zurück

Runch war weitaus weniger intelligent als Crow, Tomcat und Cracker, das war selbst aus einem Kilometer Distanz zu erkennen. Er genosss seine Macht und nutze sie gnadenlos aus. Er war bullig und seine Statur trug zu seinem furchteinflössenden Erscheinungsbild bei.

Karin liess sich im Training anbrüllen und versuchte, ihm sonst aus dem Weg zu gehen. Um ihre Deckung wahren zu können, gab sie im Training nie hundert Prozent und versuchte, einen Lernprozess zu simulieren. Sie zeigte immer nur so viel, dass Runch nicht ein Loch in die Wand schlug vor Wut, aber trotzdem nicht vor Überraschung rückwärts vom Stuhl kippte.

Suigetsu tat es ihm gleich, allerdings ging Runch bei den männlichen Rekruten noch viel härter ins Gericht. Nebst höheren Erwartungen bestrafte Runch gerne psychisch und physisch. Er verkaufte es immer als «Männlichkeitstraining», aber das war ein schlechter Witz. Liegestützen und Klimmzüge, bis der Körper versagte. Suigetsu hatte es schon zweimal erlebt, dabei war er ein wirklich guter Kämpfer. Er hatte damit begonnen, sich nicht mehr allzu sehr zurückzuhalten, was Runch aber nicht besänftigt hatte. Ihm konnte man es gar nicht recht machen.

Karin hatte Hatake mitgeteilt, dass sie das nicht mehr lange mitmachen würden und er hatte sofort mit der Planung des Gegenangriffs begonnen. Sie hatten inzwischen zwei weitere Standorte kennengelernt, die bei diesem Angriff auch unter Beschuss kommen sollten.

Es war einer dieser langweiligen Abende, als Karin sich im Hinterhof des Quartiers eine Zigarette anzündete. Sie war unruhig, weil Suigetsu im Training war. Crow hatte drei Mitglieder verloren und sie im Zuge dessen ersetzt. Runch hatte heute Morgen die Nachricht bekommen, dass er nicht in den engeren Kreis von Crow gewählt worden war und das hatte ihn rasend gemacht. Den ganzen Tag schon war er unerträglich gewesen und hatte seinem Jähzorn freien Lauf gelassen. Inständig hatte sie gehofft, dass jemand von Runchs Schergen das Training leitete, aber so wie es aussah, waren diese Hoffnungen enttäuscht worden. Suigetsu war kein Schwächling, keineswegs, aber er war eine gute Seele. Die Zeit hier unter Runchs Knute setzte ihm zu, auch wenn er es nicht zugab. Sie kannte ihn gut genug, um es ihm anzumerken. Sie konnte den Kerl auch nicht leiden, konnte ihm aber besser aus dem Weg gehen.

Um ehrlich zu sein, viele der Riots waren Karin nicht grundlegend unsympathisch. Sie hatte einige Bekanntschaften mit Leuten gemacht, die sie genauso gut in den Reihen der Kuramas oder Takas vorfinden hätte können. Das Problem war ihre blinde Loyalität. Runchs Gehabe wurde hier als normal angeschaut, sein Gelaber über Männlichkeit zweifelte niemand an. Sie alle glaubten, dass diese Behandlung notwendig war, um aus ihnen fähige Kämpfer zu machen. Und es stimmte ein Stück weit auch – Runch lernte sie das Kämpfen. Nur wurden sie dabei zu rücksichtslosen, brutalen Killermaschinen, die über keine eigene moralische Orientierung verfügten. Was die Höhergestellten sagten, war Gesetz.

Pixie war eine von diesen. Sie genoss einen Sonderstatus, da sie ein langjähriges Mitglied war und bei Crow hoch im Kurs stand. Runch brüllte sie nicht an, fasste sie nicht an und respektierte sie sogar. Wenn man das zarte, elfenhafte Mädchen in Gedanken neben diesen Bullen stellte, konnte man das kaum glauben. Der Leader ihrer Subgruppe, Rifle, war auch ein echt guter Kerl. Er war schweigsam und hatte etwas Mysteriöses an sich, jedoch schien er nicht von der ganzen Gehirnwäsche betroffen zu sein. Er wirkte wie ein selbstdenkendes Wesen. Runch stand zwar über ihm, schien seine Qualitäten aber zu schätzen. Rifle konnte sich wie ein Schatten bewegen, schnell, geschickt und flink, ja, er konnte beinahe mit der Nacht verschmelzen, wenn er wollte. Das hatte sie auf vielen nächtlichen Sondierungsausflügen miterleben dürfen. Karin hätte sich Rifle und Pixie gut in den Reihen der Takas vorstellen können. Sie mochte die Riots als Gang nicht im Geringsten, trotzdem tat es ihr weh, zu wissen, dass die Leben der beiden in Gefahr waren – wegen ihr.

Pixie war erst siebzehn Jahre alt, wie sie hatte erfahren dürfen. Das war viel zu jung, um in einer Gang wie den Riots zu landen. Ja, Gangs wie die Kuramas und Takas fingen Leute auf, die nirgendwo mehr hingehen konnten, aber die Riots instrumentalisierten solche Menschen gnadenlos.

Sie erschrak fürchterlich, als Pixie plötzlich zur Tür hinausstürmte. In ihren Augen stand Panik.

«Toya!»

«Was ist passiert, Pixie?»

«Komm schnell! Es ist Yuma!»

Suigetsu! Sofort spielten sich vor ihrem inneren Auge Horrorszenarien ab. Runch war im Normalzustand unberechenbar, was geschah, wenn er stinksauer war? Er reagierte sich an seinen Leuten ab.

Karin zögerte keine Sekunde und liess sich von Pixie in Richtung des kleinen Krankenzimmers mitziehen. Ihr Herz klopfte. Was war passiert?

Suigetsu lag auf einer der drei kläglichen Pritschen mit dem Gesicht zur Wand. Die Krankenräume waren nicht halb so gut ausgestattet, wie bei den Takas. Schon Suigetus gekrümmte Haltung zeigte, dass er Schmerzen hatte. Neben ihm knieten einige Leute ihrer Subgruppe, unter anderem Rifle, der leise auf ihn einredete.

«Was ist passiert?» Karin kniete sich neben Suigetsu hin.

«Runch», informierte der sonst so schweigsame Rifle. «Er hat sich nicht mehr gespürt. Hat wieder seine Liegestützennummer durchgezogen. Yuma hat einfach Pech gehabt. War in seinem Fokus.»

Suigetsu trug kein Shirt. Selbst im schummrigen Licht des Raumes konnte sie die wüsten geröteten Wunden auf seiner Brust und seinem Bauch sehen.

«Woher kommen die Wunden?», fragte sie. Blosse Liegestützen machten keine Wunden.

Die anderen wirkten verstört, als könnten sie es kaum glauben. «Woher kommen sie?!»

«Kerzen. Runch hat ihn so lange Liegestützen über brennenden Kerzen machen lassen, bis er keine Kraft mehr hatte. Daher die Verbrennungen.» Rifle blickte zu Boden.

Pixie streichelte Suigetsu durch das verschwitzte Haar.

Karin schüttelte ungläubig den Kopf. «Warum tut ihr nichts? Warum macht ihr nichts gegen diesen Tyrannen? Heute war es Yuma, morgen wird’s vielleicht einer von euch sein. Runch ist unberechenbar, ihr solltet euch wehren!» Die anderen schwiegen betreten, Rifle kam mit Verbänden daher. Er strich sorgfältig Verbrennungssalbe auf die Wunden und Suigetsu unterdrückte ein Stöhnen. Rifle nahm sich Zeit, saubere Verbände zu machen, danach verschwanden bis auf Karin alle aus dem Raum, um ihm Ruhe zu lassen.

Karin schaltete das Licht aus. Suigetsu atmete nun ruhig. Die Wunden würden heilen. Aber so konnte das nicht weitergehen.

«Du hättest dich gewehrt, wenn du nicht Undercover gewesen wärst, was?», fragte sie leise. Er nickte mit geschlossenen Augen.

«Du bist echt ein harter Brocken, Yuma Suzuki.»

«Hatte keine Wahl», flüsterte er. «Entweder hätte er mich gekillt oder wir wären aufgeflogen. So ein paar Brandwunden sind nichts. Hab schon schlimmeres erlebt.» Suigetsu spielte den Starken, aber sie sah seinen Augen an, wie sehr in dieses Erlebnis erschüttert hatte. Wer konnte es ihm schon verübeln?

«Wir müssen hier raus. So sind uns die Hände gebunden. Ich will nicht noch mehr riskieren.»

Suigetsu öffnete die Augen und fixierte sie mit einem stechenden Blick. «Runch hat einen verdammten Dachschaden. Viele von denen sind echt in Ordnung. Wir müssen so viele wie möglich retten. Denk nur mal an Pixie. Schon nur wegen ihnen müssen wir diese Gang zerschlagen. Sie sind Gefangene in diesem ganzen Spiel und wissen es nicht einmal.»

«Sehe ich genauso. Es wird Zeit. Auch um ihretwillen.» Sie seufzte. «Pixie war übrigens ganz durcheinander, hatte richtig Angst um dich», bemerkte Karin mit einem leisen Lächeln auf den Lippen.

«Hat sie das?»

«Mhm. Und wie.»

«Ich habe diesen Effekt auf Frauen. Alle lieben mich.» Er schloss zufrieden die Augen.

Karin versetzte ihm einen sanften Klaps an die Schulter. «Ich lass dich jetzt schlafen, ja?»

«Alles klar, Sniper. Aber nimm dich vor dem Durchgeknallten in Acht.»

Als Karin die Tür zum Krankenzimmer hinter ihr schloss, bemerkte sie Pixie im Halbdunkeln des Ganges. Sie stand an die Wand gelehnt gegenüber dem Zimmer und wirkte immer noch ängstlich.

«Wie geht es ihm?»

«Er wird wieder. Hatte schon wieder ein paar lockere Sprüche auf den Lippen», sagte sie so beruhigend wie möglich,

«Tut mir leid, dass ihr das erleben müsst», murmelte sie. «So etwas hat er noch nie gemacht. Bis jetzt ist er einfach streng gewesen, aber niemals so brutal…»

«Was er macht war auch vorher nicht normal, Pixie. Warum sagst du Crow nichts davon? Ich meine, Crow ist derjenige, der diesen Spinner aus dem Verkehr ziehen kann.»

Sie schaute betreten zu Boden. «Runch produziert fähige Kämpfer. Durschlagkräftige Kämpfer. Ich weiss nicht, ob das hier bereits reicht.»

Karin verstand. «Du meinst, er würde ihn vielleicht zurechtweisen, aber niemals rausnehmen. Und dann würdest du darunter leiden, ihn verpetzt zu haben.»

Sie nickte. Karin hegte viel Mitgefühl für Pixie, auch wenn sie normalerweise nicht gerade gefühlsduselig war. Aber dieses Mädchen hatte keinen Ort, wo sie hingehen konnte und die Riots gaben ihr etwas wie eine Familie. Auch wenn diese Definition von Familie keinesfalls der von Karin entsprach. Hätte sie die Möglichkeit, würde sie Pixie sofort zu den Takas einladen.

«Yuma ist ein lieber Mensch», murmelte sie. «Ganz anders als die anderen Leute, die man auf der Strasse antrifft. Bei seiner Vergangenheit hätte ich das nicht gedacht.»

Karin musste schmunzeln. Suigetsu hatte oft Zeit mit ihr verbracht und ihr sogar einige Kampf-Tricks gezeigt. Er nannte sie nie Pixe – immer nur Anju.

Karin legte ihr sanft die Hand auf die Schulter. «Ich weiss.»

 

Die Nachrichten aus dem Riots-Quartier erschütterten die Gangs und die Polizei. Vieles trauten sie den Riots zu, aber eine solch perverse Art von psychischer und physischer Misshandlung. Karin hatte beteuert, dass nur Runch und sein Gefolge bisher solche Verhaltensweisen gezeigt hatten, doch das machte es nicht besser.

Runch misshandelte seine Leute. Crow war grössenwahnsinnig. Tomcat beängstigte mit seinen obsessiven Zügen und seiner Unberechenbarkeit. Sakura war sich sicher, dass es in den Reihen der Riots noch viele weitere Diagnosen zu stellen gäbe. Karin und Suigetsu mussten da raus. Sie hatten genug nützliche Infos gesammelt.

Die anderen sahen das ähnlich und deshalb liefen die Vorbereitungen auf Hochtouren. Sasuke bekam sie in dieser Zeit noch weniger zu Gesicht, bei Naruto war es dasselbe. Sie hatte seit dem nächtlichen Gespräch mit dem Kurama-Leader kaum mehr ein Wort mit ihm gewechselt.

Der Tag, der alles entscheiden konnte, rückte in bedrohlichem Tempo näher. Sakura besuchte für eine Woche Tsunade zu Hause, da sie sich an der Uni immerzu überflüssig fühlte. Im Hinblick auf das, was kam, genoss sie die Zeit mit ihrer Tante noch mehr als sonst. Wer wusste schon, was dieses Battle mit sich bringen würde? Sie alle begaben sich unweigerlich mitten in das Schussfeld der Riots und mit Verlusten rechnete man, auch wenn es niemand aussprechen wollte. Ihre Gegner waren verdammt stark. Viel zu stark, wenn man es sich genau überlegte. In einem abendlichen Gespräch hatte Sasuke etwas ziemlich Passendes gesagt: «Crow kann mit seiner Cleverness, seiner Rücksichtlosigkeit und seinen Leuten zwei Gangs und die Polizei in Schach halten. Stell dir mal vor, Crow wäre in der Politik unterwegs – der Typ würde die Welt verändern. Vielleicht nicht zum Guten, aber er würde alles aufmischen.»

Sasuke hatte den Nagel auf den Kopf getroffen. Crows Fachgebiet war Charisma. Und damit konnte er fast alles erreichen. Überzeugen, Sympathie wecken und allem voran manipulieren.

Sie mussten ihn aufhalten, daran zweifelte niemand. Crow stellte sich selber als Rächer der Gangs dar, doch in den Reihen der Kuramas und Takas kaufte ihm das niemand ab. Sie wussten, dass die Ungerechtigkeit in ihrer Gesellschaft weitaus komplexer verwurzelt war, als dass man sie mit einer Revolte ersticken könnte. Die Riots erzeugten auf eine andere Art Ungerechtigkeit. Auf eine Art spürte sie das Bedürfnis nach Genugtuung, unter den Takas sowie den Kuramas, doch waren sie längst nicht auf einer Ebene mit Crow. Sie hatten einen moralischen Kompass, der ihnen den richtigen Weg wies.

Und nun war es soweit. Es war die Nacht vor dem grossen Tag. Sasuke war bis in die späten Abendstunden mit Vorbereitungen beschäftigt. Sakura hatte heute eine Lagebesprechung mit Sanae und den anderen von ihrer Einheit gehabt. Am Morgen hatte Kakashi sie in den Plan eingeführt. Kein ausgeklügeltes Manöver, sondern eine Art Razzia. Sie würden gleichzeitig in drei der bekannten Standorte eindringen. Karin und Suigetsu hatten ihnen Beschreibungen und Pläne der Gebäude sowie Infos über die Quartier-Chefs und anderen wichtigen Personen zukommen lassen. Der schwierigste Standort würde jener im North sein, Karins und Suigetsus «zu Hause». Von allen dreien beherbergte er die stärksten Kämpfer. Kein Wunder, bei diesem geistesgestörten Quartier-Boss.

Sie waren als eine der Sanitätseinheiten bei eben diesem Standort eingeteilt worden. Gemeinsam hatten sie den Lageplan und ihren zugewiesenen Aufenthaltsort studiert. Das war aber keine allzu lange Sache gewesen, denn die Sanitätseinheiten mussten weitaus weniger strategisch vorgehen als die Kampfeinheiten.

Wie jeden Abend lag sie nun auf ihrer Pritsche, eingehüllt in ihren Schlafsack. Es war kein Vergleich zu ihrem Bett, dass sie nun doch etwas vermisste. Die ganze letzte Woche hatte sie zu Hause, in ihrem Zimmer verbracht. Ihr Zimmer war ihre Höhle, ihr Schutz vor der Aussenwelt. Dort fühlte sie sich geborgen und sicher, es war der Ort, an den sie immer wieder zurückkehrte. Ihr Leben hatte sich im letzten Jahr um hundertachtzig Grad gedreht, vom College-Mädchen, dass nebenbei auch noch in einer Gang war zu einer waschechten Gang-Sanitäterin mitten im grössten Bandenkrieg der Geschichte Konohas. Von einer treuen Kurama zur Freundin des Taka-Bosses. Noch vor einem Jahr hatten sie sich gegenseitig die Köpfe eingeschlagen, nun arbeiteten die beiden Gangs zusammen gegen die Riots. Und das auch noch mit der Polizei. Wenn sie nicht dabei gewesen wäre, hätte sie es selber nicht für möglich gehalten.

Sakura war aufgeregt, doch irgendwie wollte der Ernst der Lage nicht wirklich zu ihr durchdringen. Vermutlich war es das Adrenalin. Dabei war ihr bestens bewusst, dass sich ihre Hoffnung schon morgen zu Wut und Trauer wandeln konnte. Angst hatte sie, ja. Aber nicht im erwarteten Masse. Vielleicht, weil sie endlich etwas tun konnten. Denn ihre Situation entwickelte sich zum schlechteren, wenn sie nichts taten.

Es war gegen halb Zwölf als Sasuke den kleinen Hörsaal betrat. Sakura drehte sich zu ihm um und als er ihre Bewegung wahrnahm, schaltete er das Licht an.

«Sorry, hab leider keine Nachtschicht.»

Sie schmunzelte nur und setzte sich mit leicht zusammengekniffenen Augen auf. Seine Haare waren noch feucht von der Dusche und in den Händen hielt er seine Zahnbürste und einige benutzte Kleider, die er achtlos ins eine Tasche schmiss. Chaotisch wie immer.

Er schaltete das Licht wieder aus und setzte sich neben sie. Er wirkte, als wolle er etwas sagen, wusste aber nicht wie.

«Alles vorbereitet?», fragte sie vorsichtig.

«Ja. Wir sind bereit.» Er fuhr sich mit der Hand durchs Haar. «Hör mal, Sakura...»

«Ja?»

«Wegen morgen. Ich weiss, du willst dabei sein. Und wir brauchen dich auch, keine Frage. Aber…»

Sie legte den Kopf schief. «Aber?»

«Tu mir einen Gefallen, okay?»

«Und der wäre?»

«Bleib bei deiner Einheit. Geh nicht zu weit weg. Mach nichts Riskantes. Ich weiss nicht, wie Crow auf diese Attacke reagieren wird, aber er ist unberechenbar. Schau zu, dass du nie alleine bist… wer weiss schon, ob nicht plötzlich Tomcat auftaucht.»

Bei dem Namen erschauderte sie.

«Die Cops haben nichts aus diesen Bastarden rausbekommen, die sie vor einer Woche dingfest gemacht haben. Die schweigen eisern. Ich weiss also nicht im Geringsten, was die alle im Schilde führen und Tomcat scheint ja noch undurchsichtiger als alle anderen zu sein. Jedenfalls meint das Karin.»

«Ich werde aufpassen», versprach sie.

«Du musst aufpassen. Von jetzt an kann alles geschehen, Sakura. Ich bin morgen am selben Standort wie du, werde aber nicht bei dir sein. Erstens, weil ich eine Gruppe anführe und zweitens, weil man dich in meiner Nähe vermutet. Big Fox hat Crow mit Hinata schwach gemacht, ich weiss nicht, ob er bei mir Ähnliches plant. Und da würdest du ins Spiel kommen.»

Er schaute sie nicht an, doch die Wut ins einer Stimme sprach für sich. Sie griff nach seiner Hand, die ganz verkrampft war.

«Ich passe auf. Versprochen.»

Er hob den Blick und musterte sie. Im schwachen Licht des Mondes konnte sie seinen Ausdruck nicht sehen.

«Der Typ hat einen Dachschaden, Sakura.»

«Ich weiss nicht, warum er es auf mich abgesehen hat. Vielleicht ja wegen dir?»

«Nein. Tomcat nicht. Tomcat ist besessen. Von dir.»

Sakura schüttelte verständnislos den Kopf. «Ich kann mir nur nicht erklären warum. Ich bin nicht der Typ Frau, der in sein Schema passt.»

Sasuke lachte bitter auf. «Täusche dich da mal nicht. Vielleicht bist du genau das, was er sucht.»

Sakura schwieg. Sie fürchtete sich vor Tomcat, aber auf dieselbe Weise interessierte sie sein Charakter und seine Beweggründe.

«Ich weiss, du hältst nicht viel von dir selber und deinem Aussehen. Aber du liegst falsch, Sakura. Du bist wunderschön und dein Charakter ist etwas, wonach viele suchen. Vielleicht gerade einer wie Tomcat. Aber was auch immer es ist, er wird dich nicht kriegen.»

«Nein, das wird er nicht.» Sasukes Worte und der Ernst, mit dem er sie aussprach, berührten sie.

Er lehnte sich an das Holz-Pult hinter ihm und starrte gegen die Decke. «Morgen kann alles verändern.»

Sie nickte nur. Ja, sie wusste es. Er schien immer noch mit sich selber zu ringen, als mache es ihm Mühe auszusprechen, was er nun sagte.

«Ich liebe dich, Sakura. Ich will dich nicht verlieren.»

Sie drückte seine Hand. «Ich liebe dich auch. Und was soll ich denn sagen? Du bist derjenige, der an der Front sein wird. Ich habe Angst.»

«Ich werde das hinkriegen. Itachi meinte immer, ich sei zäh.»

Das war es also. Sasuke nahm Itachis Namen selten in den Mund. Aber natürlich, das bevorstehende Battle weckte Erinnerungen an vergangenen Winter. An einen schlimmen Winter.

Sakura kniete sich vor ihn hin und legte ihre Hand an sein Gesicht. Sie war ganz erhitzt.

Sanft streichelte sie ihm über die Wange und sein feuchtes Haar. Er roch gut, wie immer.

«Du musst trotzdem aufpassen.» Dieses Mal war sie es, die ihn auf die Stirn küsste, doch ehe sie sich wieder von ihm lösen konnte, hatte er seine Arme um sie geschlungen und zu sich hingezogen. Er drückte sie an sich als könne er sie bei der leisesten Anwandlung von Loslassen für immer verlieren.

Sakura streichelte seinen Nacken und küsse ihn auf die Wange. Sie wollte ihn trösten, ihm den Schmerz nehmen, den Itachis Tod mit sich gebracht hatte. Das war nicht möglich, aber vielleicht konnte sie ihn zumindest etwas lindern. Sein Kopf ruhte auf ihrer Schulter und sie legte ihre Arme sachte um seinen Kopf.

Dunkle Gedanken schlichen sich in ihren Verstand ein. Vielleicht war dieser kostbare Moment ihre letzte Gelegenheit, einander nahe zu sein. Wer wusste schon, was morgen passierte? Ihr ganzer Körper verkrampfte sich bei dem Gedanken. Was würde sie ohne Sasuke tun? Er begab sich mitten ins Gefecht und war in seiner Leader-Funktion mehr als jeder andere eine Zielscheibe. Von allen wollten die Riots ihn und Naruto am meisten tot sehen. Sasuke mochte zäh sein, aber eine Kugel oder ein Messer durchs Herz vermochte den zähsten Mann zu töten. Sie hatte Angst um alle, keine Frage. Aber gerade jetzt traf sie die Erkenntnis, Sasuke morgen verlieren zu können hart.

Ihre Arme schlossen sich enger um ihn. Er wurde stutzig und hob seinen Kopf.

«Alles okay?»

Sie schüttelte den Kopf. «Wie könnte das hier okay sein? Vielleicht sterben wir morgen. Ich finde das nicht okay.»

Sasuke verstand und setzte sich auf. «Du nicht. Versprochen.»

«Darum geht es mir nicht.»

«Ich kriege das hin. Die Riots sind dieses Mal nicht vorbereitet. Keine Zeit für Sprengsätze oder hinterlistige Pläne.»

«Aus dem morgigen Tag kann sich aber ein sehr viel grösserer Kampf entwickeln. Sehr wahrscheinlich sogar, hat Hatake gesagt.»

Er nickte. «Wir können nur unser Bestes geben und hoffen, Sakura.» Sein Ton klang zwar tröstlich, aber auch leicht resignierend. «Crow hat die ganze Stadt durcheinandergebracht.»

«Ich weiss…», flüsterte Sakura. «Und ich finde es zum Kotzen.»

Er lachte leise. «Wer schon nicht?»

«Glaubt er wirklich, dass er damit eine Chance hat?»

«Nun, er hat es ziemlich weit gebracht für jemanden, den man vor einem Jahr noch gar nicht gekannt hat. Ich meine, es hat sich verdammt viel verändert, seit er auf den Plan getreten ist. Die Leute fürchten ihn. Und die beiden grössten Gangs Konohas wurden von ihm und seinen Spielchen beinahe ausgelöscht. Er hat eine Macht, die nicht zu unterschätzen ist. Und tagtäglich schliessen sich ihm Leute an, die sich mit seinen Motiven identifizieren können. Er gibt ihnen Gemeinschaft, einen Sinn und die Aussicht darauf, einer mächtigen Gruppierung anzugehören. Das ist sehr viel mehr, als man es in der Gosse jemals zu träumen wagen würde.»

«Der Rächer aller Unterdrückten oder wie?», murmelte sie.

«Ganz genau. Man bewundert ihn. Und er ist ein manipulatives Genie. Wie sonst könnte man so viele Leute um sich scharen? Er hat definitiv eine Chance. Die Frag ist nur, worin.»

Sakura stand auf, ging zum Fenster und öffnete es. Das nächtliche Konoha lag friedlich da. Jedenfalls machte es den Anschein.

«So eine grosse Stadt. Und eine Gang, die so viel Kontrolle über sie hat?»

Sasuke gesellte sich zu ihr. «Crow muss irgendwo aus dem Untergrund gekommen sein. Er muss Kontakte, Netzwerke haben. Leuten Dinge versprechen. Er riskiert alles.»

Das alles hatte bereits unter der Oberfläche gebrodelt, als sie noch ganz mit dem Konflikt zwischen den Kuramas und Takas beschäftigt gewesen war. Als sie Sasuke heimlich getroffen hatte, als sie um ein Haar mit ihrer Gang gebrochen wäre. Schon damals war im Untergrund ein viel giftigeres Pflänzchen aus der Erde gekeimt, dass nun immense Grösse angenommen hatte.

Sakura lehnte sich gegen ihn und legte ihm den Kopf auf die Schulter. Still blickten sie auf die Lichter der Stadt hinaus und versuchten zu realisieren, welch drastische Wendung ihr Leben genommen hatte und welche Gefahren ihnen bevorstanden.

Doch es wollte nicht so recht zu ihnen durchsickern. Und vielleicht war das auch besser so.

Der Tag brach an und mit ihm die Veränderung. Auf dem Platz vor der Uni standen die Polizei- und Krankenwagen alle bereit und es herrschte ein reges Treiben. Die Mission wurde am Samstagnachmittag durchgeführt, in der Hoffnung, möglichst viele verkaterte Riots anzutreffen. An den Abenden waren diese Chancen eher gering und man hatte beschlossen, dass sich die späteren Nachmittage am Wochenende am besten eigneten.

Sogar Tsunade und Jiraiya waren vor Ort, um ihren Leuten Glück zu wünschen und Mut zuzusprechen.

«Mäuschen…», ihre Tante legte ihr die Hand an die Wange. Die Besorgnis stand ihr ins Gesicht geschrieben. «Ich will eigentlich nicht, dass du das hier machst.»

Die Diskussion hatten sie bereits geführt, als Sakura zu Hause gewesen war. Inzwischen hatte Tsunade ihren Entscheid akzeptiert, schlussendlich war sie erwachsen. Und trotzdem machte sie sich natürlich Sorgen. Sie hatte schon ihre Teilnahme bei den BZs nicht unterstützt. War ja auch das einzig richtige, was eine Tante tun konnte.

«Ich bin nur im Sanitätsteam. Ich werde nicht an vorderster Front sein.»

«Und trotzdem. Pass auf dich auf, ja?» Sie drückte ihr einen Kuss auf die Wange, dann machte sich Sakura auf den Weg zu ihrer Einheit. Es war halb drei Uhr nachtmittags und in einer Stunde startete ihre Mission.

Ihren Freunden Glück gewünscht und sich bis auf Weiteres verabschiedet hatte sie bereits. Von hier aus konnte sie viele von ihnen sehen – Takas und Kuramas. Beinahe wurde sie sentimental, wenn sich die einst verfeindeten Seiten die Hand reichten. Aber ein gemeinsamer Gegner hatte bekanntlich schon öfters Feinde zusammengebracht.

Naruto winkte ihr von Weitem zu und sie winkte zurück. Er hatte nie mehr ein Wort über Hinata verloren. Das Thema war für ihn aber noch nicht abgehakt, da war sie keine Zweifel.

Sakura schwitzte beinahe ein wenig in ihrem Overall du zog die Jacke aus. Die Spätsommersonne gab noch einmal alles. Viel zu schönes Wetter für einen solchen Tag.

«Alles klar bei dir, Sakura?», frage Aoi, die ihre gedankliche Abwesenheit bemerkte.

«Ja, alles klar.» Sie lächelte und begab sich zurück zum Wagen.

«Na dann, alles einsteigen!», rief Sanae.

Die Polizeiwagen, alles Zivilfahrzeuge, verliessen in kleinen Gruppen in Abständen von je fünf Minuten das Gelände. Dasselbe bei den Motorrädern. Hatake hatte genau geplant, wer welche Route nahm, damit sich die Wagen gut verteilten, um keine Aufmerksamkeit zu erregen. Konoha war gross und verfügte über mehr als genug Verkehr, aber Kakashi wollte keine Risiken eingehen. Zudem waren mehrere Kastenwagen darunter, die etwas auffälliger waren.  Sakura lehnte sich zurück und studierte die Karte. Die Krankenwagen würden erst in einer halben Stunde losfahren.

Das Quartier, in dem Karin und Suigetsu waren, lag im östlichen Teil des Norths und war eine alte Fabrik. Das Gebäude würde zur gleichen Zeit von allen Eingängen aus gestürmt werden, genau wie es bei den anderen beiden Standorten der Plan war. Wenn alles glatt lief, würde die Mission schnell erledigt sein. Aber daran zweifelte sie – die Riots hatten es ihnen noch nie leicht gemacht.

 

Sasuke sass im Kastenwagen und trug die kugelsichere Weste. Sie war nicht unbedingt praktisch für schnelle und flinke Bewegungen, aber könnte sein Leben retten. Er schüttelte für sich den Kopf. Wurde er etwa alt? Seit wann brauchte er eine Weste, die ihn schützte? Ja, die Dinge änderten sich. Er hatte ein viel zu grosses Interesse, am Leben zu bleiben, als dass er dieses Teil ausziehen würde. Und das überraschte ihn. Er wollte für einmal nicht so waghalsig sein, wie er es sonst immer war.

Die anderen trugen dieselbe Weste. «KCPD» kurz für Konoha City Police Department, stand in weissen Lettern auf den schwarzen Westen geschrieben. Es war schon ironisch, dass sie in diesem Moment von Gangmitgliedern getragen wurden.

Der Wagen hielt nach zwanzig Minuten in einer Seitenstrasse. Von hier aus waren es etwas noch zwei Minuten Fussmarsch, bis sie das Riot-Quartier erreichten. In seiner Hand ruhte ein Gewehr. Sie wussten, wann sie es anwenden durften und wann nicht. Er wollte es bei keinem von Crows Schergen anwenden. Derzeit konnte er drei Leute nennen, bei denen es ihm aber nichts ausmachen würde: Runch, Tomcat und Crow.

Sarutobi öffnete die Tür des Wagens und spähte hinaus, bevor sie alle nacheinander aus dem Wagen stiegen und sich in die sichtgeschützte Gasse drängten. Sie waren fünfzehn. Sieben Polizisten und acht Takas. Neben ihm standen Deidara und Hidan, die für einmal ernst und bei der Sache waren.

Sarutobi wies sie an, ihm und seinen Leuten zu folgen. Kakashi und Big Fox waren auch an diesem Standort, jedoch in Einheit 1.

So leise wie es ihnen möglich war, durchquerten sie die schmutzigen Seitensträsschen. Die Nachmittagssonne warf einen goldenen Schimmer auf die Hausfassaden und spiegelte im Glas der Fenster wieder. Zumindest in jenen, die nicht ganz trüb und staubig waren. Er spürte das Adrenalin in seinen Adern. Zeit, Sniper und Fangs da rauszuholen.

Sie erreichten den Hintereingang des Gebäudes. Er war unscheinbar, flankiert von überfüllten Mülltonnen. Am Boden lagen Bierdosen und Zigarettenstummel – auf den ersten Blick das einzige Indiz für die Präsenz von Gangs in dieser Gegend.

Sarutobi klärte über Funk ab, ob Einheiten 1 und 3 bereit waren und gab ihnen dann das Zeichen. Sasuke und die anderen liefen rasch los. Die Mülltonnen stanken in der Wärme der Sonne bestialisch. Und als sie alle vor der Tür standen, die von ihren Widersachern trennte, fühlte er Energie in sich aufsteigen. Heute waren sie am längeren Hebel. Die Riots machten sich besser auf etwas gefasst.

Die Tür war verschlossen, aber Sarutobi trat sie ohne Probleme auf. Sie standen nun in dem langen Flur, den Sniper beschrieben hatte. Rasch liefen sie los, wobei immer drei von ihnen in den Mädchen- und den Jungenschlafraum stürmten. Sasuke lief weiter nach vorne, in Richtung des Aufenthaltsraumes. Seine Leute waren da vorne.

Der düstere Flur lichtete sich. Und dann begann das Geschrei. Riots liefen wild durcheinander, wollten sich zu den anderen Ausgängen flüchten, doch weit kamen sie nicht. Die anderen Einheiten waren auch da. Sasuke suchte den Raum nach Runch ab. Nach Snipers Beschreibung stach er direkt ins Auge, wenn man ihn sah. Gross, bullig, böse.

«Der Trainingsraum!», rief Sarutobi und Sasuke verstand. Ihm folgten Deidara und Hidan. Der Trainingsraum lag im Keller, eine Betontreppe seitlich des Aufenthaltsraumes führte in das Untergeschoss hinab.

Sasuke lief, so schnell er konnte. Unten eröffnete sich ihm eine riesige Halle mit Matten, diversen Boxsäcken, Hanteln und Gestellen voll mit Messern, Pistolen und Gewehren. Wie erwartet hatten diejenigen, die sich hier aufhielten, das Geschrei bereits gehört und zu Waffen gegriffen. Sie wurden von einem Kugelhagel begrüsst, doch auch das waren sie vorbereitet gewesen. Links und rechts führten zwei schmale Gänge von der Treppe weg, geradeaus lag die Halle.

Schnell warfen sie sich in diese Gänge und feuerten aus dieser Position heraus zurück. Während die Riots, offensichtlich in Panik, wild durch die Gegend ballerten, schossen die Takas mit mehr Präzision. Sasuke konnte Karin ausmachen, die sich auf den Boden geworfen hatte. In den Augen der Riots, um sich selber zu schützen, doch in Wahrheit nur, um den Takas freie Bahn zu gewähren. So konnten sie unbesorgt ihre Ziele anpeilen.

Runch hatte sich hinter einem stählernen Tisch in Deckung gebracht und feuerte.

«Runch!», rief Sasuke so laut er konnte in Richtung der Halle. «Es hat keinen Zweck!»

Der Kugelhagel wurde langsam schwächer. Ihnen ging die Munition aus.

 

Karin hatte sich selten so gefreut, wie in diesem Moment. Endlich, ihre Leute waren da.

Neben ihr kniete Pixie, kreidebleich. Und als Runch diesen beschissenen Geheimgang unter einer Matte hervorzauberte, hätte sie ihn am liebsten gewürgt. Und er war auch noch der erste, der sich aus dem Staub machte. Karin reagierte blitzschnell. «Pixie, geh mit. Ich halte hier die Stellung.»

Wenn schon jemand entkam, dann bitte Pixie. Karin wollte sie nicht im Gefängnis sehen, sie gehörte einfach nicht dorthin.

«Was wird dann aus dir?», rief sie in dem Lärm aus Gewehrschüssen.

«Ich komme schon zurecht.» Wenn sie nur wüsste. Am liebsten hätte sie ihr die Wahrheit gesagt.

«Nein, Toya, kommt nicht in Frage!» Hinter ihrer Entschlossenheit stand Angst, das stand deutlich in ihren Augen.

«Geh mit! Je mehr rauskommen, desto besser. Und ich bin eine gute Schützin!» Und ganz leise, sodass nur Pixie sie hören konnte, sagte sie: «Ich bin nicht die, die ich zu sein scheine.»

Unverständnis stand in ihren Augen und ehe Pixie es sich versah, packte Rifle sie und zog sie mit in den Geheimgang hinunter. Sie protestierte, doch er verhandelte nicht und verschwand hinter ihr in dem dunklen Loch.

Jetzt musste sie sich entscheiden: Floh sie mit den anderen Riots und fand heraus, wo der Gang hinführte oder schaltete sie den Übriggebliebenen aus, damit Sasuke und die anderen die Verfolgung aufnehmen konnte?

Sie entschied sich für Letzteres, denn ausrichten konnte sie alleine nichts. Sie kannte den Riot und mochte ihn nicht besonders, was es einfacher machte. Ehe er es sich versah, hatte Karin ihn übermannt, drückte ihm seine Arme auf den Rücken und verpasste seinem Gewehr einen Tritt, damit es auch ja ausserhalb seiner Reichweite bleib.

Keine fünf Sekunden später standen Sasuke, Deidara und Hidan neben ihr. Sasuke wies Deidara an, hier zu bleiben und nahm mit Hidan die Verfolgung auf.

Der Riot wehrte sich noch kurz, doch gegen zwei kam er nicht an. An ihnen stürzten fünf weitere Leute vorbei, Takas, Polizisten, sie konnte es nicht sagen.

«Toya, du verdammte Hure!», brüllte der Riot. «Du spielst also auf der anderen Seite!»

«Halt die Klappe», meinte Karin gelassen und drückte seinen Kopf zu Boden, während Blondie ihn festhielt. Deidara grinste sie an. «Schön dich zu sehen, Sniper!»

Sie konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. Selten war sie so froh gewesen, diesen Trottel zu sehen. Bald waren Polizisten die den Riot zu den anderen hinauf führte.

«Brauchen die anderen unsere Hilfe?», fragte Karin einen Polizisten und dieser schüttelte den Kopf. «Eure Hilfe ist oben benötigt. Die Kastenwagen sind unterwegs und da nun ein grosser Teil die Verfolgung von den Flüchtigen aufgenommen hat, können wir euch hier gut gebrauchen.»

Karin freute sich auf den Moment, sich diese bescheuerte Perücke vom Kopf zu ziehen. Ihre rote Mähne war ihr Markenzeichen und sie wollte, dass es alle sahen. Alle Riots mussten sehen, dass dieses Mal sie hintergangen worden waren.

Sie durchquerte die verwüstete Trainingshalle, in der Runch so manches krankes Spiel gespielt hatte, stieg die Treppe hoch und als sie den Aufenthaltsraum betrat, ging ein Raunen durch die fast vierzig gefesselten und zusammengetriebenen Riots. Besonders dann, als sie die Perücke vom Kopf zog und ihre rote Mähne von Haarnetz und Harnadeln befreite. Fluchwörter wurden ihr an den Kopf geschmissen, sie wurde angebrüllt, wie schon lange nicht mehr.

Aber es machte ihr nichts aus. Geduldig liess sie die Meute zetern, winkte den Polizisten ab, die sie zum Schweigen bringen wollten und steckte sich gemächlich eine Zigarette an. Irgendwann klangen die Flüche ab.

«Seid ihr jetzt fertig?», fragte sie selbstgefällig. «Gut. Denn ihr werdet hinter Gittern noch genug zu fluchen haben. Was ihr hier seht, sollte euch bestens vertraut sein. Dreckige Spiele, der Verrat an eigenen Leuten. Klingelt was?»

Sie wartete keine Antworten ab. «Euch ist heute widerfahren, was euer Boss andauernd tut. Nur, dass wir euch am Leben lassen und er nach Belieben Leute umlegt. Ich war lange bei euch im Quartier, viel zu lange. Es war abartig. Runch hat einen fetten Dachschaden, das wisst ihr alle. Und trotzdem schweigt ihr. Crow, euer eigener Boss, missbraucht euch, jagt die Eurigen in die Luft und schreckt vor nichts zurück um seine schrägen, fragwürdigen Ziele zu erreichen. Warum ihr ihm folgt verstehe ich auch nach so langer Zeit unter euch noch nicht. Ihr werdet rekrutiert und dann als Kanonenfutter verwendet, wenn ihr in der Hierarchie nicht hoch genug steht. Wenn euch das Spass macht, dann ja, habt ihr eine gute Entscheidung getroffen. Glückwunsch.» Sie nahm einen Zug von ihrer Zigarette. «Ihr habt ein verdammt bescheuertes Los gezogen und lasst euch von diesem geistesgestörten Anführer manipulieren. Und ich weiss, dass es euch nicht interessiert, aber lasst euch eines gesagt sein: Crow wird nicht siegen. Und wenn er siegen würde, hättet ihr nichts davon gehabt. Ihr wärt für ihn genau gleich unbedeutend geblieben.»

Sie blickte in die Runde, entdeckte sehr viel Wut, Niedergeschlagenheit, aber auch fragende und nachdenkliche Blicke. «So. Das musste einmal gesagt werden. Ich bin fertig. Können wir sie abführen?»

Die Polizisten nickten und begannen damit, Gruppen von Riots hinauszuführen.

Zum ersten Mal seit langer Zeit fühlte sich Karin zwiegespalten. Einerseits wollte sie Runch und seine Lakaien unbedingt hinter Gittern sehen, andererseits waren Pixie und Rifle mit ihnen auf der Flucht. Und diese beiden sollten unbedingt entkommen. So ungern sie es auch zugab, aber sie hatte die naive Hoffnung, dass sich die beiden noch eines besseren besinnen und sich von den Riots abwenden konnten.

«Haben Sie irgendeine Ahnung, wohin die Tunnel führen könnten?», fragte eine Polizistin.

«Nein. Ich wusste nichts von diesen beschissenen Tunneln. Aber Sasuke und die anderen werden es inzwischen rausgefunden haben.»

 

Der Tunnel mündete in einem als Senkloch getarnten Ausgang in einer Seitenstrasse. Eine kurze Leiter führte sie nach oben, wo sie die Abendsonne richtiggehend blendete. Einer der Polizisten verschaffte sich ein Bild ihres Aufenthaltsortes gab umgehend per Funk durch, wo der Tunnel endete, damit die Einheiten in der Umgebung einen Anhaltspunkt hatten.

Ohne zu Zögern liefen Sasuke und Hidan, gefolgt von vier Polizisten weiter. Es handelte sich bei der Seitenstrasse um eine Sackgasse, also gab es nur einen Weg, den die Riots hatten nehmen können. Um die Ecke gebogen, konnte er sie noch sehen. Sie rannten um ihr Leben, doch das durfte nicht gut genug sein. Seine Kondition hatte etwas nachgelassen, das musste er zugeben. Im Gefängnis sitzen und Dinge planen war nicht gerade ein besonders effektives Workout. Aber für diese Verfolgung reichte es.

«Hill Street Richtung East!», brüllte der Cop in sein Funkgerät, als sie auf eine grössere Strasse einbogen. Von Weitem vernahm Sasuke Sirenen – Sarutobi war unterwegs.

Leute stoben auseinander, als sie die Polizei erblickten und verschwanden in sicherer Deckung. Inzwischen waren sie näher an den Riots dran. Weiter vorne kam eine Kreuzung in Sicht und hinter ihnen tauchte ein Polizeiwagen mit heulenden Sirenen auf. Die Riots würden nicht entkommen.

Doch in dem Moment raste in halsbrecherischer Geschwindigkeit ein schwarzer Wagen um die Ecke und hielt neben den Riots.

«Scheisse!», fluchte Sasuke. Ein Polizist neben ihm gab einen Warnschuss ab.

«Die entkommen auch mit einem Auto nicht!», antwortete ein Polizist.

Drei der vier Strassen waren nur mit Polizeiautos versperrt und von der vierten her nahten Sirenen.

«Wollen die eine sinnlose Verfolgungsjagd riskieren?», fragte die Polizistin keuchend.

«Keine Ahnung», antwortete Sasuke schwer atmend. «Bin noch nie schlau aus denen geworden.»

Die Runch, ein Mädchen und drei Typen sprangen in das Auto, welches mit quietschenden Reifen in der noch freien Strasse verschwand. Drei der Riots blieben zurück – wieder einmal erbrachte man Opfer für die Ranghöheren.

Sasuke und seine Gruppe erreichten die Strasse. Sie brauchten nicht mehr zu rennen. Und gerade als er dachte, es könne nichts mehr passieren, geschah es.

Sarutobi war drauf und dran mit seinen Wagen dem Riot-Auto hinterher zu brettern, doch sie wurden erneut gehindert.

Die drei übrigen Riots stellten sich nebeneinander auf die Strasse und zwar in passenden Abständen, sodass keine Autos mehr zwischen oder neben ihnen hindurch passten. Dies, als die Polizeiwagen bereits auf sie zurrasten.

Den Wagen blieb nichts anderes übrig als eine Vollbremsung zu machen, die Zuschauer hielten die Luft an. Es war höllisch knapp, doch die Wagen kamen gerade noch zum Stehen, bevor sie die Riots umfuhren.

Nun handelte Sasukes Gruppe und stürzte sich auf die Riots, zog sie unter gewaltiger Gegenwehr von der Strasse und liess die Wagen endlich die Verfolgung aufnehmen – mit einer verdammt bedeutenden Zeiteinbusse.

Sasuke konnte es nicht verstehen. Die waren bereit, sich überfahren zu lassen, nur damit Runch davonkam? Das war absolut krank. Die Drei konnten von Glück reden, hatten sie es mit der Polizei zu tun. Crow in ihrer Situation hätte nicht gezögert und seine Gegner ohne mit der Wimper zu zucken überfahren lassen.

Er für seinen Teil drückte einen Riot zu Boden. «Ihr habt sie nicht mehr alle», teilte er ihm mit, doch das schien den Typen nicht zu kümmern.

Eine Viertelstunde später kam ein Kastenwagen vorbei, der die Riots aufgabelte. Bis sie Bescheid von Sarutobi bekamen, dauerte es eine ganze Stunde: Runch mit vier Leuten entkommen. Sie hatten das Auto in einem günstigen Moment verlassen, während sich der Fahrer geopfert hatte, um die Polizei möglichst weit weg von seinen Kameraden zu locken. Gekriegt hatten sie das Auto, das war nie in Frage gestanden. Die Mission war geglückt, das Quartier leergeräumt. An ihrem Standort hatte Crow an die vierzig Leute verloren.

Aber der grösste Mistkerl war noch auf freiem Fuss. Und das brachte Sasuke zur Weissglut.

 

Die Mission war erfolgreich gewesen. Bis auf die Vorfälle an Standort 1, dem grössten Standort, hatte es keine unvorhergesehenen Zwischenfälle gegeben. Die Quartiere waren abgeriegelt worden.

Jedoch rechnete man in jedem Moment mit einem Gegenangriff der Riots, da Crow nun zu Handeln gezwungen war. Er hatte eine Einbusse von sechzig Leuten erlitten und das war auch für seine Verhältnisse viel. Ein Polizist berichtete ihr, dass Suigetsu sich mit den Verfolgern auf den Weg gemacht hatte. Auch er war nicht mehr als Spion im Rennen. Besser so. Was heute geschehen war, konnte nur duch Verrat bewerkstelligt werden, das war auch Crow klar. Er wäre in den Reihen der Riots nicht mehr sicher.
 

«Verdammte Verräter!» brüllte Runch als er den Aufenthaltsraum des HQs betrat. Er war verschwitzt und hatte schmutzige Arme, vermutlich von dem ganzen Dreck in dem selten benutzten Geheimtunnel unter dem Quartier.

Crow kam gerade die Treppe aus dem ersten Stock hinunter. Er sah nicht erfreut aus, aber auch keineswegs erschüttert. Sein Blick war wie immer klar und entschlossen. In seinem Wortschatz gab es Verzweiflung nicht.

«Runch, komm unter!», befahl er in scharfem Ton. «Hast du eine Ahnung, wer dafür verantwortlich sein könnte?»

Runch zollte seinem Leader Respekt, doch der Zorn stand im weiterhin ins Gesicht geschrieben. «Irgendwer von den letzten neuen Rekruten. Seit die da sind, passieren komische Dinge.»

«Könnte es nicht auch sein, dass uns die Bullen einfach auf die Schliche gekommen sind?», gab Cracker zu bedenken. «Vielleicht waren wir einfach zu unvorsichtig und die haben Spione.»

Crow nickte nachdenklich. «Könnte sein, jedoch wäre es ein ganz schön grosser Zufall. Zuerst die Festnahmen auf offener Strasse, dann die Falle bei Yoheis Gästehaus und jetzt gleich drei Quartiere auf einmal.»

«Neue Rekruten. Ich kann es mir nicht anders erklären.» Runch beruhigte sich langsam aber sicher ein wenig. «Die drei sind die einzigen Quartiere, die unsere Neuen kennen.»

«Es liegt nahe», meinte Crow. In seinem Kopf arbeitete es. «Die Frage ist jetzt nur noch, ob diese neuen Rekruten noch unter uns weilen?»

«Aus Quartier 2 und 3 sind keine Leute entkommen. Wären die Verräter dort stationiert gewesen, sind sie nun wieder beim Gegner. Sind unter deinen Leuten hier neue, Runch?»

Runch schüttelte den Kopf. «Nein.»

«Gab es neue Rekruten, die heute nicht im Quartier waren?»

Runch schüttelte erneut den Kopf. «Nein, sie waren alle da für eine spezielle Trainingseinheit am Abend.»

Crow stützte sich mit den Händen an der Lehne des Sofas ab. «Wer auch immer Undercover war, sie sind nicht mehr unter uns. Falls jemand von den neuen Rekruten trotzdem wiederauftauchen sollte, wird er oder sie auf der Stelle zu mir gebracht, verstanden?»

Zustimmendes Nicken.

«Obwohl wir Mitglieder und vor allem Rekruten möglichst von allen potenziell gefährlichen Infos isolieren, kann es trotzdem sein, dass sie noch mehr wissen. Es gilt also, aufzupassen und vor allem zu handeln. Wir werden zurückschlagen und zwar sofort. Ihnen mehr Zeit für Nachforschungen zu lassen, wäre ein Witz. Da wir in en Aussenquartieren keine Dokumente, die Rückschlüsse auf unsere Standorte und Vorhaben zulassen, müssen wir uns wenigstens deshalb keine Gedanken machen. Aber es wird zurückgeschlagen.»

Er richtete sich an Cracker. «Mobilisier die Quartier 4, 5 und 6. Alle anderen, macht euch bereit.»

Cracker verschwand auf der Stelle in ihrem Kommandoraum. Er selber machte rechtsumkehrt und verschwand wieder in seinen Räumen –auch für ihn war es an der Zeit, sich bereit zu machen.

In seinem Zimmer traf er auf Hinata, die eine lange, blutende Schnittwunde an Pixies Arm verarztete. Sie hatte sich in der ganzen Eile an einer auseinandergebrochenen Metallröhre verletzt.

«Kommst du zurecht, Pix?», fragte er und sie nickte, doch in ihrem Gesicht stand eine seltsame Angst, eine Verwirrung. Das kannte er von der sonst so sorglosen und fröhlichen Pixie nicht.

«Bin einfach noch ein wenig durcheinander», murmelte sie. «Der Angriff kam so überraschend und…» Sie wollte noch etwas sagen, brach aber mitten im Satz ab.

«Und?», fragte er, während er die Wunde begutachtete.

«Nichts», murmelte sie. «Bin einfach überrumpelt, das ist alles.»

Er drückte ihr sanft die Schulter. «Alles klar. Ruh dich aus, Foxy wird hierbleiben. Wir anderen rücken jetzt aus.»

«Viel Glückt», sagte Pixie. Sie tat ihm leid, sie hatte ein sanftes Gemüt und war auf keinen Fall eine Kriegerin. Er beschloss, sie in Zukunft im HQ wohnen zu lassen.

Hinata war darauf konzentriert, den Verband sauber um Pixies Arm zu legen und hob den Blick nicht, als er den Raum verliess.

«Danke, Foxy», flüsterte Pixie. «Tut mir leid für die Umstände.»

Hinata schenkte ihr ein warmes Lächeln. «Das ist doch selbstverständlich. Ihr habt ganz schön was durchgemacht heute.»

«Sag mal… du warst doch lange bei den Kuramas.»

Hinatas Blick wurde etwas kühler, aber blieb immer noch freundlich. «Ja, das stimmt.»

«Warum bist du dort weg?»

Sie schwieg für einen Moment und antwortete dann: «Da gab es gute Gründe.»

«Waren sie böse zu dir?»

Die Antwort kam schnell. «Nein, nie. Sie waren immer gut zu mir.»

Pixie dachte nach. «Warum bekämpfen wir sie dann, wenn sie eigentlich ganz in Ordnung sind?»

Hinata wusste nicht, warum Pixie das fragte. Und eigentlich spielte es auch keine Rolle.

«Um unser Ziel zu erreichen, für einen Zweck, der auch ihnen zu Gute käme. Sie stellen sich uns in den Weg und das ist der einzige Grund.»

Pixie nickte, doch waren es Crows Worte, die Foxy aussprach. Es war nicht ihre Antwort, sondern seine.

 

Karin was stinksauer. Dieser geisteskranke Runch war tatsächlich entkommen. Um Pixie und Rifle war sie froh, aber Runch? Nein, der sollte in der Hölle schmoren. Neben ihr sass Sasuke, der unruhig ein gefaltetes, zerfleddertes Stück Papier in der Hand drehte. Er wirkte anders, als er normalerweise vor Kämpfen war und sie verstand es. Das hier war grösser als alles, was sie bisher erlebt hatten.

Karin war froh, als ihrem Polizeiwagen über Funk vermittelt wurde, dass es losging – ein Battle. Das Warten hatte ein Ende. Einige Polizeieinheiten waren direkt von Riots attackiert worden. Crow fuhr nun all seine Geschütze auf. Die Riots hatten den Schauplatz DDM ausgewählt und machten den Club einmal mehr zu ihrer Festung. Karins Puls beschleunigte und sie spürte das Adrenalin in ihrem Körper aufsteigen.

Das war ja wie in alten Zeiten.

Partners in Crime

Ohrenbetäubender Lärm erfüllte die nächtlichen Strassen rund um den berüchtigtsten Club der ganzen Stadt. Wo in normalen Zeiten Nachtschwärmer unterwegs waren, tanzten und tranken, tobte ein Kampf wie es ihn schon lange nicht mehr gegeben hatte. Der dröhnende Bass wurde ersetzt durch das Knallen von Gewehrkolben, pfeifendes Surren von Bleikugeln und dem Geschrei der Beteiligten.

Crow hatte sich von den Takas und Kuramas inspirieren lassen, indem sie die leerstehenden Hochhäuser besetzt hatten und nun auch von dort oben feuerten. Mehrere Divisionen der Polizei-Gang-Fraktion waren unterwegs in die Hochhäuser, um den dort stationierten Riots den Gar aus zu machen.

Karin lag bäuchlings auf dem kalten Asphalt einer Seitenstrasse, gut abgeschirmt von einer Reihe von Mülltonnen, die nach Zigaretten rochen. Neben ihr lag Suigetsu und beobachtete das Geschehen durch einen kleinen Spalt zwischen den Tonnen mit Adleraugen. Gemeinsam hatten sie bei Sarutobi den Auftrag gefasst, Runch zu jagen. Sie waren beide sofort Feuer und Flamme für diese Aufgabe gewesen. Besonders Suigetsu hatte noch eine Rechnung mit ihm offen.

«Hättest du jemals gedacht, dass wir einmal hier landen würden?» Karin steckte den Kopf zu  Suigetsu hinüber, da sie ihn über den Lärm hinweg ansonsten nur durch lautes Brüllen verstanden hätte. «Ich meine, heute Nacht könnten wir sie kriegen!»

Suigetsu lächelte. «Schon krass, nicht wahr? Haben wir gut gemacht!»

«Wieder einmal Partners in Crime!», grinste Karin, liess ihre Umgebung jedoch nicht aus den Augen. «Demon sollte uns noch viel mehr als Duo arbeiten lassen, wir haben es echt drauf!»

Die Erleichterung über den guten Ausgang ihrer Undercover-Mission erfüllte sie mit neuer Energie und der Motivation, weiterzukämpfen. Sie waren so verdammt nahe dran. Wenn sie sich an all die gemeinsam erlebten Dinge zurückerinnerten, wurden sie beinahe nostalgisch. Diese ganze Kriegszeit hatte sie näher zusammengeschweisst. Schon immer hatten sie sich gut verstanden, doch diese Mission im Riot-Quartier war das grösste, was sie je gemeinsam gemacht hatten.

«Meinst du, die haben Runch nun in den innersten Kreis gelassen?», fragte Suigetsu mit einem Blick auf den Kellereingang der DDM, etwa zwanzig Meter von ihnen entfernt.

«Crow würde ihn nie in seinen engsten Kreis lassen, aber er wird da drin schon irgendeinen Zweck erfüllen», meinte sie. «Man hat ihn jedenfalls hier gesichtet.»

«Wir finden es nur raus, wenn wir da reinkommen.»

«Der Kellereingang ist schlecht bewacht. Scheint als gingen ihm doch langsam die Leute aus», murmelte sie vor sich hin.

«Ich sehe nur zwei.»

«Gut. Wenn Sarutobis Leute den Eingang stürmen, gehen wir mit rein. Ich kann’s kaum erwarten, diesem Arschloch eins auf die Mütze zu geben», brummte Karin. Sie hatte nicht vor, ihn zu unterschätzen. Aber sie brannte auf Rache.

«Glauben die echt, die DDM wäre ein guter Ort, um sich zu verbarrikadieren? Ich meine, man kann von jeder verdammten Seite reinkommen», murmelte Suigetsu.

«Nee, Hatake hat gesagt, dass das hier bestimmt nicht ihre finale Festung ist. Er ist auch ziemlich sicher, dass sich Crow nicht hier aufhält.»

«Vielleicht ist das ja genau sein Zweck – Ablenkungsmanöver, damit sie Zeit gewinnen. Nachdem er im Quartier ‘versagt’ hat, muss er es möglicherweise hier wieder gut machen. Aber der würde alles tun, damit seine Chancen auf den innersten Kreis steigen. Dabei ist Crow schlau genug, um jemand wie ihn niemals zu nahe an sich ran zu lassen.»

Das Walkie-Talkie meldete sich und Karin hielt es sich ans Ohr.

«Es ist so weit», sagte sie. «Bist du bereit?»

«Klar. Lass uns diesem verdammten Runch zeigen, wer jetzt der Boss ist!»

 

Zur gleichen Zeit, nur wenige Blocks von der DDM entfernt. Seit zwei Stunden hatten Sakura und die Sanitäter alle Hände voll zu tun. Der Krankenwagen stand in einer düsteren Seitengasse und wurde von vier Polizisten bewacht. Haufenweise Verletze wurden zum Wagen gebracht, um vorwiegend Schusswunden behandeln zu lassen. Das schöne daran war, dass bisher niemand in akuter Lebensgefahr war – die schusssicheren Westen waren ein wahrer Segen für sie. Drei Krankenwagen pendelten unaufhörlich zwischen dem City Hospital und den Ambulanz-Stützpunkten hin und her, um die Verletzten aus der Gefahrenzone zu schaffen und Platz für weitere zu machen.

Sakura führte mechanisch die ihr aufgetragenen Arbeiten aus, verband Wunden, setzte Spritzen (Sanae hatte es ihr in der Zeit an der Uni beigebracht) und koordinierte die Abläufe an dem provisorischen Lazarett, damit die Rettungssanitäter ihren Job machen konnten. In ihrem Kopf war kein Platz für die tausend Gedanken und Emotionen, die eine Situation wie diese in ihr auslösen sollte. In der Ferne hörte sie Schüsse, laute Stimmen, Motoren. Es war ein Kampf im Gange, das Leben von ihren Freunden und Verbündeten stand auf dem Spiel.

Jedoch wusste sie, dass sie ihnen am besten helfen konnte, wenn sie hier ihre Arbeit verrichtete. In ihrer Zeit bei den Sanitätern hatte sie einiges lernen können und fühlte sich keineswegs mehr wie ein Klotz am Bein, nein, sie konnte etwas tun und das fühlte sich gut an. Sie wusste nicht, wie viel Zeit verging oder wie viele Verletzte sie behandelte. Sie fiel in einen Rhythmus, blendete ihre Umgebung aus und tat, was sie tun musste.

Irgendwann kamen keine Verletzten mehr zum Wagen und Sakura deutete das als ein gutes Zeichen. Gerade wollte sie sich in den Wagen setzen, um etwas zu verschnaufen, als Sanae hastig mit dem Funkgerät in der Hand nach hinten kam.

«Wir müssen sofort zur DDM!», rief sie. «Anschnallen!». Schnell war sie wieder verschwunden und Sakura kletterte schnell auf ihren Platz auf dem Beifahrersitz. Die digitale Uhr zeigte an, dass seit dem Beginn des Battles mehr als zwei Stunden vergangen waren.

«Was ist passiert?», fragte Sakura. Der finstere Ausdruck in Sanaes Gesicht gefiel ihr nicht. Nein, er löste ungute Gefühle in ihr aus.

Sanae vergewisserte sich, dass ihre Mitfahrer angeschnallt waren und drückte dann aufs Gas. Es eilte.

«Die wollen uns an der DDM. Anscheinend haben sie weit vorrücken können und sind nun dabei, das Gebäude zu stürmen. Für den Fall müssen wir vor Ort sein.»

 

Eine halbe Stunde später. Karin entdeckte in der Ferne Deidara und Hidan, doch dann ging der Kugelhagel los. Sie drückte sich gegen die Wand des düsteren Ganges, der zum Keller führte. Die DDM war ihr nur allzu vertraut, nach all den Stunden, die sie im Stammclub der Gangs verbracht hatte. Zu ihrer Linken befand sich eine Abstellkammer mit Putz-Kram und zu ihrer rechten mündete der Gang in den grossen Hauptraum des Clubs. Sakon und Tayuya waren dabei gewesen, als sie in die DDM eingedrungen waren, jedoch war Letztere wie immer etwas übermütig gewesen. Ein Riot hatte ihr in einem Moment der Unachtsamkeit eine kaputte Glasflasche gegen den Arm geknallt und nun sass sie mit Sakon in der Abstellkammer, der ihr dabei half, die Blutung zu stillen und die Glassplitter zu entfernen. Hatake hatte ihnen aber mitgeteilt, dass eine Sanitätseinheit unterwegs war. Ansonsten hatten sie die drei Wachposten an der Kellertür mit Links überwältigen können, die Polizisten bewachten nun die Eingänge, damit keine Verstärkung für die Riots in das Gebäude eindringen konnte. Die Riots hatten keine Ahnung, was sie tun sollten. Wieder einmal waren sie von ihrem Boss als Ablenkungsmanöver benutzt worden und befanden sich nun in einer mehr oder weniger ausweglosen Situation. Während sie hier waren und so taten, als wären sie tatsächlich abgelenkt, hatten die Polizisten das Gelände rund um die DDM sofort abgesichert. Um allfällige Sprengstoffladungen zu zünden, musste Crow relativ nahe am Geschehen sein.  Zudem waren fünf Sprengstoffexperten mit Polizisten unterwegs, um das Gebäude nach Sprengkörpern abzusuchen. Mit Absicht hatten sie nicht zu viele Einheiten in die DDM hineingeschickt mit der Vermutung, dass Crow mögliche Sprengsätze erst zünden würde, wenn die Anzahl der feindlichen Leute im Club höher war, als die seiner Leute. Schlussendlich musste es sich für ihn lohnen.

Die Sicht war schlecht, nur das schummrige Licht der Barbeleuchtung war an und tauchte alles in einen bläulichen Schimmer, in dem der Rauch und die Schemen von Menschen sichtbar wurden. Ihre Leute waren aufgrund der Weste und der damit eher groben Silhouette leicht von den ungerüsteten Riots zu unterscheiden. Doch all die kleinen Riots interessierten sie nicht – sie suchte nur nach Runch.

Suigetsu hatte für sie den Ohrstöpsel mit Funk übernommen und rüttelte sie nun an der Schulter. «Lichtschalter!», rief er über den Lärm hinweg.

Sie nickte und schaute sich um. Sie brauchten unbedingt mehr Licht. Tatsächlich befand sich gleich um die Ecke ein Lichtschalter, den Karin in einem günstigen Moment betätigte. Sofort schalteten sich die Lichtbahnen an der Decke und die Neonröhren an den Wänden ein. Das war genug Licht, um den Riots den Vorteil der Dunkelheit zu nehmen. Karin wusste in jenem Moment, dass Runch nicht hier war.

«Er könnte oben sein!» Suigetsu wies mit dem Finger gegen die Decke.

Richtig. Die DDM hatte so etwas wie eine Empore, auf der sich Sofas befanden. Man nannte sie auch die «Hook Up Lounge», weil dort oben meistens irgendwelche Leute miteinander rummachten. Runch könnte von dort oben feuern.

Suigetsu gab per Funk durch, dass Karin und er sich nach oben schleichen würden und das die anderen auf jeden Fall auf der Hut von allfälligen Emporen-Schützen sein sollten.

Die Treppe nach oben befand sich vom Haupteingang her auf der rechten Seite des Clubs und somit auch auf ihrer Seite. Von ihrem Seitengang aus waren es nur wenige Meter zum Aufstieg, allerdings mussten sie mit Feuer von oben rechnen.

Für sie bedeutete das, dass sie abwarten mussten, bis die anderen den Raum soweit unter Kontrolle hatten, damit sie ihnen Feuerschutz bieten konnten.

Die Riots hatten keine Chance und hätten besser daran getan, sich zu ergeben. Aber das Treffen von rationalen Entscheidungen war noch nie die Stärke dieser Gang gewesen. Auch wenn im Moment der Kampf vor den Türen der DDM noch im Gange war und sich die Anzahl der feindlichen Einheiten im Club noch in Grenzen hielt, würden sie sich über kurz oder lang ergeben müssen. Oder sterben, je nachdem. Aber sie konnte sich schon vorstellen, was dieser Bastard Crow ihnen eingeimpft hatte. Gebt nicht auf und nutzt jede Gelegenheit, sie zu schwächen. Der Riot-Leader mochte es, mit der Psyche seiner eigenen Leute und der seiner Feinde zu spielen. Er kämpfte immer auf zwei Ebenen und das machte ihn zu einem so verdammt starken Gegner.

Im Augenwinkel vernahm sie Bewegungen in dem düsteren Gang. Zwei Leute mit einem Koffer waren unterwegs und wie Karin richtig vermutete, waren es Sanitäter. Zu ihrer Überraschung war eine der beiden Cherry Blossom.

«Prinzesschen!», sagte sie laut und grinste. An den Lärm im Hintergrund hatte sie sich beinahe gewöhnt. «Schau dich an, vom Schlachtfeldrand direkt in Zentrum des Tornados.»

«Karin, Suigetsu», grüsste Sakura ungerührt. Sie war ziemlich konzentriert, das sah Karin ihr an, weshalb sie nicht auf ihre Sticheleien reagierte. Die Zeit, in der sie Cherry Blossom noch bis aufs Blut gehasst hatte, schien ewig her zu sein. Nein, sie war immer noch kein grosser Fan von ihr, aber das Ganze – oder auch Sasuke – hatte sie hinter sich gelassen. Was zählte war die Zukunft und die galt es jetzt zu retten. Ab und zu ein wenig zu sticheln, liess sie sich aber nicht nehmen.

«Wo ist die Verletzte?», fragte die Sanitäterin bei Sakura.

Karin wies auf die Abstellkammer. Tayuya freute sich nicht besonders über Sakura, jedoch waren die Glassplitter in ihrem Arm heute von grösserer Priorität als ihren Hass auf die Kurama.

Während sich die Sanitäterin den Arm ansah, öffnete Sakura den Koffer.

«Halt mir den Arm, Sakura», wies die Sanitäterin sie an und tat wie geheissen. Kaum hatte Sakura die Hand an Tayuyas Arm gelegt, fauchte diese auf wie eine gereizte Katze.

«Au, pass doch auf du blöde Kuh!» Tayuya zog den Arm weg. Die Sanitäterin war etwas perplex und Karin schon bereit, einzuschreiten, doch es war nicht nötig.

«Jetzt pass mal auf: Entweder du gibst mir sofort deinen verdammten Arm oder wir überlassen dich und deine paar Kratzer ihrem Schicksal!»

Tayuya hatte nicht mit einer solchen Retourkutsche gerechnet. Gerade holte sie Luft für eine gepfefferte Antwort, doch Sakura kam ihr zuvor. «Halt den Rand, Tayuya, und spiel hier nicht das grosse Baby!»

Das sass. Tayuya kochte innerlich vor Wut, doch hielt sie wie gewünscht den Mund. Karin hob anerkennend eine Augenbraue. Auch Sakura hatte sich verändert. Vielleicht hatte sie sie all die Jahre wegen ihrer schüchternen, ruhigen Art unterschätzt. Und vielleicht war sie an dem ganzen Krieg einfach wahnsinnig gewachsen.

«Hast dich ganz schön gemacht, Prinzesschen», sagte Karin. Sakura hob überrascht den Kopf, als sei sie nicht sicher, dass diese Worte von ihr gekommen waren. Dann lächelte sie. «Danke.»

Karin begab sich wieder auf ihren Posten. Inzwischen waren die anderen in den Raum vorgedrungen.

«Wir kriegen gleich das Kommando. Anscheinend ist die Lounge oben leer, keine Schützen mehr.»

Karin nickte und wartete geduldig, bis sie ihre Befehle erhielten. Ihre Hand ruhte am kühlen Metall des Gewehrs in ihrer Hand.

Als es soweit war, stürmten Karin und Suigetsu mit gezogenen Waffen nach oben in die Lounge. Deidara und Hidan folgten ihnen, während die anderen unten die restlichen Gegner in Schach hielten.

Auf der Empore herrschte Chaos, doch ihre Gegner waren verschwunden. Die Sofas standen alle verschoben da, ihre Lehnen und die Wände dahinter waren mit Einschusslöchern verziert worden. Teuchi, der Betreiber, würde sich garantiert freuen. Am anderen Ende der Lounge befand sich eine Tür, von der Karin nicht wusste, wohin sie führte.

«Die Tür», rief sie den anderen zu. Mit einem flinken, kräftigen Tritt stiess Hidan die Tür auf und ging wie seine Kameraden an der Wand in Deckung. Keine Kugeln, keine Leute, die rauskamen. Vorsichtig linsten sie um die Ecke. Der Gang war nur kurz und gab den Blick auf eine Treppe frei, die auf das Dach führen musste.

Die Treppe war nur kurz und führte wiederum zu einer Tür.

«Macht euch auf was gefasst», meinte Hidan. Er war die Ruhe selbst. Wenn sie sich und ihre Freunde so anschaute, musste sie lächeln. Alle trugen sie eine kugelsichere Weste mit der KCPD-Aufschrift und Waffen der Polizei. Hätten sie vor einem Jahr gewusst, dass sie einmal so rumlaufen würden, hätten sie laut herausgelacht. Und nun waren sie tatsächlich hier. Die anderen schienen ähnliche Gedanken zu haben.

«Seht uns an. Wir sind tief gesunken», meinte Deidara kopfschüttelnd.

«Solange die Riots rumlaufen, gibt es immer noch eine tiefere Stufe», antwortete Suigetsu. «Aber was soll’s. Es wird sowieso nie mehr wie früher werden.»

«Recht hast du. Dafür besser.» Karins Griff um das Gewehr verstärkte sich. Sie war entschlossen, die Veränderungen zu akzeptieren, wenn das nur bedeutete, dass die Riots von der Bildfläche verschwanden. Die Hoffnung auf ein besseres Leben trieb sie alle an.

Hidan nickte. «Ich mach die Tür auf. Geht in Deckung.»

Das war der Moment, auf den Karin und Suigetsu so lange gewartet hatten. Die offene Tür gab den Blick auf das flache Dach des Clubs frei. Von hier aus war die Rückseite des beleuchteten Neonschriftzugs «Dance Devil Mansion» zu sehen.

Nichts passierte. Natürlich, die Riots feuerten nicht, damit sie aus ihrem Versteck rauskommen mussten. Vielleicht befanden sie sich auch direkt über ihnen, auf dem Dach des Treppenhauses.

«Wetten, die sind total in Panik?», flüsterte Karin. Rasch griff sie nach einem Besen, der in der Ecke des Hauses stand und warf ihn nach draussen. Sofort erfolgte ein kleiner Kugelhagel, der definitiv aus ihrer entgegengesetzten Richtung kam und verstummte sogleich wieder. Nur zwei Gewehre hatten gefeuert.

Sie lachte leise. «Die machen sich vor Angst in die Hose. Dann lasst sie uns mal aufscheuchen.»

Vorsichtig legte sie an und zielte in die Richtung, aus der die Kugeln gekommen waren. Als sie abdrückte, erkannte sie im Licht der Neonröhren und der umliegenden Häuser Schemen die sich bewegten. Auf dem Dach gab es kaum Deckung.

«Deidara du prüfst sofort das Dach, wenn wir draussen sind. Hidan, gib uns Feuerschutz. Suigetsu und ich schnappen uns Runch.»

Sie feuerte weitere Male in die Dunkelheit und überliess dann Hidan diesen Part. Sie fürchtete sich nicht davor, aus Versehen von ihm getroffen zu werden. Dazu waren sie alle ein viel zu eingespieltes Team.

Sie spürte das Adrenalin durch ihre Adern schiessen, als sie leise von drei rückwärtszählte und dann in die Nacht hinausstürmte. Die schlechte Sicht und die verzweifelte Situation ihrer Gegner kamen ihnen zu Gute. Die Riots waren in die Defensive getrieben und wie Karin und die anderen es erwartet hatten, reagierten sie darauf mit einem letzten offensiven Aufbäumen. Aus der Dunkelheit schossen zwei Gestalten, die auf sie zuliefen und es durch ihre flinke Schnelligkeit unmöglich machten, sie mit dem Gewehr zu erwischen. Schneller als sie denken konnte, hatte sie ihr Messer gezückt und das Gewehr über ihren Rücken geworfen, damit es ihr nicht im Weg war. Ihre Ausrüstung war gegen Kugeln perfekt, doch im Nahkampf bedeuteten die Westen und das Gewehr Bewegungseinschränkungen.

In der Dunkelheit hatte sie in der Hektik vier Gestalten ausmachen können. Inzwischen waren Hidan und Deidara auch vor Ort und wurden von zwei Leuten angegriffen.

Karin lachte verächtlich, als sich vor ihr Runchs bulliger Körper aufbaute. Er war in Anbetracht seiner Masse erstaunlich schnell bei ihr gewesen. Flink war er nicht und das war im Nahkampf gegen ihn ihr einziger Vorteil. Er war wie ein verdammtes Biest, seine Pranken griffen nach ihr, doch Training und Kampferfahrung verschafften ihr Möglichkeiten. Ein Gewehr trug er keines auf sich, erstens, weil ihnen vermutlich die Kugeln oder die Waffen ausgegangen waren, zweitens, weil er im Nahkampf tausendmal besser war als hinter dem Gewehr.

«Jetzt erkenne ich dich», sagte er mit einem fiesen Grinsen auf dem Gesicht, als sie sich nach ihrem Ausweichmanöver wieder zu ihm umdrehte. Er gab ihr keine Zeit, sich zu sortieren und attackierte erneut. Sie wusste nicht, wie sich die anderen schlugen, aber falls jemand die Möglichkeit hatte, ihr zu helfen, wäre es mit einem Gewehr unmöglich. Auf Runch zu schiessen und dabei zu riskieren, dass sie selber getroffen würde, wagte keiner.

Ihre Hand schloss sich fester um den Messergriff und wich konzentriert Runchs Klinge aus, die vor ihr durch die Luft sauste. Ihr Herz raste, denn dieser Kampf war keineswegs einseitig.

Als Runch sie am Handgelenk zu fassen bekam, riss sie sich mit einer geschickten, schnellen Bewegung nach oben von ihm los. Ihre Haut schmerzte da, wo er sie gehalten hatte. Vermutlich hatte sie sich bei diesem Manöver auch noch gleich die Hand verstaucht.

In einem Moment seiner Unachtsamkeit sprang sie wie eine Katze auf seinen Rücken und versuchte, ihm das Messer in die Haut zu treiben. Doch er war schneller, packte ihre Arme und zog sie in einem Ruck über seine Schultern nach vorne, sodass sie mit einem dumpfen Aufprall rücklings auf dem Boden landete. Sie schrie vor Schmerz auf.

«Helft Karin», hörte sie aus der Ferne eine laute Stimme. Die Jungs hatten Recht, denn Flinkheit reichte nicht, um sich gegen diesen Gegner zu behaupten.

«Im Kampf kann man nicht so leicht gewinnen wie undercover, du verdammte Hure!»

Er trat ihr mit dem Fuss auf die Kehle, doch ehe er sich versah, war Suigetsu vor Ort, sprang ihn an und riss ihn mithilfe des Schwungs herum, sodass er taumelte.

Karin war schnell wieder auf den Beinen, auch wenn ihre Sinne etwas durcheinandergeraten waren. Deidara und Hidan waren immer noch mit Runchs Schergen beschäftigt, während ein Körper bereits leblos am Boden lag. Suigetsu hatte seine persönliche Rache schnell hinter sich gebracht.

Ihr Partner verpasste Runch in einem weiteren Sprung einen geschickten Tritt gegen die rechte Gesichtshälfte, worauf dieser am Boden lag. Suigestu war schnell auf ihm drauf, das Messer bereits über der Brust, doch Runch hielt wacker entgegen, bevor er ihn von sich stiess, Suigetsu zur Seite rollte und gleich wieder auf den Beinen war. Er kannte Runchs Art zu kämpfen noch besser als sie.

Runch konnte Suigetsus blitzartige Angriffe zwar immer im letzten Moment abwehren, aber er kam ganz schön ins Schwitzen. Erst nach dem vierten abgewehrten Angriff konnte Runch einen Tritt in Suigetsus Magengrube landen, der ihn zu Boden warf. Karin hatte auf einen günstigen Moment gewartet, wieder in den Kampf einsteigen zu können, jetzt war er da. Bevor Runch Suigetsu zu nahe kommen konnte, war Karin wieder im Spiel. Sie suchte nach erreichbaren Schwachpunkten, jedoch war das bei diesem stahlharten Typen wirklich schwierig. Ein guter Tritt in den Schritt hätte Abhilfe schaffen können, doch er liess sie nicht mehr nahe genug an sich heran. Von Runchs Oberschenkel und seinem Arm tropfte Blut aus langen Schnittwunden. Ihr Gegner war angeschlagen. Diese Verletzungen waren Schwachpunkte.

Karin ignorierte den Schmerz in ihrer Hand, ihrem Hinterkopf und ihrem Rücken, um erneut anzugreifen. Sie landete einen Tritt gegen sein Schienbein, worauf er immer rasender wurde. Er wurde fuchsteufelswild.

«Ergib dich Runch», keuchte sie in einem kurzen Moment der Distanz zwischen ihm und ihr. «Du hast keine Chance mehr.»

Runch grinste ein boshaftes Grinsen, bei welchem sich sogar ihr die Nackenhaare aufstellten. «Schaden ist Schaden», meinte er mit seiner tiefen, bedrohlichen Stimme. Er wusste, dass er keine Chance mehr hatte. Doch solange er seinen Gegnern schaden konnte, hielt ihn das vor nichts ab.

«Ausser deinem verdammt offensichtlichen Dachschaden», rief Suigetsu schwer atmend, als er sich wieder hinstellte. Runch liess nicht lange auf sich warten und attackierte weiter, doch Karin und Suigetsu waren in der Lage, ihn mehr und mehr gegen den Rand des Daches zurückzutreiben, sodass er zusehends weniger Bewegungsspielraum hatte.

In ihrem Augenwinkel nahm sie Deidara und Hidan wahr, welche gemeinsam ihren letzten übrigen Gegner besiegt hatten und sich nun aufrappelten, um sie zu unterstützen.

Suigetsu verpasste Runch einen weiteren Tritt. Die Lippe des Riots war aufgeplatzt und blutete. Er war in keiner guten Verfassung mehr.

Deidara und Hidan schnappten sich ihre Gewehre und richteten sie auf Runch, doch war das Kampfgeschehen zu hektisch, als dass sie sauber zielen hätten können. Konnte es wirklich sein, dass sie hier einfach nicht vorankamen? Warum war dieser Typ so verdammt zäh? Sie hasste ihn wirklich, aber wenn sie ihn nicht töten musste, dann würde sie das auch nicht tun. Er könnte sich einfach ergeben, das wäre für sie alle besser. Aber Runch hatte kein Interesse daran, die Situation für alle so angenehm wie möglich zu machen.

In ihrem Kopf entstand ein Bild, wie sie ihn attackieren konnte. Sein Bein war ein guter Angriffsort. Und als Suigetsu für einen Moment von ihm abliess, sichtlich erschöpft, lief sie los. Das Blut rauschte in ihren Ohren und sie verspürte ein ungutes Gefühl in ihrer Magengrube, als sie loslief. Doch sie mussten diesen Kampf endlich beenden. Keiner ihrer Freunde sollte noch mehr Schaden davontragen, nur weil Runch ein verdammt kranker Typ war.

Mit Hidan und Deidara im Spiel eröffnete sich eine neue Möglichkeit, die ihnen den Sieg bringen konnte. Rasch wechselte sie mit Suigetsu einen vielsagenden Blick. Wenn sie rasch Land gewinnen konnten, würden ihre beiden Kumpanen freie Bahn auf Runch haben.

Der Blickwechsel dauerte bestimmt nur eine Sekunde, dann liefen sie los. Bessergesagt, wollte Karin loslaufen. Runch hatte sie jedoch unterschätzt – er war nicht dumm und hatte ihren Plan sofort durchschaut. Ehe sie es sich versah, hatte Runch sie am Arm erwischt und riss sie zurück, direkt vor sich. Ihr Messer fiel zu Boden und er gab ihm einen Tritt, sodass er ausser Reichweite blieb. Jetzt waren sie nur wenige Meter vom Rand des Daches entfernt.

«Wehe einer von euch rührt sich», sagte er. Sein Blut tropfte auf Karins Arm. Sie hätte sich gerne freigekämpft, doch sein Griff war eisern. Nicht einmal ihre Beine konnten ihn erreichen.

In Suigetsus Augen stand zum ersten Mal seit langer Zeit Furcht. Karins Gedanken rasten, suchten nach einem Fluchtweg, doch sie fand keinen.

«Was willst du von uns?», fragte Suigetsu vorsichtig.

Runch lachte dreckig. «Ihr seid so einfältig. Wärt ihr Riots, dann hätte mich schon längst einer abgeknallt. Aber ihr geht keine Risiken ein, wenn jemand von euch in Gefahr ist. Mir war es schon lange ein Rätsel, wie solche Wohlfühl-Gangs über Jahre so viel Macht haben konnten. Ihr wärt nie dazu fähig gewesen, eine Rebellion gegen das System anzuzetteln.»

«Du bist auch nur eine Figur im kranken Spiel deines Bosses», presste Karin hervor, doch er brachte sie mit einem drohenden kleinen Einschnitt in ihren Hals zum Schweigen. Das Blut rann ihr warm über den Hals hinab.

Sie presste die Lippen zusammen. In einer Gang zu sein bedeutete, mit dem Tod zu rechnen. Es bedeutete, sein Leben zu riskieren und sich selber nicht an erste Stelle zu setzen. Mutig zu sein. Und trotzdem verspürte sie in diesem Moment Furcht. Das hier konnte ihre Endstation sein, so wie es so vielen Leuten bisher ergangen war. Konnte es sein, dass Runch ihr finaler Widersacher war? Nun, sie würde alles tun, damit sie ihre Leute beschützen konnte. Sie würde alles tun, damit dieser Krieg gewonnen wird, auch wenn das bedeutete, dass sie dieses neue Leben nie selber kennenlernen würde. Auch wenn der Gedanke wehtat.

Suigetsus Augen waren weit aufgerissen, Deidara und Hidan hielten die Luft an. Plötzlich durchschnitt eine vertraute sanfte Stimme die Nacht.

«Lass sie los Runch. Ich bitte dich.»

Karin entdeckte die Quelle der Stimme. «Pixie!», stiess sie hervor.

Pixie war schmutzig und zitterte am ganzen Körper. Anscheinend hatte sie sich trotzdem irgendwo versteckt gehalten. In ihren Augen stand Angst, sie war sichtlich verstört und wirkte so klein und zerbrechlich. Auf dem Dach lagen ihre toten Gangmitglieder.

«Ich habe dir gesagt, du sollst dich verstecken und ruhig halten!», blaffte Runch sie an.

«Lass sie los, Runch. Das hier hat keinen Zweck mehr. Unsere Freunde hätten nicht sterben müssen!» Sie hatte gerötete Augen von Tränen.

«Halt dich raus, Pixie! Du bist auch nur ein Klotz am Bein der Riots!»

Das verletzte Pixie sichtlich. «Bitte, Runch. Lass Toya gehen… oder wie auch immer sie heisst.» Sie schenkte Karin ein schwaches Lächeln.

«Sie ist ein verdammter Spitzel, wegen der meine Leute nun sitzen!»

«Aber sie sind nicht tot. Sie haben sie nicht sinnlos umgebracht. Sie leben.»

«Spielt keine Rolle, Pix. Dann lass dich doch festnehmen.»

«Bitte…», flehte sie. «Ich bitte dich.»

Runch lachte nur laut. «Du bist genauso schwach wie sie. Vielleicht wärst du auf der anderen Seite besser aufgehoben. Du bist ja nur dabei, weil du zu Crows Lieblingen gehörst. Eine Göre, die per Zufall die richtigen Kontakte hat!»

Er schien es sichtlich zu geniessen, Pixie seine Wahrheiten vorzulegen. Ihr war, als wäre er sogar neidisch auf ihre bevorzugte Position. Der sichtbare Schmerz und die Verzweiflung auf ihrem Gesicht waren kaum auszuhalten.

«Toya, es tut mir so leid», stiess sie hervor. «Es tut mir so leid…»

Karin brachte ein Lächeln zu Stande bewegte fast unmerklich den Kopf hin und her, damit Runch sie nicht noch weiter verletzte.

Jetzt war es genug. Die Situation erschien ausweglos, doch Karin hatte eine Idee. Keine Idee, die sie alle lebend davonkommen liess, aber immerhin. Runch würde sie nicht loslassen, auch wenn er umstellt wäre. Er würde sie töten, einfach nur, weil er wollte. Er würde weiteren Schaden anrichten, soviel er noch konnte. Sie musterte ihre Freunde und fragte sich, wo Sasuke und die andere jetzt gerade waren. Ob sie lebten. Ob sie Angst hatten. Karin fürchtete sich, aber sie wusste, was sie zu tun hatte. Entweder liess sie sich von Runch töten und riskierte dabei, dass ihre Freunde verletzt wurden oder sie versuchte, den Schaden zu begrenzen. Hier und jetzt hatte sie die Chance, die Welt von einem kranken Menschen wie Runch zu schützen. Er war abgrundtief böse und absolut skrupellos. Irgendwie war er zu diesem Menschen geworden und deshalb tat er ihr leid. Vielleicht existierte sein wahres Wesen tief in ihm drin noch. Kein Mensch wurde böse geboren.

Sie bedachte Suigetsu mit einem langen Blick. Ihr bester Freund, ihr Partner in Crime. Es war ihm anzusehen, wie sehr ihm die Endgültigkeit ihrer Situation bewusst war. Er starrte sie an, in seinem Blick lagen mehr als tausende von wunderbaren Worten. Sie versuchte, ihm all die Worte, die sie für ihn hatte, zurückzugeben.

Die anderen standen da wie gelähmt, selbst Deidara und Hidan, die sich sonst nichts erschüttern konnte. Pixie schluchzte laut und murmelte unaufhörlich, dass es ihr leidtue.

Sie litten. Und sie war ihnen so unendlich dankbar dafür, dass diese Menschen sie so sehr in ihr Herz geschlossen hatten, dass es ihnen wehtat, den Tatsachen hier ins Auge zu blicken. Ihr ganzes Leben lang hatte sie nach Liebe und Zuneigung gesucht, die ihr niemand gegeben hatte. Weder ihre Eltern, noch die Menschen, für die sie sich nächtelang ausgezogen hatte. Nicht einmal ihre Nachtclub-Kolleginnen waren wirklich mehr fähig dazu gewesen, Liebe zu empfinden. Lusty Rose ausgenommen. Sie hatte einen Rest mütterlicher Liebe behalten und sie damit beschützt.

Und bei den Takas hatte ihre Suche ein Ende gehabt. Sie hatte Freundschaft gefunden, die stärker war, als dass sie es sich je hätte erträumen lassen. Mehr als Freundschaft – Familie. Auch wenn die Takas einen rauen Umgangston hatten, so waren sie immer eine Familie gewesen.

Sie erinnerte sich an Sasuke und die anderen, wie sie sie damals im Hinterhof des Stripschuppens gerettet und ihr ein neues Leben geschenkt hatten. An die Zeiten, als sie Sasukes Freundin gewesen war. Das gemeinsame Musikmachen. Sie erinnerte sich an Hotaru, Shion, Konan und all die anderen Taka-Frauen, die ihre Schwestern waren. An alle Taka-Jungs, ihre Brüder. An Suigetsu, ihren besten Freund. Sie dachte auch an Sakura und die Kuramas. Feinde, die zu Verbündeten geworden waren. Ihre sehr ungewöhnliche Beziehung zu Sakura. Und jeder Mensch, der in diesen Gedanken vorkam, war es wert gewesen. Sie hatte ihr Leben nicht geliebt aber jeden noch so kleinen positiven Teil davon schätzen gelernt.

Sie würde Runch nicht als Druckmittel dienen, um ihren Freunden zu schaden und sie zu verheerenden Taten zu bewegen. Nein, sie waren es wert, davor verschont zu werden.

Noch einmal musterte sie ihre Freunde. Und dann sammelte sie alle Kraft, die sie aufzubringen hatte und rammte ihren ganzen Körper gegen Runch, der durch den Dialog mit Pixie unaufmerksamer geworden war. Er verstärkte reflexartig seinen Griff und das Messer drang tief in ihre Kehle ein. Es tat weh, aber sie nahm es kaum mehr wahr. Das Adrenalin vernebelte ihre Sinne. Runch taumelte, angeschlagen wie er war und lockerte nun seinen Griff, um sein Gleichgewicht wiederzufinden. Noch einmal rammte sie sich gegen ihn und rückte dabei ihre Faust auf seine Wunde. Er schrie auf, liess sie los und taumelte weiter rückwärts, bevor er das Gleichgewicht verlor und über den Rand des Dachs hinaus in die Tiefe stürzte. Ein dumpfer Aufprall ertönte, als Runchs Körper auf den Boden auftraf.

Dann hörte sie Geschrei und sank in sich zusammen. Sie spürte das Blut in ihrem Mund, wie es warm über ihren Hals hinablief und mit ihm das Leben aus ihr wich. Verschwommen nahm sie Suigetsu und Pixie über sich wahr, ihre gedämpften Stimmen. Später sah sie rosa, vermutlich Sakura und die Sanitäterin. Sie waren zu spät, aber sie war trotzdem froh, dass sie hier waren.

Dann wichen die verschwommenen Gesichter Bildern. Schönen Bildern, die an ihr vorbeizogen und sie mit Glück erfüllten. Erinnerungen an die Takas. An die wichtigsten Menschen in ihrem Leben. Sie hörte ein Lied, welches sie immer mit Sasuke gespielt hatte. Er hatte Klavier gespielt und sie hatte ihn auf der Gitarre begleitet. Die anderen Takas hatten ihnen immer gerne beim Spielen zugehört. Ja, das waren ihre liebsten Momente gewesen.

Sie glaubte zu lächeln, als die Klänge in ihrem Ohr langsam verstummten und alles um sie herum schwarz wie die Nacht wurde.

 

Sakura hätte beinahe laut aufgeschrien als sie sah, wer da vorne blutüberströmt am Boden lag. In ihr stiegen allerlei Gefühle auf, doch am meisten spürte sie Verzweiflung. Die DDM war gefallen und viele Sanitäter kümmerten sich um die Verletzten – und Toten – beider Seiten. Aoi, Kenta und Sanae taten, was sie konnten, doch tief im Inneren war ihnen allen bewusst, dass sie bereits zu viel Blut verloren hatte und der Schnitt an der Kehle viel zu grosse Schäden angerichtet hatte.

Sakura hätte geweint, wäre sie nicht vollgepumpt mit Adrenalin und dem Wunsch, Karin irgendwie zu retten. Neben der rothaarigen Taka kniete Suigetsu und weinte still vor sich hin. Er umklammerte ihre bleiche Hand. Ihm gegenüber kniete ein blondes Mädchen, das sie nicht kannte. Sie sah jung aus und zitterte am ganzen Körper, murmelte zwischen ihren Schluchzern immer wieder, dass es ihr Leid tat.

In etwas Abstand, um die Sanitäter nicht zu behindern, standen Deidara und Hidan, mit steinernen, schockierten Gesichtsausdrücken. Sie hatte sie bisher nur ein einziges Mal in diesem Zustand gesehen und das war kurz nach Itachis Tod gewesen.

Die Sanitäter legten Karin auf eine Tragbahre, die Kenta und Aoi vorhin gebracht hatten. Ihr Körper war schlaff. Erst, als sie das Lächeln auf Karins Gesicht sah, spürte sie die Tränen, die ihr über die Wangen liefen.

«Hast dich ganz schön gemacht, Prinzesschen», hallte Karins Stimme in ihrem Kopf wider. Die letzten Worte, die sie jemals von ihr gehört haben würde.

Auf dem Dach fanden sich zunehmend mehr Leute ein. Sie hörte wie Sarutobi die Nachricht von Runchs Tod überbrachte. Ihre Beine waren wie gelähmt, doch sie trugen sie zu Hidan und Deidara.

«Wie ist es passiert?», fragte sie tonlos.

«Er hat sie erwischt und sie als Geisel benutzt. Sie hat ihn über den Rand des Dachs hinausgestossen, doch er hat ihr vorher das Messer in die Kehle getrieben.» Hidans Worte waren leise und irgendwie leer. Als ob er selber noch gar nicht realisiert hatte, was passiert war.

«Sie hat ihn getötet, bevor er die Situation schlimmer gemacht hat… er war entschlossen, so viel Schaden wie möglich anzurichten. Er wusste, dass er sterben würde und trotzdem hat er sich nicht ergeben.» Deidaras Blick war auf den Boden gerichtet. Sie spürte, wie sich die beiden selber Vorwürfe machten. Und sie verstand es – ihr wäre es nicht anders ergangen, wenn sie dabei hätte zusehen müssen, wie Karin sich selbstlos gegen Runch durchgesetzt hatte. Und es hatte sie ihr Leben gekostet.

«Dürfen wir sie ins Krankenhaus bringen?», fragte Sanae Suigetsu sachlich, mit einem mitfühlenden Ton in der Stimme.

«Einen Moment noch bitte… vielleicht gibt es Takas, die sie noch sehen wollen.» Er wischte ihr dabei das Blut vom Hals und legte eine Decke über ihre schmutzigen, blutigen Kleider.

Das blonde Mädchen zitterte nun noch mehr und bekam kaum mehr Luft vor lauter Schluchzen. Rasch holte Sakura eine Erste-Hilfe-Decke und legte sie ihr um die Schultern. Das Mädchen nahm sie nur kurz mit ihren verquollenen grünen Augen wahr. Sakura legte ihr einen Arm um die Schulter. Auch wenn sie das Mädchen nicht kannte, verspürte sie das Bedürfnis, ihr Halt zu geben. Denn niemand hier schien wirklich zu wissen, wer sie war.

Sie nahm diese Geste dankend an und schlang ihre Arme um Sakura. Sakura drückte sie an sich und streichelte ihr über den Rücken, während das Mädchen vor lauter Schluchzen bebte.

Sakura war zutiefst erschüttert. Sie konnte nicht fassen, was hier passiert war. Sie rechneten mit Verlusten, ja. Aber sie wirklich zu erleben war immer etwas anderes.

Mehrere Takas tauchten auf, knieten sich neben die Verstorbene, um zu trauern und sich zu verabschieden. Shion, Hotaru, Sasori, Konan und viele andere Inners waren da. Auch die Kuramas stellten sich in respektvoller Distanz auf und trauerten um den Verlust einer Mitstreiterin.

«Wie ist es passiert?», fragte eine vertraute Stimme dieselbe Frage, wie sie einige Minuten zuvor. Deidara erklärte seinem Boss den Tathergang. Sasuke nickte und machte dann einige Schritte auf Karin zu. Suigetsu wich nicht von ihrer Seite, liess Sasuke jedoch Platz. Sasukes Miene war ziemlich undurchsichtig, aber Sakura erkannte die Schwere und die Trauer um seine Kameradin darin. Er kniete sich hin und strich ihr eine rote Haarsträhne aus dem Gesicht.

«Du warst verdammt mutig, Sniper», murmelte er. «Bis zum letzten Moment.»

«Karin hat immer gesagt, sie wolle auf eine epische Weise sterben», flüsterte Shion zwischen zwei Schluchzern. «Epischer geht’s ja fast nicht.»

Es brach Sakura das Herz, sie alle trauern zu sehen. Die Szene erinnerte sie viel zu sehr an Itachis Tod im vergangenen Winter.

Als Kenta und Aoki Karins Körper zudeckten und auf die Trage legten, spürte sie diese brutale Endgültigkeit. Nie wieder würde sie ihre feuerrote Mähne sehen, nie wieder würde sie von ihr Prinzesschen genannt werden. Sie hatte diesen Namen selbstverständlich nie gemocht und doch wünschte sie sich nun, ihn mit diesem Mix aus Anerkennung und Herablassung aus ihrem Mund zu hören. Doch das war vorbei.

Sanitäter kamen, verarzteten die Verletzten, Sarutobi und Hatake beendeten die Mission offiziell und wiesen an, sich in die jeweiligen Lager zurückzubegeben um Kraft zu tanken. Sakura führte die ihr angewiesenen Arbeiten wie ein Roboter. Sasuke warf ihr einen prüfenden Blick zu, bevor er sich mit seinen Leuten nach unten begab. Sakura erwiderte ihn mit einem traurigen Nicken.

Alles schien unwirklich. Das Adrenalin wich aus ihrem Körper und liess den Emotionen mehr Platz. Sie fühlte sich so unglaublich schwer und leer. Als ob die Riots diese Schlacht zwar verloren, dafür aber eine andere gewonnen hatten.

Sakura kümmerte sich darum, dass das blonde Mädchen an einen sicheren Ort kam. Ihr Bandenname war laut eigener Aussage Pixie. Sarutobi wollte sie in U-Haft nehmen, doch Suigetsu wehrte sich mit Händen und Füssen dagegen. Anscheinend war sie eine Bekanntschaft aus seiner Undercover-Zeit. Sarutobi liess sich dazu durchringen, sie an die Uni zu bringen, dort aber borläufig zu verwahren, bis geklärt war, welche Verbindung noch zu den Riots bestand.

Pixie fügte sich diesem Entscheid ohne zu Zögern. «Ich habe keinen Ort mehr, an den ich gehen kann.»

Sakura bestand darauf, sie im Kastenwagen zu begleiten. Sie wollte das am Boden zerstörte Mädchen nicht alleine lassen. Anscheinend war sie erst siebzehn Jahre alt. Wie in Trance begleitete sie Pixie an der Uni zu dem für sie vorgesehenen Raum, ein kleines Büro, dessen Fenster abgeschlossen waren. Am Boden lag eine Matratze für sie. Sarutobi versicherte, dass sie nicht lange alleine da drinbleiben müsse. Sie würden sie morgen verhören und dann würde weitergeschaut werden. Sakura brachte ihr Kakao und etwas zu essen aus der Cafeteria, was sie dankend annahm.

«Kommst du zurecht, Pixie?», fragte sie sanft, bevor sie das Zimmer verliess.

Sie nickte. «Ja, mach dir keine Sorgen um mich», sagte sie mit belegter Stimme und fügte nach einer kurzen Pause an: «Ist Yuma wütend auf mich?»

«Yuma?»

«Entschuldige… ich kenne seinen richtigen Namen nicht.»

«Ach so, du meinst Suigetsu.» Sie legte ihr sachte die Hand auf die Schulter. «Nein, ganz bestimmt nicht. Er hat wie ein Löwe dafür gekämpft, dass du nicht in U-Haft kommst.

Sie nickte und senkte den Kopf. «Er stand To…. ich meine, Karin sehr nahe.»

«Ja, das glaube ich auch. Wie nahe weiss ich allerdings nicht – ich bin eine Kurama.»

Pixie musterte sie so überrascht, wie das ihre Trauer noch zuliess und meinte dann: «Sie war eine tolle Person. Ich glaube, wir wären gute Freunde geworden.»

Sakura nickte und lächelte traurig. «Das glaube ich auch.»

Sakura verschwand unter die Dusche, um sich all das Blut und die Tränen vom Körper zu waschen. Sie sehnte sich nach Schlaf und Ruhe, wohlwissend, dass pures Vergessen nichts an ihrer Situation ändern konnte. Sarutobi hatte sie über zehn Tote und über vierzig Verletze informiert, sieben davon schwer. Und das war nur ihre Seite.

Vier Kurama-Outers waren gestorben, alle hatte sie gekannt. Es tat so verdammt weh zu wissen, dass sie für ein besseres Morgen gekämpft hatten, welches sie nie erleben würden. Sie alle hatten es so verdient, ein gute Leben zu führen. Heute waren es sie, Karin, drei Taka-Outers und zwei Polizisten gewesen, die ihr Leben gelassen hatten. Wen würde es morgen treffen?

Als sie die Treppe hinaufstieg hörte sie Stimmen aus der Cafeteria, doch sie wollte jetzt nicht unter Leute gehen. Sie wollte nur einen Menschen sehen, doch Sasuke war vermutlich noch nicht oben im Hörsaal.

Ihre Beine schmerzten auf den letzten Stufen, ja ihr ganzer Körper fühlte sich taub und kaputt an. Sie öffnete die Tür zu ihrem vorübergehenden Schlafplatz und war ganz schön überrascht, als sie Sasuke darin fand. Er war frisch geduscht.

Er musterte sie mit einem nachdenklichen, beinahe abwesenden Blick, als sie in das Zimmer eintrat. Nur die Schreibtischlampe des Dozentenpults tauchte den Raum in ein warmes Licht.

Sakura lief auf Sasuke zu und fiel ihm in die Arme und er drückte sie an sich.

Sie spürte so viel Schmerz und Trauer, wie musste es denn erst für ihn sein? Auch er hatte Leute verloren und noch dazu Karin, die ihm nähergestanden hatte, als alle anderen seiner Gangmitglieder. Er bebte, das spürte sie, doch er weinte nicht. Sasuke hatte noch nie in ihrer Anwesenheit geweint. Damals an Weihnachten auf dem Friedhof vielleicht, aber da war sie sich nicht sicher.

«Es tut mir so leid», flüsterte sie.

Er legte seine Hand an ihren Hinterkopf und drückte sie noch mehr an sich.

«Sie spielen ihr Spiel weiter. Sie wissen, dass jeder Verlust für uns ein Schlag ist und deshalb versuchen sie und bis zum bitteren Ende zu schaden, auch wenn es aussichtslos für sie ist. Aber sie treffen uns jedes Mal tief. Unsere grösste Schwäche sind wir selber und Crow weiss das besser als jeder andere.»

Es war vollkommen verrückt, wie viel eine einzelne Person durch die Hände anderer kaputtmachen konnte.

«Wie geht es Suigetsu?» Die Frage war überflüssig, aber Sakura stellte sie trotzdem.

«Er wollte alleine sein. Viele der Takas sind noch unten, wollen nicht schlafen gehen. Aber Suigetsu hat sich zurückgezogen. Er und Karin waren immer zusammen unterwegs, auf Missionen, aber auch wenn wir abends um die Häuser zogen. Nur auf dem Motorrad ist sie meine Beifahrerin gewesen, ansonsten war ihr Partner immer Suigetsu. Rückblickend fällt es mir noch viel mehr auf.» Seine Stimme war schwach. Sakura wusste, Karin war lange seine Freundin gewesen. Er hatte sie aus dem Stripclub geholt, sie hatten zusammen Musik gemacht. Niemand in den Reihen der Takas war so gut an ihn herangekommen, wie Karin.

«Wegen ihr bin ich nach Oto gegangen», flüsterte er. «Sie hat nie ein Blatt vor den Mund genommen und mir immer entgegengehalten.»

Sakura schloss ihre Arme noch fester um ihn, in der Hoffnung, seinen Schmerz lindern zu können. Er weinte nicht, aber sie. Ihre Freundschaft zu Karin war eine der besonderen Art gewesen. Eine Art Hassfreundschaft. Sie hatten sich nicht gemocht aber doch irgendwie respektiert. Karin hatte sie damals im HQ sogar vor Tayuya in Schutz genommen.

«Sie war absolut einzigartig. Anfänglich habe ich sie wirklich nicht gemocht, aber jetzt, wo ich hinter ihre Fassade gesehen habe weiss ich, was für eine starke Frau sie war.»

Sie spürte seinen Atem in ihrem Haar. «Das war sie. Sie war der Inbegriff einer Taka.»

Dem konnte Sakura nichts mehr anfügen. Karin war temperamentvoll, frech, aber auch gutherzig gewesen. Von ihrem Mut ganz zu Schweigen.

Sakura und Sasuke legten sich hin, liessen einander aber nicht los. Sie fühlten beide diesen brutalen Schmerz, den nur die Zeit heilen konnte. Sasukes Augen glänzten im Mondlicht, das konnte sie in einem kurzen Augenblick erkennen, doch sie sah keine Tränen. Er hatte seine Arme um sie geschlungen und drückte sie an sich, als ob sie von einem Moment auf den anderen verschwinden könnte.

«Bitte, pass auf dich auf», flüsterte er an ihrem Ohr. «Ich will niemanden mehr gehen sehen.»

Sie schmiegte sich an ihn. «Wir werden das durchstehen. Wir müssen.»

 

Das Mondlicht tauchte den dunklen Universitäts-Garten in ein komisches Licht, welches die Umgebung surreal wirken liess. Die Blumenranken und Sträucher wirkten unecht, genauso wie die Ereignisse, die sich in dieser Nacht zugetragen hatte.

Er weinte still, versuchte, seine verkrampften Hände zu entspannen, doch es gelang ihm nicht. Er würde alles dafür geben, die Zeit zurückdrehen zu können. Karin hatte es nicht verdient zu sterben, nicht nachdem was sie für das Gelingen ihrer Mission aufs Spiel gesetzt hatte. Die Zeit im Riot-Quartier war nicht einfach gewesen, doch sie hatte es wie eine Meisterin angepackt und zu Ende gebracht.

Wäre er auf dem Dach nur schneller gewesen. Hätte er doch früher den Nahkampf aufgegeben. Hätte er sie doch besser beschützen können.

Suigetsu fühlte sich schwach und machtlos. Noch vor wenigen Stunden war er voller Hoffnung und Energie gewesen, diese Nacht zu einer erfolgreichen zu machen. Aber ohne Karin war sie das nicht. Sie vor der DDM noch gemeinsam gelacht.

«Wieder einmal Partners in Crime!», hatte sie gesagt und ihm ihr breites Grinsen gezeigt.

Suigetsu wusste nicht, auf welche Weise er sie geliebt hatte. Aber daran, dass er sie geliebt hatte, bestanden keine Zweifel. Vielleicht wäre etwas aus ihnen geworden. Vielleicht waren sie füreinander bestimmt gewesen. Doch das alles spielte jetzt keine Rolle mehr. Denn Karin war tot. Ihr Körper war kalt. Ihr Blut auf dem Dach der DDM und an seinen Kleidern, die er sich in der Dusche wie ein Geisteskranker vom Körper gerissen hatte.

Runch war tot, aber das erfüllte ihn nicht mit Freude, nein. Er würde ihn wiederbeleben, wenn das nur bedeutete, dass er ihn wieder und wieder und wieder töten konnte. Runch hatte seinen Tod erwartet, für ihn war es keine Überraschung gewesen. Dabei hatte er ihn leiden sehen wollen. Runch hätte wie ein geschlagener Hund erbärmlich um sein Leben betteln sollen. Stattdessen hatte er ihnen vor seinem Ableben Karin genommen. Eine Taka, wie sie im Buche gestanden hatte.

Wenn er sich nicht mehr an Runch rächen konnte, dann sollte nun endlich Crow büssen. Er würde alles daran setzten, dass ihr nächster Schlag gegen die Riots erfolgreich wurde. Das Spiel war noch nicht zu Ende. Er wusste, was seine Aufgabe war und würde alles daransetzen, sie zu erfüllen. Koste es, was es wolle.
 

Für Karin. Seinen Partner in Crime.
 

 

 

 

Der Anfang vom Ende

Es war gegen Mittag, als Sakura und Sasuke sich auf in Richtung Kommandozentrale machten. Den Morgen hatten sie beim Frühstück mit den Takas und Kuramas in der Cafeteria verbracht. Und obwohl die Stimmung gedrückt war, hatten sich einige gute Gespräche ergeben. Tatsächlich schien die Grenze, die Takas und Kurams voneinander trennte, immer kleiner zu werden. Wie sagte man so schön? Gemeinsame Feinde schweissten zusammen? Nun hier traf das absolut zu.

Sakura hatte sich nach dem Essen noch ein wenig zu Naruto, Ino, Kiba und den anderen hier stationierten Kuramas gesetzt. Die vier verstorbenen Kurama-Outers waren auch für sie ein brutaler Schlag. Die Outer bildeten zwar eine Einheit für sich und besassen eine eigene Struktur, doch sie gehörten zu ihnen.

«Sie werden sie alle gemeinsam beerdigen… wenn es vorbei ist», sagte Naruto, doch in seiner Stimme schwang jene Ungewissheit mit, die sie alle teilten. Wann war es denn vorbei? Saurtobi und Kakashi wollten zum finalen Schlag ausholen, das stimmte. Aber schon die letzte Mission hatte eigentlich ein Finale werden sollen. Dieser Kampf konnte also noch lange gehen.

Naruto hatte sie noch darüber informiert, dass am Mittag ein Verhör von Anju Ishida, alias Pixie, durchgeführt werden sollte. Dabei sein sollten neben den Leadern und ihren Vizes alle, die Karin gekannt hatten und gestern auf dem Dach zugegen gewesen waren.

Und nun waren sie unterwegs zu diesem Verhör und Sakura war etwas mulmig zu Mute. Deidara und Hidan hatten ihr erzählt, dass Pixie versucht hatte, Runch umzustimmen. Sie musste in ihrer Undercover-Zeit viel mit Karin und Suigetsu zu tun gehabt haben. Gestern Abend war sie wie ein Häufchen Elend in ihrem Zimmer gehockt, ein gebrochenes Mädchen. Sie hatte gewirkt, als wären all ihre Illusionen zerbrochen und nun stand sie der nackten Wahrheit gegenüber: Ihre Gang war eine Gefahr für alle – skrupellos und völlig grössenwahnsinnig. Pixie tat ihr leid. Sie war gutmütig gewesen und hatte Crow vertraut, so wie sie selber zum Beispiel Naruto vertraute.

Wie ein Häufchen Elend sass sie auf einem Stuhl in der Kommandozentrale, respektive einem der Hörsäle. Ihr gegenüber hatte Kakashi Hatake Platz genommen, rund herum hatten sich bereits die anderen verteilt. Deidara, Hidan, Yahiko, zwei Polizisten, Naruto und Shikamaru. Nur Suigetsu konnte sie nirgendwo ausmachen.

Es herrschte eine angespannte, von leisem Gemurmel durchzogene Atmosphäre in dem Raum. Die arme Pixie musste sich fühlen als sässe sie vorm Obergericht und einem allesentscheidenden Prozess. Ihre Augen waren leer und verquollen, ihre Trauer war nicht zu übersehen. Gerne wäre Sakura zu ihr hingelaufen, aber das würde vermutlich nicht gerade einen guten Eindruck machen. Schlussendlich sollte das hier eine Anhörung werden und sie wollte nicht, dass die hier Anwesenden dachten, sie könne nicht objektiv sein.

«Wo ist Suigetsu Hozuki?», fragte Sarutobi, nachdem sie und Sasuke sich hingesetzt hatten.

«Unterwegs, Sir», antwortete Deidara. Er wirkte etwas gestresst, als ob er selber nicht mit Sicherheit wusste, ob er auftauchen würde. Doch ehe sich Zweifel breit machen konnten, betrat er den Raum. Er hatte dunkle Ringe unter den Augen, doch sein Blick war eiskalt. Sakura kannte ihn als einen aufgestellten Typen, den so schnell kein Wässerchen trüben konnte, doch heute war das anders. Es war eine Mischung aus Entschlossenheit und Wut, die nicht nur in seinem Gesicht, sondern auch seinen Bewegungen und seinem Gang anzusehen war. Er setzte sich auf den freien Stuhl neben Hidan, verschränkte die Arme und starrte grimmig vor sich hin.

«Da wir nun vollzählig sind begrüsse ich Sie zu dieser Anhörung von Miss Anju Ishida. Ich möchte klarstellen, dass es sich hier nicht um einen Prozess oder ein durch die Obrigkeit angeordnetes Verhör handelt, sondern um eine Anhörung, die zum einen Klarheit darüber schaffen soll, was sich am gestrigen Abend auf dem Dach der Dance Devil Mansion abgespielt hat und zum anderen, Informationen über die Jaguar Riots liefern soll. Anju Ishida, alias Pixie, war Mitglied dieser Gang. Ob sie dies nach wie vor ist, wird sich zeigen.»

Er wandte sich nun an Pixe. «Miss Ishida, ich werde Ihnen nun einige Fragen stellen. Sie sind nicht verpflichtet zu antworten, aber es könnte auch für Sie von Vorteil sein, wenn Sie es tun. Das hier ist ein Verhör im Rahmen des Spezialkommandos und hat nichts mit einer Gerichtsverhandlung zu tun.»

Pixie nickte unsicher. Sie fühlte sich offensichtlich nicht besonders wohl. Kein Wunder, so ausgestellt wie sie war. Sie vermied jeglichen Blickkontakt mit allen Anwesenden ausser Hatake.

«Nun, mindestens bis gestern waren Sie Mitglied der Jaguar Riots, ist das korrekt?»

«Ja.»

«Wie sieht Ihre Verbindung zu Ihrer ehemaligen Gang in diesem Moment aus?»

«Es gibt keine mehr.» Ihre Stimme war fast tonlos. «Ich habe beschlossen, meine Kontakte zu kappen… ich will das nicht mehr unterstützen.»

«Und warum?»

«Weil ich vor kurzem», sie schluckte, «erst verstanden habe, was wirklich passiert. Man hat uns immer gesagt, dass wir gegen Unterdrückung kämpfen. Zusammen, als grosse Familie. Aber dann sind Toya und Yuma…», sie stocke. «Ich meine, Karin und Suigetsu undercover zu uns gekommen. Ich war für sie zuständig und habe sehr viel Zeit mit ihnen verbracht. Ich mochte sie sofort. Sie waren richtig cool.» Sie lächelte versonnen vor sich hin.

Sakura musterte Suigetsu. Keine Gefühlsregung konnte sie bei ihm ausmachen. Er starrte nur weiter vor sich hin.

«Ich wusste ja immer, dass Runch keine lockeren Trainings macht. Früher waren seine Methoden noch anders, aber irgendwie ist ihm das Ganze zu Kopf gestiegen. Suigetsu war richtig gut und das schien ihm nicht besonders gefallen zu haben. Er hat ihn über angezündeten Kerzen Liegestützen machen lassen und zwar so lange, bis er nicht mehr gekonnt hat. Er war ganz verbrannt…» Sie holte Luft. «Irgendwie habe ich es nie wirklich verstanden. Ich merke erst jetzt, wie viel Runch vertuscht hat. Wie oft er Leute manipuliert hat. Bei uns im Quartier hat sich nie jemand über Runch beschwert, alle waren sich so überzeugt davon, dass es richtig ist. Uns wurde immer gesagt, harter Drill bereite uns nur auf den Kampf vor. Jener Kampf, den wir für eine bessere Welt kämpfen müssen. Und alle haben es geglaubt. Suigetsu und Karin haben das hinterfragt. Und damit habe auch ich zum ersten Mal alles hinterfragt. Irgendwie ging das alles nicht mehr auf, jetzt, da ich mir einmal wirkliche Gedanken gemacht hatte. Und das gestern auf dem Dach… das für mich der endgültige Beweis, dass ich einer Horde Verrückter gedient habe.» Ihre Stimme wurde gegen Ende zittrig. Sakura hätte sie am liebsten in den Arm genommen.

«Wie war Ihre Verbindung zu Ayato Kirishima und seinem Kreis?»

«Sehr gut. Ich war eine der früh rekrutierten Riots. Sie haben mich aufgenommen und mir ein zu Hause gegeben. Damals waren wir noch nicht so viele. Allerdings sehe ich jetzt, was er zu verantworten hat und das wirft ein vollkommen neues Licht auf ihn. Meine letzte Erinnerung an ihn ist gut. Er hatte eine warme Persönlichkeit, gab mir immer ein gutes Gefühl. Ich kann es selbst noch nicht so richtig fassen, dass ich das nicht eher hinterfragt habe.»

«Charisma, nennt man das», meinte Hatake. «Grosse Anführer müssen das haben, sonst wird ihnen niemand folgen.»

Sie nickte. «Das hat er. Fast schon zu viel. Ich habe ihm aus der Hand gefressen. Und wenn ich ihn jetzt sehen würde… ich könnte nicht mit Sicherheit sagen, dass er mich nicht wieder einwickeln könnte. Seine Leute glauben, was er sagt.» Sie machte eine Pause. «Er glaubt, was er sagt.»

«Er scheint mir ein begabter Redner zu sein», murmelte Hatake und warf einen Blick auf sein Blatt. «Was war Ihre Funktion bei den Riots?»

Sie überlegte. «Ich hatte keine wirkliche Funktion. Ich war nicht Teil des inneren Kreises, verstand mich aber mit ihnen sehr gut. Ich war mit den meisten gut befreundet, sie mochten mich und ich sie. Rückblickend glaube ich, dass sie mich absichtlich aus vielem rausgehalten und mich in einem Aussenquartier stationiert hatten. Sie waren sich vermutlich nicht sicher, ob ich hinter all ihren Plänen stehen würde.»

«Keine zugeteilte Funktion also?»

«Das ist richtig. Am ehesten trifft es vielleicht ‘Maskottchen’. Mich kannten alle, aber wirklich eng drin war ich nie.»

Hatake nickte. Im Hintergrund machte Sarutobi eifrig Notizen.

«Gibt es irgendeinen Beweis dafür, dass Sie nicht mehr Mitglied sind?»

«Nein. Ihr müsst es mir einfach glauben», presste sie hervor. Sakura sah, wie ihre Hände zitterten.

«Wir kennen Ayato Kirishimas Methoden inzwischen gut genug, um jeden scheinbar offensichtlichen Sachverhalt genauer zu überprüfen. Dass Sie gestern dort auf dem Dach aufgetaucht sind, muss nicht unbedingt Zufall sein.»

«Das war es aber!», beteuerte sie mit einem Anflug von Verzweiflung. «Euer Angriff kam früher als erwartet und eigentlich hätte ich längst weg sein sollen. Ich habe Runchs Truppe eine Nachricht von Crow übermitteln müssen, doch als ich wieder verschwinden sollte, war es bereits zu spät. Deshalb wollten sie, dass ich mich verstecke.»

«Sie fungierten also auch als Botin?»

«Nein. Nicht offiziell jedenfalls. Es war eine Eilnachricht und da ich wegen des Überfalls auf das Aussenquartier im HQ gewesen bin, hat er mir diese Nachricht für Runch übergeben.»

«Sie wissen also über den Standort des HQs Bescheid?»

«Ja.» Sakura war überrascht. Pixie schien es ernst zu sein.

«Und wo befindet es sich?»

«West, Grenze South. Unterhalb des Flusses, nahe am Vorortgürtel. Es ist ein altes Gebäude, eine ehemalige Ziegelei.»

Ein Raunen ging durch die Reihen.

«Allerdings», fügte sie an, «müssten sie das HQ inzwischen verlassen haben. Runch hat mir gesagt, was in der Nachricht stand. Er hat sich tierisch aufgeregt, weil Crow seinen neuen Aufenthaltsort nicht mitgeteilt hat. Jedenfalls müsste das Quartier des inneren Kreises inzwischen leer sein. Crow hatte geahnt, dass sie heute Nacht den Kürzeren ziehen würden. Er spielte schon lange mit dem Gedanken umzuziehen. Wo sie jetzt sind, weiss ich nicht.»

«Mitarashi, überprüfen Sie das. Senden Sie einen Trupp aus», wies Hatake Anko Mitarashi an, welche nickte und schnurstracks den Raum verliess.

«Gibt es Aufenthaltsorte, die als neues HQ in Frage kämen?», wandte er sich wieder an Pixie.

Sie überlegte. «Ich weiss nur wenig über ihre Standorte… das Gästehaus in Tomcats Garten kennen Sie bereits, oder?»

«Zur Genüge.»

«Dann gibt es noch die Villa von den Murakamis, aber da Yohei alles vor seiner Familie geheim hält, ist es ziemlich unwahrscheinlich, dass sie dort sind. Meistens ist Yohei derjenige, der neue Aufenthaltsorte ins Spiel bringt. Sein Vater hat ja überall Geld drin. Ihm gehören auch mehrere Immobilien und Fabriken. Vielleicht lässt sich dort etwas ausfindig machen? Ich weiss leider wirklich nichts darüber.»

«Das sind bereits wertvolle Informationen, Miss Ishida.»

Es wurde kurz darüber diskutiert, welche Abklärungen Sinn machten und wenig später verliess ein weiterer Polizist den Raum, um diesen nachzugehen.

«Nun aber zu Ihnen, Miss Ishida. Ich lüge nicht, wenn ich sage, dass sie eine gute Infoquelle für uns darstellen. So wie ich hörte, haben sie bereits einige Sympathien bei den Taka Snakes und den Kurama Foxes. Allerdings ist es Tatsache, dass sie aktives Mitglied bei den Jaguar Riots gewesen sind und sich somit an ihren kriminellen Handlungen beteiligt haben. Deshalb will ich nun auf Ihre Rolle und darauf, wie es nun mit Ihnen weitergeht zu sprechen kommen.»

Pixe sank in ihrem Stuhl richtiggehend ein. Sie selber schien sich bereits riesige Vorwürfe zu machen, jetzt auch noch vor so vielen Leuten damit konfrontiert zu werden, war nichts Schönes.

«Suigetsu Hozuki. Du bist von allen Anwesenden derjenige, der Anju Ishida am besten kennt. Ich möchte von dir hören, was du über ihre Intentionen denkst.»

Suigetsu starrte den Polizeichef etwas feindselig an. «Pixie tut niemandem was. Ich weiss nicht, warum wir das überhaupt besprechen sollen. Unter anderen Umständen wäre sie längst eine Taka. Sie hat nie jemandem geschadet und war nur an der falschen Zeit am falschen Ort, mit einem Haufen falscher Leute. Sie hat den Horror gestern auf dem Dach gesehen und sie ist vermutlich traumatisiert. Und Ihr horcht sie hier aus wie eine verdammte Staatsverbrecherin. Sie wird uns auf jeden Fall helfen. Dafür lege ich meine Hand ins Feuer.» Seine Stimme war rau. Noch nie hatte Sakura ihn so erlebt. Sie verspürte einen dicken Kloss im Hals, wenn sie ihn so sah und ihre eigene Trauer um Karin, die sie sorgfältig zur Seite geschoben hatte, kam wieder ans Tageslicht.

«Ich verstehe deinen Standpunkt, Suigetsu. Jedoch musst du verstehen, dass wir nicht eine ehemalige Riot nicht einfach ungeprüft in unsere Reihen lassen können.»

«Nee, ich verstehe es nicht. Was wollt Ihr sie noch lange prüfen? Ich bin ziemlich sicher, dass dieser Krieg bald in einer letzten grossen Explosion enden wird. Pixies Hilfe können wir dafür gut gebrauchen. Hier noch lange zu diskutieren, ob sie jetzt vertrauenswürdig ist oder nicht, schnalle ich nicht. Vielleicht, weil ich sie bereits kenne und ihr nicht. Aber dann vertraut doch wenigstens auf meine Worte!»

Pixie machte grosse Augen, fast, als könnte sie nicht glauben, was er da sagte. Sakura erinnerte sich an Pixie Frage, ob Suigetsu wütend auf sie sei.

Anschliessend befragte er noch Deidara und Hidan, die ja bei der ganzen Sache auch dabei gewesen waren, welchen Eindruck sie von Pixie hatten. Sie beide waren sich einig, dass Pixie nicht schauspielerte. Ihr Entsetzen auf dem Dach war echt gewesen. Dann war Sakura an der Reihe, die Pixie auf der Fahrt zurück an die Uni begleitet hatte.

«Ich kann mich den anderen nur anschliessen. Sie war völlig aufgelöst. Ich bin keine Expertin, aber ich glaube nicht an eine Intention, zu den Riots zurückzukehren.»

Hatake nickte. «Ich kann Sie beruhigen, Miss Ishida. Wir haben nicht vor, Sie auszuhändigen, zumal Sie auch noch minderjährig sind. Wir haben den Taka Snakes und den Kurama Foxes in dieser Mission die Möglichkeit gegeben, sich zu bewähren und für vergangene Missetaten aufzukommen. Daher haben wir uns die Frage gestellt, ob wir das nicht auch bei Ihnen tun können. Sie sind eine nützliche Ressource für uns, ich leugne also keinesfalls den Zweck, den Sie für uns haben. Falls Sie uns unterstützen wollen, schliesst das eine strenge Überwachung mit ein. Wir werden Ihre Absichten auf Probe stellen, zugleich dient diese Überwachung auch Ihrem eigenen Schutz. Sobald die Riots herausfinden, dass sie sich in unseren Reihen befinden, werden Sie ein Ziel darstellen. Wir gewähren Ihnen Schutz und Sie uns Ihre Mitarbeit. Was meinen Sie dazu?»

Pixies Augen wurden noch grösser, als Hatake Ihr dieses Angebot machte. «Echt jetzt?»

Hatake nickte erneut und meinte dann mit einem kaum sichtbaren Schmunzeln: «Echt jetzt.»

In Pixies Augen sammelten sich Tränen, doch sie hielt sie tapfer zurück. Stattdessen lächelte sie dankbar und in ihrem Blick zeigte sich Entschlossenheit. «Ich bin einverstanden. Ich werde euch helfen, die Riots aufzuhalten.»

 

Ausser den Polizisten, Sasuke, Yahiko, Naruto und Shikamaru durften nach diesem Bescheid alle den Raum verlassen. Der nächste Teil der Anhörung drehte sich um Strategisches. Sakura und den anderen war das in diesem Moment nur Recht – der Schock von letzter Nacht sass ihnen noch tief in den Knochen. Eigentlich interessierte sich Sakura für all die Infos, die Pixie Ihnen geben konnte, aber im Moment war sie nicht wirklich aufnahmefähig. Und Pixie war vermutlich auch froh, wenn sie nicht wie ein Ausstellungsobjekt angestarrt wurde.

Suigetsu hingegen, war geblieben, auch wenn es ihm von allen am miesesten ging. Vermutlich wollte er Pixie nicht alleine lassen.

Sakura ging nach unten in die Cafeteria und versuchte, ihre Gedanken zu ordnen. Itachi war tot. Die Riots an der Macht. Kankuro tot. Hinata eine Riot. Karin tot. Outers tot. Polizisten tot. Allein diese Gedanken zuzulassen, brauchte einen Haufen Überwindung. Ihr Körper fühlte sich schwer an und sie vermisste Sasuke, an dessen Schulter sie sich lehnen konnte. Viel zu viel war schiefgegangen. Dabei schien es noch gar nicht lange her, dass sie alle zufrieden im HQ gewesen waren. Ihre Erinnerung färbte die Vergangenheit schön, dabei wusste sie noch gut, welch schwierige Zeit es gewesen war, als ihre Gang das mit Sasuke erfahren hatten. Wie viele Hochs und Tiefs sie mit ihm gehabt hatte. Und jetzt? Sie wollte ihn nicht mehr missen. So schlimm manche Erlebnisse mit ihm auch gewesen waren, sie hatte doppelt so viel schöne Momente mit ihm geniessen können. Doch was wäre aus ihnen geworden, wenn kein gemeinsamer Feind die Gangs vereint hätte?

Unten in der Cafeteria war es ruhig. Die meisten hatten sich zurückgezogen, um sich von gestern zu erholen. Klar, sie hatten gesiegt. Aber der Preis, den sie dafür bezahlt hatten, war viel zu hoch. Und das war für Crow hingegen wieder ein Sieg, auch wenn er eigentlich verloren hatte.

Eine Angestellte der Uni räumte gerade einige Teller in den Geschirrspüler hinter der Theke, als sie sich mit einem Becher Automaten-Kakao an einem der Tische niederliess. Jemand hatte eine Tageszeitung darauf liegen lassen. Natürlich waren Berichte von gestern darin zu finden, aber Sakura hatte keine besondere Lust darauf, alles noch einmal zu rekapitulieren. Deshalb blätterte sie schnell über die Doppelseite hinweg. Die Berichte interessierten sie nicht besonders, aber sie musste irgendetwas tun, um sich abzulenken. Sie liess ihren Blick über die Bilder schweifen und las halbherzig die Titel der Artikel. Gerade wollte sie wieder eine Seite umblättern, als ein einziges Wort auf einmal ihre Aufmerksamkeit auf sich zog: Murakami.

Sakura traute ihren Augen kaum, als sie die Schlagzeile so vor sich sah. Rote, viel zu sensationshungrige Buchstaben formten Worte, die sie kaum zu glauben wagte.

 

«Murakami Credits: Hitomi Murakami tot – hat ihr Mann sie in den Tod getrieben?»

 

Sakura verschluckte sich beinahe an ihrem Kakao. Hitomi Murakami musste Tomcats Mutter sein, denn eine Schwester hatte er nicht, soviel sie wusste.

 

In der Nacht von Donnerstag auf Freitag ereignete sich ein haarsträubender Vorfall an der Northgate Bridge. Hitomi Murakami, Ehefrau des Bankenkaisers Shoto Murakami, hat sich gegen halb zwei Uhr nachts von der Brücke in den Tod gestürzt. Ein Augenzeuge konnte den Vorfall beobachten, für die Frau kam jedoch jegliche Hilfe zu spät. Die Brücke befindet sich knapp dreihundert Meter vom Anwesen der Murakami-Familie entfernt. Sie lässt neben ihrem Mann zwei Söhne zurück, der ältere bereits fester Bestandteil der Geschäftsleitung von Murakami Credits, der jüngere ein Rebell. Shoto Murakami und sein Sohn Ryuji haben jegliche Kommentare verweigert. Yohei Murakami konnte nicht kontaktiert werden.

Warum Hitomi sich für den Tod entschieden hat, wird spekuliert. In früheren Medienberichten tauchten Gerüchte über häusliche Gewalt in der Familie Murakami auf, die sich jedoch im Sand verliefen. Anscheinend wurde ein Abschiedsbrief zurückgelassen, demnach werden Unfall und Mord ausgeschlossen.

 

Sakura las den Artikel mit zittrigen Händen zu Ende. Tomcats Mutter hatte sich also das Leben genommen. Seitlich des Textes waren zwei Fotos abgebildet. Das eine war älter und zeigte eine junge blonde Frau mit einem schönen Gesicht und einem hübschen, aber sehr zurückhaltenden Lächeln neben einem hochgewachsenen Mann, der zwar auch lächelte, aber dabei ziemlich kühl wirkte. Die Frau hatte einen blonden Jungen in einer Latzhose auf dem Arm, vermutlich keine zwei Jahre alt. Zwischen ihnen stand ein etwas älterer, aber genauso blonder Junge, etwa vier Jahre alt und lächelte in die Kamera. Der Vater hielt ihn an der Hand. In der Bildbeschreibung stand, dass das Foto rund zwanzig Jahre alt war.

Das nächste Bild zeigte Shoto Murakami mit seiner Frau an einer Pressekonferenz. Von der jungen, lächelnden Frau war nichts mehr übrig. Genauer gesagt hätte Sakura sie nicht wiedererkannt, denn die Frau hatte mehr als nur einen operativen Eingriff an ihrem Gesicht machen lassen. Ihre Lippen waren aufgespritzt, ihre Wangen aufgedunsen. Ein typisches Botox-Gesicht. Hitomi Murakamis Blick war starr geradeaus gerichtet und sah seltsam leer aus, als würde sie gar nicht richtig hinschauen. Neben ihrem Mann wirkte sie klein und etwas fehl am Platz. Der Bleistiftrock eng, die Bluse mit dem Blazer über eine beträchtliche Oberweite gespannt – vermutlich auch operiert.

Sakura konnte nicht anders, als Mitleid empfinden. Wenn sie sich diese Bilder so anschaute, dann wurde sie das ungute Gefühl nicht los, dass diese Frau nie wirklich glücklich gewesen war. Vielleicht interpretierte sie auch zu viel in diese Bilder hinein, das war gut möglich. Aber sie hatte dieses traurige Etwas im Blick. Häusliche Gewalt kam ihr da gar nicht so weit hergeholt vor. Tomcats Verhalten würde definitiv mehr Sinn ergeben, wenn das zutraf.

Tomcat. Unwillkürlich fragte sie sich, wie es ihm wohl ging. Hatte er zu seiner Mutter auch ein so abgekühltes Verhältnis gehabt, wie zu seinem Vater? Am liebsten würde sie ihn fragen. Tomcat war für sie ein Buch mit sieben Siegeln, aber er war ihr nicht egal. Da war etwas in seinem Verhalten, was nicht bösartig war. Eher wie ein missverstandenes Kind, dass sich nun von anderen Seiten Aufmerksamkeit und Liebe zu holen versuchte, aber auf eine ganz verdrehte Art. Und der vorliegende Artikel stützte diese These.

Noch mehr schlechte Nachrichten. Sie hielt nichts von den Riots, aber niemandem auf dieser Welt wünschte sie einen solchen Verlust. Mit ihrem Handy suchte sie nach Hitomi Murakami und landete zu viele Treffer, als dass sie sie alle lesen hätte können. Die Artikel zur häuslichen Gewalt lagen knapp drei Jahre zurück. Das war wieder typisch. Sobald sich ein Thema in der Öffentlichkeit genug präsentiert hatte, wurde es uninteressant und man liess es wieder fallen. Dabei wäre es genau da wichtig gewesen, hinzusehen.

Sie lebten in einer Gesellschaft, die sie manchmal einfach nur anwiderte. Rebellen wie Crow und Tomcat entstanden nicht einfach so aus dem Nichts. Es gab immer Gründe. Und manchmal, nur manchmal konnte sie Crows Wunsch nach Revolution nachvollziehen. Sie waren unterdrückte Menschen, die endlich wollten, als nur zu überleben. Tomcat passte da wunderbar hinein. Er schien das schwarze Schaf in der Familie zu sein und hatte die Ungerechtigkeit der Gesellschaft genauso erfahren, wie zu Beispiel Sasuke. Nicht auf dieselbe Weise, aber er hatte sie genauso erlebt.

«Man kann auf verschiedene Arten ein beschissenes Leben haben», hatte er gesagt. Seine Worte ergaben in ihrem Kopf erst jetzt den richtigen Sinn. Eigentlich sollte Tomcat ihr nicht leidtun und trotzdem hätte sie ihm gerne geholfen. Irgendwie. Ihm musste es schlecht gehen.

Sakura zeigte den Artikel Ino, welche fünf Minuten später in der Cafeteria auftauchte. Betroffen setzte sie sich neben ihr hin.

«Wow… ich wusste nicht, dass die so schlimme Verhältnisse hatten. Ich meine, es ist ja nichts bewiesen, aber wenn sie wirklich ihr Mann der Grund dafür war, dann stimmt es wohl wirklich – Geld mach nicht glücklich.»

Sakura nickte. Sie wusste gar nicht, was sie sagen sollte. In ihrem Kopf rasten die Gedanken wild umher, in ihrer Brust fühlte sie nun zu all dem Schmerz und der Trauer eine zusätzliche Bestürzung. Im Krieg war es so leicht, zu vergessen, dass ihre Gegner auch Geschichten hatten, die sie zu dem machten, was sie heute waren.

Sasuke kam erst zwei Stunden später in die Cafeteria und unterhielt sich zu ihrer grossen Überraschung mit Naruto, hinter ihnen gingen Yahiko und Shikamaru. Zwar ging es um Sachliches, aber dieser Anblick war ziemlich ungewohnt. Auch ihnen zeigte sie den Artikel. Sasuke fasste unter dem Tisch nach ihrer Hand. Er wusste, dass sie diese Neuigkeit aufwühlte und wollte vor den beiden Kuramas nicht zu offensichtlich sein. Ihre Beziehung war immer noch ein Spannungspunkt, wenn auch ein kleiner.

«Kein Wunder hat der was abgekriegt. Ich meine, wir sind ja vermutlich auch nicht unbedingt Musterknaben geworden, aber Tomcat? Der ist ja kein Vergleich», meinte Naruto nachdenklich.

«Sofern das mit der häuslichen Gewalt denn stimmt», fügte Sasuke an. «Aber weit hergeholt ist der Verdacht bestimmt nicht.»

Sakura schluckte. Sie selber war nie von ihrem Vater geschlagen worden. Es war schon schlimm genug zu sehen gewesen, wie er ihre Mutter misshandelt hatte. Selbst Opfer davon zu werden und dann noch als wehrloses Kind? Das war eine schreckliche Vorstellung. Es fiel ihr nicht schwer, Tomcats Gefühle dabei nachzuvollziehen – wenn es denn nun wirklich wahr war.

«Werden wird vermutlich nie erfahren. Die Murakamis werden alles dafür tun, damit man diesen Selbstmord schnell vergisst. Ist nicht gut fürs Image und mit Geld lässt sich vieles erledigen», bemerkte der sonst eher schweigsame Yahiko. Immer wenn er sich äusserte, sagte etwas Wohlüberlegtes oder Gehaltvolles. Jedenfalls kam es Sakura so vor.

Bei Yahikos Anblick fragte sie sich unwillkürlich, wie es Konan wohl ging. Ihres Wissens war sie gestern Abend mit zur Uni gekommen.

Shikamaru lehnte sich in seinem Stuhl zurück. «Recht hast du. Nicht, dass ich Crow für zurechnungsfähig halte, aber in dieser Hinsicht machen seine Argumente Sinn. Reiche leben immer auf den Schultern von Armen. Kein Wunder, findet er so Anklang im Untergrund.»

Sakura hörte gerne, was die anderen von der Situation hielten. Manchmal kam sie sich vor, als wäre sie die Einzige, die Crows Argumente verstehen konnte. Und mit verstehen meinte sie nicht, einverstanden zu sein. Aber eigentlich hätte sie es wissen müssen – die anderen hatten sich irgendwann in ihrem Leben auch solche Gedanken gemacht. Nur war keiner auf die Idee gekommen, sie in einer Revolution zu verwirklichen.

 

Sasuke verschwand mit Yahiko zum Training in die Sporthalle auf dem Gelände. Es würde ihm guttun, die aufgestaute Wut und die Trauer in Bewegung umzuwandeln.

Sie blieb mit Shikamaru, Ino und Naruto zurück und liess sich darüber unterrichten, was im Rest der Sitzung passiert war. Und zwar hatten sie mit Pixie mögliche Aufenthaltsorte der Takas besprochen. Das Riot-HQ hatte man tatsächlich leer vorgefunden und nun ging es darum, herauszufinden, wohin man das Herz der Revolution verpflanzt hatte. Pixie hatte sich anscheinend die grösste Mühe gegeben, um alle ihr bekannten Orte zu nennen.

«Und wo ist sie jetzt?» Sakura machte sich Sorgen um Pixie. Ihr ging es nicht gut.

«Hatake wollte sie woanders hin verlegen, aber sie meinte, der kleine Büroraum sei okay für sie. Vermutlich will sie hier niemandem begegnen und ist froh, wenn sie sich jetzt zurückziehen kann», antwortete Naruto und zuckte mit den Schultern. «Suigetsu war bis anhin noch bei ihr.»

Das beruhigte Sakura. Die beiden schienen gut befreundet zu sein und vielleicht konnten sie einander beistehen. Sie nahm sich aber vor, später noch nach ihr zu sehen.

«Ich weiss, es ist in letzter Zeit etwas in den Hintergrund gerückt», begann Ino nach einer kurzen Pause, «aber wie sieht es mit Hina aus? Ich weiss, sie hat uns verraten… aber du hast selber gesagt, dass du der ganzen Sache nicht traust.»

Narutos Blick wurde noch eine Nuance finsterer, als er ohnehin schon war.

«Ich habe mir schon überlegt, zu ihrer Wohnung zu gehen oder so. Aber dann frage ich mich wieder, was das bringen würde. Wenn sogar du abblitzt, Naruto, dann wir jeder andere es auch nicht schaffen. Weisst du, weil sie dich ja…»

«Ich weiss», schnitt ihr Naruto abrupt das Wort ab. Seinem Gesicht war deutlich abzulesen, wie sehr ihm diese Situation immer noch zu schaffen machte. Er quälte sich mit Selbstvorwürfen, weil er Hinatas Gefühle nicht bemerkt hatte. Wäre das der Fall gewesen, wäre sie vielleicht nicht gegangen. «Ich war nicht mehr an ihrem Block seit sie mit mir gesprochen hat. Irgendwas war komisch. Genauer gesagt war ja alles an ihrem Seitenwechsel ist komisch.» Er kratze sich am Kopf und starrte nachdenklich vor sich hin. «Ich will einfach, dass ihr nichts passiert. Wenn wir die Riots kleinkriegen, wird sich vielleicht alles klären.» Naruto hatte keine Zweifel daran, dass die Riots besiegt werden konnten, deshalb vermutete Sakura, dass seine Traurigkeit bei diesen Worten von der Angst herstammte, sie würde trotz allem nicht wieder zurückkommen.

Hinata war ein weiteres Salzkorn in einer klaffenden Wunde. Vielleicht würden sie irgendwann Klarheit darüber erlangen, was sie dazu getrieben hatte, zu gehen.

 

Sie mochte den neuen Aufenthaltsort nicht besonders. Das alte HQ hatte in einer spärlich besiedelten Gegend gelegen. Wollte man jetzt aber hierherkommen, war allerhöchste Vorsicht geboten. Ayato hatte natürlich sowieso zu absoluter Vorsicht aufgerufen, aber wenn man dabei auch noch darauf achten musste, nicht von Passanten gesehen zu werden, war das wesentlich schwieriger. Inzwischen galt die Regel, dass nur noch nachts Fahrzeuge das HQ verlassen durften. Wenn man zu Fuss war, konnte man einen gut versteckten Hintereingang nehmen. Ihr Zimmer mehr oder weniger ein verlassener Büroraum. Es gab nur noch einen abgewetzten Schreibtisch, an dem Ayato seine Denkarbeit verrichtete. Am Boden lag eine dünne Matratze, die sie erst nach gründlichem Bodenfegen hatten platzieren können. Das HQ war nicht auf längere Dauer ausgerichtet. Aber bis etwas Geeignetes auftauchte, war das besser als nichts. Und die Riots hatten es zu einer wahren Festung gemacht.

Ayato brütete über Plänen, als sie das Zimmer betrat. In ihrem Kopf hörte sie immer noch die ganzen Englischvokabeln nachhallen, die sie heute Nachmittag mit Hanabi geübt hatte. Ihre kleine Schwester machte sich gut in der Schule und in letzter Zeit war Hinata oft zu Hause gewesen. Sie hatte ein schlechtes Gewissen, Hanabi so oft alleine zu lassen. Und Angst.

Ayato hobs einen Blick und schenkte ihr ein Lächeln. Sie setzte sich auf die Matratze. Die Müdigkeit sass ihr noch in den Knochen, denn letzte Nacht war nicht an Schlaf zu denken gewesen.

«Müde?», fragte er in unbefangenem Ton.

«Du nicht?»

Er schüttele den Kopf. Ayato litt unter massiven Schlafstörungen. Manchmal lag er nächtelang wach. Inzwischen hatte er es aufgegeben, liegen zu bleiben und machte sich in solchen Momenten an die Arbeit oder ging nach draussen um zu Rauchen. Es war nicht verwunderlich, dass Ayato Probleme hatte. Seine Vergangenheit war kein Zuckerschlecken gewesen und der Druck, der nun auf seinen Schultern lastete, machte das auch nicht besser.

«Hätte ich mir denken können.» Sie legte sich hin und schloss die Augen.

«Pixie ist nicht mehr zurückgekehrt.»

Sofort waren ihre Augen wieder offen und sie setzte sich auf. «Was ist passiert?»

«Sie haben sie in Gewahrsam genommen. Haben mir die Späher berichtet. Runch hat es nicht geschafft, sie in Sicherheit zu bringen, geschweige denn, sich selbst.»

Von den Verlusten der letzten Nacht hatte sie bereits vernommen. Das mit Pixie war ihr allerdings neu. Und es tat ihr weh. Pixie verdiente es nicht, eingesperrt zu werden.

«Bist du sicher?»

«Sehr sicher. Sie haben sie abtransportiert. Und zu folgen wäre für die Späher zu gefährlich gewesen.»

«Und was tust du jetzt? Pixie war dir wichtig.»

«Ich weiss. Aber ich kann nichts tun. Genau wie bei Yohei. Ausser mit dem weitermachen, was wir angefangen haben.» Er lehnte sich zurück und starrte zusätzliche Löcher in die schäbige Decke.

«Ist es das wert? Dieser Krieg ist blutig. Mit welchem Resultat?» Sie war müde von all den schrecklichen Dingen, die passierten. Sie war müde davon, sich selber zu sein, inmitten dieses Durcheinanders. Sie wusste, warum sie hier war und deswegen würde sie auch bleiben. Auch wenn sie am liebsten davongelaufen wäre. Sie sehnte sich nach Ruhe, nach Alltag. Nach einem Leben, das es für sie nicht mehr gab. Diese Sehnsucht verdrängte sie immer wieder erfolgreich, denn diesen Schmerz wollte sie nicht öfter als nötig durchleben.

«Es ist eine grosse Kiste, Hinata. Aber im Endeffekt soll sie dem Leid ein Ende bereiten. Grosse Revolutionen fordern Opfer. Und ich werde weitermachen, bis mich jemand daran hindert. Ich werde es so weit treiben, wie ich kann. Weil es sonst keiner tut.»

Unwillen hatte sie bei ihm noch nie gespürt. Heute hörte sie zum ersten Mal so etwas wie eine Last in seiner Stimme. Nur schwach, aber etwas war da.

«Du haderst?»

«Nein. Immer, wenn ich es tue, dann denke ich an die Zeit in Iwa und jene danach zurück. Das reicht, um mich zu motivieren.»

Sie nickte. Ihr waren seine Beweggründe bestens bewusst. Und sie konnte sie nachvollziehen, auch wenn sie seine Ideale nicht teilte. Letzteres schien ihn nicht zu stören.

Er hatte ihr seine Geschichte erzählt und das brachte für Sie Licht ins Dunkel. Sie verstand, warum er war, wie er war. Eigentlich wollte er Gutes tun, davon war sie fest überzeugt. Es war fast ein Wunder, dass er nach all den Dingen, die er durchlebt hatte, nicht in völliger Finsternis versunken war. Seine Motive mochten gut oder schlecht sein – aber vor allem waren sie ehrlich.

Und was war mit ihrem Standpunkt in der ganzen Sache? Vertrat sie die Ansichten der Riots? Vermutlich würden das die Kuramas fragen, wenn sie die Gelegenheit hätten. Naruto hatte es getan. Wenn sie ihnen antworten könnte, wüsste sie genau, was sie ihnen sagen würde. Vielleicht auch nur, um sich selber davon zu überzeugen.

Ich habe nichts damit zu tun.

 

An diesem Nachmittag kam Tsunade an der Universität vorbei. Sie arbeitete im Moment Nachtschicht und versorgte unter anderen auch die Verletzten der Polizei-Gang-Fraktion. Sie war aus Sorge um ihre Nichte hierhergekommen, das wusste Sakura. Nach einer Umarmung, die ihr beinahe die Luft aus den Lungen gepresst hätte, gingen die beiden im Park der Uni spazieren. Es war ein warmer Herbsttag und die Sonne tauchte alles in ein goldenes Licht. Die Blätter an den Bäumen hatten sich zu einem Grossteil bereits kunterbunt verfärbt. Sakura versteckte ihre Haare unter der Kapuze von einem von Sasukes schwarzen Pullovern, die ihr ohnehin zu weit waren. Nur für den Fall.

Sie hatte ihre Tante vermisst, was sie jetzt erst richtig realisierte, da sie in voller Lebensgrösse neben ihr ging. In all der Verwirrung und der Trauer hätte sie beinahe vergessen, dass es auch ausserhalb dieses Krieges noch ein Leben gab, auch wenn es schon fast unwirklich erschien.»

Sakura schilderte Tsunade den gestrigen Abend in allen Details, die sie liefern konnte. Das war aufwühlend, aber irgendwie tat es gut, all das Erlebte Revue passieren zu lassen. Ihr stiegen Tränen in die Augen, als sie von Karin erzählte. Sie war einen heldenhaften Tod gestorben, alles andere wäre eine Untertreibung. In der Mitte des Parks stand eine schöne weisse Laube, unter die sie sich setzten. Sakura liess ihren Tränen freien Lauf und Tsunade hielt sie einfach nur fest. Ihre Hand strich ihr sanft durch das Haar, die Kapuze war hinuntergerutscht. Aber das machte nichts, denn hier war die Aussenmauer von Bäumen gesäumt. Die Laube war nur von der Uni her sichtbar.

Wie ein kleines Kind wiegte Tsunade Sakura in ihren Armen. Das weckte Erinnerungen an Zeiten, in denen Tsunade ihre einzige Zufluchtsstelle gewesen war. In Zeiten der Scheidung hatte sie oft bei ihrer Tante gewohnt, damit sie nicht mitbekam, wie ihre Mutter aus der alten Wohnung auszog. Das war absolut sinnlos gewesen, denn danach war sie nie mehr in ihr altes zu Hause zurückgekehrt. Ihre Kindheitsfreunde waren alle nur noch Schatten der Erinnerung. Neue Ortschaft, neue Wohnung, neue Schule, neue Freunde. Und bald ein neuer Freund der Mutter, den sie aber kurz darauf wieder abserviert hatte. Sakura hatte den Männergeschmack ihrer Mutter nie nachvollziehen können und sie war sich sicher, dass sie sich nach gescheiterter Ehe in irgendwelchen jungen Typen Bestätigung holte. In dieser Zeit war Tsunade oft bei ihnen gewesen und hatte Ausflüge mit ihrer Nichte unternommen. Und dann war sie mit ihr nach Konoha gezogen. Ihrer Mutter schien das gerade recht gewesen zu sein. Vermutlich wollte sie jede Erinnerung an ihren Ex-Mann loswerden. Und das schloss Sakura mit ein.

Die Zeiten bei Tsunade waren die besten gewesen. Abgesehen von der schwierigen Situation in der Schule hatte sie es geliebt, bei ihr zu wohnen. Anfänglich war sie an den Wochenenden noch nach Hause gegangen, hatte das dann aber schnell einmal aufgegeben.

Tsunade war nach dem Persönlichkeitswandel ihrer Mutter die erste Person gewesen, auf die sie hatte vertrauen können. Die immer da gewesen war. Und sie war so dankbar dafür.

Sakura erzählte ihr auch von ihren anderen Erlebnissen mit Karin. Jene, die sie bei den Takas gemacht hatte. Vorher hatte sie ihr nie wirklich etwas von den Takas erzählt, weil sie Angst vor ihrer Reaktion gehabt hatte. Aber jetzt schien das alles so unwichtig und weit weg, dass sie ihr davon erzählte. Tsunade hörte aufmerksam zu. Auch sie hatte sich verändert und mit ihr ihre Ansichten. Die Taka Snakes waren längst nicht mehr die Antagonisten. Und sie hatten gezeigt, dass in ihnen mehr Gutes steckte, als ihnen die Kuramas je zugetraut hätten.

«Weisst du», begann Tsunade nach einer langen Pause von stummen Tränen und tröstenden Umarmungen, «ich bin so wahnsinnig stolz auf dich, Mäuschen. Ich war zuerst wirklich dagegen. Dagegen, dass du auch nur irgendeinen Umgang mit den Takas hast. Ich kannte sie nicht anders als die arroganten, rücksichtslosen Vollidioten, die uns das Leben schwermachten. Vielleicht habe ich in dieser Hinsicht einfach nie gelernt, die Sache von zwei Seiten aus anzuschauen. Ich hatte schreckliche Angst um dich, als sie dich entführt haben und das ist von mir aus verziehen, aber bestimmt nicht vergessen. Deine Sympathien zu dem Taka-Jungen waren für mich auch nicht gerade einfach. Und erst recht nicht, weil es sich dabei auch gleich noch um den damaligen Vize gehandelt hat. Aber du hast dich weder von mir, noch von irgendjemand anderem beirren lassen. Er hat dir wehgetan, das weiss ich. Und auch das kann ich nicht einfach so vergessen. Du jedoch, hast weiterhin an das Gute in ihm geglaubt, so wie du es bei den Takas entdeckt hast. Du hast deine Vorurteile abgelegt und eine neue Seite von Menschen kennengelernt, die du einst gehasst hast. Und ich finde, das macht dich zu einem grossen Vorbild, für mich und viele andere.»

Sakura schluckte. Zum ersten Mal öffnete sich Tsunade zu dieser Angelegenheit und liess sie an ihren Gedanken dazu teilhaben.

«Du bist das Bindeglied zwischen diesen beiden Fronten und hast diese Position genutzt, um etwas Grösseres in Gang zu bringen. Dass dich diese Reporterin auf der Strasse getroffen hat, mag ja vielleicht Zufall gewesen sein, auch wenn ich nicht an Zufälle glaube. Die Polizei und die Gangs haben dir viel zu verdanken.» Sie drückte Sakura noch fester an sich und drückte ihr einen Kuss auf die Stirn. «Stark, klug und mutig. Jemand, der auf sein Bauchgefühl hört. Das bist du. Auch wenn du das selber nicht so siehst.»

Sakura stiegen erneut Tränen in die Augen. Womit hatte sie eine Tante wie Tsunade überhaupt verdient?

«Und jetzt bringen wir das hier noch zu Ende, okay? Und dann werden wir Ruhe haben. Das brauchen wir alle.»

Sakura sog den vertrauten Duft ihrer Tante tief in sich ein und liess sich von der Geborgenheit umhüllen. «Danke. Du bist der Oberhammer, Tsunade.»

Sie lachte leise. «Na das hoffe ich doch.»

Lange sassen sie einfach so da und lauschten den Vögeln in den Bäumen bei ihrem erfrischenden Singsang zu.

«Mebuki hat heute Morgen angerufen», sagte Tsunade nach einem wohltuenden Moment der Stille.

Sakuras Muskeln spannten sich an, als der Name ihrer Mutter genannt wurde. «Was wollte sie?»

«Sie hat sich nach dir erkundigt… sehr verhalten, wie immer. Aber ich glaube, sie war besorgt. Sie klang auch nicht wie sonst am Telefon, irgendwie gedämpft.»

Sakura wollte es nicht zugeben, aber sie war wirklich überrascht. Ihre Mutter kümmerte sich sonst nicht wirklich um sie. Aber sie musste die Berichte über gestern Nacht im Fernsehen gesehen haben. «Hat sie dir keine Vorwürfe gemacht?»

Tsunade schüttelte den Kopf. «Habe zwar damit gerechnet, aber da war nichts. Dabei habe ich mir schon die passenden Antworten zurechtgelegt. Sie hat wirklich nur gefragt ob bei uns alles in Ordnung sein. Und sie sagte am Ende des Gespräches noch etwas, Sakura. Du sollst auf dich aufpassen.»

Gerne hätte Sakura verächtlich gelacht. Ihre Mutter tat immer nur so, als würde sie sich interessieren. Aber sie hatte noch nie etwas in dieser Art gesagt.

«Und warum ruft sie dann nicht mich an?»

«Ich weiss es nicht, Mäuschen. Da sind Dinge, die vielleicht mal ausdiskutiert werden müssen. Aber das hat Zeit.»

«Ja… im Moment denke ich kaum an solche Sachen. Irgendwie…»

«Cherry!»

Sakura fuhr erschrocken hoch, als sie vom Kiesweg her ihren Namen hörte. Da war Kiba, völlig ausser Atem.

«Kiba, was ist passiert?»

«Wir haben sie lokalisiert, dank Pixie! Wir wissen jetzt, wo sie sind. Morgen geht die Mission los, das Briefing ist in einer Stunde! Schau zu, dass du dabei bist!» Bevor sie weitere Fragen stellen konnte, war er bereits wieder ausser Hörweite. Vermutlich musste er noch anderen Leuten Bescheid sagen.

Es brauchte einen Moment, damit Sakura die Information verarbeiten konnte. Mit einer solch schnellen Wendung hatte sie nun wirklich nicht gerechnet. Aber je schneller, desto besser.

«Dann ist es bereits so weit», stellte Tsunade fest. «Vielleicht ist morgen bereits der entscheidende Tag.»

Sakura nickte nur, geistesabwesend. Die eben noch empfundene Ruhe war purer Aufregung gewichen. Der Kampf ging in die letzte Runde. Hoffentlich.

Tsunade und sie erhoben sich, um gemeinsam zurück zur Universität zu gehen. Einer ungewissen Zukunft entgegen.
 


 


 

 

Final Countdown

Angst war nicht das richtige Wort für Sakuras momentane Gefühlslage. Sie war aufgeregt und machte sich Sorgen, ja. Aber sie sah den kommenden Ereignissen mit seltsamer Erwartung entgegen. Sie fühlte, dass etwas Entscheidendes bevorstand. Ob gut oder schlecht, es würde sie weiterbringen. Näher an ihr Ziel. Das hoffte sie zumindest.

Als sie den grossen Hörsaal betrat, fand sie eine bereits vollständig versammelte Meute an Takas, Kuramas und Polizisten vor. Sasuke stand ganz unten bei Naruto, Pain, Shikamaru, Hatake und Sarutobi. Sie unterhielten sich angeregt über das grosse Blatt Papier auf dem Katheder, vermutlich einer Karte oder einer Skizze.

Rasch suchte sie die Sitzreihen ab und entdeckte Ino in der obersten. Zu ihrer Linken Tenten und Sai, der ihr gerade etwas erklärte, zu ihrer Rechten waren noch zwei Stühle frei.

«Saku!», rief ihre Freundin freudig. «Komm zu uns! Mal wieder zu den Kuramas, ja?»

Sakura lachte und setzte sich hin. «Na, wisst ihr mehr als ich?»

Sai schüttelte in seiner ruhigen Art fast unmerklich den Kopf, während Ino in sehr viel weniger subtiler Gestik die Hände verwarf. «Nein, eben nicht! Ich dreh noch durch, wenn wir es nicht endlich erfahren, aber sie wollen warten, bis alle zusammengetrommelt wurden!»

«Was ja auch Sinn macht, oder?», fügte Sakura an und auf Sais Lippen stahl sich ein beinahe unmerkliches Schmunzeln.

«Ja, schon», entgegnete Ino trotzig. «Aber seid ihr nicht auch so gespannt? Wie haben die so schnell einen Plan hingekriegt?»

«Vermutlich wird es kein allzu komplexer Plan sein. Wenn wir wissen, wo sich die Riots aufhalten, können wir sie eventuell überraschen. Sie hatten viele Verluste und sind geschwächt», warf Tenten ein.

«Wir werden es gleich sehen», meinte Sai.

Im Saal wurde es ruhiger. Die letzten Leute betraten den Raum, zu Letzt Kiba, der danach die beiden grossen Flügeltüren hinter sich schloss.

«Wie geht es dir, Saku?», raunte Ino mit einem besorgten Blick in ihrer Richtung, während die Stimmen abklangen.

«Ich komme zurecht. Ich habe gar keine Zeit zum Denken.»

Ino nickte verständnisvoll und drückte unter dem Tisch ihre Hand. «Wir schaffen das.»

Unten räusperte sich Hatake und machte sich bereit für die Präsentation seines Schlachtplans. Tatsächlich hatten sie es in einem Tag geschafft, einen Plan zu erstellen und dann noch gleich eine passende Powerpoint-Präsentation zu kreieren. Schon beinahe verrückt.

Hatake begrüsste sie ohne grosse Umschweife. Jedem war bewusst, um was es heute gehen würde und vor allem, wie bald das heute Besprochene in die Tat umgesetzt werden sollte. Schnell war deshalb der neue Aufenthaltsort der Riots Thema. Nach einer langen Sitzung, in der Pixie ihnen alles zu den Riots erläutert hatte, was sie wusste, war Licht ins Dunkel gekommen. Es sah ganz danach aus, als hätten Tomcats Beziehungen wieder einmal den Tag für die Riots gerettet.

«Miss Ishida hat und darüber informiert, dass die Verantwortung für HQs immerzu bei Yohei Murakami, alias Tomcat, gelegen hat. Miss Ishida meinte, dass Tomcat längere Zeit vor unserer letzten Auseinandersetzung mit den Riots eine Zusammenkunft mit Ayato Kirishima, alias Crow, gehabt hat. Dabei ging es um potenzielle Unterschlüpfe für den Fall, dass das Riot-HQ entdeckt würde. Crow scheint immerzu alle Eventualitäten, seien sie auch noch so unangenehm, miteinzuberechnen. Sage ich das korrekt, Miss Ishida?»

Pixie nickte. «Absolut. Ich war an der Sitzung dabei. Es war an einer Zusammenkunft der ‘Ersten’, also jenen, die den ursprünglichen Kern der Gang gebildet haben. Allerdings sass ich da nur per Zufall bei ihnen am Tisch. Tomcat war ziemlich verärgert und meinte, dass er nun einmal weniger Zugang zu Gebäuden habe, als zu Geld. Es sei nicht einfach, Gebäude aufzutreiben, die etwas hermachen und vor allem nicht schnell entdeckt werden. Er hat daraufhin von einer alten Transportfirma gesprochen. Jene, die bald ein Autocenter sein wird.»

Hatake übernahm an dieser Stelle wieder. «Yoheis Vater, Shoto Murakami, ist nebst seiner Rolle als Präsident von Murakami Credits auch Investor in verschiedenste Unternehmen in Konoha und der Welt. Wir haben uns nebst seiner Investitions-Chronik auch über seine laufenden Projekte schlaugemacht, von denen es zahlreiche gibt. Der Bau eines Autocenters ist geplant, Herstellung und Verkauf von Mercedes und BMWs, alles unter einem Dach. Realisiert soll die Sache im Südbezirk des Souths werden, Baubeginn in zwei Jahren. Das alte Gebäude, ehemals eine Transportfirma, steht jedoch noch und mit dem Abriss wird erst im nächsten Frühling begonnen. Die ganze Gegend ist derzeit eher verlassen und arm, dies soll sich jedoch mit diesem Projekt ändern. Nebst dem Center werden eine neue Strasse sowie neue Apartmenthäuser gebaut. Dies bedeutet, dass die derzeitigen Anwohner weichen müssen, was sogar für Proteste gesorgt hat, die jedoch nicht beachtet wurden. Wie dem aber auch sei, die Gegend ist derzeit noch ein verlassener und nicht allzu dicht besiedelter Ort und eignet sich deshalb bestens als Übergangsquartier. Mitarashi hat sich mit ihren Leuten auf die Lauer gelegt und wir scheinen tatsächlich auf Gold gestossen zu sein. Da gehen mehr Leute ein und aus, als es bei einem verlassenen Gebäude der Fall sein sollte.»

Ein Murmeln ging durch die Anwesenden.

«Ich will ja hier nicht den Enthusiasmus bremsen», meldete sich Temari drei Reihen weiter vorne. «Aber seid ihr euch ganz sicher, dass es sich dabei nicht um eine Falle handelt? Immerhin stammt die Info von Pixie und so wie ich Crow kenne, würde ich ihm ein Plan dieser Grösse durchaus zutrauen. Pixie wechselt die Seite, angeblich aus dem Grund, dass sie nicht mehr zu den Riots gehören will, gibt uns den Tipp mit dieser Transportfirma und tatsächlich, Tomcats Vater ist involviert. Wir legen uns auf die Lauer und da gehen wie erwartet Leute ein uns aus. Für Crow wäre es einfach, ein paar seiner Schäfchen dort zu stationieren, um den Eindruck zu erwecken, das Gebäude wäre von Riots bewohnt. Und wir denken, es sei das derzeitige HQ, rennen rein und werden überrascht, weil weder Crow, noch sonst einer seines Kreises anwesend ist. Vermutlich gehen dann wieder ein paar Bomben hoch und das war’s – wir wären wieder einmal in eine seiner Fallen getappt.»

Sakura hätte gerne widersprochen, doch Temaris Zweifel waren begründet. Pixie wirkte verletzt, auch wenn sie es mit aller Kraft zu kaschieren versuchte. Oder war es nur gutes Schauspiel, was sie da zum Besten gab?

«Das sind valide Argumente», erwiderte Hatake ruhig. «Tatsächlich haben wir aber zwei Leute das Gebäude betreten sehen, die Crow nicht einfach opfern würde. Die erste Person ist Yohei Murakami. Und die zweite ist bereits heute Morgen im Gebäude verschwunden, kurz nachdem wir Mitarashi und ihre Leute hingeschickt haben. Hinata Hyuuga.»

Narutos Fäuste ballten sich bei der Erwähnung dieses Namens, obwohl er schon länger darüber Bescheid wissen musste. Vermutlich fiel das ausser ihr niemandem auf.

«Sie haben das Gebäude bis jetzt nicht mehr verlassen. Wir beobachten inzwischen von allen Seiten. Mitarashi und ihre Leute sind auf der Lauer und führen Buch darüber, wie viele Menschen sich in dem Haus befinden, wer von den bekannten Personen drin ist und wer nicht. Suigetsu und Pixie werden sich ihnen nach diesem Briefing anschliessen, da sie die höchste Chance haben, Leute zu identifizieren. Fast alle von ihnen tragen Kapuzen oder Schals um den Hals, um ihr Gesicht zu verdecken, was es zusätzlich schwierig macht. Und ob Crow im Gebäude ist oder nicht, können wir nicht sagen.»

Temari nickte. Das war eine überzeugende Argumentation. Tomcat würde Crow nicht opfern, nie im Leben. Er stellte ihnen viel zu viele Ressourcen zur Verfügung. Und Hinata? Nun so weit sie wusste, war Hinata Crows Freundin. Sie würde er bestimmt nicht opfern. Oder? Crow war ein absolut unberechenbarer Mensch. Vielleicht stellte er das Gelingens einer Sache auch über die Leute, die ihm wichtig waren? Aber wenn sie es sich genau überlegte, wäre es einfach nur dumm, die beiden sterben zu lassen. Das Risiko würde er nicht eingehen.

«Wissen Sie, ob das Gebäude Tunnel hat, die wegführen?», fragte sie laut und erschrak beinahe. Vielleicht war das eine dumme Frage.

Die Blicke lagen plötzlich auf ihr, was ihr ziemlich unangenehm war.

«Fragst du das, weil Sie eine Flucht der ‘wichtigen’ Riots in Erwägung ziehen, Miss Haruno? Auch im Sinne eines Köders, der flieht, bevor die Falle zuschnappt?»

Sie nickte langsam.

«Das ist auch eine sehr gute Anregung. Wir haben dies überprüft. Die Stadtverwaltung besitzt Pläne von allen Industriegebäuden und hat ihn uns zur Verfügung gestellt. Das Gebäude ist alt und schlecht vernetzt. Keine Tunnel. Bei vollständiger Umstellung der Transportfirma ist es nicht möglich, über versteckte Wege zu entkommen.»

Wieder einmal war Sakura beeindruckt, wie viel die Polizei in dieser kurzen Zeit in Erfahrung gebracht hatte.

«Um das zusammenzufassen: Wir sind uns einig, dass wir die Mission morgen Abend durchführen, sofern wichtige Personen zu dieser Zeit in dem Gebäude vor Ort sind. Wir halten es nicht für einen Hinterhalt, weil genannte wichtige Personen sich auf diesem Grundstück befinden, sie keine geheimen Fluchtwege haben und vor allem, weil Crow sich Risiken im Moment nicht leisten kann. Die vergangenen Wochen haben ihn einen grossen Anteil seiner Leute gekostet und wir halten ihn für sehr clever. Es wäre dumm, wichtige Ressourcen wie Tomcat als Köder für eine Falle zu benutzen.»

«Es ist keine Falle», sagte Pixie. «Das schwöre ich. Wenn ihr sie dort angreift, erwischt ihr sie in der Defensive.»

Sakura glaubte ihr. Trotzdem wusste sie, zu welchen Lügen Riots fähig waren. Doch Hatake und die anderen hatten recht. Es wäre absolut bescheuert von ihm.

«Ich bin überzeugt, dass wir keinen unvorbereiteten Crow antreffen werden. Sie werden Waffen haben und sie werden sich zur Wehr setzen. Ich schliesse auch Sprengsätze nicht aus. Die Sanitäter sind bereit, die Feuerwehr wird vor Ort sein. Aber wenn wir jetzt nicht angreifen, geben wir ihnen nur Zeit, sich erneut zu formieren. Das hier ist eine Chance, die beim Schopf gepackt werden muss. Die Chance, es zu beenden. Ein für alle Mal.»

 

Das Briefing dauerte gut eineinhalb Stunden. Der Plan war nicht sonderlich kompliziert, aber dennoch ausgefeilt. Hatake und seine Leute hatten die Polizei–Gang–Fraktion in Gruppen aufgeteilt. Das Gelände, auf dem sich die Transportfirma befand, war erstaunlich gross. Es gab insgesamt sieben Gebäude. Zwei mit Büro-, Schulungs- und Schlafräumen für Fernfahrer, vier Lagerhallen mit kleineren Büros und eine Werkstatt für Lastwagen. Jedes einzelne verfügte über einen Keller und die Lagerhallen waren mit je zehn Andockstationen versehen, auf denen die Fracht der LKWs direkt abgeladen werden konnte. Die Häuser wurden durch unterirdische Gänge verbunden, da der Platz über der Erde für Parkplätze und Verbindungsstrassen gebraucht worden war. Das erste Hindernis war ein grosses Metalltor und der ebenso metallene Zaun, der das Gelände umfing. Jeder der Gruppen war für einen bestimmten Sektor des Geländes zuständig. In den Bürogebäuden wurden Crow und seine engsten Leute vermutet, weshalb dort besonders starke Truppen eingeteilt wurden. Es war gut möglich, dass die Riots nicht alle der Gebäude besetzt hatten, da es mehr Sinn machte, verbliebene Kräfte zu zentrieren anstatt zu verteilen. Das waren aber nur Vermutungen, hatte Shikamaru betont.

Ein erster Schritt musste die Öffnung des Tors sein. Es war ein altertümliches Tor, welches noch mit einem Schlüssel geöffnet werden musste. Zu ihrem Glück war die Stadtverwaltung noch in Besitz einer dieser herrenlosen Schlüssel gewesen. Der Plan war es, dass jemand undercover im Vorbeigehen das Tor öffnen würde und anschliessend sofort zuerst die Einsatz- und dann die Krankenwagen einfahren konnten. Jeder der Gruppen würde mit einem Wagen in ihren jeweiligen Sektor gebracht werden, die Sanitäter würden erst dazustossen, wenn sich die Truppen verteilt hatte und somit die Aufmerksamkeit der Riots nicht mehr auf ihnen lag. Für Feuerschutz war natürlich gesorgt. Die Krankenwagen sollten sich am Rand des Geländes aufhalten und nicht zum primären Ziel werden. Es würden auch nur drei auf das Gelände fahren, während die anderen vor dem Gebäude eine Art provisorisches Lazarett aufbauten, von dem aus koordiniert werden konnte.

Drei Gruppen waren für den Hintereingang zuständig, der sehr viel kleiner und unscheinbarer als das Haupttor war, jedoch auch abgesichert werden musste, wenn eine Flucht verhindert werden sollte. Mitarashi und ihre Leute hatten überprüft, ob es sonst noch einen sichtbaren Ausgang gab, was jedoch nicht der Fall war. Der Zaun stellte zwar ein Hindernis dar, aber nicht nur für sie – die Riots mussten ihn genauso überwinden, wenn sie wegwollten. Das war schwierig, aber nicht unmöglich. Eine ganzheitliche Sicherung des Geländes war also absolut notwendig.

Kurz und gut: Das Ziel war es, alle wichtigen Schachfiguren dingfest zu machen. Nebst Tomcat und Crow war damit der innere Kreis gemeint. Suigetsu und Pixie waren in polizeilicher Begleitung aufgebrochen, um Anko Mitarashi zu unterstützen und mehr Leute zu identifizieren. Würde diese Mission gelingen, hätten sie es geschafft und zwar endgültig. Dann wäre das Herz der Riots zerschlagen und sie die Chance, dass sie sich davon noch erholen würden, konnten kaum geringer sein. Der Gedanke erschien Sakura beinahe abwegig, so lange wie dieser Krieg schon andauerte. Hatake setzte den Aufbruch hier an der Universität auf halb sieben Uhr abends für den nächsten Tag an. Die Mission würde auf jeden Fall stattfinden, denn falls eine der zentralen Figuren das Gebäude verliessen, würde sofort die Verfolgung aufgenommen werden. Die Zeit war da und es sollte Nägel mit Köpfen gemacht werden.

 

«Habt ihr gewusst, dass Menschen mit Hunden attraktiver wirken?», fragte Kiba zwischen zwei Erdnüssen, die Ino in die Luft warf und er mit dem Mund auffing.

«Hätte ich bei deiner Fresse jetzt echt nicht gedacht», kam eine gleichgültige Antwort von Neji, der es sich auf dem Sofa bequem gemacht und seinen Kopf in Tentens Schoss gelegt hatte. Die Kuramas hatten es sich in der Sofaecke bequem gemacht, während die Takas drüben an den Tischen sassen und in Gespräche vertieft waren. Einzig Suigetsu und Pixie fehlten. Die beiden lagen jetzt mit Mitarashi und ihren Leuten auf der Lauer.

Kiba zog einen Flunsch. «Neji ist da. Immer wenn meine Gefühle verletzt werden weiss ich, Neji ist da.»

«Tja, dann hör doch auf so bescheuertes Zeug zu reden», antwortete Shikamaru mit genervtem, leicht süffisantem Unterton an Nejis Stelle.

«Ihr wisst, dass ich attraktiv bin. Cherry, sag es ihnen!» Er sah sie mit Hundeaugen an und wies mit einer wegwerfenden Geste auf die beiden Bösewichte.

Sakura musste sich ein Lachen verkneifen. «Kiba ist attraktiv», sagte sie kurzangebunden. Natürlich war er hübsch, aber es sollte ihm bloss nicht zu Kopf steigen.

«Ein bisschen mehr Überzeugung hätte jetzt auch nichts gekostet», kommentierte er ihre Aussage mit einem Schmollmund.

«Kiba, erspar uns bitte deine tollen Fakten», kam es von Naruto, der sich bis anhin mit Lee über Waffen unterhalten hatte.

«Schon gut.» Kiba grinste und kraulte Akamarus Kopf. «Wird ja wohl noch ein wenig rumalbern dürfen.»

Sakura streckte dem Hund ein Leckerli hin, welches schneller als sie zusehen konnte in seinem Mund verschwand.

«Was denkt ihr, kriegen wir sie morgen?», kam es nach einer Weile von ruhigen Gesprächen von Choji.

«Klar», antwortete Lee. «Da gibt es gar keine andere Option. Und dann wir endlich wieder alles wie früher sein.»

«Du weisst schon, dass nichts jemals wieder sein wird wie früher?» Auch wenn Temari unnahbar klingen wollte, Sakura hörte den Anflug Wehmut aus ihrer Stimme hinaus.

«Ja, schon. Aber ich meinte nur, ob wir die Riots morgen schlagen.»

«Bestimmt», kam es von Ino. «Es ist Zeit, dass die von der Bildfläche verschwinden.»

«Das war es schon lange», brummte Temari.

«Schluss jetzt mit der schlechten Stimmung da drüben. Ja, wir kriegen sie morgen. Aber jetzt müssen wir noch nicht darüber nachdenken. Geniesst den Abend und dass wir noch alle heil sind», warf Naruto ein. «Kuramas, nach so langer Zeit sind wir endlich wieder alle zusammen. In Anbetracht der Umstände will ich nicht von ‘feiern’ sprechen. Aber es uns für einen Abend gutgehen lassen, das können wir!» Er hob seine Bierflasche. Heute tranken sie alle nur ein Bier. Denn verkaterte Kämpfer konnten sie morgen nicht gebrauchen.

Sie prosteten einander zu. Sakura nippte an ihrem Wasser. Sie genoss es, endlich wieder im bekannten Kreis zu sein. Es war schon lange her, dass sie alle auf einem Haufen gewesen waren und es fühlte sich beinahe an wie früher. Sakura vermisste jedoch ihr HQ. Viel zu lange waren sie nicht mehr dort gewesen.

Sie vertieften sich wieder in ihre jeweiligen Gespräche. Sakura unterhielt sich mit Kiba und Ino über die Zukunft. Sie spekulierten, was sich nach einem Sieg ändern würde, ob sie wieder ins HQ zurückkehren konnten. Themen wie die ausstehende Strafe der Bosse und die generelle Toleranz der Menschen gegenüber Gangs liessen sie bewusst aus. Das wollten sie jetzt nicht besprechen.

«Hey!», rief plötzlich eine kindliche Stimme.

Die Köpfe drehten sich in die Richtung, aus der die Stimme kam. Die Takas verstanden nicht ganz, was sie da sahen, doch die Kuramas jubelten allesamt los. Sakura lachte laut. Konohamaru war da.

Einzig Naruto sah wenig erfreut aus, als der kleine Racker auf sie zugelaufen kam, das vertraute schelmische Grinsen im Gesicht. Erst gerade hatte sie Naruto noch gefragt, wohin man den Konohamaru eigentlich gebracht hatte. Tatsächlich lebte er im Moment in einem Kinderheim im East. Naruto hatte das eingefordert, da er Konohamaru weder alleine im HQ noch auf der Strasse haben wollte – ein Zeichen dafür, dass ihm der Junge nicht so egal war, wie er immer tat. Und obwohl Konohamaru zuerst kein Fan der Idee gewesen war, gefiel es ihm inzwischen sehr gut. Unter Gleichaltrigen und unter kompetenter Aufsicht zu sein, schadete ihm gar nichts. Trotzdem war er in der vergangenen Zeit fast zu einem Ehrenmitglied er Kuramas geworden und dementsprechend wurde er begrüsst. Sakura mochte den Kleinen, er war eine clevere Frohnatur und sagte. Was er dachte. In Anbetracht seiner Vergangenheit staunte sie immer wieder über seine Einstellung. Sie war nicht die Einzige, die er an Naruto erinnerte. Gerade deshalb war Naruto wohl so streng mit ihm.

Ja, und da gab es noch etwas Weiteres: Konohamaru war dank Hinata bei ihnen. Quasi das Letze, was Kurama Cutie zurückgelassen hatte, bevor sie zu Riot Foxy geworden war. Der Gedanke erfüllte sie mit Wehmut, aber tief drin hatte sie die Hoffnung an Hinatas Rückkehr noch nicht aufgegeben.

 

Konohamaru war schnell der Star des Abends. Sogar die Takas warfen einige neugierige Blicke in seine Richtung.

«Warum bist du eigentlich immer so verstimmt, wenn Konohamaru auftaucht?» Sakura war zu Naruto rübergerutscht, der das Ganze mit etwas Abstand beobachtete.

«Ich bin nicht verstimmt.»

Sakura lachte leise. «Doch, bist du.»

«Okay, okay.» Er seufzte. «Ich weiss es auch nicht, Cherry. Vielleicht wäre ich manchmal selber gerne noch einmal ein Kind. Eines, das auch in einem guten Heim landet und Kind sein darf.»

Sakura schluckte. Sie hatte mit so etwas gerechnet, es aber so direkt aus seinem Mund zu hören, machte sie traurig.

«Seine Faszination für Gangs ist einfach nicht gut. Er soll sich anderem zuwenden. Aber eine seiner Betreuerinnen hat ihn auf seinen Wunsch vorbeigebracht, weil er uns noch einmal sehen wollte.»

«Das ist aber auch verständlich, findest du nicht? Er hat sehr viel Zeit bei uns verbracht. Und die anderen freuen sich auch.»

Er nickte. «Ich weiss. Keine Ahnung. Wäre doch besser, wenn er jetzt mit Gleichaltrigen zusammen sein könnte.»

«Das eine schliesst ja das andere nicht aus.»

«Hast schon recht. Sorry.»

«Macht nichts.» Sie verstand seine Bedenken. Konohamaru hatte die Chance, ein normales Leben zu führen. Etwas, was Naruto nicht gehabt hatte. Und in seinen Augen wirkte es, als würde der Kleine das Gangleben bevorzugen. Eigentlich war sein Unmut nur ein Zeichen dafür, wie sehr er sich um ihn sorgte.

Jedenfalls amüsierte sich Konohamaru noch prächtig. Sogar einigen Takas entlockte er ein Schmunzeln. Der Abend verlief entspannt und auch als Konohamaru abgeholt worden war, hielt sich die gute Stimmung. Als alle im Begriff waren, sich in ihre Schlafräume zurückzuziehen, war es Naruto, der sich noch einmal aufraffte.

«Moment!», rief er laut, sodass auch die Takas ihn hören konnten. Auch die beiden Gangs gemeinsam operierten, war es doch das erste Mal, dass Naruto sich auch an die Takas wandte.

«Gebt mir eine Minute. Ich weiss, euch Takas interessiert es nicht, was ich zu sagen habe. So wie es meine Leute normalerweise nicht interessiert, wenn Demon etwas zu sagen hat. Aber wir kämpfen nun schon seit längerem gegen einen gemeinsamen Feind und ich denke, es ist nicht von der Hand zu weisen, dass uns das mehr zusammengeführt hat, als wir es uns jemals hätten vorstellen können.»

Er wirkte nervös. Naruto wirkte nie nervös, wenn er nur vor Kuramas sprach. Doch die Takas taten nichts anderes, als aufmerksam zuzuhören. Kein Grinsen, keine dummen Sprüche.

«Ich weiss nicht, wie das hier enden wird. Folgendes weiss ich: Nach diesem Krieg wird nichts mehr sein wie zuvor. Und wer auch immer von uns diesen Krieg übersteht, soll wissen, dass ich als Leader der Kuramas kein Interesse mehr an Bandenrivalitäten habe. Zumal ich vermutlich mit Demon im Knast sitzen werde. Wer auch immer nach diesem Krieg noch da ist, soll wissen, dass wir eine Chance auf einen Neuanfang erhalten haben. Und die sollt ihr nutzen. Sowohl Kuramas als auch Takas. Lange Rede, kurzer Sinn: Ich wünsche euch das allerbeste Gelingen morgen. Auf dass alle erleben dürfen, was nach diesem Krieg auf uns wartet.»

Nicht nur die Kuramas, sondern auch die Takas stimmten ihm lautstark zu. Sakura hatte Gänsehaut auf den Armen. Nicht wegen Narutos Rede, sondern, weil die Takas und Kuramas nicht mehr Todfeinde waren. Nach all diesen Jahren der Feindschaft arbeiteten sie zusammen. Und auch wenn ihre Zusammenarbeit vor längerer Zeit begonnen hatte, brauchte sie immer wieder aufs Neue Zeit, um das zu realisieren. Vor gut einem Jahr hatte sie davon geträumt, einen Tag zu erleben, an dem ihre Gefühle für Sasuke nicht mit Verachtung gestraft wurden. Und in diesem Moment wurde ihr wieder bewusst, dass die Rivalität mehr und mehr schwand. So weit, dass alle wussten, wie sie zu Sasuke stand und sie dafür nicht mehr verurteilten. Vermutlich fanden es viele immer noch nicht okay. Aber sie hassten sie nicht mehr dafür. Und für die Gangs bedeutete das das Beilegen einer jahrelangen Feindschaft, die in sich eigentlich bereits legendär war. Kurama Foxes und Taka Snakes – die berüchtigsten Gangs Konohas. Und nun standen sie an einem Punkt, der ins Ungewisse führte.

Sasuke hatte sich nun auch erhoben. «Ich rede nicht viel und ich rede nicht gerne. Aber hier möchte ich Big Fox zustimmen. Die Zukunft beginnt morgen. Was gewesen ist, war gut und gleichzeitig schlecht. Was kommt, das haben wir in der Hand. Also: Lasst und die Riots in den Boden stampfen.»

Die Zustimmung war laut und ungehalten. Voller Zuversicht und Hoffnung. Voller Freude darüber, endlich das eigene Schicksal mitbestimmen zu können.

Sakura putzte sich die Zähne in der Damentoilette auf ihrem Stockwerk. Draussen riss ein kräftiger Wind an den Baumkronen und Regen prasselte gegen die Fensterscheiben. In einer Woche würde das neue Semester starten und bis dahin mussten sie das Hauptgebäude der Uni wieder freigeben. Die Sommerkurse hatten alle in den Nebengebäuden und Aussenstandorten abgehalten werden können, aber ab Semesterstart wurden wieder alle verfügbaren Räumlichkeiten benötigt. Schafften sie es nicht, die Riots innerhalb dieser Woche dingfest zu machen, würden sie umziehen müssen. Vielleicht in den Turnhallenkomplex im East, in dem Narutos Gruppe vor ihrer Zusammenkunft in der Uni gehaust hatte? Als zweitgrösster genutzter Standort wäre er die logische Alternative. Sakura widerstrebte es allerdings, überhaupt daran zu denken. Schon morgen konnte es vorbei sein. Und mit diesem Ziel wollte sie in das bevorstehende Battle starten.

In dem kleinen Hörsaal, ihrem Schlafplatz, traf sie bereits Sasuke an, der im Licht der Schreibtischlampe etwas in ein zerfleddertes Notizbuch kritzelte. Als er sie bemerkte klappte er es rasch zu und liess es unter seiner Matratze verschwinden.

«Darf ich fragen, was das für ein Notizbuch ist oder nicht?» Sie schmunzelte.

«Nichts Wichtiges. So ein Therapiezeug von meiner Psychologin aus dem Knast.»

«Und warum versteckst du es? Ich finde es super, dass du das immer noch machst. Ich meine, seit du aus dem Gefängnis raus bist, ist einige Zeit vergangen.»

«Ich will nicht, dass du mich für noch kränker hältst als ich sowieso schon bin», murmelte er.

Sakura tat es weh, wenn er so etwas sagte. Sasuke war nicht krank, aber er hatte viele Bürden, die er mit sich herumtrug, hatte viel Leid erlebt und es gab noch viel Unausgesprochenes. Er war mit einem Eisberg zu vergleichen, nur das wenigste war an der Oberfläche sichtbar.

«Du musst mir nicht sagen, was es ist, wenn du nicht willst. Und ich halte dich nicht für krank. Das versichere ich dir.»

Der Anflug eines Lächelns auf seinen Lippen liess es in ihrem Bauch kribbeln. Sie setzte sich neben ihn auf die Matratze.

«Da wären die ganzen Psychoheinis anderer Meinung.»

Sie zuckte mit den Schultern. «Dein Glück, dass ich kein Psychoheini bin.»

Er lächelte und zog sie an sich. Seufzend bettete sie ihren Kopf auf seine Schulter und liess sich festhalten.

Nach einigen Sekunden des Schweigens meinte er: «Ich muss da positive Sachen reinschreiben. Jeden Tag muss ich aufschreiben, was an diesem Tag gut war. Das klingt total bescheuert, aber irgendwie ist es gar nicht so dämlich wie ich am Anfang gedacht habe.»

«Ich finde, das klingt richtig gut. Ich meine, es schadet ja nichts, auch mal die guten Sachen im Leben anzuschauen. Oder?»

Sie spürte seinen Atem in ihrem Haar. «Definitiv.»

«Bist du eigentlich nicht müde? Ich meine, du bist seit heute Morgen auf Achse. Und letzte Nacht…» Sie hielt mitten im Satz inne. Es war fast zu einfach gewesen, im Trubel des Tages zu vergessen, was in der vergangenen Nacht vorgefallen war. Doch jetzt kamen die Erinnerungen zurück. Erinnerungen an Menschen, die nicht mehr unter ihnen weilten.

«Doch, ich bin müde, aber auch wütend. Gegen Crow würde ich auch jetzt antreten, diesen feigen Schweinehund. Lässt seine Lakaien gegen uns antreten und suhlt sich dennoch in ihrer Bewunderung. Aber morgen ist es vorbei mit seinem Spiel. Morgen kriegen wir ihn.»

Sie drückte seinen Arm. Ihr Herz pochte bei dem Gedanken, ihn und ihre Freunde erneut gegen die Riots antreten zu sehen. Zu viele Opfer hatte es bereits gegeben. Warum mussten sie erneut ihr Leben aufs Spiel setzen?

«Es ist nicht fair. Big Fox hatte schon recht mit der Chance, die man uns gegeben hat. Wir haben viel Scheisse gebaut, aber ist es wirklich gerecht, uns nur dann eine zu geben, wenn wir dabei unser Leben riskieren? Karin hat sich selber geopfert, um andere zu schützen. Sie wollte ein neues Leben, genau wie wir alle. Aber sie ist eine von denen, die es nicht geschafft haben. Dabei hat sie genauso das Recht, ein neues Morgen zu sehen. Nachdem sie alles aufs Spiel gesetzt hat, wäre es das Mindeste gewesen.» Für Sasuke waren solche Gefühlsausbrüche nichts Alltägliches. Er war verzweifelt. Und ihn verzweifelt zu sehen, war nie etwas Leichtes. Er, der Leader, der immer alles im Griff hatte.

Sie schlang ihre Arme um ihn und zog seinen Kopf an ihre Schulter, drückte ihn so fest sie konnte. Er erwiderte ihre Umarmung und liess sich trösten. Sakura war dankbar, dass er wenigstens vor ihr seine Maske ablegen konnte und seinen Gefühlen Platz geben konnte. Er hatte in ihrer Anwesenheit noch nie geweint und tat es auch jetzt nicht, aber sein Schmerz war allgegenwärtig spürbar. Aber für sie selber waren Tränen ein ständiger Begleiter. Wut, Trauer, Angst, all das trieb ihr Tränen in die Augen. Und auch jetzt weinte sie stumm vor sich hin und wiegte Sasuke in den Armen. Auch sie trauerte um Karin. Irgendwann wären sie vielleicht noch Freundinnen geworden.

Ihn so zu sehen tat weh. Sie wünschte sich so sehr, dass er endlich seinen Platz fand. Den Platz, an dem er glücklich sein konnte.

Sie küsste ihn auf das weiche, rabenschwarze Haar.

Irgendwann richtete er sich wieder auf. Nein, er hatte tatsächlich nicht geweint. Seine Augen waren trocken und auch nicht gerötet.

«Tut mir leid», murmelte er.

«Das muss dir nicht leidtun. Danke, dass du mir gegenüber so offen bist.»

Seine dunklen, unergründlichen Augen musterten sie. «Ich weiss nicht, womit ich jemanden wie dich verdient habe. So kaputt wie ich bin.»

Sie schüttelte den Kopf. «Sag nicht sowas. Ich bin nicht besser als du. Wir sind weit davon entfernt, perfekt zu sein, aber wir sind gleichwertig. Stufe dich nicht herunter, das ist nicht gut für dich. Und für mich.»

Er schaute zu Boden. «Manchmal kann ich es einfach nicht fassen weisst du. Vor mehr als einem Jahr, da war ich so anders. Ich lebte in meiner eigenen Welt – ich, mein Bruder, die Takas. Mehr gab es da nicht. Alles andere war nicht von Dauer. Ich lebte im Moment und machte mir wenig Gedanken über die Zukunft und jetzt… jetzt weiss ich eines: Ich will das hier überleben. Und wenn du es tatsächlich erträgst mit einem Ex-Knasti zusammen zu sein, dann möchte ich alles, was noch kommt, mit dir erleben.» Er war kein Mann der grossen Gefühle, das war inzwischen klar. Diese Worte hatten ihn hör- und spürbar Überwindung gekostet.

Sie lächelte und küsste ihn auf den Mund. «Da gibt es nichts mehr zu entscheiden», flüsterte sie und küsste ihn gleich noch einmal. «Ich liebe dich.»

Er zog sie erneut an sich und liess sich auf die Matratze fallen. Ihm so nahe zu sein machte sie oft kirre, aber heute war es die ruhige Zweisamkeit, die sie genoss. Heute konnten sie noch zusammen sein und was morgen war, würden sie erst erfahren.

Doch ihn bei sich zu haben, ihren Kopf auf seiner Brust, die sich mit seinem Atem hob und senkte, ihre Hände in seinen, war alles, was sie in diesem Moment brauchte.

Draussen der Regen, der gegen das Fenster prasselte.

 

Hinata stand an dem abgewetzten Fensterrahmen und starrte nachdenklich auf das Gelände hinaus. Von hier aus wirkte es riesig. Die Gebäude waren nicht mehr die jüngsten, aber sie hatten diesen altertümlichen Charme, wie er in einem modernen Grossstadtdschungel wie in Konoha nur schwer zu finden war. Die Dächer waren noch mit Ziegeln bedeckt wobei diese doch ziemlich mitgenommen aussahen und die Fassaden bröckelten an mehr Stellen, als sie es noch heile gab. Aber irgendwie mochte sie das. Eine Schande, dass alles bald dem Erdboden gleichgemacht wurde, um Platz für Industrie zu schaffen. Und die Wohnüberbauungen würden auch nur den Schönen und Reichen zu Gute kommen, nicht denen, die es wirklich brauchten. Nein, diese wurden sogar verscheucht.

Es lief vieles falsch in dieser Stadt, in dieser Welt. Was Ayato sagte, war nicht verkehrt und sie bewunderte seinen Mut, sich für seine Ideale einzusetzen. Über seine Mittel und Wege konnte man sich streiten, gewiss.

Hier so alleine in dem kleinen Büroraum zu stehen, in denen einst fleissige Menschen tagtäglich ihre Arbeit verrichtet hatten und zum offenen Fenster hinauszuschauen, stimmte sie traurig. Ihr altes Leben schien so weit entfernt, dass es kaum mehr greifbar für sie war. Ihre längst vergangenen Zukunftsvisionen waren nichts mehr weiter als ein kleiner süsser Traum. Jetzt sah sie nur noch eines vor ihr: Entweder würde man sie töten oder sie würde im Knast landen. Ayato war stark und konnte viel Schaden anrichten, aber ewig würde er sein Spiel nicht mehr vorantreiben können.

Manchmal hatte sie das Gefühl, nicht mehr zurechnungsfähig zu sein. In ihrem Kopf drehten sich die Gedanken, Gefühle wie Wut und Trauer gaben sich im Sekundentakt die Klinke in die Hand. Einerseits wusste sie, was sie tun wollte und andererseits wünschte sie sich, es hätte einen anderen Weg gegeben. Vielleicht war sie zu dumm gewesen und hatte einfach keinen anderen gesehen. Aber auch heute wusste sie nicht, wie sie es hätte anders machen sollen. Sie vermisste die Person, die sie einst gewesen war. Die Probleme, die sie einst gehabt hatte.

Draussen wehte der Wind Papier und anderen Müll über die Gasse zwischen dem Bürogebäude und der Lagerhalle.

Ayato war vorhin zu Tomcat gegangen. Ihm war wieder einmal irgendetwas Wichtiges eingefallen. Crow war ein seltsamer Mensch und sorgte bei ihr immer wieder für Verwirrung. Genau wie ihre Gedanken verrücktspielten, befanden sich auch ihre Gefühle in Aufruhr. Und obwohl sie schon lange wusste, auf welcher Seite sie stand, so konnte sie es manchmal nicht mehr mit Sicherheit sagen.

 

Der nächste Tag brachte weitere Windböen und Regen mit sich. Die Vorbereitungen liefen auf Hochtouren. Am Morgen fand noch einmal eine Ansprache im grossen Hörsaal satt, bei dem noch einmal die Vorgehensweise wiederholt wurde, denn alles musste klappen. Die Beobachtungen der letzten Nacht hatten ergeben, dass sich eine grosse Anzahl Riots noch in dem Gebäude befand, darunter auch Hinata und Tomcat. Crow war nicht gesichtet worden – entweder war er drin oder nicht. Aber ein Angriff würde auf jeden Fall rentieren.

Es war Naruto, der sich am Ende mit einer Bitte noch einmal an die Anwesenden wandte. Hinter ihm auf der Powerpoint-Präsentation erschien ein Bild von Hinata, dass sie lächelnd auf einem der Sofas im Kurama-HQ zeigte.

«Wer sie noch nicht kennt: Das ist Hinata Hyuuga, in Riot-Kreisen nur Foxy genannt. Sie ist eine Überläuferin und war einst eine von uns Kuramas. Und ich möchte euch darum bitten, sie zu verschonen. Ich weiss, ihr seid dazu angewiesen, niemanden zu töten oder zu verletzen, wenn es auch anders geht. Aber bei ihr möchte ich um besondere Rücksichtnahme bitten. Warum sie sich den Riots angeschlossen hat, weiss ich bis heute nicht. Aber ich will es herausfinden. Es sieht nicht aus, als wäre sie unfreiwillig dort, solange ich es jedoch nicht mit Sicherheit sagen kann, will ich nicht, dass ihr etwas passiert. Ist das möglich für euch?»

Er erhielt Zustimmung. Vielleicht war es das Foto, welches ein junges, nettes Mädchen zeigte und keine kalte Verräterin, die sogar die Takas gegenüber Hinata sanft stimmte. Vielleicht auch die Emotionen und die Zuneigung, die man aus Narutos Ansprache herausgehört hatte, obwohl er darum bemüht gewesen war, so objektiv wie möglich zu klingen. Was auch immer es gewesen war, es spielte keine Rolle. Naruto Bitte war auf jeden Fall gehört worden. Er atmete sichtlich erleichtert aus.

 

Gegen halb sechs Uhr abends trat Sakura mit Ino auf den blickgeschützten Vorplatz der Universität hinaus. Der Wind hatte sich nur minim gelegt und riss immer noch Blätter von den Bäumen.

Seit heute Morgen herrschte hier ein emsiges Treiben, Sasuke hatte sie seitdem sie aufgestanden war nicht mehr gesehen. Die Gangmitglieder wurden mit Waffen und kugelsicheren Westen ausgestattet, was sie wirklich aussehen liess, wie eine Spezialeinheit der Polizei. Sie und Ino trugen ihre Sanitäter-Overalls. Beide waren sie den Einheiten zugeteilt worden, die sich auf das Gelände begeben würden und nicht zu jenen, die im provisorischen Lazarett blieben. Gegen Mittag war Tsunade mit Shizune angetrabt, die sich freiwillig für die Mitarbeit im Lazarett gemeldet hatten. Die stark Verletzen würden von dort aus ins Krankenhaus gefahren werden. Ihre Tante hatte Angst um sie, das sah sie ihr an, jedes Mal, wenn sich ihre Blicke trafen. Aber Sakura war entschlossen, in die Festung der Riots einzudringen und dort ihr Möglichstes zu tun, um ihre Freunde zu unterstützen.

Sanae, Aoi und Kenta warteten bereits an dem ihr allzu vertrauen Krankenwagen und winkten ihr zu. Sie wirkten angespannt, aber motiviert. Sakura würde niemals aufhören, all diese mutigen Polizisten und Sanitäter zu bewundern. Sie waren nicht verpflichtet, das zu tun. Und doch wussten sie, dass es irgendjemand machen musste. Ein Blick zur Seite zeigte, dass auch Ino ihr Team gefunden hatte.

Bald war es so weit. Etwas nervös hielt sie Ausschau nach Sasuke. Allen Kuramas und Takas, die ihr heute über den Weg gelaufen waren, hatte sie bereits gutes Gelingen gewünscht. Aber ihn musste sie unbedingt noch sehen. Lange hielt sie nach ihm Ausschau und ging aufgeregt vor dem Krankenwagen auf und ab. Sie entdeckte ihn erst kurz vor Aufbruch, als er neben Hatake und Naruto aus dem Gebäude trat. In den Overalls und den Westen sahen die beiden Gang-Leader aus wie waschechte Polizeikommandanten und Sakura konnte wieder einmal nicht anders, als sich zu fragen, was unter anderen Umständen aus den beiden geworden wäre. Vielleicht hätten ihre Leben eine ganz andere Wendung genommen, so intelligent und vielseitig wie die beiden waren. Aber das Schicksal hatte einen anderen Weg für sie gewählt.

Sie bewegten sich auf einen der Kombis zu und Sakura traute sich nicht, in das Gespräch der Drei reinzuplatzen. Doch bevor er in den Kombi stieg, glitt sein Blick suchend über die Menge. Als er sie entdeckte, hielt er schnurstracks auf sie zu. In seinem Gesicht die übliche kühle Fassade gegen aussen, die Wärme in seinen Augen nur für Eingeweihte.

«Bist du soweit?», fragte er und blieb vor ihr stehen. Sie sah ihm an, dass er sich Sorgen machte, aber da war er nicht der Einzige.

«Natürlich.»

Er zog sie sanft hinter den Krankenwagen, damit sie wenigsten von den meisten Blicken geschützt waren und musterte sie gründlich. «Weisst du, vor einem Jahr hätte ich mit nie träumen lassen, wohin uns das alles noch führt. Damals, in der Blood Zone, erinnerst du dich? Ich wollte dich nicht ausschalten, weil du meiner Meinung gar nicht auf ein Schlachtfeld gehört hast. Und jetzt stehst du da, wie eine Rettungssoldatin.» Seine Worte klangen nachdenklich, fast schon ungläubig. «Du bist nicht mehr das Mädchen von damals.»

«Und ist das schlecht?»

«Nein, ganz im Gegenteil. Auch wenn ich nach wie vor nicht finde, dass du auf ein Schlachtfeld gehörst. Aber ganz bestimmt an den Rand des Schlachtfelds, an dem du Leuten helfen kannst. Und in eine Gang, die du trösten und sanft stimmen kannst.»

Er griff mit seiner warmen Hand nach ihrer und seine dunklen Augen fixierten sie. «Komm einfach zurück, ja? Ich werde mir mit Big Fox Crow vornehmen. Ich werde zwar in deiner Nähe sein, aber ich werde nicht auf dich aufpassen können.»

«Du musst nicht auf mich aufpassen, Sasuke. Mach dir darum keinen Kopf.»

«Doch, das muss ich. Ob du willst oder nicht. Lass mich wenigstens aus Egoismus um dich besorgt sein», flüsterte er.

Sie schlang seine Arme um ihn und drückte ihn an sich, so fest sie nur konnte. Natürlich hatte sie Angst, natürlich machte der Gedanke an den bevorstehenden Kampf sie beinahe wahnsinnig. Aber Sasuke sollte sich nicht noch mehr Sorgen machen. Genau genommen war eigentlich sie es, die sich sorgen musste. Schlussendlich waren es Naruto, Sasuke und ihr Team, welche Crow gegenübertreten sollten. Und das war wohl die gefährlichste Mission von allen, denn wie allgemein bekannt war, beschützten die Riots ihren Leader um jeden Preis.

Sie legte den Kopf in seine Halsbeuge und sog den Duft seiner Haut ein. Er streichelte mit seiner Hand sanft ihr Haar.

«Pass du auch auf dich auf. Lass Crow nicht gewinnen. Wenn es jemand schaffen kann, dann du und Naruto», murmelte sie.

Sie küsste ihn auf seine weichen Lippen und liess das wunderbare Gefühl bis in ihre Finger- und Zehenspitzen vordringen. Wer wusste schon, wann sie ihm wieder nahe sein konnte?

Er zog sie näher an sich, ehe sie ihre Lippen wieder voneinander lösten. Stirn an Stirn gelehnt standen sie da, noch einmal mit dem Gefühl, einander nahe zu sein. Einmal mehr wurde Sakura bewusst, wie sehr sie ihn liebte. Egal, was gewesen war. Hier und heute zählte, dass sie zusammen waren. Mehr brauchte sie in diesem Moment nicht.

Die Polizeifahrzeuge rollten gegen halb sieben vom Platz, eines nach dem anderen. Die Krankenwagen brachen zehn Minuten verzögert auf. Sakuras Puls beschleunigte sich, als Sanae aufs Gaspedal trat und den Wagen in die Strasse rollen liess. Gedanken an das vergangene Jahr rasten durch ihren Kopf. Die Strassenparty, die Blood Zone. Der Abend in der DDM, Sasori und Sasuke. Heimliche Treffen mit Sasuke, Einsamkeit, Angst davor, ihre Freunde zu verlieren, ihre unfreiwillige Zeit bei den Takas. Drop Down und Itachi. Weihnachten auf dem Friedhof mit Sasuke, Silvester im Lichtermeer. Die ersten Schläge gegen die Riots. Sasukes Unberechenbarkeit, ihr blauer Arm. Der Ausflug nach Otogakure, Ami, Haru und die Kinder. Das Schulfest und seine Entschuldigung, die Gewissheit, dass sie ihn immer noch liebte. Momochi und seine Pläne, Hinatas Verrat, Kankuros Tod. Die Leader im Gefängnis, ihre Auftritte im Fernsehen. Der Deal mit der Polizei und die Rückschläge gegen die Riots. Die Schlacht bei der DDM und Karins Opfer. Pixie als unerwartete Unterstützung.

Und jetzt waren sie da. Nach all dieser Zeit waren sie immer noch hier und versuchten alles, um gegen Crow zu gewinnen. Ihr Herz wurde schwer, wenn sie an all die schwierigen Momente des vergangenen Jahres dachte, doch gleichzeitig stimmte es sie mutig. So vieles hatten sie bereits überstanden. Noch hatten sie nicht aufgegeben. Es galt, weiterzumachen, um eine Zukunft zu haben, für die es sich zu kämpfen lohnte.

 

Vereinzelte Regentropfen prasselten von einem grauen, wolkenverhangenen Himmel gegen die Windschutzscheibe. Vor ihnen lag eine lange Nacht. Und es sollte die längste ihres Lebens werden.

Crows Spiel

 

18:43 Uhr, South

 

Die Häuser und Strassen des Souths zogen wie ein Film an dem Krankenwagen vorbei und ihre rasenden Gedanken gaben ihr beinahe das Gefühl, in der Zeit zu reisen. Jedes Ereignis in der Vergangenheit hat sie hier, zu diesem Moment geführt, indem sich alles entscheiden sollte.

Ein Blick zum grauen, wolkenverhangenen Himmel verriet, dass sich das Wetter so schnell nicht bessern würde. Vermutlich würden sie es auch in dieser Nacht noch mit Sturmböen zu tun haben. Eigentlich ganz passend im Hinblick auf die Ereignisse, die bevorstanden.

Inzwischen mussten die kämpfenden Einheiten das Gelände der Transportfirma erreicht haben. Ob alles geklappt hatte mit der Öffnung des Tores?

Sanae neben ihr sprach nicht viel und behielt den Blick auf die Strasse gerichtet – die Konzentration in Person. Sie hatte ihr einmal erzählt, dass sie vor einem halben Jahr geheiratet hat, was Sakura irgendwie besorgt machte. Sie musste das hier nicht tun und doch hatte sie so viel zu verlieren. Sie wollte vielleicht einmal eine Familie haben, doch das alles setzte sie willig aufs Spiel, damit diese Stadt die derzeit grösste Bedrohung loswerden konnte. Kenta, Aoi und all die anderen Beteiligten taten dasselbe.

«Zieh die kugelsichere Weste an, Sakura. Sie liegt unter deinem Sitz. Hatake meinte, er wolle nichts riskieren.»

Erst jetzt bemerkte Sakura, dass auch Sanae eine solche Weste trug. Rasch schnallte sich Sakura ab, und zog die schwere, steife Weste an. Sie war zwar nicht besonders bequem, aber sie gab Sakura ein Gefühl der Sicherheit.

«Danke für alles, Sanae.», sagte sie und liess die Schnalle ihres Gurtes wieder einrasten.

«Wofür? Für die Weste?», fragte sie, ohne ihren Blick von der Strasse abzuwenden.

«Für die natürlich auch. Aber mehr dafür, dass du und all die anderen hier mitmacht.»

«Da gibt es nichts zu danken, Sakura. Ihr macht es ja auch.»

«Ja aber…»

«Ihr hättet noch weniger Grund dazu. Ihr schuldet dieser Stadt nicht das Mindeste, noch viel weniger als wir. Sie hat euch nichts Gutes getan und trotzdem steht ihr Gangs jetzt da und gebt alles. Eigentlich sollten wir euch danken.»

«Wir haben der Stadt in der Vergangenheit auch nicht unbedingt gutgetan.»

«Tja, seien wir ehrlich: Der Stadt habt ihr nicht viel zu Leide getan. Ihr habt euch untereinander bekriegt, manchmal wurde die Stadt dabei in Mitleidenschaft gezogen. Vielleicht habt ihr mal was geklaut oder illegale Dinge gemacht. Aber wer der Stadt wirklich wehtut, das sind die egoistischen, geldgierigen Unternehmer, die korrupten Politiker, gewalttätige Menschen und eine ganze Reihe weiterer Leute. Und die büssen derzeit für gar nichts. Dabei haben sie genauso Mitschuld am Zustand von Konoha. Warum ausgerechnet ihr euren Ruf ‘reinwaschen’ müsst, ist mir ein Rätsel. Da gibt es einen Haufen anderer Leute, die das genauso tun müssten.» In ihren Worten schwang Ärger und Frustration mit. «Auch ich hatte meine Bedenken, was Gangs betraf. Aber ich habe jetzt gesehen, wer ihr seid und was ihr könnt. Eine Menge cleverer junger Menschen mit so viel Potenzial, die zugegebenermassen vielleicht nicht den optimalen Weg eingeschlagen haben – und das ist nur sehr begrenzt eure Schuld. Ich entdecke bei euch ‘Kriminellen’ sehr viel mehr Moral und Menschlichkeit als bei den meisten Politikern.»

Sakura war für einen Moment sprachlos vor Rührung. «Das hast du sehr schön gesagt, Sanae. Aber es gibt verschiedene Arten von Gangmitgliedern – wir sind nicht alle gleich. Möglicherweise sind einige moralisch fragwürdiger als du denkst. Viele haben in der Vergangenheit keine schönen Dinge gemacht.»

«Das ist mir bewusst, Sakura. Aber Unmenschen seid ihr deswegen nicht. Es ist natürlich, dass sich Menschen ihrem Umfeld anpassen. Viele von euch hatten ja auch nicht wirklich eine Wahl, wenn es nun mal ums Überleben geht. Aber Leute wie Momochi haben sehr wohl eine Wahl. Momochi hatte keine Skrupel, Unschuldige zu benutzen, um seine Position zu stärken. Er hat vermutlich nicht mit der Wimper gezuckt, als er mit den Riots gemeinsame Sache gemacht und diese Kinder entführt hat. Freiwillig. Aus purem Egoismus. Ich finde nicht, dass man das vergleichen kann.»

Wo Sanae Recht hatte, hatte sie Recht. Da gab es nichts zu rütteln. Für Sakura war es nur das erste Mal, so etwas von jemandem zu hören, der in Konoha lebte und nicht zu den Gangs gehörte.

«Und deshalb: Ihr hättet allen Grund dazu, Konoha in seinem Elend mit den Riots ersticken zu lassen. Trotzdem tut ihr es nicht. Ich weiss, das Leben ohne Riots war einfacher für euch, aber es ist nicht unmöglich, neben ihnen zu leben. Ihr müsstet das hier nicht tun. Aber es zeugt von Mut und Verantwortung, dass ihr es eben doch tut. Euch ist bewusst, dass ihr gebraucht werdet. Und deshalb helft ihr dieser Stadt, obwohl sie euch nie akzeptiert hat.»

Sakura kamen beinahe die Tränen. Es war Balsam für die Seele, zu hören, wie sehr jemand wie Sanae die Gangs schätzte.

«Wir haben also zu danken. Danke, Sakura, danke an die Kurama Foxes und die Taka Snakes, für eure Gutmütigkeit. Wir sind auf euch angewiesen.»

Just in diesem Augenblick bogen sie in die Strasse ein, die sie zur Transportfirma führte. Bereits von weitem waren laute Rufe zu hören, vor dem Gelände bildeten die ersten Krankenwagen und Kombis einen Kreis, um in ihrer Mitte geschützt das Lazarett aufzubauen. Sie entdeckte, dass die gesamte Strasse mit Strassensperren abgesichert wurde, damit genau kontrolliert werden konnte, welche Wagen weg- und zufuhren. Am Gehsteig stand der schwarze Sprinter, in dem die Funkzentrale stationiert war und der Einsatz geleitet wurde.

Sakura fühlte sich, als hätten sie zum ersten Mal wirklich die Oberhand. Das Gelände war von Profis umstellt, die Riots sassen wie Vögel in einem Käfig. Für einen kurzen Augenblick hegte sie die Hoffnung, dass das hier schon bald vorbei sein würde, vielleicht schneller, als sie alle dachten.

Sanae hielt direkt auf das Tor zu und einer der Polizisten winkte sie durch. Die Eisentüren des Tores standen sperrangelweit offen, waren fixiert worden und wurden von je zwei Polizisten links und rechts bewacht.

«Wir wurden durchgelassen, das bedeutet, die Front sollte frei von Gegnern sein. Entweder haben sie die alle innerhalb der zehn Minuten ausgeschaltet oder vertrieben, oder es waren gar keine da. Was komisch wäre. Aber Crows Methoden sind ja bekanntlich komisch», murmelte Sakura.

Sanae bremste ab, als sie das Tor erreichten und bog in den Hof ein. Es war ein grosser Vorhof, hatte etwa eine Fläche von drei Sporthallen aneinandergereiht. Die vordersten zwei Gebäude waren Lagerhallen, in der Mitte die Zwischenstrasse und Verbindungstrassen mit zahlreichen Lastwagenparkplätzen, die Platz für die Krankenwagen liessen.

Hinter ihnen waren gleich Inos Krankenwagen und danach kamen noch zwei weitere – aufgrund der Grösse des Geländes hatte man heute Nachmittag spontan beschlossen, vier Krankenwagen auf das Gelände fahren zu lassen.

«Wir müssen auf die Höhe des Schulungsgebäudes, rechts.»

Sie hielt rechts auf die Verbindungsstrasse zu und drückte aufs Gas. Je schneller sie waren, desto schwieriger konnten sie mit Gewehren getroffen werden. Sanae hielt auf eine Reihe von zur Dekoration gepflanzter Bäume zu, die die Lastwagenparkplätze für Halle 1 von der für Halle 2 trennte. Die Bäume konnten ein wenig Deckung geben. Sie stellte den Wagen so, dass die Seitentür gegen die Mauer zeigte und liess dabei genug Platz, damit man anständig arbeiten konnte. Rasch waren zwei Kombis der Polizei in ihrer Nähe, der die Aufgabe hatte, sie zu schützen.

Sie entdeckte rund um die Gebäude immer wieder Polizisten, die sich hinter herumstehenden Kisten oder Hausecken bereithielten. Sakura war beeindruckt aber der Grösse des Geländes. Für ein Paintball-Spiel wäre es ein Traum, für eine richtige Schlacht eher nicht.

Sanae schaltete den Motor aus und sie beide verliessen den Wagen sofort auf der Fahrerseite. Rasch kletterte Sakura über die Mittelkonsole und den Fahrersitz nach draussen. Ihr Herz klopfte, doch sie fühlte sich geschützt. Aus dem Kombi stiegen sechs Polizisten, die sie schützen würden. Rasch schlüpften Sakura und Sanae zu Kenta und Aoi in den Behandlungsteil des Wagens, die ihrerseits mehr als nur aufgeregt aussahen. Nun galt es zu warten, bis Anweisungen über das Funkgerät zu ihnen gelangten oder die Polizisten von draussen Verletzte meldeten.

Es wurde gespenstisch ruhig. Von draussen hörten sie die gedämpften Stimmen der Polizisten. Sakura traute der Ruhe nicht. Wo waren die ganzen Riots? Irgendwie hatte sie mit einer Frontalattacke und einem Kugelregen gerechnet, doch bis auf die Schüsse von vorhin hatte sie nichts gehört. Und auch wenn sie es hoffte, so war ihr bewusst, dass Crow nicht einfach so untergehen würde. Dafür war er zu stolz. Und zu clever.

Ihnen blieb nichts anderes übrig, als auszuharren.

 

18:51 Uhr, Halle 4

 

Konan hielt sich dicht an Yahiko, der zusammen mit Agasa, einem Polizisten die Führung übernommen hatte. Das gute an diesem Kampfgelände war, dass es voller Überreste seines früheren Erscheinungsbildes war. Vielerorts standen leere Container und Mulden, die vermutlich einst für eine halbpatzige Gebäuderäumung benutzt worden waren. An den Seitenwänden der Hallen stapelten sich Holzpaletten mit grossen Kisten drauf, manche bereits umgekippt. Die hohen, trüben Fenster erlaubten keinen Blick in die Halle.

Es war erstaunlich, wie gross die Hallen waren, Konan schätzte sie etwas über zehn Meter hoch. Auch das Bürogebäude hinter Halle 4 hatte vier Stockwerke und war fast so lang wie die Halle. Yahiko hielt hinter einem Stapel von Kisten inne, der sie vor Blicken und Attacken schützte.

«Das hier war früher das Schulungs- und Ausbildungszentrum von Fernfahrern und Logistikern», flüsterte ihr Agasa zu, als er ihren Blick bemerkte. Der junge, ambitionierte Polizist strich sich über das lange schwarze Haar, welches er im Nacken zusammengebunden hatte.

Gleich darauf erhielt er über den kleinen Knopf ins einem Ohr Anweisungen per Funk.

«Noch kein Angriff», informierte er. «Hatake gefällt die Stille nicht. Irgendwas bahnt sich an. Stillhalten und Schweigen.»

Die Aufgabe ihrer zwölfköpfigen Gruppe, also Gruppe 4-1, war es, zusammen mit Gruppe 4-2 die Halle 4 zu stürmen. Benannt waren sie nach ihren jeweiligen Einsatzort.

Konan und die anderen schwiegen, wie es ihnen aufgetragen worden war. Hinter ihr standen Tayuya, Zetsu und Kisame. Die anderen Gruppenmitglieder waren allesamt von der Polizei. Anfänglich hatten die Polizisten Yahikos viele Piercings mit Zurückhaltung gemustert, doch nun waren sie zu konzentriert, um sich noch um solche Sachen zu kümmern. Konan schmunzelte trotz ihrer prekären Situation. Im Vergleich zu ihr und ihrem Piercing am Kinn und jenen am Bauchnabel, war Yahiko wirklich ganz schön mit Metall versehen. Aber bald würden die Polizisten sehen, über wie viele geniale Qualitäten er verfügte. Und die Piercings? Nun, die Piercings fand sie wunderbar. Sie machten Yahiko ein Stück weit aus.

Es verstrichen einige Minuten, bis sich etwas tat. Zuerst hörte sie nur das Aufheulen von Motoren innerhalb der Halle, was sie zusammenzucken liess. Sie fasste sich jedoch schnell wieder, die jahrelange Übung in Strassenkämpfen zahlte sich aus.

Das Heulen schwoll an und Konan spürte das Adrenalin durch ihren Körper schiessen.

 

18:53 Uhr, Schulung & Verwaltung

 

Sasuke hielt sich geduckt zwischen einer Mulde und einem rostigen Gabelstapler. Warum zur Hölle der hier geparkt worden war, wusste er nicht. Das Gebäude war ja keine Lagerhalle, aber was sollte es. Er sorgte jedenfalls für Deckung. Neben ihm kniete Deidara und spähte zwischen dem verwitterten Fahrersitz und dem Steuerrad auf das Gelände hinaus. Die anderen acht, Hidan, Sarutobi und sechs Polizisten, hielten sich zwischen zwei Kisten versteckt. Über ihnen schützte ein ramponiertes Wellblechdach vor Blicken. Das war jedoch näher daran, zusammenzustürzen, als noch zu stehen.

Ihm gefiel diese Stille nicht. Hatake hatte ihnen noch kein Kommando zum Angriff gegeben. Von hier aus war der Seiteneingang zum Schul- und Verwaltungsgebäude nur wenige Meter entfernt. Sie bräuchten nur das Kommando.

Er war sonst eigentlich kein ungeduldiger Mensch, aber im Moment juckte es ihn in den Fingern. Einfach loszurennen war keine Option, das war ihm bewusst. Er teilte Hatakes Meinung, irgendwas lag in der Luft. Bald würde etwas passieren. Aber Sprengsätze hatten sie keine entdeckt und begegnet waren sie ausser den eigenen Leuten niemandem. Auf der gegenüberliegenden Seite der Verbindungsstrasse war Halle 3, wo er bis vorhin noch eine Gruppe gesehen hatte, es musste 4-1 gewesen sein. Sie hatten ihre Ressourcen vorsichtig einteilen müssen, denn die Absicherung des Geländes nach aussen brauchte bereits einen Haufen Leute. Die hohe Anzahl der Gebäude auf dem Boden der Transportfirma machten es nicht gerade einfacher mit der Aufteilung der Streitkräfte. Aber die Anzahl Riots war seit den letzten Eingriffen seitens der Polizei erheblich geschrumpft. Es sollte also aufgehen, wenn ihre Schätzungen ungefähr stimmten.

Hatake hatte den Riots eine Chance gegeben, die Sache hier friedlich zu beenden. Er hatte die Lautsprecheranlage an einem der Polizeifahrzeugen genutzt und den Riots die Möglichkeit gegeben, zu kapitulieren. Natürlich war dieses Angebot nicht angenommen worden, aber man konnte der Polizei-Gang-Fraktion auf jeden Fall nichts vorwerfen.

Ja, Hatake sollte sich bald melden. Er war mit Big Fox’ Gruppe für das Kantinengebäude zuständig, in dem es noch einige Schulräume sowie Schlafräume für die Fernfahrer gab. Wo waren diese verfluchten Riots?

Es verstrichen sicher zehn Minuten, bis ihn Motorengeheul aus der Richtung der Hallen aufhorchen liess und sein Körper innerhalb von Sekunden in den ihm so vertrauten Kampfmodus versetzte. Rasch schaute er sich um, doch in nächster Umgebung konnte er nichts entdecken. Die Sonne war inzwischen untergegangen und nur noch ein letzter rosa Streifen am Himmel spendete Licht, was die Sicht nicht gerade begünstigte.

Im nächsten Moment schoss mit quietschenden Reifen ein Fahrzeug um die Ecke. Das laute, ratternde Geräusch von feuernden Maschinenpistolen liess den Boden unter ihnen vibrieren. Deidara und Sasuke warfen sich instinktiv hinter ihrer Deckung auf den Boden, doch entgehen lassen wollten sie sich auf keinen Fall, mit was sie hier zu tun hatten.

Sasuke linste hinter dem Gabelstapler hervor und erkannte Jeeps, in seinem Blickfeld drei, von deren Ladeflächen aus die Riots feuerten. Dem Lärm nach zu urteilen, der aus der Ferne zu ihnen Drang, waren das aber nicht die einzigen.

«Nun greifen sie aber zu verzweifelten Methoden!», rief Deidara Sasuke zu. Es war in der Tat für die Riots eine ziemlich ungewöhnliche Strategie, derart in die Offensive zu gehen. Er wollte sich davon aber nicht täuschen lassen, denn es konnte genauso gut Crows Plan sein, ihnen dieses Gefühl der Überlegenheit zu geben.

«Kopf bei der Sache behalten!», rief er zurück. «Wer weiss, was wieder alles Teil seines Plans ist!».

Die Riots schienen ihren Standort noch nicht entdeckt zu haben, denn in ihre Richtung wurde nicht geschossen.

«Die Halleneinheiten übernehmen die Jeeps», hörte er Kakashi nun auch an seinem Funkgerät, dass er angeschnallt trug. «Die anderen setzen ihre Mission wie geplant fort.»

Das war ein eindeutiges Kommando. Er und Sarutobi waren die einzigen mit einer Funkverbindung, da sie die Truppe anführten. Rasch gaben sie ihren Leuten ein Zeichen damit sie unten blieben, denn im Moment durften sie sich auf keinen Fall bemerkbar machen. Er konnte nicht sagen, ob die Riots sie alle beobachtet hatten, als sie Position bezogen hatten, aber er musste davon ausgehen. Sie wussten bestimmt, wo sich feindliche Einheiten aufhielten und wo nicht, zumindest im Ansatz.

Der Jeep raste einige Meter entfernt an ihrer Deckung vorbei, zu sehr mit den an den Hallen positionierten Einheiten beschäftigt, um sie zu bemerken oder ihnen Beachtung zu schenken.

Kaum waren sie vorbeigezogen, gab Sarutobi seinen Leuten das Signal, aufzustehen und ihm zu folgen. Geduckt hinter der Mulde liefen sie zum Seiteneingang des Gebäudes. Die Tür war zwar verschlossen, aber viel zu alt, als dass sie dem gezielten Tritt eines geschulten Polizisten standgehalten hätte. Das Metall quietschte in den Scharnieren, als sie aufsprang.

Es schien ganz, als würden die Jeeps nun Kreise um die Hallen fahren. Sasuke sah, wie sie auch in Richtung der Krankenwagen rasten. Rasch verdrängte er ungute Gedanken, denn im Moment zählte diese eine Mission. Sie hatten so lange darauf hingearbeitet. Und Sakura war stark, wie sie alle.

Bevor er als letzter in das Gebäude hineinging, sah er noch, wie ein Jeep ins Schlittern kam, während er eine Kurve riss und sich dann in voller Fahrt überschlug. Jemand ihrer Leute hatte den Reifen erwischt.

Eigentlich sollte er froh sein, doch er konnte nicht. Früher hatten ihm solche Schlachten einen Kick gegeben, er hatte es auf eine kranke Art gemocht. Aber jetzt war es anders. Er wollte, dass das alles endlich vorbei war.

Aber dazu musste er nun kämpfen. Er betrat das Gebäude hinter Deidara als letzter.

 

18:55 Uhr, Sanitätseinheit 1

 

Der Kampflärm schwoll an und war inzwischen bestens durch die Wände des Krankenwagens hörbar. Die Polizisten, die den Krankenwagen bewachten, hatten das Feuer eröffnet. Waren sie schon unter Beschuss?

Die Frage erübrigte sich, als ein lautes, metallisches Kreischen das Innere des Fahrzeuges erschütterte und sie sich alle auf den Boden warfen. Aoi schrie vor Schreck auf.

Sakura linste zwischen ihren Armen nach oben und erkannte eine Ansammlung von Dellen im Metall, die von Einschüssen stammten.

«Unten bleiben!», rief sie, bevor eine Scheibe zersplitterte und sie erneut schützend die Arme über den Kopf hielt.

Aoi wimmerte und Sakura hätte es ihr gerne gleichgetan, aber sie durften bestimmt nicht schon nach so kurzer Zeit die Nerven verlieren. Nichtsdestotrotz reagierte ihr Körper auf die unmittelbare Bedrohung mit dem altbekannten Zittern.

Klare Gedanken. Sie brauchte klare Gedanken.

Rasch robbte sie zur Tür, vorsichtig darauf bedacht, sich mit dem dicken Stoff ihres Overalls vor Glassplittern zu schützen. Für den Moment folgte kein weiterer Beschuss und sie griff rasch nach dem Türgriff und riss die Tür auf.

«Los, alle nach draussen! Hinter dem Fahrzeug sind wir im Moment besser geschützt!» Draussen entdeckte sie zuerst einmal nur Polizisten, die ihre Aufmerksamkeit auf den laufenden Kampf gerichtet hatten. Einer war bereits angeschossen und lehnte mit dem Rücken an der Karosserie des Fahrzeugs.

Sie rutschte aus dem Wagen heraus, die anderen taten es ihr nach. Kenta schnappte sich noch einen Notfallrucksack und geduckt liefen sie zu dem Polizisten, der sich mit schmerzverzerrtem Gesicht die Hand auf den Oberschenkel presste. Die Sanitäter machten sich daran, ihn zu verarzten und Sakura ging aus dem Weg. Sie huschte geduckt an den Rand des Fahrzeugs und linste hervor. Im Moment war der Schusslärm nur noch aus der Ferne zu hören und auch die Polizisten feuerten nicht. Sakura erhaschte Blicke auf die Polizisten, die geduckt hinter ihrem Schutzwall aus Fahrzeugen hockten und miteinander diskutierten. Wahrscheinlich ging es um einen Schlachtplan. Einer der Polizisten bemerkte sie und wies ihr an, wieder hinter dem Krankenwagen zu verschwinden.

«Was ist los?», raunte Sakura demjenigen zu, der ihr am nächsten war.

«Bewaffnete mobile Einheiten. Etwa acht Jeeps mit Schützen drauf.»

Alles klar, das erklärte das Geräusch von Motoren und der mit ihnen auf- und abklingende Lärm.

«Sie können uns jetzt nicht mehr so nahe kommen wie vorhin, wir haben unseren Bereich mit Nagelsperren, versehen. Wir werden sie stoppen, trotzdem solltest du dich wieder in Sicherheit bringen!», meinte der junge Mann, etwa vierzig Jahre alt.

Sie nickte und zog sich wie geheissen zurück. Diese Infos reichten ihr für den Moment.

Die anderen waren mit der Behandlung ihres Patienten vorangeschritten. Anscheinend hatten sie die Kugel bereits entfernen können, denn das blutige Projektil lag auf einem sterilen Tuch aus dem Verbandskasten, zusammen mit den Instrumenten, die zu seiner Entfernung verwendet worden war.

«Die Kugel steckte nicht besonders tief. Zudem haben wir hier einen tapferen Polizisten bei uns», Sanae klopfte dem jungen Mann auf die Schulter, dieser lächelte etwas gequält. «Sonst hätte ich es die Ärzte draussen machen lassen.»

«Warum haben wir eigentlich keine Ärzte dabei?», fragte Sakura. Sie hatte sich gar nie grosse Gedanken gemacht, da sie bis jetzt immer nur in Rettungsmissionen unterwegs gewesen waren, bei denen sie die Patienten sofort ins Krankenhaus hatten bringen können.

Sanaes Blick verfinsterte sich. «Die Ärzte des City Hospitals haben kollektiv beschlossen, nicht aufs Schlachtfeld zu gehen. Sie meinten, sie hätten bestimmt nicht jahrelang studiert und sich weiterentwickelt, nur um ihr Leben im Kampf mit ein paar durchgeknallten Strassenkindern zu riskieren. Jene von ihnen, die teilgenommen haben, sind draussen im provisorischen Lazarett und die anderen halten Stellung im Krankenhaus. Aber mitkommen wollte keiner.»

Sakura hörte Sanae an, dass sie das den Ärzten gerne verübelt hätte, es aber nicht konnte. Auch Sakura konnte es nicht. Die Ärzte hatten mit den Riots nichts zu tun und alle ein Leben, dass sie leben wollten, Freunde, Familie. Immerhin unterstützten sie von draussen. Es war nicht gerade nobel, aber nachvollziehbar.

«Und Shizune?», rutschte es ihr heraus, bevor sie darüber nachdenken konnte. Sanae wusste ja gar nicht, wer Shizune war.

«Shizune? Die hat sich bei Einheit 3 reingeschmuggelt. Die Einzige, die sich gegen die kollektive Haltung der Hospital-Ärzte gestellt hat. Du kennst sie?»

Und wie, dachte Sakura. Anscheinend war Shizune in medizinischen Kreisen bekannt, auch bei den Sanitätern.

Sie kamen nicht mehr dazu, ihr Gespräch zu Ende zu führen, denn in rasender Geschwindigkeit nahten Motorengeräusche von den Lagerhallen her. Sakura spürte die Bedrohung, spürte die aufkommende Panik. Wenn das so weiterging, dann konnten sie absolut nichts machen, um ihren Leuten zu helfen. Nicht bis diese Baller-Jeeps ausgeschaltet waren.

Ihre Gedanken flogen schnell zu ihren Freunden, die sich da draussen befanden, nicht von einer Metallkarosserie geschützt, dem gegnerischen Feuer einfach ausgeliefert. Sie kniff die Augen zusammen und schüttelte den Kopf. Aufhören. Solche Gedanken sind unproduktiv und lenken vom Moment ab.

Das Feuer setzte wieder ein, doch Sakura hatte Vertrauen in die Polizisten. Sie würden das schaffen.

 

19:01 Uhr, Halle 4

 

Jeep Nummer Drei kam ins Schlittern, als sein Fahrer getroffen wurde. Gäbe es einen Weg, die Jeeps ohne die Verletzung oder Tötung von Personen auszuschalten, hätten sie es getan. Aber die Riots legten es nicht darauf an, ihnen eine solche Möglichkeit zu geben.

Neben Konan lag Yahiko auf dem Boden zwischen zwei Kisten und feuerte nach draussen, Sie stand geduckt und feuerte über die Kisten, bis auf einmal unter lautem Rattern das Holz direkt neben ihr splitterte. Instinktiv warf sie sich auf den Boden und hielt sich möglichst nahe an die Kiste. Sie hatten verdammtes Glück, dass diese Kisten nicht leer waren, denn ansonsten würden sie nur bedingt Schutz bieten. Zu ihrem Glück war das Innere der Kisten mit etwas schwerem gefüllt, dem Klang nach zu urteilen Kies, jedenfalls etwas Schweres.

Rasch versuchte sie, ihre Gegner zu orten und fand sie in den Fenstern des Kantinengebäudes und auf dem flachen Dach der Verwaltung. Die Schlacht war endgültig losgegangen, denn von dort oben wurde nun ernstzunehmend gefeuert. Ein Polizist neben ihr wurde getroffen und fiel stöhnend hin, soweit Konan es unter all dem Lärm und dem splitternden Holz beurteilen konnte aber nicht lebensgefährlich – sein Arm blutete stark, doch er war bereits dabei sich unter schmerzverzerrtem Gesicht einen Druckverband anzulegen. Sie rutschte hinüber und half ihm dabei, er nickte ihr dankbar zu.

Solange die Schlacht auf diese Weise brodelte, war es für die Sanis unmöglich, an sie heranzukommen, ohne sofort wie ein Schweizer Käse durchlöchert zu werden. Aber für sie war das alles keine Überraschung. Nur ein Zeichen, dass die Riots momentan in der absoluten Defensive waren. Die Jeeps waren ein Mittel zur Verteidigung, eine Möglichkeit, sie hinzuhalten, nicht mehr und nicht weniger.

Sie legte sich neben Yahiko. Für den Moment musste sie abwarten. Big Fox sollte sich mit seinen Leuten um die Kantine kümmern, Demon um das Verwaltungsgebäude.

 

 

19:10 Uhr, Kantine & Schlafräume

 

Naruto packte einen der Riots, griff nach seinem Gewehr und ehe es sich sein Gegner versah, hatte er ihn den Arm auf den Rücken gedreht, das Gewehr in seiner Hand.

«Wo sind die restlichen Truppen?», fragte er einen der drei, die in diesem Raum Stellung gehalten hatten. Die Wachen unten an der Tür waren leicht zu überwältigen gewesen, ebenso jene an der Treppe. Sie hatten sich aufgeteilt und gingen Zimmer für Zimmer durch, um die Riots davon abzuhalten, aus den Fenstern auf ihre Kameraden zu schiessen.

«Keine Sprengsätze», erstattete Kiba Bericht. «Wir haben das ganze Erdgeschoss und die Kellerräume abgesucht. Bisher nichts. Einfach gar nichts.»

Was war Crows Plan? Die Einheiten hier waren viel zu einfach zu überwältigen gewesen. Und wenn sie das ganze Spektakel hier nur veranstalteten, damit Crow flüchten konnte, dann war das auch nur dumm, denn einen Fluchtweg gab es für sie nicht. Und das wussten sie.

«Nirgendwo etwas Auffälliges?»

Kiba legte den Kopf schief und hob eine Augenbraue. «Boss, glaube mir, ich würde es dich wissen lassen.»

Natürlich. Aber wie immer bei den Riots hatte Naruto das Gefühl, am kürzeren Hebel zu sein. Irgendwas wartete da noch auf sie. Er konnte sich zwar nicht vorstellen, dass Crow sich aus dieser misslichen Lage noch befreien konnte, aber er würde die Chance auf ein grosses Finale nicht verpassen, das war er sich sicher. Er zweifelte längst daran, dass es ihm bei der Sache ums Gewinnen ging. Jedenfalls nicht ums Gewinnen im kriegerischen Sinn.

Er wandte sich an seine Leute. «Schafft die Riots hier nach unten.»

Sie hatten ihre gefesselten Gegner ins Erdgeschoss hinter den Kantinentresen gebracht und dort drei Polizisten postiert.

Das Gebäude war verdammt gross, über der Kantine befanden sich noch drei Stockwerke mir bis zu zwanzig Räumen pro Etage. Das hier war ein Schlafraum gewesen, zwei metallene Stockbetten setzen bereits den ersten Rost an. Auf dem Boden lag Müll von dem man unterscheiden konnte, welcher schon alt war und welcher von den Riots stammte.

Er gab seinen Leuten mit einem Kopfnicken zu verstehen, wieder in den Gang hinauszutreten – die zweite Etage wartete.

Sie begaben sich zur Treppe, doch bevor sie auch nur einen Blick nach oben werfen konnten, setzte das Gewehrfeuer ein.

Nun verteidigt ihr euch ja sogar, dachte er verächtlich, als er reflexartig in eines der Zimmer hineinhechtete und sich hinter der Wand in Deckung begab. Von hier aus würde er bestens nach oben feuern können. Ja, am liebsten wäre er jetzt in diesem Moment nach oben gerannt, mit rauchendem Pistolenlauf. Er würde Crow eine verpassen und dann Hinata nach unten bringen, auch wenn er sie dazu zwingen musste.

Natürlich würde er vorher abgeknallt werden, wenn er jetzt einfach losrannte. Die Schüsse waren verstummt, als sie ausser Sichtweite gesprungen waren. Nun warteten sie, darauf, wieder Anlass zum Feuern zu kriegen. Ja, spart eure Munition. Ihr werdet sie noch brauchen.

Er war wütend. Solche Aggressionen kannte er gar nicht von sich, auf dem Schlachtfeld war er sonst immer sehr besonnen. Aber jetzt trieb ihn die Wut an.

Sie würden sich Stockwerk für Stockwerk holen und irgendwer auf diesem Gelände würde Crow finden. Vielleicht würde sogar er es sein.

Er wartete ungeduldig auf Hatakes Anweisungen in seinem Ohr. Normalerweise war er derjenige, der anderen Anweisungen gab, jetzt machte es mehr Sinn, dass Hatake das Ruder übernahm, denn Naruto wollte und konnte keine Polizisten kommandieren. Nur die Seinen, die Strassenratten, die seine Kommandos umzusetzen wussten.

Kakashi meldete sich in seinem Ohr und er nickte Temari zu, die sich neben ihm gegen die Wand lehnte. Er spähte nach draussen und legte an. Ein paar Schüsse ins Ungewisse sollten reichen, um Gegenfeuer zu bewirken. Dann wussten sie auch, wo ihre Gegner hockten.

 

 

19:45 Uhr, Sanitätseinheit 1

 

Sakura schnallte sich einen Erste-Hilfe-Rucksack auf den Rücken. Sie, Kenta und Sanae waren drauf und dran, mitten ins Geschehen einzusteigen. Über zwanzig Verletzte waren bereits gemeldet worden, sieben davon in ihrem Einsatzbereich.

Der Panzerwagen ruckelte unter ihnen, doch keine Attacken erfolgten. Ihr Ziel war Halle drei, bei der Kämpfer begonnen hatten, ein provisorisches Lazarett zu errichten. Mit dem Krankenwagen auszurücken wäre zu diesem Zeitpunkt zu gefährlich. Aoi blieb an ihrem Stützpunkt für den Fall, dass Verletzte zum Wagen gebracht wurden.

«Wir werden die Schwerverletzten in den Wagen laden, damit sie gleich nach draussen gebracht werden können», wies Sanae sie an. «Die anderen müssen ausharren.»

Der Panzerwagen kam zum Stehen. Die Polizisten prüften, ob die Luft rein war und öffnete ihnen dann die Tür.

Sakura schwappte der Geruch nach Benzin und Abgasen entgegen, doch viel wichtiger war, was sie vor sich sah. Gut geschützt von aufgetürmten Kisten lagen und lehnten etwa sechs Personen an der Aussenwand der Lagerhalle, umgeben von einigen Gangmitgliedern und Polizisten, die nicht verletzt waren. Die Polizei-Gang-Fraktion hatte sich hier eine Art Fort gebaut, das nach aussen von Schützen verteidigt wurden und innen die Verletzten beherbergte.

Der Wagen blockierte nun eine zusätzliche Seite, was hilfreich war.

Der Lärm von Schüssen und Schreien war von allen Seiten her zu hören. Der Kampf musste inzwischen an jedem einzelnen Gebäude brodeln. Sie wusste nicht, ob die Jeeps alle ausser Gefecht gesetzt worden waren, jedenfalls hörte und sah sie keine mehr.

Sanae und Kenta waren sofort bei den zwei Schwerverletzten, einer schien an der Schulter getroffen zu sein, ein anderer blutete am Kopf. Dank den Schutzwesten gab es keine Verletzungen an den inneren Organen. Sakura begab sich sofort zu ihnen und assistierte so gut sie konnte.

«Danke, Sakura. Sieh dir doch bitte einmal die Anderen an, okay?», wies Sanae sie an, als sie gemeinsam mit einem Polizisten im Begriff war, den Verletzten in den Wagen zu heben, da die Erstversorgung erfolgt war. Der Polizist war nur noch halb bei Bewusstsein und Sanae hatte ihn vor etwa einer Minute mit einem Schlafmittel sediert. «Wenn die Ärzte nicht kommen wollen, dann müssen wir halt diese Aufgaben übernehmen», hatte sie trocken gemeint und sich dann wieder ihrer Aufgabe zugewandt.

Sakura hoffte inständig, dass der Polizist auch wieder aufwachen durfte. Aber für den Moment war es besser, wenn er schlafen konnte.

Sakura wandte sich wie geheissen den Anderen zu. Hier eine Stichwunde an den Extremitäten, da ein Streifschuss. Sie desinfizierte und verband, was das Zeug hielt. Die ganzen Geräusche um sie herum drangen nur noch dumpf an sie heran, in ihrem Fokus stand einzig und allein ihre Aufgabe. Sie vergass beinahe, wo sie war und was auf dem Spiel stand, so konzentriert arbeitete sie. Irgendwann fuhr der Kastenwagen mit den Schwerverletzten und einigen Leichtverletzten weg, doch das war nicht das Ende ihrer Tätigkeit hier. Laufend kamen Gangmitglieder oder Polizisten zu ihnen, viele bekannte Gesichter, die nicht mehr kampffähig waren.

Wenn alles gut geht, dann ist das hier das allerletzte Mal, sagte sie zu sich selber, während sie mechanisch vor sich hinarbeitete und sich dabei bewusst nicht vorzustellen versuchte, wie viele Schmerzen die meisten dieser Verletzungen verursachen mussten.

Bald tauchte der Panzerwagen wieder auf, gefolgt von einem zweiten. Vermutlich wollten sie den Abtransport schneller handhaben. Sie parkierten an der Hallenecke und schützten sie somit gegen Angreifer aus dieser Richtung. Aus der Fahrertür sprang einer der Polizisten, sein Gesicht war angespannt.

«Alle sofort in die Wagen! Wir bauen das Lazarett hier ab!»

Sakura war bestimmt nicht die Einzige, die gerne gefragt hätte, warum sie auf einmal von hier verschwinden mussten. Grundsätzlich war eine solche Erstversorgungsstelle direkt im Geschehen nichts, was man einfach so aufgab. Doch sie verbiss sich die Frage, denn alles, was hier passierte, musste Gründe haben. Also half sie den Anderen die Verletzten so schnell wie möglich in den Wagen zu laden. Ihr Herz pochte laut gegen ihren Brustkorb, sie verspürte eine unmittelbare Gefahr. Ein Gefühl, das mit der Ankündigung der Polizisten in ihr aufgekommen war. In der Ferne hörte sie über den Schusslärm hinweg ein lautes Knallen, dann ein Zweites. Das Geräusch war neu, es stammte nicht von Gewehren und auch nicht von Gegenständen, die auf dem Boden aufprallten. Es erinnerte sie mehr an das Geräusch von Explosionen.

Was danach passierte, ging viel zu schnell, als dass sie es im Nachhinein noch sinnvoll hätte rekapitulieren können. Sie stützte gerade den letzten verletzten Taka-Outer und wollte ihm durch die Seitentür in den Wagen helfen, wo Kenta ihn in Empfang nehmen konnte. Von hinten schrie jemand laut etwas in ihre Richtung, für sie war nur das Wort «Deckung» verständlich. Doch das reichte. Kenta hatte den Taka an der Schulter zu fassen bekommen und zog ihn so schnell er konnte in den Wagen. Für Sakura reichte es nicht mehr und sie sprang reflexartig um die Hallenecke und drückte sich gegen die Wand, keine Sekunde zu früh. Dort irgendwo ganz nahe an den Kisten, wo sie eben noch Verletzte versorgt hatten, detonierte etwas in einem ohrenbetäubenden Knall und einer Wolke aus Rauch und Funken. Sakura hielt sich schützend die Hände über den Kopf. Holzsplitter und Kieselsteine, vermutlich der Kisteninhalt, stoben gegen alle Seiten und trommelten gegen den Wagen. Für einen Moment konnte sie den Wagen aufgrund des Rauches nicht mehr sehen. Sie wartete darauf, dass er sich lichtete und das tat er – doch die sie waren weg.

Das Adrenalin schoss in einer Mischung aus Angst und Fluchtinstinkt in einem ersten Moment der Panik durch Sakuras Körper. Die Wagen hatte sich aus der Gefahrenzone gebracht. Und auch wenn sie wusste, dass es von Seiten des Fahrers her das einzig Richtige gewesen war, so wurde ihr rasch gewahr, dass sie nun vollkommen schutzlos gegnerischem Feuer aufgeliefert war. In ihrem Kopf begann es zu arbeiten. Die Explosionen, irgendjemand war hier im Anmarsch und sie war alleine, ohne Waffen, ohne Deckung. Das waren keine Sprengsätze gewesen, denn die hätten sie längst bemerkt. Nein, da war irgendetwas geworfen worden, von einem Gegner, der gar nicht allzu weit entfernt sein konnte. War das der Grund für die Räumung des Lazaretts gewesen?

Das Adrenalin zwang sie auf die Beine, doch bevor sie zwischen der Hallenwand und den an ihr entlang gestapelten Kisten entlang weglaufen konnte, erfolgte eine weitere Explosion. Doch diesmal lief sie weiter in der Hoffnung, dass ihr durch die Detonation Zeit verschafft worden war.

Sie mussten sich in Sicherheit bringen. Wenn der Wagen Feuer gefangen hätte, wären sie gestorben. Ihre Vernunft gab ihr die logische Erklärung, doch die Angst davor, nun alleine auf diesem riesigen Schlachtfeld unterwegs zu sein, zerriss sie beinahe. Inzwischen war es viel zu dunkel hier. Ein Blick über eine Kiste verriet ihr, dass auch der Krankenwagen mit Aoi verschwunden war. Wenn die Riots irgendwelche Granaten hatten, von wo her auch immer, dann waren Fahrzeuge besser aus der Schusslinie zu bringen.

Der Explosionslärm war verklungen und von hinten hörte sie Stimmen. Ihr Puls raste und sie lief noch schneller. Ich muss Verbündete finden.

Ihre Hoffnung war klein, denn inzwischen waren die meisten Einheiten in den Hallen verschwunden oder in Kämpfe verstrickt, sodass sie nicht noch auf eine schutzlose Sanitäterin aufpassen konnten. Aber jetzt war noch nicht der Moment, aufzugeben. Sie lief geduckt an der Wand entlang, blickgeschützt durch Kisten und Containern, die man vor Jahren einmal hier platziert und nie mehr entfernt hatte. Aber die Feinde waren leider nicht neben ihr, sondern hinter ihr.

Die Stimmen wurden lauter und sie lief so schnell sie konnte. Ihr Herz sank ihr in die Hose, als von der anderen Seite her jemand um die Ecke bog, das Gesicht hinter einem Tuch versteckt – ein Riot. Und er war mit einer Pistole bewaffnet. Er lief in einem Höllentempo auf sie zu und Sakura war in Begriff, sich über die Kisten in die Freiheit zu retten, auch wenn es noch so aussichtslos war.

Der Riot lief viel zu schnell für ihren Geschmack und ehe sie es sich versah, hatte er sie am Arm gepackt. Sie keuchte auf und kämpfte gegen den eisernen Griff an, doch es half nichts.

Gerade wollte sie sich fragen, warum er es nicht endlich zu Ende brachte, als er sich einen Finger an die Stelle legte, wo sie seine Lippen vermutete. Sie suchte nach seinen Augen, doch da hatte er sich bereits umgedreht und sie mitgerissen. Er zog sie gar nicht weit mit und hielt vor einer Luke im Boden und wies sie an, hinunterzusteigen.

Sie hätte sich gerne gewehrt, aber soweit sie das im Moment beurteilen konnte, war diese Luke ihre beste Aussicht. Sie konnte zwar nicht sehen, was sich da unten befand, denn es war stockdunkel, doch sie fasste all ihren Mut zusammen, setzte sich an den Rand und liess sich hinuntergleiten. Ihr Füsse fanden relativ schnell Boden und ehe sie es sich versah, war der Riot zu ihr hinuntergesprungen. Rasch griff er nach oben und zog eine leere Kiste neben über den Eingang.

Nun war endgültig jede Lichtquelle verschwunden. Sie waren in einem Keller, jedenfalls roch es danach. Sakura wollte sich beruhigen, wollte, dass sie klar denken konnte, doch es half alles nichts. Ihr Herz drohte aus der Brust zu springen, als sich schnelle Schritte und Stimmen näherten.

«Sie war draussen, ich schwör’s! Es hat für sie nicht in den Wagen gereicht!»

«Ist ja jetzt auch egal, wir müssen sie kriegen!»

Die Schritte wurden lauter, aber ebenso schnell verklangen sie wieder. Sakura atmete auf und die Anspannung in ihrem Körper liess für einen kurzen Moment nach. Bis ihr in den Sinn kam, dass sie hier mit einem Riot im Dunkeln hockte. Warum auch immer er ihr geholfen hatte, seine Absichten kannte sie nicht. Noch nicht.

Bevor sie etwas sagen konnte, zog er sie durch die Dunkelheit.

«Wohin bringst du mich?», zischte sie, wehrte sich aber nicht. Denn in diesem dunklen Raum zu bleiben war auch keine Lösung. Ihr Augen gewöhnten sich zwar langsam an die Dunkelheit, aber mehr als Schemen konnte sie nicht erkennen.

Es kam keine Antwort. Stattdessen hörte sie, wie er etwas beiseiteschob. Ihr schlug kühle, alte Luft entgegen. Sie erschrak beinahe, als ein Lichtstrahl auftauchte, bis sie realisierte, dass es die Taschenlampe des Riot war. Er richtete den Kegel auf eine schmale Metalltür in der Wand, die dieses Mal aber den Blick auf eine Treppe freigab. Es musste eine Art Geheimtür sein, denn bei genauerer Betrachtung sah sie, dass am Türrücken ein Regal angebracht war, das sich mit der Tür öffnete und schloss. Der Riot schob sie voran, aber auf eine sehr ruhige Art, überhaupt nicht grob. Also stieg sie vorsichtig die unebenen, abgewetzten Stufen hinunter in das Kellergewölbe. Sie hatte gewusst, dass die Lagerhallen alle einen Keller hatten, aber von zwei Untergeschossen war nie die Rede gewesen. Oder hatte sie das einfach verpasst?

Der Riot schloss zu ihr auf, als er die Tür hinter ihnen verriegelt hatte. Unten an der Treppe befand sich eine weitere Tür, unter der ein schmaler Lichtstreifen zu sehen war. Der Riot öffnete sie nur ganz vorsichtig und spähte hinaus. Anscheinend war die Luft rein, denn nun zog er sie rasch nach draussen, auf einen, durch schummrige Neonröhren beleuchteten Gang. Die Wände und der Boden waren aus blankem, staubigem Beton. Irgendwo von Weitem hörte sie Stimmen, doch der Riot zog sie weiter den schmalen Gang entlang, ohne sich darum zu kümmern. Ihre Schritte hallten beunruhigend laut an den Wänden wider und Sakura wünschte sich inständig, sie wäre jetzt in dem Kastenwagen. Ob die andern sie inzwischen suchten?

Linkseitig befanden sich mehrere Räume, die aber allesamt verschlossen waren. Vor einem blieb er stehen und gab der Metalltür einen Schubs. Sie war nur angelehnt und öffnete sich mit einem leisen Quietschen. Er schob sie hinein und schloss rasch die Tür hinter sich, denn die Stimmen kamen näher. 

Er drückte auf einen Schalter und die Neonröhre an der Decke leuchtete auf, wenn auch nur in schwach. Es reichte, um die Umrisse des Riots besser zu erkennen.

«Warum hast du mich hierhergebracht?», fragte sie und versuchte mit aller Kraft, das Zittern in ihrer Stimme zu unterdrücken. Sie war ganz alleine mit diesem Riot und hatte keine Ahnung, was er vorhatte. Anscheinend waren einige Riots auf der Suche nach ihr, jedenfalls schlussfolgerte sie das aus den Aussagen ihrer Verfolger, die vermutlich für die Explosionen oben am Lazarett verantwortlich gewesen waren. Warum hatte er sie da rausgeholt?

Erst jetzt schaute sie sich um. Da waren eine behelfsmässige Liege und ein alter, abgewetzter Tisch. Offensichtlich war das hier das Lager der Riots. Ein Lager, von dem die Polizei-Gang-Fraktion mit grosser Sicherheit nichts wusste. 

Der Riot drehte sich nun zu ihr um. Sein Gesicht war immer noch hinter einem Tuch und einer Kapuze versteckt.

«Wer bist du?», fragte sie unruhig.

Zu spät realisierte sie, dass sie diese blauen Augen kannte. Denn nun liess er die Kapuze zurückfallen und zog das Tuch von seiner Nase. Es enthüllte die schlanken Gesichtszüge, die ausdefinierten Wangenknochen und den hellen blonden Haarschopf, denen sie am liebsten nie wieder begegnet wäre.

Sein Anblick liess ihr das Blut in den Adern gefrieren.

 

20:38 Uhr, Kantine und Schlafräume

 

Naruto trat mit aller Kraft die letzte Tür in dem Gang auf. Zum gefühlt Hundertsten Mal enthüllten sie ein leeres Zimmer. Das konnte doch nicht sein! Bisher war er nur auf Crows Fussvolk gestossen, aber niemanden vom inneren Kreis. Er hoffe inständig, dass andere Einheiten erfolgreicher waren, aber irgendetwas in ihm flüsterte, dass sie wieder einmal nur nach Crows Nase tanzten.

Sein Blick fiel auf einen Briefumschlag, der viel zu offensichtlich an eins der trüben Fenster geklebt worden war. Er wollte den Umschlag nehmen, doch irgendetwas in ihm zögerte. Temari schien es anders zu gehen, denn sie schritt sofort zum Fenster und riss den Umschlag ab.

«Schreibt dieser Fatzke jetzt auch noch Briefe?», fragte sie mit zusammengebissenen Zähnen und öffnete den Umschlag. Sie faltete das Blatt auf und begann zu lesen.

«Was zur Hölle…»

Ein Foto rutschte zwischen aus dem Papier hervor und fiel zu Boden. Narutos Zögern war verschwunden, er war schneller als Temari und las das Bild vom Boden auf. Seine Befürchtungen bewahrheiteten sich, als er mit der Taschenlampe darauf leuchtete.

«Was steht in dem Brief, Temari?», fragte er mit rauer Stimme, ohne den Blick von dem Bild abzuwenden.

Temari hatte die Veränderung in seiner Stimme bemerkt, trotzdem las sie vor.

 

An Big Fox und Demon Eye

 

Ihr seid weit gekommen, Gratulation. Ich weiss, das Ganze hier ist ein blutiges Trauerspiel und ihr wünscht euch, es wäre bald vorbei. Wird es auch bald sein. Ich bin nicht dumm genug um zu glauben, dass ich diese Schlacht gewinnen kann, keine Sorge. Aber ich habe gewisse offene Rechnungen, die ich gerne begleichen möchte.

Was ihr auf dem Bild seht, haltet ihr mit grosser Wahrscheinlichkeit für eine Täuschung meinerseits, das ist durchaus verständlich. Aber glaubt mir, wenn ich euch sage, dass ich sie in meiner Gewalt habe, seit langer, langer Zeit. Sie dachte, sie wäre schlauer als ich und ich habe es genossen, sie in diesem Glauben zu lassen. Wenn ihr wollt, dass sie diese Nacht überlebt, dann tut ihr jetzt Folgendes: Die Polizei wird das Gelände umgehend verlassen. Meine Leute werden sie daran nicht hindern. Um 21.30 Uhr will ich auf diesem Gelände nur noch Gangmitglieder sehen. Denn dann haben wir die gleichen Bedingungen. Wie in alten Zeiten, ist das nicht grossartig?

Wie es weitergeht, werdet ihr sehen.

 

Bis bald

Crow

 

Naruto konnte den Blick kaum von dem Bild losreissen, bis Temari es ihm aus der Hand nahm. Hinatas Haar hing ihr in dicken Strähnen ins Gesicht, ihre Augen waren verquollen. Geknebelt und gefesselt hockte sie in der Ecke eines Kellers, zusammengekauert wie ein Tier auf der Schlachtbank.

Seine Wut schäumte hoch, doch wenn er genau darüber nachdachte, dann sprang er hier möglicherweise auf einen gefälschten Köder an. Hinata so zu fesseln und zu knebeln war keine grosse Sache und ihr schauspielerisches Talent hatte sie zur Genüge bewiesen.

Aber wenn es echt war, und das traute er Crow ohne weiteres zu, dann mussten sie etwas tun. Denn wie er es drehte und wendete, Hinata war in seiner Gewalt, ob sie es nun selber bereits wusste oder nicht.

«Temari», sagte er leise. «Das wird eine lange Nacht.»

 

20:56 Uhr, Schulung & Verwaltung

 

Sasuke band den letzten Riot fest, den sie in diesem Gebäude gefunden hatten. Es war erstaunlich einfach gewesen, das Haus einzunehmen, denn die Riots hatten ihnen nicht mehr viel entgegenzusetzen gehabt – und das war nicht normal.

Hidan hatte vorhin mehrere Riots in die Mangel genommen, um mehr über Crows Plan herauszufinden, aber ihre Loyalität gegenüber Crow war zu stark gewesen. Die würden seine Geheimnisse mit ins Grab nehmen und Sarutobi hatte ihnen ohnehin verboten, mit härteren Verhörmethoden zu arbeiten.

«Alle herhören», rief Sarutobi. «Gerade hat mich Chief Hatake kontaktiert. Wir sollen die Riots rausschaffen, vor der Tür wartet ein Wagen.»

Sasuke verstand zwar nicht ganz, warum das Wegschaffen der Gegner plötzlich eine Priorität war, aber er beschloss, es nicht zu hinterfragen. Heute hatte nicht er das Kommando.

Er und seine Leute taten also wie geheissen, führten ihre Gefangenen raus aus dem Gebäude und luden sie in den Kastenwagen. Draussen war es ruhiger geworden, aber das konnte sowohl ein gutes als auch ein schlechtes Zeichen sein.

Gerade vorhin hatte er noch Explosionen gehört. Hatake hatte sie per Funk darüber in Kenntnis gesetzt, dass die Riots anscheinend über Handgranaten verfügten und sie deshalb die Sanitäter vom Gelände evakuiert hatten. Letzteres beruhigte ihn ungemein.

Von der Seite her tauchte plötzlich Big Fox auf. Sein Gesichtsausdruck verhiess nichts Gutes, auch wenn er sichtlich bemüht war, seine Beunruhigung nicht offen zu zeigen.

«Rein ins Gebäude.» Hatake war auch da? Das überraschte ihn noch einmal mehr. Warum hielten sie ihre Stellung nicht?

Im grosszügigen Eingangsbereich gruppierten sie sich um Hatake. Deidara setzte sich auf den Empfangstresen und spielte mit einem liegengebliebenen Radiergummi, Hidan hatte den Ernst der Situation eher erkannt und war auch dementsprechend aufmerksam. Doch sobald Hatake zu sprechen begann, waren sie alle ganz Ohr.

Er erzählte von einem Brief und einer Forderung, die Crow stellte, im Austausch gegen Hinata Hyuga. Sasuke staunte nicht schlecht, denn damit hatte er nun wirklich nicht gerechnet. Sie zeigten ihnen auch das Foto von Hinata und Crows geschriebene Worte.

«Das ist eine Falle, Big Fox, das weisst du?», sprach Hidan aus, was sie alle dachten. «Sie hat euch betrogen und nun hilft sie Crow auch noch dabei, uns zu besiegen.»

«Diese Möglichkeit besteht, ja», antwortete er, doch seine Augen verrieten deutlich, was er vorhatte. Sasuke sah nichts anderes als pure Entschlossenheit.

Deidara schüttelte den Kopf. «Möglichkeit? Big Fox, sie wird so lange auf Geisel machen, bis wir Crow kriegt was er will. Und das beinhaltet ziemlich sicher, uns alle zu töten. Jedenfalls wird er sie danach wieder freilassen und es stellt sich heraus, dass alles tatsächlich nur ein verdammter Bluff war und er nie ein wirkliches Druckmittel hatte.»

«Fakt ist, dass er sie in seiner Gewalt hat. Selbst wenn er blufft und wir nicht reagieren, kann er sie immer noch zur echten Geisel machen – da sehe ich für ihn kein Problem. Mein Bauch sagt mir, dass wir hier Menschenleben auf dem Spiel haben und wir es deshalb nicht riskieren können, seine Forderung zu missachten», entgegnete Big Fox.

Sasuke hatte ihn nun eine ganze Weile beobachtet. Big Fox war fahrig in seinen Bewegungen, er schwitzte und wirkte allgemein so, als würde er kurzum die Nerven verlieren. Und das war gar nicht typisch für ihn. So ungern er es auch zugab, Naruto hatte die Qualitäten eines Leaders und die beinhalteten auch die Ruhe und Besonnenheit, die er ansonsten an den Tag legte. Das hier brachte ihn aus dem Konzept und sein Bauch sagte ihm, dass er auf Crows Forderung eingehen musste.

«Mr. Uchiha, was sagen Sie dazu?», fragte Hatake in dieser der Situation völlig unangemessenen Förmlichkeit. Alle Augen ruhten nun auf ihm.

«Wir geben den grössten Vorteil auf, den wir haben und das ist die Unterstützung der Polizei, wenn wir machen, was Crow will. Und das wegen einer Geisel, die möglicherweise keine ist.»

Die anderen nickten im bestärkend zu und Narutos Blick verfinsterte sich.

«Aber», fuhr er fort, «Big Fox hat recht. Crow will einen Kampf Gang gegen Gang. Vielleicht will er uns auch einfach alle auf einmal aus dem Verkehr ziehen mit seinem Druckmittel. Wir kennen seine Motive nicht. Im Brief schrieb er von offenen Rechnungen und wenn er die Polizei weghaben will, dann sind es vermutlich Rechnungen, die er mit uns zu begleichen hat. Wenn Crow will, dann kann er Hinata auch richtig verletzten, da habe ich keine Zweifel. Sie ist zwar anscheinend seine Freundin, aber Crow ist nicht der Typ, der seine Ziele hinter persönliche Beziehungen stellt. Und wer weiss, vielleicht hat er sich bereits noch jemand von unseren Leuten gekrallt, um sich abzusichern? Er muss ja damit rechnen, dass uns Hinata egal sein könnte.»

Bei seinen letzten Worten ballte Naruto die Faust.

«Fakt ist, dass wir ein Leben riskieren, wenn wir nicht auf ihn eingehen.»

«Das Leben einer Verräterin, Boss!», sagte Hidan «Ich will ja hier nicht das unmenschliche Arschloch sein, aber sie hat euch verraten. Sie hat deutlich gezeigt, auf welcher Seite sie steht. Wollt ihr wirklich Kopf und Kragen für dieses Mädchen riskieren?»

Sasuke nickte. «Ich weiss, was du meinst. Aber inzwischen kennen wir Crows Methoden. Er wird nicht alles auf Hinata gesetzt haben. Wer weiss, ob nicht längst einer von uns in seiner Gewalt ist. Jemand, der uns nicht verraten hat.»

«Aber das ist nur eine Vermutung, Boss», entgegnete Deidara.

«So wie es auch nur eine Vermutung ist, dass Crow blufft. Egal, wie man es dreht und wendet, mein Bauch sagt dasselbe wie der von Big Fox. Und ich habe gelernt auf dieses Gefühl zu hören. Deshalb bin ich dafür, dass wir Crows Forderung nachkommen.» Sasukes Entscheidung war gefallen. Er würde Big Fox unterstützen. «Wenn ihr nicht mitmachen wollt, dann könnt ihr das Gelände mit der Polizei verlassen. Ich verüble euch das auch nicht, aber ich denke, es werden genug Leute dableiben, allen voran die Kuramas.»

Hatake nickte. «Ich vertraue auf euer Urteil, auch wenn ich es nicht gerne sehe. Aber wenn Geiseln involviert sind, dann ist äusserste Vorsicht geboten. Und deshalb brauchen wir einen Plan.»

Fassaden

20:42 Kellergewölbe Halle 3

 

Tomcat. Sakura kämpfte zum zweiten Mal in dieser Nacht mit ihrem Fluchtreflex. Wie zur Hölle hatte sie vergessen können, dass er hier rumlief? Sie war ihm direkt in die Falle gegangen und das sogar noch ziemlich freiwillig.

Tomcat musterte sie mit diesem Blick, der ihr nur allzu bekannt vorkam. Er grinste aber nicht, wie sonst immer. Allgemein war sein Anblick in einer schwarzen, verwaschenen Kapuzenjacke ziemlich ungewohnt, wenn man sich daran erinnerte, dass er ansonsten eher gut gekleidet unterwegs war und doch einen gewissen Wert auf sein Erscheinungsbild legte. Selbst seine Haare waren zerzaust. So sah er viel mehr wie ein Riot aus. Und irgendwie nahbarer.

«Was willst du von mir?», presste sie hervor und versuchte, ihre Muskeln zu entspannen. Sie musste ruhig bleiben.

Er legte den Kopf schief. «Ich bin hier nur die ausführende Person. Wenn es dir vielleicht aufgefallen ist, dann waren die Riots auf der Suche nach dir. Die Frage sollte also eher sein, was Crow mit dir vorhat.» Die Art, wie er von den Riots sprach, irritierte sie beinahe ein wenig. Als ob er sich nicht mehr dazuzählen würde.

«Und warum hast du mich dann vor ihnen in Sicherheit gebracht? Wenn sie ja angeblich denselben Befehlen wie du folgen?», schoss sie zurück.

«Was soll ich sagen, ich mag es, die Kontrolle zu haben.» Da war es, dieses beunruhigende, spöttische Grinsen, aber ehe sie es sich versah, war es wieder verschwunden.

«Dann solltest du mich vielleicht zu Crow bringen», sagte sie, auch wenn sie der Gedanke daran beinahe wahnsinnig machte. Aber sie wollte wissen, was er vorhatte.

«Nein, Cherry Blossom», sagte er zuckersüss. «Ich bringe dich doch nicht einfach so in die Höhle der Löwen.»

«Was will Crow von mir?» Vielleicht kam sie auf diese Weise weiter.

«Von dir? Von dir will er nichts. Er will etwas vom Rest der Gangs. Weisst du, du bist kein schlechtes Druckmittel. Vielleicht sogar das Beste, was er kriegen konnte.»

Jetzt kam er langsam in Fahrt, fast als ob ihm erst jetzt in den Sinn gekommen wäre, wie er sich ihr gegenüber normalerweise verhielt. Er machte einen Schritt auf sie zu und sie konnte nicht anders, als zusammenzuzucken.

«Na, na, warum denn gleich so ängstlich? Ich habe dich doch eben gerade gerettet?» Sein Ton war eindringlich und liess die Härchen auf ihren Armen zu Berge stehen.

«Weisst du, wie man dich unter den Riots nennt?»

«Interessiert mich nicht.»

Er grinste erneut. «Ich sage es dir trotzdem: Für sie bist du das Flittchen. Ein wenig überall dabei. Illoyal, wenn man so will. Zugehörig zu den Kuramas, aber das Bett teilst du mit dem Taka-Leader.» Er wirkte, als würde er nachdenken. «Aber keine Sorge, ich nenne dich nicht so.»

Sakura schwieg. Was sollte sie darauf auch erwidern? Denn eigentlich spielte es ihr keine Rolle, was die Riots von ihr hielten, besonders jetzt nicht. Sie hatte andere Probleme.

«Du bist ein ganz besonderes Phänomen. Eine Anomalie unter den Gangmitgliedern», fuhr er fort. «Wie konnte ein so braves Mädchen wie du bei einer Gang landen? Und noch besser: sich einen feindlichen Gang-Leader angeln?»

Sakura hatte Angst, das konnte sie nicht leugnen, aber bei einem provozierenden Gegenüber wie Tomcat erwachte trotzdem ihr Kampfgeist.

«Ich wüsste nicht, was dich das angeht», sagte sie und reckte das Kinn in die Höhe.

Ein leises, fast schon natürliches Lachen kam über seine Lippen. «Na, wahrscheinlich nichts, aber interessieren tut’s mich auf jeden Fall.»

Er seufzte. «Ich versuche doch nur, zu ergründen, was ein so anständiges Mädchen wie dich in die verruchten Arme von Gangs getrieben hat. Es macht für mich keinen Sinn.»

«Du bist ja auch in einer Gang», gab sie zurück. «Ausserdem hatten wir so ein Gespräch doch schon mal.»

Er lehnte sich vor und Sakura machte instinktiv einen Schritt rückwärts, doch da war die Wand. Er fasste mit seiner Hand unter ihr Kinn und hob es leicht an.

«Kleiner Unterschied zwischen dir und mir: Ich bin nicht anständig», sagte er mit rauer Stimme. Er war ihr so nah, dass sie ihn riechen konnte, ein Mix aus Aftershave und einer Prise Rauch. Sie spürte seinen Atem auf ihrer Haut, sein Gesicht war viel zu nahe.

Trotzdem beschloss sie, seinen Blick direkt zu erwidern. Keine Schwäche, zeigen, das war jetzt die Devise. Damit hatte sie bei ihm keine schlechten Erfahrungen gemacht.

Er liess er von ihr ab und lachte erneut dieses undefinierbare Lachen. «Du hast durchaus einen eigenen Kopf, was? Gibt man dir nicht. Anfänglich dachte ich, du seist ein dummes Mädchen mit einem Helferkomplex. Eine hoffnungslose Idealistin. Nun, zum Teil denke ich das immer noch. Aber dann sehe ich, dass du sogar die Bullen dazu gebracht hast, mit euch zu kooperieren.» Er schüttelte den Kopf. «Wärst du nicht gewesen, wären die Riots… wären wir wohl kaum dermassen in die Ecke getrieben worden. Du scheinst schon irgendetwas zu haben. Das brave, ehrliche Mädchen, dass die Gangs kennt wie keine Zweite. Eine, die die Öffentlichkeit mitten ins Herz treffen kann.» Seine Worte klangen spöttisch. «Einerseits kann ich dich nicht leiden. Aber andererseits ist es doch ganz faszinierend. Gibt es auch etwas, was du nicht kannst? Oder bist du so perfekt, wie du tust?»

«Ich bin nicht perfekt», rutschte es Sakura raus, obwohl sie sich eigentlich nicht auf ein Gespräch mit ihm hatte einlassen wollen. Aber vielleicht war das ihre Möglichkeit, Zeit zu schinden. «Weit davon entfernt.»

«Inwiefern? Du hast einen College-Abschluss und vermutlich irgendein Studium geplant, du hast einen Ort zum Wohnen, Eltern, Freunde. Hast vermutlich noch nie etwas richtig Schlimmes abgezogen. Und dann willst du ganz nebenbei für Gerechtigkeit kämpfen. Klingt für mich doch sehr perfekt. Unschuldig perfekt.»

Sakura wusste nicht, warum er sich so für sie interessierte. Aber irgendetwas schien ihn an dem Gedanken zu faszinieren, ein Leben zu haben, das «rein» war und nicht auf der Strasse stattfand. Oder war es die Vorstellung einer intakten Familie? Dachte er etwa, sie lebte in einer Musterfamilie?

«Woher kommt dieses Interesse an mir?», fragte sie ihn direkt.

Mit dieser Frage hatte er nicht gerechnet, aber es schien ihn sichtlich zu amüsieren. «Man sagt doch so schön, dass Gegenteile sich anziehen. Man sucht Dinge in anderen Menschen, die man selber nicht hat. Ist das nicht etwas Positives?»

Sie verstand durchaus, was er damit implizierte – dass sie mit ihrer Vermutung mit der Faszination an einem «perfekten Leben» richtig lag. Denn seines war alles andere als perfekt, auch wenn es von aussen so aussah. Und vielleicht war es genau das, was er suchte: Eine Art von Perfektion, die nicht nur Schauspiel und Fassade war, so wie er es in seiner Familie erlebte.

«Wenn man diese Person dann kidnappt finde ich es nicht besonders positiv.»

«Aber, aber. Du bist ziemlich freiwillig mitgekommen, wenn ich mich recht erinnere.»

«Ich hatte nicht gerade eine Wahl. Und du hast eine Waffe.»

«Da muss ich dir Recht geben.»

Schweigen.

«Aber wenn du Perfektion suchst, dann bis du bei mir falsch», beendete sie die unangenehme Stille.

Jetzt machte er doch grosse Augen. Vermutlich hatte er nicht damit gerechnet, dass sie so auf ihn einsteigen würde.

«Interessant», antwortete er. «Und warum, wenn ich fragen darf?»

«Da gibt es verschiedenste Gründe.»

«Dir ist aber schon bewusst, dass Perfektion ganz im Auge des Betrachters liegt?»

Darauf wusste sie nun nichts zu sagen. Es implizierte, dass er in ihr irgendetwas sah, was er sich wünschte und nicht haben konnte.

Von draussen waren schnelle Schritte zu hören, die an der Tür vorbeigingen und ihn aus seinen Gedankengängen rissen. Fast, als würde er aus einem guten Film aufschrecken.

«Nun, Cherry Blossom, es war mir eine Freude. Aber nun muss ich doch Bericht erstatten.» Er kam noch einmal näher. Sakura hielt die Luft an, als seine Hand an ihren Hals glitt. Seine Finger waren warm und weich, aber die Berührung war alles andere als angenehm. Im ersten Moment wusste sie nicht, was er genau vorhatte. Seine Hand verschwand im Kragen ihres Overalls und ehe sie es sich versah, hatte er ihre Kurama-Kette in der Hand und riss sie mit einem raschen Ruck von ihrem Hals.

«Besten Dank. Gerne darfst du in meinen bescheidenen Räumlichkeiten bleiben, solange ich weg bin.» Er ging zur Tür und bevor er hinausging, musterte er sie noch einmal, aber nachdenklicher als vorhin. Dann liess er die Tür ins Schloss fallen und sie hörte nur noch, wie von aussen ein Riegel geschoben wurde. Sakura blieb im schummrigen Neonlicht zurück.

Ihr Herz raste und die Anspannung in ihrem Körper liess für einen kurzen Augenblick nach. Gegenüber Tomcat so zu tun, als könne er sie nicht aus der Ruhe bringen, war nicht gerade ein Zuckerschlecken. Zumal es ihr nicht wirklich gelungen war.

Erst jetzt hatte sie wirklich die Gelegenheit, sich über ihre missliche Lage Gedanken zu machen. Sie huschte zur Tür, die natürlich abgeriegelt war, aber versuchen hatte sie es trotzdem wollen. Wäre ja zu dumm, wenn er aus Versehen den Riegel nicht richtig geschoben hätte und sie hier unwissend auf Tomcats Rückkehr warten würde.

Ein Gefühl der Verzweiflung breitete sich in ihr aus und die fehlende Kette an ihrem Hals hinterliess ein Gefühl von Nacktheit. Zum einen hatte sie grosse Angst davor, was Tomcat und Crow mit ihr tun würden, um von den Kuramas und Takas zu bekommen, was sie wollten. Das schlimmste war jedoch nicht das, was die Riots ihr vielleicht antun würden, sondern die Tatsache, dass ihre Naivität sie direkt in die Arme von Tomcat geführt hatte und dass sie damit ein Druckmittel für ihre Leute darstellte. Wenn ihre Mission in dieser Nacht scheiterte, dann lag das einzig und allein an ihr.

Ein dicker Kloss machte sich in ihrem Hals breit. Wieder einmal war sie ein Klotz am Bein ihrer Leute. Warum hatte sie sich nicht gegen Tomcat gewehrt? Warum war sie einfach mit diesem unbekannten Riot mitgegangen? Vielleicht hätte sie eine Chance gehabt, wenn sie sich gewehrt hätte.

Aber fürs Hadern war es jetzt zu spät. Sie war, genau wie Tomcat es gesagt hatte, fast schon freiwillig zu den Riots gekommen, immerhin hatte er sie nicht mit der Waffe bedroht. Wie hatte sie nur so dumm sein können?

Sie stampfte vor Wut auf sich selbst auf dem Boden auf. Von all den beschissenen Dingen, die hatten passieren können, hatte sie ausgerechnet hier landen müssen. Der Raum um sie herum kam ihr auf einmal noch kleiner und beengender vor, als er ohnehin schon war. Sie schaute sich nach irgendetwas um, mit dem sie die Tür vielleicht öffnen konnte, aber da war nichts. Und rohe Gewalt würde viel zu viel Lärm machen, zumal sie nicht wirklich über die nötige Körperkraft verfügte.

Sie trat in ihrer Verzweiflung gegen das klapperige Liegengestell, was dazu führte, dass etwas an seinem unteren Ende umkippte. Sakura hatte den unscheinbaren schwarzen Rucksack bis anhin nicht bemerkt, doch ihr Interesse war geweckt, denn da war etwas rausgerutscht. Sie ging in die Hocke und griff nach einer kleinen Schatulle, etwa halb so gross wie ein Buch. Sie war in schwarzen Samt verpackt. War das eine Schmuckschachtel?

Für den Bruchteil einer Sekunde zögerte sie. Das Rumschnüffeln in fremden Sachen war nichts Anständiges. Und gleich darauf hätte sie sich ohrfeigen können. Was hatte Tomcat vorhin gesagt? Sie sei anständig? Wenn das keine Ironie war.

Und recht hatte er, denn wer dachte denn bitte über Anstand nach, wenn es darum ging, die persönlichen Sachen des eigenen Kidnappers zu durchsuchen? Nur jemand, der wirklich nicht in diese Gang-Welt passte.

Kurzentschlossen griff sie nach der Schatulle und machte sie auf. Ihr Blick fiel auf zwei wunderschöne, in nachtblaues Samtpolster gebettete Diamantohrringe. Sie mussten von hohem Wert sein, rein nach ihrem Aussehen zu urteilen. Sachte strich sie über die ebenso blauen Diamanten und fühlte das Gewicht der Schmuckstücke in ihren Händen. Aber warum hatte Tomcat diese Ohrringe bei sich? Geklaut hatte er sie wohl kaum, denn er war ja bekanntlich reich. Es musste irgendeinen guten Grund dafür geben, warum er solch wertvolle Damenohrringe mit sich herumtrug.

Und nach kurzer Zeit dämmerte es ihr. Durch den Stress und die Emotionen der letzten Stunden hatte sie vollkommen vergessen, was vor einigen Tagen passiert war – Tomcats Mutter hatte sich das Leben genommen. Konnte es sein, dass sie hier ihre Ohrringe in den Händen hielt?

Ehrfürchtig legte sie die Ringe zurück in dem Samt und schloss die Schatulle. Ihre Neugier war jetzt geweckt, auch wenn sie sich immer noch nicht besonders wohl dabei fühlte, im Eigentum anderer herumzuwühlen. Sie griff tiefer in den Rucksack und stiess auf etwas Weiches. Es handelte sich dabei um einen Stapel mit Zeitungsausschnitten, die er mit einer Büroklammer zusammengeheftet hatte. Bei genauerer Betrachtung thematisierten all diese Ausschnitte den Suizid seiner Mutter. Teilweise waren provokante Schlagzeilen dabei, die üble Theorien um den Tod von Hitomi Murakami aufstellten. Wie musste es sich anfühlen, solche Dinge über die eigene, verstorbene Mutter lesen zu müssen?

Sakura spürte etwas Schweres in ihrer Brust, als sie einen dicken Umschlag aus dem Rucksack in das schummrige Licht der Neonröhren beförderte. Er war nicht verschlossen und voller Fotos. Bereits auf dem ersten Bild war eine junge, verhalten lächelnde Frau mit goldblondem Haar zu sehen, die einen ebenso blonden Jungen auf dem Arm trug und einen braunhaarigen Jungen, vermutlich Tomcats Bruder Ryuji, an der Hand hielt. Sie sah so anders aus, als auf dem aktuelleren Foto in der Zeitung.

Er trägt Fotos seiner Mutter bei sich.

Schnell schob sie die Bilder zurück in den Umschlag und verstaute sie an den Platz, wo sie hergekommen waren. Auf keinen Fall würde sie sich einfach die Frechheit nehmen und in den Erinnerungen an seine Mutter herumstöbern.

Rasch versorgte sie die Dinge der Reihe nach im Rucksack, stellte ihn wieder hin und setzte sich an die gegenüberliegende Wand. Was sie gerade eben gesehen hatte, liess sie nicht kalt. Tomcat musste in tiefer Trauer sein, auch wenn man es ihm nicht anmerkte. Andererseits… vorhin war er anders gewesen, als damals am Krankenhaus oder im Toad’s. Sie erinnerte sich an diese unnahbare Art und an seine Unberechenbarkeit. Blicke, die sie nicht hatte deuten können und eine Aura, die zum Fürchten gewesen war.

Vorhin hatte er versucht, diese kalte, unnahbare Fassade aufrecht zu erhalten und mit der Bedrohung zu spielen, die er für sie darstellte. Aber es war ihm nur unvollständig gelungen. Ihm hatten die Arroganz und die Gewissheit, über allem zu stehen gefehlt. Zeitweise hatte er gelacht, ohne höhnisch oder spöttisch zu klingen. Nein, er hatte sein Schauspiel ihr gegenüber nicht aufrechterhalten können. Und das bedeutete, dass sie ihn vielleicht erreichen konnte.

Zum ersten Mal seit sie ihn kannte, glaubte sie and die Möglichkeit, an Yohei Murakami herankommen zu können. Er hatte sie hier runtergebracht, damit es nicht die anderen für ihn tun würden – vielleicht hatte er sie schützen wollen. Und vielleicht suchte er auf seine eigene, merkwürdige Art nach Gesellschaft. Und die letzte Option war, dass er sie einfach in seiner kranken Fantasie für sich haben wollte. Sie schloss diese Möglichkeit nicht ganz aus.

Und auf einmal hegte sie Hoffnung. Sie war keine begnadete Kämpferin und auch kein strategisches Genie. Aber vielleicht konnte sie an Tomcat herankommen, auf ihre eigene Weise.

 

«Und seit wann genau hast du sie in deiner Gewalt?», fragte Ayato mit hochgezogener Augenbraue. Seine Stimme hallte an den hohen Wänden des Raumes wider.

«Viertelstunde. Etwa.» Tomcat zuckte mit den Schultern.

«Und aus welchem Grund kommst du erst jetzt?»

Tomcat zuckte erneut mit den Schultern. «Weil es mir gerade so passt.»

«Wenn ich dich daran erinnern darf, befinden wir uns mitten in einer Schlacht, Yo. Und wir stehen nicht gerade kurz vor dem Sieg, ganz im Gegenteil. Es ist also keine Frage, wie es dir nun am besten passt. Der Befehl lautete, Sakura Haruno zu jagen und wenn ihr sie nicht findet, dann jemand anderes an ihrer Stelle zu schnappen. Ihr solltet mich umgehend informieren, sobald ihr sie habt. Deine Solo-Aktionen gehen mir langsam auf die Nerven.»

«Wie du schon richtig sagst, wir sind mitten in einer Schlacht. Du hast deine Geisel, also mach kein Theater.» Tomcat warf ihm die silberne Kurama-Kette zu, die mit Leichtigkeit fing. Crow mustere die Kette und drehte sie in seinen Händen. Tomcat war der Einzige, von dem sich Crow solche Aussagen und Attitüden bieten liess, denn er brauchte ihn. Wegen der Kohle und den Ressourcen, versteht sich. So wie sich alles in Tomcats Leben immer nur um Kohle und Einfluss drehte.

«Gut gemacht», meinte Crow nun. «Wenn es um Cherry Blossom geht, bist du wohl besser als jeder Jagdhund. Wo ist sie jetzt?»

«In meinem Raum. Brauchst du sie hier vorne?»

«Nein. Wir werden sie nicht auf dem Präsentierteller vorführen. Jedenfalls noch nicht. Lass sie dort.»

Tomcat nickte und wollte sich abwenden, doch Crow war bereits neben ihm. «Ich will mich selber davon vergewissern, dass sie wirklich dort ist, wo du sagst.» Und etwas leiser fügte er an: «Ich weiss nämlich, dass du sie mir gerne vorenthalten würdest.»

Tomcat tat nichts dergleichen und liess sich unter einigen missbilligenden Blicken der anderen von Crow die Treppe hinauf zum Gang begleiten.

«Glaubst du wirklich, sie werden Kopf und Kragen für Foxy riskieren?», fragte Tomcat den Leader, als sie ausser Hörweite der anderen waren.

«Ja, das glaube ich in der Tat. Immerhin haben wir es mit dem Auge des Gesetzes zu tun und die werden eine Geiselnahme nicht einfach so abtun. Auch wenn für sie die Möglichkeit besteht, dass wir bluffen. Und für den anderen Fall haben wir mit Cherry Blossom ein weiteres Druckmittel. Ich konnte jedoch schlecht bereits in dem Brief schreiben, dass wir sie geschnappt haben, zu diesem Zeitpunkt hatten wir sie nicht und wussten auch nicht, ob es uns gelingen würde.» Crow sah zufrieden aus. «Zudem wird die Sache vielleicht noch für Differenzen unter den Gangs sorgen, was uns auch gelegen kommt. Die treten für meinen Geschmack viel zu geschlossen auf.»

Tomcat nickte wortlos. Er war sich bewusst, dass ihre Chancen gering waren. Aber Crow hatte ihnen von Anfang an gesagt, dass das hier mit grosser Wahrscheinlichkeit die letzte Schlacht der Jaguar Riots mit ihm als Leader werden würde. Das hatte aber kaum jemanden davon abgehalten, dabei mitzuwirken. Es gab in dieser Stadt genug Menschen mit einer ausgeprägten Aversion gegen die Regierung, die Polizei und die Stadt allgemein. Crow hatte das alles hier als eine Revolution aufgezogen, eine Rebellion gegen das System. Und dabei hatte er viele Anhänger gefunden.

«Wir machen das nicht nur für uns», hatte er gestern Abend zu ihm gesagt. «Wir machen das, um Menschen wie deinem Vater zu zeigen, dass sie zwar mächtig sind, aber nie mächtig genug, damit sie die unter Kontrolle haben können, die sie unterdrücken. Vergiss das nicht, Yo. Wir haben ihnen in all der Zeit geschadet, mehr als ihnen lieb ist.»

Sie erreichten den Raum und Tomcat schob den Riegel auf. Sakura Haruno sass an die Wand gelehnt am Boden, doch erhob sich rasch, als er gemeinsam mit Ayato in dieses schummrige Loch eintrat. Als sie ihn entdeckte, verfinsterte sich ihr Blick.

«Guten Abend, meine wunderbare Cherry Blossom», begrüsste er sie gut gelaunt. Sakura schwieg eisern und Tomcat musste sich ein Schmunzeln verkneifen, denn sie sah aus, als würde sie Ayato an die Gurgel springen, sobald er noch einmal den Mund aufmachte.

«Es freut mich, dich hier in unserer bescheidenen Behausung begrüssen zu dürfen. Wir haben heute Nacht noch einiges vor und du bist ein wichtiger Bestandteil davon.» Auch hier gab sie keine Antwort. Er musterte sie belustigt. «Gute Arbeit, Yo. Du hast sie zum Schweigen gebracht, ohne sie zu knebeln.» Er zuckte mit den Schultern und wandte sich zum Gehen. «Sie ist auf jeden Fall da. Reicht mir.»

«Kannst du eigentlich nachts noch schlafen?», fragte Sakura plötzlich und Ayato hielt inne.

«Ah, Cherry Blossoms Gerechtigkeitssinn, von dem man sich so viel erzählt.» Er drehte sich zu ihr um. «Ich weiss, ich bin der Böse in der ganzen Sache. Streite ich ja auch nicht ab. Aber ist dir einmal aufgefallen, wie viel sich in Konoha verändert hat, seit die Riots unterwegs sind? Und ich rede nicht von der Zerstörung, ich spreche von der Aufmerksamkeit, die den Menschen auf der Strasse zu teil wurde. Wie sagt man so schön? Es muss immer zuerst etwas Schlimmes passieren, bevor die Menschen etwas tun. Und wenn ich derjenige sein muss, der für dieses Schlimme verantwortlich ist, dann bin ich gerne der Böse.»

Sakura wollte etwas erwidern, doch er kam ihr zuvor. «Nein, ich stelle mich hier nicht als Märtyrer dar. Bin ich nicht. Ich hege viel Groll gegen diese Stadt und auch gegen euch Gangs. Ich habe offene Rechnungen und die will ich begleichen, was ein Märtyrer nicht machen würde. Die Angelegenheit ist also nicht unpersönlich, aber sie soll Veränderungen bewirken. Und dazu braucht es immer einen Bösen.»

 

Sakura wusste nicht, was sie darauf erwidern sollte. Es war für sie schockierend, wie bewusst sich Crow seiner Rolle in dem ganzen war. Er war kein gescheiterter Möchtegernheld oder ein Mensch, der davon träumte, andere zu strafen. Ihm schien die Situation glasklar zu sein und in Vielem konnte sie ihm nicht einmal widersprechen. Denn es stimmte, die Zustände der Menschen auf der Strasse waren noch nie so sehr Thema bei der Bevölkerung von Konoha gewesen, wie jetzt. Noch nie, hatten sie der Öffentlichkeit so viel Einsicht in die sozialen Problematiken bieten können wie in der letzten Zeit. Dafür waren die Riots verantwortlich. Nicht auf eine positive Art, aber sie waren der Auslöser all der positiven Entwicklungen zwischen den Kuramas, Takas und den Bewohnern von Konoha gewesen, die in letzter Zeit passiert waren. Sie hätte es am liebsten nicht zugegeben, aber er hatte etwas erreicht. Das machte all die Zerstörung und das Leid nicht okay, aber das erwartete Crow auch nicht. Er wusste um die Konsequenzen seines Handelns. Er war nicht einfach irgendein Verrückter.

Sakura schüttelte nur noch den Kopf, wandte ihren Blick aber nicht von ihm ab. «Du wirst einen Preis dafür bezahlen.»

Er sah sie direkt an und in seinen Augen lag eine unerwartete, fehl am Platz wirkende Aufrichtigkeit. «Ich weiss.»

Nun wandte er sich definitiv zum Gehen. «Pass schön auf sie auf», sagte er noch zu Tomcat, bevor er den Raum verliess und die Tür hinter ihm ins Schloss fiel.

 

21:01 Uhr, Schulung und Verwaltung

 

«Die einzige Erklärung dafür ist, dass es auf diesem Gelände ein Versteck gibt, von dem wir nichts wissen. Es muss unterirdisch sein, denn es gibt keine anderen Gebäude auf dem Platz. Es muss Tunnel geben oder eventuell sogar ein weiteres Untergeschoss, die nicht auf den offiziellen Gebäudeplänen eingezeichnet wurden, aus welchen Gründen auch immer», antwortete Hatake auf Mitarashis Frage nach dem Verbleib der Riots. Sie war mit Pixie, Suigetsu und noch einigen anderen Polizisten von Halle 2 zu ihnen gekommen, um das Vorgehen zu besprechen.

«Dann muss es Eingänge geben. Versteckte Eingänge», fügte Sarutobi an. «Irgendetwas muss diese Firma zu verbergen gehabt haben und das kommt den Riots natürlich gelegen.»

«Bis 21.30 Uhr haben wir Zeit, steht in dem Brief. Das reicht nicht mehr, um überall nach Eingängen zu suchen», murmelte Mitarashi.

«Lass es uns versuchen.» Hatake schnappte sich das Funkgerät und verschwand im Hinterzimmer, um Ruhe zu haben.

Sarutobi schickte einige Polizisten in den Keller, um nach möglichen versteckten Eingängen zu suchen.

«Was ist, wenn die trotzdem Tunnel nach draussen haben und wir in Kürze einmal mehr für nichts und wieder nichts den Hampelmann machen?», fragte einer der grimmigeren Polizisten von Sasukes Gruppe, Kobayashi hiess er, wenn er sich recht erinnerte.

«Nein, sie haben keine Tunnel», winkte Sarutobi ab, zog eine Karte aus seiner Hosentasche und breitete sie vor ihnen aus. «Wir haben uns bei der Planung nicht nur die Grundrisspläne der Firma angesehen, sondern auch jene der umliegenden Gebäude. Da gibt es keine Ein- oder Ausgänge von Tunneln. Die umstehenden Häuser sind zu Betriebszeiten der Firma noch bewohnt gewesen, da konnte man nicht einfach einen Tunnel in deren Keller graben. Die Firma hier hatte offensichtlich etwas zu verbergen. Ich nehme an, sie haben hier irgendwo Schmuggelware auf dem Gelände versteckt und dafür brauchten sie geheime Lager. Also vergesst die Tunnel. Und für den unwahrscheinlichen Fall, dass es doch Tunnel gibt, decken unsere ausserhalb stationierten Einheiten einen breiten Umkreis ab. Damit Riots keine Hilfe von aussen kriegen können, versteht sich. Wir würden sie bemerken, bevor sie entkommen können.»

Hatake kam zurück und wenn Sasuke nicht alles täuschte, war sein Blick finsterer als zuvor.

«Sie versuchen, was sie können. Im Endeffekt müssen wir jetzt aber eine Entscheidung treffen. Und gerade habe ich von der Zentrale Informationen bekommen, die einen grossen Einfluss darauf haben werden.»

Alle Aufmerksamkeit lag nun auf Hatake. «Ich habe die Zentrale nach gemeldeten Vermissten gefragt. Für die kämpfenden Einheiten ist es schwierig, festzustellen, ob jemand fehlt, aber nicht für die Sanis. Einheit 1 hat gemeldet, dass Sakura Haruno nach einem Handgranatenangriff als vermisst gilt.»

Ein Raunen ging durch den Raum. Für Sasuke fühlte es sich an, als würden Blitze durch seinen Körper zucken.

«Die Einheit wurde attackiert und Haruno war die letzte ausserhalb des Wagens, bevor die Attacke erfolgte. Der Wagen musste aus der attackierten Zone raus und Haruno war nicht mehr vorzufinden, als sie so rasch wie möglich zurückgekehrt sind. Sie haben sofort Polizeieinheiten verständigt, die haben aber an Halle 3, wo sich der Zwischenfall ereignet hatte, nichts gefunden. Es fehlt jede Spur. Und bleibt nur anzunehmen, dass Sakura Haruno Geisel Nummer 2 ist – Crows Versicherung.»

Im Raum war es still geworden. Sie alle hatten Neuigkeiten in dieser Art befürchtet, doch jetzt aus Hatakes Mund zu hören, dass die Riots tatsächlich noch eine weitere Geisel hatte, erschütterte sie.

Sasukes Fäuste ballten sich und in seinem Kopf begannen die Gedanken zu rasen, obwohl er wusste, dass er gerade jetzt nicht den Kopf verlieren durfte. Doch das Kopfkino liess sich nicht stoppen. Sakura war in den Händen der Riots und das bedeutete, auch in den Händen von Tomcat.

«Es lässt sich vermuten, dass Sakura Haruno von Anfang das primäre Ziel für eine Geiselnahme gewesen ist, bedenkt man ihr Verhältnis zu den Gangs. Insbesondere zu Ihnen, Mr. Uchiha. Und Crow wusste, dass Miss Hyuuga als Geisel nicht besonders glaubhaft ist – ob es nun stimmt oder nicht.

«Hey, aber noch wissen wir nicht hundertprozentig, ob Cherry wirklich in ihren Händen ist, Boss!», warf Deidara ein. «Vielleicht versteckt sie sich ja irgendwo?»

Naruto schüttelte den Kopf. Auch ihm war anzusehen, dass er kurz vorm Platzen war. «Egal, was ist, für mich steht fest, dass die Polizei sich jetzt sofort zurückzieht, denn uns läuft die Zeit davon. Sichert das Gelände ab, bleibt in Bereitschaft. Unser Ziel muss es sein, die Geiseln zu sichern und dann sofort mit einem massiven Gegenschlag zu beginnen. Mit der Polizei, versteht sich. Aber ich will nichts riskieren.»

«Sehe ich auch so», sagte Sasuke und brauchte alle Kraft, um sich zu beherrschen.

«Wir wissen von beiden Mädchen nicht, ob sie wirklich Geiseln sind. Aber mindestens von Hinata Hyuuga wissen wir, dass sie als Druckmittel gegen uns verwendet werden kann, egal, ob es ein Trick ist oder nicht. Und Sakura Haruno war nicht auffindbar. Ich gehe schwer davon aus, dass sie sich nicht einfach versteckt. Das würde sie nur solange tun, bis sie bekannte Gesichter sieht und davon sind eine Menge auf dem Gelände.» Hatake schien seinen Entschluss gefasst zu haben.

«Es hilft alles nichts. Es ist jetzt 21.12 Uhr und uns läuft die Zeit davon. Die Polizei wird sich zurückziehen, auch wenn es mir in jeder möglichen Weise widerstrebt. Jemand anderer Meinung?»

Der Unmut im Raum war deutlich spürbar und trotzdem kamen keine Gegenargumente zurück. Sakuras Verschwinden hatte auch die letzten Zweifler überzeugt. Sie mussten Crow in einem ersten Schritt Folge leisten. Die Polizisten begannen, sich aufzuraffen.

«Aber denkt daran, dass wir gleich vor den Toren warten werden. Macht auf keinen Fall etwas Unüberlegtes.» Bei diesem Satz nahm er Naruto und Sasuke ins Visier. «Emotionen sind ein starker Gegner, aber ihr dürft euch auf keinen Fall davon aus der Ruhe bringen lassen. Denn das bezweckt Crow. Ihr seid seine grössten Feinde und nun hat er einen eurer schwächsten Punkte getroffen.» Er legte ihnen beiden eine Hand auf die Schulter. «Ihr haltet mich über alles, was geschieht auf dem Laufenden. Ich will wissen, was Crow von euch will. Ich werde euch nötigenfalls helfen, eine Strategie zu finden. Und wenn alle Stricke reissen werden wir eingreifen.»

«Nein!», riefen Sasuke und Naruto wie aus einem Mund, was einen kurzen, etwas befremdeten Blickwechsel zwischen den beiden zur Folge hatte.

Hatake schüttelte den Kopf. «Falls es soweit kommt, dass ihr keine Chance mehr habt, dann müssen wir rational handeln und euch helfen. Ihr wisst also, was ihr zu tun habt: Schaut zu, dass es nicht soweit kommt. Alles klar?»

Die beiden nickten nur, denn Hatake hatte wohl oder übel recht. Doch sie waren entschlossen, das durchziehen.

«Die Wagen werden an der linken Mauer als Stützpunkt gruppiert, damit ihr eine Festung habt, von der aus ihr agieren könnt. Theoretisch könnten wir euch so von der anderen Mauerseite her unterstützen, zumindest mit Mitteln versorgen. Aber ich weiss nicht, ob Crow das okay findet. Und ich will seine Willkür nicht herausfordern. Wir müssen unser weiteres Vorgehen entscheiden, wenn wir mehr über Crows Vorhaben wissen. Für den Moment müssen wir an die potenziellen Geiseln denken.»

 

21:23 Uhr, Schulung und Verwaltung

 

In Sasukes Kopf rasten die Gedanken, als er in dem dunklen Laderaum des Panzerwagens sass. Der Wagen unter ihm kam ruckelnd in die Gänge und würde sie direkt zur Mauer bringen, wo sie eine provisorische Festung errichten würden.

Sakura war verschwunden. Das hiess bestenfalls, sie versteckte sich irgendwo. Und den allerschlimmsten Fall wollte er in seinem Kopf nicht zulassen. Eine Geiselnahme war im Gegensatz zum Wort-Case-Szenario immer noch annehmbar.

Innerlich ging er all seine Entscheidungen durch, die ihn an diesen Ort und in diesen bestimmten Moment geführt hatten. Es gab so vieles, was er jetzt anders machen würde. An allererster Stelle würde er Sakura verbieten, an der Mission hier teilzunehmen, egal wie wütend sie auf ihn gewesen wäre. Von ihm aus konnte sie ihn hassen und in die Hölle verwünschen, solange sie lebte. Solange es ihr gut ging.

Wer wusste schon, ob sie nicht schon in Tomcats schmutzigen Händen gelandet war, der mit ihr machen konnte, was er wollte. Dieser Gedanke brachte das Blut in seinen Adern zum Kochen. Wenn dieser verdammte Bankierssohn es wagte, seine dreckigen Hände an Sakura zu legen, dann würde er ihn das auf ewig bereuen lassen.

«Sie haben sie gejagt, Sasuke», sagte auf einmal Big Fox, der ihm gegenübersass und genau so düster aus der Wäsche blickte, wie er selbst. «Es war nicht fahrlässig, Cherry aus Feld zu lassen. Sie war bereit.»

«Wir wussten, dass Tomcat ein Auge auf sie geworfen hat. Wir hätten vorausdenken müssen. Aber in all der Planung ist dieser Faktor total untergegangen», gab er zurück. «Wir hätten es ahnen müssen!»

«Es ist unmöglich, jeden Faktor miteinzuberechnen», sagte Hatake.

Der Wagen kam zum Stehen und die Hintertür wurde aufgemacht. Sasuke griff nach seiner Waffe.

«Sie wollte dabei sein, Demon!», sagte Big Fox laut und bestimmt, auch wenn ihm die Schuldgefühle in grossen roten Lettern auf die Stirn geschrieben standen. «Das einzige, was wir jetzt tun können ist, sie uns wiederholen! Also reiss dich verdammt nochmal zusammen! Du bist der Leader!»

Sasuke liess sich solche Sachen normalerweise nicht von ihm gefallen. Aber er wusste, dass Big Fox recht hatte. Der Kurama-Leader musste schon viel länger mit solchen Gedanken herumlaufen, seitdem Hinata sich als Maulwurf entpuppt hatte. Doch heute schien er fest entschlossen zu sein. Und dem musste Sasuke folgen, denn er war der Leader. Wenn der Leader zweifelte, zweifelten alle anderen auch. Das hatte Itachi immer gesagt und Recht hatte er gehabt. Itachi hatte nie jemanden spüren lassen, dass er unsicher war. Vermutlich war er gar nie unsicher gewesen.

Big Fox sprang aus dem Wagen in die Dunkelheit. Die Polizei war schnell gewesen und hatte bereits für Scheinwerfer gesorgt, sie vom externen Lazarett hierher verfrachtet hatten. Dann würde sie ihre Gegner wenigsten sehen können. Noch waren sie ausgeschaltet, aber sie würde bestimmt noch nützlich werden.

«Cherry ist stark. Nicht im Kämpfen, aber in anderen Dingen. So schnell kriegen die sie nicht klein, das versichere ich dir.»

Sasuke stand auf. Er musste jetzt einfach an Sakura glauben und daran, dass sie andere Menschen lesen konnte. Darauf, dass man sie nicht einfach so unterkriegen konnte. Sie hat es schon mehr als einmal bewiesen.

Er sah sich um. Der Wind hatte aufgefrischt und riss die braun verfärbten Blätter von den Bäumen. Hier waren so viele vertraue Gesichter. Sie alle waren informiert über den Brief und das geplante Vorgehen, dafür hatte Hatake gesorgt. Sie alle gaben sich die grösste Mühe, ihre Beunruhigung zu überspielen, doch er sah es an ihren Blicken – die jüngsten Ereignisse dieser Nacht liessen niemanden kalt. Sie waren überlegen in diesen Kampf gestartet und mussten nun einsehen, dass Crow sich wieder einmal eine mächtige Position verschafft hatte. Doch was hätten sie tun sollen? Wenn sie in bekämpfen wollten, mussten sie auch Leute in die Schlacht schicken. Und jeder dieser Leute konnte zur Geisel werden. Was genau hätten sie also anders machen sollen?

Er fluchte innerlich. So sehr er Crow auch hasste, mit einem hatte er absolut recht: Die Takas und Kuramas hatten beide dasselbe Problem. Nämlich ihren Zusammenhalt und ihre fast schon familiären Bande. Sie würden immer erpressbar sein, egal, welch geniale Schlachtpläne sie ausheckten.

Er erinnerte sich an früher, als er sich an nichts ausser an seinen Bruder gebunden gefühlt hatte. Anfänglich hatte er auch nichts mit den anderen Takas zu tun haben wollen, doch all die gemeinsam Strassenkämpfe und einige krumme Geschäfte hatten ihn unvermeidlich an diese Gang geschweisst. Sie waren nie wahnsinnig nett zueinander gewesen, aber das hatte schon immer zum Umgangston der Takas gehört. Beleidigungen waren die normalen Begrüssungsfloskeln gewesen, sich mit «Schau an, der Bastard ist wieder da» anzusprechen hatte etwa so viel bedeutet wie «Hey, mein Freund». Und trotzdem waren sie füreinander durchs Feuer gegangen. In Sasukes Anfangszeit war Juugo, damals knapp dreizehn Jahre alt, einmal einer aufmüpfigen Gang in die Hände gefallen. Razors hatten sie geheissen, sofern er sich recht erinnerte. Sie hatten ihn in einer spektakulären Mission befreit, nachdem die Razors ihn bereits grün und blau geschlagen und ihm mit einem Messer ein R in den Oberarm geritzt hatten. Besagte Gang war von da an wie vom Erdboden verschwunden gewesen, plattgemacht von den Takas. Die älteren Takas hatten Juugo damals ihre eigenen Narben gezeigt, was ihn richtig aufgebaut hatte. Das Erlebnis und der Zuspruch seiner Gang hatten ihn stärker gemacht – Juugo trug die Narbe noch heute wie eine Trophäe. Denn Narben waren Auszeichnungen, Beweise für Stärke. Das hatte ihm auch Itachi immer gesagt. Heute war Sasukes eigene Körper von Narben geziert. Aber es störte ihn nicht.

«Demon?»

Konans Stimme holte ihn wieder in die Realität zurück. Sie sah zwar gefasst aus, aber die Sorge stand ihr ins Gesicht geschrieben. Hinter ihr Stand Yahiko, der sein Gameface aufgesetzt hatte.

«Ja?»

«Hatake will dich und Big Fox noch rasch sprechen. Beeil dich, es ist bald Halb.»

Er nickte und ging an ihr vorbei.

Zuversicht. Er benötigte Zuversicht. Aber in seinem Kopf tauchten immer wieder Bilder auf, die er nicht sehen wollte. Bilder einer Zukunft, an die zu denken er sich weigern wollte. Er würde es sich nie verzeihen, wenn Sakura aus dieser Nacht Narben davontragen würde. Oder noch Schlimmeres.

Zum ersten Mal seit langer Zeit, verspürte Sasuke Uchiha so etwas wie Angst.

 

21:13 Uhr, Kellergewölbe Halle 3

 

Crows ungewöhnlich starke Präsenz blieb auf unangenehme Art im Raum hängen, auch nachdem die Tür hinter ihm zugefallen war. Tomcat hielt noch einen Moment inne und musterte sie auf seltsame Weise, als ob er abwägte. Irgendetwas an ihm war einfach anders als bei ihren letzten Zusammentreffen, aber sie konnte den Finger nicht draufhalten. Dann, als hätte er einen Entscheid getroffen, schnappte er sich seinen Rucksack und machte Anstalten, den Raum zu verlassen.

Jetzt oder nie.

«Tut mit übrigens wirklich leid», sagte sie sachte. «Das mit deiner Mutter.»

Tomcat hatte die Hand bereits an der Türfalle und erstarrte mitten in der Bewegung. Sein Gesicht war von einem Moment auf den anderen aschfahl geworden. Er behielt seinen Blick starr auf seinen ausgestreckten Arm gerichtet.

Vielleicht war das jetzt ein Fehler gewesen, ja, vielleicht hatte sie gerade schlafenden Hunde geweckt. Nur weil Tomcat heute ruhiger gewesen war, hiess das nicht, dass man ihn urplötzlich als berechenbar einstufen konnte. Ihr Herz begann zu klopfen. Sie musste das jetzt durchziehen, denn er war ihre einzige und leider sehr kleine, fast schon nicht existente Chance hier rauszukommen. Aber vielleicht hatte sie sich diese Chance auch nur eingebildet. Es würde sich gleich zeigen.

Drei Möglichkeiten rechnete sie sich aus: Entweder stürzte er sich vor Wut auf sie, weil er dachte, sie mache sich über ihn lustig, oder er verliess den Raum. Die dritte und erhoffte Option war, dass er mit ihr zu reden beginnen würde.

Sie erkannte schon nur anhand von seine Seitenprofil, dass sein Blick sich verfinstert hatte.

Er wirkte, als denke er nach.

«Entschuldige», murmelte sie. «Ich wollte dich nicht verärgern. Ich habe es nur in der Zeitung gelesen und dachte…»

«Was dachtest du?!» Sakura zuckte bei der Lautstärke seiner Worte zusammen. Sie hatte ihn noch nie unkontrolliert erlebt. Das hier war ein Wutausbruch, der nicht zu der Figur «Tomcat» passte – zu jener Version von sich selbst, die er die Aussenwelt sehen liess. Ihm selber schien das auch aufzufallen und mit Mühe schaffte er es, wieder diesen durchdringenden, unangenehm ruhigen Tonfall hinzukriegen. «Du spielst mit dem Feuer, kleine Cherry Blossom. Du solltest dir besser um dein eigenes Leben Sorgen machen. Deine Situation sieht nicht gerade gut aus, so viel kann ich dir sagen.»

Sie durfte sich jetzt auf keinen Fall verunsichern lassen, auch wenn sie sich am liebsten in die Ecke des Raumes verdrückt hätte. Seine Fassade bröckelte und er versuchte, von sich abzulenken.

Irgendwie tat er ihr leid. Sie dachte an die Bilder in seinem Rucksack, an die Erinnerungen an seine Mutter, die er mit sich herumtrug. Wollte sie hier wirklich nur raus oder war es eine ehrliche Anteilnahme, die sie in ihrem Herzen spürte?

«Ich wollte dich nicht ärgern, wirklich. Es hat mich nur… beschäftigt.»

«Und warum zur Hölle beschäftigt dich das?», knurrte er.

«Einfach so.»

Er lachte trocken. «Ach ja? Weisst du, du bist schon ein naives kleines Mädchen, das nicht weiss, wann es die Klappe halten sollte. Aber ich bin nicht dumm. Du versuchst hier zu sympathisieren, Cherry Blossom.»

«Ich wüsste nicht, was daran so schlimm ist», sagte sie und nach einer kurzen Pause fuhr sie weiter. "Meine Mutter lebt noch. Aber ich sehe sie kaum. Ich tanze nicht nach ihrer Pfeife und deshalb weiss sie mit mir nichts anzufangen. Sie ist alles andere als liebevoll.»

Tomcat sah sie irritiert an, auch wenn er es zu überspielen versuchte. Fast als wäre ihm das Konzept von Anteilnahme nicht bekannt.

«Ich weiss, es ist nicht das gleiche.»

Sie erwartete einen weiteren Wutausbruch, doch dem war nicht so. Tomcat hielt seinen Blick starr auf sie gerichtet, keine Regung im Gesicht. Doch seine Augen sprachen Bände – er saugte ihre Worte förmlich auf.

Die Idee, Tomcat dazu zu benutzen, hier so schnell wie möglich herauszukommen, rückte in den Hintergrund. Sie hatte hier einen traurigen, einsamen jungen Menschen vor sich. Tomcat hatte niemanden ausser sich selbst. Ein bescheuerter Vater, ein arroganter Bruder. Eine Gang, zu der er sich nicht wirklich dazugehören wollte. Crow, der ihm vermutlich Rache an seinem Vater und der finanzstarken Elite der Stadt versprach, aber ihm kein Freund war. Niemand, der sich einfach nur für ihn interessierte.

«Was für ein Spiel treibst du da?», stiess er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. Er wehrte sich mit aller Kraft gegen etwas und sie beobachtete, wie sein Blick subtil zwischen ihr und der Tür hin- und herzuwandern begann.

«Kein Spiel. Es tut mir nur sehr leid.»

«Und warum?» Seine Stimme klang immer noch ablehnend und es schwang eine Prise Misstrauen mit. «Eigentlich müsstest du dich über alles freuen, was deinen Gegner schwächt. Ganz nach Crows Motto.»

«Ich bin aber nicht Crow. Ich werde mich nicht über den Tod eines Menschen freuen. Und schon gar nicht über den eines Menschen, der nichts verbrochen hat.»

Er war hin- und hergerissen und es fiel ihm immer schwerer, seine Fassade aufrechtzuerhalten, das konnte sie sehen. Sie bemerkte auch ein leichtes Zittern in seinen Händen.

«Findest du all das Blutvergiessen da oben notwendig? Teilst du Crows Meinung?», fragte sie nun, um ein wenig von seiner Mutter abzulenken, denn sie spürte, dass sie sich da an einer sehr gefährlichen Grenze entlangbewegte.

«Es ist kein Geheimnis, dass ich nicht Crows Lakai bin. Ich will, dass mein Vater ins Schwitzen kommt. Ich mache genau das Gegenteil von dem, was er immer von mir gewollt hat. Und die Aktivitäten der Riots sind nicht gut für sein Geschäft. Konoha macht viele Negativschlagzeilen und da er seinen Hauptsitz hier hat, tut ihm das natürlich nicht gerade gut.» Sie sah eine Spur von Schadenfreude und Genugtuung in seinen Augen. Er hatte den Ansatz eines Grinsens auf den Lippen, das aber sogleich wieder verschwand. «Ich bin kein Revolutionsführer wie Crow. Ich bin aus meinen eigenen Interessen hier und das weiss er auch.»

Sakura fragte sich, ob Tomcat nicht tief drin nach etwas ganz anderem suchte als nach Möglichkeiten, seinem Vater eins auszuwischen.

«Ich kenne deinen Vater nicht», sagte sie leise. «Nur aus der Zeitung.»

Tomcat lachte verächtlich. «Aus der Zeitung, ja? Dort wo er glorifiziert wird, wo man ihn in den Himmel hinauflobt. Die Medien sind doch auch alle unter Kontrolle der Reichen. Niemand spricht darüber, wie er wirklich ist. Seine Angestellten wagen es nicht, die Verwandten wollen es nicht und alle anderen wissen es folglich auch nicht. Mein Alter ist ein verdammter Psychopath, Cherry Blossom.»

Seine Worte hatte einen solch harten und zornigen Unterton, dass sich auf Sakuras Armen die Härchen aufstellten. Er bemerkte Sakuras grosse Augen und genoss es anscheinend, dass seine Worte eine solche Reaktion bei ihr auslösten.

«Vor der Kamera und den Reportern macht er immer einen auf Saubermann, was? Aber soll ich dir was sagen?» In seinem Blick lag etwas Unberechenbares und seine Stimme bebte ein wenig bei diesen Worten. «Er hat sie eingesperrt. Sie durfte unser verdammtes Anwesen nur in seiner Begleitung verlassen. All seine aufgestaute Energie und Frustration hat sie in Form von Gewalt zu spüren gekriegt und er sagte ihr andauernd, dass sie hässlich sei und dass sie sich das Gesicht machen lassen müsse. Nur damit er auf seinen Reisen dann doch mit jungen Frauen in der Kiste gelandet ist.»

Sakura hörte nur noch gebannt zu. Tomcats tiefere Emotionen drangen an die Oberfläche.

«Ryu und mich hat er von Privatlehrern unterrichten lassen, die uns vom Morgenfrüh bis in den Abend gedrillt haben. Seit wir acht waren. Unsere Mom wollte das nicht, aber sie konnte nichts tun. Und wenn wir uns geweigert haben, dann gabs Schläge. Für sie und für uns.»

«Waren deine Eltern unfreiwillig verheiratet?», flüsterte sie.

Er nickte. Jetzt bebte sein ganzer Körper. «Das ist bei den Reichen und Schönen oft so. Man wird zwar nicht direkt gezwungen, aber so aufgezogen und eingespurt, als wäre es normal, solche Zweckehen zu formen. Meine Mom war die Tochter eines Bankers aus Kumo und dem kam ein Zusammenschluss mit Murakami Credits gleich recht. Und familiäre Bande bedeuten Verbindlichkeit – auch wenn man sich nicht leiden kann.» Nun nahm sie eine Spur von Bedauern und Traurigkeit unter seiner Wut wahr, auch wenn er es mit seinem verächtlichen Grinsen zu überspielen versuchte.

Ihr Bild von Tomcat begann sich schlagartig zu verändern. Bisher hatte er ihr Angst gemacht und war in der Lage gewesen, sie mit seiner kalten, kontrollierten und listigen Art einzuschüchtern. Sie hatte immer noch Respekt vor seiner Unberechenbarkeit, aber auf eine andere Weise. Sie fühlte sich, als könne sie langsam hinter seine Spielfigur «Tomcat» sehen. Nicht nur ein undurchschaubarer, psychisch angeknackster junger Mann, dem alles zuzutrauen war. Nein, ein junger Mann, dem in seinem Leben viel zu viel angetan wurde, als dass er noch das sein konnte, was man unter normal verstand. Und deshalb war er, wie er war. Zu viele Parallelen konnte sie mit anderen Gangmitgliedern feststellen. Und wenn sie geglaubt hatte, Tomcat gehöre aufgrund seiner Herkunft nicht in eine Gang, dann war das ein für allemal vorbei. Er passte bestens zu ihnen.

Tomcat versprühte keinen Machthunger, keine Habgier, keine kranke Obsession mit Materiellem. Er wollte nur Rache an diesem schrecklichen Mann, der ihn und seinen Bruder so hat leiden lassen. Der das Leben seiner Mutter zerstört und sie in den Tod getrieben hatte. Es schien fast, als wäre das sein einziger Antrieb.

«Deine Mutter war dir sehr nahe», sagte sie und war sorgsam darauf bedacht, dies nicht wie ein Fakt, sondern wie eine Wahrnehmung ihrerseits klingen zu lassen.

Irgendetwas in ihm schien sich dagegen zu wehren, Sakura gegenüber so viel von sich preis zu geben. Sein Körper war bis in die feinste Faser angespannt. Sein Blick fixierte Sakura, doch ruhte nicht, sondern flitze nervös hin und her, konzentriert darauf, direkten Augenkontakt zu vermeiden.

«Seit unserer Geburt hat sie uns beschützt. Wir hatten bis zu unserem 8. Lebensjahr eine schöne Kindheit im Ungewissen, gerade weil der Alte nie da war. Wir haben nie etwas von Moms Traurigkeit gemerkt. Erst, als unser Alter wohl gedacht hat, wir seien selber alt genug, um verprügelt zu werden. Ryuji hat gespurt, ich habe rebelliert, weshalb er mich noch weniger mochte. Und Mom wurde von da an immer mehr zu einem Schatten ihrer selbst. Sie hat in den letzten Jahren nur noch wenig gesprochen.» Tomcat liess sich langsam an der Wand hinuntergleiten und verblieb in einer hockenden Position. Er liess sie aber keine Sekunde aus den Augen. Trotzdem war das für sei ein Zeichen, dass er bereit war weiterzusprechen. Und ganz ehrlich? Sie wollte unbedingt mit ihm weiterreden, aber nicht aus dem ursprünglichen Grund.

Sakura war zutiefst betroffen. Was für ein Leben hatte er nur gelebt? Eingesperrt in einem goldenen Käfig mit einem scheusslichen Vater. Inzwischen wunderte sie an Tomcats Art nichts mehr, denn alles war sie gehört hatte, war Erklärung genug. Es tat ihr richtig im Herzen weh, wenn sie an das Bild der beiden kleinen Jungen und ihrer Mutter dachte. Wie sie verhalten gelächelt und überspielt hatte, wie sie sich wirklich fühlte. Genauso wie Yohei Murakami als Tomcat alles zu überspielen versuchte, was er der Aussenwelt nie hatte zeigen wollen. Alles machte einen Sinn. In ihrem Kopf ratterten Inhalte aus den Sozialwissenschaften vom College wild durcheinander. Trauma, Bindungsstörungen, die Suche nach Verlässlichkeit und Geborgenheit. Kinder, die ohne verlässliche Bezugsperson in ihrem Leben später keine tragfähigen Beziehungen mit anderen aufbauen konnten. Das alles passte zu ihm. Vielleicht hatte er in ihr etwas gesehen, das er mochte. Eben etwas, was er sich wünschte und nicht haben konnte. Eine Eigenschaft, die ihm Sicherheit gab, etwas, wonach er sich sehnte. Er hatte sie immer voller Spott naiv und unerfahren genannt, ein Gutmensch, jemand, der keine Ahnung hatte, wie die Welt wirklich lief und die Welt blauäugig retten wollte. Und in anderen Worten: Eine sichere Zone. Jemand, der in seinen Augen kein Dreck am Stecken hatte. Jemand mit einem guten Herz und einer liebevollen Art.

Das war alles reine Theorie, aber vielleicht war er deshalb so fixiert auf sie, weil er genau das in ihr sah, ob es nun so war, sei dahingestellt. Und da er keine sicheren Beziehungen in seinem Leben hatte, wusste er auch nicht wirklich, wie man Freundschaften aufbaute. Das alles würde jedenfalls vieles erklären.

Sie verfluchte Shoto Murakami innerlich. Ein einzelner Mensch konnte so viel Schaden anrichten und er hatte es ohne mit der Wimper zu zucken getan.

«Und dein Bruder?»

«Ryu? Der ist inzwischen eine Kopie meines Vaters. War auch nur noch ein Arsch zu Mom. Und zu mir, aber das ist schon lange so.»

«Es tut mir leid, Yohei», brachte sie heraus. Sein Blick weitere sich ein klitzekleines Bisschen, als sie ihn mit seinem Vornamen ansprach. «Niemand verdient das.»

«Und vor allem nicht sie», sagte er mit erstickter Stimme. Er griff in seinen Rucksack und zog ein kleines Buch heraus. Es sah aus wie ein stinknormales, aber doch dickes Notizbuch, aber wenn er es in seinem Rucksack herumtrug, dann hatte es einen Wert.

«Sie hat Tagebuch geschrieben. Das hier war ihr letztes. Und beinhaltet all die Dinge, die sie nie hat aussprechen dürfen.» Er warf ihr das Buch zu und ihre Reflexe waren gerade mal schnell genug, um dieses wertvolle Schriftstück aufzufangen, kurz bevor es auf dem staubigen Boden landete.

«Darf ich es wirklich lesen?», fragte sie vorsichtig.

«Würde ich es dir sonst geben?» Bei dieser sarkastischen Bemerkung hatte sie seine Tomcat-Allüren wieder deutlich durchdrücken hören. Er schien das Bedürfnis zu haben, seinen Schmerz und vor allem den seiner Mutter mit jemandem zu teilen. Und Sakura war nur zu gerne bereit, das zu tun. Es war, als befinde sie sich in einer Seifenblase. Raum und Zeit hatten irgendwie angehalten und die Schlacht über ihnen schien auf einmal Lichtjahre entfernt zu sein.

 

21:29 Uhr, zwischen Halle 2 und 4

 

Inzwischen war es gespenstisch ruhig auf ihrer Seite des Geländes. Die Riots hatten sich nach und nach zurückgezogen und eingebunkert. Am liebsten hätte Sasuke einfach die Gebäude gestürmt, aber überstürzte Handlungen brachten sie in diesem Moment nicht weiter. Die Polizei war abgerückt und zurückgeblieben waren die Takas und die Kuramas. Für Sasuke beinahe schon ein ungewohntes Gefühl, nachdem sie in ihren letzten Schlachten immer Polizisten dabei gewesen waren. Er hatte ein tiefes Vertrauen in seine Leute und auch in die Kuramas, doch ihm war bewusst, dass sie mit diesem Entscheid ihren grössten Vorteil aufgegeben hatten. Sie hatten in dieser kurzen Zeit ein Fort aus den Panzerwagen errichtet, die Lücken gefüllt mit Kisten und Schrott. Sie hatten Schützen überall um das Fort herum versteckt, auch bei Halle 2 und 4, hinter Kisten und Mulden. Das Zentrum bestand aber aus ihrer Festung; wollten die Riots die einnehmen, mussten sie sich warm anziehen, denn die Kuramas und Takas waren bis auf die Zähne bewaffnet. Aber er glaubte ohnehin nicht, dass das Crows Plan war. Nicht, wenn er Geiseln hatte und sie somit wie die Marionetten tanzen lassen konnte. Aber sobald sie wussten, was er vorhatte, würden sie eine Strategie finden. Sie mussten einfach.

Er musterte seine Leute. Hidan und Deidara hatten sogar den Nerv, noch miteinander zu feixen. Aber er war froh, dass sie noch eine gute Kampfmoral zu haben schienen. Die meisten anderen sahen entweder konzentriert aus oder wirkten, als wären sie mehr als bereit, all ihre Energie und ihre Wut in diesem Kampf zu entladen. Niemand wirkte niedergeschlagen – sie waren bereit.

«Es ist so weit», sagte Big Fox neben ihm, zuoberst auf dem Fort mit einem guten Überblick über das Gelände. Sasuke schielte auf die Zeitanzeige an seinem Funkgerät. 21.30 Uhr.

«Bereit?», fragte Hatakes Stimme wie aufs Stichwort aus dem Gerät.

«Bereit», sagte er.

Bereit, Crow auf den Mond zu schiessen.

 

21:30 Uhr, unterirdisch

 

Ihr Herz schlug rasend schnell, als sie neben Crow her ging. Die Fesseln an ihren Händen scheuerten ihre Haut auf und der Knebel in ihrem Mund war viel zu stark festgebunden. Im Gang roch es nach altem, kaltem Beton und Staub, ihre Schritte hallten an den Wänden wider. Sie war wie das Lamm auf dem Weg zur Schlachtbank.

Das war jetzt der Moment. Das Ende. Alles, was sie in den letzten Monaten getan hatte, hatte sie hierhergeführt – an einen Ort, an dem sie nicht sein wollte. Rückblickend hätte sie vieles anders gemacht. Alles anders gemacht. Es hätte einen Weg geben müssen, auch wenn sie heute noch keinen sah. Irgendeinen, der an der Realität, wie sie heute war, vorbeiführte. All die schweren Gefühle, die sie seit so langer Zeit mit sich herumtrug und in ihrem tiefsten Innersten begraben hatte, kamen wieder hervor, kämpften sich ans Tageslicht. Sie spürte Angst und Verzweiflung. Wie eine Maschine hatte sie alles verdrängt, alles zu vergessen versucht. Nicht nur die Gefühle, sondern auch die Fragen. Warum war das alles passiert? Warum hatte sie nicht besser aufpassen können?

Sie war verwirrt. So lange hatte sie ihre Gedanken und Gefühle zu kontrollieren versucht und jetzt schäumten sie in einem reissenden Strudel wieder durch ihren Kopf, durch ihren ganzen Körper.

Ihre Persönlichkeit, ihr Wesen hatte sich verändert. Ihr Verstand spielte ihr schon seit Langem Streiche. Manchmal sah sie Dinge, die da nicht waren. Meistens war es jemand. Und immer, wenn er auftauchte, weinte sie leise vor sich hin. Nicht selten konnte sie ihn sogar riechen und spüren. Und das alles war nur ein Produkt ihrer Vorstellungskraft.

Manchmal hörte sie Stimmen von Menschen, die sie schon so lange nicht mehr gehört hatte und nach denen sie sich sehnte. Immer, wenn sie alleine war, verzog sie sich in ihre eigene Welt, jene in ihrem Kopf, die ihr wie ein Paradies erschien. Es war der einzige Ort, an dem sie noch sein wollte. Denn sie wusste, dass es diesen Ort in der realen Welt nicht mehr gab. Nicht für sie. Sie hatte sich längst von dem Gedanken verabschiedet, jemals wieder in ihr altes Leben zurückkehren zu können. Denn es war ein anderes Leben gewesen. Eine andere Hinata. Die Hinata, die sie jetzt war, verabscheute sie. Sie hasste das, was aus ihr geworden war.  

Crow spielte seine Spiele mit ihr. Und sie hatte versucht, ihres mit ihm zu spielen. Nicht weil sie es gewollt hatte. Aber weil sie keinen anderen Weg mehr gesehen hatte. Ihre einzige Möglichkeit, den Schaden einzudämmen.

Denn in diesem Spiel konnte sie nur verlieren. Egal, was sie machte, irgendjemanden würde sie mit sich ins Verderben reissen.

Und trotzdem wollte sie alles daransetzen, es zu verhindern. Es war das einzige, was sie noch tun konnte – was auch immer es kosten würde.

Offene Rechnungen

21:33 Uhr, Kellergewölbe Halle 3

 

Ganz vorsichtig drehte Sakura das Buch in ihren Händen. Es sah abgegriffen aus und die Farbe des einst blauen Einbands war bereits ziemlich verbleicht und wirkte inzwischen eher grau. Langsam öffnete sie das Buch. Auf der ersten Seite stand in grossen, handgeschriebenen Lettern «Kochrezepte». Im ersten Moment fragte sie sich, ob Tomcat ihr das falsche Buch gegeben hatte, doch der sass an der gegenüberliegenden Wand und beobachtete sie in aller Ruhe dabei. Rasch blätterte sie weiter. Auf der nächsten Seite stand dann tatsächlich ein Rezept für Quiche Lorraine. Das Papier war ganz weich vom vielen Durchblättern. Das Tagebuch begann erst auf der fünften Seite, nach weiteren Rezepten. Erst dann dämmerte Sakura, dass die Kochrezepte reine Tarnung waren. Der erste Eintrag lag satte sechs Jahre zurück – anscheinend hatte Hitomi Murakami nicht sehr oft Einträge verfasst, denn laut Tomcat war dieses Buch ja auch das aktuellste.

 

«Morgen geht Yohei aufs Internat. Ich kann kaum fassen, wie schnell die Zeit vergangen ist. Meine Söhne haben sich mit dem Aufwachsen beeilt. Oder wurden dazu angehalten, sich zu beeilen. Shoto findet, dass Yohei nicht das Zeug dazu hat, in seine Fussstapfen zu treten, auch wenn er schneller lernt und bessere Leistungen erbringt als Ryuji. ‘Auf den Charakter kommt es an’, sagt Shoto immer. Ryuji war schon als Kind immer sehr sozial und darauf bedacht, Rücksicht auf andere zu nehmen. So sehr, dass er sich selber dabei schnell vergass. Inzwischen will er vor allem Shoto gefallen, nachdem die Aufmerksamkeit seines Vaters jahrelang auf Yohei gelegen hat. Es tut mir weh zu sehen, wie Ryuji immer mehr zu einem Ebenbild von Shoto wird.

Sie haben sich als Kinder so gut verstanden, meine beiden Jungs. Und jetzt streiten sie oft. Yohei wehrt sich gegen das, was ihm auferlegt wurde. Und Ryuji hat den Weg der Akzeptanz gewählt. Ich wünschte, ich hätte mehr Einfluss darauf gehabt, wie meine Kinder aufgewachsen sind. Ich bin eine schwache Mutter und konnte nicht gegen ihren Vater aufbegehren. Aus meiner eigenen, feigen Angst heraus.

Yohei hat mich heute Abend umarmt. Das kenne ich gar nicht von ihm. Er ist im Moment oft wütend auf mich. Vermutlich genau deshalb, weil ich es nicht schaffe, Shoto die Stirn zu bieten. Wenn mein lieber Yohei nur wüsste, wie oft ich das versucht habe, als sie noch klein waren. Es ist keine Entschuldigung. Aber ich habe wirklich versucht, ihnen alles zu geben, was ich konnte. Nachdem Yohei das Zimmer verlassen hat, habe ich geweint.

Manchmal denke ich daran, was diese Familie unter anderen Umständen hätte sein können. Und dann höre ich ganz rasch damit auf, weil es mir weh tut.»

 

Sakura spürte durch diese Zeilen hindurch die Schwere, die auf Hitomi Murakami gelegen hatte, als sie diesen Eintrag schrieb. Es musste schrecklich sein, seine eigenen Söhne unter der Fuchtel ihres Vaters leiden zu sehen und zu merken, wie sie sich langsam von einem wegbewegten. Der nächste Eintrag war aber noch viel trauriger.

 

«Heute hat er mich wieder geschlagen. Immer wenn er nach Hause kommt, ist er sauer. Wenn ich in der Nähe bin, wird er sauer. Wenn ich ihm aber einmal aus dem Weg gehe auch. Seit Jahren geht das schon so. Als die Kinder klein waren, war es noch nicht so schlimm.

Vielleicht ertrage ich es auch einfach nicht mehr. Yohei ist nun schon seit einer Woche weg und alles ist so leer ohne ihn. Er hat diesem viel zu grossen Haus so viel Leben eingehaucht und jetzt fehlt etwas – denn nun läuft alles genau so, wie Shoto es wollte.

Er verbietet mir, mehr als einmal pro Woche mit Yohei zu telefonieren aber ich werde es trotzdem noch mehr tun. Shoto ist ja nicht oft da.»

 

Sie blätterte mehre Seiten vor. Hier waren die Beiträge nun etwa drei Jahre alt. Sakuras Hände waren ganz zittrig. Was kam da noch auf sie zu?

 

«Warum macht er das immer? Warum sieht er nicht, dass ich mir doch alle Mühe gebe? Egal, was ich mache, er wird laut und schreit mich an. Dann holt er aus und trifft mich wieder mit der flachen Hand im Gesicht. Sagt mir, dass ich hässlich bin und dass Yohei nur meinetwegen so ein Problembalg geworden sei.

Yohei rennt andauernd aus dem Internat weg, das stimmt. Ich kann es ihm nicht verübeln. Ich war ja am Besuchstag in dieser elitären Schule und mir standen die Haare zu Berge. Welcher junge Mensch würde sich da wohlfühlen? Ihnen wird eingetrichtert, dass sie besser sind als alle anderen und deshalb das Dreifache von alldem leisten müssen, was ‘normale’ Schüler schaffen. Ein richtiger Drill. Und davon hat Yohei längst genug.

Immer, wenn Yohei Mist baut, ist Shoto wütend. Dann kommt er zu mir. Manchmal schlägt er zu. Und manchmal, da kommt er wie ein wildes Tier angelaufen und beginnt mich zu küssen. Und dann reisst er mir die Kleider vom Leib und arbeitet an meinem Körper seine Aggressionen ab.

Ich hasse dieses Leben so sehr. So oft habe ich versucht, auszubrechen. Aber es hat einfach keinen Zweck. Shoto würde niemals zulassen, dass etwas sein Image zerstört. Dass jemand es schafft, dieses perfekte Familienbild, dass er nach aussen zur Schau stellt, zerstören könnte. Nur über seine Leiche.

Ich habe ihn geheiratet, weil mein Vater es als sinnvoll erachtet hat. Ich hatte gedacht, es würde ein spannendes Abenteuer werden, ich war so naiv und blauäugig, als ich mit ihm vor den Altar getreten bin. Etwas in mir hat ihn angehimmelt. Diese kühle, besonnene Art. Ich dachte, er wäre hinter dieser harten Schale ein toller Mensch. Das habe ich mir aber nur eingeredet. Weil ich nicht wusste, was richtige Liebe war. Ich habe mich nie rauskämpfen können aus diesem Käfig aus Gold und Geld. Und es macht mich fertig, dass meinen Söhnen dasselbe Schicksal droht. Aber etwas dagegen tun? Ich kann es nicht. Ich bin wie gelähmt, wenn ich schon nur daran denke.»

 

Tomcat beobachtete Sakura aufmerksam, aber im Moment spielte es ihr keine Rolle. Sie hielt eine Tragödie in der Hand, ein Fall von brutaler häuslicher Gewalt. Auch die nächsten Einträge waren voll mit Beschreibungen von Verletzungen, die Shoto Murakami seiner Frau zugefügt hatte, äusserliche wie auch innerliche. Sie las davon, dass er sie eine Woche lang eingesperrt hatte, weil sie seiner Meinung nach bei einem Auftritt vor der Presse nicht ehrlich und offen genug gelächelt hatte. Niemand hatte in dieser Woche mit ihr sprechen dürfen, nicht einmal das Dienstpersonal, welches ihr die Mahlzeiten gebracht hatte.

Und wenn immer sich Hitomi Murakami auch nur im Ansatz gegen die Unterdrückung durch ihren Mann gewehrt hatte, drohte er ihr damit, Yohei etwas anzutun – und manchmal tat er es auch. Nie Ryuji, immer nur Yohei. Im Laufe der Einträge wurde auch deutlich, wie sehr sich Ryuji von seiner Mutter entfernte und immer mehr wie sein Vater wurde. Yohei hingegen entwickelte sich zum schwarzen Schaf der Familie, jedenfalls aus Sicht seines Bruders und seines Vaters. Von aussen betrachtet einfach nur verrückt.

Sakura wusste nicht, wie lange sie schon in dem Buch blätterte und Eintrag für Eintrag durchlas, auch wenn sie jedes Mal aufs Neue schockiert wurde. Langsam aber sicher nahm Tomcat in ihrer Vorstellung mehr Konturen an. Auf einmal kam sie sich wieder vor, als dringe sie in Sachen ein, die sie nichts angingen. Also senkte sie das Buch und suchte Tomcats Blick. In ihm lag eine Mischung aus Wut, Neugier und Traurigkeit, wobei er letzteres zu verbergen versuchte.

«Es tut mir leid», flüsterte sie nur. Alle anderen Worte wären dem nicht gerecht geworden, was sie ausdrücken wollte.

«Ich brauche dein Mitleid nicht», meinte er harsch, fügte dann aber in etwas ruhigerem Ton an: «Dir muss nichts leidtun. Ihm aber.» Er schüttelte nur den Kopf. «Du weisst gar nicht, wie viele solche Typen in der Regierung und den Chefetagen von Banken und Firmen rumlaufen. Wenn man keinen Machthunger hat, dann tut man sich solche Jobs nicht an. Und deshalb findest du genau in diesen Bereichen solche kranken und machtgierigen Typen. Auch Frauen.»

Er wandte den Blick ab. «Die Welt ist ziemlich verrottet, Cherry Blossom. Überall geht es nur um Kohle. Ein kleiner Teil der Bevölkerung lebt in Saus und Braus, einige schwimmen im Mittelfeld, aber die allermeisten müssen untendurch. So simpel ist es. Und deshalb begrüsste ich Crows Bewegung. Alles, was gegen meinen Alten und Typen wie ihn geht, ist mir nur recht. Ich will ihn um seine Macht zittern sehen, denn das ist das einzige, was er noch hat.»

Sakura erschauerte bei diesen Worten. Tomcats Hass auf seinen Vater ging bis auf die Knochen.

«Hast du den letzten Eintrag auch gelesen?», fragte er dann. Sie schüttelte den Kopf, verstand aber die Aufforderung und blätterte vor.

Der Eintrag musste sie kurz vor ihrem Suizid geschrieben haben.

 

Alles, was mich auf der anderen Seite erwartet ist besser, als dieses Leben. Anfänglich habe ich gehofft, es gäbe noch Licht am Ende des Tunnels. Aber der Tunnel ist einfach schon zu lang. Mein Körper gibt auf, ich fühle mich schwach. Manchmal kann ich am Morgen kaum mehr aufstehen, weil meine Muskeln nicht mehr so wollen, wie ich. Alles ist so schwer. Ich sehe keinen Sinn mehr. Meine Söhne sind erwachsen und weg und nun bleibt mir in diesem Käfig nichts mehr ausser Shotos Wut und manchmal Ryujis Schweigen. Yohei lässt regelmässig von sich hören. Das sind immer die schönsten Momente für mich. Aber ich kann nicht mehr. Ich höre Yoheis Sorge jedes Mal in seiner Stimme, wenn er mich anruft. Es tut ihm weh, dass seine Mutter nur noch eine hässliche, mit Botox gefüllte Hülle in teuren Kleidern ist. Eine Mutter sollte ihren Kindern Halt geben können, aber ich kann es nicht. Konnte ich nie. Selbst als Mutter habe ich versagt. Dabei war ich so gerne Mutter.

Manchmal überlege ich mir, was aus meinem Leben geworden wäre, wenn ich damals nicht dumm und naiv geheiratet hätte, wenn ich mich gegen Vater gewehrt hätte. Vielleicht wäre mein Leben wunderbar gewesen. Oder vielleicht wäre es genauso schlimm geworden, wie dieses.

Gestern habe ich eine kleine Seitentür im Keller entdeckt, die nicht verschlossen war. Anscheinend kommen viele der Bediensteten durch diese Tür arbeiten. Von aussen benötigt man einen Chip, um reinzukommen, von innen kann man sie ohne Probleme öffnen. Morgen werde ich durch diese Tür verschwinden. Shoto wird wütend sein, aber ich werde mich freuen. Denn dann wird er mich nicht mehr kontrollieren können – zum ersten Mal in seinem Leben wird er mir nichts befehlen, nichts verbieten können. Sobald ich aus diesem Haus weg bin, wird er mich nie mehr in seine Finger bekommen. Denn ich werde zur Brücke gehen. Die Brücke lockt mich seit Tagen von meinem Schlafzimmerfester aus. Ich sehne mich andauernd nach ihr und stelle mir vor, wie es ist, dort zu stehen. Unten der rauschende Fluss, der Wind in den Haaren. Ich frage mich, wie es sich anfühlen muss, in freiem Fall zu sein. Ob es wie fliegen ist? Wie ein Vogel spürt man den Wind und hört das Rauschen des Flusses unter einem. Es muss wunderbar sein. Niemand kann mich in freiem Fall aufhalten. Und dann, wenn ich unten bin, überschreite ich eine Grenze ins Unbekannte. Wer weiss, was dort auf mich warten wird? Vielleicht nichts, vielleicht Schmerz, vielleicht Glück. Was auch immer es ist, ich wünsche mir nur eines – frei zu sein.

Und deshalb werde ich morgen meine Flügel ausbreiten und springen. Ins Ungewisse.

 

Sakura konnte die Tränen kaum zurückhalten, als sie diese Worte las. Die Worte einer Frau, die fast ihr ganzes Leben eingesperrt verbrachte. All ihre Liebe hatte sie ihren Söhnen gegeben, damit es ihnen besser ging. Um ihnen so viel heile Kindheit zu geben, wie sie konnte. Und das, bis sie ausgelaugt und leer gewesen war. Und dann hatte es nichts mehr gegeben, was sie noch hier hielt. Das Ende der Fahnenstange war erreicht. Ihre Worte waren endgültig, schwer, aber gleichzeitig voller Leichtigkeit. Es war so viel Zuversicht zu spüren – Zuversicht, dass ihr der Tod Erlösung bringen würde. In diesem Moment hat sie sich entschlossen, sich gegen ihren Ehemann aufzulehnen, in dem sie ihm jegliche Möglichkeit nahm, sie weiterhin zu bestrafen und zu misshandeln. Sie hatte ihm komplett die Kontrolle genommen.

Das konnte nicht der einzige Ausweg gewesen sein. Aber Hitomi Murakami hatte keinen anderen mehr gesehen.

«Hast du jemals versucht… nun, damit an die Öffentlichkeit zu gehen? Sie hat es ja nicht gekonnt… aber vielleicht…»

Tomcats fuhr hoch und sein Blick zerschnitt beinahe die Luft zwischen ihnen. Er war bis in die letzte Faser angespannt. «Hältst du mich für bescheuert?! Natürlich habe ich das. Aber mein Vater hat bereits seine Vorkehrungen getroffen. In dieser Stadt ist alles korrupt, Cherry Blossom. Und mein Vater kannte jedes hohe Tier. Er hat von Anfang an dafür gesorgt, dass mir niemand Glauben schenkt. Die Presse wollte nichts hören, in die meisten Gebäude wurde ich nicht einmal reingelassen. Und dann hat er mir damit gedroht, ihr noch Schlimmeres anzutun, wenn ich nicht sofort damit aufhöre, Licht in die Sache zu bringen. Und ausser meinen eigenen Aussagen hatte ich keine handfesten Beweise. Sie hat gelitten in dieser Zeit, wegen mir. Nach all dem, was sie für mich geopfert hat. Und deshalb habe ich aufgehört. Und wenn ich es nicht getan hätte, hätte er mich auch irgendwo eingesperrt.»

Die Erschütterung musste Sakura ins Gesicht geschrieben stehen. Sie spürte Tränen über ihre Wangen rinnen, doch es war ihr egal.

«Mein Alter hat mit jedem hohen Tier in dieser Stadt Beziehungen – auch dem damaligen Polizeichef. Da siehst du mal, was dir Geld und Einfluss alles bringt. Es macht dich quasi immun gegen jegliche Staatsgewalt.»

Sakura sagte nichts mehr. Wäre Kakashi Hatake früher im Amt gewesen, hätte Hitomi Murakami vielleicht noch geholfen werden können. Aber es half auch nichts, sich jetzt noch Gedanken darüber zu machen, wie es hätte sein können. Denn Yoheis Mutter war tot. Und nichts würde sie wieder zurückbringen.

«Danke, dass ich das lesen durfte», sagte Sakura leise.

«Es spielt jetzt alles eh keine Rolle mehr», meinte er abwinkend.

«Ich wünsche ihr wirklich, dass sie dort, wo sie jetzt ist, frei sein kann.»

Er erwiderte darauf nichts, aber der Schmerz stand ihm ins Gesicht geschrieben.

Sie schwiegen sich eine Weile an, jeder in seinen eigenen Gedanken versunken. Das Buch fühlte sich in Sakuras Hand schwer an.

«Hast du jemals daran gedacht, dass vielleicht wenigstens jetzt gegen deinen Vater vorgegangen werden könnte? Ich meine, der Suizid deiner Mutter wirft nun auch bei den Menschen da draussen Fragen auf, nicht nur bei den Behörden. Und ich bin überzeugt, dass Hatake sich nicht vom Geld oder dem Einfluss deines Vaters beeindrucken lassen würde. Und du hast das Tagebuch als Beweis.»

Er bedachte sie erneut mit einem eindringlichen Blick. «Den Beweis müssen sie erst einmal auf seine Echtheit überprüfen. Und ich zweifle daran, dass irgendjemand in Konoha mir noch etwas glauben würde. Und überhaupt plane ich nicht…», er brach mitten im Satz ab und senkte den Kopf. Dann setzte er wieder an. «Ich stehe auf der bösen Seite – zumindest aus Sicht der Polizei.»

«Seiten können gewechselt werden, Tomcat. Noch ist es nicht zu spät.»

Er schüttelte den Kopf und lachte leise.

«Pixie hat es auch gekonnt!», rutschte es ihr heraus. Sie wusste gar nicht, ob Tomcat das schon erfahren hatte. Ein Geheimnis war es ja nicht, denn Pixie hatte in dieser Schlacht mitgekämpft.

«Pixie? Das ist etwas anderes. Pixie ist ein guter Mensch.»

«Jeder hat irgendwo versteckt einen guten Kern.»

«Schwachsinn!», knurrte er zornig. «Glaubst du mein Alter ist tief drinnen ein guter Mensch?!»

«Niemand wird böse geboren, Yohei», sagte sie leise und bot damit einen Kontrast zu seiner erhobenen Stimme.

Er sah Sakura an, als hätte er soeben jegliche Hoffnung in ihre Zurechnungsfähigkeit verloren. «Das ist wieder so typisch. Ein unerschütterlicher Glaube an das Gute. Na dann, du wirst eines Tages schon noch auf die Welt kommen.» Die Bitterkeit in seinen Worten war nicht zu überhören.

«Auch du bist zu guten Taten fähig. Spätestens nachdem du mich hierhergebracht hast, weiss ich das.»

«Und was genau findest du daran gut, dass man dich kidnappt?» Inzwischen fragte er sich wahrscheinlich wirklich, ob sie nicht doch einen Dachschaden hatte.

«Du hast mich eigentlich schützen wollen, stimmt’s?», fragte sie direkt. In ihrem Kopf war inzwischen eins zum anderen gekommen. Als er seine Maskierung noch angehabt hatte, war sie ihm gefolgt. Nicht, weil er sie gezwungen hat. Etwas an ihm hatte ihr zu spüren gegeben, dass sie keine Angst haben musste und dass er sie vor etwas bewahren wollte.

Er erwiderte nichts daraufhin und sah sie mit schwer zu interpretierendem Blick an. Sie deutete das als ein Ja.

«Du hast es in dir. Jetzt kannst du dein Leben noch verändern. Die Schlacht ist noch nicht entschieden, Yohei.»

Er schüttelte den Kopf. «Du glaubst das nur, weil du ein hoffnungsloser Gutmensch bist, Cherry Blossom. Deine Leute würden das garantiert nicht so sehen. Und ich sehe es auch nicht so.» Er strich sich die blonden Haarsträhnen aus der Stirn. «Ich habe meinen Weg vor langer Zeit gewählt.»

Tomcat erhob sich. Erst jetzt wurde Sakura sich dem kalten Boden unter ihr wieder gewahr. Es war, als würde die Seifenblase um sie herum auf einmal zerplatzen und alles, was hier, in dieser Nacht passierte, schoss auf einmal tonnenschwer auf sie ein.

Er legte die Hand an die Türfalle. «Es war mir eine Ehre, Cherry Blossom.» Er klang ruhig und nachdenklich. Dann verliess er den Raum. Die Tür fiel hinter ihm laut ins Schloss und Sakura blieb mit einem Gefühlschaos zurück. Da waren die Gedanken an Hitomi Murakamis Tagebuch und somit an eines von so vielen zerstörten Leben in dieser Stadt. Sie hatte Tomcats Schmerz gefühlt, seine Wut, seine Trauer. Er hatte ihr einen Einblick in sein Leben und sein Herz gegeben, auch wenn das vermutlich nicht seine Intention gewesen war. Ihr Bild von ihm hatte sich verändert. Sie wünschte nur, sie könnte ihm helfen – ihm helfen, auf den richtigen Weg zurückzufinden und wieder Freude und Sinn im Leben zu finden. Sie glaubte zwar nicht daran, dass die Kuramas oder die Takas ihn aufnehmen würden, aber im Moment war es ihr egal. Sie hatte den guten Menschen gesehen, Yohei, und nicht die Rolle, welche er seit so langer Zeit spielte.

Sie hatte ganz vergessen, was ihr eigentlicher Plan gewesen war. Aber das spielte keine Rolle mehr. Denn sie wollte ihn nicht als Marionette benutzen.

Sie wollte ihn da rausholen.

 

21:35 Uhr, zwischen Halle 2 und 4

 

Viel zu lange tat sich nichts. Die gespenstische Stille hing wie eine Warnung über dem Gelände, die sie alle wider besseres Wissen ignorieren mussten. Die Scheinwerfer am Ford waren die einzige Lichtquelle auf dem Platz, da die äussere Lichtanlage nicht eingeschaltet war. Zu vermuten war, dass sie noch funktionierte, die Riots aber in der Kontrolle der nötigen Schalter waren. Und dass sie kein Interesse an einem hell erleuchteten Schlachtfeld hatten, erschien Sasuke logisch. Auf diesem Gelände waren sie im Vorteil. Und ihnen blieb nichts anderes übrig, als sich auf ihre Deckung und die Scheinwerfer zu verlassen, welche zugegebenermassen ziemlich stark waren. Aber ein Gelände von diesem Ausmass auszuleuchten? Unmöglich. Zudem warfen sie Schatten, die den Riots als willkommener Sichtschutz dienen konnten.

Vielmehr als die Frage, von wo die Riots kamen, beschäftigte ihn aber, welchen Plan sie verfolgten. Offensichtlich wollte Crow ein Battle zwischen den Gangs, ohne Fremdeinwirkung. Das vermutlich in der Hoffnung, noch möglichst viele Kuramas und Takas niederzuwalzen, bevor er sich seinem Schicksal ergab. Oder erhoffte er sich ein Entkommen? Sasuke bezweifelte es. Crow war zwar krank im Kopf, aber hatte genug Verstand und Kalkül, um Situationen realistisch einschätzen zu können, ansonsten wäre er nie so weit gekommen. Sasuke war ziemlich sicher, dass sein Plan keine Flucht beinhaltete. Crow wusste, dass die Riots hier und heute ein Ende finden würden, denn ihre Lage war aussichtslos. Selbst wenn sie die Kuramas und Takas komplett von der Landkarte fegten würden, war das Gelände von Unmengen an Polizisten umstellt.

Aber Crow ging es nicht ums Gewinnen, das war ihm längst bewusst. Crow wollte etwas anderes und es hatte mit seiner ganz eigenen Ideologie zu tun, für die er viele Anhänger gefunden hat.

Was auch immer es war, sie würden nicht um das herumkommen, was bevorstand. Und deshalb hielt er sich ruhig und gedeckt wie fast alle seine Mitstreiter in dem behelfsmässigen Fort auf, welches sie in so kurzer Zeit errichtet hatten. Es würde gut Deckung geben.

Inzwischen waren sogar Hidan und Deidara verstummt. Sie waren wie alle anderen beschäftigt damit, durch Ritzen und kleine Lücken in der Festungswand die Umgebung im Auge zu behalten.

Sasukes Ruhe war nur aufgesetzt, zum Wohle der anderen. Die Leitfiguren hatten sich so zu verhalten, wie sie es von ihren Leuten erwarteten. In seinem Innern tobte ein Sturm, eine Wut, eine Unruhe, wie er sie seit langem nicht mehr erlebt hatte. Er kam sich vor wie ein alter Mann, wenn er an die Energie und diese seltsame, adrenalingesteuerte Vorfreude dachte, die ihn vor nicht allzu langer Zeit noch vor jedem Battle durchströmt hatte. Doch jetzt war alles anders, denn er wollte nicht mehr. Er wollte Crow in den Boden stampfen, Sakura wohlbehalten in die Arme schliessen und dann verschwinden. Am liebsten gleich aus Konoha. Nach Oto. Oder sonst wohin.

Das wäre die Wunschvorstellung, doch die Realität sah anders aus. In der Realität stand alles auf dem Spiel, was er sich ganz vorsichtig zu träumen gewagt hatte.

«Boss?», flüsterte Deidara von seiner Position aus. «Sie kommen.»

Sasuke schüttelte seine Gedanken ab und richtete seinen Blick durch die Lücke zwischen zwei Mulden auf den Platz. Tatsächlich bewegte sich etwas im Schatten einer Kiste. Seine Leute waren dazu angehalten, nicht zu schiessen. Das Kommando lag bei Big Fox. Denn Crow wäre dumm, einfach jemanden seiner Leute rauszuschicken.

Stattdessen trat ein Mädchen ins Scheinwerferlicht, gefolgt von einem Typen, der sie offensichtlich festhielt. Er blieb schön gedeckt hinter ihr, viel grösser als sie war er nicht.

Hinata war geknebelt und ihre Hände hinter dem Rücken gefesselt. Er dachte, was vermutlich alle anderen hier dachten – die Geiselnummer konnte nach wie vor ein Bluff sein, auch wenn Hintata es in diesem Fall verdammt gut spielen würde. Ihr Blick war leer, man sah von Weitem ihre verquollenen roten Augen. Sie lief langsam und unsicher auf ihren Beinen, bis der Riot sie grob und in grosszügigem Abstand zu ihrem Fort zwischen den hinteren Enden von Halle 2 und 4 zum Stehen brachte.

Aus dem Augenwinkel beobachtete er Big Fox, dessen Körper sich bei diesem Anblick sichtlich anspannte. Aber der Kurama-Leader behielt sein Blick auf der Sache. Sasuke war sich ziemlich sicher, dass Crow Sakura nicht nach draussen bringen lassen würde, denn der Riot-Leader wusste, dass sie nicht auf Hinata schiessen würden. Es wäre dumm von ihm, beide seiner Trümpfe auf dem Präsentierteller nach draussen ins Scheinwerferlicht zu bringen.

«Hallihallo!», rief der vermummte Riot und klang dabei zu Sasukes grosser Verärgerung absolut tiefenentspannt. «Wie ihr seht, habe ich hier etwas, was einmal euch gehört ja. Nun ja, zumindest den Kuramas. Hinata ist uns beigetreten und hat, naiv wie sie ist, geglaubt, wir würden ihre Kurama-Vergangenheit nicht zu unserem Vorteil nutzen. Wird auch nur ein Schuss von eurer Seite her abgefeuert, dann werde ich ihr einen sauberen Schnitt durch die Kehle verpassen. Wäre ‘ne ziemliche Sauerei, deshalb lasst es besser.»

Sasuke versuchte, die Stimme einem ihm bekannten Riot zuzuordnen. Aber da er kaum Riots je reden gehört hatte, erwies sich das als schwierig. Es war jedenfalls weder Crow noch Tomcat – diese Stimmen würde er unter Hunderten wiedererkennen.

«Kommen wir zur Sache: Big Fox und Demon, in dreissig Sekunden steht ihr unbewaffnet vor eurer kleinen Festung. Ansonsten wird Hinata hier gleich nur noch gurgelnd nach Luft röcheln.»

Sasuke und Naruto überlegten nicht lange, denn darauf waren sie vorbereitet gewesen. Sie waren sich sicher, dass man sie nicht hier und jetzt erschiessen würde. Crow schien noch nicht fertig mit ihnen zu sein. Und sie hatten ihren eigenen Plan.

Sasuke legte sein Gewehr nieder und zog seine zwei Messer vom Gürtel. Auch wenn er wusste, in welche Gefahr sie sich begaben, er wollte es nicht anders. Sie mussten Sakura und Hintata heil da rausholen. Und dazu mussten sie sich die Mitte der Riots begeben.

Er trat hinter der grossen Mulde, die die Basis des Forts bildete, hinaus ins Licht. Naruto folgte ihm. Ihnen war bewusst, dass viele ihrer Leute an dieser Aktion zweifelten. Sie glaubten nicht an Hinatas echte Geiselnahme. Und da Sakura hier nirgends war, wurden sie zusätzlich misstrauisch. Sakura war bis jetzt nur eine vermutete Geisel, niemand hatte etwas von ihr gesehen oder gehört und die Riots hatten auch nichts verlauten lassen. Aber für Sasuke gab es nur diese Möglichkeit, denn jeder Gedanke an die andere mögliche Wahrheit würde ihn wahnsinnig machen. Er würde sich nicht mehr im Griff haben können und mehr denn je brauchte er hier und jetzt die Kontrolle über sich selber.

«So ist’s brav», sagte der Riot. «Dann kommt doch mal schön her.»

Sie taten wie geheissen, auch wenn es Sasuke alle Überwindung kostete, dem Typ nicht gleich an die Gurgel zu springen. Als sie Hinata und dem Riot näherkamen, bemerkte er die feindlichen Pistolen- und Gewehrläufe, die aus den Schatten heraus auf sie gerichtet waren. «Halt», sagte der Riot, als sie nur noch etwa fünf Meter von ihnen entfernt waren. «Das reicht. Ihr dürft nun in angenehmem Abstand an uns vorbeigehen – der Boss erwartet euch in Nummer 4.»

Jeder Aussenstehende hätte sie wohl für verrückt gehalten, als sie ganz einfach seinem Wort folgten und in Richtung Halle 4 gingen, natürlich ohne ihn und Hintata aus den Augen zu lassen. Technisch gesehen könnte man sie hier und jetzt töten, ohne Probleme. Noch war das nichts Crows Intention.

«Wenn hier draussen auch nur ein Schuss von eurer Seite abgefeuert wird oder ihr sogar auf die Idee kommt, eure Barrikaden zu verlassen, dann sterben dort drin eure Leute. Zuerst Hinata. Dann Big Fox. Demon wollen wir uns aufsparen, aber wenn sein muss töten wir ihn auch!», rief er in Richtung der Kuramas und Takas. Es kam keine Antwort, doch die Nachricht war angekommen.

Naruto und Hinata sahen sich nicht an und so wie Sasuke es beurteilen konnte, war das eine bewusste Entscheidung beider. Er wusste ja nicht, was einmal zwischen den beiden gewesen oder eben nicht gewesen war, aber es herrschte eine emotionsgeladene Spannung zwischen ihnen.

Die Flügel des Hallentors standen offen und in dem Moment sprangen die schon fast antiken Deckenlampen an. Das Licht war schummrig, aber immerhin konnte er so sehen, wo seine Gegner waren. In der Halle hatte sich eine ganze Gruppe Riots versammelt, die sich nun teilte, damit sie vorbeigehen konnten. Nicht aus Respekt, versteht sich, jeder und jede Einzelne hatte nur ein schadenfreudiges Grinsen oder böse Blicke für sie übrig. Ihm war es egal. Er wollte jetzt Crow sehen und zwar sofort.

Möglichst unmerklich versuchte er, sich den Aufbau des Raumes zu verinnerlichen. Die Halle war alt und die Decke wurde durch mehrere dicke Holzbalken gestützt. Solche Balken gab es auch ausserhalb, wie sie festgesellt hatten, zur Stütze der überlappenden Dachschrägen. Es stand allerlei Gerümpel herum, vor allem aber viele Kisten und Container, viele davon noch in rostigen Metallregalen untergebracht, die aneinandergereiht zwei relativ breite Gassen bildeten. Sie liefen zwischen den Regalen hindurch und die Enge liess Sasukes mühsam unterdrückter Fluchtinstinkt wiedererwachen. Er und Big Fox befanden sich nicht nur moralisch, sondern auch strategisch in einer suboptimalen Lage.

Am Ende des Regalkorridors war er, Ayato Kirishima. Er sass ganz entspannt auf pyramidenförmig angeordneten Kisten und blickte erwartungsvoll auf sie herab. Sein dunkelbraunes Haar hing ihm wild in die Stirn. Er hatte dunkle Ringe unter den Augen, ansonsten sah er wachsam wie eh und je aus. Sasuke hätte am liebsten nach dem nächstbesten Müll gegriffen und ihn dem Riot-Leader an die geistesgestörte Birne geworfen. Aber er wollte nicht frühzeitig von einem Kugelregen durchbohrt werden. Denn es waren nach wie vor Waffenläufe auf sie gerichtet, auch wenn sich die Schützen gut gedeckt hielten.

«Guten Abend allerseits», begrüsste er sie in ruhigem Ton. Er winkte jemandem hinter ihnen zu und gleich darauf schob sich der Riot mit Hintata in sicherem Abstand an ihnen vorbei.

Sasuke und Naruto schwiegen. Sie hatten sich im Voraus Gedanken darüber gemacht, wie sie sich vor Crow geben wollten und waren zum Schluss gekommen, dass jegliche gezeigte Emotion Crow nur noch weiter anspornen würde. Also versuchten sie, möglichst gleichgültige und vor allem unbeeindruckte Mienen aufzusetzen, auch wenn das alles andere als einfach war, selbst für Sasuke.

«Ich fand es ja schon immer wahnsinnig interessant, wie verletzlich ihr in den vergangenen Jahren geworden seid. Vor eurer Zeit, da nahmen die Kuramas und Takas noch mehr in Kauf, um zu gewinnen.»

«Zu deren Zeit hatten sie auch Gegner, die sich aus Stärke noch etwas machten. Gegner die im Kampf auch etwas draufhatten. Denn sobald man euch eure explosiven Spielzeuge wegnimmt, reduziert sich eure Kampfkraft um die Hälfte. Lässt man dann noch das Geiselnehmen und die Druckmittel weg, kann man euch vergessen. Und auf die Kraft der Massen könnt ihr langsam auch nicht mehr setzen», meinte Sasuke sachlich.

«Demon Eye, ich würde ja gerne abstreiten, was du jetzt gerade gesagt hast, aber ich werde keine Tatsachen verleugnen. Auch wenn ich es etwas anders als du ausgedrückt hätte. Was ihr in der ganzen Angelegenheit immer noch nicht versteht ist, dass wir uns auch nur ein Stück weit als Gang definieren. Wir sind mehr so etwas wie ein Widerstand, Aufwiegler, wenn man es negativ ausdrücken will, Revolutionäre wenn man uns auf die Schulter klopfen möchte. Wir wollen nicht wie ihr über Jahrzehnte um die Herrschaft der Strassen kämpfen, nur um zu überleben. Wir wollen das gesamte System auf den Kopf stellen – was uns übrigens bisher gar nicht mal so schlecht gelungen ist. Wie auch immer. Wir haben ein Ziel und welche Mittel wir zu seiner Erreichung benötigen spielt für uns keine grosse Rolle.»

Die Riots um ihn herum hingen förmlich an seinen Lippen, wenn er sprach. In ihren Augen stand eine Entschlossenheit, ihren Leader um jeden Preis zu schützen. Sasuke verstand war nicht was es war, aber Crow hatte etwas ganz Besonderes. Er gab all diesen jungen Leuten Hoffnung und die Möglichkeit etwas gegen ihre Situation zu unternehmen, auch wenn es keine guten Taten waren, zu denen er sie ermutigte. Aber sie sahen in ihm einen Hoffnungsträger, der mit ihnen den Weg in eine bessere Zukunft bestritt. Wenn er an seine Zeit auf der Strasse zurückdachte, dann konnte er sehr gut nachfühlen, warum sie ihn bewunderten. Denn er legte in dieser ganzen Sache ein kaum nachvollziehbares Selbstvertrauen an den Tag. Und die Riots glaubten fest daran, dass seine Versprechungen wahr werden würden. Auch wenn er es ungerne zugab, aber Crow hatte etwas bewegt. Und Sasuke glaubte nicht, dass er seinen Leuten etwas vorgaukelte. Alles was er tat, tat er mit einer spürbaren Ehrlichkeit. Gut, er war auf jeden Fall vorsichtig, wem er welche Infos innerhalb seiner Gang gab, doch das war auch nur eine Strategie auf dem Weg ans Ziel. Um das nicht falsch zu verstehen – Sasuke bewunderte ihn nicht. Seine Mittel waren falsch und seine Mission ausweglos. Er riss all die Riots mit in sein Verderben.

«Wir werden euch jetzt fesseln», sagte er. «Reine Vorsichtsmassnahme. Wehrt euch nicht, sonst wird meine kleine Foxy hier bluten. Und das möchte ich doch gerne vermeiden.»

Sasuke und Naruto wurden von je einem Riot die Hände hinter dem Rücken mit einem dicken Seil zusammengebunden. Danach wurden sie gefilzt, um auch jeglichen Waffenbesitz auszuschliessen. Als die Riots fertig waren, wurden sie langsam in die Knie gedrückt und beschlossen, zu folgen. Doch sie behielten ihre Köpfe aufrecht, er sollte ja nicht meinen, er hätte sie bereits besiegt.

«Unglaublich. Also wenn ich Foxy hier bei mir habe und das Messer so nahe an ihrer Kehle ist, seid ihr ja wie Marionetten.»

Hinatas Augen waren von ihren Haaren verdeckt, doch sie schaute zu Boden. Hier in der Halle konnte er an ihrem Körper aber keine Verletzungen ausmachen. Wenigsten hatten sie sie in Ruhe gelassen – oder es war ein Anzeichen dafür, dass doch alles nur ein Bluff war.

«Hina», sagte Naruto auf einmal, der wohl Ähnliches beobachtet hatte. Seine Stimme war todernst. «Wenn das hier ein Bluff ist und du hier freiwillig mitspielst… dann ist es vorbei. Wir wollten dich zurückholen. Aber wenn das hier pure Absicht ist, werden wir dir das nicht verzeihen. Der Schaden, den du anrichtest, ist zu gross.» Es lag etwas Bedrohliches in seiner Stimme. Sasuke hatte gar nicht gewusst, dass Naruto so mit Menschen sprechen konnte, die er eigentlich mochte.

Hinata tat nichts dergleichen und schwieg. Gut, sie war ja auch geknebelt, aber sie zeigte jedenfalls keine sichtbare Reaktion.

Crow grinste nur amüsiert. Ihm gefiel es, dass sein Spiel seine Gegner in einen solchen Zwiespalt brachte. «Foxy hat gute Dienste getan. In vielerlei Hinsicht», sagte er. «Doch ist es ein Bluff oder ist es keiner? Wer weiss?»

«Was willst du Crow? Zieh die Sache hier nicht unnötig in die Länge», brummte Sasuke und versuchte, seine aufkommende Aggression zu unterdrücken.

«Gut, dass du uns wieder auf den Punkt bringst, Demon. Ich habe mich ja schon lange darauf gefreut, mich einmal in Ruhe mit euch zu unterhalten.»

In Ruhe war gut.

«Ich fange einmal mit dem ganz persönlichen an. Demon Eye, eine Frage an dich: Was weisst du über mich?»

«Einiges, aber nichts davon ist besonders schmeichelhaft.»

«Lass mich das in deinen Worten ausdrücken: Du weisst, dass ich ein Gang-Leader bin, ein bisschen krank in Kopf, grössenwahnsinnig, hinterlistig und alles in allem dir dein Leben schwer mache.» Er musterte ihn erwartungsvoll.

«Hätte es besser nicht ausdrücken können», antwortete Sasuke knapp.

«Ein guter Anfang. Aber mehr weisst du nicht?»

«Woher auch? Ist ja nicht so, als hättest du vor Kurzem deine Autobiografie veröffentlicht, oder?»

Crow lachte ein wenig, wurde dann aber wieder ruhig. «Was mich daran verärgert ist, dass du keinen blassen Schimmer zu haben scheinst.»

Sasuke war zugegebenermassen verwirrt. Er hatte tatsächlich keine Ahnung, worauf Crow hinauswollte. «Warum, sollte ich dich von sonst woher kennen oder was?»

Er legte den Kopf schief und fixierte ihn mit einem kühlen Blick. «Bingo.»

Jetzt war es auf einmal ganz still im Raum und das leise Gemurmel im Hintergrund verstummte von einem Moment auf den anderen.

«Tue ich aber nicht.»

«Oh doch, das tust du. Aber lass mich den Anfang machen.» Er holte hörbar Luft. «Sasuke Uchiha. Geboren und bis zum achten Lebensjahr aufgewachsen in Otogakure. Eltern ermordet, Platzierung mit seinem Bruder in einem Heim in Iwagakure.» Sein Blick wandere zurück zu ihm.

«Nichts, was man nicht über gut informierte Leute erfahren könnte», brummte Sasuke. «Was treibst du hier für Psychospiele?»

«Ich bin noch nicht fertig», sagte Crow mit ungewohnt wenig Spott in der Stimme. «Die Heimleiterin hiess Setsuko Igarashi, von den Kindern im Verstecken nur ‘Godzilla’ genannt. Sie liebte es, kleine Kinder tagelang in fensterlose Räume zu sperren, um ihnen ‘eine Lektion fürs Leben’ zu erteilen. Sie hat immer nach penetrantem Lavendelparfüm gerochen, der Gestank war allgegenwärtig und verursachte bei uns Übelkeit. Im Sommer mussten wir ihre Lavendelsträucher draussen im Garten giessen.»

Sasukes Körper war vollkommen erstarrt, den Crow erzählte eine ihm bestens bekannte Geschichte, die er aber ganz tief ins einem Innersten vergraben hatte.

«Die Betreuerinnen und Betreuer haben gerne zugeschlagen, aber das war noch das geringste Übel. An der Mauer hinter einem Busch haben wir mit Steinen eine Rangliste der schlimmsten Betreuer erstellt und uns überlegt, wie es wäre, sie einzusperren und zu schlagen. So wie sie es mit uns taten.»

Sein Blick war beinahe etwas abwesend. «Wir waren im selben Zehnerschlafsaal. Zusammen mit Ruki, Makoto, Takashi, Yusei…»

«Es reicht», sagte Sasuke ruhig. Jeder einzelne Name wecke in ihm unerwartete Erinnerungen.

«Nein», erwiderte Crow. «Noch nicht. Denn die schlimmste Zeit in diesem Heim hast du nicht mehr erlebt. Nachdem ihr zu sechst eine Flucht geplant habt, die euch geglückt ist. Ihr habt einen Weg entdeckt. Eine Stelle in der Mauer, in der die Backsteine lose waren. Uns habt ihr davon nichts erzählt, weil ihr Angst hattet, der Plan würde scheitern, wenn es zu viele wüssten. Und dann seid ihr getürmt, doch zurückgeschaut habt ihr nie. Ihr habt uns in dieser Hölle zurückgelassen und die ganze Wut von Godzilla hat sich über uns entladen. Wegen euch. Am nächsten Morgen hat uns die alte Igarashi im Speisesaal zusammengerufen und uns von eurer Flucht erzählt. Sie hat gelächelt als sie meinte, dass wir nun für eure Fehler geradestehen müssen. Einen Monat lang durften wir nicht raus in den Hof. Im Unterricht haben sie uns gedrillt wie in der Armee.» Er war aufgebracht, auch wenn man es ihm kaum ansehen konnte.

Sasuke musste mit aller Kraft ein Zittern unterdrücken. Ayato. Es hatte einen Jungen namens Ayato gegeben im Iwagakure-Waisenhaus – so hiess es damals noch.

«Und damit noch nicht genug. Die alte Schrulle hat mehrere ihrer Betreuer gefeuert, da sie ‘unzuverlässig’ waren. Zurückgeblieben sind nur die allerschlimmsten fünf. Sie haben uns misshandelt, schlimmer als zuvor.»

«Wir haben euch einen Brief dagelassen», fiel es Sasuke ein. «Wir haben euch erklärt, wie unser Fluchtweg aussah. Hat Igarashi das Loch gefunden?»

Ayato schüttele den Kopf. «Nein. Ein Hosenscheisser hat den Brief der Igarashi gegeben und sich dadurch eine Spezialposition ergattert, die ihm manch einen Vorteil gegenüber den anderen eingebracht hatte. Das Loch wurde zugemacht und dann lebten wir knapp ein halbes Jahr lang in der Hölle, bis die Polizei der Sache auf die Spur kam. Das einzige Positive, was eure Flucht bewirkt hat. Doch für viele war das zu spät.»

Sasuke schwieg nur. Was er da hörte, erschütterte ihn zutiefst. Nachdem er und Itachi auf der Strasse beinahe umgekommen wären, hatte er nie wieder an Iwagakure zurückgedacht.

«Erinnerst du dich an Suguha?», fragte Ayato nach einer längeren Pause. Seine Stimme war ganz weich geworden. «Ein Mädchen etwa im selben Alter wir, dunkles Haar?»

Sasuke nickte. Natürlich. Vor seinem inneren Auge tauchte das Bild eines warmherzigen und starken jungen Mädchens auf. Sie war ein wenig die Ersatzmutter der Kinder im Iwa-Waisenhaus gewesen und hatte sich immer um alle gesorgt. Ohne Suguha wäre es noch viel schlimmer gewesen.

«An Sugu und an einigen anderen Mädchen hat sich einer der Betreuer vergriffen. Sie hat später mit etwa vierzehn Jahren Selbstmord begangen.»

In seinem Kopf öffneten sich die Schleusen. Er erinnerte sich auf einmal wieder an Gesichter, an Stimmen und Erlebnisse. Nicht nur an die schlechten Dinge, sondern auch an die guten. Viele der Jungen im Heim hatten für Suguha geschwärmt. Und obwohl es lange her war, tat es ihm weh, von ihrem Tod zu hören. Der Schaden, der Iwa bei ihr angerichtet hatte, musste um vieles grösser gewesen sein als seiner.

Er erkannte für eine Millisekunde einen tiefen Schmerz in Ayatos Augen, der aber sogleich wieder seiner kühlen, aber anklagenden Miene wich. «Das ist deine Schuld. Deine und die von allen anderen, die geflüchtet sind. Deinen Bruder durch die Hand eines Riot tot zu wissen, war übrigens eine Genugtuung.»

Durch Sasukes Körper ging ein Ruck, doch durch einen scharfen Seitenblick von Naruto vermochte er es, sein Temperament im Zaum zu halten. So sehr ihn diese Geschichte auch erschütterte, sosehr auch Schuldgefühle in ihm aufkamen, er musste sie unterdrücken.

«Es tut mir leid, dass das passiert ist. Wir wollten euch nicht im Stich lassen, weshalb wir euch den Brief geschrieben und so versteckt haben, dass nur ihr in finden konntet. Wir wollten, dass ihr alle entkommt.»

«Dieser Plan hat nicht funktioniert», sagte Ayato. «Ganz im Gegensatz zu eurer egoistischen Flucht.»

«Glaubst du etwa, wir hätten mit 30 Kindern auf einmal unbemerkt fliehen können? In unseren Augen war es sicherer, das gestaffelt zu machen.»

«Und ihr habt nicht daran gedacht, dass sie aufpassen würden wie Schiesshunde, nachdem eure Flucht geklappt hat? Dass sie uns strafen würden, dass sie uns drohen würden?»

«Nein», sagte Sasuke. «Soweit haben wir nicht gedacht. Wir waren Kinder, genau wie ihr.»

«Nein, ihr wart egoistisch und habt euch aus der Affäre gezogen.»

Sasuke schwieg. Das alles war so lange her. Und doch kam es ihm auf einmal vor, als wäre es gestern gewesen.

«Wir haben der Polizei etwa einen Monat später einen Brief geschickt», sagte Sasuke. «Wir haben ihnen gesagt, was in Iwa abgeht. Halt in unserer kindlichen Sprache. Denn ich glaube nicht, dass Igarashi den Verlust von uns sechs Kindern gemeldet hat – die wollte keine Bullen im Haus. Es scheint aber anhand deiner Schilderung gedauert zu haben, bis sie aktiv wurden.»

Ayato stutze einen kurzen Moment, doch seine Miene blieb unverändert.

«Wir sechs haben euch nicht geschlagen oder eingesperrt. Wir haben uns an niemandem vergriffen. Wir haben Sugu nicht in den Selbstmord getrieben. Ich kann deinen Groll auf uns verstehen, aber wir sind nicht an dem schuld, was dir und den anderen widerfahren ist, nachdem wir weg waren.»

«Das sehen wir anders», sagte eine Stimme in der Menge. Sasuke erschauerte leicht, als er einige Gesichter sah, die ihn nur noch entfernt an die Iwa-Kinder erinnerten, doch er wandte seinen Blick direkt wieder an Crow. Er durfte sich nicht aus dem Konzept bringen lassen.

«Wie viele aus Iwa hast du bei dir eingeschleust?»

Crow lächelte. «Fünfzehn. Abzüglich Suguha. Wir wurden alle in ein Waisenhaus in Konoha verfrachtet.»

«Okay», erwiderte Sasuke. «Es tut mir leid, dass wir euch zurückgelassen haben. In diesem Moment hielten wir es für das Beste, wenn jemand rauskam und die Polizei verständigte. Ihr seht das anders. Kann ich verstehen.» Und das meinte er so. Doch all diese Dinge durften ihn jetzt nicht durcheinanderbringen. Er wandte sein Wort wieder an Crow. «Aber sag mir jetzt nicht, dass dieser ganze Krieg hier euer persönlicher Rachefeldzug gegen mich ist.»

Crow zuckte mit den Schultern. «Nein, soviel Aufwand bist du uns nicht wert. Aber wie sagt man so schön? Wir können hier zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Einerseits kann ich mich um euch kümmern und andererseits... nun habe ich noch etwas anderes vor.» Er wandte sich an Naruto. «So. Das ist meine offene Rechnung mit Demon. Jetzt zu dir, Big Fox.»

«Hast du für mich auch so bescheuerte Anschuldigungen?», fragte Naruto direkt zurück.

«Nein. Eine ganz einfache Rechnung. Ich konnte dich nie leiden. Weisst du, auch wir sind uns schon begegnet, auch wenn du damals noch auf deinem hohen Ross gesessen und das gemeine Fussvolk nicht beachtet hast. Lass dir das von jemandem sagen, der in den Underdog-Gangs unterwegs war und nicht den Luxus genoss, jemandem von euch anzugehören. Denn auch wenn du immer einen auf Retter der Armen und Wehrlosen gemacht hast, so warst du ein verdammter Rosinenpicker. Weisst du, wie du auf uns gewirkt hast? Arrogant und rechthaberisch. Du hast vorgegeben, ein Gutmensch zu sein, aber eigentlich haben du und deine Gang die Nase immer viel zu weit oben gehabt. Nur weil ihr zu den Grossen gehört habt, was nicht einmal euer Verdienst war. Du hast den Gang-Wohlstand quasi geerbt und ihn als deinen verkauft.»

«Nur weil du das so siehst, heisst es nicht, dass es wahr ist», sagte Naruto bestimmt. «Es gibt Gründe, warum manche Gangs stärker und manche schwächer sind. Und das hängt von den Intentionen, Motivationen und Einstellungen der Leute ab, die die Gang ausmachen. Deshalb ja, ich habe niemanden mit Intentionen aufgenommen, die mir widerstrebten.» Er stutzte. «Warum? Wolltest du früher einmal den Kuramas beitreten?»

«Nicht nur ich. Wir als Gemeinschaft, damit wir gegen die Takas und vor allem Demon kämpfen konnten. Wir hätten dir auf jeden Fall einen Vorteil im Kampf gegen die Takas verschafft.» Er verwies mit «wir» vermutlich auf die anderen Iwa-Kinder.

«Du sagtest, dass wir kein Kurama-Material sind. Und dann hast du uns zurück auf die Strasse geschickt.»

Naruto erinnerte sich an viele Leute, die den Kuramas hatten beitreten wollen und die Mehrheit davon war in den Outer Circle aufgenommen worden. Aber es gab immer wieder auch Leute, denen er den Zugang verwehrt hatte. Und an eine grosse Gruppe erinnerte er sich auch. Das war ganz am Anfang seiner Leader-Zeit gewesen.

«Dann seid ihr es damals auch nicht gewesen. Und wenn ich euch heute sehe, bereue ich meine Entscheidung nicht im Mindesten.»

Ein wütendes Schnauben ging durch die Reihen der Iwa-Kinder.

«Braucht gar nicht wütend zu werden. Die Kuramas wollen ein Commitment zu Gang und keine rachedurstigen Einzelkämpfer, die ihre Ziele vor das Wohl der Gang stellen. Ob jemand von den Kuramas aufgenommen wird, liegt ganz alleine in seiner Macht. Ich sage jedem einzelnen Anwärter, was ich von einem Kurama erwarte und höre mir ihre Motivation an. Eure waren in diesem Fall nicht geeignet. Ihr habt offensichtlich viel Scheisse durchmachen müssen, aber das haben andere auch. Es gibt euch kein Recht, jede eurer Macken darauf zurückzuführen und dumme Sündenböcke zu suchen. Demon hat keine Schuld an dem, was euch in Iwagakure widerfahren ist und ich habe keine Schuld an dem, was auch immer euch in Konoha passiert ist. Also werdet erwachsen und hört auf, von einem sinnlosen Rachedurst zu leben.»

Sasuke war beinahe beeindruckt. Naruto liess sich nicht aus der Ruhe bringen, denn offensichtlich war er diesbezüglich mit sich im Reinen.

«Interessantes Plädoyer», meinte Crow gelassen. Er hielt die ganze Zeit über diese unbeeindruckte Fassade aufrecht. «Auch wenn sich hier nur wieder zeigt, wie überzeugt du von dir selber bist.»

Naruto lächelte. «Du bist nicht unbedingt jemand, der das anderen vorwerfen sollte. Mal in den Spiegel schauen hilft vielleicht. Es wäre übrigens auch nicht gut, wenn ein Gang-Leader nicht von sich überzeugt wäre.»

Ayato lehnte sich zurück. «Es ändert nichts daran, wie die kleinen Gangs zur dir und deiner selbst erwählten Elite-Gang stehen. In meinen Reihen waren und sind viele von ihnen.» Er machte eine kurze Pause. «Nun, da wir jetzt wissen, wo wir stehen, können wir uns auch dem widmen, was heute eigentlich passieren soll.»

Auch wenn es Sauske nicht zugab, Crow war in seinen Augen nach diesem Austausch sehr viel menschlicher geworden. Sasuke war so voller Adrenalin, dass die Erkenntnis nur langsam zu ihm durchdrang. Crow war einer seiner Leidensgefährten aus Iwa gewesen und er konnte seine Wut und seinen Schmerz nachfühlen. Warum hatte er ihn nur nicht erkannt? Jetzt, da er es wusste, erschien es ihm verdammt offensichtlich.

«Ich weiss, dass die Situation der Riots nicht gut aussieht. Das wissen alle hier. Hättet ihr nicht die Arroganz gehabt, euch mit der Polizei zusammenzuschliessen und so zu tun, als wärt ihr die heiligen Gangs Konohas, wären wir sehr viel weitergekommen. Nichtsdestotrotz nehmen wir die Situation wie sie ist und machen das Beste draus.»

Cracker trat aus den Reihen hervor. Er hatte ein Smartphone gezückt.

«Wir sorgen jetzt noch einmal für ein wenig Unruhe», kommentierte Crow.

«Crow, was zur Hölle hast du vor?», knurrte Naruto. «Eure Situation ist ohnehin ausweglos. Ihr kommt hier nicht mehr raus, auch wenn ihr uns alle kaltmacht.»

«Um etwas zu verändern, muss man Chaos anrichten. Kontrovers sein. In Konoha kannst du nicht einfach Dinge erbitten, denn das hört niemand, will niemand hören. Es wird nur gehört, wenn sich die Einflussreichen plötzlich in Gefahr wähnen.»

«Jetzt kannst du den Schaden noch begrenzen, Ayato. Du wanderst so oder so in den Knast, aber deine Leute kannst du noch schützen.» Sasuke war nicht gut in solchen Gesprächen, Sakura könnte das viel besser. Obwohl bei Crow wohl längst alles verloren war. Er würde keinen Rückzieher mehr machen, denn in seinen Augen konnte er nur noch gewinnen.

«Ich bin nicht hierhergekommen, um im letzten Moment alles abzubrechen, Demon. Ganz im Gegenteil.»

Er erhob sich. «Ich werde nun gleich eine kleine Ansprache halten, in der ihr euren ganz eigenen Platz habt. Ist das nicht toll?»

Sasuke schwante Übles.

«Dieses Smartphone», er wies auf Cracker, «wird in einigen Minuten einen Livestream starten. Ich halte ja nicht viel von Social Media, aber heute kommen sie uns zu Gute. Die ganz Stadt und noch viel mehr Leute sollen sehen, was sich hier, heute Nacht abspielt. Sie sollen ein wenig das Fürchten lernen. Der Link wurde soeben an die lokalen News-Channel gesendet, die sowieso gebannt auf Neuigkeiten warten. Wir werden den Stream verbreiten, damit so viele Leute wie möglich in seinen Genuss kommen oder sich im Nachhinein das Video anschauen können.»

«Du hast echt nicht mehr alle Tassen im Schrank», sagte Naruto ungläubig.

Crow zuckte nur mit den Schultern. «Whatever you say.»

Er sprang von seiner Kiste runter und machte einen Schritt auf Sasuke zu. «Für dich habe ich aber auch noch etwas Schönes.» Er zog etwas aus seiner Hosentasche und warf es vor Sasuke auf den Boden. Sasuke brauchte nicht zweimal hinzusehen, um zu erkennen, was es war, denn der silberne Kurama-Fuchs an der feinen Kette war unverkennbar.

In ihm stieg unbändige Wut auf und jetzt konnte er sich nicht mehr zurückhalten. «Wo ist sie?», knurrte er.

«Bei Tomcat», antwortete Crow in vollem Wissen, dass dies Sasukes Zorn nur noch steigerte. «Die Kleine wurde von ihren Leuten getrennt. Und Tomcat ist in dieser Hinsicht besser als jeder Jagdhund.»

Sasuke drückte seine Handgelenke gegen seine Fessel, doch es half nichts. Wenn er hier einen Aufstand machte, dann brachte er Hinata in Gefahr. Naruto neben ihm reagierte ähnlich wütend, doch er behielt die Kontrolle besser als Sasuke.

«Keine Sorge, sie lebt und du wirst bald Gelegenheit haben, sie zu sehen», winkte er ab. «Ich bin noch nicht fertig mit euch.»

Und wir nicht mit dir, dachte Sasuke. Doch der Gedanke, dass Sakura in diesem Moment in Tomcats Gewalt war, machte ihn beinahe wahnsinnig. Dieser Typ war unberechenbar. Wenn er ihr auch nur ein Haar krümmte, dann konnte er etwas erleben.

Cracker gab Crow ein Zeichen und er positionierte sich wieder auf seinen Kisten.

«Guten Abend Konoha!», rief er in die Kamera und lächelte zufrieden. «Mein Name ist Crow und ich bin der Anführer der Jaguar Riots. Und viel mehr noch der Anführer dieser Revolution.» Er wies auf Naruto und Sasuke, Cracker folgte mit der Kamera. «Wie Sie sehen bin ich in bester Gesellschaft. Bei mir sind die gefürchteten Gangleader Big Fox von den Kurama Foxes und Demon Eye von den Taka Snakes!» Den letzten Satz triefte vor Spott. Sasuke und Naruto vermieden es, direkt in die Kamera zu sehen.

«Wie Sie sehen, sitzen die Riots wieder einmal am längeren Hebel. Und Sie fragen sich bestimmt: Warum? Warum machen die das? Warum stellen sie unser Leben auf den Kopf und machen alles so schwer? Dafür gibt es Antworten. Aber noch viel mehr als Antworten gibt es Wahrheiten, die Sie interessieren werden.»

Crow lächelte in die Kamera und sah dabei aus wie ein netter Nachbarssohn, der seinen Ball über den Zaun gekickt hatte und ihn nun gerne zurückhaben wollte.

«Na dann, hören Sie mir gut zu.»

 

Sie versteckte ihr Gesicht hinter ihren Haaren, konnte und wollte nichts mehr sehen. Es war die Angst zu verlieren, die sie lähmte. Denn egal, was sie tun oder nicht tun würde, heute würde sie etwas verlieren. Dabei war das alles nur passiert, weil sie etwas hatte schützen wollen. Und dafür hatte sie in Kauf genommen, dass ihre Freunde sich alle von ihr abwandten, dass sie sich ein Bild von ihr machten, für das sie eigentlich nicht stehen wollte. Sie war an der falschen Zeit am Falschen Ort gewesen und das alles hatte sie hierhergeführt.

Und jetzt? Jetzt blieb ihr nichts anderes übrig, als weiterhin diese miserable, verachtenswerte Rolle zu spielen, die sie in diesem Spiel übernommen hatte. Sie schloss die Augen und hoffte zum hundertsten Mal in der vergangenen Zeit, dass das hier alles nur ein Traum war. Ein böser Traum.

Eine Botschaft an die Welt

21:52 Uhr, KCTV-Tower
 

Haruka Ichinose spähte gespannt auf den Bildschirm vor ihr. Bisher war alles ruhig verlaufen und es waren keine Neuigkeiten vom Ort des Geschehens eingetroffen. Doch ihre berufsbedingte Neugier juckte sie natürlich in den Fingerspitzen, denn aus journalistischer Sicht gab es immer Neuigkeiten. Sie zweifelte daran, dass Kakashi das Potenzial von Medien erkannt hatte. Hier und jetzt bot sich erneut die Chance, die Kuramas und Takas in Action zu zeigen und der Bevölkerung vor Augen zu führen, welche Risiken sie auf sich nahmen, um der Stadt zu helfen und für vergangene Missetaten aufzukommen.

Aber anstatt ihnen zu erlauben, vor Ort zu sein, hatte er sie in ihre Zentrale verwiesen, um von dort aus die mediale Berichterstattung in dieser wichtigen Nacht zu überwachen und ihre Berichte rein anhand davon zu schreiben, was die Polizei durchgab. KCTV hatte er zum Medienpartner der Polizei auserkoren, immerhin das.

Einerseits verstand sie seine Zurückhaltung – Medien konnten schnell etwas anders oder falsch aufzeigen oder gar absoluten Humbug verbreiten, nur um bei der Bevölkerung ein grösseres Interesse zu wecken. Und gerade in dieser Nacht musste das vermieden werden, das war klar. Aber gerade dazu hatte er sich ja entschieden, nur mit KCTV, einem lokalen Medienpartner zusammenzuarbeiten. Und Haruka hatte nicht die Absicht, sich selber mit den Ereignissen dieser Nacht einen Vorteil zu verschaffen. Genau genommen war sie überzeugt, dass die Ereignisse nicht einmal aufgebauscht werden mussten, um eine grosse Reaktion der Bevölkerung zu erhalten, denn was gerade in Konoha passierte, hatte die Welt noch nicht gesehen. Und trotzdem hatte Kakashi mit seinen Leuten beschlossen, die Berichterstattung selber vom Ort des Geschehens aus zu steuern.

Haruka Ichinose hatte das akzeptiert, denn ihr war bewusst, dass es sich um eine dramatische und tragische Nacht handelte. Sie wollte dies in keiner Weise ausschlachten, doch andererseits war sie überzeugt, dass die Bevölkerung das sehen und verstehen musste, damit sich endlich etwas änderte. Sie hatte viel Zeit damit verbracht, Gangs zu erforschen und durch die Fernsehbeiträge und Interviews einen genaueren, ehrlichen Blick auf diese jungen Menschen zu werfen – und sie hatte viele von ihnen sehr gerne gewonnen. Besonders Kiba und Karin natürlich, mit denen sie besonders viel Zeit verbracht hatte. Ihre Lebensgeschichten hatten sie berührt und ihr so viel neue Seiten von dieser Stadt gezeigt. Die Nachricht von Karins Tod bei der DDM hatte sie tief getroffen und Haruka hatte sich selber geschworen, mehr über die tapferen Gangmitglieder zu berichten, die ihr Leben im Kampf gegen die Riots gelassen hatten. Und Karin würde eine davon sein.

Doch jetzt musste sie sich konzentrieren, denn Riku, ihr Arbeitspartner, hatte soeben eine wichtige Entdeckung gemacht. Vor ihr auf dem Bildschirm war das Twitter-Profil von KCTV aufgeschaltet. Zu der medialen Überwachung gehörten natürlich auch die sozialen Medien, die seit mehreren Stunden auf Hochtouren liefen, nachdem die Bewohner Konohas bemerkt hatten, was im South vor sich ging.

«Der Link wurde soeben von einem Nutzer mit dem Pseudonym ‘going rogue’ gepostet und sämtliche wichtigen TV-Sender, Zeitungen und öffentliche Personen sind darin markiert. Und jetzt schau dir an, was da abgeht.»

Er öffnete mit einem Mausklick ein Fenster aus dem Hintergrund, in dem bereits ein Videoclip lief. Er zeigte ein wackliges Bild, vermutlich mit einer Handykamera aufgenommen und Haruka brauchte einen Moment, bis sie realisierte, woher das Video stammte.

«Ich fasse es nicht», war alles, was sie hervorbrachte, ehe sie weiter gebannt auf das Bild starrte. Der Riot-Leader hatte also Sasuke und Naruto in seiner Gewalt. Unter welchen Umständen es so weit gekommen war, erörterte Crow natürlich nicht. Stattdessen schien er sichtlich zu geniessen, wie überlegen er wieder einmal allen war.

«Haruka, ich will dich ja nicht hetzen, aber du solltest das sofort der Einsatzzentrale melden. Crow bedenkt bei der ganzen Sache nicht, dass das Video der Polizei von Nutzen sein kann.»

Haruka schreckte auf. Himmel, langsam aber sicher merkte sie, wie sehr sie auf einer persönlichen Ebene in diese ganze Gang-Sache involviert war. Schnurstracks griff sie zum Telefon.

 

21:52 Uhr, Halle 4

 

«Eigentlich ist es ganz einfach», sagte Crow in die Kamera. «Sie alle leben in einer Illusion.»

Wenn ihre Lage nicht gerade äusserst beschissen gewesen wäre, hätte Sasuke sich Ayato als Fernsehmoderator oder Schauspieler vorgestellt. Da hätte er gar nicht einmal schlecht reingepasst, denn wie er sich ausdrückte und wie er Worte betonte, erinnerte ihn an einen guten Geschichtenerzähler.

Aber Sasuke hatte keine Zeit, sich über Crows Karriereoptionen in einem alternativen Universum Gedanken zu machen. Denn er war erschüttert – anders konnte er es nicht ausdrücken. Für ihn war Crow immer jemand gewesen, mit dem er nicht mehr teilte, als ihren Rang in einer Gang. Doch nun war aus diesem fremden Feind ein bekannter Feind geworden, der ihn auf seinem Lebensweg ein Stück weit begleitet hatte. Dass dieser Lebensweg nicht gerade einfach gewesen war, hatte die Iwa-Kinder nur noch mehr zusammengeschweisst, fast wie eine Bruderschaft, die auch viele Jahre später noch Bestand hielt – jedenfalls in seinem ganz persönlichen Moralempfinden, welches zwar zugegebenermassen von Zeit zu Zeit fragwürdig war, aber das änderte nichts an der Tatsache, dass er nun einen persönlichen Bezug, quasi eine Verpflichtung gegenüber den Iwa-Kindern spürte. Und er kam nicht darum herum, sich zu fragen, ob er heute auch auf Crows Seite stehen würde, wäre er damals nicht aus dem Heim entkommen.

Mit aller Kraft versuchte er nun, seine Gedanken nicht abschweifen und vor allem, keine Emotionen aufkommen zu lassen. Crow spielte gerne mit Emotionen von anderen und wenn Sasuke diesem Spiel nicht standhalten konnte, machte er es Crow viel zu leicht.

Also wartete er weiterhin auf einen passenden Moment. Ein Seitenblick zu Naruto verriet ihm, dass dieser voller Konzentration war und auf eine Möglichkeit wartete, Hinata aus der unmittelbaren Gefahrenzone zu kriegen. Danach brauchte es nur ein Signal, damit ihre Leute in den Raum eindringen würden.

Kurzerhand fragte er sich, ob die anderen bereits von dem Live-Stream erfahren hatten. Wenn Crow das wirklich so publik gemacht hatte, dann würde auch Haruka von KCTV Wind davon bekommen haben. Und KCTV war in dieser Angelegenheit der direkte Medienpartner der Polizei, was den Rückschluss erlaubte, dass ihre Leute genau wussten, was in diesem Raum hier passierte. Vielleicht würde es gar kein Signal brauchen, auch wenn er es auf keinen Fall darauf ankommen lassen wollte.

«Ich weiss, dass wir in der ganzen Sache als die Bösen dargestellt werden. Ist auch ganz nachvollziehbar, wenn Sie mich fragen. Ihnen ist vielleicht nicht bewusst, dass Gut und Böse in dieser Stadt, ja, in dieser Welt Hand in Hand gehen. Sie sehen, wir Riots sorgen für sehr viel Trubel hier in Konoha und vermutlich hassen Sie uns. Aber unsere Absicht ist es nicht, uns beliebt zu machen. Unser Ziel ist es, Ihnen vor Augen zu führen, was Ihre Ignoranz und die Arroganz der Elite bewirken.»

Er sprang wieder von seiner Kistenpyramide und machte einige Schritt auf die Kamera zu. Und nun war die Schwere in seinem Gemüt durchaus zu hören. «Strassenkinder und Obdachlose – Sie haben bestimmt bereits selber einige davon gesehen.» Er macht eine Pause. «Ein boomendes Drogengeschäft führt zu Drogenabhängigen – rund 15 Prozent davon sind Minderjährige, interessanter Fakt, nicht? Das wiederum führt zu Kinderprostitution, Menschenhandel, Missbrauch, Vergewaltigung, Mord. Die Menschen ganz unten sind der Stadt und ihren Sümpfen schutzlos ausgeliefert. Probleme, die nicht bekämpft werden, von einer machthabenden Elite, die Profit auf den gebeugten Rücken anderer macht. Sie hören schon richtig. Die Drogenmafia, die Zuhälter, die Kindesentführer – alles in der Hand der finanzstarken Elite, der Banker, Politiker, Unternehmer.»

Im Raum war es erneut mucksmäuschenstill. Selbst Sasuke und Naruto hörten nun zu, denn diese Worte trafen jeden Einzelnen hier mitten in die Brust. Es war wohl das Einzige, worin sie sich alle einig waren.

«Menschen wie wir haben in dieser Welt keine Zukunft. Sie merken das vielleicht nicht, denn Ihnen geht es möglicherweise gut. Und deshalb interessiert es Sie auch nicht, was mit anderen Menschen in Konoha passiert. Aber wenn der einzige Weg, Sie zum Zuhören und handeln zu bewegen, Gewalt ist, dann stehen wir Riots gerne hier und lassen Sie für einmal spüren, was wir tagtäglich erleben. Sie mögen all die Dinge, die wir getan haben, als Schandtat ansehen. In unseren Augen wehren wir uns nur. Wir wehren uns gegen all die Ungerechtigkeit in dieser Stadt. Und wenn der einzige Weg ein radikaler ist, so haben wir beschlossen, diesen zu verfolgen.»

Er liess seine Worte wirken und Sasuke war sich nicht sicher, ob seine coole Fassade ein wenig bröckelte. Vielleicht war es genau der Moment, in dem Sasuke Crow nachvollziehen konnte. Ayato Kirishima hatte ein beschissenes Leben gehabt und wer wusste schon, ob er nicht selber Opfer von Menschenhandel oder gar Kinderprostitution geworden war. Er hatte keinen Rückhalt in einer Gang gefunden und deshalb seine eigene aufgebaut, immer mit dem Ziel, sich an denjenigen zu rächen, die für die schlimmen Bedingungen verantwortlich waren, unter denen Menschen wie er gelitten hatten. Menschen wie sie alle. Das rechtfertigte keine seiner Taten, aber es machte ihn greifbarer. Und Crows Systemkritik war berechtigt. Er ertappte sich bei dem Wunsch, dass Crow ausreden und all die Wut und Frustration stellvertretend für alle Unterdrückten den Menschen da draussen rausschreien konnte. Spätestens jetzt war es für ihn keine Frage mehr, warum ihm all diese Leute hier folgten, die doch viel zu jung waren, um bereits ihrer Zukunft beraubt zu sein – denn Crows redete ihnen aus der Seele, Worte, die sonst niemand aussprach oder hören wollte.

Er zwang sich, seine Aufmerksamkeit wieder auf ihre Lage zu wenden. Der Typ sagte zwar durchaus wahre Sachen, aber er hatte Sakura und Hinata. Er war verantwortlich für viel zu viele Tote und niemand davon gehörte zur Elite, die er eigentlich bekämpfen wollte.

«Meine beiden Gäste hier», er wies auf Sasuke und Naruto, «haben beschlossen, sich einer anderen Sache zu verpflichten. Dabei sind sie genauso betroffen von dieser Situation, wie wir alle. Doch nun lockt sie das, was ihnen die Regierung verspricht: Einen sauberen Ruf und damit eine verkürzte, wenn nicht gar nichtige Haftstrafe.» Er bewegte sich näher zu Sasuke und Naruto, die ihn am liebsten in Stücke gerissen hätten. Die auf ihre Köpfe gerichteten Gewehrläufe wären selbst in ihrer gefesselten Situation schwierig zu bewältigen, viel mehr hielt sie jedoch das Messer an Hinatas Kehle davon ab, es zu versuchen.

«Sie haben einen Ausweg aus ihre miesen Situation gesehen und suchen nun den einfachen Ausstieg. Doch so leicht kommen sie nicht davon. Sie sind eine weitere Elite – nicht jene, die Konoha zu dem Drecksloch machen, das es ist, sondern jene, die sich in dem Drecksloch einen Namen verschafft haben und nun über Macht verfügen, die sie nur zu ihrem eigenen Vorteil nutzen. Also unterscheiden sie sich in ihrer Wesensart kein bisschen von all den mächtigsten Menschen in Konoha. Und im Moment agieren sie als ihre Stellvertreter, die heute Nacht ihre gerechte Strafe erhalten werden.»

 

21:59 Uhr, Otogakure

 

Ami und Haru Iwasawa schauten wie gebannt auf den Bildschirm des Laptops auf dem Esstisch. Soeben hatten sie die Shina und Takahiro ins Bett gebracht und sich danach noch die Spätnachrichten auf dem regionalen Sender angesehen, bis die Anchor-Frau ihnen die haarsträubenden News mitteilte. Anscheinend befanden sich die Gangs in einer entscheidenden Schlacht und vor gut zehn Minuten hatte der Gangleader der Riots einen Livestream gepostet und alle wichtigen Nachrichtensender darüber informiert.

Natürlich hatte Haru diesen Livestream mit einigen wenigen Klicks auf seinem Bildschirmlaptop aufgeschaltet. Was sie sahen, liess ihnen die Haare zu Berge stehen.

Ami griff nach Harus Hand, nachdem sie Sasuke ausgemacht hatte, auf dessen Kopf ein Gewehrlauf gerichtet war. Er sah müde aus, aber dafür umso entschlossener – richtig wild, wobei das verkrustete Blut auf seiner Stirn diesen Eindruck noch verstärkte. Und trotzdem erkannte sie, dass Crows Worte ihn nicht kalt liessen. Es war seinem Blick deutlich anzusehen.

«Wir sollten uns das nicht ansehen, Ami», sagte Haru nach einer Weile. «Genau das will dieser Kerl.»

«Ich weiss», sagte sie leise. «Aber vielleicht müssen die Gangs es so nicht alleine durchmachen. Wenn wir jetzt ausschalten, dann sind wir genauso ignorant, wie dieser Crow es uns vorwirft. Das da ist die Realität, Haru. Echte Gewehre, gerichtet auf echte Menschen. Verzweiflung, die zu Gewalt führt. Hass auf jene, die zulassen, dass es überhaupt so weit kommt.»

Haru nickte, auch wenn er mit dem Reflex kämpfte, sofort den Ausschaltknopf zu drücken. Denn die Realität war grausam.

Die Iwasawas hatten oft noch über Sasuke und Sakura gesprochen, über diese schicksalshafte Begegnung im vergangenen Frühjahr, als der junge Mann, auf den sie lange Zeit hoffnungsvoll gewartet hatten, tatsächlich vor ihrer Tür stand. Ami hatte ab und zu noch mit Sasuke telefonischen Kontakt gehabt, doch dann hatten sich die Ereignisse in Konoha überschlagen. Von Sasukes Gefangennahme hatten sie rasch gehört, ebenso wie seiner Freilassung und der neuen Mission, die Polizei im Kampf gegen die Riots zu unterstützen. Der junge Mann neben ihm war also Naruto Uzumaki, der Leader der Kurama Foxes – die Gang, der Sakura angehörte.

«Haru», sagte Ami auf einmal. «Glaubst du, die beiden werden überleben?»

Diese Frage war berechtigt, denn die Lage der Leader und die ausgesprochene Drohung von Crow, die beiden jungen Männer in einem ersten Schritt stellvertretend für die sogenannte «Elite» büssen zu lassen, verhiessen nichts Gutes. Doch er wollte daran glauben, dass sie es schafften.

«Wir haben jahrelang die unsinnige Hoffnung gehabt, dass Sasuke an unserer Tür auftaucht, Ami. Und er ist gekommen. Dann werden wir jetzt wohl auch die Hoffnung haben dürfen, dass er und seine Verbündeten da rauskommen.»

Ami drückte seine Hand noch fester. Und als sie den Stream mit pochenden Herzen weiterverfolgten, machte Ami nach kurzer Zeit eine Beobachtung. «Da ist noch etwas anderes im Spiel. Der blonde Junge schaut immerzu in dieselbe Richtung. Weg von Crow und der Menge. Da ist etwas hinter der Kamera. Oder vielleicht jemand?»

 

22:00 Uhr, zwischen Halle 2 und 4

 

Shikamaru drückte ohne zu zögern auf den Link, den Hatake ihnen soeben auf ihre Einsatztelefone geschickt hatte. Was sich in dem Video abspielte, überraschte ihn nicht. So etwas hatten sie erwartet, auch wenn die Situation selbstverständlich äusserst brenzlig war, besonders wenn man bedachte, dass sie es mit einem unberechenbaren Gegner wie Crow zu tun hatten. Trotzdem waren sie sie sich mit der Polizei in einer Sache einig gewesen: Sein Spiel mitzuspielen und ihm soweit wie möglich im Glauben lassen, dass er alle Trümpfe in der Hand hatte, war ihre grösste Chance. Für Naruto und Sasuke war es keine Frage gewesen, dass sie sich in die Höhle der Löwen begeben würden, um ihren Leuten in dieser Situation die bestmögliche Ausgangslage zu verschaffen. Sie hatten nicht die Oberhand in dieser Schlacht, das stand fest. Aber sie waren noch nicht am Ende, denn auf ein Szenario wie dieses hatten sie sich so gut wie möglich vorbereitet. Längst nicht alle Kuramas und Takas verschanzten sich hier in dem provisorischen Fort. Um genau zu sein, war es vielleicht knapp ein Viertel. Die Unruhe auf dem Gelände und das Verschwinden der Riots hatten sie genutzt, um sich neu zu positionieren. Das Kommando hatten Sasuke und Naruto längst ihren jeweiligen Vizes abgegeben, Shikamaru übernahm die operative Leitung der Mission vor Ort. Pain war zu diesem Zeitpunkt mit einer grossen Truppe an Leuten bereits gut versteckt in Position auf dem Gelände, genauer gesagt, um die Halle herum. Zwei kleinere Gruppen behielten von ihrer Aussenposition das restliche Gelände im Auge, um allfällige Überraschungsattacken frühzeitig zu bemerken und zu melden.

Gespannt sah er sich nun den Live-Stream an. Hatake hatte ihn bereits per Funk informiert, worum es bei der Sache geht. Der Inhalt von Crows Gerede interessierte ihn nicht und er hörte folglich auch nur mit halbem Ohr zu. Viel wichtiger waren für ihn Aufbau und Struktur des Innenraumes sowie die Positionierung der Riots, die das Video zu erkennen gab. Das war natürlich relevant für ihre Kriegstaktik. Eigentlich hätte Crow ihnen keinen grösseren Dienst erweisen können, denn auf diese Weise waren sie auch immer im Bild über die Situation des Druckmittels, respektive Hinata.

Shikamaru zeichnete vor allem seine Ruhe und die Fähigkeit zu strategischem Denken aus, selbst in den schwierigsten und ausweglosesten Momenten. Andere warteten in Schlachten darauf, dass das Adrenalin einschoss – er hingegen liess sich jedes Mal von einer ganz besonderen Ruhe durchströmen, die seinen Verstand glasklar machte. Und auch jetzt hatte er das tiefe Vertrauen in die Fähigkeiten der Gangs und vor allem in die Fähigkeiten von Naruto und Sasuke, denn von ihnen hing die ganze Sache in diesem Moment ab.

«Stream gesehen?», fragte er Pain durch das Funkgerät.

«Natürlich. Wenn er uns diesen Einblick schon auf dem Präsentierteller serviert.»

Shikamaru musste schmunzeln. Eigentlich arbeitete er gerne mit Pain zusammen. Der Taka-Vize war fähig, einen kühlen Kopf zu bewahren. Nicht so impulsiv wie Naruto, nicht so temperamentvoll wie Sasuke. Aber manchmal fehlte ihnen beiden vielleicht genau das, um Leader zu sein – das Feuer und die dazu passende Aura. Nicht, dass es ihm etwas ausmachte. Die Rolle als Stratege im Hintergrund war schon immer der richtige Part für ihn gewesen.
 

22:00 Uhr, Halle 4
 

«Lassen Sie mich Ihnen einen typischen Elitären vorstellen.» Crow machte eine Kunstpause. «Kennen Sie Shoto Murakami? Nun, ich bin mir sicher, dass über die Hälfte von Ihnen Geld bei Murakami Credits in Pflege gegeben haben. Dann haben sie mit Shoto Murakami zu tun und unterstützen ihn sogar. Folgendes wird Sie interessieren: Der saubere, aufrichtige Banker Shoto Murakami hat seiner Frau über Jahre Gewalt angetan, bis sie freiwillig in den Tod gesprungen ist. Und auch seine Söhne hat er misshandelt. Doch sein Einfluss hat ihn immun gegen jeglichen Verdacht, gegen jegliche Anschuldigungen gemacht – selbst jene seines eigenen Sohnes. Nebst dem, dass er seine Familie an den Abgrund getrieben hat, ist er heimlicher Besitzer von fünf Nachtlokalen, die allesamt einen Haufen Geld mit menschenverachtendem Gewerbe einspielen. Minderjährige Mädchen werden von der Strasse aufgegriffen, man verspricht ihnen eine blühende Zukunft und schon hat man junge Frauen, die man dazu erziehen kann, alles über sich ergehen zu lassen, ohne aufzubegehren. Murakami unterstützt das, auch wenn er sich selbstverständlich nicht selber die Hände schmutzig macht. Dass er der Drogenmafia Geld hinterherschmeisst, um dieses vervielfacht wieder zurückzuerhalten, kann ich Ihnen hier auch gleich sagen.»

Er legte den Kopf schief. «Sie glauben mir nicht? Nun, die Wahrheit wird für sich sprechen, wenn in dieser Stadt endlich der Mut aufgebracht wird, sich gegen die Elite zu wehren. Leute wie Murakami sind es, die überhaupt schuld daran sind, dass ich hier und heute stehe, denn Arschlöcher wie er finden sich in dieser Stadt in den mächtigsten Positionen wieder», fuhr Crow in leichtem Ton fort. «Verstehen Sie also das hier», er wies auf den Raum und die knienden Leader, «als einen durchschlagkräftigen Protest. Mit jeder vergangenen und jeder zukünftigen Tat sprechen wir uns gegen all das aus, wofür die Elite Konohas steht.»

Er macht wieder eine Pause und richtete dann seinen Blick wieder auf die Kamera. «Jeder da draussen, der sich nun angesprochen fühlt, jeder, der nun weiss, dass er einer von uns ist: Führt weiter, was die Riots begonnen haben. Denn ihr alle seid Riots. Der Name beschränkt sich nicht nur auf auserwählte Gangmitglieder, sondern trifft auf jeden zu, der fühlt und ist wie wir.»

Er machte erneut eine ausschweifende Handbewegung über den Raum. «Wir hier werden diese Nacht mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht überstehen. Vielleicht werden wir sterben oder im Gefängnis landen. Aber ihr habt euer Schicksal selber in der Hand. Gebt niemals Ruhe. Nicht, bis endlich Gerechtigkeit herrscht und jene gestraft werden, die Strafe verdienen.»

 

22:04 Uhr, Kellergewölbe Halle 3

 

Sakura konnte ihre Emotionen kaum im Zaum halten. Alles schäumte wild durcheinander – Trauer, Angst, Sorge, Wut, Verzweiflung, Entschlossenheit.

Nachdem Tomcat gegangen war, war die Realität dieser Nacht wie eine Welle über ihrem Kopf zusammengeschlagen. Die Seifenblase, in der sie sich wähnte, war geplatzt und liess nun Gedanken an all die schlimmen Dinge zu, die sich über ihr zutragen mussten. Das Unwissen war unerträglich. Lebten ihre Leute noch? Wussten sie inzwischen von ihrem Verschwinden? Nun, wenn sie als Druckmittel galt, würde Crow die Polizei-Gang-Fraktion früher oder später mit Freuden darüber informieren.

Sasuke würde bestimmt wütend auf sie sein, denn er hatte recht gehabt – sie gehörte einfach nicht in die Schlacht, auch wenn es ihr Kopf partout nicht zugeben wollte. Und nun war sie hier und machte alles noch viel schlimmer für ihre Freunde.

Und Tomcat? Dem wollte sie helfen, doch wie sollte das gehen? Eingesperrt in diesem Zimmer blieb ihr nichts anderes übrig, als abzuwarten.

Minuten kamen ihr vor wie Stunden. Fieberhaft versuchte sie, sich einen Plan zurechtzulegen, doch wie sollte das gehen? Sie war eingesperrt in einem winzigen Raum und hatte keine Ahnung, was die Riots mit ihr vorhatten. Die Situation wurde mit jedem Gedanken an einen Plan auswegloser. Verzweiflung setzte ein und ganz unwillkürlich musste sie an Sasuke denken. Wie ein kleines Kind sich nach seinen Eltern sehnte, sehnte sie sich danach, dass er durch diese Tür trat und sie da rausholte. Er konnte das, denn er war nicht so naiv und einfältig wie sie.

Du musst dir selbst helfen, sagte eine leise Stimme in ihrem Kopf. Und Sakura wusste, dass sie recht hatte. Sie hatte sich hier selber reinmanövriert und musste selber wieder rauskommen.

Ich kriege das schon hin, Sasuke. Hör nicht auf den blöden Crow.

Just in dem Moment hörte sie, wie der Riegel an der Tür zurückgeschoben wurde.

 

22:04 Uhr, Halle 4

 

Crow hatte den Livestream pausiert. Jedenfalls hatte er seine Rede mit «Bleiben Sie dran» beendet, was darauf schliessen liess, dass er die ganze Sache zu gegebener Zeit wieder aufnehmen wollte.

«So, jetzt wieder zu euch.» Er lächelte, sichtlich zufrieden mit seiner Rede, auch wenn Sasuke meinte, immer noch etwas von dem aufmüpfigen Unterton in seiner Stimme zu hören.

«Nachdem ihr nun brav zugehört habt, wird es Zeit für eine weitere Wahrheit.»

Er winkte seinem Kollegen zu, der das Messer von Hinatas Kehle nahm und ihr dann die Fesseln von den Händen entfernte. Hinata streckte sich gemächlich und entfernte sich eigenhändig den Knebel.

Sasuke traute sich kaum, in Narutos Richtung zu sehen, denn allem Anschein nach war Hinatas Geiselnahme tatsächlich nur ein riesengrosser, bescheuerter Bluff gewesen. Nun strich sie sich die Haare aus der Stirn und lächelte Crow zu, der ihr Lächeln zufrieden erwiderte. Von einem Moment auf den anderen wurde sie vom Opfer einer Geiselnahme zur selbstbewussten Riot. Sasuke erinnerte sich noch gut an Narutos Worte, die er vorhin zu Hintata gesagt hatte. Wenn sich das hier als eine Lüge entpuppte, dann war es endgültig vorbei.

Hinata lachte leise. «Tut mir leid, ihr Zwei. Schon verrückt, dass ihr mir nach all dem doch noch getraut habt.»

Sasuke riskierte nun doch einen Blick auf Naruto, der Hinata überraschenderweise nur mit finsterer Miene anstarrte. Keine aufschäumende Wut, keine Verzweiflung. Sah er etwas, was Sasuke nicht sah? Oder versuchte er einfach, sein Gesicht in Anbetracht der niederschmetternden Tatsachen zu wahren?

Hinata kam nun auf Naruto zu. «Ich will nicht zurückgeholt werden, Big Fox», sagte sie. «Das hier ist so viel grösser.» Sie zeigte bei diesen Worten in ähnlicher Manier wie Crow auf die Anwesenden. «Findest du nicht auch, dass wir aufbegehren müssen?»

Naruto schaute sie nur an und reagierte keine bisschen auf ihre Worte. Die Riots genossen es sichtlich, wie Hinata sie auflaufen liess. Selbst in Sasuke brodelte jetzt der Zorn, warum also, war Naruto noch nicht explodiert?

«Das hier ist ein Signal für alle Menschen da draussen. Ihre Möglichkeit zur Befreiung aus der misslichen Lage, in der sie sich befinden. Aber ihr versteht das nicht. Denn ihr wolltet nie etwas ändern. Dabei ist es doch jetzt Zeit. Zeit sich zu wehren und auf die Gewinnerseite zu kommen.»

Es war in diesem Moment, als es Sasuke wie Schuppen von den Augen fiel. Hinatas Worte machten auf zweierlei Weise Sinn und Naruto hatte das längst verstanden.

Ehe er diese Gedanken überhaupt verarbeiten konnte, hatte sie den Riot hinter Naruto mit einem gezielten Tritt in den Magen temporär ausgeschaltet und sich seine Waffe geschnappt. Sasuke reagierte blitzschnell und stiess sich mit aller Kraft nach hinten, wo sein Bewacher stand, der viel zu überrascht und abgelenkt davon war, was gerade passierte, als dass er noch schnell genug hätte den Abzug drücken können. Sasuke schnappte sich die Waffe und feuerte etwas unbeholfen aufgrund seiner gefesselten Hände zwei Schüsse gegen die Decke ab. Das musste als Signal reichen.

Auf einmal zersprangen die Fensterscheiben der Oberlichter, durch die nun Takas und Kuramas eindrangen, die sich still und leise auf den Aussenbalken des Daches positioniert hatten. Das morsche Holztor zerbarst im Knall eine Handgranate der Polizei und gab den Weg für die Kuramas und Takas in die Halle frei. Geschrei wurde laut, Schüsse ertönten und das Chaos griff um sich.

Sasukes warf sich auf den Boden und suchte rasch nach Crow. Er sah, wie er mit Cracker und zwei anderen Riots in einer Bodenklappe verschwand, die er unter einer der Kisten hervorgezaubert hatte. Plötzlich war Hinata bei ihm, die seine Fesseln mit einem Messer durchtrennte und ihn auf die Beine riss. Naruto kämpften sich ihren Weg zur Bodenklappe durch und folgten Crow und seinen Leuten, die bereits etwas an Vorsprung gewonnen hatten. Naruto bellte noch etwas in den Raum, was dazu führte, dass ihm nun eine Gruppe von etwa sieben Kuramas folgte.

«Wo ist Sakura?», rief er Hinata zu.

«Ich weiss es nicht genau», antwortete diese keuchend. «Irgendwo im zweiten Untergeschoss!»

Sasuke musste seine Gedanken nicht aussprechen. Crow war mit grosser Wahrscheinlichkeit auf dem Weg zu seiner zweiten, echten Geisel. Was auch immer er mit ihr vorgehabt hatte, er würde seine Pläne bestimmt nicht einfach in den Wind schiessen. Denn vom Gelände entkommen konnte er sowieso nicht.

«Welchen Weg hat er genommen?», fragte Naruto Hinata.

«Den schnellsten! Wir sollten einen anderen nehmen, damit er uns nicht auflauern kann!»

Also liefen sie an einer unscheinbaren Tür vorbei, die laut Hinata den schnellsten Weg nach unten darstellte. Die Gruppe lief weiter den schlecht beleuchteten Gang entlang und erreichte eine weitere Bodenklappe, die Hinata rasch aufriss. «Ich gehe voran», sagte sie entschlossen. Vielleicht, um ihnen deutlich zu machen, dass sie auf ihrer Seite war. Weder Sasuke, noch Naruto hatten Zeit, zu begreifen, was gerade passiert war. Es zählte nur, dass sie auch Sakura da rausholen konnten.

 

22:04 Uhr, Kellergewölbe, Halle 3

 

Es war nicht Tomcat, der sie durch die Gänge führte, sondern ein anderer junger Riot, den sie nicht kannte. Sakura bemerkte erst jetzt, wie viel besser die Luft hier draussen war. Sie hatte keine Ahnung, wie viel Zeit sie in diesem kleinen, stickigen Raum verbracht hatte, doch das spielte keine Rolle. Denn man führte sie zur Schlachtbank und Tomcat war ausser Reichweite für sie.

Und wenn sie geglaubt hatte, zu ihm durchgedrungen zu sein, dann hatte sie sich böse getäuscht, denn er wirkte entschlossen, als er sie den Gang entlangführte. Ihre Orientierung liess in diesem Wirrwarr an Gängen und Türen zu wünschen übrig, mal ging es links, mal wieder rechts.

Ihr Ziel war allem Anschein nach ein grosses unterirdisches Lagergewölbe. Sie betraten es auf einer Art Galerie aus Beton die den Raum säumte. Um zur Lagerfläche zu gelangen, mussten sie erst eine Treppe hinuntersteigen. Unten warteten bereits zwei weitere Riots, die ziemlich nervös wirkten.

«Hast du Tomcat gefunden?», fragte eine junge Frau mit einem auffälligen Nasen-Piercing. Sakura bemerkte ihre Unruhe sofort.

«Nee. Ein Glück hat er das verdammte Handy hier liegenlassen. Ansonsten stünden wir jetzt ziemlich blöd da.» Er streckte ein altes Nokia-Handy in die Luft.

Er schob sie unsanft nach vorne zu einer Betonsäule, die zusammen mit vier anderen die Decke des Raumes trug. Sakura schwante Böses, als sie die lange Kette sah, welche um die Säule herumgewickelt war.

«Rücken zur Säule, Hände hinter den Rücken, absitzen», befahl der Riot in einem doch eher gestressten Ton und Sakura tat wie geheissen. Gleich darauf spürte sie die schweren Kettenringe an ihren Handgelenken, die der Riot bestimmt etwa viermal darum wickelte und dann zusammenzog. Sakura unterdrückte ein Schmerzenslaut, als sich das kalte Metall in ihre Haut bohrte.

«Pfoten weg, Rocket!», rief auf einmal eine vertraute Stimme von der Galerie hinunter. «Du hast nichts an der Geisel zu schaffen.»

«Ach ja?», erwiderte Rocket wütend. «Dann mach doch einfach deinen Job!»

Und auch wenn sein Ton aufmüpfig war, brachte er Tomcat Respekt entgegen, daran bestanden keine Zweifel. Schliesslich war der Murakami-Sohn der Geldgeber in dieser Sache und das verschaffte ihm eine Machtposition.

Tomcat kam die Treppe runter und nahm Rocket die Kette mit dem Vorhängeschloss, sowie den Schlüssel aus der Hand. Dann machte er sich an den Ketten zu schaffen und zurrte erneut daran. Sakura biss die Zähne zusammen. Dann hörte sie, wie das Schloss mit einem Klicken einrastete.

«Ist der Boss auf dem Weg hierher?», fragte Tomcat und zog eine Pistole unter seinem Kapuzenpullover hervor.

«Jep», brummte Rocket. «Da oben lief etwas nicht ganz nach Plan. Deshalb folgt der Plan B früher.»

Tomcat entsicherte seine Waffe, die er nun auf sie richtete. «Keine Sorge, ich knall dich nicht ab», sagte er mit einem kühlen Unterton. «Noch nicht.»

Sakura lief ein kalter Schauer über den Rücken und nun fragte sie sich wirklich, ob sie dieses Gespräch, diesen Einblick in seine Emotionen nur geträumt hatte. Vermutlich war sie wirklich einfach zu naiv und zu dumm. Spätestens jetzt glaubte sie es selber auch.

«Ihr solltet dem Boss helfen. Wenn er auf dem Weg hierher ist, dann hat er auch Verfolger», sagte Tomcat.

«Vergiss es. Laut dem Boss sollen wir uns nicht von der Stelle bewegen. Er fand es nicht besonders cool, dass du dein Handy einfach hast rumliegen lassen. Und das auch noch im entscheidenden Moment», brummte Rocket und das Mädchen nickte zustimmend. Es war deutlich zu spüren, dass Tomcat kein normales Gangmitglied der Riots war. Sie bemerkte diese ganz gewisse Distanz, fast schon ein Misstrauen gegenüber dem Murakami-Sohn. Tomcat hatte es nicht darauf angelegt, bei den Riots Freunde zu finden und hier das deutlich.

Tomcat zuckte mit den Schultern. «Wie ihr wollt.»

Nun war es auf einmal still. Alle vier lauschten den Geräuschen, die aus dem Labyrinth an Gängen gedämpft zu ihnen durchdrangen. Es waren laute Stimmen und schnelle Schritte, die grosse Hektik ankündeten und darauf hinwiesen, dass etwas nicht stimmte.

Ihr Herz schlug schneller, denn ihre Lage war aussichtlos. Und mit ihrer aussichtlosen Lage machte sie jene ihrer Leute noch einmal viel schwieriger.

«Glaubt ihr, Demon und Big Fox sind auf dem Weg zu uns?», fragte Tomcat beinahe unbeteiligt.

Das Mädchen wurde bei dem Gedanken sichtlich nervös. «Der Boss sollte sie eigentlich im Griff haben.»

«Dass er auf dem Weg zu seiner zweiten Geisel ist, verheisst wohl, dass er das nicht hat, Polly», knurrte Rocket zwischen seinen Zähnen hindurch. Sakura verstand zwar nicht, wer mit zweiter Geisel gemeint war, aber logischerweise implizierte das, dass sie nicht das einzige Druckmittel in diesem Spiel war. Nun, jetzt vermutlich schon, aber vorhin noch nicht. Das schürte ein wenig Hoffnung in ihr. Vielleicht war es doch noch nicht vorbei.

Pollys Gesicht wurde eine Spur weisser. «Du meinst, Demon und Fox werden hier gleich einmarschieren?»

«Nicht, wenn der Boss eher hier ist.»

«Und wird er das sein?»

«Woher soll ich das wissen?!», bellte Rocket, nun offensichtlich vollkommen gestresst.

«Aber die werden uns umlegen! Und die Bullen… nun, wenn wir bis in diesen Keller zurückgedrängt wurden, dann steht es wohl schlecht um uns.» Polly fummelte nervös an ihrem Nietenarmband herum.

«Du wusstest, dass es gefährlich wird, Polly! Warum zur Hölle machst du jetzt hier so einen Aufstand? Entweder legen die uns um oder wir kommen in den Knast!» Rockets ohnehin schon dünner Geduldsfaden schien sich zusehends in Luft aufzulösen.

«Rocket… ich kann das nicht. Ich will noch nicht sterben! Lieber komme ich in den Knast…»

«Fabelhaft!», Rocket verwarf die Hände. «Und das fällt dir jetzt ein? Der Boss hat uns allen gesagt, was hier auf uns zukommt! Hättest du dir vielleicht früher überlegen müssen, du dumme Gans!»

Polly sah bei diesen Worten sichtlich verletzt aus. Sakura beschloss, sich zu Wort zu melden. «Wenn du jetzt rausgehst und dich den Bullen stellst, Polly, dann werden sie dich nicht töten. Ich kann dir nicht sagen, dass sie dich laufen lassen, aber du wirst ganz sicher nicht im Kreuzfeuer umkommen.»

«Wer hat dich gefragt, du verdammte Kurama-Bitch?!», brüllte Rocket nun und war drauf und dran, ihr ins Gesicht zu schlagen, doch da war Tomcat schon zu Stelle und schlug seine Hand weg.

«Meine Geisel, mein Spiel», sagte Tomcat ruhig.

Rocket war ausser sich und funkelte Tomcat mit einem Hass in den Augen an, den Sakura das Blut in den Adern gefrieren liess.

«Spiel dich hier nicht so auf, nur weil du Kohle hast!»

Tomcat zuckte mit den Schultern. «Du hast offensichtlich noch nicht verstanden, dass wir hier in einer Hierarchie leben. Da läuft das nun mal so.»

Was Rocket in seiner Wut nicht bemerkte, war, dass Polly das Weite gesucht hatte. Gerade eben hatte sie die Treppe erklommen und war in einem der Gänge verschwunden.

Und als er es dann doch bemerkte, war es bereits zu spät.

«Wo ist diese feige Hexe hin?!»

Jetzt lag seine Aufmerksamkeit nicht mehr auf Tomcat, der sich das zu Nutzen machte. Er hob seine Pistole und richtete sie auf Rocket. «Nicht so aufregen. Am besten gar nicht bewegen. Sonst knallt’s.»

 

22:11 Uhr, Untergrund

 

Bis jetzt war nicht alles nach Plan verlaufen. Doch das trieb ihn nur noch mehr an. Viele Gedanken gingen Crow durch den Kopf, als er sich auf dem schnellsten Weg nach unten in die Kellergewölbe der Transportfirma bewegte, Cracker und weitere drei seiner Leute im Rücken.

Hinatas Aktion von vorhin hatte ihn überrascht, das musste er zugeben. Er hätte sie für schlauer gehalten, doch anscheinend hatte Big Fox ihr mit seinen Worten den Rest gegeben. Crow hatte sie ursprünglich, ganz zu Beginn, als schwaches kleines Mädchen eingeschätzt, dass ziemlich schnell brechen würde. Doch sie hatte sich gegen seine Erwartungen lange gehalten. Ihr Wesen hatte sich verändert, denn auch an ihr begann er, manipulative Züge festzustellen. Ursprünglich hatte er nur Infos von ihr gewollt, bald hatte er jedoch realisiert, welchen Effekt er erzielen konnte, wenn er sie zum Beitritt bei den Jaguar Riots brachte. Sie hatte sich gefügt, ohne Wenn und Aber. Nun, eine Wahl hatte sie nicht wirklich gehabt, aber das war jetzt nicht wichtig.

Hinata hatte nach ihrem Beitritt damit begonnen, ihm Aufmerksamkeit und Bewunderung zu schenken – er hatte natürlich gewusst, dass sie das nur machte, um auf seine gute Seite zu kommen und möglicherweise einen Vorteil für die Kuramas herauszuholen. Er hatte sich darauf eingelassen, natürlich ohne ihr solche Vorteile zu verschaffen. Aber gestört hatte es ihn ganz und gar nicht, ein wenig die Zeit mit ihr zu verbringen und sich an einem hübschen Mädchen zu erfreuen. Gegenüber den Kuramas und Takas war es ein absoluter Vorteil gewesen, Hinata als seine Freundin vorzuführen, denn das hatte Big Fox fuchsteufelswild gemacht.

Und langsam, ganz langsam, hatte sie sich selber verloren. Manchmal hatte er den Eindruck gehabt, sie sei vollkommen investiert in die Ziele der Riots, auch wenn er es ihr aus Prinzip nicht abgekauft hatte. Und dann gab es Momente, in denen sie nur schweigend im Zimmer gesessen und vor sich hingestarrt hatte, ohne Antwort auf Fragen zu geben. Crow konnte nicht leugnen, dass er sie irgendwie gemocht hatte. Er war nicht wie Tomcat oder andere Leute in seiner Gang, die die Aufmerksamkeit von Frauen suchten oder gar benötigten. Er hatte anderes im Kopf. Doch Hinata hatte er gemocht. Seine Sache aber für sie zu opfern, wäre zu viel des Guten gewesen. Denn zu dem Zeitpunkt, als er das realisiert hatte, war es bereits zu spät gewesen. Hinata hätte sie verraten können, weshalb er das Spiel weitergespielt und den Druck auf sie aufrechterhalten hatte. Seine sanften, vielleicht sogar liebevollen Handlungen ihr gegenüber, konnte er nicht einordnen. Sie hatte eine seltsame Beziehung geführt. Denn auch wenn sie ihre Abneigung ihm gegenüber gerne aussprach, so hatte es Momente gegeben, in denen sie sich in beinahe trauter Zweisamkeit nahe gewesen waren. Ob das nun von ihrer Seite her mit manipulativen Absichten versehen gewesen war, spielte für ihn keine Rolle, denn es hatte ihr nicht die geringsten Vorteile verschafft – dafür hatte er gesorgt. Er hatte ganz einfach genossen, was sie ihm in ihren zahlreichen Manipulationsversuchen gegeben hatte. Ob ihr selber noch bewusst gewesen war, wann sie ihn manipulieren wollte und wann nicht, wusste er nicht. Aber es war ihm egal.

Denn Hinata war nicht Suguha, auch wenn sie ihn zeitweise an sie erinnerte. Sugu lebte zwar nicht mehr, aber das hinderte ihn nicht daran, die Welt zu verändern – genauso, wie sie es sich erträumt hatte.

Das Ende des Ganges kam in Sicht, was ihn erleichterte. Dort unten befand sich sein Plan B.

Doch schnell wurde ihm bewusst, dass er stattdessen einen leeren Lagerraum vor sich hatte – bis auf Rocket, der an der Stelle von Cherry Blossom an die Säule gefesselt war und von einem Knebel ruhiggestellt wurde. Innerhalb Sekunden fügten sich in seinem Kopf die Puzzleteile zusammen. Yohei, der nicht ans Handy ging, Rocket, der seine Aufgabe übernommen hatte und nun hier gefesselt war. Konnte es tatsächlich sein…

Er wies seine Leute mit einer einfachen Geste dazu an, stehen zu bleiben.

«Siehst du auch, was ich sehe?», fragte Cracker hinter ihm, immer noch ziemlich ruhig, wenn man die beschissene Lage bedachte, in der sie sich befanden.

Crow antwortete nicht und sah sich um. Der Raum war ansonsten leer. Die Kuramas und Takas konnten unmöglich vor ihm hier gewesen sein. Nein, die Schuld lag auf Yohei.

Rasch war er bei seinem Riot und schnitt mit seinem Messer den Stofffetzen durch, der Rocket am Sprechen hinderte.

«Tomcat!», rief Rocket. «Dieser verdammte Bastard hat sich mit der Geisel aus dem Staub gemacht!»

«Wann?», fragte Crow ruhig.

«Vor etwa fünf Minuten. Sie sind in die Richtung seines Zimmers gegangen. Und Polly hat er verscheucht!»

«Bindet ihn los», befahl Crow.

«Wir haben den Schlüssel zum Vorhängeschloss nicht», murmelte einer seiner Leute hinter ihm.

«Doch», antwortete Rocket. «Tomcat hat ihn auf die Kiste dort drüben gelegt.»

Crow hatte keine Zeit, sich zu überlegen, was genau Yohei durch den Kopf gegangen war, als er seinen Plan ruiniert hatte. Dass er den Schlüssel dagelassen hatte, bedeutete jedenfalls, dass er kein böses Blut mit den Riots wollte. Vermutlich hatte er einfach die kleine Cherry Blossom für sich haben wollen. Oder sie war irgendwie zu ihm durchgedrungen, denn solche Sachen konnte sie, wie man ja im Fernsehen gesehen hatte. Eigentlich spielte es keine Rolle, denn er hatte hier gerade einen zentralen Teil seines Plans ruiniert.

«Und jetzt?», fragte Cracker. «Es ist nur eine Frage der Zeit, bis sie hier sind!»

«Improvisieren, Cracker.» Crow schwang sich auf einen Stapel Kisten und setzte sich hin. «Rocket, Shark und Dahlia, ihr schnappt mir Yohei und Cherry Blossom, bevor sie aus dem Keller entkommen. Wenn ihr sie habt, bringt ihr sie zurück. Aber nur Cherry Blossom. Yohei sperrt ihr irgendwo ein. Jeden Riot, den ihr auf dem Weg seht, schickt ihr hierher. Los!»

Die drei fragten nicht mehr weiter nach und liefen los, im Wissen, dass die Zeit drängte. Zurück blieben er, Cracker und zwei seiner Leute. Crow gab Cracker mit einem simplen Blick einen Befehl, dieser griff zum Handy und bestellte so viele Riots wie möglich nach hier unten.

Das verschaffte Crow Zeit, um nachzudenken. Noch waren sie nicht geschlagen. Noch hatten sie nicht genug Radau gemacht, denn diese Nacht musste ihren Gegnern wehtun. Ansonsten hatte seine Botschaft nicht die Durchschlagkraft, die er sich erhoffte.

Aber noch war nichts verloren. Bei einem halb gescheiterten Plan B hatte er schliesslich auch noch einen Plan C.

 

22:14 Uhr, Untergrund

 

Sasuke und die anderen rannten so schnell ihre Beine sie trugen. Einer der Kuramas hatte ihm ein Messer und eine Pistole in die Hand gedrückt, letztere hielt er in der Hand. Hinata lief voraus und wies ihnen den Weg, Naruto direkt hinter ihr. Dieses Bild liess Hoffnung in ihm aufkeimen.

Das zweite Untergeschoss glich einem Labyrinth und ohne Hinata wären sie hier wohl verloren gewesen. Vorhin hatte sie betont, dass sie nicht genau wusste, wo sie Sakura festhielten, jedoch schien sie eine klare Stossrichtung zu haben.

«Am besten suchen wir dort, wo er mich nie hergebracht hat», rief sie keuchend. «Und das sind die Gänge unter Halle 3.»

Unterwegs begegneten ihnen nur wenige Riots, die sie schnell kampfunfähig gemacht hatten. Nichts konnte sie jetzt noch von ihrem Ziel abhalten. Hinata hatte ihnen eine neue Chance verschafft.

Das Ende des Ganges kam in Form eines Lichtscheins in Sicht, der heller war, als die schummrige Beleuchtung im Gang. Nun verlangsamten sie. Sie waren insgesamt zu Acht, mit den Kuramas im Schlepptau. Sasuke kannte nur eine davon und das war die Blonde mit dem aufbrausenden Temperament.

Sie näherten sich nur langsam und mit vorgehaltenen Waffen der Öffnung. Deckung gab ihnen der ganze Müll, der hier herumstand, von Kisten über Fässer bis hin zu ein paar hässlichen Regalen aus Metall stand hier ziemlich viel rum. Es erfolgte kein Feuer, was sie dazu bewegte, rascher voranzurücken. Vorne angekommen spähte Sasuke in den Raum hinein. Er stellte fest, dass eine Treppe zu einer niedrigeren Plattform im Raum hinunterführte. Doch da waren nur Crow, Cracker und etwa sechs weitere Riots, die er nicht kannte. Keine Sakura. Kein Tomcat.

Fakt war, dass die Waffenläufe der Riots alle auf den einen Eingang gerichtet waren, in dem sie standen.

«Hina!», rief Crow auf einmal und Hinata zuckte reflexartig zusammen. Sein Tonfall hatte etwas Herausforderndes. Naruto gab ihr das Zeichen, sich nicht zu rühren.

«Bist du sicher, dass du das hier willst?»

Sasuke konnte sich nur Dinge zusammenreimen, denn Zeit für Erklärungen war ihnen keine geblieben. Vorhin hatte Naruto einen der Kuramas damit beauftragt, so rasch wie möglich Genius oder Pain zu finden, damit diese eine Nachricht nach draussen senden konnten. Anscheinend hatte Hinata gewollt, dass man umgehend Polizisten zu dem Wohnblock sandte, in dem sie lebte.

«Glaubst du, ich habe nicht vorausgeplant?»

Selbst im schummrigen Licht des Ganges konnte er erkennen, wie Hinata erstarrte.

Jetzt lachte Crow, als ob er ihre Reaktion gesehen hätte. «Glaubst du tatsächlich, ich würde mich von der Sache hier derart ablenken lassen? Ich bitte dich.»

«Wo ist Sakura?», rief Hintata zurück.

«Offensichtlich nicht hier.»

«Dann hast du auch kein Druckmittel», antwortete nun Naruto.

«Nur weil sie nicht hier ist, heisst das nicht, dass ihr nicht jemand wehtun kann.»

«Sie muss bei Tomcat sein», flüsterte Sasuke Naruto zu.

«Hindert mich nicht daran, dich direkt abzuknallen», gab Naruto zurück. «Von hier aus kannst du sie nicht als Druckmittel einsetzen.»

Sasuke und Naruto reimten sich natürlich bereits einiges im Kopf zusammen. Im hinteren Teil des Raumes lag eine Kette am Boden, die vermutlich dazu da gewesen war, jemanden zu fesseln – höchstwahrscheinlich Sakura. Dass sie nicht da war bedeutete entweder eine Planänderung von Crow oder eine gelungene Flucht seiner Geisel.

«Recht hast du. Und deshalb fragte ich noch einmal: Bist du sicher, dass du das hier willst, Hinata?»

«Ich habe nichts von dem hier je gewollt», antwortete sie mit belegter Stimme.

«Stimmt», antwortete er belustigt. «Wenn du dir selber lieb sein willst, dann kommst du jetzt da raus und her zu uns.»

Naruto hielt Hinata an der Schulter zurück, auch wenn sie anfänglich keine Anstalten machte, Crows Rat zu folgen.

«Ich habe vorausgedacht, Hina. Wie bereits gesagt. Und was das bedeutet, kannst du dir wohl selbst zusammenreimen.»

«Wovon spricht er, Hina?», fragte Naruto unruhig.

Hinata senkte den Blick und es schien, als wiche all der Mut wieder aus ihrem Körper. «Von Hanabi.»

 

Plan C

22:19 Uhr , Kellergewölbe, zweites Untergeschoss Halle 3

 

Hinata schaute ihm direkt in die Augen. Ihr Blick war ehrlich. Und Naruto begann zu verstehen. «Du meinst, all diese Zeit…»

«Hatte er Hanabi. Er hat sie nicht entführt, aber unsere Wohnung stand ständig unter Überwachung. Ayato hatte genug Leute. Und er hat mir deutlich gesagt: Wenn ich mich wehre, die Polizei oder die Gang verständige, dann würde Hanabi Schaden nehmen – auch wenn es das Letzte wäre, was die Riots tun.» Ihre Stimme war schwer und zeugte von einer langen Leidensgeschichte. «Sie waren wie ihre Schatten. Waren immer irgendwie bei ihr, ohne dass sie es gemerkt hat.»

«Warum hast du nicht mit deinem Vater gesprochen? Mit Hanabis Lehrern? Gerade in der Schule wäre sie doch ausser Reichweite der Riots gewesen.»

«Ich war nie alleine, Naruto. Er liess mich genauso überwachen. Rund um die Uhr.»

Auf einmal machte alles einen Sinn. Er erinnerte sich an jene Nacht, als er Hinata nahe ihrem Wohnblock abgefangen und sie ihn eiskalt abgewiesen hatte. Kurz darauf war er mit einem Mann zusammengestossen, der einen Kapuzenpullover getragen hatte – das musste ihr Bewacher gewesen sein.

Naruto fühlte sich, als hätte er eine göttliche Erleuchtung, nachdem sich plötzlich all diese Fragen und die Unsicherheit der vergangenen Monate in Nichts auflösten. Das war die Antwort, die er so lange gesucht hatte, die Erklärung, an der er so oft gezweifelt und sie sich trotzdem immer wieder mit aller Kraft in Erinnerung gerufen hatte. Da oben, auf den Knien und mit einem Gewehrlauf auf den Kopf gerichtet, war er kurz davor gewesen, seinen Glauben an Hinata aufzugeben. Und nun erfüllte ihn pure Erleichterung.

Auch die Umstehenden machten natürlich grosse Augen, denn auch sie hatten auf eine Erklärung wie diese gewartet.

«Und jetzt hat er Hanabi doch noch gekidnappt», konkludierte Sasuke, der sich vermutlich bereits zusammengereimt hatte, wer Hanabi war. Hinata nickte niedergeschlagen.

«Ich dachte, diesen Faktor würde er nicht einberechnen. Naiv wie ich bin dachte ich, er würde sich um alles andere Sorgen machen als um das. Deshalb habe ich mich da oben gegen ihn gewendet.»

Naruto wusste, dass sie sich in einer schwierigen Lage befanden, doch in ihm war eine neue Kraft erwacht – jene, die er so lange vermisst hatte. In der vergangenen Zeit hatte alles sehr viel Energie und Disziplin erfordert und oft hatte ihn eine Stimme in seinem Kopf dazu bewegen wollen, die ganze Sache zu schmeissen und einfach aufzugeben. Natürlich hatte er das nicht gemacht, einfach war es aber nicht gewesen. Doch jetzt wusste er, dass er diese Stimme nicht mehr hören würde. Denn all die Zeit hatte er sich nicht in Hinata geirrt. Das gab ihm das nötige Selbstvertrauen zurück und erfüllte ihn mit unbändiger Energie.

«Es spielt keine Rolle, Hina.» Sein Blick wanderte zu Sasuke, der aussah, als wäre er in Gedanken bereits auf der Jagd nach Tomcat und Sakura. «Demon, ich schlage vor, du machst dich sofort auf die Suche nach Sakura. Ich regle das hier.»

Er wies zwei seiner Leute an, ihn zu begleiten. Sasuke nickte nur und sein Griff schloss sich fester um seine Pistole.

«Die Quartiere sind mit ziemlicher Sicherheit im hinteren Teil, dort, wo es viele kleine Lagerräume gibt», sagte Hinata und wies auf einen Seitengang. «Immer geradeaus. Vielleicht findet ihr sie dort.»

«Bleibt am Leben», sagte der Taka-Leader noch, bevor er mit seinen beiden Begleitern in dem schummrig beleuchteten Gang verschwand.

«Und wir», sagte Naruto in die Runde, «widmen uns jetzt Crow.»

 

22:20 Uhr, zweites Untergeschoss

 

Sakura konnte sich nicht mehr wirklich erinnern, in welche Richtung es nach draussen ging. Aber Tomcat hielt sie am Handgelenk und zog sie durch die dunklen Gänge, die irrgartenmässig unter den Hallen verliefen und unglaublich viel Stauraum boten. Es war offensichtlich, dass die Transportfirma neben Logistik noch ein zweites Business am Laufen gehabt hatte, bevor sie dichtgemacht hatte.

Noch immer konnte sie nicht ganz fassen, was sich vorhin gerade ereignet hatte. Sie hatte wirklich nicht damit gerechnet, dass Tomcat sie da rausholen würde, obwohl sie auch jetzt noch nicht wusste, was genau er mit ihr vorhatte. Doch ihr war klar, dass ihre Funktion als Geisel so für Crow nicht mehr gegeben war und das war mehr als gut.

Tomcat hatte sie dazu angewiesen, zu schweigen und sie leistete dieser Anweisung Folge. Denn Tomcat war ihre Chance, hier rauszukommen. Und wenn alles gut ging, dann kam er sogar mit ihr. Irgendwie würde sie Naruto oder Sasuke schon dazu bewegen können, dass er in eine der Gangs aufgenommen wurde – wobei sie bei den Kuramas wohl eher Chancen hatte, da sie selber eine war.

Als auf einmal Schritte in den Gängen widerhallten, stiess Tomcat reflexartig eine Tür zu seiner rechten auf und zog sie hinein. Die Tür liess er leise ins Schloss fallen und er legte die Finger an die Lippen, als draussen eilige Schritte zu hören waren, die die Tür passierten. Als die Schritte verstummt waren, nutzte Sakura die Gelegenheit.

«Bringst du mich hier raus, Yohei?», flüsterte sie.

Es war stockfinster und Tomcat antwortete nicht gleich. Vermutlich lauschte er an der Tür. «Ja. Zumindest versuche ich es, aber die Chancen stehen nicht gerade gut. Die suchen bereits nach uns, das weiss ich mit Sicherheit.»

Sakura war nicht entgangen, dass Yohei die Schlüssel für Rockets Handschellen nicht mitgenommen hatte. Ihr war auch klar, dass er nicht von einem Moment auf den anderen die Seite gewechselt hatte. Er bewegte sich hier zwischen den beiden Seiten und hatte schon immer ein wenig sein eigenes Ding gemacht. Hatte eigene Interessen gehabt und die Vorteile genutzt, die ihm eine Gemeinschaft wie die Riots geboten hat. Und das zeigte sich auch jetzt wieder. Dass er sie rausbringen wollte, hiess nicht, dass er dieselben Absichten wie die Kuramas oder Takas hatte. Er verhielt sich undurchschaubar wie eh und je.

«Warum, Yohei?», fragte sie ihn mit der Gewissheit, dass er genaustens verstand, welche Antwort sie haben wollte.

Er antwortete nicht. Stattdessen entledigte er sich seines Rucksacks, den er noch rasch aus seinem Raum geholt hatte und drückte ihn ihr in die Hand. «Nimm den. Kann den Ballast nicht brauchen, wenn wir auf jemanden treffen, der kein Interesse daran hat, dass wir entkommen.» Der Rucksack war erstaunlich leicht, doch er barg wichtige Schätze, auf die sie aufpassen würde. Sie fühlte wie sich seine Hand an ihrem Handgelenk wieder enger schloss und sie einen Schritt weiter zur Tür zog. «Wir gehen da gleich wieder raus. Ich habe absichtlich einen anderen Weg genommen, als den, den wir hinuntergekommen sind. Denn das ist der kürzeste und ich wette, das ist der Ort, an dem sie zuerst nachschauen. Möglicherweise haben sie sich auch aufgeteilt. Und ich weiss nicht, wie viele Crow geschickt hat. Aber ich vermute, dass es wenige sind, denn er braucht alle Verstärkung, die er kriegen kann. Da oben ist für ihn einiges schiefgelaufen, weshalb er seinen Plan B, also dich, benötigt hat. Nun hat er diesen nicht mehr und ihm läuft die Zeit davon. Ich wette also, dass er zu Plan C übergeht, anstatt alle Kraft in die Jagd auf uns zu investieren.»

Gerne hätte Sakura gefragt, was Plan C war, doch sie realisierte schnell, dass es nicht der Zeitpunkt dafür war. Hoffentlich war es keine weitere Geisel.

Er lauschte erneut und öffnete dann vorsichtig die Tür. Auf dem Gang war es ruhig. Sakuras Herz begann wieder zu pochen. Was, wenn man sie erwischte? Würde man kurzen Prozess mit ihnen machen?

Sie schob diese Gedanken beiseite. Sie musste jetzt all ihren Mut zusammen nehmen, wenn Tomcat schon all diese Risiken auf sich nahm, um sie hier rauszuholen – er schuldete ihr gar nichts und trotzdem setzte er alles auf eine Karte. Und damit war er bei seinen eigenen Leuten in Ungnade gefallen. Was auch immer ihn dazu bewogen hatte, er musste in dieser Nacht eine folgenschwere Entscheidung für sein Leben getroffen haben.

Und schon waren sie wieder auf dem Gang. Sie liefen schnell, aber ihre Aufmerksamkeit galt den Geräuschen um sie herum. Die Waffe hatte er in der einen Hand, mit der anderen hielt er den Kontakt zu Sakura. Es war der Moment, in dem sie beschloss, dass Yohei gut war. Ganz tief drinnen, da war ein wunderbarer Mensch verborgen. Und langsam kam er zum Vorschein.

 

22:22 Uhr, zweites Untergeschoss, Halle 3

 

Hinata traute ihren Augen nicht, als Cracker Hanabi in den Raum führte. Ihre Augen waren verbunden, doch ihre Körperhaltung und das selbst aus dieser Entfernung sichtbare Zittern ihres ganzen Körpers sprachen Bände. All ihr Mut wich purer Angst. Wie konnte er das einem so jungen Mädchen nur antun?

«Hier haben wir sie. Keine Sorge, wir haben ihr nichts getan. Hat zu Genügend Essen und Trinken gekriegt. Und jetzt komm raus, sonst kann ich nicht mehr für ihr Wohlergehen garantieren.» Sie hasste es, wenn Ayato diese Überlegenheit in seine Stimme legte.

Cracker hielt Hanabi vor sich. Er und zwei weitere Riots hielten ihre Waffen auf sie gerichtet. Aus der Entfernung der Kuramas war es unmöglich, alle drei gleichzeitig auszuschalten, zumal die beiden Riots mit den Waffen sich hinter den Säulen gedeckt hielten. Und die Waffen der anderen Riots waren auf den Gang gerichtet, in dem sich die Kuramas verstecken.

«Ich muss da raus, Naruto», flüsterte sie resignierend. «Es tut mir leid.»

Naruto wollte sie nicht gehen lassen, dass sah sie ihm an. Doch auch ihm war bewusst, dass sie Hanabis Leben unmöglich aufs Spiel setzen konnten.

Und deshalb setzte sie nun einen Fuss vor den anderen und trat langsam ins Licht des Raumes hinaus. Ihr war schwindelig und übel zugleich. Sie wünschte sich nichts sehnlicher, als wieder zurück in die schützende Dunkelheit des Ganges zu treten, dort, wo Naruto war. Naruto, den sie für so lange Zeit getäuscht hatte. Der aber trotz allem immer noch an sie geglaubt hatte. Sie wusste nicht, womit sie das verdient hatte. Aber jetzt spielte es sowieso keine Rolle mehr.

Ayato musterte sie mit einem seltsamen Blick, als sie in sein Sichtfeld kam. Es war eine Mischung aus Genugtuung, aber auch Bedauern.

«Zu schade, dass es so enden muss. Aber ich wusste, dass du nie den Sprung auf unsere Seite geschafft hast. Übrigens schön, dass du Big Fox auch gleich mitbringst.»

Hinata warf überrascht einen Blick hinter sich und erstarrte, als Naruto direkt hinter ihr stand. Was ihr nicht entging war, dass der Gang, aus dem sie gekommen waren, nun leer war. Die beiden anderen waren verschwunden. Ob Naruto sie geschickt hatte, um Verstärkung zu holen?

Naruto signalisierte ihr mit einem bestimmten Blick, dass alles gut war. «Er hätte mich sowieso gleich hierherbeordert.»

«Ist da noch jemand bei euch?»

«Nein», sagte Naruto wahrheitsgetreu.

«Missy, überprüf den Gang.»

Aus einer ihrer bisherigen toten Winkel tauchte eine weitere Riot auf. Insgesamt waren es also doch mehr als sie vermutet hatten. Im Raum befanden sich insgesamt etwa sieben Riots, plus Crow und Cracker. Sie wären sowieso in der Unterzahl gewesen.

Missy sah sich den Gang an, fand ihn leer vor und gab Ayato den Daumen nach oben. Hinata wusste, dass Missy eines von Ayatos treuesten Schäfchen war. Sie schenkte Hinata im Vorbeigehen einen verachtenden Blick.

Narutos Anwesenheit gab Hinata Kraft, auch wenn ihre Situation wieder einmal ausweglos war. Sie konnten nur hoffen, dass rechtzeitig Verstärkung eintrudelte. Doch wenn da oben das Battle noch in vollem Gange war, würde es dauern, bis es jemand hier runterschaffte. Und vermutlich war der Weg durch die Gänge bis nach oben nicht einfach frei, sondern mit Riots besetzt. Sie wusste vor allem eines: Nachdem Crow ihnen Hanabi in Fleisch und Blut vorgeführt hatte, waren sie ihm auf Gedeih und Verderb ausgeliefert.

Nach all dieser Zeit der Unklarheit, der wirren Gedanken und ihrer seltsamen mentalen Verfassung, war Hinatas Kopf nun glasklar. Sie würden Hanabi beschützen, um jeden Preis.

«Es wird alles gut, Hanabi», sagte sie so ruhig wie es ihr möglich war. Sie hatte in ihrem Leben gelernt, Zuversicht auszustrahlen und anderen zu vermitteln, selbst wenn sie selber keine hatte. Doch Naruto bei sich zu wissen, endlich, gab ihr Kraft. Wenn sie in dieser Nacht starb, dann wussten die Kuramas zumindest, welche Beziehung sie wirklich zu den Riots hatte.

 

22:25 Uhr, vor Halle 4

 

Es war ein Zusammentreffen, das schon viel zu lange fällig gewesen war. Entsprechend heftig war der Schlagabtausch zwischen den beiden Gangs.

Es waren noch viel mehr Riots aus dem Untergrund nach oben gekrochen und das führte dazu, dass sie ihnen in der Zahl wieder einmal überlegen waren, aber bedeutete nichts. Zwar konnte Shikamaru eine allgemeine Verbesserung in den Kampffähigkeiten seiner Gegner feststellen, doch vielen fehlte die jahrelange Erfahrung, welche die Kuramas und Takas zu bieten hatten. Und deshalb hätte man das hier beinahe als ebenbürtiges Battle beschreiben können.

Was ihn jedoch beunruhigte war, dass sie nicht in Kontakt mir Big Fox oder Demon treten konnten, da die beiden keine Funkgeräte bei sich trugen. Sie mussten irgendwo in den Kellergewölben sein. Und ob das Funksignal da unten überhaupt funktionieren würde, war dahingestellt.

Bis jetzt waren einige wenige ihrer Leute in den Keller vorgedrungen, allerdings war die Vermutung, dass es ein zweites Untergeschoss gab, noch nicht bestätigt. Der Kampf dauerte an und das machte es nicht unbedingt einfach, nach diesen potenziellen Eingängen zu suchen.

Er hatte natürlich bereits intensiven Kontakt mit Hatake gehabt, der am liebsten eingegriffen hätte. Doch solange er noch nichts von den Leadern gehört hatte, war das Risiko einfach zu hoch. Crows Position war ins Wanken geraten und sobald er sicher war, dass er kein Druckmittel mehr gegen sie in der Hand hatte, würde er sie auch dazu holen.

Er war über Funk in Kontakt mit den von ihm ausgesandten Leuten in den Gängen, doch bisher waren die Rückmeldungen alle negativ gewesen. Sie würden die Eingänge in das zweite Untergeschoss schon finden. Aber dazu musste erst gekämpft werden.

 

22:26 Uhr, zweites Untergeschoss, Halle 1

 

Das winzige Treppenhaus war gerade mal so breit, dass ein Mensch normalen Umfangs durchpasste. Sakura war keine besonders grosse Person, doch sie musste den Kopf einziehen, als sie über den staubigen Beton nach oben stiegen. Es roch nach abgestandener Kellerluft und das Gefühl von Enge raubte ihr beinahe die Luft. Auch wenn sie es nicht gerne zugab, aber sie verspürte Angst davor, was in diesen dunklen Schächten und verworrenen Tunneln auf sie warten könnte. Riots natürlich, aber genau das war im Moment ihre schlimmste Befürchtung. Sie waren nur zu zweit und wenn sie Pech hatten, liefen sie in weitere Riots hinein.

Sie waren nur langsam vorangekommen, da sie bereits dreimal hatten Deckung suchen müssen. Doch die Riots waren in Aufruhr und deshalb waren sie hier unten auch nicht besonders aufmerksam, denn sie vermuteten noch keine Kuramas oder Takas im zweiten Untergeschoss. Yohei meinte, dass sie sich neu organisierten, da nun Plan C zum Tragen kam. Dieses Mal hatte sie gefragt, was Plan C war, doch Yohei hatte geschwiegen. Sie hatte trotzdem nachgebohrt.

«Ich sage es dir nicht. Und dafür gibt es Gründe», war seine Antwort gewesen und damit hatte er signalisiert, dass jedes weitere Nachfragen zwecklos war.

Sie erreichten das Ende des Aufganges und Sakuras Herz klopfte, als Yohei die kleine Tür entriegelte, vorsichtig einen Spaltbreit öffnete und hinausspähte. Sakura erkannte über seine Schulter nichts als Dunkelheit, doch anscheinend war die Luft rein. Er trat in den Raum hinaus und Sakura folgte ihm. Es war ein kleines Kabäuschen ohne Fenster, weshalb sie nicht einmal die Hand vor Augen sehen konnte. Sie stolperte über etwas Leichtes, das umkippte und beim Aufprall leise gluckerte.

«Reinigungsmittelbehälter. Das war der Lagerraum der Putzkolonne», entwarnte er sie flüsternd, nachdem sie erschrocken die Luft eingesogen hatte. «Pass auf den Boden auf, da liegt ein Haufen Müll rum.»

Sie hörte, wie er seine Hand über etwas streichen liess, vermutlich ein Regal oder ein Tisch. Gleich darauf drückte er ihr etwas in die Hand. «Vorsicht, spitz.» Sie tastete den Gegenstand behutsam ab und kam zum Schluss, dass es eine Ahle sein musste, deren Spitze sich rau anfühlte und deshalb ziemlich verrostet sein musste. Ihr war klar, was er damit bezweckte. Sie sollte sich wehren können, falls es hart auf hart kam, auch wenn eine Ahle nicht unbedingt die beste Waffe war. Aber etwas Besseres hatten sie nicht und das Ding war ziemlich gross. Die Pistole brauchte er selber.

Ihr fiel auf, welch ein Vertrauen er in sie hatte. Denn eigentlich könnte sie ihn nun in der Dunkelheit mit dem Werkzeug attackieren. Doch es schien, als habe nicht nur sie Sympathie für ihr Gegenüber entdeckt. Und er war jemand, der Menschen gut einschätzen konnte. Er wusste genau, dass sie ihn nicht attackieren würde.

«Wir sind hier unter Halle 1, also nicht allzu weit vom Haupttor des Areals entfernt. Das Problem ist, dass wir uns nun im ersten Untergeschoss befinden und deshalb auch die Gefahr grösser ist, in jemanden reinzulaufen.»

Sakura nickte. Es war nicht mehr weit. Doch wenn sie aufmerksam lauschte, dann hörte sie von weitem aufgebrachte Stimmen.

«Das Zentrum des Battles befindet sich bei Halle 4, zu der Halle 1 keinen direkten Verbindungsgang hat. Diese sind im Viereck angeordnet und es gibt keine Verbindungen übers Kreuz. Von Halle 2 kann man auch nicht direkt zur Halle 3 und umgekehrt. Deshalb ist es in diesem Trakt hier ruhiger – die Konzentration liegt auf Nummer 4 und Nummer 3, von der wir übrigens herkommen.»

Sakura verstand. Sie hatte die Anordnung der Hallen in den letzten Tagen ausreichend studiert, um die Nummern richtig zuordnen zu können.

Er lauschte nun wieder an der Tür.

«Yohei», flüsterte sie. «Was auch immer passiert, ich möchte wirklich, dass du weisst, wie dankbar ich dir für das hier bin.»

Er reagierte erst nicht. «Dank mir besser nicht zu früh», meinte er dann.

«Es spielt keine Rolle, ob wir es schaffen oder nicht. Ich bin dir schon jetzt dankbar.»

«Ich habe nichts mehr zu verlieren, Sakura. Und vielleicht kann ich zumindest noch etwas richtig machen, bevor es zu Ende ist.»

Sakura wollte etwas erwidern, doch er kam ihr zuvor. «Komm besser auf keine falschen Gedanken. Ich gehöre weder zu deiner Seite, noch zu den Riots. Die Riots waren nur einer der Orte, an denen ich verweilt bin.» Er sagte diese Worte nicht in ihre Richtung, das konnte sie in der Dunkelheit ausmachen. «Mir ist bewusst, dass es nur ein schmaler Grat zwischen Gut und Böse ist und ich wandelte mein ganzes Leben irgendwo dazwischen. Dass ich dir helfen will, heisst nicht, dass ich die Kurama Foxes unterstütze. Dich hier rauszubringen, halte ich lediglich für richtig. Ganz losgelöst von Zugehörigkeiten.»

Sakura liess diese Worte auf sich wirken. Yohei machte sein eigenes Ding. Damals, als er im Toad’s aufgetaucht war oder bei ihrem Zusammentreffen vor dem Konoha City Hospital, hatte er immer auf seine ganze eigene Weise gehandelt. Er tat, was er wollte und Crow hatte ihn immer gewähren lassen, da Yohei ein unverzichtbares Mitglied seiner Gang war. Sie erinnerte sich an Rockets Äusserungen von vorhin, als er meinte, Yohei spiele sich wegen seiner Kohle auf. Seine Gangmitglieder merkten, dass er anders war, dass für ihn andere Regeln galten und sie gaben Yoheis Geld die Schuld. Wobei sich Sakura wirklich fragte, ob Yohei überhaupt noch Zugang zu Geld hatte, denn schlussendlich war die Beziehung zu seinem Vater nicht mehr die beste.

Für Sakura waren die Kurama Foxes ein zu Hause. Und für Yohei waren die Riots lediglich der Ort, an dem er verweilte. Ganz unwillkürlich fragt sie sich, ob er nicht auch nach einem zu Hause suchte.

«Wenn wir hier raus sind…», begann sie, «werde ich dafür sorgen, dass alle wissen, was du getan hast. Und dass du ein guter Kerl bist.»

«Ich habe nicht die Absicht, hier rauszukommen», sagte er ruhig.

Sakura wollte etwas erwidern, doch ehe sie es sich versah, war er durch die Tür in den Raum hinausgeschlüpft. Sie folgte ihm, ohne seine Worte für sich sinnvoll anordnen zu können.

Durch ein Gitter in der Decke, ganz links wandseitig, fiel Licht in den Raum. Eine Bodenluke, wie jene, durch die Sakura überhaupt erst in die Kellergewölbe der Hallen gekommen war, nur war das Gitter noch intakt. Das Licht war eine Mischung aus weissem Mondlicht und schwachem Gold, das vermutlich von den Scheinwerfern ausserhalb des Geländes herrührte. Sie waren nicht mehr weit vom Ausgang entfernt, doch er zog sie in Richtung Tür.

«Yohei, sollten wir nicht…»

Er legte ganz einfach einen Finger an die Lippen und signalisierte ihr damit, sofort die Klappe zu halten. Sakura hätte sich selbst ohrfeigen können – sie konnten ja schlecht durch das Gitter steigen, wie also hätten sie aus dem Raum direkt hinauskommen sollen?

Sie traten auf den Gang hinaus. Es brannte auch hier schummriges Licht, zu sehen oder zu hören war allerdings nichts und niemand. Tomcat führte sie den Gang entlang, immer noch genauso zielsicher wie zu Beginn ihrer Flucht.

Auf einmal drangen Stimmen an sie heran. Geistesgegenwärtig zog Tomcat sie hinter einen Stapel Kisten, ein besseres Versteck hatten sie hier nicht. Keine Räume, keine Bodenluken.

Sakura lauschte und musste sich alle Mühe geben, ihre Atmung zu beruhigen. Wenn diese Leute in ihre Richtung kamen, dann waren sie Geschichte. Die Kisten gaben nur in eine Richtung Sichtschutz. Es war unmöglich, nicht entdeckt zu werden, wenn die Riots den Gang passierten.

Zu ihrer vorübergehenden Erleichterung schienen die Leute an Ort und Stelle zu bleiben. Als ob sie auf etwas warteten. Oder auf jemanden.

Tomcat signalisierte ihr, in der Hocke zu bleiben und still zu sein. Denn geradeaus direkt in die Arme ihrer Feinde zu laufen, war doch eine denkbar schlechte Idee.

«Wir gehen zurück.»

Auf leisen Sohlen und geduckt im Schutz der Kiste schlichen sie in die Kammer zurück, aus der sie gekommen waren.

«Es gibt keinen anderen Weg raus», flüsterte er. «Wir müssten durch die Tunnel zu Halle 2. Und mit Sicherheit sind auch dort Wachen am Kellerausgang postiert.»

Sakura sah die Pistole, die in seiner Hand ruhte. Und ihr entging auch nicht, dass sich sein Griff fester um die Waffe schloss, als er ihr das erklärte.

Tomcat lauschte in den Gang hinein. «Es sind mindestens drei.»

Sein Blick wurde noch ernster. «Wenn ich da rausgehe, knallen sie mich vermutlich ziemlich schnell ab. Wir müssen sie also irgendwie überraschen können, damit ich sie aus dem Hinterhalt erledigen kann.»

Sakura kam eine Idee und sie wusste dabei nicht so recht, ob sie durch all die Strapazen der vergangenen Stunden langsam den Verstand verlor.

«Ich kann sie auf mich aufmerksam machen. Ich lasse sie glauben, dass ich von dir wegrenne und dabei ganz per Zufall in ihr Blickfeld laufe.» Sakura wies auf den Raum, in dem sie sich befanden. Sie befanden sich hier in der Ecke, in der sich der Verlauf des Gangs nach rechts bog. «Du bleibst hier. Ich werde sie glauben lassen, dass ich um die Ecke gebogen komme, sodass sie keine Zeit damit verschwenden werden, die Kammer hier zu prüfen. Einige von ihnen werden dich suchen gehen, andere werden auf mich aufpassen und weiter die Tür bewachen. In diesem Moment werden auch die Türwächter abgelenkt sein, weil sie dich nicht in der Nähe wähnen. Und dann schlägst du zu.»

Tomcat überlegte sich gut, ob dieser Plan für ihr Ziel geeignet war. Im Endeffekt meinte er aber: «Wir haben keine andere Wahl. Wenn wir uns irgendwo verstecken, dann werden sie uns sowieso früher oder später finden.»

Er fixierte sie mit seinem Blick. «Du weisst aber, dass es ein grosses Risiko ist? Ich glaube zwar, dass sie dich am Leben lassen werden, aber ich kann dir nichts garantieren. Vielleicht werden sie es auch jemand anderem überlassen, mich zu suchen.»

«Das glaube ich nicht. Man sucht dich und dein Tod wäre eine Trophäe für jeden, der dich kriegt. Wenn du da rausspazierst, dann werden sie dich ziemlich sicher töten, nachdem du Crows Plan vereitelt hast. Mich hingegen, können sie vielleicht noch gebrauchen.»

«Sie werden nicht nett zu dir sein.»

«Ich weiss.»

«Eigentlich widerstrebt mir die Idee.»

«Wie du bereits gesagt hast, welche Wahl haben wir denn?»

Er musterte sie. «Ich habe dich unterschätzt. All die Zeit.»

Sakura lächelte ein wenig, was angesichts ihrer Situation denkbar unpassend war. Doch das Adrenalin in ihrem Körper liess sie nicht daran denken, was alles schiefgehen konnte. Ihr Ziel, hier rauszukommen, ihrer Gang zu sagen, dass sie in Sicherheit war, überschattete im Moment alles.

Natürlich hatte sie Angst. Aber die hatte sie seit Stunden. Und die Angst alleine würde sie nicht weiterbringen. Denn in dieser ganzen Sache ging es nicht nur um sie.

 

22:23 Uhr, Kellergewölbe Halle 3

 

Naruto schwante natürlich Böses als Crow ihn mit Hinata an eine der Deckensäulen ketten liess. Seine Lakaien wickelten die Ketten um ihre Handgelenke, dann die Unterarme und zogen so heftig an, dass das Metall kalt in die Haut einschnitt. Gesetztenfalls, sie kamen hier lebendig raus, würden ihnen bis dann wohl beide Arme abgestorben sein.

«Es wird alles gut, Hana», redete Hinata beruhigend auf ihre Schwester ein, die am ganzen Körper zitterte,

Naruto hasste es, hier sitzen zu müssen und Crow mit diesem selbstgefälligen Blick auf sich herabsehen zu lassen. Seine Wut liess er Crow aber nicht merken – gegen aussen musste er unbedingt die Ruhe selbst sein.

«Was hast du mit Hana vor?», fragte Hinata und ihr gelang es nicht ganz, die Verzweiflung in ihrer Stimme zu unterdrücken.

«Etwas Besseres, als ich mit euch vorhabe, keine Sorge. Wie ihr wisst, läuft diese Nacht hier unter dem Motto 'Chaos', oder auch 'Rebellion'. Es geht darum ein Zeichen zu setzen. Moralisch ist das vielleicht aus eurer Sicht nicht vertretbar, aber in unserem Fall sehen wir es so, dass der Zweck die Mittel heiligt.» Er wandte sich direkt an Naruto. «Dich konnte ich nie leiden, das weisst du. Ich bin der Meinung, dass die Welt dein heuchlerisches Gerede von Gemeinschaft und Unterstützung nicht braucht. Denn eigentlich bist du auch nur ein verdammter Bastard, der aufgestiegen ist und nun zur Elite der Unterschicht gehört.» Er drehte sich nach rechts zu Hinata. «Und du… nun, ich muss sagen, dass mich dein Verrat doch mehr trifft, als ich erst gedacht habe. Nicht, dass ich geglaubt habe, du wärst gerne eine Riot. Du hast dich sehr verändert in der Zeit, als du bei uns warst und wenn du mich fragst, dann hättest du mehr Potenzial gehabt als Big Fox es dir zugetraut hat.» Er zuckte mit den Schultern. «Schade um dich. Aber mit Verlusten muss man rechnen.»

Er wandte sich an das Mädchen, das Missy genannt wurde und nickte ihr zu. Missy führte die zitternde Hanabi, die vor lauter Schock kein Wort herausbrachte, in Richtung der Gänge.

«Alles wird gut.» Hinatas Worte waren inzwischen nur noch ein Flüstern.

«Wo bringst du sie hin Crow?!», frage nun Naruto an ihrer Stelle und seine Aggression war dabei nur noch schwer zu unterdrücken.

«Glaub mir, du kannst froh sein, dass ich sie von hier wegschaffe.»

Just in dem Moment hörte Naruto ein seltsames Gluckern hinter sich. Was er sah,als er den Kopf drehte, liess ihm das Blut in den Adern gefrieren. Denn Crow hatte wieder einmal einen anderen Plan, als er vermutet hatte.

«Bist du jetzt total durchgeknallt?!», schoss es aus ihm hervor.

«In deinen Augen sowieso.» Er lächelte und schnappte sich ebenfalls einen der Kanister, und goss den verdächtig nach Benzin riechenden Inhalt über den Boden, vorsichtig darauf bedacht, ihn und Hinata nicht in Kontakt mit dem Zeug kommen zu lassen.

«Wir sind in einem Betonkeller», sagte Naruto. «Ausser den Kisten wird hier nichts brennen. Oder zumindest nicht lange.» Natürlich wusste er, dass der Rauch sie in diesem geschlossenen Raum ohne Lüftungsmöglichkeit innert kurzer Zeit ersticken lassen würde, aber er wollte nichts unversucht lassen, um Crow irgendwie dazu zu bringen, da nicht zu tun.

In seinem Augenwinkel goss einer der Riots Benzin über den Holzkistenstapel, der sofort in Flammen aufgehen würde, sobald man ihn anzündete.

«Keine Sorge, ich werde da oben auch noch ein wenig Feuer machen.» Er zuckte erneut mit den Schultern. «Das Bild eines Infernos soll jeden an diese Nacht erinnern.»

«Ayato, ich bitte dich!», rief Hinata, nicht weniger geschockt und trotzdem an seine Vernunft appellierend. «Noch kannst du den Schaden eindämmen! Noch kannst du dafür sorgen, dass in dieser Nacht weder ihr noch wir sterben müssen!»

«Hinata, es ist jetzt gut. Weisst du, wenn ich das hier abbreche, dann kommt nur ihr gut weg. Wir werden auf Ewigkeiten hinter Gittern gesperrt werden, wo man uns aus den Augen und aus dem Sinn hat. Und dann wird sich in Konoha nichts ändern. Aber so? So sind wir die Rebellen, die willens in Flammen aufgegangen sind. Wie sagt man? Going down with guns blazing? Du verstehst schon. Ein Symbol, ein Anstoss für jene, die in dieser Stadt unterdrückt werden. Sie sind es, die inspiriert werden sollen, um weiterzuführen, was angefangen wurde. Und ich werde alles tun, was in meiner Macht steht, damit das passiert.»

Naruto fehlten wirklich die Worte. Und er sah ein, dass mit Crow nicht zu reden war. Hinata erging es gleich.

«Ich hoffe, du wirst dich an uns erinnern, wenn du heute Nacht stirbst», sagte sie leise, doch mit einer bedrohlichen Wut in ihrer Stimme, die Naruto gar nicht von ihm kannte. «Und dann sehen wir uns auf der anderen Seite wieder. Ich verspreche dir, das wird nicht schön.»

Naruto erwartete als Gegenreaktion einen lockeren Spruch von Crow, doch stattdessen sah er sie nur an, fast schon respektvoll. «Ich kann es kaum erwarten.»

Crows Lakaien hatten das Werk vollendet und verliessen nun über die Treppe den niedrigeren Lagerboden und er ging ihnen hinterher. Sie schlossen die Türen zu den Gängen und verschwanden dann durch die letzte aus dem Raum. Nur Crow begab er sich an die Stelle des Geländers, wo er den Kistenstapel am besten erreichen konnte. Er zückte eine Schachtel Streichhölzer und zündete eines an. In einem Bogen warf er es auf den Kistenstapel und gleich noch ein zweites. Das Feuer loderte sofort auf.

«Wir sehen uns», sagte er und drückte noch den Lichtschalter, bevor er den Raum verliess. Naruto wünschte sich, sie wären jetzt tatsächlich im Dunkeln, doch stattdessen züngelten neben ihnen helle Flammen empor und verbreiteten sich viel zu schnell auf dem Kistenstapel, sodass gleich auch das Benzin auf dem Boden Feuer fing.

Crow hatte sie nicht verbrennen lassen wollen, ansonsten hätte er sie auch gleich im Benzin baden lassen. Ob Ersticken besser war, konnte Naruto in dieser Situation nun wirklich nicht beurteilen. Aber das war jetzt auch egal.

Die beiden begannen damit, an ihren Ketten zu ziehen, die sich nur schmerzhaft in ihr Fleisch bohrten, anstatt sich zu lösen. In ihrer Reichweite gab es nichts, was sie von diesen Metallketten hätte loskriegen können und noch dazu waren ihre Arme so gut fixiert, dass sie sich kaum bewegen konnten.

Langsam aber sicher wurde es heiss und der Rauch verteilte sich im Raum. Noch war genug Sauerstoff da, doch das würde nicht mehr lange der Fall sein.

«Es tut mir so leid», presste Hinata zwischen zwei verzweifelten Atemzügen hervor. «Es ist alles meine Schuld.»

Naruto schüttelte den Kopf und startete einen weiteren, aussichtslosen versuch, seine Arme aus den Ketten zu befreien. «Der Einzige, der hier Schuld hat, ist dieser Psychopath da oben!»

Naruto verspürte Panik, die er so gut wie möglich zu unterdrücken versuchte. Er war so verdammt wütend auf Crow und gleichzeitig so hilflos. Er konnte nichts tun und musste jetzt wehrlos darauf warten, dass sie beide an dem Rauch erstickten.

 

22:35 Uhr, Kellergewölbe, erstes Untergeschoss Halle 1

 

Sakura Zuversicht schwand von Minute zu Minute, als das Adrenalin endlich wieder ein paar klare Gedanken in ihrem Kopf zuliess. Ihre Idee war total hirnrissig und konnte viel zu leicht nach Hinten losgehen. Was hatte sie sich nur dabei gedacht?

Yohei hatte seinen Rucksack wieder an sich genommen und war nun auf Position. Sakura wusste, dass sie gleich den Auftritt ihres Lebens hinlegen musste, damit diese Aktion hier den Erfolg hatte, den sie sich versprach. Die Chancen waren verschwindend klein. Und dennoch mussten sie aus diesem Keller raus und welche andere Chance hatten sie denn? Um zu prüfen, ob die anderen Ausgänge auch bewacht waren, mussten sie zurück in die Verbindungsgänge des zweiten Untergeschosses, wo sie auch nur mit Mühe und Not unentdeckt rausgekommen waren. Nein, der einzige Ausweg war der direkt vor ihnen, mit den entsprechenden Hindernissen im Weg.

Wenn diese Aktion gelang, dann würde das Leben kosten. Yohei hatte die Pistole bereit und würde auf ihre Gegner schiessen. Der Teil ihres Plans widerstrebte  ihr  in ihrem Innersten doch der Gedanke an ihr eigenes Schicksal, sofern sie entdeckt würden, half ihr ein bisschen, das irgendwie einzuordnen.

Sie suchte Tomcats Blick durch den Türspalt. Er beobachtete sie genau und in seinem Blick lag nur eine, aber sehr bedeutende Frage: Schaffst du das?

Sie musste einfach. Sie hatten das besprochen, sich das Ganze so gut wie möglich in einer Hauruckaktion zurechtgelegt. Aber im Endeffekt war alles nur Improvisation.

Einmal tief durchatmen. Dann bewegte sie sich langsam von der Tür weg und brachte Distanz zwischen sich und die Riots, damit ihre Flucht glaubhaft wirkte und ihre Schritte schon von Weitem zu hören waren.

Du bist in Panik. Tomcat hat dir Schreckliches angetan. Du stehst dermassen unter Schock, dass du nicht mehr an die anderen Gefahren hier denkst, weil dein Peiniger hinter dir her ist und nichts schlimmer ist als das. Und deshalb rennst du, ohne darüber nachzudenken, in deine Feinde hinein.

Sie hatte bis auf Schultheater nicht das kleinste bisschen Erfahrung mit Schauspielerei. Und trotzdem versuchte sie, all ihre Verzweiflung, ihre Angst und ihre Sehnsucht nach einem sicheren Hafen zu kanalisieren. Alles Gefühle, die sie in vergangener Zeit zur Genüge erlebt hatte. Und dann rannte sie los.

Ihre Schritte hallten viel zu laut an den kahlen Wänden des Kellers wider. Und obwohl sie wusste, dass es so sein musste, kämpfte sie gegen den Drang an, sofort umzukehren. Sie musste ihre schwere Atmung nicht einmal imitieren, denn ihre Panik liess sie schon nach wenigen Schritten keuchen. Vor ihr kam die Abzweigung mit der Kammer in Sicht, wo sich Yohei versteckt hielt. Sie behielt ihren Blick von ihm abgewandt und versuchte voll konzentriert bei ihrer Mission zu bleiben.

Sie bog ab und vor ihr kam der Gang in Sicht, an dessen Ende ihre Widersacher, aber auch der Ausgang wartete. Die Riots waren natürlich bereits auf die Geräusche aufmerksam geworden und zu ihrem Entsetzen waren auch bereits Gewehrläufe auf sie gerichtet. Damit hatte sie gerechnet, doch in vollem Tempo auf sie zu rennen zu müssen war dann doch zu viel des Guten.

«Stehen bleiben!», blaffte einer der Riots.

«Nicht schiessen, verdammt! Genau auf die haben wir gewartet!», bellte ein anderer.

Sakura kam langsam zu stehen und nun spielte sie ihre Rolle nur noch teilweise, denn ihre Angst hatte komplett Überhand gewonnen.

«Nicht schiessen, bitte», sagte sie weinerlich, mit aufgerissenen Augen und zitterndem Körper. «Ich… ich…», nun fiel sie auf die Knie, um möglichst unterwürfig und schwach zu wirken.

«Reiss dich zusammen und red deutlich!», sagte ein grosser Blonder, der nun auf sie zukam. Viel zu schnell war er bei ihr, hatte sie an der Schulter gepackt und sie hochgerissen. Er schob sie grob zurück in Richtung seiner Leute, die immer noch auf sie zielten.

«Und, wo ist er, der Bastard?!», fragte er laut und gab ihr bei diesen Worten einen groben Schubs, der sie wieder auf die Knie fallen liess.

Sakura hob einen Arm und zeigte in Richtung des Ganges. «Unten…», stiess sie hervor. «Wir sind durch… den Gang des…», sie nahm einen panischen Atemzug, der nun doch wieder mehr Theater als echte Reaktion war.

«Verdammt, krieg dich ein!», maulte nun ein Mädchen, das sie abschätzig von oben herab ansah.

«Durch den Aufgang im Heizungskeller. Er ist mir gefolgt, aber ich weiss nicht, wie weit…»

«Dahlia, Xen, ihr holt euch Tomcat! Und ich bring Cherry Blossom zum Boss. Der wird sich freuen.»

Dahlia und Xen liefen sofort los, und kurz darauf ertönte der erste Schuss. Xen ging zu Boden, doch Dahlias Reflexe waren die einer Wildkatze und sie sprang blitzschnell hinter die Kisten, die zuvor noch Sakura und Yohei Schutz geboten hatten. Die Kugel verfehlte, bohrte sich in die Wand.

Der Blonde verstand schnell und zog sie wie ein Schutzschild vor sich. Sakura zuckte zusammen, als sie den kalten Lauf einer Pistole an ihrer Schläfe spürte. Jegliche Hoffnung, die sie bis jetzt noch gehegt hatte, verpuffte mit einem Schlag.

Der Blonde schien nicht sicher zu sein, was er von der Situation halten sollte. Er schien nicht zu wissen, ob Sakura mit Tomcat unter einer Decke steckte, oder ob Tomcat sie immer noch gejagt hatte und durch einen anderen Aufgang ins erste Untergeschoss eingedrungen war.

«Komm raus und zeig dich, du dreckiger Bastard, oder ich jage der Kleinen eine Kugel in den Kopf.»

Und trotz der Todesangst, die die Pistole an ihrer Schläfe verursachte, wusste sie sofort, was zu tun war. Der Blonde war unsicher. Dann mussten sie ihm helfen, sicher zu werden.

«Nein», schrie sie. «Geh weg!» Sie versuchte, ein wenig Wiederstand zu leisten, gerade so, dass er nicht in Versuchung kommen würde, abzudrücken. Er wäre zwar dumm, wenn er das täte, aber ausschliessen wollte sie es unter keinen Umständen.

«Halt still!»

«Bitte, er soll wegbleiben! Ich mache alles, aber er soll nicht hierherkommen!»

«Finger weg, Arrow. Die gehört mir.», hörte sie auf einmal Yohei, ganz in seiner Rolle als Tomcat. Er stieg über den bewegungslosen Körper von Xen hinweg und blieb dann stehen.

Sakura suchte seinen Blick und als sie ihn fand, jagte er ihr ein kalter Schauer über den Rücken. Es war dieser eine Blick, der ihr bereits im Toad’s und vor dem Konoha City Hospital zu Teil geworden war. Er war Tomcat, der Unberechenbare.

«Du spielst immer nur dein bescheuertes Spiel und Crow war zu blind, um es zu merken. Ich habe es gewusst.»

«Und du wärst gerne selber Leader, was Arrow? Zu dumm, dass Cracker der inoffizielle Vize ist und nicht du.»

«Spielt alles keine Rolle mehr. Nach heute Nacht spielt vieles keine Rolle mehr», war Arrows Antwort.

«Ist mir egal. Gib mir Cherry Blossom.»

«Ich darf dich daran erinnern, dass ich ihr eine Kugel Blei in den Kopf jage, wenn du jetzt nicht stehen bleibst. Also bin ich wohl derjenige, der Forderungen stellen kann. Wirf die Waffe weg.»

Arrow schien ihnen ihre Lüge tatsächlich abzukaufen. Das gab Sakura neuen Schwung. Noch war nichts verloren.

Tomcat sicherte die Pistole und warf sie nach hinten, möglichst weit von Dahlia weg.

Diese war inzwischen hinter ihrer Kiste hervorgekrochen. Sakura konnte ihr Gesicht nicht sehen, da ihr Blick auf Xens Körper und Yohei gerichtet waren.

«Ich dachte immer, du wärst einer von uns, trotz deiner dummen Spiele. Aber jetzt weiss ich, dass du total durchgeknallt bist.»

Sie machte einige Schritte rückwärts und liess Yohei dabei nicht aus den Augen.

«Komm her, Tomcat», befahl nun Arrow. «Und du Dahlia, gib Rocket Bescheid, dass wir sie haben.»

Dahlia zückte ein altes Handy aus ihrer Hosentasche und suchte nach einer Nummer in ihrer Kontaktliste.

Sakura überlegte fieberhaft, wie sie sich und Yohei aus dieser Situation herausmanövrieren konnte. Eines war sicher: Sie musste das Schauspiel aufrechterhalten.

Yohei kam nun langsam auf sie zu und Sakura spannte bewusst ihre Muskeln an. «Bitte nicht… bitte lass ihn nicht zu mir…»

Nun liefen ihr Tränen über die Wangen. Und was aussah wie Tränen der Furcht vor Tomcat, waren Tränen der Verzweiflung und der Wut auf die gesamte Situation.

«Was zur Hölle hast du mit der Kleinen gemacht, Tomcat?» In Arrows Stimme lag kein Spott, sondern ein gewisser Ekel, der sich auf Tomcat bezog. Das war ein gutes Zeichen. Sollte er sie für ein wehrloses Opfer halten. Und sie merkte, dass sich sein Griff tatsächlich ein wenig lockerte – er wurde unvorsichtiger.

«Sie wird mir noch danken dafür», sagte Yohei ganz ungerührt und machte seinen Job dabei wirklich fantastisch. Sakura hätte ihm diese Maskerade beinahe selber abgekauft.

«Crow hat schon Recht mit dem, was wer sagt. Die Leute der Elite sind die dreckigsten von allen.» Arrow schüttelte den Kopf.

Dahlia hatte ihr Gewehr gezückt und wartete darauf, Tomcat in Gewahrsam nehmen zu können. Sakuras Blick suchte indes den von Yohei. Der Blick sollte ihn warnen. Und gerade, als Yohei auf Dahlias Höhe angekommen war, schoss Sakuras Arm reflexartig nach oben und riss die Waffe von ihrem Kopf weg. Gerade noch rechtzeitig, denn Arrow drückte ab, doch die Kugel grub sich in die gegenüberliegende Wand. Sie rammte ihm ihren Ellbogen in die Magengrube und ehe er es sich versah, hatte Sakura das Überraschungsmoment für sich genutzt und sich aus seinem Griff befreit. In einem schnellen Schritt war sie hinter ihn getreten, sprang nun auf seinen Rücken und packte den Arm mit der Pistole, damit er diese nicht gegen sie wenden konnte. In ihrem Kopf rauschte es nur noch und ihr Körper übernahm vollständig die Führung.

Im Augenwinkel sah sie, dass ihr Manöver funktioniert hatte, denn Tomcat rang auch mit Dahlia, die jedoch ziemlich flink und kräftig zu sein schien.

Arrow schaffte es, sie zu packen und sie von sich runter zu reissen, sodass sie hart auf dem Boden aufschlug. Ihr Kopf brummte dumpf und für einen Moment sah sie nur schwarz. Doch der Schmerz war für den Augenblick kaum spürbar und blitzschnell war sie sie wieder auf den Beinen. Er drückte noch einmal ab und verfehlte, denn die Pistole nützte ihm im Nahkampf nicht viel, aber das war ihm bewusst. Bevor sie überhaupt wieder denken konnte, wurde sie von ihm zu Boden gerissen. Er schlug ihr ohne zu zögern mehrmals mit der Faust ins Gesicht und riss sie dann wieder hoch.

Sakura wehrte sich mit all ihrer Kraft, doch er war ihr rein körperlich überlegen. Sie dachte an die Ahle in der Tasche ihres Kombis, doch die war für den Moment ausser ihrer Reichweite.

«Beinahe, wäre ich auf dein kleines Theater reingefallen, du dreckige Kurama!», keuchte er. Sakura trat ihm in einem günstigen Moment mit voller Wucht gegen sein Schienbein, was ihn aufjaulen liess und ihr die Möglichkeit verschaffte, erneut aus seinem Griff zu entkommen.

«Du bist hartnäckig, was?»

Sie wich ihm aus, als er nach ihr schlug und warf sich mit voller Kraft gegen seinen Rücken. Er taumelte, fiel zu Boden, doch dann war da wieder der Pistolenlauf. Und dieses Mal war sie nicht schnell genug. Ihr Bein explodierte beinahe vor Schmerz, als sich die Kugel ihr Fleisch bohrte, und die Wucht des Geschosses kostete sie ihre Balance.

Sakura schrie vor lauter Schmerz und als sie realisierte, was passiert war, verstand sie auch, dass sie gegen Arrow in diesem Zustand keine Chance mehr hatte. Ihr verzweifelter Versuch, aufzustehen, scheiterte an einem rechten Bein, dass sie nicht mehr belasten konnte, ohne vor Schmerz nur noch Sternchen zu sehen. Blut sickerte durch den Stoff ihres Overalls.

Arrow lachte. «Crow braucht dich nicht um jeden Preis, Cherry Blossom. Und ich habe genug. So hat es sich ausgefuchst. »

Sakura blickte erneut in das schwarze Loch des Pistolenlaufes und wusste, dass es nun aus war. Sie schloss die Augen, Tränen rannen über ihre Wangen und sie wünschte sich, dass es schnell vorbei sein würde.

Ein Klicken liess sie zusammenzucken, bis sie realisierte, dass er keine Kugeln mehr hatte.

Arrow fluchte, doch er reagierte schnell. Ein Messer blitzte im kalten Neonlicht des Raumes auf und mit einem Satz war er bei ihr. Sakura versuchte in ihrer schwachen Position auszuweichen und hob instinktiv den Arm. Das Messer bohrte sich durch ihren linken Oberarm und sie schrie erneut auf. Ihr Blut tropfte warm auf ihr Gesicht und sie sah nur noch schwarze Flecken vor den Augen. Ihr ganzer Körper rebellierte in einem übermannenden Schwall an Schmerz, ihr Atem ging schnell und panisch. Sie wartete auf den Stich in die Brust, denn sie konnte Arrow nicht mehr sehen.

Stattdessen hörte sie ein lautes Knurren und das Geräusch eines Kampfes. Sie versuchte, das Messer in ihrem Arm zu ertasten, nur um zu merken, dass er es wieder rausgezogen hatte. Ihre Hände waren voller Blut.

Sie versuchte, sich zu ordnen, doch ihr Blick wurde nur langsam wieder klarer. Da drüben waren Tomcat und Arrow, beide bluteten und lieferten sich einen Faustkampf. Sie versuchte, sich mit dem rechten, unversehrten Arm, abzustützen und ertastete etwas Kaltes – die Ahle. Sie war ihr aus der Tasche gefallen.

In ihr kam erneut Energie auf, vermutlich die allerletzten Reserven, die sie noch hatte. Sie konnte einen Aufschrei mit Mühe unterdrücken, als sie wackelig aufstand und dabei so gut wie möglich das rechte Bein zu entlasten versuchte. Wieder sah sie nur Sternchen, doch als sie einmal stand und kein Gewicht mehr auf das verletzte Bein geben musste, war es auszuhalten. Mit dem Messer in der Hand humpelte sie auf die kämpfenden und daher abgelenkten Männer zu und holte aus. Arrow entdeckte sie in letzter Sekunde und wich aus, doch sie erwischte ihn am Rücken – eine lange Kratzwunde, durch die sich sein Shirt rot verfärbte. Er packte sie laut brüllend und warf sie mit aller Kraft gegen einen Haufen Schutt, vermutlich altes Holz und Metall, der ihren Rücken selbst durch den Overall aufzuschrammen vermochte. Es war ihr unmöglich, wieder auf die Beine zu kommen, da die Schwäche und der Schmerz übernahmen und sie das Gefühl für ihren Körper verlor.

Tomcat hatte den Moment genutzt, um Arrow wieder zu attackieren. Sakura sah, dass Tomcat aus Mund und Nase blutete, dass seine Arme aufgeschürft waren und er böse humpelte. Etwas weiter hinten im Gang lag Dahlia, reglos.

Er war verwundet, mehr als Arrow. Das sah nicht gut aus.

Sie prügelten sich, Tomcat versuchte mit all seiner Kraft, gegen ihn anzukommen, aber er war kein Kämpfertyp. Ganz im Gegensatz zu Arrow, der wieder sein Messer in der Hand hielt, das ihm im Kampf mit Tomcat vorhin irgendwie abhandengekommen war.

Sakura rutschte auf ihren Knien in ihre Richtung, in ihrem Kopf dröhnte es und alles verschwamm vor ihren Augen. Doch ihr Ziel hatte sie vor sich.

Und als Arrow das Messer an Tomcats Kehle hielt und ihm ein Ende setzen wollte, dachte er nicht mehr an Sakura. In einem letzten Schub aus Adrenalin, mit einem schmerzerfüllten Schrei, warf sie sich auf Arrow stiess ihm die Ahle in den Rücken. Nun war es Arrow, der aufschrie und Tomcat, der ihn von sich warf. Er griff nach Dahlias Gewehr, welches nur etwa drei Schritte entfernt im Gang lag und dann tötete er Arrow mit einem Schuss in die Brust.

Und als der Schuss von den Wänden verhallt war, hörte man nicht mehr ausser Yohei Murakamis erschöpftem Keuchen und Sakura Harunos ersticktem Schluchzen.

 

22:33 Uhr unter und neben Halle 4

 

Pain war mit seinen Leuten dabei, das erste Untergeschoss von Halle 4 zu sichern. Die Riots hatten sich wacker geschlagen, das musste er dann doch zugeben. Gerade eben hatte Konan einen der Eingänge ins zweite Untergeschoss entdeckt, als ihm aus genau dieser Falltür ein Kurama entgegenkam. Er blutete und sah aus, als hätte er einiges durchgemacht, um bis zu ihnen vorzudringen.

«Pain!», rief er. «Hör zu… es geht um Big Fox.»

 

Shikamaru starrte gebannt auf den Bildschirm. Hatake hatte ihn soeben verständigt, dass der Livestream fortgeführt wurde. Wie zur Hölle auch immer er es geschafft hatte, aber da, neben Crow im schummrigen Licht eines Kellers, stand Hanabi. In seinem Kopf legten sich sofort einige Theorien zurecht, doch wie es dazu gekommen war, dass Hinatas kleine Schwester da unten war, war eigentlich nicht relevant. Zumindest nicht jetzt.

Und wo waren Naruto, Hinata und Sasuke?

«Wie ihr seht, habe ich immer noch jemanden bei mir, der mir Gesellschaft leistet. Also ich warne euch – wenn die Polizei eingreift, ist das kleine Mädchen Geschichte. Wäre doch sehr schade um sie, nicht wahr?»

Er sprach nun direkt zu den Gangs, was darauf hinweisen liess, dass er seinen Fehler bemerkt hatte und sich nun hüten würde, im Stream irgendetwas zu verraten, was er nicht verraten wollte.

«Was eure Leader und die kleine Hinata angeht… nun ihr könnt beruhigt sein, denn sie sind vereint. Vermutlich auf ewig.»

Shikamaru lief ein kalter Schauer über den Rücken, als er das hörte. Es könnte alles Mögliche bedeuten. Es könnte sie in die Irre führen. Es könnte aber auch die Wahrheit sein und den Tod der beiden bedeuten.

«Das hier ist ein Aufschrei der Unterdrückten», sagte Crow und Shikamaru spürte seine Wut durch den Livestream hindurch. «Konoha, du wirst diese Nacht niemals vergessen.»

Er lächelte jetzt leicht. «Und ihr Gangs: Lasst euch eines gesagt sein.» Shikamaru vermeinte, so etwas wie Wahnsinn in seiner Stimme zu hören – zum ersten Mal. «Die Nacht ist noch nicht vorbei. Und ich verspreche euch, es wird eine heisse Angelegenheit werden!»

Feuer und Rauch

22:35 Uhr, Kellergewölbe Halle 3

 

Das Knistern der Flammen hatte fast eine beruhigende Wirkung auf ihn. Nachdem er und Hinata sich in dem aussichtslosen Befreiungsversuch die Arme wundgescheuert hatten, war ihre Wut und das Adrenalin in ihrem Blut einer seltsamen Ruhe gewichen. Vielleicht war es der Mangel an Sauerstoff, vielleicht die Tatsache, dass es aus ihrer Lage kein Entrinnen mehr gab. Und eigentlich war es auch egal.

Naruto hätte nicht geglaubt, dass es einmal so mit ihm enden würde. In einer Gang musste man mit dem Tod rechnen. Aber Tod durch Ersticken? Das hatte er sich dann doch anders vorgestellt. Dass er im Kampf starb, während er Seite an Seite mit seiner Gang kämpfte und er für sie alles opferte, so in dieser Art. Und jetzt? Es war etwas ironisch, dass er nun in einem schmutzigen Keller an eine Säule gefesselt war, während ihm der Geruch von Rauch und Benzin in die Nase stieg und das vermutlich das Letzte war, was er jemals einatmen würde. Keine Möglichkeit, irgendetwas beeinflussen zu können, was passierte.

Und doch wusste er, dass sein Tod eine Bedeutung haben würde. Nicht jene, die er sich ursprünglich ausgemalt hatte. Aber eine ganz andere, mit der er nicht gerechnet hatte.

Was Hinata betraf, hatte er auf der ganzen Linie versagt. Als Gang-Leader und Freund. Sie hatte still vor sich hin gelitten und alles ertragen, was Crow ihr aufgebürdet hatte. Währenddessen hatten sie, die Kuramas und er, an ihr zu zweifeln begonnen. Ihr Schauspiel war überzeugend gewesen, doch eigentlich hätten sie es wissen müssen – wissen müssen, dass Hinata sie niemals aus freien Stücken verraten hätte. Und selbst als sie auf der Seite ihres Feindes gestanden hatte, war sie darauf fokussiert gewesen, ihre Gang so gut wie möglich zu schützen. Crow hätte sehr viel mehr Schaden anrichten können, hätte sie ihm alles gesagt, was sie wusste.

Und er? Er hatte gezweifelt, bis ihm ein kleines Kind die Leviten gelesen hatte. Es hatte einen Zeitpunkt gegeben, an dem er keine Möglichkeit mehr gesehen hatte, sie zu retten. Und Konohamaru hatte ihn vom Gegenteil überzeugt. Das Schlimme daran war, dass er zu diesem Zeitpunkt wirklich geglaubt hatte, dass sie sie verraten hatte. Sein Ziel war es gewesen, sie wieder auf den richtigen Weg zu bringen. Sein Vertrauen in sie war nicht stark genug gewesen. Und allein das war eine Schande. Er bereute auch seine Worte von heute. Als er ihr seine Zweifel ins Gesicht geworfen hatte, indem er vor allen ausgedrückt hatte, dass er nicht mehr sicher war, wo Hinata wirklich stand.

Ja, er hatte versagt. Und dass Hinata mehr als nur Freundschaft für ihn empfunden hatte, war ihm auch entgangen. Dabei wäre es offensichtlich gewesen, das erkannte er im Nachhinein auch. Aber er hatte wohl viel zu sehr in seinem eigenen Film gelebt.

Jetzt war ihm bewusst, was für eine beeindruckende Person Hinata Hyuuga war. Mit welcher Hingabe sie jene beschützen wollte, die ihr wichtig waren. Ihm war immer klar gewesen, dass sie ein wunderbarer Mensch war. Doch hatte er nie darüber nachgedacht, was er für sie empfand. Die Zeit, in der Hinata bei den Riots gewesen war, hatte ihn jedoch einiges über sich selber lernen lassen. Es war traurig und er sollte sich schämen dafür, aber erst durch diesen vermeintlichen Verrat hatte er sie erst richtig wahrzunehmen begonnen. Sie war nie die auffälligste Person gewesen und er hatte sie geschätzt, aber trotzdem war sie für ihn nicht mehr als nur ein Gangmitglied gewewsen. Und ihm war vollkommen bewusst, dass er sie damit verletzt hatte. Ja, vielleicht hätte sie ihn sogar um Hilfe gebeten, wenn er ihr signalisiert hätte, dass sie ihm nicht egal war. Vielleicht auch nicht. Es spielte keine Rolle, er hätte aufmerksamer sein müssen.

Naruto hatte sie im Stich gelassen. Aber wenigstens jetzt, in ihrer dunkelsten Stunde, war er da. Sie hatte nicht gewollt, dass er mit ihr zu Crow kam. Doch die Zeit, in der sie sich diesem kranken Typen alleine stellen musste, waren vorbei. Auch wenn sie sterben würden, hatte es für ihn etwas Tröstliches, sie bei sich zu wissen. Und er hoffte, dass es ihr auch so ging. Hoffte, dass er ihre verbleibende Zeit nutzen konnte, damit sie auch etwas Trost erfahren durfte.

Hinata neben ihm war ganz still geworden. Er konnte sich vorstellen, was in ihrem Kopf gerade alles passierte.

«Es tut mir auch leid, Hinata.» Sie hatte sich vorhin bei ihm entschuldigt, dabei war es gar nicht an ihr gewesen, sich zu entschuldigen.

Es schien, als habe er sie mit diesen Worten aus tiefen Gedanken gerissen. Sie brauchte einen Moment, bis sie antwortete. «Es gibt nichts, wofür du dich entschuldigen müsstest.»

Die Reue und Resignation in ihrer Stimme waren unüberhörbar.

«Doch. Ich weiss, dass ich in all der Zeit vor dieser ganzen Scheisse hier nicht wirklich… aufmerksam war. Ich lebte in einer Welt, in der es nur den ewigen Schlagabtausch zwischen Kuramas und Takas gab. Das war meine Priorität. Und alles andere, manchmal auch meine eigenen Leute, habe ich links liegen gelassen. Das war nicht gut.»

Hinata schüttelte ganz langsam den Kopf. «Das stimmt nicht. Du warst immer bemüht um deine Leute. Mehr als jeder andere Leader. In dieser Hinsicht konnte dir Itachi das Wasser nicht reichen. Und Sasuke auch nicht.»

Naruto hatte sich in vergangener Zeit nicht viel aus Frauen gemacht. Er hatte schlichtweg andere Dinge im Kopf gehabt. Und über Gefühle anderer zu reden, war für ihn eigentlich einfach. Aber über die eigenen… das war eine ganz andere Sache.

«Falls du jemals geglaubt hast, du seist mir egal… dann tut es mir wirklich leid. Du bist mir nicht egal. Warst es nie.»

Die Worte trafen Hinata unerwartet. Damit schien sie nicht gerechnet zu haben.

«Und ich will ehrlich zu dir sein… du warst für mich eine Kurama wie jede andere – ein wichtiger Teil der Gang, unentbehrlich. Aber mir wäre nicht im Traum in den Sinn gekommen, darüber nachzudenken, ob da vielleicht noch mehr ist.»

Der Rauch wurde langsam dichter. Naruto schwitzte, denn die Temperatur im Raum stieg stetig an. Auch auf Hinatas Gesicht glänzten Schweissperlen.

«Ich weiss, es ist reichlich spät… oder eben zu spät.» Er nahm all seinen Mut zusammen und sah sie bei diesen Worten an, während er bisher nur vor sich in die Leere gestarrt hatte.

«Aber ich habe durch die Ereignisse der letzten Zeit gesehen, was für eine aussergewöhnliche Person du bist. Nicht einfach eine Kurama. Sondern eine starke und unglaublich loyale Person, die alles daransetzt, dass es ihren Leuten gut geht. Ich weiss nicht, ob andere an deiner Stelle ausgehalten hätten, was du ausgehalten hast. Ob sie getan hätten, was du getan hast.»

Hinata hielt den Blick gesenkt, doch sie wirkte mehr als nur überrascht.

«Du sollst nur wissen, dass ich nicht mehr ganz so blind bin, wie noch vor einem halben Jahr.»

Eine Weile lang sagte sie nichts. Neben ihnen knisterten die Flammen, die Luft wurde zusehends heisser und der Rauch dichter. Ein Blick zur Seite und er sah, dass ihre Augen glänzten. Wenn er irgendetwas hätte tun können, um ihr die Angst vor dem zu nehmen, was ihnen bevorstand, hätte er es getan. Aber er konnte nicht, weil er selber Angst hatte.

Inzwischen kratzte sie der Rauch bei jedem Atemzug im Hals.

Hinata hustete leise. Und dann sagte sie endlich etwas. «Ich fühle mich schmutzig, Naruto. Als ob ich mich selber verkauft hätte. Ich habe immer meine Komfortzone gehabt, die ich nie verlassen habe. Ich wollte immer die unschuldige Hinata sein, denn so fühlte ich mich wohl. Und jetzt bin ich die Maulwurf-Hinata. Jene, die die Riots in ihren Taten unterstützt hat. Ich habe Riots rekrutiert, einige habe ich trainiert und in die Gang eingeführt. Ich war kalt zu ihnen, habe zugesehen, wie sie gelitten haben, wenn Leute wie Runch sie geplagt haben. Und in meinem Ziel, Crows Vertrauen zu gewinnen, habe ich alles zugelassen. Alles, was er wollte.»

Hinata schwitzte, aber Naruto sah deutlich, dass da auch Tränen waren, die im Licht der Flammen glänzten. «Ich habe mich selber aufgegeben. Mir meinen eigenen Wert abgesprochen, damit ich fähig war, das alles zu tun. Ich fühlte mich wie eine leere Hülle, gefüllt mit Stimmen, die mich in tausend verschiedene Richtungen bewegen wollten.» Sie unterdrückte ein Schluchzen. «Ich habe mich selber verloren. Und es war alles umsonst.»

Naruto wollte etwas erwidern, aber ihre Worte trafen ihn tief. So tief, dass er sie zuerst wirken lassen musste.

«Das alles hätte nicht so weit kommen dürfen. Ich wünschte, ich könnte die Zeit zurückdrehen.» Sie sagte das fast zu ruhig. Aber wenn er es sich recht überlegte, brachte sie Verzweiflung auch nicht weiter. Denn hier kamen sie nicht raus, es sei denn irgendjemand schaffte es noch, sie hier rauszuholen. Und diese Hoffnung schwand mit jeder Sekunde.

Feine Tränen hinterliessen Spuren auf ihren Wangen. Und Naruto war sich inzwischen nicht sicher, ob das dem Rauch oder ihrem bevorstehenden Schicksal geschuldet war, denn auch seine Augen brannten. Es half ein wenig, sie zu schliessen.

«Ich nicht», war seine Antwort. «Du bist durch die Hölle gegangen. Und du würdest am liebsten rückgängig machen, was geschehen ist. Das verstehe ich und ich würde es für dich tun, wenn ich könnte. Aber die Dinge sind nun mal geschehen, verdammt. Und auch wenn du es jetzt noch nicht glaubst, Hina, dann werden die Kuramas stärker aus dieser Sache rauskommen, als sie je zuvor gewesen sind. Wir würden es auch. Aber wir sind nicht gerade in einer vielversprechenden Position.» Er dachte nach. «Konoha verändert sich, auch wenn das nur zu einem Teil Crows Verdienst ist. Und mit der Stadt verändern sich die Menschen.  Lass mich dir einfach sagen, dass nichts, was du getan hast, umsonst war. Denn am Ende macht alles einen Sinn. Da bin ich sicher.»

Er machte eine kurze Pause. «Nur etwas stimmt nicht: Du solltest nicht hier sein. Dann könnte ich vielleicht sogar meinen Frieden mit dieser Situation schliessen. Denn du bist alles andere als schmutzig, auch wenn du dich so fühlst.» Jetzt gab auch er dem Hustenreiz nach. Inzwischen konnte er die Türen am Ende des Raumes durch die Rauchschwaden kaum mehr sehen.

«Nein.» Sie schüttelte langsam den Kopf. Ihr Mund war zu einem bitteren Lächeln verzogen. «Das stimmt schon so.»

Der Rauch vernebelte ihm langsam aber sich die Sinne. Er spürte, wie mit jedem Atemzug weniger Sauerstoff in seine Lungen gelangte. Nachdem er vorhin noch wie ein Wilder an seinen Ketten gezogen hatte, war daran nun kaum mehr zu denken. Er wurde träge.

«Tust du mir nur einen Gefallen?», fragte sie so leise, dass er sie nur noch knapp verstand.

«Klar. Wenn ich kann.»

Sie hustete erneut und jetzt dauerte es einen Moment, bis sie sich wieder davon erholte.

Er schaute sie erwartungsvoll an. Hinata bedachte ihn mit dem Blick einer Frau, die nichts mehr zu verlieren hatte. Er wusste gar nicht, wie ihm geschah, als sie sich langsam auf seine Seite lehnte, ihren Kopf zu ihm hochstreckte und ihn dann ganz kurz auf den Mund küsste. Es war ein flüchtiger Moment, fast schon glaubte er, er hätte sich das in seinem Rauchrausch nur eingebildet. Aber dieser ganz besondere Blick war immer noch da. Sie lächelte und er erkannte ein tiefes Bedauern darin. Aber irgendwie auch einen gewissen Frieden.

«So muss ich wenigstens etwas nicht bereuen», sagte sie und war schon im Begriff, sich von ihm abzuwenden, als nun er die Initiative ergriff, sich zu ihr hinunterbeugte und wiederholte, wozu Hinata sich ein Herz gefasst hatte. Mit dem Unterschied, dass sie sich dieses Mal nicht gleich wieder voneinander lösten.

Er genoss das Gefühl von Wärme und der Nähe zu ihr, auch wenn ihre Lage alles andere als kuschelig war. Er spürte ein Kribbeln in seinem Körper, das sich zwar gut anfühlte, aber ihm auch bewusst machte, dass es wohl die letzte schöne Empfindung war, die er in diesem Leben haben würde.

Dann schaute er ihr wieder in die Augen. Sie weinte stille Tränen. Und auch ihm liefen Tränen über die Wangen. Aber das war wegen dem Rauch. Ganz klar.

Hinata lehnte sich an seine Schulter und er legte seine Wange an ihr weiches Haar. Dieser seltsame Frieden überkam sie. Bis die Luft so dick war, dass sie nicht mehr atmen konnten.

 

22:39 Uhr, Zentrale

 

Für Kakashi Hatake war es vorbei mit dem ruhigen Sitzenbleiben. Wie ein nervöses Tier tigerte er in dem Van umher, dem die Zentrale der Operation innewohnte. Neben ihm sassen Sarutobi und Mitarashi an den Bildschirmen. Diese übermittelten die Aufnahmen von vier Kameras, die sie an verschiedenen Punkten der Mauer angebracht hatten, um wenigstens von aussen etwas zu sehen. Der Kampf war im Gange, doch er fand grösstenteils innerhalb von Halle 4 statt – und vermutlich darunter. Denn was sie zu sehen bekamen, war nur die Spitze des Eisbergs.

Er fühlte sich schlecht bei dem Anblick. Da kämpften junge Frauen und Männer, die rein gar keine Verpflichtung hatten, auch nur irgendetwas gegen die Riots zu unternehmen. Sie riskierten ihr Leben, um dieser verfluchten Stadt aus der Klemme zu helfen. Und er? Er sass in dem bescheuerten Van und konnte nichts anderes tun, als zu warten.

Und mit jeder Minute, die verstrich, stieg der Drang, sofort in die Situation einzugreifen. Doch Shikamaru Nara, der momentan das Kommando über die Gangs hatte, blieb hart. Solange er nicht wusste, wo Crows Druckmittel waren und ob er überhaupt noch welche hatte, verbot er den Profis, einzugreifen. Hatake konnte diesen Entscheid nachvollziehen. Schlussendlich hatte die Polizei auch nur wegen den Geiseln das Feld geräumt. Aber jetzt? In Hatakes Kopf leisteten sich zwei moralische Standpunkte einen Schlagabtausch. Wie viel war das Leben einer Geisel wert, wenn dabei so viele andere junge Menschen starben oder verletzt wurden? Ganz rational gesehen, müssten sie eingreifen. Das mit dem Risiko, eine Person zu verlieren.

Aber Hatake wollte in dieser Hinsicht nicht rational denken. Bewusst jemanden für das grössere Wohl opfern? Das klang wie etwas, was Ayato Kirishima machen würde. Hatake konnte das schlichtweg nicht. Doch egal, was er machte, er würde verlieren.

«Ganz ruhig, Kakashi», kam es von Anko, die in ihrem beruhigenden Singsang sprach. Sie hatte das Talent, selbst in den schlimmsten Situationen Ruhe zu bewahren. «Vertrau ihnen. Sie haben mehr Erfahrung in dem, als wir ihnen zutrauen. Sie können mehr, als sich in Bars und Clubs prügeln oder Unruhe stiften. Auch wenn wir sie von früher nur so kennen.»

Sie hatte ja recht. Wenn das hier gelingen sollte, wenn dieses Monster heute Nacht erlegt werden sollte, dann nur, wenn er auf das Urteil seiner Mitstreiter vertraute.

Seine Mitstreiter waren Gangkinder. Aber die Mehrheit von ihnen hatte bereits mehr in ihrem Leben gesehen, als die meisten anderen Menschen.

 

22:45 Uhr, Kellergewölbe, erstes Untergeschoss Halle 1

 

Sakuras ganzer Körper schmerzte, als sie auf dem Boden zu Yohei hin rutschte. Ihr Bein und ihr Arm fühlten sich an, als würden sie demnächst explodieren und ihr Rücken, der unter der zerschlissenen Jacke vermutlich mit Kratzern und Schnitten übersät war, brannte wie die Hölle. Selbst auf ihren Lippen schmeckte sie Blut.

Yohei hatte sich gegen die kalte Betonwand gelehnt und die Augen geschlossen. Aber er atmete. In seinem Gesicht konnte sie Erleichterung lesen. Auch wenn sein Zustand alles andere als ein Anlass dazu war. Der Kampf hatte brutale Spuren hinterlassen. Eine aufgeplatzte Lippe, Kratzer an jeder Stelle, die nicht von Kleidern geschützt worden war, Platzwunden am Kopf und so viel Blut.

«Yohei…», stiess sie zwischen zwei abgehackten Atemzügen hervor. Sie versuchte mit aller Kraft, ihr Schluchzen zu unterdrücken, doch das führte dazu, dass sie in eine Art Schnappatmung verfiel.

Er nickte fast unmerklich, um ihr zu signalisieren, dass er noch da war. In ihrer Situation gab es keine Worte, die irgendwie beschrieben, was gerade passiert war. Nichts, dass sie beruhigen oder trösten konnte. Arrows lebloser Körper lag wie ein Mahnmal neben ihnen und Sakura versuchte, ihn nicht anzusehen.

Er hätte uns beide getötet, redete sie sich ein. Das hätte er bestimmt. Oder?

«Wir müssen hier raus…», murmelte Tomcat, auch wenn Sakura nicht wusste, wie sie das in ihrer Verfassung bewerkstelligen sollten.

«Kannst du aufstehen?», kam es ihr leise über die zitterigen Lippen. Er zuckte mit den Schultern und nahm einen Anlauf, um auf die Beine zu kommen. Doch schon bei der ersten Bewegung zuckte er zusammen. Sakuras Kopf war im Moment nicht zu vielem im Stande, aber etwas wurde ihr dabei sofort klar.

«Bist… du sonst noch irgendwo verletzt?»

Er zuckte wieder die Schultern. Als ob er seinen eigenen Körper nicht mehr spüren würde.

Rasch rutschte sie näher und musste dabei all ihre Kraft aufbringen, um nicht vor Schmerz zu wimmern. Im schummrigen Licht konnte sie nicht viel erkennen. Also streckte sie den Arm aus und tastete seine Schultern und seinen Oberkörper ab. Yohei liess es über sich ergehen, fast, als hätte er nicht die Kraft, auch nur irgendwie zu reagieren.

Und dann, als sie in seine Bauchregion gelangte, spürte sie etwas Warmes. Nasses. Das Blut war auf seinem schwarzen Kapuzenpullover bei der schlechten Beleuchtung nicht zu sehen gewesen, aber sie spürte mit ihren eigenen Händen, dass unter einem Schnitt im Pullover eine grobe Wunde sein musste. Arrow hatte ihn also mit dem Messer erwischt.

Sakuras Herz begann zu rasen, denn schlagartig wurde ihr bewusst, dass sie in besserer Verfassung als Yohei war. Und dabei konnte sie nicht einmal richtig laufen.

Sie riss seinen Pullover hoch, nur um die vermutete böse Stichwunde in ihrer ganzen Pracht zu sehen. Ein Verband würde nicht viel bringen, denn Yohei blutete somit bestimmt auch innerlich. Trotzdem zog sie den Reissverschluss ihrer Jacke runter, schnappte sich in Arrows Messer und schnitt einen ganzen Streifen davon ab. In dem Raum gab es allerlei Schutt und Müll, doch davon eignete sich nichts für einen Druckverband. Sie robbte zu Yoheis Rucksack, der etwas abseits im Gang lag und suchte noch während sie zurückrutschte bereits nach etwas Brauchbarem. Sie fand einen Geldbeutel, dessen Grösse und Gewicht etwa reichen sollte. Mit dem Beutel als Druckgegenstand, legte sie den Verband an und band ihn Yohei so gut wie möglich um den Oberkörper unter seinem Pullover. Ihr verletzter Arm tat zwar höllisch weh, aber sie konnte den Verband schlecht mit nur einem Arm anlegen.

Danach schnitt sich noch einen zweiten Stoffstreifen vom Shirt ab, um ihn so zu fixieren, dass er hoffentlich Bewegung standhalten konnte. Zwei weitere Stoffstreifen wickelte sie sich mit zusammengebissenen Zähnen um die Schusswunde an ihrem Bein und um die Einstichstelle an ihrem Arm. Das Messer liess sie danach in der Tasche ihres Kombis verschwinden. Stünde sie nicht komplett unter Adrenalin und Schock, wäre sie vermutlich vor lauter Angst und Schmerzen zusammengebrochen.

«Yohei, bist du noch da?», fragte sie.

Er nickte. «Der Bauch, ja? Ich spüre es.»

Sakura wurde auf einmal wieder gewahr, dass sie sich hier in einem Keller der Riots befanden und somit auch Gefahr liefen, dass sie entdeckt wurden. Und gegen weitere Gegner würden sie sich so auf keinen Fall zu Wehr setzen können.

Sie lehnte sich gegen die Wand neben Yohei und versuchte, sich mit ihrem gesunden Bein Stück für Stück nach oben zu stossen und dabei auch nur den unversehrten Arm zu benutzen. Ihr Rücken brannte aufgrund der Reibung noch mehr und sie spürte, wie sich der übriggeblieben Stoff des Shirts in ihre Kratzwunden drückte. Es brannte wie Feuer. Doch am Ende stand sie. Zittrig und nur auf dem linken Bein, aber sie stand.

Sie nahm Yoheis Rucksack auf den Rücken. Er schien inzwischen wieder etwas bei sich zu sein und griff nach der Waffe, die er sicherte und sich dann in die Hosentasche steckte.

«Ich helfe dir jetzt hoch. Schaffst du das?»

Er nickte erneut. In ähnlicher Manier wie sie vorhin schob er sich langsam an der Wand hoch und Sakura unterstützte ihn so gut sie konnte. Sein linkes Bein war von einem Messer verletzt worden, schien aber besser belastbar zu sein, als ihr rechtes Bein mit der Schusswunde. Deshalb stand er zwar schneller, aber er litt trotzdem sichtlich mehr Schmerzen und stand danach nicht stabil. In gebeugter Haltung lehnte er an der Wand und atmete schwer, unterdrückte so gut er konnte den Drang, seinen Schmerz hinauszuschreien. Er hielt mit einer Hand seine Bauchwunde, um sie nicht noch mehr als nötig zu strapazieren.

Er stand nicht viel sicherer auf den Beinen als sie, aber wenn sie sich stützten, dann konnten sie es vielleicht schaffen. Sie legte einen Arm um ihn und gab ihm dadurch Halt an den Schultern, während er ihr so mit seinen kräftigeren Beinen einen sichereren Stand vermitteln konnte.

Gemeinsam machten sie die ersten Schritte Richtung Tür, wobei Sakura mehr hüpfte, als dass sie ging. Sobald sie ihr Bein zu sehr belastete, sah sie vor lauter Schmerz nur noch Sternchen. Aber sie kamen voran. Zwar langsam, aber immerhin. Mit zusammengebissenen Zähnen kamen sie bis zur Tür, doch bereits da mussten sie einen kurzen Moment Pause machen, da sie sonst beide zusammengebrochen wären. Sakuras Herz setzte für einen kurzen Moment aus, als die Tür sich nicht öffnen liess. Wenn diese Tür verschlossen war, dann würde Tomcat hier unten verbluten. Und sie vielleicht auch.

Doch beim zweiten Versuch ging die Tür auf – der Widerstand war dem Gewicht der Tür verschuldet gewesen. Sie hielten einander gegenseitig die Tür auf und zwängten sich durch. Ihre Erleichterung schwand rasch als sich ihnen der Blick auf eine Treppe eröffnete, die in ihrem Zustand vermutlich noch länger aussah, als sie effektiv war. Immerhin gab es ein Treppengeländer, an dem sie sich hochziehen konnten.

Es war reine Tortur, doch ihr Wille liess sie nicht aufgeben. Sie keuchten beide, als sie oben ankamen. Sakura hätte sich beinahe auf den Boden übergeben, so übel war ihr vor Anstrengung und Schmerz. In ihrem Kopf hämmerte der Puls viel zu schnell. Ein Blick zurück zeigte eine Blutspur, die sie beide auf dem Beton der Treppe hinterlassen hatten. Doch Sakura war nicht imstande, an irgendetwas anderes als Yoheis Wunde zu denken. Sie mussten schleunigst zum Lazarett. Leute überleben andauernd Stichverletzungen. Vielleicht war der Schaden kleiner, als er aussah.

Die Treppe mündete in Halle 1, die wie ausgestorben war. Zwar zeugten einige Bierdosen und anderer herumliegender Müll zwischen dem Schutt davon, dass hier von nicht allzu langer Zeit noch Leute gewesen waren. Aber jetzt konzentrierte sich die Ansammlung der Riots zu ihrem Glück auf einen anderen Ort.

Yohei war kaltschweissig und seine Atmung ging schnell. Aber sein Blick war entschlossen. Und auf seltsame Weise friedlich.

«Können wir weitergehen?», fragte sie ihn mit zittriger Stimme und er nickte.

Sie gingen an Gerümpel, alten Kisten und verstaubten Regalen vorbei. Ganz langsam und immerzu nach Halt suchend. Sie konnten von Glück reden, dass ihnen bis jetzt noch keine Riots begegnet waren. Aber an diese Möglichkeit dachten sie beide im Moment nicht. Sie waren zu beschäftigt damit, einen Fuss vor den anderen zu setzen, möglichst keinen Laut von sich zu geben und nicht über Schutt und Müll zu stolpern.

Sakura wünschte sich ein Kurama oder ein Taka her, der sie entdeckte und sie rausbringen konne. Aber es half nichts – sie waren auf sich allein gestellt. Denn wo keine Riots waren, hatten die beiden anderen Gangs auch nichts verloren.

Sie befanden sich auf der Hälfte ihres Weges, mitten in der Halle, als Yoheis Gewicht auf einmal nur noch an ihr hing, weil seine Beine nachgaben. Sakura konnte ihm nicht standhalten und war gezwungen, ihr verletztes Bein auch voll zu belasten. Einen Schmerzenslaut konnte sie dabei nicht unterdrücken. Zwar konnte sie ihm nicht den nötigen Halt geben, um stehen zu bleiben, aber zumindest konnte sie seinen Fall abfangen und ihn langsam zu Boden gleiten lassen.

«Yohei», flüsterte sie mit erstickter Stimme. «Yohei, geht’s?»

Durch die schmutzigen Oberlichter drang Licht von entfernten Scheinwerfern. Darin konnte sie erkennen, dass sein Gesicht richtig bleich war. Sie tastete nach seiner Stirn – eiskalt.

«Geht… geht gleich wieder…», murmelte er, doch seine Augen waren nur noch halb geöffnet. Sakura überkam Panik. Yohei war sehr viel schlimmer verwundet, als sie. Und wenn er nicht mehr gehen konnte, dann war es für sie in ihrem Zustand nicht möglich, ihn nach draussen zu bringen.

«Es ist nicht mehr weit», sagte sie und ihr gelang es nicht ihre Angst nicht in ihrer Stimme durchdrücken zu lassen. «Komm, Yohei, wir kriegen das hin! Wir sind viel zu weit gekommen, als dass wir hier aufgeben können!»

Er versuchte, wieder aufzustehen, doch es war, als wäre jegliche Kraft aus seinem Körper gewichen. Sakura tastete nach seinem Verband, der völlig von Blut durchtränkt war.

Und in diesem Moment wurde ihr bewusst, dass sie nur eine Möglichkeit hatte: Sie musste ihn hier zurücklassen und es bis zum Tor schaffen. Dann konnte man ihnen helfen. Doch bis dahin war es noch ein ganzes Stück Weg. Wie sie das bewerkstelligen sollte, daran wollte sie gar nicht denken.

Ich kriege das schon hin.

 

22:54 Uhr, Kellergewölbe, zweites Untergeschoss, Halle 2

 

Sasuke verfluchte diesen Keller und diese beschissenen Riots zum zigsten Mal in dieser Nacht. Vor ungefähr einer Viertelstunde war er mit seinen Leuten mitten in einen Kampf reingelaufen. Die Riots hatten ihn natürlich sofort erkannt und hingen auf einmal wie Magnete an seinen Fersen. Glücklicherweise waren hier auch noch andere Kuramas und Takas. Somit waren er und seine zwei Kurama-Begleiter nicht alleine. Doch der Kampf dauerte an und er forderte auch seinen Tribut. Sie hatten sie besiegt, ja das hatten sie, aber der Preis war fatal. Zwei Schwerverletzte, ein Leichtverletzter und zwei Tote. Dazu zehn kampfunfähige oder tote Riots.

«Schafft sie hier raus. Alle, die noch leben», wies Sasuke sechs seiner Leute an. Seine Kurama-Begleiter waren zu stark verletzt, um ihn weiterhin auf der Jagd nach Sakura zu begleiten, deshalb wies er vier Takas an, mitzukommen. Darunter waren Shion und Sasori. Und es war nicht so, als würde keiner von ihnen bluten. Aber das waren kleine Wehwehchen im Vergleich zu den anderen.

Sasuke hatte auch einiges abbekommen. Seine Stirn blutete, sein linker Arm schmerzte bei jeder Bewegung, weil einer der Riots ihn übel verdreht hatte. Überhaupt waren seine Arme zerkratzt und brannten, aber es war ihm egal. Noch waren sie hier nicht fertig.

«Kontrolliert jeden Raum. Wenn sie da unten ist, finden wir sie», wies er seine Leute an.

Er prüfte, ob seine Pistole noch Kugeln geladen hatte. Sie bogen in einen Gang ab, der in Richtung von Halle 1 führen musste, wenn ihn nicht alles täuschte. Und er war sich sicher, dass auf dem Weg noch weitere Gegner warteten.

 

22:56 Uhr, Schulung und Verwaltung

 

Der unterirdische Gang zum Verwaltungsgebäude und der Kantine waren gut versteckt – ganz im Gegensatz zu den Verbindungsgängen der einzelnen Hallen. Es verhielt sich dabei ähnlich wie mit den verstecken Eingängen zum zweiten Untergeschoss, er befand sich hinter einem Schrank, der nur eine Attrappe war.

Sie liessen die Hallen hinter sich und bewegten sich schnell in Richtung der Verwaltung. Schliesslich hatte Crow nicht die Intention, Opfer seines selbstverschuldeten Chaos zu werden. Hinatas kleine Schwester neben ihm verhielt sich relativ still, was mit allerhöchster Wahrscheinlichkeit an ihrem Schock und den Waffen lag, die sie mitführten. Nur zeitweise hörte er ein ersticktes Schluchzen.

Dabei musste sie gar keine Angst haben – denn für Hanabi Hyuuga hatte Crow nichts anderes geplant, als dass sie hier ziemlich unversehrt rausging. Das wusste sie aber noch nicht. Und dann hatte sie vermutlich noch Angst um ihre Schwester – durchaus begründete Angst, wie er zugeben musste.

Es war eigentlich ganz leicht, Feuer zu legen. Man brauchte nur Benzin und brennbares Material, an dem sich das Feuer nähren konnte. In den Kellergewölben gab es nicht besonders viel davon, zumal die Wände und Böden betoniert waren. Aber die Keller konnte er auch ausräuchern. Und die Hallen? Die bestanden aus schönem, altmodischem Holz, das sich wunderbar für sein Vorhaben eignete. Denn am Ende sollte hier alles lichterloh brennen. Diese Stadt sollte die Jaguar Riots nicht so schnell vergessen.

Vor etwa fünf Minuten hatte er den Stream wieder unterbrochen. Er würde seinen Gegnern bestimmt nicht verraten, wohin er des Weges war.

«Hast du den Befehl durchgegeben?», fragte Crow in Crackers Richtung. Dieser nickte bestätigend und Crow musste unwillkürlich grinsen. Ihre Kommunikation über alte Handys funktionierte verdammt gut. Die antiken Nokia- und Motorola-Modelle erweisen sich einmal mehr als sichere Wege der Kommunikation.

Crow war bereit, seine ganze Wut auf diese Stadt loszulassen. Das hier war das letzte, was als Leader der Riots tun würde und er wusste, es war glorios. Wenn diese Nacht vorbei war und der Morgen anbrach, dann war er entweder tot oder im Knast. Aber bereuen würde er nichts. In einer düsteren Zeit wie dieser interessierten sich die Menschen nicht füreinander. Reiche wurden auf Kosten der Armen immer reicher. Diejenigen, die nichts hatten, kämpften ums Überleben und kein Schwein interessierte es. Die Unterdrückten brauchten jemand, der sich für sie stark machte. Viel zu lange war über die Missstände einfach nur diskutiert worden. Viel heisse Luft, aber nichts hatte sich getan. Doch wie sagte man so schön? Wer nicht hören will, der muss fühlen? Es gab nur eine Gruppe von Menschen, die wirklich etwas gegen Konohas Sumpf unternehmen konnte. Und war, weil sie dafür verantwortlich war. Wie bewegte man die Elite dazu, ihren Arsch hochzubekommen und etwas zu tun? Ganz sicher nicht mit ständigem Reden und Betteln. Nein, es musste irgendwie dafür gesorgt werden, dass es in ihr Interesse rückte, die Zustände in der Stadt zu verbessern. Die Elite musste Angst davor kriegen, von einer wilden Meute vom Thron gestossen zu werden.

Viele Gedanken gingen Ayato Kirishima durch den Kopf, als sie das Verwaltungsgebäude erreichten und sie in den dunklen Keller eintraten. Die meisten richteten sich auf die Zukunft. Und einige bittere an die Vergangenheit. Wenn er über Vergangenes nachdachte, dann war meistens auch Suguha Kudo mit von der Partie. Er erinnerte sich an ihr langes, dunkles Haar und die schönen braunen Augen. Sie war trotz allem immer optimistisch gewesen. Ihren eigenen Schmerz hatte sie beiseitegeschoben, um für die anderen da zu sein. Und sie hatte trotz allem immer viel gelacht.

Sugu würde nie Gerechtigkeit erfahren. Aber er konnte dafür sorgen, dass die Welt sich noch einmal an das erinnerte, was ihr zugestossen war.

«Cracker, deck die Kamera ab und schalte den Stream wieder ein», sagt er, als sie die Treppe in Richtung Erdgeschoss erklommen. Ich werde jetzt ein bisschen mit der Bevölkerung plaudern.»

 

22:46 Uhr, zweites Untergeschoss, Verbindungsgang Halle 4 & 3

 

Yahiko war noch nie in seinem Leben so schnell gerannt, wie in diesem Moment. Und das sollte etwas heissen, denn Yahiko rannte oft. In Kämpfen oder auf der Flucht vor der Polizei. Doch jetzt wusste er, dass jede Sekunde darüber entscheiden konnte, was mit Big Fox und Hinata passierte.

Der Outer hatte ihm rasch geschildert, was unterirdisch von Statten gegangen war, während Yahiko mit seinen Leuten oben an der Halle gegen die Riots angekämpft hatte. Die beiden waren aufgrund eines dritten Druckmittels in Crows Hand gelangt und dass der nicht vorhatte, mit ihnen gemütlich ein Kaffee zu trinken, brauchte er niemandem zu erklären. Entweder würde er sie töten oder ebenfalls als Geiseln führen – wobei Yahiko langsam wirklich nicht mehr wusste, wie Crow in einer solchen Schlacht ein derartiges Geisel-Management betreiben wollte.

Hinter ihm lief Konan, gefolgt von einer Gruppe von zehn Kuramas und Takas. Sie alle keuchten vor Anstrengung, nachdem sie ohne Unterbrechung gegen ihre Feinde angekämpft hatten. Crow hatte noch einmal all seine Geschütze hochgefahren.

Sie erreichten das Untergeschoss von Halle 3. Das erste, was er roch, war beissender Rauch. Taka-Pain kombinierte schnell.

«Scheisse!», fluchte er vor sich hin. Von Weitem kam eine Flügeltür in Sicht. Sie war alt und nicht bündig mit dem Boden – der Rauch drang durch den Spalt zwischen Tür und Boden.

«Allesamt Mund und Nase schützen», ordnete er an. Die Ausrüstung der Polizei beinhaltete schwarze Masken aus Stoff, die sich bis zur Nase hochziehen liessen. Wer keine dabei hatte, riss sich geistesgegenwärtig ein Stück Stoff von den Shirts unter den Uniformen.

Die Tür waren nicht abgeschlossen.

Zuerst kamen ihm Rauchschwaden entgegen und gleichzeitig sah er, wie Flammen in die Höhe schossen, genährt von dem zusätzlichen Sauerstoff. Yahiko konnte die Silhouetten zweier Personen bei einer Säule ausmachen.

Er sah Konan an. Sie sah unter ihrer Maske entschlossen aus.

«Ich und Konan gehen voraus. Ukon und Tayuya kommen mit. Ihr anderen steht Schmiere. Gib mir deine Axt, Ukon», ordnete er an.

Sie holten noch einmal tief Luft und dann traten sie in den Raum ein. Sie rannten so schnell sie konnten, fanden die Treppe, die auf die niedrigere Ebene hinunterführte. Der Rauch brannte in ihren Augen, noch war es aber auszuhalten.

Sie erreichten Big Fox und Hinata. Rasch suchten sie nach ihren Fesseln. Yahiko brauchte drei Anläufe, um sie zu durchtrennen. Gut, hatte er einen Ukon mit seiner Axt mitgenommen. Die Eventualität von Fesseln hatte er miteingeplant.

Die Ketten lösten sich und landeten mit einem Klirren auf dem Boden. Ukon und Tayuya schnappten sich Hinata, er und Konan luden Big Fox auf.

Der Rauch kratzte in ihren Hälsen und gab ihnen im Ansatz zu verstehen, was Big Fox und Hinata durchmachten. Von Naruto kam ein leises Husten, doch Hinata war blieb vollkommen reglos. Sie schleppten die beiden so schnell wie möglich raus und versuchten dabei, nicht selbst dem giftigen Rauch zu erliegen.

Die anderen öffneten ihnen die Tür und schlossen sie rasch wieder. Das Feuer würde nicht auslöschen, da immer noch Sauerstoff durch den Spalt unter der Tür drang, aber wenigsten konnten sie so den Rauch ein wenig zurückhalten.

Sie keuchten und husteten, doch Priorität hatten Hinata und Big Fox. Crow hatte sie tatsächlich hier unten ersticken lassen wollen. Zeigte nur noch einmal mehr, wie vollkommen durchgeknallt der Typ war.

Hinata rührte sich nicht, doch Fox hatte die Augen offen, die ganz gerötet waren. Er hustete, klang dabei aber nicht gut. Die Reizungen in seinem Hals musste ziemlich schlimm sein.

Er sagte etwas doch es klang eher wie ein Hecheln, weil seine Stimme versagte. Und während der etwas zu sagen versuchte, sah er aus, als würde er demnächst selbst in Ohnmacht fallen.

«Crow…», stiess er hervor und es klang, als stünde er nur ganz kurz vor einem Lungenkollaps.

«Ganz ruhig, Fox», sagte Konan.

«Feuer… überall.»

«Er will überall Feuer legen?», fragte Konan.

«Also quasi uns und seine eigenen Leute bei lebendigem Leib rösten und räuchern», schlussfolgerte Yahiko und wandte sich an seine Leute. «Auf mit euch. Wir müssen die beiden hier rausbringen und zwar sofort!»

«Hanabi», röchelte Fox. «Hinas Schwester…»

«Alles klar.» Und ihm war wirklich alles klar. Und auch wenn ihre Situation sich im Moment nicht wirklich zum besseren wandte, so fokussierte er sich auf ihr Ziel. Ruhe ausstrahlen, wenn um ihn herum alles immer schlimmer wurde, das konnte er. Während ihm zwei seiner Leute Big Fox abnahmen, schnappte er sich das Funkgerät. Es war an der Zeit, alle zu warnen, die noch gewarnt werden konnten.

 

22:53 Uhr, Halle 1

 

Mit Mühe und Not hatte Sakura Yohei hinter eines der Regale geschleppt, wo er zumindest einigermassen sichtgeschützt war. Nur für den Fall, dass Riots auftauchten.

«Halt durch, Yohei.»

«Ist… schon gut, Sakura», flüsterte er. «Lass mich einfach hier…»

«Aber nur, um Hilfe zu holen. Du kommst hier raus, dafür werde ich sorgen!»

Yohei schmunzelte, aber sein Gesicht war kreidebleich. «Schau einfach… dass du rauskommst.»

Sakura wollte sich gerade am Regal hochziehen, doch da hörte sie, wie die Tür unterhalb der Treppe öffnete und Schritte laut wurden. Ihr Herz klopfte, als würde es gleich aus ihrem Brustkorb springen. Sie duckte sich hinter dem Regal und versuchte nur ganz leise zu atmen, doch sie wusste nicht, ob das reichte. Die Stimmen waren ihr fremd, doch sie klangen aufgebracht. Sakuras Griff um ihr Messer wurde fester. Yohei zog ganz vorsichtig, doch mit zittriger Hand seine Pistole.

«Schnell, wir sind schon im Verzug!», rief eine Frauenstimme

«Was ist da unten passiert?», fragte ein junger Mann, der offensichtlich wissen wollte, warum dort unten drei ausgeschaltete Riots lagen.

«Wir sind in einer Schlacht, verdammt. Was hast du erwartet?» Sie hörte ein leises Gluckern. «Mach einfach deinen Job!»

Der Mann antwortete nichts. Sie hörte ein Gluckern, wie wenn etwas Flüssiges ausgeleert würde, ein leises Klicken und dann ein Zischen. Sakura konnte Eins und Eins zusammenzählen – sie setzten gerade die Halle in Brand.

«Hey, siehst du das Blut da?»

«Ja und? Das war auch auf der Treppe. Da hat sich irgendein angeschossener Typ aus der Halle geschleppt.»

«Nein, die hört dort auf, sieh!»

Sakura schrie ihre Angst und Wut in sich hinein. Warum zur Hölle hatten die Riots die verdammte Spur bemerkt? Warum konnten sie nicht dieses Mal Glück haben? Sie waren beide angeschlagen. Yohei soweit, dass er sich kaum mehr rühren konnte. Wie sollten sie sich wehren?

Ein Lichtkegel wanderte in ihre Richtung und sie hörte, wie ein Riot mit einem Klicken eine Waffe entsicherte.

Was sollten sie denn jetzt tun? Sich totstellen? Glaubwürdig würde es auf jeden Fall aussehen, doch bei genauerer Betrachtung würden sie auch ihre Atmung bemerken.

Sie spürte etwas Kaltes an ihrer Hand. Es war die Pistole, die Yohei ihr in die Hand legte. Sakura erschauerte. Passierte das alles gerade wirklich? Das konnte doch nicht sein.

Ein kurzer Blickwechsel. Seine Augen sprachen eine stumme Entschuldigung aus.

Sakura kniff die Augen zusammen, doch als sie sie öffnete, war sie immer noch da. Wie hoch standen die Chancen, dass sie ein weiters Mal gegen die Riots bestehen konnten?

In diesem Moment war Sakura bereits, alles zu tun, damit Yohei und sie überlebten. Sie würde diesen Abzug drücken, ohne zu zögern. Viel zu weit waren sie gekommen, als dass sie hier einfach verenden würden. Doch war das wirklich schlau? Sie hatte viel zu lange keine Waffe mehr in der Hand gehalten und sie zweifelte daran, treffsicher genug zu sein. Und wenn sie schoss, dann würden die anderen auch schiessen. Gab es eine Möglichkeit, das zu verhindern?

Die Regale warfen im orangefarbenen Licht des Feuers gespenstische Schatten auf den Boden. Sie hörte, wie die Schritte näherkamen.

«Komm raus, wenn du nicht schon längst verreckt bist», hörte sie die Frau sagen. In ihrer Stimme lag zwar eine Drohung, aber auch Unsicherheit, da sie nicht wusste, wo ihr Gegner war. Die Riot konnte sie genauso wenig sehen, wie Sakura sie. Und die Blutspur war wegen all dem Gerümpel hier hinten nur schlecht sichtbar.

«Bitte, helft uns», hörte sie sich laut genug sagen, damit die Riots es hören konnten. Sie drückte die Waffe wieder in Yoheis Hand. Dieser war sowieso nur noch halblebendig, doch in seinem Gesicht sah sie ein einziges grosses Fragezeichen. Möglicherweise hatte sie gerade ihr Todesurteil gesprochen.

«Ich habe hier Tomcat und er ist schwer verletzt.»

Die Riot trat in ihr Sichtfeld, die Waffe erhoben. Ihr Blick wanderte verächtlich über ihr rosa Haar, dann über ihre geschundenen Körper. «Na, was haben wir denn da. Wenn das nicht der durchgeknallte Snob mit der Kurama-Prominenz ist.»

«Bitte, bringt Tomcat hier raus. Er braucht medizinische Versorgung.»

«Du auch, Kleine. Siehst ganz schön scheisse auf. Aber weisst du, wir sind nicht für euer Wohlergehen zuständig. Ganz im Gegenteil. Tomcat kriegt was ein Verräter verdient und du… von dir fange ich gar nicht erst an.»

Sakura schaute ihr entschlossen in die Augen. «Ich bitte dich. Es geht hier nicht um den beschissenen Gangstreit. Tomcat kann sich nicht wehren. Das ist kein Kampf.»

«Es geht um so viel mehr als den Gangstreit, da hast du wohl recht.»

Hinter ihr stand jetzt der junge Mann, dessen Stimme sie vorhin gehört hatte. Er sagte allerdings nichts und schaute sie nur aus dunklen Augen an. Er konnte kaum älter als siebzehn sein.

Sakura suchte den Blickkontakt mit ihm. «Ich traue euch zu, dass ihr nicht die rücksichtslosen Zerstörer seid, zu denen er euch macht. Das ist nicht eine Frage von irgendwelchen Feindschaften, sondern von Menschlichkeit, verdammt!»

Die Riot lachte nur. «Komm, Makoto, mir wird es zu heiss hier drin. Wir gehen.»

Sie wandte sich ab und Makoto tat es ihr gleich. Die Schritte entfernten sich und dann hörte sie die Hallentür ins Schloss fallen. Die Flammen schossen in die Höhe, genährt durch den Sauerstoff von draussen.

Das Feuer breitete sich viel zu schnell aus. Sie konnte Tomcat so nicht alleine lassen, unmöglich. Er würde den Flammen zum Opfer fallen, bevor sie mit Hilfe zurückkehren konnte.

An Aufstehen war in Yoheis Fall nicht mehr zu denken. Noch waren sie am Leben, was an ein Wunder grenzte, doch wenn sie hier nicht wie Hexen auf einem Scheiterhaufen enden wollten, mussten sie aus dieser Halle raus.

«Yohei», rüttelte ihn ein wenig und er öffnete die Augen.

«Gut… gemacht…», sagte er und lächelte. Ob er überhaupt noch realisierte, wo er war und was passierte?

«Können wir es noch einmal versuchen mit dem Aufstehen? Bitte.»

Yohei gab alles, das wusste sie. Doch er hatte die Kraft nicht. Um sie herum wurde es immer heisser. Nicht mehr lange und das Feuer würde ihnen den Weg nach draussen versperren. Sie versuchte auch, ihn an den Schultern über den Boden zu schleifen aber ihr fehlte dazu ein Bein und ein Arm. Sie hatte schlicht nicht die Kraft, dazu. Denn sobald sie ihr Bein belastete, wurde ihr fast schwarz vor Augen.

Sakuras Augen füllten sich mit Tränen, als sie Yoheis eiskalte Hand packte. Nur noch so wenig Leben in diesem Körper. Es konnte doch nicht sein, dass es so endete.

«Yohei», brachte sie zwischen zwei erstickten Schluchzern hervor. «Bitte, steh auf.» Auch wenn ihr klar war, dass er es nicht konnte.

Yohei erwiderte sanft den Druck ihrer Hand. «Geh einfach…ja?»

«Das werde ich nicht!»

Er lächelte immer noch. «Es ist alles gut.»

Nichts war gut. Gar nichts war gut. Warum sagte er das?

«Du wirst sterben, Yohei.»

«Ich weiss.» Sein Lächeln verschwand nicht. «Ich werde heute… sterben.»

Jedes Wort kostete ihn Kraft. In Sakuras Ohren machten sie überhaupt keinen Sinn.

«Ich habe gesagt, dass ich dich rausbringe… und wenn du nicht gehst, dann… dann war alles umsonst.»

«Aber du…»

«Ich hatte nie den Plan, diese Nacht zu überleben… Sakura.»

Seine Worte trafen sie wie eine brutale Ohrfeige. «Und das will ich auch jetzt nicht…»

«Warum?», stiess sie hervor. Ihre Gedanken rasten zurück zu den Gesprächen, die sie in dieser verhängnisvollen Nacht geführt hatten. Und sie realisierte, dass er nie auch nur irgendwie angedeutet hatte, dass er überleben wollte. Sakura hatte es einfach angenommen – weil sie wollte, dass er überlebte. Sie wollte, dass er wieder Fuss in der Gesellschaft fassen, Freunde finden und beweisen konnte, dass er nicht der kranke Typ war, zudem man ihn machte. Mit keinem einzigen Wort hatte er angedeutet, dass er etwas anderes wollte, als Sakura rauszubringen. Ganz im Gegenteil. Er schloss sich selbst da nicht mit ein.

«Ich habe nichts mehr zu verlieren, Sakura. Und vielleicht kann ich zumindest noch etwas richtig machen, bevor es zu Ende ist.», hatte er gesagt. Erst jetzt fiel es ihr wie Schuppen von den Augen. Warum um Himmels Willen hatte sie den ernst der Lage nicht realisiert?

«Aber da draussen…»

«Du hast mir mehr als genug gegeben. Ich war nicht gut zu dir. Aber wenn du da rauskommst, dann kann ich mir selber wieder in die Augen schauen… dann habe ich meinen Frieden.» Seine Augen glänzten bei den Worten und seine Stimme versagte.

Frieden. Etwas, was er sich sein Leben lang gewünscht hatte.

«Du kannst auch lebend Frieden finden… Yohei, ich bitte dich», flüsterte sie. Ihnen lief die Zeit davon. Das Feuer frass sich bereits an den Dachbalken entlang. Der Rauch verdichtete sich zusehends und kratzte bei jedem Atemzug im Hals.

«Du verstehst nicht, Sakura… ich werde meine Mutter wiedersehen… hoffentlich. Weiss ja nicht allzu viel übers Sterben.»

Sakura konnte ihre Tränen nun beim besten Willen nicht mehr zurückhalten. «Nein…», flüsterte sie.

«Tu mir nur einen Gefallen, Sakura. Behalt das Buch. Und die anderen Sachen. Mach etwas… Gutes damit.» Er stockte. «Du kannst vieles ändern… was nicht gut läuft hier…  wenn es jemand kann, dann du…» Er hustete. «Danke für alles.»

Er drückte ihre Hand und sie drückte zurück, während sich schmerzhafte Schluchzer den Weg aus ihrem tiefsten inneren nach oben bahnten.

Sie erschrak fürchterlich, als sie eine Hand an ihrer Schulter spürte und fuhr herum, das die Waffe gezückt. Sie hätte mit vielem gerechnet, aber nicht mit Makoto. Nicht mit dem Riot-Jungen, der sie hier zurückgelassen hatte.

Makoto sagte nichts, sondern packte Tomcat an den Schultern. Sakuras Körper reagierte, bevor sie überhaupt erfassen konnte, was hier geschah. Makoto war kräftiger als er aussah. Gemeinsam stemmten sie Yohei hoch, der inzwischen näher an der Bewusstlosigkeit als am Wachzustand war.

Sakuras Bein und ihr Arm schmerzten höllisch, doch in ihr bäumte sich das letzte bisschen Kraft auf, das sie zur Verfügung hatte. Makoto trug den grössten Teil von Yoheis Gewicht und trotzdem fühlte es sich für sie an, als stemme sie Tonnen.

Erst jetzt realisierte Sakura vollends, in welch flammender Hölle sie sich befanden. Die Halle war aus absolut brennbarem Material gemacht und das Benzin tat sein Übriges, damit das Inferno innert kürzester Zeit den ganzen Raum eingenommen hatte.

Die Rauchschwaden wurden dichter und sie husteten sich beinahe die Lungen aus den Leibern. Der Rauch brannte in den Augen, doch ihr Ziel kam näher. Alles in ihrem Körper schmerze und ihr Puls hämmerte laut gegen ihre Schläfen. Sie fühlte sich, als würde sie verbrennen, auch wenn sie keinen Kontakt zum Feuer hatte. Aber die Hitze war beinahe unerträglich und vermochte, ihre Haut zu versengen.

Makoto stiess die Tür auf, was dem Feuer erneut einen kräftigen Schub gab, doch da waren sie schon draussen. Gierig sogen sie die frische Luft in ihre Lungen ein und schleppten sich weiter. Zu ihrem Entsetzen sah Sakura, dass nicht nur in Halle 1 Feuer gelegt worden war. Halle 3 sah sogar noch übler aus. Hier waren die Flammen schon bis aufs Dach gewandert.

«Da drüben», sagte Makoto. Er wies auf die in Reih und Glied gepflanzten Bäume bei den Parkplätzen, die in einigermassen sicherer Entfernung von der Halle lagen.

Mit letzter Kraft schafften sie es, schauten weder nach links, noch nach rechts. Alles was zählte war, die Bäume zu erreichen. Dort angekommen lehnten sie Yohei gegen einen der Stämme. Sakura war völlig ausser Atem. Sie fühlte sich, als wäre jegliche Kraft aus ihrem Körper gewichen. Ihr fiel zudem auf, wie Bleich ihre Hände waren. Auch sie hatte Blut verloren. Und zwar viel.

Aber Yohei war jetzt wichtiger.

«Makoto, kannst du mir noch einen Gefallen tun bitte?», fragte sie mit krächzender Stimme.

Er nickte.

«Bitte, geh zum Tor und hol Hilfe. Sag ihnen, Sakura Haruno schickt dich. Behalt die Hände einfach oben. Sie werden dir nichts tun.»

Und zu ihrer Überraschung stand Makoto ohne zu zögern auf und lief in Richtung des Tores.

Sakura wandte sich wieder Yohei zu. Dieser atmete noch, aber es glich mehr einem Röcheln. Seine Arme waren jetzt seltsam warm, war vermutlich von Verbrennungen herrührte. In dieser Dunkelheit konnte sie nichts erkennen. Spürbar war aber das Blut, das seine Kleider durchtränkt hatte.

«Yohei, bist du noch da?»

Panik überkam sie, als keine Antwort folgte.

«Yohei!»

Sie schlang ihre Arme um seinen Körper, der schnell wieder eiskalt war und legte ihren Kopf an sein weiches Haar. Sie konnte nicht mehr anders, als ungehalten zu schluchzen.

Geh nicht. Bitte geh nicht.
 

23:00 Uhr, zweites Untergeschoss, Verbindungsgang Halle 1 & 2

 

Sasuke roch den Rauch, bevor er ihn überhaupt sehen konnte. Sich Crows Plan zusammenzureimen, war also nicht allzu schwer – er wollte sie alle abfackeln. Oder zumindest ausräuchern, denn der Beton würde nicht brennen und das wusste Crow. Der Sauerstoff in den Gängen sollte reichen, damit genug Rauch entstehen konnte, bevor die Feuer erloschen. Und wenn er im ersten Kellergeschoss auch Feuer legte, dann gab es dort sowieso genügend Luft, die durch die undichten Türen zog.

Jedenfalls erklärte das, warum hier keine Riots mehr waren. Er spornte seine Leute an, schneller zu laufen. Sie suchten nach einem der Aufstiege, die sie in das erste Kellergeschoss bringen würde. Hier unten waren die Aufgänge leichter zu finden, da es keinen Grund gab, sie zu verstecken. Wer hier unten landete, war entweder in die schrägen Machenschaften der Firma eingeweiht gewesen oder hatte just in dem Moment etwas absolut Skandalöses entdeckt.

Als der Rauch dichter wurde und sie sich schon Mund und Nase zudeckten zudecken mussten, stiessen sie auf einen kleinen Treppenschacht, der sich neben einem alten Liftschacht befand. Er war gerade breit genug, damit sie hintereinander durchpassten.

Sasuke ging voraus, getrieben von Wut und Sorge. Hinter ihm gingen Shion und Sasori sowie zwei Taka-Outer-Jungs.

Sie entriegelten eine Tür und landeten in einem stockfinsteren Raum, der viel zu klein war, als dass sie alle reingepasst hätten. Shion knipste ihre Taschenlampe an und sie stellen fest, dass sie sich in einer Art verstaubten Abstellkammer befanden. Jemand trat gegen einen alten Behälter mit abgestandenem Reinigungsmittel, was sie kurz zusammenfahren liess.

Sie traten vorsichtig aus dem Schrank hinaus und schlossen vorher die Tür zum Treppenhaus. Doch auch hier oben sah es nicht viel besser aus. Eine weitere Tür mündete auf einen Gang, in dem auch bereits Rauchschwaden waberten. Bei genauerem Hinsehen, entdeckte er auf dem Boden die Silhouette eines Körpers, der ziemlich reglos dalag. Der Rauch war noch nicht dicht genug, als dass er bereits jemanden hätte umhauen können, der noch gut auf den Beinen war. Folglich musste hier also ein Kampf stattgefunden haben.

Auch hier waren keine Riots mehr zu hören oder zu sehen, weshalb sie sich dem reglosen Körper näherten. Es war kein Taka und wie er schlussfolgerte auch kein Kurama, denn er trug keine Weste und keine Einsatzkleidung des KCPD. Weiter vorne lagen noch zwei weitere Körper, ebenfalls Riots. Hier musste ein wilder Kampf stattgefunden haben. Rasch liefen sie an den Körpern vorbei. Je weiter sie kamen, desto wärmer wurde es. Sie schwitzten richtiggehend,

Sasuke erkannte keinen der Riots. Auf dem Boden waren grosse Blutflecken zu sehen, alle noch relativ frisch. Die Spuren führten zur Tür. Wer auch immer diesen Kampf gewonnen hatte, war ein Kurama oder Taka gewesen.

«Da hoch», wies er seine Leute an. Als er die Flügeltür öffnete wurde ihm klar, woher die Hitze kam. Die Halle stand in Flammen. Rauchschwaden waberten unter den Dachgiebeln umher und machten auch ihnen hier unten das Atmen schwer. Das Holz gab den Flammen mit unheilverkündendem Knacken nach.

Wenn sie sich beeilten, schafften sie es noch raus, bevor das ganze Gebäude in sich zusammenkrachte. Als sie in Richtung Tür rannten sah Sasuke, dass die Blutspur ebenfalls dorthin führte. Dass also noch jemand im Raum war, war unwahrscheinlich.

Er stiess die Tür auf und sie drangen ins Freie. Schnell machte er sich ein Bild ihrer Lage. Anscheinend wollte Crow also die ganze Firma bis auf die Grundmauern niederbrennen.

Da nahm er Bewegungen im Dunkeln wahr. Dort drüben bei den Bäumen kauerte jemand. Und dieser Jemand war für die Blutspur verantwortlich, die auch hier auf dem Asphalt sichtbar war. Das Feuer von Halle 3 warf einen orangefarbenen Schein auf die Umgebung und wirkte so der Dunkelheit entgegen. Inständig hoffte er, dass es sich dabei um Sakura handelte. Das war ein ziemlich brutaler Gedanke. Aber verletzt war besser, als in einem Keller eingesperrt zu sein, der sich mehr und mehr zu einem Ofen entwickelte.

Trotzdem blieb natürlich die Hoffnung, sie unversehrt vorzufinden. Sie hatten da unten jeden Raum geprüft, an dem sie vorbeigekommen waren. Aber was, wenn sie am falschen Ort gesucht hatten? Dann war sie jetzt noch da unten im Rauch. Das würde sie nicht schaffen.

Schon wollte er in Richtung der Gestalten loslaufen, doch da ertönte das laute Knallen einer abgefeuerten Waffe. Hinter ihm ging jemand zu Boden. In wenigen Sekunden hatte er seine Pistole gezogen und ihren Herkunftsort ausgemacht – da kam eine Gruppe von etwa sechs Riots auf sie zu gerannt.

Sasuke feuerte zurück, einer ging zu Boden. Im Gegensatz zu ihnen hatten sie keine kugelsicheren Westen an. Und deshalb sprang Sasori hinter ihm auch wieder auf die Beine. Der Schuss musste wehgetan haben, aber die Westen waren von guter Qualität und die Kugeln vermochten es deshalb nicht, ihn kampfunfähig zu machen.

Die Riots waren da und sogleich brach ein Nahkampf aus. Sasuke wurde attackiert und wenn er nicht selber so angeschlagen wäre, hätte er seinen Gegner vermutlich schneller besiegt. Doch sein Arm schmerzte höllisch und seine Kräfte liessen nach. Der Riot traf ihn mit der Faust im Gesicht, das sowieso schon voller Schrammen und Wunden war. Nun schmeckte er auch noch Blut auf der Zunge.

Er schlug in einem günstigen Moment zurück und schaffte es, die Oberhand zu gewinnen und den Riot auszuschalten. Er wollte sich gerade seinem nächsten Gegner zuwenden, als er im Augenwinkel sah, wie sich zwei Riots aus der Gruppe gelöst hatten und sich in Richtung der vermuteten Kuramas oder Takas bewegte.

Bei diesen schlechten Lichtverhältnissen jemanden aus dieser Distanz zu treffen war mit einer Pistole kaum möglich, es sei denn, er ballerte einfach wild darauf los. Aber damit würde er auch seine eigenen Leute gefährden, die dort offensichtlich angeschlagen unter dem Baum waren. Deshalb lief er los, so schnell er konnte. Shion folgte ihm, auch sie hatte die Gestalten bemerkt.

Eine der Riots riss eine der zwei Personen hoch und verpasste ihr einen Schlag ins Gesicht, dann blitzte ein Messer auf. Und gleich darauf sah er die rosa Haare. Sakuras Körper sah selbst von weitem kraftlos aus, in ihren Bewegungen konnte er nicht das kleinste bisschen Widerstand erkennen. Was hatten sie mit ihr gemacht?

Er war selten in seinem Leben so schnell gelaufen. Zu feuern war unmöglich, da die Riot Sakura viel zu nahe war.

«Keinen Schritt näher, Demon, oder ich schlitze ihr die Kehle auf!», brüllte die Riot. Der andere musterte den Körper am Boden, der keinen Wank mehr machte und stellte sich danach neben Sakura.

Und erst jetzt konnte er Sakura richtig sehen. Der Anblick liess ihm das Blut in den Adern gefrieren. Sie war kreidebleich und ihre Kleider waren durchtränkt von Blut. Behelfsmässige Verbände an Arm und Bein zeugten von Wunden, soweit er das erkennen konnte. Sie blutete aus dem Mund und ihr Gesicht war russverschmiert. Überall Schrammen. Und ihre Augen gerötet von Rauch und Tränen, der Ausdruck nur noch halblebendig.

Und neben Sakura? Da lag Tomcat, der in noch üblerem Zustand war.

Sakura reagierte bei seinem Anblick nicht. Fast, als nehme sie ihn gar nicht wahr.

Er wollte sich nicht vorstellen, was sie alles durchgemacht hatte. Wenn er bis jetzt wütend gewesen war, dann wusste er nicht, wie er die Emotion nennen sollte, die er jetzt fühlte. Er war kurz davor, die Riots bei lebendigem Leib in der Luft zu zerreissen.

«Was willst du?», fragte Sasuke und seine Stimme zitterte unkontrolliert. Er schaffte es nicht mehr die Fassung zu wahren, weil einfach alles an dieser Situation nicht zu fassen war. «Sie irgendwo hinschleppen, wo du dann trotzdem getötet wirst?»

«Die Kleine und der Snob hätten in der Halle verbrennen sollen. Aber jetzt kann die Puppe hier noch von Nutzen sein. Sag deinen Leuten, sie sollen sich ergeben.» Sie wies auf die Gruppe hinter ihnen, die immer noch kämpften.

Sasuke reagierte nicht sofort.

«Boss, mach es», sagte Shion, weitaus gefasster, als er es war.

«Sag es ihnen, Angel», antwortete er, unfähig, seinen Blick abzuwenden.

Shion brüllte einen Befehl nach hinten, irgendetwas, dass sich die Takas sofort ergeben sollten. Und sie taten es. Zögerlich, aber sie hielten die Hände in die Luft. Die Riots fühlten sich schon wie die Sieger.

«Ich sehe dich langsam aber sicher einknicken. Wer hätte gedacht, dass es irgendjemand schafft, Big Fox und Demon Eye in die Knie zu zwingen?» Sie lachte selbstgefällig. «Der Boss hatte sowas von recht. Ihr seid einfach nur schwache Kinder, die das Glück hatten, irgendwie an die Spitze einer Gang zu gelangen.»

Sasuke schüttelte nur noch den Kopf. Sein einziger Gedanke war, Sakura da rauszuholen.

«Was muss ich tun, damit du sie gehen lässt?»

Die Riot lächelte. «Du könntest dir selber die Kugel geben.»

Sasuke glaubte erst, er hätte sich verhört. Doch die Riot meinte es todernst.

«Na, wie klingt das? Würdest du das für dein Schmusibusi tun?» Ihr offen zur Schau getragener Sadismus erinnerte ihn an Geschichten, die er von Suigetsu über Runch, Karins Mörder, gehört hatte.

«Du könntest mich auch einfach abknallen.»

Sie lachte. «Klar. Aber ich will dich und deine Elite-Gang leiden sehen.»

Sasuke Griff schloss sich fester um seine Waffe.

«Demon! Du wirst doch nicht etwa…» Shion konnte den Satz gar nicht zu Ende sagen. Der Schock stand ihr ins Gesicht geschrieben.

«Komm schon Demon», sagte die Riot. Sie drückte das Messer gegen Sakuras Haut. Blut kam zu Vorschein. Sakura stöhnte leicht auf. Er ertrug es kaum, sie so zu sehen. Sie und Tomcat brauchten unbedingt einen Arzt.

Hatte er noch eine andere Möglichkeit? Gab es irgendeinen Weg, dass er sich nicht selber umbringen musste, um Sakura zu retten? Und wer garantierte ihm dann, dass sie überlebte?

Er fuhr zusammen, als direkt neben ihnen ein Schuss ertönte und der Riot neben der Sadistin tot am Boden landete. Sie war nur kurz unaufmerksam, aber es reichte, damit Sasuke mit einem schnellen Schritt bei ihr war, sie packen und ihr das Messer aus der Hand reissen konnte. Hinter ihnen ging der Kampf sofort weiter.

Shion und er drückten die Frau zu Boden, die sich wand und laut fluchte. Kurz darauf war ein weiterer Taka da, der ihn ablöste.

Sakura lag nicht mehr dort, wo sie liegen sollte. Sie hatte sich wieder zu Tomcat geschleppt, der eine Pistole in der Hand hielt. Jene Pistole, die ihm soeben den Arsch gerettet hatte. Er war nur noch bei halbem Bewusstsein und sah aus, als würde er jeden Moment wieder wegdriften. Sakura weinte und redet mit kaum hörbarer Stimme auf ihn ein.

«Geh nicht… bitte geh nicht…» Sie rüttelte ihn an den Schultern als sich seine Augen wieder schlossen, auch wenn sie kaum mehr die Kraft dazu hatte. Tomcat hatte ein Lächeln auf den Lippen. Sakura schluchzte leise und schlang ihre Arme um ihn. Ihren Kopf hatte sie an seine Schulter gelegt. Es war untertrieben zu sagen, dass ihn das Szenario überraschte, aber das war jetzt nicht relevant. Denn vielmehr schockierte ihn, was er sah. Es erschütterte ihn bis auf die Knochen. Rasch war er bei Sakura und legte ihr eine Hand auf die Schulter. Sie nahm ihn gar nicht wahr.

«Geh nicht… bitte geh nicht…», wiederholte sie immer wieder, als ob dieses Mantra seinen Blutverlust stoppen könnte. Ihr verzweifelter Tonfall, jagte ihm einen kalten Schauer über den Rücken. Sie und Tomcat mussten sofort medizinisch versorgt werden.

«Sakura», sagte er, doch sie hörte ihn nicht. «Sakura, ich muss dich hier wegbringen.»

Seine Hände zitterten, als er sie langsam von ihm wegzog. Sie wehrte sich im ersten Moment, doch dann erschlaffte auch ihr Körper langsam. Ihre Augen waren nur noch halb geöffnet, als sie ihn endlich ansah. Und dieses Mal erkannte sie ihn.

«Du musst… ihm helfen…», wimmerte sie. «Du musst ihn retten… Sasuke.»

Ihre Augen fielen just in dem Moment zu, als er in der Ferne das Licht einer Taschenlampe wahrnahm. Er zückte reflexartig seine Waffe, doch da erkannte er, dass es keine Feinde waren. Da kam Hilfe. Die Sanitäter waren da und das schürte ein Fünkchen Hoffnung in ihm. Bei ihnen war ein seltsamer Junge, den er nicht kannte, aber das war ihm sowas von egal.

«Ihr müsst ihr helfen!», er klang forsch, aber er hörte auch die Verzweiflung in seiner eigenen Stimme.

Eine der Sanitäterinnen war Sanae. Sie kniete sich zu Sakura hin, während Sasuke ihren Kopf in seinen Schoss bettete und ihr unablässig über die blutverkrusteten Haarsträhnen strich. Fast, als könne er sie so am Leben erhalten. In seinem Kopf überschlugen sich die Gedanken. Wie auf Knopfdruck war er wieder im Dezember vor einem Jahr und hielt seinen todgeweihten Bruder in den Armen. Dann sah er sich selbst auf dem Dach der DDM, vor weniger als einer Woche und musste dabei zusehen, wie man ihm Karin wegnahm. Er dachte an all die Outers, die ihr Leben in diesen bescheuerten Schlachten gegen die Riots gelassen hatten. Und dann waren da wieder Bilder. Die Bilder aus jener Nacht in Otogakure, als seine Eltern in einer düsteren Gasse getötet worden waren. Völlig sinnlos und ohne Grund.

Es konnte doch nicht sein, dass man ihm Sakura jetzt auch noch nahm. Endlich hatte er sich so etwas wie eine Zukunft vorstellen können, die nicht im Sumpf der Strasse Konoha stattfand. Er hatte nach etwas streben wollen, gemeinsam mit Sakura. Mit ihrer wunderbaren, sanften Art. Mit ihrem Mut und ihrer Stärke, die sich in so viel mehr zeigte, als reiner Körperkraft. Sie durfte jetzt noch nicht gehen. Ihre Zeit war noch nicht da. Viel zu vieles konnte sie noch bewirken. Nein, ein Mensch wie sie durfte nicht so jung schon gehen, schon gar nicht auf diese Weise. Und trotzdem all ihrer wunderbaren Eigenschaften, rang sie in genau diesem Moment mit dem Tod.

Nach einer Erstversorgung durch Sanae und ihre Leute, wurden Tomcat und Sakura auf Tragen in Richtung Tor gebracht. Die Takas eskortierten sie als geschlossene Einheit.

«Sanae, wird sie wieder?» Er hörte selber den flehenden Unterton in seiner Stimme.

«Das kann ich dir nicht sagen, Sasuke. Sie hat eine Menge Blut verloren. Eine tiefe Schusswunde am Bein und eine Stichwunde im Arm. Dazu wüste Schrammen und Platzwunden am Hinterkopf und an der Stirn. Eine Gehirnerschütterung ist zu vermuten. Und ich weiss nicht, ob ihr Rücken auch etwas abbekommen hat.» Sie sah so ernst aus. Viel zu ernst. «Die Wunden sehen nicht gut aus. Die am Arm ist schon jetzt entzündet.»

Sasuke wurde bei dieser Aufzählung übel. Er war normalerweise gut darin, Angst und alle anderen Gefühle zu verdrängen. Aber jetzt fürchtete er sich, wie schon lange nicht mehr. Einzig die Angst, die er bei der Ermordung seiner Eltern verspürt hatte, reichte an das heran, was er jetzt fühlte.  

Er hatte es nicht geschafft, das zu beschützen, was ihm am wichtigsten war. Im Gegenteil. Er war nicht einmal in ihrer Nähe gewesen, als das alles passiert war. Sogar Tomcat hatte mehr zu ihrer Rettung beigetragen als er. Er hatte nicht mehr tun können, als ihre Blutspuren zu finden und sie zu verfolgen. Wie ein verdammter Leichenspürhund.

Wenn Sakura in dieser Nacht starb, dann würde er sich das nie verzeihen. Und vor allem würde er es nicht aushalten – es würde ihn vollkommen zerstören.

In seiner Brust verspürte er einen dumpfen Schmerz. War das hier der Anfang vom Ende?

Am seidenen Faden

 

23:24 Uhr, Lazarett

 

Sakuras Hand fühlte sich eisig kalt an. Seit sie im Lazarett angekommen waren und man Sakura in eines der Versorgungszelte gebracht hatte, hielt Sasuke sie fest, und doch wurde sie einfach nicht wärmer. Um sie herum wuselten Sanitäter und Notärzte, die alle irgendetwas Wichtiges machten, auch wenn er nicht realisierte, was es war. Irgendwann scheuchte man ihn weg und er liess es geschehen, weil er wusste, dass er nichts tun konnte und die Ärzte nur in ihrer Arbeit behinderte. Sein Blick auf Sakura war jetzt eingeschränkt durch die Rücken von einer Kurama-Ärztin und Sakuras Tante. Ab und zu erhaschte er einen Blick auf blutige Gazen, gebrauchte Instrumente und eine blutige Pistolenkugel, die sie aus ihrem Körper entfernt hatten. Jemand hatte Sakura eine Infusion angehängt. Die klare Flüssigkeit träufelte in schnellen Intervallen aus dem Beutel in den Schlauch.

Die Stimmen um ihn herum vereinten sich in seinen Ohren zu einem einzigen Rauschen, aus dem er nur ab und zu einige Worte aufschnappte. Nähen. Transfusion. Infekt. Trauma. Es war ein Wirrwarr an Begriffen, die er für den Moment in seinem Kopf nicht logisch zusammenführen konnte. Ein Monitor neben ihm zeigte Sakuras Herzfrequenz, ihren Blutdruck und irgendetwas mit Sauerstoff an. Ein regelmässiges Piepen echote ihren Herzschlag, doch selbst er konnte sehen, dass ihr Puls viel zu niedrig war.

Es kam ihm vor, als befände er sich in einer Seifenblase. Alles war irgendwie surreal, als gehöre es in einen ganz eigenen Kosmos. Und er stand einfach da, unfähig zu begreifen, was gerade vor sich ging, während draussen auf dem Firmengelände die Schlacht weitertobte.

Irgendwann kam eine Schwester, die ihm das Blut von der Stirn tupfte und die gröbsten Wunden verband. Dann verschwand sie wieder, nachdem sie ihn nach Schmerzen und weiteren Verletzungen gefragt hatte, die er verneinte.

Zeit verstrich. Es kam ihm vor, als stünde er schon ewig da, als sich eine Hand auf seine Schulter legte. Es war Angel und aus ihren Augen sprach Besorgnis.

«Boss. Du kannst hier nichts tun. Und ich will nicht unsensibel sein, aber die Takas da draussen brauchen dich.»

Er starrte nur geradeaus, auf Sakura, obwohl er den Anblick ihres geschundenen Körpers kaum aushielt. Die Erstversorgung war noch in vollem Gange.

«Wie lange sind wir schon hier?», fragte er Angel, die überrascht aussah.

«Zehn Minuten, Demon. Und es ist höchste Zeit, dass wir wieder da rauskommen.»

Sasuke schüttelte nur den Kopf. Zehn Minuten? Es mussten doch Stunden verstrichen sein.

«Wir können weder ihr, noch Tomcat jetzt helfen. Das müssen die Ärzte tun. Und da draussen gibt es noch einen Haufen von unseren Leuten, die in Gefahr sind und Unterstützung brauchen. Wir kriegen den verdammten Bastard heute Nacht, aber nur, wenn wir jetzt nicht kuschen.» Sie drückte seinen Arm. «Genau das will er doch.»

Sasuke wusste, dass sie Recht hatte. Und doch widerstrebte es ihm mit jeder Faser seines Körpers, Sakura alleine zu lassen.

«Ich kann nicht, Shion», flüsterte er.

«Doch du kannst», hörte er eine tiefere, männliche Stimme. Es war Hatake. «Genauer gesagt, musst du. Wie wir vernommen haben, ist Big Fox noch im Rennen. Angeschlagen, aber bereit, Crow die Hölle heiss zu machen. Wenn ihr die Geisel aus seinen Händen kriegt, dann können wir eingreifen. Ansonsten werden noch mehr deiner Leute den Flammen und den Riots zum Opfer fallen.»

Sein Blick schwenkte zu Sakura. «Wir haben hier erstklassiges medizinisches Personal. Sie werden alles versuchen, um ihr zu helfen. Nach der Erstversorgung kommt sie sofort ins City Hospital.»

«Ihr müsst unter allen Umständen auch Tomcat retten», hörte er sich sagen. «Sie will das. Und ich will es auch. Er muss sie da rausgeholt haben. Und dann hat er uns alle gerettet…»

«Unsere Leute geben alles. Du kannst hier nichts tun – aber da draussen kannst du eine Menge machen. Und auch wenn es feige klingt, dich da rauszuschicken, aber die Polizei kann nicht eingreifen. Nicht solange dieses kleine Mädchen in den Händen von Crow ist.»

Er schüttelte erneut den Kopf. Er hatte nicht einmal Sakura schützen können. Was zur Hölle sollte er da draussen noch bewirken können.

«Sasuke.» Er spürte eine warme Hand an seinem Arm.

Die Stimme kam ihm bekannt vor. Er konnte sich nicht erinnern, dass sie je direkt zu ihm gesprochen hatte. Er drehte sich um und da stand Sakuras Tante Tsunade. Eine Person, die ihn nie wirklich gemocht hatte. Verständlicherweise.

«Ich bitte dich. Geh da raus und beende mit Naruto, was ihr angefangen habt. Ihr seid so kurz davor. Sakura würde dir dasselbe sagen. Und ich werde bei ihr sein. Sie ist nicht alleine.» Sie machte eine Pause. «Und Tomcat auch nicht. Ich verspreche es.»

Sasukes Herz zog sich schmerzhaft zusammen, als sie ihn unter Tränen mit einem warmen Blick bedachte, der beinahe mütterlich war. Dabei musste sie genauso viel Angst haben wie er.

Er brachte keine Antwort zu Stande, nickte aber langsam. Sie drückte seinen Arm und in ihrem Gesicht war so viel Furcht zu sehen, dass Sasuke Crow zum tausendsten Mal in dieser Nacht verfluchte. Und auch wenn sich alles in ihm dagegen wehrte, das Lazarett zu verlassen, stärkte ihn seine erneut aufflammende Wut für Crow. Man musste ihm Einhalt gebieten. Und dazu konnte er nichts beitragen, wenn er hier bleib.

Er warf einen Blick zurück zu Sakura, von der er hinter all den Ärzten nur einen rosa Haarschopf sah. Sein Herz war schwer, als er sich abwandte. Das Zelt beherbergte zehn Erstversorgungskojen. Zwei Kojen weiter lag Tomcat, der von noch mehr Ärzten umgeben war.

«Passt auf euch auf», hörte er Tsunade noch sagen.

Angel, die ihm folgte, liess ihn gewähren und sagte nichts, als er neben Tomcat trat. Er erhaschte einen Blick auf sein aschfahles Gesicht und die vielen Blutergüsse um die Augen und am Hals. Doch er sah friedlich aus und das beunruhigte Sasuke.

«Kommt er durch?», fragte er einen Arzt, der neben ihm den Monitor betrachtete. Seine Stimme hörte sich zittrig an, etwas, das Sasuke kaum von sich kannte. Der Arzt antwortete nicht gleich.

«Wir können ihn nicht stabilisieren. Ein Transport ins Krankenhaus ist so ausgeschlossen.»

«Und was heisst das?»

«Wir versorgen ihn hier, wir haben die nötigen Mittel. Der Schaden, den er in der Schlacht genommen hat ist immens. Die Bauchverletzung ist infiziert und er hat massive innere Blutungen. Zudem…» Der Arzt machte eine Pause. Sasuke kannte den Mann nicht, aber in seinen Augen spiegelte sich eine gewisse Resignation wider. «Nun, wir haben den Eindruck, dass er nicht mehr kämpft. Es gibt Patienten, die sich noch aus den aussichtslosesten Situationen erholen, einfach weil sie ums Überleben kämpfen. Aber er macht das nicht.»

Sasuke schluckte schwer.

«Schauen Sie ihn sich an.» Er wies auf Tomcats Gesicht und wandte sich selber ab. «So sehen Verstorbene oft aus. Friedlich. Ruhig. Aber er lebt. Noch.»

Als ob er zugehört hätte, öffnete Tomcat langsam seine Augen. Sie waren rot unterlaufen und es kostete ihn alle Kraft, sie offen zu behalten.

«Demon…» Seine Stimme war kaum zu hören, so schwach war sie. Sasuke war mehr als nur erstaunt, dass er ihn in seinem Zustand erkannte.

«Yohei», sprach er ihn mit seinem richtigen Namen an. Und auch wenn ihm dieser Riot suspekt war, auch wenn er bisher nur Verachtung für ihn übriggehabt hatte, so machte er sich grosse Sorgen.

«Ich hab’ ihr nichts gemacht…», flüsterte er leise. Nach den Ereignissen der letzten halben Stunde hatte Sasuke bereits vermutet, dass Sakura mit Tomcat in ihrer Lage sehr viel Glück im Unglück gehabt hatte. Entgegen seiner ursprünglichen Befürchtung.

«Ich weiss», antwortete er deshalb und versuchte, beruhigend zu klingen. «Hast du sie befreit?»

Er nickte. «Aber rausgekommen sind wir gemeinsam…»

Dann fielen ihm beinahe die Augen zu. Sasuke überkam ein Anflug von Panik beim Anblick von Yoheis bleichem Gesicht.

Er legte ihm die Hand auf die Schulter und Tomcats Augen öffneten sich noch einmal. «Du darfst nicht aufgeben. Nicht nachdem was du für uns getan hast. Sakura will das du überlebst. Und ich auch. Du kannst ein Taka werden, wir nehmen dich auf und…», die Worte sprudelten nur so aus ihm heraus. Das kannte er kaum von sich.

Ein Lächeln stahl sich auf sein Gesicht. «Es ist alles gut mit mir. Ich möchte gerne gehen. Jemand wartet…»

Seine Augen schlossen sich wieder. Sasuke wollte noch etwas sagen, doch da war Yohei schon weggedriftet. Sasuke fühlte sich hilflos, als ihm Yohei Murakami langsam entglitt, ohne dass er noch etwas tun konnte. Er drückte Yoheis kalte Schulter zum ersten und letzten Mal. Aus seiner Kehle wollten kaum Worte kommen. Das Piepen des Monitors wurde zusehends langsamer und ein weiterer Schwarm Ärzte kam angelaufen.

«Danke für alles, Yohei. Wir werden uns immer an dich erinnern. An das, was du getan hast.» Das war alles, was er ihm noch geben konnte. Sasuke spürte Tränen in seinen Augen. Denn er hatte jetzt seine Antwort von der einzigen Person, die sie ihm geben konnte: Yohei Murakami würde nicht überleben.

Er verharrte bei ihm, unfähig, sich zu rühren. Und ein Gedanke kreise unaufhörlich in seinem Kopf: Crow machte alles kaputt. Sogar seine eigenen Leute.

«Demon?» Angel legte ihm eine Hand auf die Schulter und er liess sie gewähren.

«Ich komme.»

«Es tut mir so leid…», sagte sie und er hörte, dass auch sie den Tränen nahe war.

«Mir auch», sagte er mit rauer Stimme.

Und als er Angel einen Arm um die Schulter legte und mit ihr in Richtung Ausgang ging, hörte er, wie das regelmässige Piepen von Yoheis Herzmonitor zu einem durchgehenden Summen wurde.

Das Geräusch ging ihm durch Mark und Bein.

 

23:29 Uhr, zwischen Halle 2 & 4

 

Vor etwa zehn Minuten war Hinata wieder zu sich gekommen. Ihr Gesicht war genauso russverschmiert wie seins, ihre Augen gerötet. Doch das war reichlich egal. Denn sie lebten beide, nachdem sie dem Tod näher als je zuvor gewesen waren. Naruto hatte nicht mehr damit gerechnet, dass seine Leute und die Takas sie da noch rechtzeitig rausholen konnten.

Er selbst hatte Zeit gebraucht, bis er wieder alleine auf den Beinen hatte stehen können. Der Schwindel war ein wenig abgeklungen, doch ein böser Kopfschmerz hämmerte gegen seine Schädeldecke. Jeder Atemzug fühlte sich an, als bestünden seine Atemwege aus Schleifpapier – es brannte höllisch und der Husten verschlimmerte das Ganze noch. Er wusste, dass er sich ärztlich behandeln lassen musste, denn der Gang aus dem Keller, hinaus aus dem Gebäude, hatte ihn geschafft als wäre er ein Marathon gelaufen. Viele der Riots und auch der Takas und Kuramas waren dabei, das Gebäude so rasch sie konnten zu verlassen. Das wunderte ihn nicht, zumal auch hier Feuer gelegt wurde, dass sich rasend schnell ausbreitete.

Blue hatte ihn an der Schulter gestützt, während einer der Outers Hinata Huckepack getragen hatten. Sie hatten in ihrem provisorischen Fort Schutz gesucht, wo Hinata wieder zu sich gekommen war. Ihnen war bewusst, dass sie hier nicht sicher vor den Riots waren, aber zumindest fürs erste vom Feuer. Der Boden zwischen den Hallen war geteert und es bestand genug Distanz zwischen Fort und Hallen, damit das Feuer nicht überspringen konnte.

Der Kampf da draussen tobte weiter und machte es ihnen unmöglich, Hinata direkt ins Lazarett zu bringen, weshalb Naruto natürlich ein Stein vom Herzen fiel, als sie ihre Augen aufschlug und sich erst einmal die Seele aus dem Leib hustete. Sie beide waren dem Tod gerade nochmal von der Schippe gesprungen.

Seine Erleichterung darüber konnte er kaum in Worte fassen, weshalb er sich einfach dazu entschied, Hinatas Hand zu drücken. Natürlich hätte er sie am liebsten in den Arm genommen, sie an sich gepresst und ihr gesagt, wie dankbar er war, dass sie lebte. Aber das wäre in ihrem Zustand nicht die beste Idee. Was da unten zwischen ihnen passiert war, dass konnte für einen Moment warten, denn Crow hatte Priorität. Doch Naruto würde darauf zurückkommen, das stand fest.

Hinatas erste Reaktion, vor dem bösen Hustenanfall, war ein Lächeln gewesen. Bis sie realisiert hatte, in welcher Situation sie sich befanden.

Er liess Hinata ungern alleine in ihrem Zustand, zumal er gerade am eigenen Leib erfuhr, wie sich eine Rauchvergiftung anfühlte. Aber Blue und zwei Outers waren bei ihr.

Seine Aufgabe war wohl oder übel, mit Yahiko und Hatake über Funk die Lage zu besprechen. Dabei hatte er eigentlich genug von dem ganzen Mist. Im Moment wünschte er sich nichts sehnlicher, als Crow endlich dingfest zu machen und all seine Leute in Sicherheit zu bringen. Die Ungewissheit, wer noch da war und wen diese Nacht das Leben gekostet hatte, machte ihn beinahe wahnsinnig. Deshalb versuchte er, alles in die hinterste Ecke seines schmerzenden Kopfes zu verdrängen.

«Big Fox ist eigentlich nicht mehr kampffähig», hörte er Yahiko ins Funkgerät sagen. Gerade wollte er lautstark widersprechen, doch ein Hustenanfall kam ihm zuvor.

«Blödsinn!», presste er zwischen zwei Hustern hervor. «Ich bin voll da!»

«Vor einer halben Stunde konnte er noch nicht einmal selber gehen», setzte Yahiko ungerührt fort und Naruto hätte im am liebsten den Mund zugehalten. Aber was sollte es. Niemand konnte ihn davon abhalten, sich erneut gegen Crow in den Kampf zu stürzen.

«Dafür ist Demon wieder zu euch unterwegs. Der hat zwar auch schon besser ausgesehen, aber er wird zurückkommen.»

«Wo war er denn?», frage Naruto überrascht und klang dabei wie ein langjähriger Kettenraucher.

«Kurzweilig im Lazarett. Sakura Haruno wurde aus der Kampfzone geborgen, jedoch ist sie in kritischem Zustand.»

In Naruto stieg Wut auf. «War das Tomcat?»

«Nein. So wie es aussieht, ist Tomcat dafür verantwortlich, dass sie noch lebt.»

Jetzt verstand Naruto gar nichts mehr. Aber musste er das im Moment?

«Und wo ist Tomcat jetzt?»

Es folgte eine beinahe unmerkliche Pause, doch Yahiko und Naruto kannten Hatake inzwischen gut genug, um zu hören, dass etwas nicht stimmte.

«Yohei Murakami ist vor wenigen Minuten verstorben. Er konnte nicht reanimiert werden.»

Naruto fehlten im ersten Moment die Worte. Das alles war zu viel Information auf einen Schlag. Yohei hatte also laut Hatake Sakura geholfen und jetzt war er tot? Bedeutete das, dass sich ein Riot unter Einsatz seines Lebens gegen seine Gang gewandt hatte? Und noch dazu einer der einflussreichsten, wichtigsten Riots?

«Meine Fresse», konnte er nur hauchen. Er realisierte nicht wirklich, was das bedeutete. Im Moment gab es keinen Platz dafür, zu trauern oder Angst zu haben.Doch führte es ihm vor Augen, dass er keine Ahnung davon hatte, was auf diesem Schlachtfeld alles passierte.

«Wir konnten Crow bisher nicht orten. Doch der Fakt, dass die Hallen inzwischen alle mehr oder weniger in Flammen stehen, lässt darauf schliessen, dass er sich entweder in der Verwaltung oder dem Kantinengebäude aufhält.»

«Was könnte er vorhaben?», fragte Yahiko. «Nebst seinem Ziel, möglichst viel Schaden anzurichten?»

«Crow weiss, dass er diese Nacht nicht überstehen wird. Nicht mit den Mitteln, die er hat», fügte Naruto an. «Das alles hier ist nebst einem Schlag gegen uns auch ganz schön viel Selbstinszenierung.»

«Da gebe ich dir Recht. Aber Crow erreicht dadurch auch viele Leute, die in einer ähnlichen Situation wie er sind. Er gibt ihnen einen Anführer, ein Gesicht. Und er zeigt ihnen, welche Macht sie haben können.» Hatake seufzte. «Diese Nacht wird Folgen für die Zukunft haben, so viel steht fest. Denn ob man es wahrhaben will oder nicht – Crow hat hier etwas vom Zaun gerissen. Und er hat es clever angestellt, indem er die Polizei und auch euch nun seit fast einem Jahr an der Nase herumgeführt hat. Er war immer in der mächtigsten Position. Wenn ihm das keine Anhänger verschafft hat, dann weiss ich auch nicht.»

«Dann ist wohl davon auszugehen, dass er die heutige Nacht mit einem lauten Knall enden lassen will, oder?»

«Ziemlich sicher, ja.»

«Und wie wird das aussehen?»

«Keine Ahnung. Was ihr jetzt tun müsst ist, eure Leute zu gruppieren und sie sowohl Kantinen- als auch Verwaltungsgebäude beobachten zu lassen. Wissen wir, wo er sich aufhält, dann können wir auch systematisch stürmen.»

Die Frage, wo sich Crow aufhielt, beantwortete sich in diesem Moment von selber, in Form von lauten Gewehrschüssen. Aufgrund der Nähe vermutete Naruto die Kantine, es liess sich jedoch nicht ausschliessen, dass die Verwaltung nicht auch von Riots besetzt war.

«Na dann», sagte er, ehe ihn ein Hustenanfall unterbrach. «Wir müssen los.»

«Du solltest hierbleiben», sagte Yahiko noch einmal mit Nachdruck.

«Kommt gar nicht in Frage.»

 

23:38 Uhr, Kantine, 3. Stock

 

Vor ihm eröffnete sich die Dachterrasse, die sich ihm im orangeroten Licht der Flammen wie eine Bühne präsentierte. Er spürte die Wärme des Feuers auf seiner Haut, roch den Rauch in der in der Nachtluft und wusste, dass es keinen besseren Ort für diesen Moment geben konnte.

Die ganze Sache fand langsam aber sicher ihr Ende und das schloss ihn mit ein. Wenn die Kuramas und Takas wüssten, wo das grosse Finale stattfinden wird, dann würden sie jetzt sofort ihre Polizistenfreunde verständigen.

Crow konnte nicht sagen, ob die beiden Gangs verstanden, dass nicht sie das primäre Ziel in dieser ganzen Sache waren. Schlussendlich ging es ihm nicht darum, sie komplett auszulöschen. Das war in ihrer gegenwärtigen Situation unmöglich und auch nicht notwendig. Doch konnte er sie für seine Zwecke benutzen. Denn trotz ihrer theoretischen Überlegenheit hatten sie in dieser Nacht bis jetzt keine allzu gute Figur gemacht. Das mochte an seinen Geiseln liegen, änderte aber nichts daran, dass sie nach seiner Pfeife tanzten wie gut erzogene Hündchen. Und das war es, was die Welt bis jetzt gesehen hatte. Die Kuramas und Takas waren eine ganz eigene Elite, die ihn und seine Leute nicht kontrollieren konnten. Symbolisch dafür, dass ihn keine Elite kontrollieren konnte. Und das hatte einen einfachen Grund: Er traute sich, Grenzen zu überschreiten. Er war zu allem bereit – was nicht hiess, dass er am Ende auch alles wirklich tun würde.

Nachdem er vorhin im Live-Stream dazu aufgefordert hatte, dranzubleiben, hatte Cracker den Stream auf seinen Befehl hin wieder unterbrochen.

«Hanabi», sagte er und wandte sein Wort damit an seine Geisel, die sich nur wenige Schritte hinter ihm befand, nach wie vor mit verbundenen Augen. Sie antwortete nicht, doch hörte er, wie sie ängstlich die Luft anhielt.

«Du hältst mich für böse, nicht wahr?»

Sie sagte nichts, doch das war auch eine Antwort.

«Lass mich dir eines sagen, Hanabi.» Er wandte sich zu ihr und schob ganz vorsichtig die Augenbinde nach oben. Im starrten ein Paar gerötete, angsterfüllte Augen entgegen.

«Ich setze viel Hoffnung in junge Leute wie dich. Ihr seid es, die etwas verändern könnt. Etwas besser machen könnt.»

Hanabis Lippen zitterten, als sie dazu ansetzte, etwas zu sagen.

«Du hast meine Schwester…», sie konnte das Wort gar nicht aussprechen. «Also rede nicht von Veränderung. Oder vom Bessermachen.»

Ein erstickter Schluchzer bahnte sich nach oben. «Du machst nichts besser.»

Er nickte verständnisvoll. «Erstens bin mir nicht so sicher, dass ich deine Schwester auf dem Gewissen habe. Kuramas und Takas sind wie Ameisen. Wenn man nicht fest genug drauftritt, dann kann man sie auch nicht erledigen. Und ich bezweifle, dass ich fest genug auf Big Fox und Hinata draufgetreten bin.»

Jetzt legte er den Kopf schief. «Und du hast recht: Ich bin nicht die Person, die verändern wird. Ich bin nur die Person, die die Rahmenbedingungen für Veränderung schafft. Es ist ein wenig wie ein Buschfeuer, dass alles niederbrennt. Das sind wir Riots. Und das, was daraus entsteht – das liegt in deinen Händen. Und derer vieler anderer.»

Darauf wusste sie nichts mehr zu sagen. «Ich werde dir die Augen jetzt erneut verbinden. Nimm es mir nicht übel. Ach und noch etwas: Du wirst in dieser Nacht nicht sterben. Sofern du dich an meine Regeln hältst. Dann wirst du hier heil rauskommen.»

Mit diesen Worten streifte er ihr die Augenbinde wieder über und wandte sich seiner Bühne zu.

«Cracker», rief er einem seiner treusten Mitglieder zu. «Wir sind soweit.»

 

23:40 Uhr, nahe Halle 4

 

«Siehst du was?», fragte er Pixie wohl bereits schon zum hundertsten Mal.

«Ja, tatsächlich.»

Mit dieser Antwort hatte er nicht gerechnet. Und irgendwie wollte er das auch gar nicht hören. Denn für sich hofften sie doch alle, dass Crow irgendwo eine Treppe runterfallen und sich das Genick brechen würde – damit wäre das grösste Problem dieser Nacht beseitigt.

Pixie und Suigetsu wechselten sich mit ihrem Feldstecher und beobachteten die Umgebung. Seit geraumer Zeit hielten sie sich zwischen einem Stapel alter Kisten und einer mit Schutt gefüllten Mulde auf, die abseits der Hallen unscheinbar an der Mauer standen, die das Gelände umgab. Von hier aus hatten sie Sicht auf das Kantinen- und Verwaltungsgebäude. Vor wenigen Minuten hatten sie erfahren, dass sich Crow vermutlich in einem der beiden aufhalten musste.

«Er steht da oben am Geländer der Dachterrasse und betrachtet sein Werk», sagte Pixie mit einem bitteren Unterton in der Stimme. Sie streckte sich, um einen besseren Blick auf die Lage zu haben.

«Was für ein Ar…»

«Psst!» Pixie hielt ihm einen Finger vor den Mund. «Wir müssen nicht fluchen. Nur beobachten.»

Suigetsu schüttelte nur den Kopf. Seit er dieses Mädchen kannte fragt er sich, was sie in dieser ganzen Sache überhaupt verloren hatte. Sie passte überhaupt nicht hier rein. Und trotzdem war er froh, dass sie hier war.

Es war keine schöne Nacht gewesen und Suigetsu war einfach nur stinksauer und aufgewühlt von all den Dingen, die er gesehen hatte. Und auch wenn Pixie es gekonnt überspielte, wusste er, dass es ihr gleich ging. Sie hatte Übung darin, zu lächeln und positiv zu denken, wenn ihr eigentlich nicht im Mindesten danach zu Mute war.

Sie waren seit Anbruch der Nacht miteinander unterwegs. Nicht als Kämpfer, sondern als eines von drei Kundschafter-Tandems, die der Zentrale regelmässig Lagebericht erstatteten. Ihr Job beinhaltete also vorwiegend, von Versteck zu Versteck zu eilen und zu beobachten, was die Riots taten. Und derzeit stand natürlich vor allem eine Frage im Raum – wo war Crow?

Nun, diese Frage schien sich jetzt beantwortet zu haben. Doch wirklich schlau wurde er aus diesem Typen nicht.

«Was macht er, Pix?»

«Nichts», sagte sie und zuckte dabei ratlos mit den Schultern. «Steht einfach da. Und guckt.»

Das war zwar nicht gerade aufschlussreich, aber das war egal. Sie hatten Crow. Rasch zückte er sein Funkgerät und schilderte Hatake Pixies Beobachtungen.

Nur wenige Sekunden, nachdem er seine Nachricht übermittelt hatte, zerbarst nur wenige Schritte entfernt von ihnen eine der Holzkisten. Splitter flogen in alle Richtungen und sie warfen sich geistesgegenwärtig auf den Boden, während dem ein Kugelhagel über sie hereinbrach. Sie robbten auf dem Bauch so schnell sie konnten hinter die Mulde, die jede Kugel mit einem metallischen Kreischen auffing.

Hier bewährte sich Suigetsus jahrelange Erfahrung in Gangfights. Seine Instinkte waren innert Sekunden geschärft. Die Schüsse kamen aus den Fenstern des Kantinengebäudes. Pixie musste beim Beobachten für einen kurzen Moment die Deckung verlassen haben, sodass man sie entdeckt hatte. Da ihr Fokus auf Crow gerichtet war, der in eine komplett andere Richtung geschaut hatte, war ihr entgangen, dass sie sichtbar war. Dass die Fenster auch besetzt waren, hatte sie nicht bemerkt.

Jetzt mussten sie einen Ausweg finden, ansonsten würde das hier böse enden.

«Yuma!», rief Pixie über den Lärm weg. Sie nannte ihn immer noch bei seinem Decknamen. Und er hatte es aufgegeben, ihr das abzugewöhnen.

«Unten bleiben!», gab er zurück und drückte sie nach unten. Wenn Crow jetzt Leute nach ihnen schickte, dann war es vorbei mit ihnen. Sie hatte zwei Chancen – entweder, sie wurden von den Riots für tot gehalten oder sie bekamen Unterstützung.

Pixie hatte unbedingt dabei sein wollen. Und er hatte sie gelassen. Karin würde ihm den Hals umdrehen, wenn sie noch könnte. Nicht einmal auf Pixie konnte er aufpassen.

Der Kugelhagel verstummte. Schlauerweise hatten sie beschlossen, ihre Munition für den grösseren Gegner aufzusparen.

Die beiden hielten die Luft an und machten keinen Wank. Wenn jetzt Riots kamen, dann waren sie geliefert.

Doch es kam anders. Das Feuer wurde wieder eröffnet, doch dieses Mal nicht in ihre Richtung. Und das konnte nur eines bedeuten: Verstärkung war da.

«Wir kriegen ihn, Pix», sagte Suigetsu. In ihm wuchs neue Hoffnung. Eine beinahe unbändige Zuversicht.

«Natürlich kriegen wir ihn», sagte sie leise. «Wer, wenn nicht wir?»

 

23:35 Uhr, Fort

 

Drei Panzerwagen hielten mit quietschenden Reifen neben dem Fort. Aus dem ersten sprang Demon, die Lenker der beiden anderen waren Angel und Redhead.

«Alles einsteigen», befahl er mit rauer Stimme. Demon sah gar nicht gut aus. Verkrustetes Blut klebte an seiner Stirn und seiner aufgeplatzten Lippe. Er trug mehrere Verbände an den Armen und auch auf seinen Kleidern waren dunkle Blutflecken zu erkennen. Dabei waren es nicht einmal die sichtbaren Wunden, die ihm schwer zuzusetzen schienen. Nein, sein Blick war starr, voller Wut. Und Naruto wusste, dass Sasuke Dinge gesehen hatte, die er nicht hatte sehen wollen. Er wusste, wie es um Sakura stand.  Und es zerriss ihn beinahe.

«Wie geht es ihr?», fragte Hinata mit kratziger Stimme, die kaum mehr zu hören war. Sie konnte inzwischen stehen, aber Blue musste ihr Halt geben.

«Schlecht», war die barsche Antwort von Sasuke. Hinata war sofort anzusehen, dass sie sich die Schuld für das alles hier gab.

«Für die Verletzten kommt gleich ein Wagen», sagte Angel. «Hatake will, dass Big Fox und Hinata das Gelände verlassen.»

«Das kann er vergessen», antwortete Naruto wie aus der Kanone geschossen.

«Crow weiss nicht, dass ihr nicht tot seid. Er wird also nicht nach dir verlangen, Big Fox», brummt Redhead.

«Ist mir scheissegal. Ich bleibe.»

«Ach komm schon, du bist wackelig auf den Beinen, das sieht jeder. Und du hörst dich an als hättest du heute bereits das dritte Päckchen Kippen geraucht», meinte Sasori trocken.

Naruto setzte für eine gehässige Antwort an, doch Hinata kam ihm zuvor.

«Ich bleibe auch. Hanabi ist da oben. Und das alles geht auch auf mein Konto. Ich bleibe bis zum Schluss.»

Sasori verdrehte die Augen. «Edelmut, wohin man auch schaut. Dabei hätte ich beinahe vergessen, dass ihr Kuramas seid.»

«Wir müssen jetzt los. Big Fox und Hinata sollen meinetwegen in einen der Wagen. Aber ich warne euch, wenn ihr auf die Idee kommt, im Kampf mitmischen zu wollen, dann seid ihr eher im Lazarett als ihr bis zehn zählen könnt.»

Sasuke gab Zetsu, der sich auch unter den Fort-Flüchtigen befand, den Zündschlüssel für seinen Kastenwagen.

«Du fährst. Ich bin dein Beifahrer.» Er wandte sich an die anderen. Seine Befehle hatten etwas Mechanisches. «Verteilt euch auf die Wagen. Wir müssen zur Kantine.»

 

23:43 Uhr, Dachterrasse Kantine

 

Das Chaos war perfekt. Die Hallen, die Bäume und einen Haufen Schutt standen inzwischen alle lichterloh in Flammen und die Feuerwehr versuchte von ausserhalb des Areals ihr Bestes, um es einzudämmen, damit es nicht auch noch auf umstehende Gebäude übersprang. Der auffrischende Wind machte das zu einer echten Herausforderung. Ein Blick zum Himmel zeigte, dass die Sterne und der Mond langsam hinter der nächsten Wolkenfront verschwanden. Bis jetzt waren sie von Regen verschont geblieben, doch das würde sich ändern.

Er fühlte sich besser als je zuvor. Das hier war der Gipfel dessen, was er dieser Stadt antun würde. Dabei war es nur ein Bruchteil davon, was diese Stadt seinen Schwächsten tagtäglich zumutete. Es war an der Zeit, dass auch die Stärksten merkten, wie wenig sie ihr Geld schützen konnte, wenn die Menschen aufbegehrten,

In der Ferne sah er einen Helikopter über dem Stützpunkt der Polizei verharren. Wenn er sich nicht täuschte, dann konnte er den Schriftzug von KCTV erkennen. Das war ja perfekt.

Cracker gab ihm das Signal – sie waren wieder live. Crow stelle sich näher neben Hanabi und nahm die Kamera in den Fokus.

«Willkommen zurück zu einem Spektakel, wie es diese Stadt noch nie gesehen hat», begrüsste er seine mehr oder weniger enthusiastischen Zuschauer.

«Wie Sie sehen, sind wir immer noch da. Ich denke, ich muss Ihnen nicht erklären, dass sich bei uns ganz schön was getan hat.»

Cracker schwenkte mit der Kamera nach links, um das Inferno in den Fokus seiner Linse zu bekommen.

«Und das hier ist meine bezaubernde Begleitung für heute Abend.» Cracker war mit der Kamera sofort wieder bei ihnen. «Sie wird dafür sorgen, dass wir sagen können, was wir zu sagen haben.»

Jetzt trat er auf die Terrasse hinaus, Hanabi hielt er ganz nahe bei sich. Für den Moment war sie seine Lebensversicherung.

«Guten Abend auch an meine lieben Kuramas und Takas!», rief er in die Nacht hinaus. Das Gebäude hatte nur zwei Stockwerke und die Dachterrasse war entsprechend nicht allzu weit vom Boden entfernt.

Es war zwar niemand zu sehen, aber er wusste, dass sie zuhörten. Gerade vorhin hatten sich Panzerwagen in Position gebracht. Bestens, denn das hier sollten sie auf keinen Fall verpassen.

 

23:44 Uhr, in Deckung

 

Shikamaru beobachtete die Situation von einem Versteck aus, das mehr oder weniger aus einem Berg von Müll bestand. Dort oben war Crow, ganz nahe bei sich Hanabi. Und er hielt sein Abschlussplädoyer.

«Ach ja, und die Damen und Herren von der Regierung, seid ihr auch alle ganz Ohr?», hörte er Crow weiterreden. «Denn heute Nacht geht es um euch. Falls ihr das noch nicht bemerkt habt. Da ihr allesamt Expertinnen und Experten in Sachen Ignoranz seid, fand ich das jetzt doch noch einmal erwähnenswert.»

Cracker folgte ihm mit der Kamera. «Wunderbar. Lassen Sie mich von drei Personen erzählen, die für mich der Inbegriff der Fäulnis sind, die sich in dieser Stadt seit Jahrzehnten breitmacht. Shoto Murakami, den Bankenmogul, habe ich bereits erwähnt. Daneben sein guter Freund, Takashi Watanabe. Ihr kennt ihn als Rechtsanwalt für die Schönen und Reichen, der Beziehungen zur korrupten Regierung hat und Murakami und Konsorten immer mal wieder aus Anschuldigungen raushaut, ohne dass die Öffentlichkeit überhaupt etwas erfährt. Und zu guter Letzt, man nennt sie in unseren Kreisen nur ‘die Fleischverkäuferin’, Sayuri Tanaka. Bordellbesitzerin und Menschenhändlerin, die junge Frauen durch das ganze Land schleust, um sie an den Ort zu bringen, wo sie am meisten Geld machen. Natürlich kennen Sie Miss Tanaka nur als den Kopf der gleichnamigen Beauty-Linie. Doch glauben Sie mir, wenn ich Ihnen sage, dass diese Leute nicht das sind, was sie nach aussen zu sein scheinen. Wir haben Banker, Unternehmer, aber auch sogenannte Menschen des Gesetzes, die sich einen Dreck um andere scheren. Die genau zwei Sachen sehen: Profit und den einfachsten Weg dazu.»

Shikamaru musste sich eingestehen, dass er dem Typen zuhörte. Denn was er sagte, interessierte ihn. Wenn er Crow für etwas keine Vorwürfe machte, dann dafür, dass er Missstände ans Licht brachte, die viel zu lange unter den Teppich geschoben und von allen hohen Tieren vertuscht worden waren. Die Namen Tanaka, Watanabe und Murakami waren in der Strassenszene bekannt. Jeder wusste, dass die drei zu den grössten und einflussreichsten Mächten gehörten, die im Untergrund wirkten, miese Geschäfte trieben und dabei auf Menschen herumtrampelten, die sich nicht wehren konnten. Und wenn sie es taten, dann wurden kurzen Prozess mit ihnen gemacht – auf ganz unterschiedliche Weisen. Und Watanabe war, wenn man es genau betrachtete, eigentlich der schlimmste von allen. Denn er vertrat diese Drecksäcke vor Gericht und wand sie aus allen möglichen Vorwürfen raus. Er sorgte dafür, dass ihr Verhalten keine Konsequenzen hatte.

«Drei ganz verrottete Persönlichkeiten», sagte Crow und seine Stimme wurde schwer. «Und dass der Bürgermeisten und seine Stadtregierung das zulassen spricht Bände über ihre Intentionen. Ihre Prioritäten. Oder werden auch sie von Murakami und Konsorten unter Druck gesetzt? Wer weiss. Fakt ist, dass wir das nicht mehr länger auf uns sitzen lassen. Wir haben genug von eurem beschissenen Egoismus!»

Ja, dachte Shikamaru. Ich auch.

Er schüttelte den Gedanken ab, doch er konnte nicht anders als zuzugeben, dass das hier die Wahrheit war. Shikamaru stimmte Crow zu. Nicht seinen Mittel und Wegen, aber seinen Worten, die er hier und jetzt aussprach.

Ein Blick in die Runde zeigte ihm, dass es den anderen ähnlich ging. Neben ihm biss sich Kiba auf die Lippe und betrachtete starr seine Waffe. Temari hatte ihre Hände zu Fäusten geballt. In Crows Stimme war zum ersten Mal seit er denken konnte, wirkliche Menschlichkeit zu hören. Nicht nur ein kalkulierendes Mastermind, sondern ein Mensch, der viel zu viel mitgemacht hatte. Hatte mitmachen müssen, wegen Leuten wie Murakami, Watanabe und Tanaka. Und deshalb erreichte er sie. Hier und heute mit seinen Worten.

«Und heute spreche ich nicht nur Worte gegen euch», sagte Crow mit einem leisen Triumpf in der Stimme. «Heute folgen Taten.»

 

Lazarett

 

Die Waldlichtung war noch schöner, als sie sie in Erinnerung hatte. Die Bäume und Büsche schirmten sie ab und gaben ihr das Gefühl, mitten in einem grünen, nach Nadeln und Laub duftenden Raum zu stehen. Der Boden war bedeckt mit weichem, sattgrünem Gras. Und da lag auch immer noch der Baumstamm, den ein Sturm vor langer Zeit aus der Erde gerissen hatte. Er war bewachsen mit Moos, fast wie ein kleines Natursofa mitten im Wald. In der Luft lag der beruhigende Singsang von Vögeln und das Rascheln von Blättern im leisen Wind.

Früher, ganz früher, da hatten sie und ihre Eltern oft lange Spaziergänge in dem schönen Wald gemacht, der nur wenige Minuten von ihrem Haus entfernt gelegen hatte. Die Lichtung war damals ihr Lieblingsplatz gewesen.

Sakura machte einen Schritt vorwärts und spürte das weiche Gras zwischen ihren Zehen. Ein Blick an sich herunter zeigte, dass sie barfuss unterwegs war. Es war warm und sie spürte die zarten Sonnenstrahlen auf ihrer Haut, die durch das Blätterdach fielen. Ein weisses Kleid aus Leinen fiel ihr bis zu den Knien.

Sie sog die wunderbare Waldluft ein, genoss die Erinnerungen, die mit diesem vertrauten Geruch aufkamen. Erinnerungen an eine friedliche Zeit. An eine schöne Kindheit, die sie für nichts in der Welt eingetauscht hätte.

Sie musste unwillkürlich lachen. Das tiefe, wunderbare Gefühl von Glück und Frieden drang aus ihrem Innersten hervor.

Mit einem tiefen Seufzer schloss sie die Augen und sie fühlte sich federleicht. Und als sie die Augen wieder öffnete, sass jemand auf dem Baumstamm und blickte wohl genauso verträumt in die Welt hinaus, wie sie.

Yohei war trug weisse Hosen und ein weisses, weites T-Shirt. Sein blondes Haar sah richtig wuschelig und wild aus. Im Licht der Sonne leuchtete es golden.

«Was machst du hier?», fragte sie ihn und ihre eigene Stimme klang glockenhell in ihren Ohren.

Er antwortete zuerst nicht.

«Das ist ein schöner Ort», sagte er dann.

Sakura ging auf ihn zu und fühlte sich dabei, als würde sie schweben. Yoheis Blick war friedlich, sein Körper entspannt. So hatte sie ihn noch nie gesehen.

«Nicht wahr?», beschloss sie, auf seine Aussage einzusteigen. Vermutlich war er so in Gedanken gewesen, dass er ihre Frage gar nicht gehört hatte. «Ich liebe den Wald. Ich glaube, nirgendwo hat man so seinen Frieden wie hier.»

«Welchen Wald?»

Sakura stutze und sah ihn prüfend an, um zu sehen, ob er einen Witz gemacht hatte. Doch in seinem Blick lag nichts anderes als eine ernst gemeinte Frage.

Sie wollte gerade zu einer Antwort ansetzen, doch auf einmal war der Wald verschwunden. Sie fand sich in einem kleinen Raum mit kahlen Betonwänden wieder. Die Sonne war einer schummrigen Lampe gewichen und es roch nicht mehr nach Rinde, Gras und Tannennadeln, sondern nach alter Kellerluft. In der Ecke stand eine Liege, der Boden war staubig. Sakura brauchte Zeit, bis sie ihn wiedererkannte – es war Yoheis kleines Zimmer im zweiten Untergeschoss von Halle 3.

«Du findest diesen Ort schön?»

Er nickte.

«Weswegen?»

«Ich weiss es nicht. Die Erinnerung daran gibt mir ein gutes Gefühl.»

Der Boden war kalt und ihre nackten Füsse zeichneten Spuren in den Schmutz und den Staub.

«Haben wir es nicht rausgeschafft?», fragte sie ganz nüchtern. Der Gedanke beunruhigte sie nicht im Mindesten. In ihr lag eine Ruhe, eine Sicherheit. Dabei wusste sie, dass sie an diesem Ort eigentlich Angst haben müsste. Doch da war nichts.

«Doch.» Er hatte ein Lächeln auf den Lippen und starrte dabei gegen die Wand.

«Ich verstehe nicht.» Sakura dachte nach, doch sie erinnerte sich nicht wirklich, was passiert war. Sie hatte Erinnerungen an ihr Leben und an Yohei. Und daran, dass sie diesen Raum verlassen hatten. Aber was danach passiert war? Sie wusste es nicht mehr.

«Du träumst, Sakura. Wenn man dem denn so sagen kann.»

«Was?»

«Du bist nicht bei Bewusstsein.»

«Aber wo bin ich denn in Wirklichkeit?»

«In Sicherheit. Umgeben von Ärzten, die dir helfen.»

Diese Information sollte sie beunruhigen, sie erschüttern. Doch das tat sie nicht. Ihr kam es vor, als wäre ihr Herz in Watte gepackt, die unangenehme Gefühle abdämpfte.

«Du bist schwer verletzt, Sakura.»

«Und du?»

«Ich auch.»

«Was ist mit uns passiert?»

«Wir sind aus dem Keller geflüchtet und mussten kämpfen.»

Vage Bilder kamen in ihr auf. Feuer, Rauch, Blut. Yoheis Verletzungen.

Sie betrachtete ihn näher. Da war kein Blut mehr. Sein Shirt war schneeweiss.

«Wo ist deine Stichwunde?»

«Du erinnerst dich?»

Sie nickte. Er hob sein Shirt. Dort, wo die Wunde hätte sein müssen, befand sich nichts als intakte, gesunde Haut.

«Dann bist du gerettet?»

Yohei nickte und lächelte dabei wieder. «Ja.»

Sakura war froh, das zu hören. Dann musste sie eigentlich nur noch aufwachen oder?

«Aber auf andere Weise, als du denkst.»

«Wie?»

«Ich gehe an einen besseren Ort.»

«Wohin?»

«Weiter. Ich ziehe weiter.»

«Und wo ist weiter?»

«Nicht dort, wo du sein wirst, wenn du aufwachst.»

«Was soll das heissen?»

Die Frage war überflüssig. Sakura fühlte sich vielleicht seltsam, aber Eins und Eins zusammenzählen konnte sie noch.

Yohei starb. Genau wie er es sich gewünscht hatte.

Unantastbar

Lazarett

 

«Das kannst du nicht machen, Yohei», hörte sie sich sagen. Ihre Stimme war zittrig und ihr Kopf wollte und konnte nicht wahrhaben, was er ihr gerade mitgeteilt hatte.

Er lächelte nur, was Sakura beinahe wahnsinnig machte.

«Hör auf zu lächeln!», rief sie laut und konnte ihrer Wut dabei kaum Einhalt gebieten. «Es gibt keinen Grund dazu!»

Er schüttelte den Kopf. «Es ist nicht so, als könnte ich die Situation noch irgendwie ändern. Das will ich gar nicht.»

Die Gedanken an ihre Erlebnisse im Untergrund der Transportfirma kamen wieder auf. Da war Blut, da war Schmerz. «Nach all dem, was wir riskiert haben, um da rauszukommen?»

«Dich da rauszubringen war mein einziges Ziel.»

«Und meines war, dass wir beide da rauskommen! Warum also, gibst du einfach auf?»

Es war, als könne ihn nichts mehr erschüttern. Vor ihr stand ein Mensch, der im Reinen mit sich selber war. Der nichts und niemandem Rechenschaft schuldete.

«Ich weiss, du hattest ein hartes Leben», redete sie trotzdem weiter auf ihn ein. «Ich weiss, wie brutal dein Vater zu dir war. Ich weiss, wie sehr dich der Tod deiner Mutter getroffen hat und wie sehr du leidest. Aber wir hätten dir helfen können. Die Kuramas oder die Takas… da bin ich ganz sicher.»

Er lächelte wieder. «Ich danke dir.»

«Wofür denn?!» Inzwischen war sie vollkommen verzweifelt. Sie kam mit Vernunft nicht mehr an ihn heran.

«Genau dafür.»

Sakura konnte nur noch den Kopf schütteln. Sie verstand nichts von alledem, wollte nichts verstehen. Es durfte ganz einfach nicht sein.

«Dafür, dass dir meine Mom nicht egal ist. Dafür. Dass ich dir nicht egal bin.»

Wenn sie es sich genau überlegte, dann hatte sich in seinem Leben wohl wirklich nie jemand für ihn und seine Familie als Personen interessiert. Nein, das Interesse der Öffentlichkeit galt rein dem Geld und dem Einfluss, den die Murakamis seit Generationen auf die Finanzwelt und die Stadt hatten.

«Du bist ein Mensch, Yohei. Du verdienst es, wahrgenommen zu werden. Du verdienst andere Menschen, die sich für dich interessieren. Genau wie wir alle.»

Er lächelte wieder.

Nach kurzem Schweigen fragte sie ihn: «Warum sehe ich dich denn noch, Yohei? Warum sprichst du noch mit mir? Wenn du ja…»

«Ich weiss nicht, Sakura. Bist nicht du es, die mich sieht? Die mit mir spricht?»

Hier war alles surreal, das war ihr längst bewusst. Was sie hier vor sich sah, war alles ein Produkt ihrer Gedanken, ihrer Fantasie. Sie träumte. Und doch fühlte es sich viel zu echt an, als dass sie es einfach abtun hätte können. In ihr sträubte sich alles dagegen, auch nur das kleinste bisschen von dem, was hier gerade passierte, zu akzeptieren. Und wenn das hier alles ihr Werk war, dann hatte sie doch auch die Kontrolle darüber, oder?

«Recht hast du», flüsterte sie. «Und deshalb bleibst du hier, okay?»

Sein Lächeln wich einem ernsteren Gesichtsausdruck. «Du weisst, dass das nicht gut für dich ist.»

«Was?»

«An etwas festzuhalten, das bereits verloren ist.»

«Vielleicht ist es ja noch nicht verloren.» Sie glaubte sich selber nicht, als sie das sagte. Aber in ihr kam ein gar kindlicher Trotz auf, den sie zulassen wollte.

Er schüttelte den Kopf und bedachte sie mit einem vielsagenden Blick. Doch Sakura weigerte sich, ihm zuzustimmen. Sie hatte hier die Kontrolle.

Einmal die Augen geschlossen und wieder geöffnet, befanden sie sich wieder auf der Waldlichtung.

«Siehst du?», sagte sie mir einem leisen Triumph in der Stimme. «Ich entscheide, was hier passiert. Und deshalb bleibst du hier.»

Er seufzte leise. In seinem Gesicht sah sie nur Mitgefühl. Und eine Prise Neugierde.

 

23:44 Uhr, Seiteneingang Kantine

 

Sasuke schwitze. Der auffrischende Wind trieb die heisse Luft der Feuerherde über das Gelände weg zu ihnen hin. Noch befanden sie sich nicht in Hörweite von Crow, da sie schlecht einfach mit dem Kastenwagen an das Kantinengebäude hatten heranfahren können. Sie waren eine grosse Truppe, doch momentan bewegten sie sich in zwei kleineren Gruppen um das Verwaltungsgebäude herum, mit dem Ziel, das Kantinengebäude durch den Hintereingang zu stürmen. Problematisch war, dass sie keine Möglichkeit hatten, an die Geisel heranzukommen, ohne sich direkt und mit voller Kraft in die letzte verbliebene Riots-Hochburg zu stürzen. Wobei der Begriff «Hochburg» wohl reichlich übertrieben war. Denn inzwischen konnten es kaum mehr als zwanzig Riots sein, die sich noch in dem Gebäude befanden. Nach Hinatas Schätzungen waren zu Beginn der Nacht etwas über sechzig Riots auf dem Gelände stationiert gewesen. Laut Hatake gab es eine erstaunliche Anzahl Riots, die sich der Polizei freiwillig gestellt hatten, nachdem Crow sein Chaos entfacht hatte. Anscheinend war nicht allen wirklich bewusst gewesen, in welche Scheisse sie sich geritten hatten. Vierzehn Riots konnten kampfunfähig gemacht und der Polizei übergeben werden, zusammen mit den elf Fliehenden waren das schon fünfundzwanzig. Und dann gab es noch eine Dunkelziffer von Toten.

Es kostete Sasuke alle Kraft, seine Gedanken bei dem einen Ziel zu behalten, das sie seit so langer Zeit verfolgten. In seinem Kopf gaben sich Bilder von Sakuras Verletzungen und von Tomcats letzten Minuten abwechselnd die Klinke in die Hand.

Nichts von alledem machte Sinn und doch handelte es sich um Tatsachen. Er versuchte, diese Fassungslosigkeit in Wut und Stärke umzuwandeln, die ihn ein für alle Mal kurzen Prozess mit Ayato machen lassen würde. Das war nicht Ayato, wie er ihn noch aus Iwagakure kannte. Es war ein kranker, von Rachsucht und Zorn zerfressener Schatten eines kleinen Jungen, der in seinem Leben immer wieder am falschen Ort gelandet war.

Direkt hinter ihm waren Zetsu, Kisame, Angel, Sasori, Hidan, Deidara und Konan. Sie schritten rasch voran, immer darauf bedacht, möglichst leise zu bleiben. Doch Konfrontation war in diesem Stadium der Schlacht nicht mehr zu vermeiden.

Kurz vor der Hausecke hielt er inne und lauschte. Er hörte entfernt Crows Stimme, schnappte jedoch nur einige Worte auf. Es war ihm auch egal, was er sagte. Sie brauchten einzig und allein die Bilder des Live-Streams, die Sasori auf dem Smartphone der Polizei verfolgte. Der Stream gab zwar nur wenig Auskunft über die verbliebene Anzahl Riots und ihre Aufenthaltsorte, aber dafür über Hanabi.

Im orangeroten Licht des Feuers nickte Sasori ihm zu, was so viel bedeutete, dass die Lage sich nicht verändert hatte, seit sie den Panzerwagen verlassen hatten. Sasuke griff nach seinem Funkgerät und kontaktierte Pain, der sich mit der Kurama-Delegation auf der anderen Seite befand. Da Big Fox kaum mehr in der Lage war, eine Mission anzuführen und weil Genius als Vize die Aufgabe hatte, das ganze Szenario hier zu koordinieren, hatte Yahiko bei den Kuramas den Lead übernommen. Niemand der Kuramas hatte dagegen protestiert – es wäre in Anbetracht der Situation auch ein Witz gewesen, wenn ihnen die Gang-Streitereien auch noch auf den letzten Metern in die Quere gekommen wären.

«Wir sind in Position», sagte er.

Yahikos Antwort war kurz. «Gib uns noch ‘ne halbe Minute. Wir sind ein bisschen in Verzug.»

Sasuke fragte nicht, weshalb. Wenn es wichtig gewesen wäre, hätte Yahiko es ihm mitgeteilt. Er vermutete irgendeinen Disput zwischen Naruto und Hinata, die sich beide nicht davon abbringen liessen, bei diesem letzten Kampf mit dabei zu sein.

Stattdessen nutzte er also diese kurze Wartezeit, um tief durchzuatmen und sich auf das zu konzentrieren, was noch kam. Sie hatten keine Ahnung, was sie da oben erwartete. Ein Blick auf seine Leute genügte, damit ein seltsames Gefühl von Nostalgie und Wärme in ihm aufkam. Er kannte sie alle schon so lange. Zu viele Kämpfe hatten sie zusammen gekämpft, als dass er sich noch an alle hätte erinnern könnten. Sie hatten so viel Mist gebaut. Sich so viele Nächte um die Ohren geschlagen. Wild gelebt.

Itachi war nicht mehr da. Sniper war nicht mehr da. Die Takas waren unvollständig und würden es immer bleiben. Doch jetzt in diesem Moment fürchtete er sich davor, dass jemand von diesen Menschen hier nicht mehr aus dem Kampf zurückkehren würde. Dabei sprach nichts als Entschlossenheit und Zuversicht aus ihren Gesichtern. Ihm wurde wieder einmal bewusst, welche guten Qualitäten der sogenannte Abschaum der Gesellschaft mitbrachte. Allen voran Loyalität und ein unbändiger Mut. Etwas, wovon viele Menschen nur träumen konnten.

Die anderen bemerkten seinen Blick. Zestu und Kisame nickten ihm zu. Deidara hob siegessicher seine Faust und Hidan grinste selbstsicher. Angel rang sich ein Lächeln ab, auch wenn Sasuke ihr ansah, dass auch sie der Gedanke an Tomcat nicht losliess. Redhead verfolgte aufmerksam, was sich auf dem Bildschirm des Smartphones abspielte oder eben nicht abspielte. Und Konan legte Sasuke die Hand auf die Schulter und drückte ihn. Die Berührung hatte etwas Mütterliches.

Konan hatte diese Nacht auch einstecken müssen. Sie war verschrammt, hatte Russ im Gesicht und sie sah müde aus. Er hatte mit ihr nie mehr über Itachi gesprochen. Dabei musste sie genauso mit dem Schmerz kämpfen wie er. Wenn sie das hier überlebten, dann würde er es tun. Das nahm er sich fest vor.

Gemeinsam warteten sie also ab. Warteten darauf, mit allem was sie hatten ihrem Schicksal entgegen zu rennen.

 

 23:45 Uhr, in Deckung

 

«Ihr da draussen glaubt, dass ihr unverwundbar seid. Aber niemand ist unverwundbar, nicht einmal die allerreichsten Arschlöcher, die hier rumlaufen. Ihr denkt, ihr könnt euch verschanzen. Sogar jetzt zeigt ihr euch nicht, sondern lasst jemand anderen für euch die Schlacht ausfechten. Und wen habt ihr dazu engagiert?»

Shikamaru beobachtete inzwischen auf dem Bildschirm eines Smartphones, wie Crow seinen Blick über das Gelände schweifen liess. «Gangs.»

Danach lachte er kurz. «Wie praktisch. Zwei Fliegen mit einer Klappe, oder wie? Nun, mit den Kuramas und Takas habe ich einen persönlichen Konflikt, weswegen es mir gelegen kam, dass ihr sie engagiert habt. Sie jedoch haben sich in der ganzen Sache weniger intelligent angestellt. Sie dürsten nach einer zweiten Chance, einer Möglichkeit, wie ihr zu werden. Sie wollen ihren Namen reinwaschen. Denn sie wollen keine wirkliche Veränderung. Nur eine für sich.»

Choji neben ihm sog scharf die Luft ein. Es machte ihn wütend, dass Crow die Gangs des Egoismus beschuldigte. Und Shikamaru verstand das, ihm ging es ähnlich. Doch wenn er es ganz objektiv betrachtete, konnte er Crow nicht verübeln, dass er den Gangs diesen Vorwurf machte. Denn im Endeffekt konnten die Intentionen der Gangs ganz verschieden interpretiert werden. In Shikamarus Augen, kämpften die Kuramas und Takas in diesem Moment genauso für eine bessere Welt, wie die es Crow zu tun vermeinte. Nur war es aus ihrer Sicht das Beste, Crow auszuschalten, weil er nur Leid brachte. Und weil er ein Bild von Gangs vermittelte, hinter dem sie nicht stehen konnten. Für die Kuramas und Takas brauchte es für wirkliche Veränderung auch einen neuen Blickwinkel auf Gangs.

Nicht so für Crow. Im vergangenen Jahr war immer wieder deutlich geworden, dass er eine komplette Neuordnung der Gesellschaft wollte. Dass er eine Revolution in Gang gebracht hatte, die ganze Strukturen in wilder Manier auf den Kopf stellen sollte. Und aus seiner Sicht waren die Kuramas und Takas Egoisten, die sich um ihr Image und ihren Status scherten. Und damit hatte er Recht. Doch das war nicht die ganze Wahrheit.

Shikamaru schüttelte den Kopf, um sich selber aus seinen Gedanken zu reissen. Er musste sich jetzt konzentrieren und den ganzen Mist hier koordinieren.

«Ja, ich weiss was ihr denkt», sagte Crow. «Der labert zu viel.»

Er grinste in die Kamera. «Ich denke, dass ich jetzt gar nicht mehr viel sagen muss. Ich habe euch drei Beispiele von Monstern genannt. Nur drei von Tausenden, die sich hier in dieser Stadt befinden. Aber es ist ein Fehler, zu glauben, dass Monster unantastbar sind. Wir kommen sehr wohl an sie ran, auch wenn sie ständig von Security umringt sind. Vielleicht einfach nicht so, wie sie erwarten.»

Er stütze sich mit den Händen auf das rostige Eisengeländer. Einer seiner Leute nahm Hanabi zu sich und legte ihr das Messer an die Kehle. Danach drehte er sich noch einmal zur Kamera um.

«Ihr solltet alle zittern. Die Riots machen nicht nur Radau in der Strasse. Nein, sie sind durchaus fähig, Gebäude zu infiltrieren. Sich an Orte rein zu schleichen, wo sie nicht hingehören. Und dort alles vorzubereiten, damit diese Nacht perfekt wird. Eine Putzfrau bei der Bank… eine Riot? Ein Hauswart in einer Anwaltskanzlei? Oder gar eine ganz simple Verkäuferin in den Filialen von Sayuri Tanaka?»

Er grinste wieder. «Während ihr beschäftigt damit wart, euch über die Krawalle in den Strassen zu nerven, waren wir auch im Verdeckten aktiv.»

Er zog ein Handy hervor. Und Shikamaru dämmerte jetzt, was Crow vorhatte. Das schlimmste daran war, dass er nichts mehr dagegen tun konnte. Niemand konnte noch etwas dagegen tun.

Weil sie alle hier waren. Inklusive den stärksten Polizeieinheiten. Dabei, und das dämmerte ihm im Bruchteil einer Sekunde, war das Gelände hier nur eine von mehreren Bühnen, die sich Crow zu Eigen gemacht hatte.

Und die nächste Vorstellung begann jetzt.

«Mister Murakami! Wir beginnen mit Ihnen. Kurz zusammengefasst: Sie sind ein dreckiges Arschloch. Ein Mann, der seine eigene Frau in den Suizid getrieben hat. Der seine Familie und tausende von anderen Menschen endloser Gewalt ausgesetzt hat.» Crow grinste ihn von seinem Smartphone aus an. Und dann begann er, von zehn rückwärts zu zählen.

Die Unruhe unter seinen Leuten wurde grösser, auch wenn für Shikamaru keine Zweifel bestanden, dass ihnen ausgerechnet an diesem Ort hier, in diesem Moment, keine Gefahr drohte.

«Drei!» Nichts als Vorfreude im Gesicht des Riot-Leaders.

«Zwei!» Shikamaru wollte etwas tun, irgendetwas, um ihn aufzuhalten. Doch er war machtlos.

«Eins!» Shikamaru schloss instinktiv die Augen.

 

23:45 Uhr, South

 

Ein junger Mann ging nach einigen harten und langen Überstunden für seinen Arbeitgeber seines Weges. Er verliess den Hauptsitz von Murakami Credits durch den Seiteneingang für Personal und knöpfte sich sofort seinen Mantel zu, als ihm der frische Wind entgegen schlug. Es wurde langsam aber sicher kühler und wenn ihn nicht alles täuschte, dann würde es heute noch regnen. Hinter ihm verriegelte die Sicherheitstür automatisch – er war der Letzte, der Feierabend machte. Sogar das Reinigungspersonal und der Hausmeister waren bereits weg.

Auf der Strasse waren auch um diese Zeit immer noch Leute unterwegs. Wobei sich die Zahl der Nachtschwärmer definitiv verringert hatte, seit dieses ganze Gang-Debakel seinen Lauf genommen hatte. Er wusste nicht so recht, was er von der ganzen Sache halten sollte und beliess es deshalb dabei, sich um seinen eigenen Kram zu kümmern.

Jetzt nur noch nach Hause und dann ins Bett. Morgen würde wieder ein langer Tag werden.

Direkt neben der Bank befand sich eine Bushaltestelle und von weitem sah er auch schon den Bus um die Ecke biegen. Perfekt.

Er hatte den Unterstand noch nicht erreicht, da zerriss ein ohrenbetäubendes Knallen die Luft. Er wusste nicht, wie ihm geschah, als ein Regen aus Glassplittern sich über seinen Kopf ergoss. Panische Schreie und das Quietschen von Autoreifen erfüllten die Luft.

Als keine Splitter mehr fielen, raffte er sich sofort auf. Er schaute nicht nach rechts und nicht nach links als er über die Strasse rannte, auf der der Verkehr zum Erliegen gekommen war. Beinahe stolperte er über Schutt, konnte sich jedoch gerade noch fangen und erreichte die andere Strassenseite. Er suchte nach der nächstbesten Deckung, einer Litfasssäule. Und kaum hatte sie erreicht, erfolgte eine weitere Explosion. Mit Entsetzen stellte er fest, dass die Explosionen das Gebäude betrafen, in dem er vor fünf Minuten noch vor einem Computerbildschirm gesessen hatte.

Es erfolgten weitere Detonationen, dieses Mal in viel zu kurzen Abständen. Sie liessen die Glas aus den Fenstern springen und Schutt über den Gehsteig und die Strasse herabregnen. So etwas hatte er noch nie gesehen. Aus den Fenstern züngelten bereits Flammen, als eine Abfolge von Explosionen den Hauptsitz von Murakami Credits von innen heraus zerstörte.

Und als es auf einmal still war – viel zu still – wusste der junge Mann, dass sein Feierabend gelaufen war. Rasch rappelte er sich auf, griff nach seinem Telefon und wählte die Notfallnummer. Dann machte er sich auf die Suche nach Verletzten, während in seinem Kopf die Gedanken Purzelbäume schlugen.

 

23:46 Uhr, in Deckung

 

Man hatte die Explosionen bis hierhin gehört. Und das liess fast nur eine Schlussfolgerung zu: Der im South stationierte Hauptsitz von Murakami Credits war mit Bomben von innen heraus attackiert worden.

Über Funk spielte alles verrückt. Sie wurden darüber informiert, dass Hatake sofort die höchste Warnstufe ausgerufen hatte, insbesondere für alle Menschen, die sich in der Nähe von der Kanzlei von Takashi Watanabe, von Sayuri-Tanaka-Filialen oder deren Hauptsitz befanden. Doch Crow dachte nicht daran, ihnen Zeit für eine Evakuierung der Bevölkerung zu geben.

«Miss Tanaka! Sie als dreckige Schlampe zu bezeichnen ist beinahe untertrieben. Gegen innere Hässlichkeit hilft auch das beste Make-Up nicht.» Und dann zählte er wieder. Jetzt nur noch von Fünf rückwärts.

«Wir müssen etwas tun!», sagte Sora neben ihm. Der Outer-Leader war angeschlagen, aber trotzdem noch voller Energie.

Shikamaru war kurz davor, Pain und Demon die Erlaubnis zum Zugriff zu geben, auch wenn er wusste, was auf dem Spiel stand. Doch wenn er sich die Situation so rational wie möglich vor Augen führte, war das zwecklos. Crow schien zwar das Signal für die Detonationen zu geben, aber er war es nicht, der sie auslöste. Er glaubte nicht daran, dass die Riots Fernzünder von solchem Kaliber besassen. Egal, was sie auch machten, die Bomben würden explodieren. Sie konnten nur noch retten, was zu retten war.

Crow war bei null angelangt. Dieses Mal war keine Explosion zu hören – wo auch immer die Bombe hochgegangen war, sie war zu weit weg.

Es machte ihn sprachlos, wie sehr Crow einmal mehr die Überhand behielt. Und das trotz seiner klar unterlegenen Position.

Crow lächelte schadenfreudig in die Kamera. Seine Belustigung war dem Blick eines eiskalten Revolutionsführers gewichen, der keine Grenzen kannte. Ayato Kirishima wusste, welche Macht er hatte. Und er nutzte sie bis zur letzten Minute aus.

«Soviel zu Tanaka», sagte Crow. «Und jetzt noch zu dem Untermenschen, der dafür sorgt, dass Unterdrücker an der Macht bleiben, egal, welches Verbrechen sie sich auch zu Schulden kommen lassen. Aber hier kannst du niemanden, geschweige denn dich, mit Argumenten oder gut platziertem Geld raushauen.» Seine Stimme triefte vor Verachtung. Und erneut zählte er, jetzt nur noch von drei an rückwärts. Es war auch dieses Mal nichts zu hören, als die Bomben hochgingen.

Crow hielt die gespenstische Stille auf dem Platz wie ein Meister aus. Nur das Knistern von Flammen im Hintergrund. Und dann zuckte er mit den Schultern, während er die Kamera weiterhin voller Verachtung anstarrte.

«Ihr verdient nichts anderes. Leute wie ihr verdient nichts anderes. Ganz einfach. Und deshalb rufe ich alle Unterdrückten zum Widerstand auf. Wir sind nicht machtlos, das haben wir heute bewiesen. Und wir holen uns, was ihr uns verweigert: ein Leben!»

Es war immer noch still auf dem Platz. Die Ereignisse der vergangenen Minuten sassen den Gangs tief in den Gliedern. Und noch tiefer in den Herzen. Ihnen war noch nicht klar, wie gross der Schaden war, ob und wenn ja wie viele unschuldige Menschen in diese ganze Sache hineingezogen worden waren. Aber ihre Vorstellungskraft reichte, um sich das Schlimmste auszumalen.

Ihre eigene Machtlosigkeit angesichts der Situation wirkte lähmend auf die Gangs. Das Gefühl, wieder einmal von Crow an der Nase herumgeführt worden zu sein, war vernichtend. Während ganz Konoha die Augen auf die Transportfirma gerichtet hatte und ein Grossteil an Ressourcen der Polizei, der Feuerwehr und der Rettungsdienste auf sie konzentriert gewesen waren, hatte Crow seine Revolte gegen die Elite bereits in die nächste Runde geschickt. Shikamaru und alle anderen hatten gewusst, dass Crow ihnen Schaden wollte, zumal sie für ihn eine eigene Elite bildeten. Aber nicht im Traum wäre er darauf gekommen, dass Crow schon wieder an anderen Zielen arbeitete. Sie hatten geglaubt, sie würden Crow in seinen letzten Zügen erwischen. Und das hatte sich als richtig herausgestellt. Doch es war einfach nur naiv gewesen zu glauben, dass Crow sich einfach so von der Landkarte wischen liess, ohne seine Message noch einmal mit allem Nachdruck in die Welt hinauszutragen.

Kiba neben ihm rührte sich nicht. Inzwischen betrachtete er nicht einmal mehr den Bildschirm des Smartphones sondern hielt seinen Blick starr auf seine Hände gerichtet. Shikamaru ging es ähnlich. Seine Glieder fühlten sich schwer an und in seinem Kopf rasten die Gedanken. Noch vor einigen Minuten hatte er daran geglaubt, dass sie siegen konnten. War überzeugt gewesen, dass sie die nötige Durchschlagkraft hatten, um das hier zu beenden. Aber wenn er es sich genau überlegte, dann konnten sie diese Nacht nicht mehr gewinnen. Vielleicht gelang es ihnen, Ayato Kirishima und sein Gesindel dingfest zu machen. Doch der wahre Gewinner dieser Nacht war erneut Crow mit seinen Riots. Er hatte alles erreicht, was er erreichen hatte wollen.

Shikamaru wurde beinahe übel bei dem Gedanken. Zum ersten Mal in seinem Leben hatte er keinen Plan. Nicht einmal den Hauch einer Idee, was sie jetzt tun sollten.

Er spürte eine Hand an seiner Schulter – es war Temari. Da war immer noch Feuer in ihren Augen, eine Entschlossenheit, mit der er im Moment nicht nachvollziehen konnte, ihm aber so etwas wie Hoffnung gab.

«Wie geht es weiter, Genius?», fragte sie, als wären nicht gerade mindestens drei Gebäude in dieser Stadt, inklusive der Menschen darum herum und eventuell sogar darin, zum Opfer gefallen. Temari hatte erfasst, worum es ging. Hatte sich nicht von der niederschmetternden Realität unterkriegen lassen.

«Ich weiss es nicht», brachte er nur noch hervor. Dann nahm sie ihm das Funkgerät sanft aus der Hand und kontaktierte Hatake.

Und er wartete darauf, was Crow noch zu sagen hatte.

 

23:54 Uhr, Otogakure

 

Inzwischen scharten sich neun Personen im Wohnzimmer der Iwasawas. Nachdem die Sache mit dem Livestream begonnen hatte, waren die News voll mit Updates und Nachrichten vom aktuellen Geschehen in Konoha gewesen. Sasukes ehemalige Schulkollegin Noriko hatte sie in der Hoffnung, mehr zu erfahren, per Telefon kontaktiert. Schliesslich hatte Ami den besten Kontakt zu Sasuke und Sakura. Die ganze Sache hatte darin geendet, dass Ami die jungen Leute zu sich eingeladen hatte, damit sie diese Tortur gemeinsam durchstehen konnten. Alle sieben waren sie gekommen; Noriko, Inaho, Yui, Rima, Yasuo, Kaito und Suki. Es war rührend zu sehen, wie sehr sie Anteil am Leben ihres ehemaligen Schulkameraden nahmen. Und wenn sie nicht absolut ausser sich gewesen wäre und die Sorgen sie nicht beinahe zerfressen würden, dann hätte sie ihnen das auch gesagt. Aber im Moment zerquetschte sie Harus Hand bei jedem noch so kleinen Update. Inzwischen waren Hubschrauber von KCTV unterwegs, die sich Konoha aus der Vogelperspektive ansahen. Und es war nicht schön.

Ami war beinahe das Herz stehen geblieben, als sie von den drei Anschlägen gehört hatte. Noch war unklar, ob es Tote gab, doch Verletzte hatte die Stadt allemal zu beklagen. An den Orten der Attentate trafen die ersten Rettungswagen ein. Es war ein teuflischer Schachzug, Attentate auf den Besitz reicher Menschen in dem Wissen zu verüben, dass Zivilisten dabei zu Schaden kommen würden und Hilfe derzeit eher Mangelware war – zumal sich der Fokus der Retter derzeit auf das Schlachtfeld konzentrierten.

Und parallel dazu verfolgten sie den Livestream der Riots auf Harus Laptop. Takahiro und Shina waren im Bett und schliefen friedlich. Ami war dankbar, dass sie von alledem nichts mitbekamen.

«Kann mir eigentlich mal jemand sagen, warum die Gangs das machen müssen?», fragte Rima auf einmal. In ihrer Stimme schwang Unverständnis und Frustration mit. «Sie können doch nichts dafür, dass die Riots diesen ganzen Mist bauen.»

«Das weisst du doch», brummte Kaito. «Man gibt ihnen so die Chance, ihren Namen ‘reinzuwaschen’. So ein Schwachsinn.»

«Theoretisch müssen sie es nicht machen. Praktisch hingegen…», murmelte Noriko.

«… praktisch hingegen haben sie kaum eine Wahl oder? Zumindest nicht, wenn sie wollen, dass sie noch eine Chance in der Gesellschaft haben.» Yasuo schüttelte den Kopf.

Ami nickte. «Ihr habt schon recht. Das ist ungerecht. Aber ich denke, dass nicht jedes Gangmitglied abgeneigt war, sich gegen diesen Crow zu stellen. Schliesslich wurden sie auch attackiert.» Sie seufzte. «Und es zeigt sich hier und heute, dass Crow keinen Unterschied zwischen dem Kampf gegen die Gesellschaft und dem Kampf gegen die Gangs macht.»

Ami versuchte, Ruhe auszustrahlen, auch wenn sie eigentlich kaum ruhig sitzen konnte, sosehr zerriss sie die Sorge um Sasuke, Sakura und um ihre Freunde. Der Gedanke, dass die beiden vielleicht gar nicht mehr am Leben waren, verdrängte sie mit Nachdruck.

Und da erhob Crow im Live-Stream erneut seine Stimme.

Bitte, hör auf, flehte Ami still. Bitte, lass sie endlich in Ruhe.

Was in Konoha passierte, lag jenseits ihrer Vorstellungskraft. Und eigentlich wollte sie sich gar nicht vorstellen, wie sich Sakura und Sasuke fühlen mussten. Sie waren gefangen in diesem Krieg, der als ihrer begonnen hatte und nun in unfassbare Dimensionen ausgeartet war. Dabei hatten diese jungen Menschen in ihrem Leben bereits genug stemmen müssen.

Sie würde nach Konoha gehen, das stand fest. Denn sie musste wissen, was aus Sasuke und Sakura geworden war.

 

23:54 Uhr, Seiteneingang Kantine

 

Sie alle hatten auf dem Bildschirm mitverfolgt, was geschehen war. Und sie hatten die Explosion von Murakami Credits sogar gehört. Der Schock sass ihnen in den Knochen. Und solange Shikamaru keinen Befehl zum Vormarsch gab, konnten sie nichts anderes zu tun, als in der Stille zu hocken und sich zu fragen, wie zur Hölle diese ganze Scheisse so hatte ausarten können.

Aus den Gesichtern seiner Mitstreiter sprach pure Enttäuschung über sich selber. Und ihm ging es genauso. Was zur Hölle hatten sie in dieser Nacht eigentlich erreicht? Sie hatten Crow einen Schauplatz gegeben, sich von ihm bekämpfen lassen und zu allem Übel waren nur wegen ihnen jetzt die Ressourcen der Stadt richtig mies verteilt. Er hatte Hatake vorhin per Funk übermittelt, dass sie verdammt nochmal alle Rettungskräfte an Crows Tatorte schicken sollten, sofern sie nicht hier gebraucht wurden. Natürlich hätte Hatake das sowieso gemacht. Aber er wollte nicht, dass seinen Leuten nun plötzlich auch noch die Schuld für die Ressourcenknappheit in der Stadt zugeschoben wurde.

Realistisch betrachtet hatte Crow immer die Überhand gehabt. Denn er überschritt Grenzen, die weder sie noch die Polizei jemals überschreiten würden. Mit seinen Geiselnahmen und Bombenanschlägen spielte er in einer anderen Liga, in derjenigen eines cleveren Terroristen. Er hatte Charisma und wurde von seinen Leuten auf Händen getragen. Mit herkömmlichen Methoden war er kaum zu besiegen. Und das hatte er auch heute wieder gezeigt.

Sasuke hatte bis vorhin nicht mehr zusehen wollen, wie Crow seinen Triumph auskostete. Jetzt winkte ihn Redhead aber zu sich und den anderen.

«… von meiner Seite her ist alles gesagt», hörte er Crow in die Kamera sagen. «Für alle von uns, die hier sind, ist diese Nacht bald vorbei. Wir werden in irgendwelchen Gefängnissen verschwinden oder sterben. Aber alle Riots, die noch da draussen sind werden nicht einfach ruhen. Alle, die denken wie wir: Begehrt auf. Und denkt daran, die Elite ist nicht unantastbar.» Er überlegte kurz. «Und liebe Elite, ihr habt’s gehört. Das hier ist ein Aufbegehren gegen euch. Wähnt euch nicht in Sicherheit, nur weil das hier mein Ende ist, denn sicher seid ihr nie. Geld ist nicht kugelsicher.»

Er lächelte mit einer seltsamen Befriedigung im Gesicht. Er wirkte ruhig und zufrieden. «Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit, werte Leute aus Konoha. Es war mir eine Ehre, euch durch diesen Abend zu führen. Auf dass Konoha erkennt, wer die wahren Gangster in seiner Mitte sind.»

Und da brach der Stream ab. Schwarzer Bildschirm. Fertig aus. Sasuke hätte beinahe das Smartphone gepackt und gegen die Wand geschmissen. Das war es also? Führte sie hier den ganzen Abend an der Nase herum, verübte seinen Coup und dann machte er Feierabend?!

Das Smartphone wäre jetzt kaputt, hätte sich nicht plötzlich jemand per Funk gemeldet.

«Hier ist Lioness von den Kurama Foxes», hörte er eine weibliche Stimme sagen. Er wusste, wer Lioness war. Eine blonde Kurama mit ziemlich viel Biss. «Ich spreche für Genius. Crow hat Hanabi losgelassen. Es sind keine Waffen mehr auf sie gerichtet.»

Just in diesem Moment hörte er Crows Stimme, jedoch verstand er nicht, was er den Kuramas und Takas unter sich zurief.

«Er hat gesagt, dass er keine Verwendung mehr für Hanabi hat und sie laufen lässt. Sie sollte jetzt auf dem Weg nach unten sein. Die Riots werden nicht von selber nach unten kommen. Möglicherweise will Crow einen Kampf bis zum Schluss.»

«Den kann er haben», knurrte Sasuke und nahm Kontakt mit Pain auf.

 

23:56 Uhr, Dachterrasse Kantine

 

Zufriedenheit war gar kein Ausdruck für das Gefühl, welches Ayato Kirishima überkam. Es war Genugtuung, Erleichterung, Dankbarkeit, alles gleichzeitig. Zu wissen, dass er seine Mission zu Ende gebracht hatte, stimmte ihn ruhig im Angesicht dessen, was ihm bevorstand. Vieles an seinem Plan hätte schiefgehen können und doch hatte alles geklappt.

Ein Blick in die Gesichter seiner Leute reichte, um zu erkennen, dass es ihnen genau so ging. Sie waren zufrieden mit dem Ergebnis dieser Nacht. Ihre Macht war begrenzt und doch hatten sie es geschafft, damit eine ganze Stadt in ihren Bann zu ziehen – sowohl im positiven als auch im eher negativen Sinne.

Er nickte seinen Leuten zu, denn irgendwie fehlten ihm zum ersten Mal seit er sie anführte die Worte. Die Reaktion der Anwesenden war ähnlich. Purple wischte sich sogar verstohlen über die Augen. Cracker, Pokerface wie immer, jedoch konnte Ayato beobachten, wie er sich aufrichtete und Haltung annahm. Als ob er dem Ende seiner Freiheit mit Stolz entgegentreten wollte.

«Wir haben getan, was wir konnten. Ihr seid frei, zu entscheiden, ob ihr euch von der Polizei in Gewahrsam nehmen lassen wollt oder ob ihr den anderen Weg wählt. Eure Strafen werden bestimmt milder ausfallen als meine. Ich würde euch deshalb am Ende dieser Nacht gerne lebend wissen. Aber es ist eure Wahl.»

Ayato wusste, dass die meisten von ihnen Gefangenschaft wählen würden. Miranda, Purple und viele seiner engsten Vertrauten hatten ihm das bereits gesagt. Cracker hatte sich noch nicht entschieden.

Unten im Haus wurde Aufruhr hörbar. Die Kuramas und Takas waren da.

«Vor Gericht dürft ihr mir alle Schuld geben, wenn ihr das wollt. Denn gelogen wäre es nicht wirklich.» Er bedachte diese Menschen, die loyaler nicht sein könnten, ein letztes Mal mit einem sanften Blick. «Ich werde mir jetzt noch ein letztes Mal unser Werk ansehen. Ihr habt meinen tiefsten Respekt und aufrichtigsten Dank für alles, was ihr getan habt. Der Kampf geht weiter, wenn auch ohne uns. Aber seit versichert, dass ihr diese Stadt in ihren Grundfesten erschüttert habt und den Weg für Veränderungen freigemacht habt. Wir nehmen die Schande und den Hass auf uns – für eine bessere Zukunft.»

Inzwischen weinte Purple wie ein kleines Kind. Sie war schon immer eine der emotionalsten seiner Leute gewesen. Miranda hielt sich wacker, Dandy, Skull und Cracker nickten ihm nur zu.

«Danke dir», schniefte Purple und setzte sich dann auf den Boden. Die Kuramas und Takas würde sie mit erhobenen Händen empfangen.

Crow hingegen wandte sich wieder gegen die Dachterrasse. Von weitem hörte er Hubschrauber und Sirenen von Feuerwehrautos und Polizeiwagen, die jetzt auf den Platz geschossen kamen. Hanabi musste inzwischen von den Gangs gesichert worden sein. In der Ferne hörte er den Hubschrauber von KCTV starten.

Der Wind trieb ihm den aufgekommenen Nieselregen ins Gesicht. Es fühlte sich erfrischend an, fast wie eine Reinigung nach all den unschönen Dingen, die er in dieser Stadt verbrochen hatte. Er schloss die Augen uns saugte dieses Gefühl von Frische und Sauberkeit in sich auf. Und als er sie wieder öffnete, liess er seinen Blick über das Inferno gleiten, welches er mit seinen Riot verursacht hatte. Die Hallen waren drauf und dran, in sich zusammenzustürzen. Schwarzer Rauch stieg von den lodernden Ruinen eines einst florierenden Unternehmens auf.

Das hier niederzubrennen hatte für ihn etwas ähnlich reines, wie der frische Regen auf seiner Haut. Der Ort, an dem er sein Werk vollendet hatte, wurde in diesem Moment von der Landkarte gebrannt. Es würde nicht mehr viel von der ganzen Sache übrigbleiben. Irgendwann würden hier neue Gebäude stehen. Vielleicht solche von Elitären, wie es geplant war. Und vielleicht auch nicht. Doch die Bilder und Filmaufnahmen der brennenden Transportfirma würden für die Ewigkeit bestehen.

Er schwang sich auf die Brüstung der Terrasse und fühlte sich für einen Moment, als stünde er an der Grenze zwischen dieser und der nächsten Welt. Ein Sturz von hier oben war nicht zu überleben.

Rasch kletterte er auf der anderen Seite wieder runter. Seine Füsse fanden halt auf den Ziegeln des Schrägdaches, an denen er nun langsam emporkletterte. Die Ziegel waren von Regen glitschig und aufgrund unterlassener Reinigung auch von Moos überwachsen. Er rutschte mehrmals mit den Füssen ab, fand den Halt aber schnell wieder. Er war jetzt völlig angstfrei, denn passieren konnte ihm nichts mehr. Nichts, womit er nicht rechnete. Nichts, was er nicht plante. Er zog sich an einem der zwei Schornsteine hoch und erreichte in schwindelerregender Höhe den First. Von hier oben hatte die Stadt etwas Friedliches, wenn man die drei weiteren Rauchsäulen ausser Acht liess. Der Wind zerrte an seinen Kleidern und seinen Haaren, die inzwischen durchnässt vom stärker werdenden Regen waren.

Er kletterte nun am First entlang zum Ende des Daches, wo er sich hinsetzte und mit den Händen festhielt. Der Anblick der Stadt jagte ihm einen Schauer über den Rücken. Aber nicht ein unangenehmer. Er atmete tief ein und wieder aus.

«Na, Sugu?», fragte er leise in die Nacht hinaus. «Ich weiss, dass du das niemals gewollt hättest. Ich mache es deshalb auch nicht für dich.»

Er fuhr mit seinen Händen über die nassen, moosigen Dachziegel. In diesem Moment fühlte er sich so lebendig wie noch nie zuvor. Er spürte den Herzschlag in seiner Brust, hörte die Geräusche einer erschütterten Stadt. Die Sirenen waren inzwischen aus – brachte ja auch nicht wirklich mehr was.

Die Luft in seinen Lungen fühlte sich erfrischend an. Bei jedem Ausatmen nahm sie seine Traurigkeit, seine Wut und seine Schandtaten mit.

«Ich habe es wegen mir gemacht. Wegen der Wut und der Trauer. Die haben viel mit dir zu tun. Aber du bist nicht für das hier zu verantworten, ja?»

Natürlich bekam er keine Antwort.

«Du warst das Einzige, was mich vorangetrieben hat, damals. Und als du gegangen bist, da musste ich einen neuen Antrieb haben. Es hat nicht wirklich etwas mit Rache zu tun, das weisst du, oder? Auch wenn man mir das andauernd unterstellt. Mehr damit, dass mein Weg zur Veränderung dieser Stadt gerne mit Rache verwechselt wird.»

Unten auf dem Platz wuselten inzwischen Polizisten. Unter ihm kamen die Kuramas und Takas immer näher. Er hörte Schüsse und laute Stimmen.

«Sei mir nicht böse. Du warst viel zu friedliebend für das hier. Deshalb bin ich auch froh, dass du es dir nicht ansehen musst.»

Auch von der Dachterrasse her waren jetzt laute Stimmen zu hören. Es war gleich so weit.

«Vielleicht sehen wir uns da drüben wieder. Vorausgesetzt, du kannst mir das vergeben, was ich hier gemacht habe. Konoha hat uns beinahe untergekriegt. Und jetzt haben wir Konoha beinahe untergekriegt. Und vielleicht, Sugu, vielleicht wird sich endlich etwas ändern. Damit niemand anderes dein Schicksal erleiden muss.»

Auf der Terrasse waren inzwischen Leute, doch aus der Ferne erkannte er nur Schemen. Sie suchten anscheinend nach ihm.

«Es ist so weit», sagte er nun mehr zu sich selbst.

Eine der Gestalten entdeckte ihn. Ohne zu zögern sprang sie über die Brüstung aufs Dach. Die Person hatte lange Haare. Er wusste bereits, wer sie war, bevor er ihr Gesicht sah.

Direkt hinter Hinata war ein Mann, vermutlich Big Fox. Die beiden hatte noch eine offene Rechnung mit ihm. Zumal sie das Feuer im Keller überlebt hatten.

Big Fox und Hinata waren aber nicht alleine. Vom Balkon aus zielten drei Leute mit einem Gewehr auf ihn, sofern er das erkennen konnte.

Nicht, dass es noch irgendeinen Unterschied gemacht hätte.

 

24:00 Uhr, Dach Kantinengebäude

 

Hinatas wilde Entschlossenheit war beinahe beängstigend. Wenn er an die schüchterne und ruhige Kurama zurückdachte, die er kannte, dann war das hier kein Vergleich mehr. Nachdem sie Hanabi unten in Empfang genommen hatten, war es bereits Hinas feste Absicht gewesen, mit nach oben zu kommen. Naruto hatte gehofft, sie würde sich entscheiden, bei ihrer Schwester zu bleiben, doch das war anscheinend von Anfang an keine Option für sie gewesen. Er hatte beschlossen, dass er in keiner Position war, sie aufzuhalten, zumal er selber nur noch mehr schlecht als recht auf den Beinen war. Zumindest konnte er das mit ihr gemeinsam durchziehen.

Während die anderen da unten mit dem Kampf gegen die letzten verbliebenen Riots beschäftigt gewesen waren, war sie schnurstracks nach oben gelaufen. Er hatte sie noch nie auf diese Weise kämpfen gesehen – sie war stärker geworden.

Als sie über die Brüstung der Dachterrasse gesprungen war, hatte er erneut daran gezweifelt, ob er da wirklich Hinata vor sich hatte. Diese Entschlossenheit, dieser Mut, das hatte er bei ihr noch nie gesehen. Und nun kletterte die fest entschlossen auf Crow zu, der ihnen in stiller Erwartung vom First aus entgegensah.

Pain, Blue und Tenten hielten von der Dachterrasse aus ihre Gewehre auf Crow gerichtet. Sasuke hatte sich bereits über die Brüstung geschwungen und bewegte sich in einigem Abstand hinter ihnen.

Pain war stinksauer, das wusste er. Schliesslich hatten Hinata und Naruto die Formation gebrochen. Es war nicht vorgesehen gewesen, dass die zwei mit Rauchvergiftung Crow sicherten. Nichtsdestotrotz hatte sich Pain blitzschnell der Situation angepasst und unterstützte sie nun von unten.

Er würde sowohl von Hatake als auch allen anderen eine kräftige Standpauke einfahren, aber das war ihm jetzt gerade egal. Naruto wusste, wie wichtig das für Hina war. Und ihr ging es wie ihm – von seinen Verletzungen merkte er im Moment nichts. Dafür sorgte das Adrenalin in ihren Adern. Sie hatten ihre eigenen Grenzen beide längst überschritten und konnten trotzdem nicht aufhören. Nicht jetzt.

Er kletterte so nahe er konnte hinter Hinata, denn er Regen machte das alte Dach rutschig und er wollte nicht, dass ihr etwas passierte.

«Komm runter!», rief Hinata und in ihrer Stimme schwang ein Fauchen mit.

Crow bedachte sie nur mit einem undurchsichtigen Blick. Damit bestätige sich ihr Verdacht: Ayato Kirishima war es inzwischen scheissegal, was mit ihm passierte. Er fürchtete den Tod nicht oder zumindest nicht mehr. Und das machte ihn beinahe unverwundbar.

Hina, getrieben von ihrer Wut, kletterte weiter. «Dann muss ich dich wohl eigenhändig vom Dach werfen», hörte er sie über das Geräusch des Regens zu sich selber sagen.

«Ihr seid zäh», kommentierte Crow das Geschehen und verwies dabei wahrscheinlich auf ihren Beinahe-Tod im Feuer. Er strich sich die nassen Haarsträhnen aus dem Gesicht. «Habe ich mir schon gedacht.»

«Du krankes Arschloch», fauchte sie als sie den First erreichten. Nun «standen» sie einander gegenüber, wobei Hinata eher in der Hocke war und Crow mehr oder weniger auf dem First sass. Naruto hielt sich unterhalb von Hinata, um sie notfalls auffangen zu können.

«Was macht ihr hier oben?», fragte Crow. «Wenn ihr mich doch einfach abknallen könnt.»

Selbst jetzt wich die Belustigung nicht aus seiner Stimme.

Hinatas Blick war eiskalt. Naruto konnte das Ganze nur beobachten und war erneut absolut nicht fähig, diese «neue» Hinata einzuordnen.

«Das würde dir so passen», sagte sie. «Du weisst, dass du den Menschen, die du getötet und verletzt hast Rede und Antwort stehen musst.»

«Natürlich», sagte er, ohne den geringsten Sarkasmus in der Stimme.

«Hanabi, Naruto, die Kuramas, Takas, die Polizei, die Zivilisten… glaubst du, du kannst diese Stadt kitten, indem du Menschen einfach aus der Welt räumst?! Ihnen den Schock fürs Leben bescherst?!»

«Du weisst, dass es nicht um einen Schock geht. Du warst mehrmals Zeuge von meinen Intentionen.»

Hinatas Körper bebte vor Wut. «Was gibt dir das Recht, dir einfach zu nehmen, was du willst?»

«Niemand hat dieses Recht. Und ich habe mich nie auf ein Recht berufen, wenn du dich erinnerst.»

Hinata wollte etwas erwidern, doch Crow war noch nicht fertig. «Nach all der Zeit, die wir zusammen verbracht haben, solltest du eigentlich eines wissen: Ich habe jegliche Form von Moral ganz bewusst abgelegt. Ansonsten wäre das hier gar nicht zu bewerkstelligen gewesen. Es erübrigt sich also, mit mir über Moral zu diskutieren.»

Staunen und purer Zorn gaben sich für Naruto hier die Klinke in die Hand. Das gefährliche und auch gruselige an Crow war, dass er jede seiner Taten mit einem absoluten Bewusstsein für jedwede mögliche Konsequenz auszuführen schien. Er nahm jedes Opfer ganz bewusst in Kauf. Es war nicht schwer zu erkennen, wie er seine Pläne und Vorhaben gegenüber seinen Leuten begründen konnte, als wären sie absolut rational. Denn auf Crows ganz eigene kranke Weise waren sie das auch.

Hinata war drauf und dran, ihn am Arm zu packen doch er mache blitzschnell einen Rückzug.

«Vorsicht», sagte er. «Ich habe nicht die Intention, mich von euch holen zu lassen.»

«Und was hast du jetzt vor? Willst du da oben versauern?», fragte sie mit einem bitteren Unterton in der Stimme. «Nachdem du gewonnen hast?»

«Für mich gibt es nicht mehr viel zu tun», sagte er. «Das Ende der Fahnenstange ist erreicht. Ihr könnt aber etwas tun.»

«Noch mehr Gebäude in die Luft jagen?», fragte Naruto und gab sich keine Mühe, seinen Sarkasmus zu unterdrücken.

«Wenn ihr das als sinnvoll anseht, nur zu», antwortete er. «Aber ob ihr es einsehen wollt oder nicht, die heutige Nacht macht Veränderungen möglich. Doch dazu muss sie jemand vorantreiben.»

«Ich glaube nicht, dass wir unter ‘guter Veränderung’ dasselbe verstehen», knurrte Naruto.

Inzwischen waren sie alle bis auf die Knochen durchnässt. Immerhin wusch ihnen der Regen den Russ aus dem Gesicht.

Ayato grinste. «Da wäre ich mir nicht so sicher.»

Jetzt erhob er sich. Naruto war drauf und dran, ihn wieder zum Sitzen zu befehligen, aber ihm wurde wieder bewusst, dass Ayato auch geladene Waffen keinen Eindruck mehr machen konnten.

«Sie sieht Sugu ähnlich, nicht wahr, Sasuke?»

Narutos Kopf fuhr herum und er bemerkte, dass Sasuke direkt hinter ihm war. Blut lief ihm in wässrigen Rinnsalen aus einer Platzwunde an der Stirn und aus dem Mund über das Gesicht. Mehrere der Riots da unten hatten sich noch gewehrt, aber Naruto wusste nicht mehr, ob es sich um frische Wunden handelte oder ob er die bereits vorhin gehabt hatte. Jedenfalls sah er auch nicht viel besser als sie aus.

«Da hast du wohl recht», antwortete Sasuke. «Hast du Hinata deshalb zum Ziel gemacht?»

Ayato zuckte mit den Schultern. «Eine Reihe von Zufällen waren der Grund dafür. Wobei das natürlich auch ein praktischer Zufall war.»

«Glaubst du, Suguha hätte das hier gewollt?»

Ayato schüttelte entschlossen den Kopf. «Natürlich nicht.»

«Wenigstens ist dir das klar.»

Sie schwiegen kurz. Ayato lachte auf einmal. «Ihr braucht mich nicht alle so böse anzusehen. Wir sind nicht geboren worden, um für immer und ewig Abschaum der Gesellschaft zu sein. Euch fehlt wie immer der Blick für das grosse Ganze.» Ein Windstoss fegte über das Dach und brachte Ayato beinahe um sein Gleichgewicht. Doch er fing sich beinahe elegant wieder. «Und ihr wisst das genauso gut wie ich.»

Der Hubschrauber von KCTV näherte sich dem Dach, doch blieb in sicherem Abstand, um nicht noch mehr Wind zu erzeugen.

«Das unterscheidet uns», sagte er und machte einen Schritt rückwärts. Er war jetzt gefährlich nah am Ende des Daches. «Ihr seid Gangs, die überleben wollen. Wir sind Rebellen, die Gerechtigkeit wollen. Das kann man nicht vergleichen. Denn selbst jetzt verfolgt ihr im Kern egoistische Intentionen.»

Die antworteten nichts, denn dem gab es nicht allzu viel entgegenzusetzen.

«Du kannst uns dafür verurteilen», sagte Hinata bestimmt. «Aber wir stehen dazu, dass wir nicht bereit sind, über die Leichen von unzähligen Menschen zu gehen, um etwas zu verändern.»

Er nickte, als könnte er das nachvollziehen. «Wenn ihr einmal den Punkt erreicht, an dem ihr alles verloren habt, dann seid auch ihr dazu bereit. Doch dazu muss es nicht kommen.»

«Komm von dem verdammten Rand weg!», brauste Naruto auf, als sich Crow noch einen weiteren Schritt in Richtung seines sicheren Todes bewegte.

Als Naruto Anstalten machte, in Ayatos Richtung zu klettern, machte dieser noch einen weiteren Schritt zum Rand hin.

«Bleib wo du bist», sagte er nur.

«Ayato», sagte Hinata nun viel sanfter als zuvor, als ihr in aller ihrer Wut bewusstzuwerden schien, worauf das hier hinauslaufen sollte. «Willst du dich wirklich so aus der Affäre ziehen?»

Er schüttelte wieder den Kopf. Sein Blick wurde für einen Moment sanft, als ob er auf ihren Stimmungswechsel antwortete. «Diese Stadt soll ihre Elite kritisieren, damit die sich verantworten muss. Eine weitere Hassfigur ist Ablenkung. Und das ist nicht das, worauf wir hingearbeitet haben.»

Selbst sein Tod plante Ayato voll und ganz im Sinne seiner Revolution. Und Naruto wurde bewusst, dass dieser Mensch wirklich nichts mehr anderes hatte, als diese eine Mission. Er war völlig losgelöst von jeglicher Gebundenheit an dieses Leben und die Menschen darin. Und tief drinnen empfand Naruto zum ersten Mal so etwas wie Mitgefühl mit ihm. Wenn es seiner Sache besser gedient hätte, wäre Ayato ohne zu zögern in den Knast gegangen. Da bestanden keine Zweifel. Aber seine Argumentation machte Sinn. Wenn er lebendig war, dann würde der Hass der Bevölkerung noch lange auf ihm haften. Und wenn er nicht mehr lebte, würde er irgendwann abflauen und hoffentlich auf die übergehen, die Ayato in den Boden gestampft sehen wollte.

 

00:14 Uhr, Kantinendach

 

In Hinata tobten seit Monaten Konflikte. Zu lange war sie mit ihren eigenen Gedanken, ihrer Angst und ihren Schuldgefühlen alleine gewesen. Deshalb war sie sich die innere Unruhe eigentlich schon fast gewohnt, wenn man das überhaupt so nennen konnte. Aber hier und jetzt fühlte sie sich mehr als je zuvor hin- und hergerissen.

Sie hasste diesen Menschen. Ayato hatte sie und Naruto auf brutale Weise umbringen wollen. Hatte ihre kleine Schwester gekidnappt und sie Sachen durchstehen lassen, die kein Mensch und schon gar kein kleines Mädchen durchstehen sollten. Und er hatte sie selbst fürs Leben gebrandmarkt und Schäden angerichtet, die nichts so schnell zu kitten sein würden.

Ja, sie hatte jeden Grund, ihn bis aufs Blut zu hassen. Und das tat sie auch. Aber da war eine leise Stimme in ihr, die bei Ayatos selbstmörderischer Absicht aufschrie. Nein, sie wollte nicht, dass Ayato sich umbrachte. In all der Zeit, wenn auch unfreiwillig, war sie ihm nahegekommen und hatte den Menschen in ihm durchscheinen sehen. Sie verstand seine Motivation. Sie konnte sein Wesen nachvollziehen, aber nicht im Geringsten verstehen. Und eines wusste sie mit Sicherheit: Sie wollte nicht, dass Ayato Kirishima von diesem Dach sprang und sich das Leben nahm. Begründen konnte und wollte sie es nicht, aber ihr Gefühl drängte sie dazu, ihn aufzuhalten.

«Ayato. Mach es nicht.»

«Du musst hier niemanden retten, Hinata. Du solltest dir ein dickeres Fell zulegen. Sonst wirst du auch deinen schlimmsten Feinden und Peinigern immer wieder vergeben wollen.»

Seine Worte gingen ihr durch Mark und Bein.

«Vergebung denen, die Vergebung verdienen», fügte er an und machte einen weiteren kleinen Schritt rückwärts. Er stand mit den Füssen links und rechts des Firsts auf den rutschigen Dachziegeln.

«Hör auf, Ayato. Ich bitte dich.» Regen peitschte gegen ihr Gesicht.

«Weisst du, warum ich mich nicht bei dir entschuldige, für all das, was ich dir angetan habe?», fragte er und erwartete darauf keine Antwort. «Weil ich weiss, dass ich nicht in der Position dazu bin. Und es nichts als eine Heuchelei wäre. Denn alles, was ich gemacht habe, ist mit Berechnung passiert.»

Sasuke und Naruto hinter ihr wollten sich Ayato nähern, um ihn zumindest für den Fall des Abrutschens auffangen zu können. Doch Ayato hob drohend die Hand, als er es bemerkte.

«Ihr bleibt besser zurück. Denn wie schon so oft in diesem Spiel, könnt ihr nichts tun, womit ich nicht gerechnet hätte.» Er wandte sich wieder an Hinata. Seine Worte waren ehrlich und echt. «Alles, was ich sagen kann ist Folgendes: Keine einzelne meiner Taten war je persönlich an dich gerichtet. Die Lebenszeit der Riots war eine durchgetaktete Show mit viel Berechnung des Regisseurs. Du warst lediglich zur falschen Zeit am falschen Ort.»

Sein Blick wurde weich. «Ich habe eine gute Zeit mit dir verbracht. Auch wenn du jeglichen Affekt nur gespielt oder aus anderen Gründen gezeigt hast – wären die Umstände anders, wären wir vielleicht sogar Freunde geworden. Wer weiss.»

Dieses Plädoyer traf Hinata hart. Denn Ayato sprach aus, was ihr tiefstes Inneres auch dachte. Wären sie zwei normale Menschen im normalen Alltag gewesen, dann hätten sie sich bestimmt gut verstanden. Aber nichts an ihren Umständen war normal.

«Es war mir eine Freude, Hinata Hyuuga.» Er schenkte ihr ein ehrliches Lächeln und nickte ihr zu. Fast, als wolle er ihr seine Anerkennung ausdrücken.

Ein Schritt zurück und er stand vollkommen am Abgrund. Ein kräftiger Windstoss würde reichen, um ihn aus der Balance zu bringen. Auf dem Platz unten war inzwischen die Hölle los.

«Big Fox, denk immer daran: Ihr seid eine Elite-Gang. Und nur ihr könnt daran was ändern.» Er wandte sich an Sasuke. «Demon, das gilt auch für dich. Ich werde Suguha Grüsse von dir ausrichten. Sofern ich nicht in der Hölle lande, aber an den Quatsch glaube ich nicht.»

Es atmete tief ein uns wieder aus. «Das hier ist das Ende der Show. Es war mir eine Freude, mit euch zusammenzuarbeiten. Und vielleicht ertappt ihr euch irgendwann in der Zukunft mal, wie ihr an meine Worte denkt. Die Riots haben Konoha verändert, ob ihr es einsehen wollt oder nicht. Die Stadt ist nicht mehr, was sie vor einem Jahr war. Und sie wird in einem Jahr nicht mehr dieselbe sein, wie jetzt. Das ist meine Vision. In meiner Hand liegt es jedoch nicht mehr.» Inzwischen zitterte seine Stimme. Das erste Mal konnte Hinata Angst in seinen Augen sehen. Denn was nach diesem Leben kam, entzog sich selbst seiner Intelligenz und Voraussicht.

«Ayato… ich bitte dich…», sagte sie und hörte ihre eigene Stimme versagen. Naruto und Sasuke machten nun doch einige Schritte vorwärts, die Ayato zwar registrierte, aber nicht direkt reagierte – er wusste, dass es zu spät war.

«Denkt an das Vermächtnis der Jaguar Riots», sagte er. «Denn von jetzt an wird nichts mehr sein, wie es gewesen ist.»

Ein Anflug eines zufriedenen, ruhigen Lächelns. Hinata hechtete nach vorne, rutschte auf den Dachziegeln aus, fiel hin, stand wieder auf und streckte ihre Hand nach Ayatos Arm aus. Sie spürte an ihren Fingerspitzen den Stoff seines Ärmels, der ihr entglitt, als Ayato übertrat und auf einmal aus ihrem Sichtfeld verschwunden war. In ihren Ohren dröhnte das Heulen des Windes, als sie hart auf dem Dach aufschlug und nun jeglichen Halt verlor.

 

00:21 Uhr, auf dem Weg an einen unbekannten Ort

 

In einem Bruchteil von Sekunden rasten Ayato Kirishima Millionen von Gedanken durch den Kopf. Bilder aus seiner Kindheit, von den schönen, aber auch den vielen dunklen Zeiten. Am meisten sah er Suguhas wunderschönes Lächeln.

Noch nie in seinem Leben hatte er sich so frei gefühlt wie kurz vor seinem Tod. Es war, als könne er fliegen. Er fühlte sich leicht wie eine Feder und bis ins tiefste Innerste zufrieden. Keine Reue, keine Trauer, keine Wut. Nicht von alledem war noch wichtig. Denn jetzt war es endlich vorbei. Endlich konnte er ruhen, in dem Wissen, dass er gekämpft hatte. Gekämpft für ein besseres Konoha, vielleicht sogar für eine bessere Welt.

Und das erfüllte ihn mit so viel Ruhe.

Er fiel Suguha entgegen, die ihre Arme mit einem warmen Lächeln im Gesicht nach ihm ausstreckte. Er hatte nie ein zu Hause gehabt. Und jetzt?

Es war wie nach Hause kommen.

Wohin jetzt?

Hinata

 

Hinata schlug hart mit ihrer rechten Seite auf dem Dach auf und schlitterte schier unaufhaltsam über die rutschigen Ziegel dem unteren Ende des Daches entgegen. Ihre Hände suchten erfolglos nach Halt und für einen kurzen Moment war sie sicher, dass sie Ayato gleich in den Tod folgen würde. Doch ehe sie über die Dachrinne hinausschlitterte, spürte sie eine Hand an ihrem Handgelenk, die es fest umschloss. Sie rutschte noch weiter, über die Rinne hinaus, ihre Beine nun vollkommen in der Luft, doch sie fiel nicht mehr. Naruto griff nun auch noch mit seinem anderen Arm nach ihr.

«Hina, halt dich fest!», rief Naruto ihr zu. Der Schreck stand ihm ins Gesicht geschrieben. Hinata schloss ihre Hände nun auch mit dem letzten bisschen ihrer Kraft um seine Handgelenke. In dem Moment wurde ihr klar, dass sie in dieser Nacht nicht sterben würde, entgegen all ihrer Erwartungen. Trotz einer einst aussichtslosen Ausgangslage.

Naruto versuchte, sie nach oben zu ziehen, doch auch seine Kräfte schwanden nach all den Strapazen endgültig. Dafür war Sasuke gleich zur Stelle, der ihren linken Arm packte und Naruto half, sie mit vereinten Kräften wieder aufs Dach zu ziehen. Die Jungs mussten selber aufpassen, dass sie nicht ihren Halt verloren, aber sie schafften es. Auf einigermassen sicherem Grund angekommen legte Naruto seine Arme um sie und drückte sie an sich als könnte sie jeden Moment wieder abrutschen. Sie umklammerte ihn genauso, als würden sie gleich wieder auseinandergerissen werden. Es tat gut, seinen Atem in ihrem Haar zu spüren, denn sie lebten. Sie atmeten. Sie würden weitergehen auf diesem Weg, der jetzt noch ins Ungewisse führte.

Über Narutos Schulter weg blickte sie in Sasukes Gesicht, in dem eine Spur Erleichterung stand, doch vielmehr noch Unglaube und Schock. Was gerade passiert war, würde sich in ihre Köpfe einbrennen und sie nie mehr wieder ganz loslassen – das wussten sie schon jetzt.

Die drei atmeten schwer, waren für den Moment unfähig, sich von der Stelle zu rühren. Der Regen prasselte auf das Dach, der Wind heulte weiter, als wäre nicht gerade für einige Sekunden die Welt stehen geblieben. Und doch erfüllte sie alle auf einmal eine seltsame Ruhe. Unten auf dem sicheren Boden wuselten Polizisten, Gangmitglieder, Feuerwehrleute. Letztere waren dabei, das von Crow verursachte Inferno zu löschen. Der Regen half ihnen dabei.

Es war für sie schwer zu realisieren, dass es jetzt vorbei war. Seit so langer Zeit sehnten sie alle sich danach, dass endlich wieder so etwas wie Normalität einkehrte und nun hatten sie erreicht, was sie hatten erreichen wollen. Gleichzeitig fühlten Hinata sich leer, gebrandmarkt und gezeichnet von dem, was in dieser Nacht passiert war. Noch kannten sie das effektive Ausmass der Katastrophe nicht und hatten auch nicht die Intention, das in den nächsten Minuten in Erfahrung zu bringen. Für einen Moment mussten sie einfach sein, im Hier und Jetzt, ohne einen Gedanken an die Zukunft oder die Vergangenheit.

«Es wird alles gut», hörte sie Naruto wie ein Mantra in ihr Ohr flüstern. Immer und immer wieder.

Im Augenwinkel erkannte sie, wie sich ihnen von der Terrasse aus übers den Rand des Daches Leute näherten, die ihnen helfen wollten. Hinata vergrub ihren Kopf an Narutos Schulter. Nur noch ein paar Sekunden in diesem kostbaren Augenblick verharren. Und dann würde sie den Abstieg in eine Realität antreten, die alles andere als schön war.

 

Naruto

 

Auf der Dachterrasse wurden sie von ihren Leuten in Empfang genommen. Pain sah zwar nach wie vor verärgert aus, jedoch wurde dieser von Erschütterung und gleichzeitiger Erleichterung über die Ereignisse der letzten zehn Minuten überschattet. Naruto entdeckte drei Riots, zwei Mädchen und ein Typ, die mit Handschellen gefesselt worden waren und nun von Choji und Redhead abgeführt wurden. Vier weitere Männer lagen am Boden, darunter erkannte er Cracker. Sie schienen einen Kampf gewählt zu haben, den sie nicht hatten gewinnen können.

Das erfüllte Naruto einerseits mit Wut, andererseits mit Reue und auch einer gewissen Schwere. Diese vier hatten wie viele andere ihr Leben Ayato Kirishimas Sache verschrieben und sie waren dafür ins Grab gegangen. Eigentlich war es verrückt, doch zeigte es einmal mehr, wohin tiefe Verzweiflung den Menschen treiben konnte.

Zurück auf dem Dach herrschte Schweigen. Ein bitteres, fassungsloses Schweigen, das niemand zu brechen vermochte. Die Riots wurden abgeführt, die Verletzten versorgt. In ihrem letzten Kampf hatten Cracker und Konsorten noch einmal alles gegeben, zumal sie auch nichts mehr zu verlieren gehabt hatten. Naruto nahm den hinkenden Kiba wahr, der aus einer tiefen Stichwunde am Bein blutete. Da war Deidara, der sich mit schmerzverzerrtem Gesicht eine blutverschmierte Hand über sein linkes Auge hielt, Zetsu, der aus mindestens vier Wunden blutete. Neji, der in gekrümmter Haltung von der selber blutenden Tenten nach unten begleitet wurde.

Die Sanitäter waren urplötzlich da, scharten sich um sie alle wie ein emsiges Bienenvolk. Und selbst während der ganzen Versorgung hielt Naruto weiterhin Hinatas Hand fest in seiner. Denn mit jeder Sekunde wurde ihm mehr bewusst, wie viel Halt sie alle von nun an brauchen würden. Sie beide liessen sich brav ihre Wunden desinfizieren und verbinden, nur Sasuke hatte andere Pläne.

«Wo willst du hin, Demon?», fragte Naruto, als Sasuke sich mehr schlecht als recht in Richtung des Treppenhauses bewegte.

Es kam keine Antwort und eigentlich war Naruto schnell klar, wohin es den angeschlagenen Leader der Takas zog. Naruto wollte ruckartig aufstehen, doch seine Beine machten nicht mit. Das Adrenalin hatte nachgelassen und liess ihn seinen pochenden Kopf, seinen entzündeten Hals und all die Wunden und Prellungen an seinem Körper in voller Wucht spüren. Dazu kam noch das Gewicht, das auf all ihren Seelen lastete – die Erlebnisse dieser Nacht und die Ungewissheit darüber, welcher Schaden sie vorfinden würden, wenn sie dieses Gebäude verliessen.

«Demon!»

Pain war einer der wenigen, die noch einigermassen beieinander waren. Rasch war er bei Sasuke und redete leise auf ihn ein, doch Sasuke machte keine Anstalten, sich erst von den Sanitätern versorgen zu lassen. Sie schienen sich zu einigen, als Pain ihm einen Arm um den Oberkörper legte, um ihn nach unten zu begleiten. Wahrscheinlich das Schlauste. Denn Sasuke in seiner wilden Entschlossenheit zu etwas anderem zu zwingen, war ziemlich kontraproduktiv. Pain würde schon hinkriegen, dass er sich versorgen liess.

Die Sanitäter fuhren mit der Erstversorgung weiter und Naruto liess es geschehen. Er fühlte sich, als hätte man ihn durch den Fleischwolf gedreht. Alles war irgendwie surreal, sein Verstand war benebelt und sein Körper schmerzte von oben bis unten.

Sein Sanitäter injizierte ein Schmerzmittel intravenös. Naruto schloss die Augen und hoffte, dass es bald wirkte. Ansonsten würde er nicht mehr lange bei Bewusstsein bleiben. Er und viele andere hatten ihre Grenzen in dieser Nacht bei weitem überschritten. Und jetzt, ohne Adrenalin, spürten sie die Konsequenzen davon.

Er fühlte, wie er langsam wegdriftete. Und er wehrte sich nicht dagegen, denn er spürte, wie die Last dieser Nacht einem dumpfen Vergessen wich, das sich erlösend anfühlte.

Seine letzte Empfindung war Hinatas Hand in seiner.

 

Sasuke

 

Sasuke schritt voran, schön einen Fuss nach dem anderen. Du bist zu langsam, fluchte er innerlich. Sein ganzer Körper war eine einzige Explosion von Schmerzen. Seine Wunden brannten wie Feuer, seine Sicht verschwamm von Zeit zu Zeit, wobei ein kurzes Zusammenkneifen der Augen half, damit sie sich wieder für einige Sekunden klärte. Seine Beine fühlten sich an wie Gummi, was vermutlich von dem ganzen Blut kam, dass sich innerhalb seines Körpers befinden sollte, jetzt aber über seine Beine, seinen Oberkörper und sein Gesicht lief oder sonst irgendwo auf dem Gelände verteilt war.

«Demon, du musst dich versorgen lassen», ermahnte Pain ihn noch einmal. Er hatte nur eingewilligt, ihn nach unten zu begleiten, wenn er sich da versorgen liess.

Sasuke sagte daraufhin nichts und humpelte konzentriert weiter die Treppenstufen hinunter.

In seinem Kopf fuhren die Gedanken Achterbahn. Die erste Erleichterung nach Crows Entscheid war einem Entsetzen gewichen. Und nun wich das Entsetzen über Crow dem Entsetzen über das, was in dieser Nacht alles passiert war. Er fürchtete sich davor, zu erfahren, was Crows Explosionen für Schaden angerichtet hatten. Er fürchtete sich davor, über Tote in den eigenen Reihen informiert zu werden. Und er fürchtete sich davor, dass Sakura ihren Kampf bereits verloren haben könnte – ohne ihn. Denn er hatte gesehen, was mit Tomcat passiert war. Und niemand konnte ihm versichern, dass Sakura nicht in derselben Gefahr schwebte. Wenn sie denn überlebt hatte.

Es machte ihn beinahe wahnsinnig. Und deshalb musste er jetzt weitergehen, auch wenn alles in ihm danach schrie, sich hinzusetzen und medizinische Versorgung anzunehmen.

Das Treppenhaus kam ihm viel länger vor als noch zuvor bei ihrem Aufstieg. Es zog sich elend lange hin und mit jeder Stufe fühlte er sich ein wenig näher am kompletten Zusammenbruch. Doch irgendwann erreichten sie das Erdgeschoss und die Tür nach draussen.

Es erwartete sie ein schauriger Anblick. Überall Ambulanzen und Einsatzfahrzeuge der Polizei und der Feuerwehr. Leute, die einander Dinge zuriefen und hin- und herrannten.  Verletze, wimmernde Menschen, die am Boden kauerten oder von Sanitätern umsorgt wurden. Das einzige, was er wirklich klar und deutlich sah, waren seine Leute und die Kuramas. In ihren Gesichtern stand weder Erleichterung, noch Freude. Nur Resignation, Unglaube, Schock und Erschöpfung. Nichts von dem grossen Triumpf, den sie sich so sehr erhofft hatten. Denn heute Nacht würde niemand die Korken knallen lassen. Und er schon gar nicht.

Die ganze Hektik wurde schnell wieder zu einem verschwommenen Bild. Nichts, worauf er sich noch fokussieren konnte. In seinem Kopf hämmerte der Puls gegen die Schädeldecke. Es verlangte ihm alles an Konzentration ab, weiterzugehen.

«Demon, die Sanitäter sind da drüben», erinnerte ihn Pain an etwas, was er längst wusste. Nur war sein Ziel eben keine Ambulanz.

«Demon, entweder du lässt dich jetzt freiwillig versorgen oder wir zwingen dich dazu.» Pain drohte mit einer Gelassenheit in der Stimme, die er nur allzu gut kannte. Dabei wusste er genau, dass mit dem Vize nicht gut Kirschenessen wat. Doch er war der Leader und sein Vize hatte ihm gar nichts zu drohen; Sasuke ignorierte ihn. Er konnte jetzt nicht. Er musste wissen, wo sie war und wie es ihr ging.

Er hörte ein schrilles Pfeifen direkt neben sich, das von Pain ausging. Er suchte den Blick seines Vizes und funkelte ihn an. Pain blieb ungerührt im Angesicht seines Killerblicks. Und gleich darauf spürte er, wie ihn zwei weitere Typen packten. Er konnte Kisame und Juugo ausmachen, die ihn an den Armen ergriffen und ihn in Richtung eines Ambulanzfahrzeugs schleifen wollten.

Sasuke platzte innert Sekunden der Kragen. Seine Gang setzte sich über ihren Leader hinweg. Und das war nicht einmal das grösste Problem. Nein, während sie ihn hier festhielten, konnte Sakura bereits sonst wo sein.

«Lasst mich los», sagte er in dem gebieterischsten Ton, den er noch aufbringen konnte, aber es klang ziemlich erbärmlich.

«Ich habe dich gewarnt», hörte er Pain sagen.

In Sasuke loderte Zorn auf. Was fiel Pain eigentlich ein?

Er mobilisierte all seine verbliebenen Kräfte, spannte seine Muskeln an und riss sich los. Natürlich war es zwecklos, denn er konnte sich inzwischen kaum noch alleine fortbewegen und schon gar nicht gegen drei andere durchsetzen, die ihm kräftemässig ebenbürtig waren.

Sasuke sah nichts anderes mehr, als den Weg, der zum Lazarett führte. Er schlug wild um sich, denn in seiner Verfassung war er nicht mehr im Stande, strategisch zu denken. Das Resultat war, dass die Griffe um ihn nur noch fester wurden und ihn schlussendlich ganz zu Boden drückten. Sasuke knurrte und wehrte sich so gut er konnte, aber es war aussichtslos.

«Was zur Hölle?», brüllte er, immer noch fassungslos von der Handlung seiner eigenen Leute.

«Du bist nicht mehr bei Sinnen Demon», sagte Pain in ruhigem Tonfall, doch seine Stimme zitterte ein wenig. Jemand, der ihn nicht kannte, hätte es nicht gemerkt.

Sasukes Kopf wurde jetzt auf den Asphalt gedrückt. Von der Seite her sah er, wie Sanitäter und Polizisten angerannt kamen. Reflexartig bäumte er sich auf und schaffte es, seinen Arm noch einmal freizukriegen. Er rammte seinen Ellbogen in Kisames Seite, dieser stöhnte laut auf. Auf einmal waren jetzt auch noch Polizisten da, die den angeschlagenen Gangmitglieder abzulösen.

«Was ist los?», hörte er Hatakes Stimme unter seinem eigenen Fluchen.

«Er braucht dringend medizinische Hilfe, hat aber andere Pläne.».

«Lasst mich los, ihr verdammten Schweine!», brüllte er und nun machte sich Verzweiflung breit. Wussten diese Idioten denn nicht, worum es ihm hier ging?!

«Yahiko…» presste er hervor. «Wenn ich jetzt nicht gehe, ist es vielleicht zu spät!»

«Demon, wenn du jetzt gehst, dann ist es wahrscheinlich für dich zu spät.»

Pain verstand es einfach nicht. Pain wusste nicht, wie sich das anfühlte, hatte keine Ahnung, dass diese Nacht für ihn alles, aber wirklich alles kaputtmachen konnte.

Sasuke fuhr erneut wie eine wild gewordene Bestie hoch, doch die Polizisten drückten ihn erbarmungslos zu Boden und dann spürte er ein unangenehmes Brennen an seinem Hals. Er realisierte sofort, was es war, als er den Sanitäter neben sich ausmachen konnte. Tatsächlich hatte er eine Spritze in der Hand.

«Ihr Schweine…», stiess er voller Verzweiflung und Zorn hervor. «Verdammte Hurensöhne…»

Und schon wurde seine Wahrnehmung langsam aber sicher weicher. Sein Körper entspannte sich, obwohl Sasuke sich auf keinen Fall entspannen wollte.

Er konnte nichts mehr sagen, als sein Kopf auf dem Boden liegenblieb. Nur noch ein Blick voller Vorwürfe und Verachtung in die Richtung von Yahiko, Kisame und Juugo, gespickt mit der Frage: Warum?

Dann wurde alles schwarz.

 

Shikamaru

 

Shikamaru fühlte sich, als befänden sie sich in einer furchteinflössenden Parallelwelt, die so gar nichts mit ihren wirklichen Leben zu tun hatte. Temari, er und seine Leute hatten Crows Sturz vom Dach beobachtet und ihm jagte bei dem blossen Gedanken daran immer noch ein kalter Schauer über den Rücken.

Und jetzt versuchten er und Temari gemeinsam mit der Polizei und den verbliebenen, einigermassen unverletzten Gangmitgliedern irgendwie Ordnung in das schier endlose Chaos zu bringen. Der Anblick auf dem Gelände war einfach nur niederschmetternd. Es herrschte absolute Fassungslosigkeit, die sowohl den Ereignissen hier auf dem Gelände, aber auch denen in der Stadt galt. Noch kannten sie das Ausmass der Katastrophe in der Stadt nicht und das war auch besser so. Ein Schock nach dem anderen, dachte er trocken.

Kurama-Genius spürte eine tiefe Trauer und Hoffnungslosigkeit, wenn er sich das Szenario anschaute. Überall waren Sanitäter, die bei Verletzten waren und dafür sorgen, dass sie ins City Hospital gebracht wurden. Er beobachtete, wie die verbliebenen Takas und Kuramas vom Kantinendach zu den Ambulanzen geführt wurden. Ihm fiel vor allem Taka-Deidara auf, der eine wüste Verletzung am Auge zu haben schien, da die Sanitäter der Erstversorgung ihm einen Verband angelegt hatten. Bei ihm war eine junge Taka, die den Kopf an seine Schulter gelegt hatte. Caramelle, wenn er sich recht erinnerte, stand der Schock immer noch im Gesicht.

Und auch die anderen hinkten, bluteten, sahen absolut fertig aus. Shikamaru ging nicht zu ihnen hin. Sprechen konnten sie später noch, jetzt mussten sie erst einmal ins Krankenhaus.

Die Leichtverletzten kauerten im Beisein von ihren Gangmitgliedern am Boden und warteten darauf, dass Hilfe kam. Doch sie wussten, dass sie keine Priorität hatten.

Das schlimmste an dem Anblick war diese tiefe Resignation, die aus all ihren Gesichtern sprach. Es war, als schwebe ein dunkler Schatten über der ganzen Stadt und auch ihren Gemütern. Sie hatten auf einen glorreichen Sieg gehofft, einen Befreiungsschlag von den Riots, die seit mehr als einem Jahr die ganze Stadt schikanierten. Doch was sie bekommen hatten, war nicht im Ansatz mit Freude in Verbindung zu bringen.

«Wie geht es jetzt weiter, Genius?», fragte Termari neben ihm. Auch sie war verletzt, aber sie dachte nicht daran, die Zeit eines Sanitäters oder Notarztes für ihre vergleichsweise kleinen Wunden zu beanspruchen.

«Ich weiss es nicht», sagte er. Schon wieder hatte er auf diese Frage keine Antwort. Dabei war er der Stratege der Gang, der auf so eine Frage immer antworten können sollte. Aber jetzt blieb ihm ganz einfach die Luft weg. Er war verzweifelt, wütend, traurig und teilte damit die Gefühle aller anderen Gangmitglieder.

Temaris Blick wanderte zu der Stelle, an der Crows lebloser Körper unter einer Abdeckung lag. «Er hat bis zum Schluss die Kontrolle behalten. Hat uns einmal mehr bewusst gemacht, dass es in einem Krieg kein Happy End geben kann.»

«Es gibt immer nur Verlierer», knüpfte er an. «Nur solche, die weniger oder eben mehr verlieren.»

Sein Blick wanderte über den Platz. Einige Gangmitglieder befanden sich in kritischem Zustand, Sakura gehörte dazu, wie er mit Schrecken vernommen hatte. Todesfälle gab es laut den Meldungen bisher nur im Outer. Unter ihnen war Sora, der anscheinend in einem Zweikampf den Kürzeren gezogen hatte. Shikamaru wurde übel bei dem Gedanken, dass ihr langjähriger Outer-Boss diese letzte Schlacht nicht überstanden hatte. Und was seine Trauer noch verstärkte, war, dass seine Leiche irgendwo in den verbrannten Trümmern der Hallen lag. Möglicherweise würde man ihn nicht einmal mehr identifizieren können.

«Wir kannten alle das Risiko», murmelte er. «Und doch waren wir eigentlich nicht bereit dafür.»

Termari lachte bitter. «Glaubst du, dass man jemals für so etwas bereit sein kann?»

Er schüttelte langsam den Kopf. Sie hatte ja recht, doch besser machte es das nicht.

Sie waren schmutzig, stanken nach Rauch und Schweiss. Innerlich fühlten sie sich leer, nach all dem was sie in dieser Nacht gesehen hatten. Noch vor gut einem Jahr hatten die Gangs von Konoha ihr wildes Leben geführt, in ihrer ganz eigenen Welt. Nie hätten sie auch nur daran gedacht, dass sie irgendwann hier stehen würden und gemeinsam mit der Polizei gegen Rebellen sondergleichen kämpften. Dass sie in einen Krieg von diesem Ausmass involviert sein würden.

Es war einfach unfassbar. Und genau deshalb gab es einfach keine Worte, um zu beschreiben, wie sie sich fühlten – und was noch auf sie zukommen würde.
 

Die verhängnisvolle Nacht nahm im lodernden Schein von Feuer und dem beunruhigenden Heulen von Sirenen ihren Lauf. Sanitäter, Polizisten und Feuerwehrleute kämpften weiter, während die Gangs ihren eigenen Krieg beendet hatten. Niemand wollte von einem Sieg sprechen, denn sie hatten nicht gewonnen. Es fühlte sich viel eher an, als hätten sie alles verloren. Sie standen vor einer Zeit voller Ungewissheit und Schmerz. Und trotzdem bestand die leise Hoffnung, dass Konoha nach dieser Nacht endlich zu heilen beginnen würde.

Und so ungern es viele zugeben wollten, hatte Crow mit seinem Wahnsinn diese Hoffnung erst entfacht. Heute Nacht waren Dinge gesagt worden, die dazu beitragen konnten, die Ungerechtigkeit in einer Metropole von Unterdrückung und Klassenunterschieden zu mildern.

Noch wusste niemand, ob die Riot-Bewegung wirklich geschlagen war. Der Tod ihres Masterminds und das Verschwinden dessen engsten Gefährten riss ihr das Herz heraus, doch das bedeutete nicht, dass Ayato Kirishimas fragwürdige Ideale nicht von anderen weitergetragen wurde.

Der gesellschaftliche Kampf würde weitergehen, so viel stand fest. Die Frage war nur, wie.

 

Ami

 

Der nächste Morgen brach an, als wäre nichts gewesen. Die Menschen gingen ihren Alltagsbeschäftigungen nach, fuhren zur Arbeit, schickten die Kinder zur Schule, gingen einkaufen.

Shina und Takahiro hatten nach dem Aufstehen nicht schlecht gestaunt, als das ganze Wohnzimmer voller Leute gewesen war. Ami war froh, war heute Kindergarten und Schule, denn es gelang ihr kaum, ihre Gedanken auf irgendetwas anderes zu lenken, als die Ereignisse in Konoha. In den Medien wurde die ganze Sache breitgeschlagen, man las zu kaum mehr anderem irgendetwas. Ami behielt es sich vor, nur die Informationen von KCTV ernst zu nehmen, zumal diese sich bisher im Umgang mit den Gangs als relativ vertrauenswürdig erweisen hatten und weitaus am wenigsten sensationstolle Schlagzeilen verfasst hatten. KCTV war auch als einzige Quelle der Medien gestern vor Ort gewesen.

Inzwischen war auch das Ausmass von Ayato Kirishimas Anschlägen in der Innenstadt bekannt. Glücklicherweise waren fast alle Gebäude leer gewesen, doch insgesamt dreiundzwanzig Passanten waren schwer verletzt und zwei Menschen hatten die Explosionen nicht überlebt. Das waren zu viele, doch nicht so viele, wie es hätten sein können. Experten waren sich sicher, dass Crows Hauptintention nicht gewesen war, möglichst viele Leute da mitreinzuziehen. Sonst hätte er die Anschläge auch am helllichten Tag verüben können. Diverse psychologische Fachleute veröffentlichten bereits ihre Meinung zu der ganzen Sache in den Medien und waren sich weitgehend einig, dass Crow vor allem die Unantastbarkeit der dominanten Klasse in Frage stellen wollte. Dies war ihm auch gelungen. Während man die Filiale einer Beauty-Firma noch eher infiltrieren konnte, wurde das bei einer Bank oder einer Anwaltskanzlei dann doch deutlich schwieriger.

Interessant war auch, dass Crow in den Berichten relativ zweiseitig porträtiert wurde: Viele sahen ihn als furchtlosen Revolutionär, der sich mutig auflehnte – etwas, was wohl viele Bewohner der Stadt insgeheim auch gerne getan hätten. Wiederum andere nannten ihn einen menschenverachtenden, rücksichtslosen Mörder. In Amis Augen lagen beide Seiten falsch. Schwarzweissdenken hatte noch funktioniert, denn Menschen waren zu vielschichtig, als dass man sie auf etwas so Plakatives reduzieren konnte.

Ami machte Noriko und den anderen ein gutes Frühstück. Bereits zum siebten Mal rief sie danach zuerst Sasukes und dann Sakuras Handy an, doch sie erhielt keine Antwort. Das beunruhigte sie jedes Mal mehr, auch wenn sie alle sich gegenseitig Hoffnung zu machen versuchten. Vielleicht waren ihre Handys jetzt nur noch verkohlte Leichen in den rauchenden Ruinen der Transportfirma. Vielleicht waren sie nicht in der psychischen Verfassung, einen Anruf entgegenzunehmen. Vielleicht hatten sie immer noch alle Hände voll damit zu tun, zu helfen. Es gab einen Haufen möglicher Gründe und doch beschlich Ami immer wieder der Gedanke, dass ihnen etwas zugestossen war. Im Fernsehen wurden noch keine Zahlen und Fakten zum Verbleib der Gangs mitgeteilt. Im Moment waren Crows Suizid und seine Ideologie sehr viel präsenter.

Zwei Stunden und drei weitere Anrufe später, hielt sie es nicht mehr aus.

«Können wir ins City Hospital fahren, Haru? Jetzt?»

Haru hatte durchweg versucht, sie etwas zu beschwichtigen und zu beruhigen. Aber auch er sah ein, dass sie sich selber ein Bild von der Sache machen mussten, damit sie Klarheit hatten.

Noriko und Inaho erklärten sich bereit, auf Shina und Takahiro aufzupassen, wenn diese nach Hause kamen. Die anderen machten sich fürs Erste auf den Weg nach Hause.

Eine Viertelstunde später sassen die Iwasawas im Auto und machten sich auf den Weg nach Konoha, voller Hoffnung, aber auch voller Angst.

Auf der Fahrt schalteten sie das Radio bewusst aus, da es beinahe unerträglich war, ständig die wiedergekäuten Ereignisse der letzten Nacht mithören zu müssen. Ami hatte Haru das Fahren überlassen, zumal sie derzeit gedanklich nicht wirklich bei der Sache war. Zur Ablenkung beobachtete sie die Landschaft und den wolkenverhangenen Himmel draussen.

«Was glaubst du, was mit ihnen ist, Haru?», fragte sie nach einer guten Stunde Fahrt. Bis nach Konoha dauerte es jetzt noch etwa eine halbe Stunde.

Haru schwieg und überlegte sich seine Antwort gut. Er sprach stets bedacht und nicht einfach darauf los, das war schon immer eine seiner besten Qualitäten gewesen. Dass seine Antwort aber erst gute zwei Minuten später kam, lag wohl eher am Inhalt ihrer Frage.

«Ich habe keine Ahnung. Die Bilder von letzter Nacht haben nicht gut ausgesehen. Und es haben bestimmt nicht alle überlebt. Doch auf der Übertragung von KCTV waren auch viele Überlebende zu sehen. Möglicherweise sind sie auf einfach verletzt, Ami. Wenn das der Fall ist, würde es auch erklären, warum sie derzeit keine Anrufe annehmen.»

Ami nickte. Natürlich wusste Haru nicht mehr als sie. Und doch hatte sie wissen wollen, ob sie die gleichen Gedanken hatten.

«Egal, was es ist, wir stehen das wie immer gemeinsam durch, ja?», sagte er und griff mit seiner freien Hand nach ihrer. Ami drückte ganz fest zu. Sie brauchte diesen Halt mehr denn je. Denn ob sie es wollte oder nicht, Sasuke und Sakura waren für sie mehr als nur Bekannte. Ihre schicksalshafte Begegnung hatte ein ganz besonderes Band zwischen ihnen geschaffen. Und sie hätte die beiden so gerne noch besser kennengelernt. Sie hätte Sasuke mit grosser Freude noch ein bisschen mehr von der heilen Welt gegeben, die er nie hatte. So etwas wie Verwandte, vielleicht sogar Familie, auf die er sich verlassen konnte. Und nun hing das alles in der Luft. Vielleicht war es für das alles bereits zu spät.
 

Tsunade
 

Tsunade stand nachdenklich vor der Glasscheibe, die das Zimmer vom Rest der Intensivstation trennte. Auf dem Monitor wurden stabile Werte angezeigt, es schien, als erhole sich der Patient gut.

Nachdem sie die ganze Nacht bei Sakura gewesen war, die zwar auch stabil, jedoch soporös war, hatte sie etwas frische Luft gebraucht und war nach draussen gegangen. Im Park des Krankenhauses hatte sie Jiraiya getroffen, dem es ähnlich ergangen war. Gemeinsam hatten sie eine Zigarette geraucht – wobei Tsunade zugab, dass sie das Rauchen eigentlich bereits Ende ihrer Zwanziger an den Nagel gehängt hatte. Aber im Moment war es ihr einfach egal. Nach den Ereignissen der letzten Nacht, einem schwierigen Telefonat mit Mebuki und dem immer noch währenden Kampf mit ihren Schuldgefühlen, hatte sie nicht noch die Kraft, in pingeligster Weise auf ihre Gesundheit achtzugeben.

Jiraiya und sie hatten einander in den Armen gelegen, sich Mut zugesprochen. Das hatte ihrem mitgenommenen Gemüt wirklich geholfen, die Gesamtsituation hatte es aber nicht geändert. Sakura war nach wie vor nicht weckbar. Ihr Körper hatte in der vergangenen Nacht nie dagewesene Strapazen erlitten. Tsunade hatte es beinahe den Magen umgedreht, als sie all die Blutergüsse, Wunden und Prellungen an ihrer Nichte gesehen hatte. Das alles hätte verhindert werden können, wenn sie nur strenger gewesen wäre, die Situation richtig eingeschätzt hätte. Aber das hatte sie nicht getan. Und Mebuki tat recht daran, ihr Vorwürfe zu machen. Sakura war zwar volljährig, aber als ihre Tante hier vor Ort wäre es ihre Pflicht gewesen, besser auf Sakura aufzupassen.

Und nun stand sie wieder auf der Intensivstation, dieses Mal aber nicht bei Sakura. Hinter der Scheibe lag ein schlafender Sasuke. Auch er hatte in der letzten Nacht gelitten, seelisch und körperlich. Man hatte ihr erzählt, dass er sein eigenes Leben beinahe aufgegeben hatte, nur um Sakura sehen zu können.

Bisher war ihr die gesamte Situation mit dem Taka-Leader und ihrer Nichte immer ein wenig suspekt gewesen, auch wenn sie es nach bestem Wissen und Gewissen zu relativieren versucht hatte. Aber sie hatte jahrelange Gangstreitereien mit den Takas erlebt, die in ihr einfach Vorurteile hatten entstehen lassen, die sich nicht so leicht abbauen liessen.

Wenn ihr aber in der letzten Nacht etwas definitiv klargeworden war, dann das: Sasuke würde Sakura nie mehr Leid zufügen. Sie wusste, dass es da einen Zwischenfall gegeben hatte, im Frühling, kurz bevor Sakura mit ihm für einige Tage verschwunden war. Doch der junge Mann war an diesem Tiefpunkt gewachsen, das hatte sie in der letzten Nacht sehen können. Echte Sorge, echte Gefühle, sehr viel Liebe. Das alles hatte er Sakura entgegengebracht und das tat er immer noch. Und trotzdem hatte er noch einmal den Mut gefasst, zurück in den Kampf zu gehen.

Was sie vor gut einem Jahr als Schwärmerei eines jungen Mädchens abgetan hatte, erkannte sie heute als echte Zuneigung. Sie hatte gedacht, dass Sakura das Fremde, Unbekannte reizte, dass Sasuke sie mit seinem verwegenen Charme um den Finger gewickelt hatte und sich Vorteile davon versprach. Und während sie sich im ersten Moment bestätigt gefühlt hatte, so war ihr auch schnell klargeworden, dass Sakura nicht so leicht von ihm abzubringen war. In Anbetracht der gegenwärtigen Situation fühlten sich all ihre damaligen Sorgen unnötig an.

Die Ärzte hatten gesagt, dass er bald auf die Abteilung verlegt werden konnte. Tsunade war wirklich froh, dass er die letzte Nacht überstanden hatte. Ja, er war angeschlagen aber er kam wieder auf die Beine. Und das war das Wichtigste.

In diesem Moment regte sich Sasuke. Tsunade winkte rasch einem der Pfleger, der sofort das Zimmer betrat, um sich nach Sasukes Wohlergehen zu erkundigen. Sie überliess die beiden einander und machte sich wieder auf den Weg zu Sakuras Koje.

 

Sasuke

 

Sasuke öffnete die Augen und starrte erst einmal gegen eine öde weisse Decke, an der mehrere Neonlampen hingen. In seinem Kopf herrschte ein Wirrwarr. Er wusste in etwa, was passiert war, doch irgendwie drangen diese Ereignisse nicht wirklich an ihn heran. Fast, als hätte man ihn in Watte gepackt. Er wusste, dass er Angst und Wut verspüren sollte, doch da war nichts. Er sollte wütend sein. Auf Crow und seine Riots, Hatake, Yahiko, Kisame und Juugo, den Notarzt, der ihm die Spitze gesetzt hatte – doch da war nichts. Als hätte man ihm mit diesem Beruhigungsmittel seine Gefühle einfach abgestellt.

An seiner Seite tauchte ein Krankenpfleger auf, der sein Wachsein bemerkt hatte. «Guten Tag Mr. Uchiha. Wie fühlen Sie sich?»

«Was haben die mit mir gemacht?», fragte er und wollte wütend klingen, doch seine Stimme blieb ruhig.

Der Pfleger nickte. «Ihnen wurde ein Beruhigungsmittel verabreicht, dass Sie hat schlafen lassen.»

«Ich weiss. Aber ich fühle mich so… weit weg.»

«Das ist normal. Das Mittel dämpft auch gewisse Gefühlsregungen ab, aber der Effekt wird in ein paar Stunden nicht mehr zu spüren sein. Ich würde Ihnen empfehlen, noch ein wenig zu schlafen. Ausser Sie haben Hunger oder Durst?»

Sasuke schüttelte den Kopf und schloss die Augen wieder. Eigentlich war es doch ganz schön so. Er fühlte sich leicht und unbelastet, irgendwie frei. Es war beinahe erholsam.

Als er wieder eingeschlafen war, träumte er von seinem Trip nach Otogakure im letzten Frühling. Das friedliche Dorf hatte in ihm den ungeahnten Traum von einem friedlichen Leben ausserhalb Konohas geweckt. Und seine Reise mit Sakura hatte ihm mehr als nur die Augen geöffnet – sie hatte ihm gezeigt, was er wirklich wollte.

Und deshalb erschien in seinen Träumen oft das Haus der Iwasawas, ihr Garten, die schönen Wohnquartiere, das Schulhaus und die vielen Wiesen, die das Dorf umgaben. Und Sasuke liess sich gerne in diese heile Welt mitnehmen. Gerade jetzt, da in seiner Welt nichts mehr heil war.

 

Naruto

 

Husten, Kopfschmerzen, Müdigkeit. Und er hatte sich heute Morgen zweimal übergeben, was seinen ohnehin schon gereizten Schleimhäuten nicht gutgetan hatte. Die Ärzte hatten Naruto eine schwere Rauchvergiftung attestiert und ihm erklärt, dass er noch eine Weile im Krankenhaus bleiben müsse. Durch die angegriffenen Schleimhäute war er anscheinend stark infektionsgefährdet, doch bisher hatte man keine weiteren Folgen der Vergiftung feststellen können – wobei diese auch erst zeitverzögert auftreten können, aber nicht müssen. In etwa so hatte es seitens der Ärzte geklungen.

Die Krankenschwestern versorgten ihn mit allerlei Medikamenten und Pastillen für seinen gereizten Hals. Beim Sprechen hörte er sich heute noch viel mehr wie ein Kettenraucher an, aber das sollte das kleinste Problem sein.

Natürlich hatte er sich bereits nach den anderen erkundigt und mit einem Stich im Herzen erfahren müssen, dass Sora den Kampf nicht überlebt hatte. Sora alias Shadow war quasi sein Vize-Vize gewesen, sein Outer-Leader, dem er blind vertraut hatte. Und er war überzeugt, dass es keinen besseren als ihn gegeben hatte. Es schmerzte und machte ihn so unglaublich wütend. Gleichzeitig fühlte er sich hilflos gegenüber der Situation, in der sie sich alle befanden.

Hinata ging es laut den Informationen von Shizune gut, bezüglich Rauchvergiftung ähnlich wie ihm. Allerdings hatte sie einen Psychologen zu ihr geschickt, der eine erste Bestandesaufnahme machen sollte. Die Ereignisse hatten laut der Ärztin für Hinata ein besonders hohes Trauma-Potenzial, zumal sie sich über mehrere Monate in einem Erpressungsverhältnis befunden hatte. Noch wusste niemand, was genau sie unter Ayato erlitten hatte und welche Folgen das für ihre Psyche nach sich ziehen würde.

Naruto wäre gerne zu ihr gegangen, doch er vertraute auf Shizunes Anweisungen, ihr Ruhe zu gönnen. Hanabi hatte Shizune sofort an die Kinderärzte weiterverwiesen, ein Kinderpsychologe kümmerte sich um sie.

Sasuke hatte man vor Kurzem von der Intensivstation auf ihre Abteilung verlegt. Anscheinend war er zum Eigenschutz betäubt worden und man hatte ihn überwachen müssen, solange das Betäubungsmittel ausschwemmte. Er war wie auch Naruto stark verletzt, hatte aber definitiv mehr Blut verloren.

Und von Sakura wollte Naruto gar nicht erst anfangen. Der blosse Gedanke daran schnürte ihm die Kehle zu. Bisher hatte er von Shikamaru und den anderen nur Gerüchte darüber gehört, was Sakura letzte Nacht erlebt hatte. Anscheinend hatte auch Tomcat in der ganzen Sache eine wichtige Rolle gespielt. Fakt war, dass auch sie auf der Intensivstation lag. Naruto hatte versucht, sich den Begriff zu merken, denn Shizune verwendet hatte: Präkoma. Sakura schlief und war nicht weckbar.

«Und was ist dann der Unterschied zum Koma?», hatte er gefragt.

«Sie weist noch Reflexreaktionen auf. Das wäre beim Koma nicht mehr der Fall.»

Naruto hatte sich kaum getraut, Fragen nach der Prognose zu stellen. Shizune meinte darauf, dass sie im Moment stabil sei. Sie werde mit diversen Mitteln behandelt, darunter Antibiotika aufgrund von Infektionen, die von ihren Schnitt- und Schusswunden ausgingen sowie Bluttransfusionen aufgrund des hohen Blutverlustes. Jedoch sei im Moment noch alles offen, was ihren Gesundheitszustand angehe. Ärzte hatten bei ihr weiter diverse Prellungen, Blutergüsse, Schürf- und Kratzwunden sowie zwei gebrochene Rippen festgestellt.

«Wie geht es Tsuna?», hatte er gefragt, selber unfähig, diese Informationen für sich einzuordnen.

Shizune schüttelte nur den Kopf. «Das kannst du dir vermutlich denken. Sie ist am Boden zerstört und macht sich riesige Vorwürfe.»

Naruto hatte nichts erwidert. Wer Tsunade kannte, konnte sich das tatsächlich ohne weiteres selber vorstellen.

Jetzt lehnte er sich in seinem Bett zurück und versuchte, diese ganzen Dinge irgendwie sinnvoll zu ordnen. Im Bett gegenüber schnarchte Kiba friedlich vor sich hin, etwas, worum er ihn in diesem Moment beneidete. Zetsu lag gleich daneben und schlief um einiges ruhiger. Beide waren zur Überwachung hierbehalten worden und würden nach einer letzten Arztvisite entlassen werden. Dann würde er alleine in dem Zimmer sein. Nicht, dass er darüber jammern wollte. Er hatte bereits heute einen Haufen Besuch bekommen. Von Jiraiya über Shikamaru bis hin zu Hatake und Sarutobi. Nein, sein Problem war nicht die Langeweile, sondern die Sorge. Natürlich hatte man ihm auch berichtet, welches Ausmass Crows gestrige Anschläge angenommen hatten. Den Effekt, den dieser kranke Typ auf Konoha gehabt hatte, war einfach nur abartig. Doch er konnte nicht mehr, als wütend und traurig sein. Denn das alles war geschehen und liess sich nicht mehr rückgängig machen. Wenn er könnte, dann würde er die Zeit zurückdrehen und die unschuldigen Zivilisten retten, die ins Kreuzfeuer dieses Konflikts geraten waren. Würde alles versuchen, um Crows Plan zu verhindern. Doch es war zu spät und nun mussten sie mit der Realität klarkommen, die man ihnen beschert hatte.

Und die Bilder von Ayatos letzten Sekunden hatten sich in seinen Kopf eingefressen, sich wie Widerhaken in seiner Erinnerung festgestochen. Kirishima war bereit gewesen, dem Tod entgegenzutreten, ohne das kleinste bisschen Reue zu verspüren. Ein Zeichen dafür, wie kalkuliert das alles gewesen war. Er hatte seinen letzten Auftritt bewusst angetreten und noch einmal alles rausgeholt, was rauszuholen war. Eine unerbittliche Schlacht, Anschläge, Gebäude in Flammen aufgehen lassen und nicht zuletzt seine Worte an die Bevölkerung Konohas via Livestream. Er hatte die Nacht und auch sein Leben mit einem lauten Knall beendet, ohne dass ihn irgendjemand hätte aufhalten können.

Die ganze Sache war ein Trauerspiel, das Naruto unmöglich in Worte fassen, geschweige denn wirklich begreifen konnte. Zurück blieb Angst, Trauer, Wut, Müdigkeit und Verzweiflung.

 

Sasuke

 

Es war schwierig, es in Worte zu fassen. Es war überhaupt schwierig, irgendetwas von alledem zu begreifen. Kimimaro hatte ihm seine Fragen zwar mit allergrösster Sorgfalt beantwortet, doch es gab keinen Weg, die Ereignisse der letzten Nacht in angenehmen Worten zusammenzufassen.

Sasuke fühlte sich zu schwach, um in Rage zu geraten, auch wenn er liebend gerne das ganze Zimmer auseinandergenommen hätte – vielleicht lag er deshalb in einem Einzelzimmer.

Sasukes Welt war in dieser Nacht zusammengebrochen und erst jetzt hatte er die Zeit, das wirklich zu begreifen. Die Wirkung des Medikaments hatte rasch nachgelassen und nun brachen all diese furchtbaren Informationen wie ein Sturzbach über ihn herein. Das Gefühl war ihm nicht unbekannt. Es war, als verliere man jeglichen Halt und suche trotzdem verzweifelt nach irgendetwas, woran man sich festklammern konnte. Doch es gab einen Unterschied: Als seine Eltern gestorben waren, hatte er sich an Itachi halten können. Als Itachi gestorben war, hatte er sich an Sakura gehalten. Und jetzt? Woran konnte er sich denn noch halten? Itachi war tot. Karin war tot. Und Sakuras Leben hing an einem Seidenfaden, der zu reissen drohte.

Er würde immer seine Gang haben. Aber das war nicht dieselbe Art von Halt. Nein, eine solch sanfte und liebevolle Hand, die sich nach ihm ausstreckte, gab es ohne Sakura nicht mehr. Und das war nicht einmal das grösste Problem, denn Sakura MUSSTE leben. Da gab es gar keine Alternative. Denn sie war zu gut, um diese Welt vorzeitig zu verlassen. Sie konnte in dieser Welt viel Wärme schenken und sie hatte es verdient, ein langes und glückliches Leben zu leben. Und jetzt stand einfach alles, aber wirklich alles auf der Kippe.

«Kann ich sie sehen?», fragte er, als es der Kloss in seinem Hals wieder zuliess.

Und auch wenn er den kurzen Anflug von Zweifel in Kimimaros Gesicht sah, meinte dieser nur: «Wenn du das willst, dann kannst du das.»

Natürlich wollte er, auch wenn er wusste, dass ihn dieser Anblick endgültig in den Abgrund reissen konnte.

Kimimaro begleitete ihn, denn er wusste, dass es keinen Zweck hätte, ihn aufzuhalten. Sasukes ganzer Körper schmerzte bei jeder Bewegung und ihm fiel auf, wie viele Verbände er am Körper trug. Doch das war ihm jetzt wirklich egal.

Sein Begleiter griff nach dem Infusionsständer, mit dem Sasuke immer noch über Schläuche verkabelt war, damit Sasuke sich mit seinem momentanen Scheuklappenblick nicht selbst den Venenzugang rausriss.

Als Sasuke aufstand bemerkte er sogleich, dass sich seine Beine nach letzter Nacht und der langen Ruhezeit wie Gummi anfühlten. Er zitterte wie ein alter Mann, als er sich erhob.

«Willst du dich erst umziehen?» Kimimaro wies auf einen Plastiksack auf dem Stuhl in der Ecke. «Konan hat heute Morgen allen Takas im Krankenhaus Kleider gebracht.»

Sasuke hätte gerne aufgrund seiner Eile darauf verzichtet, aber das bescheuerte Patientenhemd war nicht gerade praktisch. Also liess er sich von Kimimaro die Infusionen abstöpseln, damit er sich rasch umziehen konnte. Eine graue Jogginghose und ein labbriges schwarzes Shirt waren definitiv besser.

«Können wir die ganze Suppe nicht weglassen?», murmelte er und wies auf die Infusionsflaschen am Haken.

«Wenn du innerhalb der nächsten halben Stunde wieder Schmerzen haben willst, dann nur zu. Ich les’ dich nicht auf, wenn du dann kollabierst», war die trockene, jedoch Sinn machende Antwort. Also liess Sasuke sich wieder mit verkabeln. Der Infusionsständer bot wenigstens etwas Halt für ihn.

Jetzt machten sie sich endlich auf den Weg. Draussen auf dem Gang wuselten Pfleger und Schwestern geschäftig hin und her und der Geruch von Desinfektionsmittel schlug ihm entgegen. Kein Wunder, denn letzte Nacht war ein Schwall an Patienten ins Krankenhaus eingeliefert worden. Die Leute bedachten ihn und Kimimaro mit kurzen Blicken, manche sogar sehr aufmunternd. Gangs im Krankenhaus zu haben, das war eigentlich auch eher ein Ausnahmezustand.

Sasuke hatte nur Augen für den Weg, der vor ihm lag. Am Ende des steril weissen Flures warteten zwei Lifttüren auf sie, beide dunkelblau eingefärbt in dem Versuch, etwas Farbe in die Blässe des Krankenhauses zu bringen.

Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit, bis sie dort ankamen, da Sasukes Beine einfach nicht schneller vorwärts gehen wollten und weil sein Körper an gefühlt jeder Stelle wehtat. Im Lift drückte Kimimaro auf den EG-Knopf. Die ganze Fahrt nach unten schwiegen sie – es gab ja auch nichts zu sagen.

Als sich die Türen wieder öffnetn, blendete ihn das helle Licht der Neonröhren an der Decke beinahe. Seine Augen waren immer noch im Schlafmodus und hatten sich noch nicht wirklich an die Helligkeit gewöhnt.

Kimimaro öffnete mit einem Badge die Glastür, deren Flügel nun zur Seite schwangen und den Blick auf die Intensivstation freigaben. Vor ihnen lag ein Stationsbüro, auch hier wuselte das Personal wie in einem Bienenstock herum.

Die Pflegepersonen nahmen sie wahr, musterten ihn teilweise sogar ziemlich neugierig, aber da Kimimaro, einer der Oberärzte, dabei war, sagte niemand irgendwas. Er erntete auch einige mitfühlende Blicke, die er aber nicht haben wollte. Zudem war er ohnehin darauf konzentriert, nicht über die eigenen Füsse zu stolpern. Sakuras Koje lag etwas weiter hinten, eigentlich war es die letzte auf diesem Gang, Nummer 15. Er prägte sich die Zahl ein.

Die Koje wurde von einer Wand mit einem langen Glasfenster vom Gang getrennt, die Tür befand sich rechtsseitig. Seine Augen fanden sogleich ihr Ziel und er merkte, dass dieser Anblick noch viel schlimmer war, als er es sich vorgestellt hatte.

Da lag sie, zugedeckt von einer weissen Decke, die Arme frei. Sie war mit allerlei Monitoren verkabelt, die ihn an jene aus dem Lazarett erinnerten. Durch einen Schlauch wurde ihr über die Nase Sauerstoff zugeführt. Würde sie nicht an solchen Apparaten hängen, könnte man glatt meinen, sie schliefe einfach friedlich.

Er betrat die Koje, die bereits nach Sakura roch. Er erschrak als er die blauen Flecken, die leichten Schwellungen und die Schürfwunden in Sakuras blassem Gesicht sah. Und das war nur das Gesicht. Die anderen Wunden wurden von der Decke oder ihrem Nachthemd verdeckt.

Sasuke konnte nichts sagen, wollte nichts sagen. Und deshalb näherte er sich langsam dem Bett. Sie sah so verletzlich aus. Als brauche es nur noch einen kleinen Stoss, damit ihr Körper endgültig aufgab. Er erinnerte sich noch viel zu gut daran, wie sie letzte Nacht ausgesehen hatte. Voller Blut, am Ende ihrer Kräfte und voller Verzweiflung.

Nun streckte er seine Hand nach ihrer aus. Sie war kühl, aber noch spürte er Körperwärme. Mechanisch streichelte er sie, versuchte, sich an all die Momente zu erinnern, in denen er ihre zarte Haut auf seiner gefühlt hatte. Jeder Gedanke an sie war geprägt von Liebe und Zuneigung. Was, wenn sie nicht mehr aufwachte?

Er setzte sich auf den Stuhl neben dem Bett. Der Raum um ihn herum verschwamm, er wusste nicht einmal mehr, ob Kimimaro noch da war. Nichts spielte für ihn noch eine Rolle, bis auf die Person, die vor ihm war. Denn wenn Sakura das nicht überlebte, würde er auch das letzte bisschen Halt in seinem Leben verlieren.

«Was ist passiert?», flüsterte er, wohlwissend, dass sie ihn nicht hören konnte. «Was um Himmels Willen ist in diesen scheusslichen Kellern passiert?»

Seine Stimme war schwach, mehr ein Flüstern. Sasuke hatte nur Vermutungen und gewisse Indizien dafür, was Sakura in den Kellern der Transportfirma widerfahren war. Tomcat hatte damit zu tun, aber nicht im negativen Sinne. Die beiden mussten die Flucht ergriffen und sich herausgekämpft haben. Aber nur zwei Personen wussten, was sich da wirklich abgespielt hatte. Eine war tot und die andere nicht bei Bewusstsein. Wenn er sich recht erinnerte, dann war da auch noch ein junger Riot gewesen, der die Sanitäter für Sakura und Yohei gerufen hatte. Aber wo der sich derzeit aufhielt, wusste er nicht.

«Ich brauche dich hier noch», flüsterte er und drückte ihre Hand. «Halte durch, ja? Ich bitte dich.»

Sasukes Kehle war auf einmal wie zugeschnürt und seine Augen brannten, als die Verzweiflung erneut wie eine Welle über ihm zusammenschlug. In seinem Kopf spielten sich schreckliche Szenarien ab. Die Vorstellung an ein Leben ohne Sakura, die nun so sehr zu einem Teil seiner vorsichtigen Zukunftspläne geworden waren, machte ihn beinahe wahnsinnig. Er verspürte den Drang, sich auf dem Boden wie eine Katze zusammenzurollen. Und er spürte ein Bedürfnis nach Trost, das er kaum kannte. Könnte ihn nur irgendwer in den Arm nehmen und ihm versichern, dass alles gut werden würde.

«Es tut mir so leid», sagte er und vergrub das Gesicht in den Händen, um sich selber von diesem Anblick zu verstecken. Es war so feige und schwach von ihm, aber er hatte jegliche Kraft dazu verloren, sich gegen seine eigene Schwäche zu wehren.

Und dann verharrte er einfach so. Eigentlich wollte er gar nicht mehr zurück, denn so war er zumindest bei ihr. Denn auch wenn er sich mehr als alles andere davor fürchtete, wollte er bei ihr sein, falls sie diese Welt verliess.

Seine Brust krampfte sich bei dem Gedanken schmerzhaft zusammen und das Atmen fiel ihm schwer. Passierte das alles hier wirklich?

Es konnte einfach nicht sein.

 

Tsunade

 

Kimimaro und sie standen still und ergriffen vor der Glasscheibe zu Sakuras Koje. Gerade war sie noch einmal an der frischen Luft gewesen. Und bei ihrer Rückkehr hatte sie Kimimaro entdeckt, der vor Koje 15 gestanden hatte. Er hatte nur einen Finger an die Lippen gelegt, um ihr zu signalisieren, dass sie gerade nicht unterbrechen durfte, was da drin vor sich ging.

Tsunades Herz fühlte sich an wie zusammengeschnürt, als sie Sasuke am Bett sitzen sah. Noch nie hatte sie ihn so verletzlich gesehen, wie in diesem Moment. Seine Körperhaltung hatte nichts mehr von einem stolzen Taka-Leader. Zusammengesunkene Schultern, das Gesicht versteckt hinter den Händen, der ganze Körper verkrampft.

Tsunade stiegen unwillkürlich die Tränen in die Augen, da sein Anblick sich direkt und ohne Umschweife durch den dünnen Schutzschild bohrte, den sie aufrechtzuerhalten versuchte.

Ihr wurde einmal mehr bewusst, wie viel Sasuke an Sakura lag und dass dies auf Gegenseitigkeit beruhte. Warum um Gottes Willen hatte sie dem einst im Weg stehen wollen?

«Dr. Kaguya? Miss Senju?», fragte auf einmal eine Stimme hinter ihr. Sie waren so gefesselt von der Szene gewesen, dass sie die junge Krankenschwester hinter ihr kaum bemerkt hatten. Sie hielt ein Telefon in der Hand. «Da ist eine Frau am Empfang, die sich nach Mr. Uchiha und Miss Haruno erkundigt.»

Kimimaro stutze. «Und wie heisst die Dame?»

«Ihr Name ist Ami Iwasawa. Sie ist sehr besorgt um Mr. Uchiha.»

Der Arzt dachte angestrengt nach, aber schien zu keinem Schluss zu kommen. «Ich kenne keine Ami Iwasawa.»

Tsunade wusste auch nicht, wer diese Frau war. Gab es jemanden ausserhalb der Gangs, der sowohl Sasuke und Sakura kannte?

«Dürfte ich die Dame Mal sprechen?», fragte sie die Krankenschwester, welche ihr bereitwillig den Apparat reichte. Sie stand etwas von der Koje weg, damit sie Sasuke nicht störte – sie wusste nicht, wie schalldicht die Wand war.

Die Empfangsdame gab den Hörer ihrerseits weiter.

Tsunade meldete sich mit ihrem Namen und ergänzte «Ich bin Sakura Harunos Tante. Wie kann ich Ihnen helfen, Mrs. Iwasawa?»

«Guten Tag, Miss Senju», antwortete die warme aber besorgte Stimme einer Frau. Rein anhand der Stimme schätzte sie Tsunade auf dreissig bis vierzig Jahre alt. «Mein Name ist Ami Iwasawa. Sie kennen mich nicht. Jedoch habe ich letzten Frühling die Ehre gehabt, Ihre Nichte kennenlernen zu dürfen.»

Tsunade war ziemlich perplex. «Sakura hat nie etwas erzählt.»

«Das kann ich mir vorstellen. Es ist auch eine wahrlich lange Geschichte. Dürfte ich Sie in der Cafeteria treffen, damit ich Ihnen die ganze Sache etwas genauer schildern kann?»

Tsunade war natürlich sehr neugierig auf diese Person, die Sakura anscheinend kannte, aber nie von ihr erzählt hatte. Und deshalb willigte sie ein. Falls es irgendwelche neugierigen Presseleute sein sollten, konnte sie diese immer noch abwimmeln.

«Ich bin in fünf Minuten bei Ihnen.»

Schon von weitem sah Tsunade das junge Paar am Empfang stehen. Beide braunhaarig, sie in einen schönen blauen Stoffmantel, er in einem schwarzen. Die Frau drehte sich zu ihr um und lächelte freundlich, auch wenn die Anspannung ihr ins Gesicht geschrieben stand.

Sie schüttelten sich die Hände, der Mann entpuppte sich als Ehemann von Ami Iwasawa. Gemeinsam begaben sie sich in die Cafeteria und dort erzählten die Iwasawas ihr Unglaubliches. Die Geschichte war verrückt, aber sie glaubte den beiden alles. Denn ihre Beschreibung von Sasuke und Sakura passte wie die Faust aufs Auge. Tsunade erklärte ihnen in der Folge auch, wie es um die beiden stand. Anhand ihrer Reaktionen war zu sehen, dass die beiden in nur kürzester Zeit ein Band mit Sasuke und Sakura geschmiedet hatten, das schon fast familiär anmutete. Die beiden waren zudem wahnsinnig sympathisch und Tsunade war gerührt von ihrer Anteilnahme. Eigentlich war es schon verrückt, dass dieses Paar eher dagewesen war, als Sakuras eigene Mutter. Mebuki hatte zwar sofort ihren Rückflug von den Bahamas umgebucht, damit sie eher hier sein konnte. Morgen würde sie am City Airport landen. Von Mebuki waren viele Vorwürfe, aber kaum Worte der Anteilnahme gekommen. Das war typisch für sie, machte es aber alles in allem auch schwieriger für Tsunade, die sich selber schon genug mit Vorwürfen plagte.

Nach einem längeren Gespräch entschieden sie sich, auf der Intensivstation einen Besuch abzustatten. Ob Sasuke allerdings noch dort war, wusste Tsunade nicht mit Sicherheit. Aber ihr Bauch sagte ihr, dass dieser junge Mann Sakura nicht mehr von der Seite weichen würde, solange er nicht musste.

 

Hinata

 

Nach dem langen Gespräch mit Mr. Gasai, dem ihr zugeteilten Psychologen, war Hinata zurück in ihrem Zimmer. Sie war müde und ihre Rauchvergiftung half nicht gerade, dass es ihr besser ging. Kopf- und Halsschmerzen sowie Schwindel begleiteten sie, seit sie aufgewacht war. Ihr gereizter Hals hatte dazu geführt, dass sie das Gespräch immer wieder für kurze Pausen unterbrochen hatten, damit sie trinken konnte.

In Gegensatz zu den anderen lag sie auf der Abteilung des psychiatrischen Dienstes im Konoha City Hospital. Dieser befand sich im Ostflügel und war vom Ambiente her etwas freundlicher und bunter gestaltet.

Hinata hatte zugestimmt, sich hier unterbringen zu lassen. Nachdem der Adrenalinkick der letzten Nacht sie umhüllt hatte wie ein Mantel, der sie funktionstüchtig gemacht hatte, war sie an diesem Morgen wieder in den ihr bekannten Mustern aufgewacht. Dazu kamen die schrecklichen Erlebnisse von vergangener Schlacht. Besonders ihr eigener Beinahe-Tod und Ayato waren letzte Nacht mehrmals in ihren Träumen aufgetaucht. Er hatte ihr Sachen erzählt von seiner Ideologie, seinen Zielen und warum er sie dazu zwang, ihm dabei zu helfen. Der Sprung vom Dach war auch dabei gewesen, nur hatte Ayato im Traum noch um Hilfe gerufen, als ob er seinen Körper gar nicht alleine zu diesem Sprung bewegt hätte.

Mehrmals war sie schweissgebadet und schreiend aufgewacht, hatte immer noch die Hitze des Feuers auf ihrer Haut gespürt. Die Pfleger und Schwestern hatten ihr beruhigende Medikamente verabreicht und hatten jeweils bei ihr ausgeharrt, bis sie wieder eingeschlafen war.

Und auch jetzt im Wachzustand verging keine Sekunde, ohne dass Hinata an alles dachte, was im vergangenen Halbjahr mit den Riots und ihr passiert war. Es fühlte sich scheusslich an, wieder damit konfrontiert zu sein. Bei den Riots hatten ihre Überlebensinstinkte die Führung übernommen, doch jetzt, wo sie «in Sicherheit» war, brachen all ihre Ängste schonungslos über sie herein.

Sie hatte Mr. Gasai alles erzählt. Die ganze Geschichte, die sie Naruto und den anderen noch schuldete. Von der Erpressung, über ihren Versuch, Ayato davon zu überzeugen, dass sie ihn liebte, um Hanabi, sich selber und die Kuramas zu retten… und die Tatsache, dass sie sich selber in diesem Unterfangen verloren hatte. Von den Tagen, an denen Realität und Wunschdenken in ihrem Kopf verschwommen waren und sie selber nicht mehr hatte sagen können, was nun wahr war und was nicht. Von dem Punkt, an dem sie nicht mehr wirklich gewusst hatte, ob sie Ayato nun liebte oder verabscheute. Sie hatte sich selber so lange immer wieder eingeredet, was sie tun musste, damit Hanabi nichts angetan wurde, dass sie das nicht mehr von ihren wahren Empfindungen hatte trennen können. Mr. Gasai wusste auch von den Stimmen in ihrem Kopf, die sie zeitweise gehört hatte und die ihr immerzu lautstark Vorwürfe gemacht hatten, ihre eigene Gang zu verraten.

Mr. Gasai hatte ihr aufmerksam zugehört. Er meinte, er könne zu diesem Zeitpunkt nichts diagnostizieren. Und das sei auch nicht das wichtigste. Er hatte ihr erklärt, dass diese Reaktionen die Folge von einer massiven Überbelastung ihrer Psyche und ihrer emotionalen Kapazität seien. Er erwähnte auch, dass er Aspekte des Stockholm-Syndroms bei ihr vermutete – dass sie also mit Ayato als ihrem Peiniger zu sympathisieren begonnen hatte.

Was der Psychologe sagte, machte für sie durchaus Sinn. Sie hatte durchweg einen inneren Konflikt mit sich selber ausgetragen. Einerseits den sehnlichen Wunsch, wieder zu ihren Freunden zurückzukehren, andererseits diese besondere Beziehung, die sie zu Ayato aufgebaut hatte. Sie hatte ihm vieles vorgetäuscht – heute wusste sie mit ziemlicher Sicherheit, dass er ihr das nicht wirklich abgekauft hatte und einfach ihre emotionale Zuwendung ausgekostet hatte.

Immer, wenn sie mit ihm zusammen gewesen war, hatte sie sich Naruto an seiner Stelle vorgestellt. Doch irgendwann hatte sich das zu verändern begonnen und Naruto war immer mehr verblasst und die Person geworden, die für sie durch ihre Taten ausser Reichweite gekommen war. Er war Teil eines anderen Lebens gewesen.

Alles in allem war es sehr einfach zusammenzufassen: Sie hatte sich selber verloren. So, wie sie es Naruto gestern Nacht, kurz vor ihrem vermeintlichen Tod beschrieben hatte.

Hinata lehnte sich auf ihrem Bett zurück und starrte zum Fenster hinaus. Draussen befand sich ein schöner Park mit hohen Laubbäumen, deren Blätter sich langsam aber sicher alle verfärbten. Der Himmel war grau und wolkenverhangen, trotzdem zog es sie irgendwie raus. Vielleicht konnte sie in einer halben Stunde, wenn sie Hanabi treffen durfte, mit ihr ein wenig raus. Mr. Gasai hatte organisiert, dass das Treffen im ersten Schritt im Beisein des Kinderpsychologen erfolgen würde, denn Hanabi würde Zeit brauchen, um das alles zu verarbeiten. Ihre arme kleine Schwester war noch so jung und hatte letzte Nacht bereits ein brutales Trauma davongetragen. Selbstvorwürfe waren ein weiteres Gewicht, das auf Hinata lastete. Manchmal wusste sie gar nicht mehr, wo sie damit anfangen sollte, sich schlecht und schuldig zu fühlen. Und deshalb weinte sie viel, um den ganzen Druck irgendwie aus ihrem Körper rauszubekommen.

Gerne hätte sie auch Naruto gesehen. Mr. Gasai hatte ihr gesagt, dass er ihr empfehle, zwischen ihren Kontakten immer Pausen einzulegen, damit sie sich selber nicht emotional total überfordere, zumal sie gegenüber fast all ihren Freunden tiefgreifende Schuldgefühle hegte. Das Treffen mit Hana war deshalb um 15 Uhr angesetzt. Und Naruto würde sie vielleicht am Abend noch sehen können. Sie vermisste ihn und gleichzeitig machte sie sich Sorgen. Möglicherweise hatten auch seine Gefühle sich verändert. Letzte Nacht hatten sie sich in einer absoluten Grenzsituation befunden, in einem objektiveren Moment sah die ganze Sache vielleicht wieder anders aus.

Ihr Handy vibrierte. Eine Nachricht von ihrem Vater, der sich derzeit auf dem Rückflug von London befand. Als er über den Zustand seiner beiden Töchter informiert worden war, hatte er den erstbesten Flieger genommen, um möglichst schnell bei ihnen zu sein. Hinata freute sich wahnsinnig auf ihren Vater und gleichzeitig machte sie sich auch hier Sorgen, ihm von ihren Verstrickungen und ihrer Rolle in der ganzen Gangangelegenheit zu beichten.

Wie das mit ihr weitergehen sollte, wusste sie nicht. Nachdem sie in einem ersten Moment erleichtert über ihre Befreiung von den Riots gewesen war, so hatte jetzt die Ernüchterung eingesetzt. Es gab viel zu klären. Viele Entschuldigungen auszusprechen.

Der blosse Gedanke daran überforderte sie. Und als ihr dann auch Sakuras lebensbedrohlicher Zustand wieder in den Sinn kam, war es aus mit ihrer Selbstbeherrschung. Sie rollte sich weinend auf ihrem Bett zusammen und vergrub ihr Gesicht in der Decke, um sich von der niederschmetternden Realität zu verstecken.

 

Sakura

 

«Und wie lange gedenkst du denn, so weiterzumachen?», fragte Yohei sie in einem ruhigen Moment. Sie befanden sich immer noch in dem Wald, den Sakura als Kind so geliebt hatte. Gerade hatten sie den kleinen Bach gefunden, der sich leise plätschernd zwischen den Baumstämmen hindurchschlängelte. Sakura hatte kein Gefühl für Zeit und wusste deshalb auch nicht, wie lange sie schon an diesem wunderschönen Ort umhergingen.

«Mal sehen», sagte sie nur und schlenderte weiter durch das weiche Gras. Die Lichtung zu verlassen war eine hervorragende Idee gewesen – diesen Wald wiederzusehen löste in ihr ein wohliges Gefühl von Geborgenheit aus. Es war, als befänden sie sich in einem seltsamen Vakuum, das den Fortschritt der Ereignisse einfach angehalten hatte. Und hier in diesem Wald waren sie sicher von jeglichem Leid.

Sakura hatte vergessen, was passiert war. Sie hatte Freunde und Familie, das wusste sie, doch ihre Gesichter waren schnell verschwommen und jetzt nur noch schwache Erinnerungsfetzen. Glasklar war jedoch die Tatsache, dass Yohei hierblieb, solange sie hierblieb.

Yohei machte das Spiel mit und schien eigentlich ziemlich ungerührt für jemanden, der sie immer wieder darauf aufmerksam machte, dass er nicht mehr lebte.

«Fantasie ist besser als Realität», meinte er. «Aber es ändert nichts daran, dass sich Ersteres komplett in deinem Kopf abspielt und nicht echt ist.»

«Es kann dir ja egal sein. Wenn du ja nicht echt bist, sollte es dich auch nicht stören, hier zu sein.»

Yohei schmunzelte und tauchte seine nackten Zehenspitzen ins Wasser, das sich mit einem Plätschern seinen Weg um das neue Hindernis herum suchte. «Gibt es da nicht Leute, die auf dich warten?»

Sakura zuckte mit den Schultern und verspürte wieder diesen kindlichen Trotz. «Ich glaube schon, aber die leben ja alle noch.»

«Und deshalb geht es ihnen gut?»

Sakura zog einen Schmollmund. Sie erinnerte sich ja nicht einmal mehr daran, WER da irgendwo auf sie wartete. Warum sollte sie von hier wegwollen? Sie fühlte sich federleicht und spürte den Frieden des Waldes tief in sich drin. Alles war gut hier. Was sollte sie daran auch etwas ändern?

«Kümmert es dich denn nicht, dass sie dich gerne zurückhaben wollen?»

Sakura wollte ihm nicht sagen, dass sie sich gar nicht so genau erinnerte, von wem Yohei da sprach.

«Ich weiss, dass es mir richtig schlecht ging, bevor ich in diesen Wald kam. Und dahin zurück gehe ich doch nicht freiwillig.»

Yohei legte den Kopf schief, wohlmerkend, dass irgendetwas nicht stimmte. «Aha. Dann sind sie dir also egal?»

Langsam aber sicher nervte sie sich über ihn. Er konnte ihr doch eigentlich dankbar sein, dass sie ihn an diesem schönen Ort verweilen liess.

Etwas ertappt zupfte sie einige Blätter von einem Busch und liess sie auf den weichen Waldboden rieseln. «Erinnerst du dich denn an sie, Yohei?»

Er lachte, dieses Mal viel lauter. «Hast nicht du gerade gesagt, dass ich nicht echt bin? Nur Teil von deiner Fantasie? Wie soll ich mich an Dinge erinnern, an die du selbst dich nicht erinnern kannst?»

Sakura wandte verstohlen und etwas beschämt den Blick ab. «Dann eben nicht.»

Yohei erholte sich wieder. «Tut mir leid.» Sein Blick wurde ernster. «Aber ganz ehrlich: Du erinnerst dich nicht an sie? Das ist nicht gut.»

Ihr war vollkommen klar, dass er recht hatte. Und doch konnte sie an ihrem Gefühlsstand nicht wirklich etwas ändern.

«Vielleicht sehnst du dich einfach so sehr nach Ruhe, dass du gar nicht mehr zurück willst? Du möchtest all den Emotionen aus dem Weg gehen, die dich dort erwarten, oder?»

Sakura zuckte mit den Schultern auch wenn sie genauso gut hätte nicken können. «Keine Ahnung, wie das überhaupt gehen soll.»

«Aufwachen?»

«Ja.»

Er legte den Kopf schief und überlegte. «Ich weiss nicht, ob du aufwachen kannst, wenn du es tief drinnen gar nicht willst.»

Sakura blickte zu Boden. «Und wie bitte soll ich mich dazu bringen, es zu wollen?»

Es folgte erst keine Antwort. Yohei betrachtete seine nassen Zehen und für einen Moment war nur das sanfte Rauschen der Brise in den Baumkronen und das friedliche Plätschern des Wassers zu hören.

«Ich weiss es nicht», sagte er schliesslich. «Wenn du es nicht weisst, weiss ich es auch nicht. Weil ich eigentlich du bin, verstehst du?»

Das alles war höchst kompliziert, aber Sakura verstand. Sie träumte und führte im Grunde genommen ein Gespräch mit sich selber. Aber es fühlte sich nicht an, als spräche sie mit sich selber, sondern mit Yohei und das machte es anders, besser.

«Aber ich denke, wir wissen eines: Von diesem Ort aus gibt es genau zwei Wege, die eingeschlagen werden können. Entweder, du wachst auf und befreist dich von deiner Angst vor der Realität.» Er stoppte kurz und holte noch einmal Luft. «Oder, du kommst auf den anderen Weg – den, den ich gehen werde.»

«Und wohin gehst du?», fragte sie ihn und spielte die Unwissende, um sich das alles selber nicht eingestehen zu müssen.

«Das weisst du ganz genau», sagte er ein wenig nachdenklich, aber ruhig und gelassen. «Ich kann nicht mehr zurückkehren.»

Die Uhr tickt

Sasuke

 

Raum und Zeit hatten für ihn jegliche Bedeutung verloren. Er sass einfach auf dem Stuhl, hatte den Kopf auf den Bettrand gelegt und hielt seine Augen geschlossen. Zum Schlafen war er zu aufgewühlt, um den Kopf zu heben fehlte ihm schlicht die Energie. Verworrene Bilder zogen an seinem geistigen Auge vorbei, ein Durcheinander aus Erinnerungen.

Wann immer er auch gemeint hatte, er habe seinen tiefsten Punkt erreicht, er hatte sich getäuscht. Er war noch nie weiter unten gewesen als in diesem Moment und er hatte nicht die geringste Ahnung, wie er je wieder raufkommen sollte, wenn Sakura das nicht überlebte.

Alles fühlte sich schwer an. Seine Glieder, seine Augenlider, seine Gedanken. Es war ein verdammtes Loch und er konnte sich nirgendwo halten, um da wieder raus zu klettern.

Mehrmals kamen Schwestern rein. Beim ersten Mal fragten sie ihn noch, ob sie ihm helfen oder etwas Gutes tun können, doch nach durchgehenden Verneinungen hörten sie damit auf. Eine der Schwestern stellte ihm irgendwann ein Glas mit Wasser hin, zumindest dem Geräusch nach zu urteilen. Er schätzte ihre Bemühungen wirklich, aber es half einfach alles nichts.

Sie wachte nicht auf.

 

Naruto

 

Naruto war schon wieder ganz gut zu Fuss unterwegs, aber Shizune hatte nichts anbrennen lassen wollen und ihm Choji zur Seite gestellt, der ihn auf seiner «Besuchstour» begleitete. Naruto hatte zuerst bei seinen Leuten vorbeigesehen, bei den Outers und danach bei Sai, Neji, Gaara und Tenten. Sie würden alle wieder werden und das war das Wichtigste, doch ihnen war anzumerken, dass die letzte Nacht auch seelisch nicht spurlos an ihnen vorbeigegangen war. Die Stimmung war gedrückt, die Gespräche drehten sich vor allem um das Gefühl der Fassungslosigkeit und Ohnmacht von letzter Nacht. Bei Tenten im Zimmer traf er zudem auf Ino, die ihm richtiggehend um den Hals fiel. Er drückte sie ganz fest an sich, denn wie er selber bemerkt hatte, gab es im Moment nichts besseres, als Gesten des Mitgefühls.

Ino erzählte ihm auch von seinem nächsten Ziel – Sakura. Heute Morgen war sie bereits auf der Intensivstation gewesen, um Sakura zu besuchen und Tsunade zumindest ein bisschen eine Stütze zu sein. Ihr Bericht war ernüchternd, da Sakura derzeit keinen Wank machte. Kurzerhand beschloss Ino, ihn zu begleiten, was er dankend annahm.

«Dann geht ihr beiden», meinte Choji. «Es sollten nicht so viele Leute dort sein.»

Er hatte recht, denn es brachte überhaupt nichts, wenn sich ein Haufen Leute um die schlafende Sakura scharte.

«Ist das okay für dich?», fragte Ino noch einmal nach und Choji nickte.

«Klar. Richtet ihr aber von mir aus, dass sie unbedingt aufwachen muss, ja?», sagte er mit erstickter Stimme. «Und von den anderen auch. Die machen sich auch echt alle Sorgen.»

Naruto nickte. Es gab kein Gangmitglied der Kuramas, das in den letzten Stunden nicht nach Sakura gefragt hatte. Jeder hatte inzwischen von ihrem Zustand gehört und das erschütterte sie alle. Gerade Sakura, die eigentlich gar nicht als Kämpferin in der Schlacht involviert gewesen war, war am schwersten von allen verletzt worden – kaum zu glauben.

Auf dem Gang begegnete ihnen Pain, der sie kurz über den neusten Stand bei den Takas informierte. Auch bei ihnen gab es viele Outer-Verletzte, aber auch einige Inners, darunter Zetsu, Deidara, Sasori und Shion. Und natürlich Sasuke. Dieser hatte sein Bett aber anscheinend schon wieder verlassen, was Naruto nicht wunderte. Ihm war klar, wo sie ihn antreffen würden und ehrlich gesagt fürchtete er sich von seinem Anblick fast genauso wie vor Sakuras. Denn er kannte Demon nur als den kühlen, gefassten Gangleader und er hatte den Verdacht, dass sie ihn gleich anders erleben würden.

Ihm fiel auf, wie gross das City Hospital eigentlich war. Der Weg zur Intensivstation dauerte eine ganze Weile, was vielleicht auch daran lag, dass ihm beim Laufen alles wehtat. Auch seine Atmung begann schon nach kurzer Anstrengung schneller zu werden und Ino musste mit ihm immer wieder Pausen einlegen.

Endlich unten angekommen erkundigten sie sich nach Sakuras Koje, die ganz am Ende des Ganges lag. Eine der Schwestern wies sie darauf hin, dass Sakura im Moment noch Besuch hatte, sie aber gerne hineingehen durften. «Seien Sie einfach behutsam», meinte sie noch und Naruto konnte sich schon vorstellen, was sie damit meinte.

Ausser Sasuke war im Moment niemand bei Sakura, sogar Tsuna war ausgeflogen. Inos Griff schloss sich fest um sein Handgelenk, als sie den zusammengesunkenen Sasuke neben dem Bett entdeckten, wie er Sakuras Hand immer noch fest umklammert hielt. In ihren Gesichtern stand nun Anspannung, denn der Anblick war nicht schön, schon fast surreal. Demon war beinahe nicht zu erkennen, so ungewohnt war seine Körperhaltung.

Ino wischte sich verstohlen über die Augen, denn das hier war schlichtweg eine Tragödie, in jederlei Hinsicht. Naruto legte ihr den Arm um die Schulter und drückte sie, doch er selbst wusste nicht, woher er die Kraft nehmen sollte, das hier zu ertragen. Es gab genau zwei Möglichkeiten, wie sich das entwickeln konnte – Sakura wachte auf oder nicht. Und was passieren würde, wenn nicht, konnte und wollte er sich nicht vorstellen.

«Können wir ihm irgendwie helfen?», flüsterte ihm Ino eine Frage zu, die er sich vorher selber gestellt hatte.

«Ich weiss nicht wie», antwortete er wahrheitsgemäss. Das hier hatte nichts mit den Gangs zu tun. Die Unterschiede zwischen ihnen waren da, doch hatten sie ganz einfach kein Gewicht mehr, nachdem, was sie alles durchgemacht hatten. Aber er wusste wirklich nicht, was er für Sasuke tun konnte. Gab es denn irgendetwas, was diese Situation für ihn besser machen konnte?

Völlig in seinem Gedankengang versunken, merkte er nicht einmal, dass Ino nicht mehr neben ihm stand. Sie hatte sich auf leisen Sohlen zum Eingang der Koje geschlichen und trat nun etwas geräuschvoller ein. Sasuke hatte sie mit Sicherheit gehört, machte aber keinen Wank. Wahrscheinlich hielt er sie für jemanden vom Pflegepersonal.

Ino trat neben Sasuke und nun wandten sie beide Naruto den Rücken zu. Es wurde nicht gesprochen, aber Sasuke musste inzwischen realisiert haben, dass die Person neben ihm keine Krankenschwester war. Eine Weile verharrte Ino im Stand, betrachtete die schlafende Sakura.

Es dauerte einen Moment, bis Ino ihre Hand ganz sanft auf Sasukes Schulter legte. Es war eine simple Geste, die wohl mehr als alles andere Halt ausdrücken sollte. Die Erfahrung zeigte, dass Sasuke in Grenzsituationen sehr unterschiedlich reagieren konnte. Es konnte sein, dass ihm genau diese Hand auf der Schulter jetzt zu viel war. Aber so wie er Ino kannte, rechnete auch sie damit.

Doch eine abweisende Reaktion blieb aus. Naruto bemerkte, wie sich Sasukes Atmung veränderte. Sein Brustkorb hob und senkte sich auf einmal sichtbar, da er jetzt tiefere Atemzüge nahm. In Narutos Augen ein Zeichen der Entspannung, das er nun auch bei sich feststellte.

Auch Ino bemerkte es und er beobachtete, wie ihre Hand in eine feine Streichelbewegung überging. Sasuke liess es geschehen. Ino flüsterte etwas, das Naruto nicht verstehen konnte – vermutlich Worte des Trostes. Und seine Körpersprache drückte aus, dass er Inos Geste schätzte.

Der Anblick jagte Naruto einen Schauer der guten Art über den Rücken. Nichts war mehr, wie es gewesen war. Es begann beim Verhältnis der Takas und Kuramas. Vielleicht war die Zeit gekommen, in der sie ihre Differenzen begraben konnten. Denn so abgedroschen es klang: In der letzten Nacht hatten sie gemerkt, dass sie zusammen viel stärker waren. Und er war sich sicher, dass ihnen das die kommende Zeit noch einmal aufzeigen würde.

 

Sakura

 

Sakura ging voller Leichtigkeit durch den Wald und sog seinen wunderbraren Duft nach Tannennadeln und feuchter Erde ein. Jedes Detail an diesem Ort erinnerte sie in irgendeiner Weise an ihre Kindheit und die viele Zeit, die sie hier mit ihren Eltern verbracht hatte, bevor das alles auseinandergefallen war. Da waren umgestürzte Bäume, über deren Stämme sie gerne balanciert war, kleine Bäche, in denen sie wie kurz zuvor Yohei ihre Füsse gebadet hatte. Ab und zu sah sie aus der Ferne ein Reh oder ein Fuchs. Die Tiere nahmen sie erst wahr, wenn sie nur noch wenige Meter von ihnen entfernt war und huschten dann eilig davon.

Nicht zum ersten Mal betrachtete sie verwundert ihre rechte Hand, die ganz warm war. Viel wärmer als die linke. Fast, als würde sie von der Sonne beschienen, während der Rest ihres Körpers im Schatten stand. Doch da waren keine Sonnenstrahlen und an ihrer Hand war auch optisch nach wie vor nichts Ungewöhnliches festzustellen. Wirklich seltsam. Es war, als strahle diese Wärme auch ein wenig in ihren Brustkorb aus, was eigentlich sich eigentlich angenehm, fast schon wohlig anfühlte.

Yohei ging neben ihr und betrachtete ziemlich beeindruckt das kleine Paradies um ihn herum. Gerade vorhin hatte er ihr erklärt, dass die Natur in seiner Kindheit vor allem aus sauber gepflegten Pärken bestanden hatte und er selten bis nie einen Wald gesehen hatte. Umso schöner musste es für ihn sein, sich jetzt hier zu bewegen.

Yohei hatte seit geraumer Zeit kein Wort mehr über seinen laut ihm unvermeidlichen Weg verloren und auch nichts mehr von den Menschen ohne Gesichter erwähnt, die anscheinend auf sie warteten.

Fast, als könne er ihre Gedanken lesen meinte er jetzt: «Du kannst nicht ewig durch diesen Wald spazieren und dich vor der Realität drücken, Sakura.»

«Woher willst du das wissen?»

«Ich weiss es einfach.»

«Sehr überzeugend.»

Yohei zuckte mit den Schultern. Es war, als könne ihn nichts mehr erschüttern. Als wäre er komplett im Reinen mit sich selber. «Du wirst den gleichen Weg gehen, den ich bald gehen werde, wenn du dich dem nicht stellst.»

«Ist das denn so schlimm?» Für Sakura fühlte sich der Gedanke an den Tod nicht schlimm an.

«Ja», antwortete er direkt. «Weil du noch die Wahl hast.»

«Glaubst du eigentlich, ich lasse dich hier einfach zurück? Falls du es vergessen hast, bestimme ich, wo du bist.»

«Ich bin schon längst nicht mehr dort, wo du mich haben möchtest», sprach er eine Wahrheit aus, die sie nicht abstreiten konnte. «Du willst es einfach anders. Und da du das alles hier kreierst, kannst du auch so tun, als wäre ich nicht schon längst woanders.»

«Ich will es nicht hören, Yohei», sagte sie und ging weiter.

Er seufzte. «Das mit deiner Hand», er schloss wieder zu ihr auf, «das ist kein Zufall.»

«Ach ja?»

«Ich glaube, da gibt es Leute, die Kontakt zu dir aufnehmen wollen.»

«Wer denn?», fragte sie und lachte bitter. «Die, an deren Gesichter ich mich nicht erinnern kann?»

«Ganz genau. Du solltest daran arbeiten, dich wieder an sie erinnern zu können.»

Sakura gab zu, sie würde sich gerne wieder an sie erinnern. Das Problem lag bei ihrer unguten Vermutung, dass sie Yohei dann endgültig verlieren würde. Denn ein Erinnern könnte gleich der Weg zurück in diese schlimme Realität sein, von der sie hier endlich sicher war.

 

Hotaru

 

Seit heute Morgen sass Deidara einfach nur da und starrte die meiste Zeit ins Leere. Seit er wach geworden war, hatte er keinen Ton mehr von sich gegeben, was für ihn selbst in schlimmen Situationen ungewöhnlich war. Und sie konnte es verstehen, denn sie litt mit. Fast, als ob sie das selber durchmachen müsste. Denn Deidara hatte es schwer getroffen. Körperlich, aber wahrscheinlich noch viel mehr seelisch. Mehrmals beobachtete sie ihn dabei, wie seine Hand zum Verband über seinem linken Auge wanderte und ihn ungläubig abtastete. Immer und immer wieder.

Heute Mittag beim Verbandswechsel hatte er in den Spiegel geschaut und da war sein Blick noch leerer geworden. Es war richtiggehend zu beobachten gewesen, wie in ihm etwas zerbrochen war. Sein Leben lang war Taka-Womanizer ein Draufgänger gewesen und hatte sein wildes Leben gelebt. Es hatte scheinbar nichts gegeben, was ihn hätte aufhalten können, nichts, was sein Selbstvertrauen und seinen Optimismus hätte dämpfen können. Und jetzt war das alles auf einen Schlag verpufft.

Sein Auge hatte irreparable Schäden erlitten, doch er konnte nicht mehr sagen, wie es passiert war. Das hatte er zumindest heute mit einem Nicken auf diese Frage geantwortet. Jedenfalls musste ein Messer im Spiel gewesen sein, denn die Schnittwunden um das Auge herum sprachen Bände. Die Folge davon war erstens, dass er nichts mehr sehen konnte – er war auf seinem linken Auge komplett erblindet. Optisch hatte sein Augapfel Deformationen erlitten, die mit zunehmender Heilung vielleicht etwas weniger werden, aber nie verschwinden würden. Und auch die genähten Wunden rund um das Auge würden verheilen, aber dicke Narben zurücklassen. Kurz und gut, er würde nie mehr so aussehen, wie er es bisher getan hatte. Kimimaro hatte ihr gegenüber von einer «Entstellung» gesprochen, aber Hotaru hatte dieses Wort von Anfang an gehasst. Das waren Kriegsnarben, verdammt. Sie waren ein Zeichen von Mut und Stärke. Aber das Deidara klarzumachen, war ein Ding der Unmöglichkeit.

Aussehen war ein Teil der Identität jedes Menschen. Aber Deidara hatte sich wesentlich über sein hübsches Gesicht und die schönen hellblauen Augen definiert. Aussehen war sein Kapital gewesen, nicht umsonst trug er den Bandennamen «Womanizer». Er hatte seine Reize stets einzusetzen gewusst, was ihm und Hotaru so manchen Konflikt beschert hatte. Ihre Beziehung war nie wirklich ein klarer Fall gewesen, die meisten hatten es als «On-Off» oder «Freunde mit Vorzügen» betitelt. Sie beide hatten kein Bedürfnis gehabt, da ein Label drauf zu klatschen. Nie gefehlt hatte aber die gegenseitige Zuneigung.

Zu wissen, dass durch diese Verletzung auch Deidaras gesamtes Ich bis in die Grundfesten erschüttert worden war, setzte ihr zu. Und nebst seinem Aussehen würde die einseitige Einbusse seiner Sicht auch vieles schwieriger machen, was er gerne machte oder gut konnte. Kämpfen, schiessen, sprayen, Motorrad fahren. Das alles erforderte eine gute räumliche Wahrnehmung, die er sich hoffentlich mit Übung und Gewohnheit wiederholen konnte.

Aber jetzt? Jetzt lag er am Grunde eines tiefen Lochs und zum Hochklettern fehlte ihm die Kraft. Die Ereignisse der letzten Nacht hatte jeden einzelnen Taka und Kurama erschüttert. Deidaras Zustand zeigte das allzu schmerzlich auf. Sie, die jahrelang die Strassen dieser Stadt dominiert hatten, waren kompletter Hilflosigkeit zum Opfer gefallen, während Crow ganz Konoha weiter in Angst und Schrecken versetzt hatte. Er hatte geschafft, was noch keiner geschafft hatte: Er hatte die Kuramas und die Takas gebrochen. Ihnen ihren Kampfgeist genommen, als er sie in einem aussichtlosen Kampf hatte antreten lassen.

Hotaru seufzte. Sie stand bestimmt schon gute zehn Minuten da, die Hand an der Türklinke. Deidaras Anblick würde sie erneut erschüttern und das nicht wegen seiner Verletzung.

Hidan war vor gut einer Stunde bei ihm gewesen und hatte ihr mitgeteilt, dass er nicht sprach, nicht bei ihm, nicht bei Yahiko. Und wenn er das nicht einmal bei seinem besten Kumpel und seinem Vize-Boss machte, malte sie sich auch nicht allzu viele Chancen aus. Aber ein Versuch war es wert.

Sie klopfte an und drückte die Klinke nach unten. Deidara hatte eines der wenigen Einzelzimmer erhalten, wofür sie sehr dankbar war.

Jetzt stand Deidara am Fenster. Leise schloss sie die Tür hinter sich wieder und ging auf ihn zu, doch er nahm keine Notiz von ihr. Sie hatte sich bestimmt zwanzig verschiedene Möglichkeiten überlegt, ein Gespräch zu starten, doch nun kamen ihr alle unpassend vor. Und so folgte sie ihrem allerersten Impuls, wohlwissend, dass sie damit auch jede Chance auf eine Reaktion seinerseits verspielen konnte. Deshalb erfüllte erst einmal Schweigen den Raum.

«Ich bin so froh, bist du am Leben bist, Deidei», flüsterte sie und fasste sich damit ein Herz. Diesen Spitznamen hatte sie ihm mit etwa vierzehn Jahren gegeben und zog ihn auch heute noch gelegentlich damit auf.

Er schwieg und starrte mit seinem gesunden Auge weiter nach draussen zu den herbstlich verfärbten Laubbäumen.

Langsam griff sie nach seiner Hand und drückte sie. Zahlreiche Kratzer und blaue Flecken zierten seine Arme. «Ich bin so dankbar, du bist noch da.»

Sie spürte den dicken Kloss in ihrem Hals. Ihre Augen brannten.

«Mir ist es wirklich scheissegal ob du Narben im Gesicht hast oder nicht. Du bist ein Taka und musst einfach bei uns bleiben, okay? Bitte rede mit mir.»

Wieder verstrich Zeit. Sie wusste nicht, wie lange sie so dastand und einfach nur hoffte, dass er ihr eine Antwort gab

Siekonnte  hören, wie er tief ausatmete und dann drehte er seinen Kopf zu ihr und fixierte sie. Der Anblick brach ihr beinahe das Herz, denn seit sie ihn kannte, hatte er noch nie so viel Schmerz in seinem Blick gehabt.

«Ich weiss nicht mehr, wer ich bin.»

Wo war der Schalk und das Selbstvertrauen in seiner Stimme hin verschwunden?

Hotaru unterdrückte ein Schluchzen und wischte sich die Tränen aus den Augen. «Aber ich weiss es noch ganz genau. Daran ändert doch ein kaputtes Auge nichts.»

«Ich bin jetzt nutzlos für die Takas, Hotaru.»

«Nein bist du nicht! Du kannst dich auch daran gewöhnen, mit einem Auge Motorrad oder Auto zu fahren. Oder Graffitis zu machen.»

Er schwieg. Diesen Weg konnte er im Moment nicht sehen, aber das würde er ganz bestimmt bald, da war sie sich sicher.

«Du lässt dich nicht von solchen Sachen unterkriegen. Das hast du noch nie.» Hotaru erinnerte sich doch noch viel zu gut an den Deidara, der sich nie von irgendetwas hatte runterziehen lassen. Seine spitzbübische Art, seine zeitweise bewusst abgelegte Reife, das alles hatte ihn stärker gemacht als es viele andere Takas waren.

Wieder Stille, bis er erneut das Wort ergriff. «Du hast unter den Verband gesehen. Du weisst, wie verkrüppelt ich bin.»

Hotaru setzte zu einer Antwort an, aber er kam ihr zuvor. «Jedes andere Körperteil. Aber nicht das Gesicht», sagte er mit erstickter Stimme und wandte seinen Blick ab.

Jetzt legte sie ihre Arme um ihn und drückte in an sich. Es war ihr egal, dass er die Umarmung nicht erwiderte. «Ich habe dir gesagt, dass es mir egal ist. Du bist wunderschön, mit oder ohne Narben. Weil du eben du bist. Glaubst du eigentlich, ich finde dich nur wegen deinem Gesicht gut?»

Sie lachte leise. «Quatsch. Ich mag es, dass du manchmal zu einem nervigen Kleinkind mutierst, auch wenn ich das vielleicht nie gesagt habe. Du bist klug und verspielt. Mir geht es immer gut, wenn ich mit dir zusammen bin. Da ist mir doch dein Gesicht schnuppe.»

Sie legte ihren Kopf an seine Brust und meinte trotzig: «Zumal ich Narben übelst sexy finde. Auch die im Gesicht.»

Jetzt erwiderte er die Umarmung mit einer Inbrunst, die sie nicht erwartet hätte. Er vergrub sein Gesicht an ihrem Kopf, sein ganzer Körper war gespannt wie ein Bogen.

«Lass einfach los, Deidei», murmelte sie und nach einer kurzen Pause fügte sie an: «Ich glaube, unsere alten Ichs sind letzte Nacht sowieso gestorben. Was jetzt passiert, macht uns zu den neuen, noch viel besseren Ichs. Wir nehmen das Beste vom Alten und spicken es mit nur den besten neuen Sachen.»

Sie streichelte ganz sachte seinen Rücken und drückte ihm unter Tränen einen Kuss auf die Wange.

«Wenn du willst, besorge ich dir eine Augenklappe. Glaub mir, das gibt ‘nen Imagewandel, mit dem du nicht in den kühnsten Träumen gerechnet hättest.»

Und jetzt hörte sie es. Ganz leise und nur kurz. Kaum hörbar, aber er lachte. Da war ein Funken Leben, der wieder entzündet werden würde.

 

Sie hatten alle Verluste erlitten, geliebte Menschen, körperliche Fähigkeiten und manche sogar ein Stück ihrer Identität. Aber die Takas und Kuramas würden aus diesem Loch wieder rauskommen. Sie mussten einfach.

 

Ami

 

Ihr Herz hämmerte lauter als jemals zuvor gegen ihren Brustkorb. Der Weg zur Intensivstation zog sich ewig hin. Wenn das so weiterging würde sie Haru noch die Hand abdrücken.

Nach ihrem klärenden Gespräch mit Sakuras Tante Tsunade hatte diese beschlossen, sie direkt zu Sasuke zu bringen.

«Vielleicht habt ihr eine Chance, zu im durchzudringen. Ich glaube er braucht ganz dringend Halt, aber ich weiss nicht, wer ihm das jetzt wirklich geben kann. Vielleicht ja ihr beide», hatte sie gesagt.

Die Neuigkeiten zu Sasukes und Sakuras Zustand waren entgegen aller Hoffnung vernichtend gewesen. Noch immer konnte sie nicht wirklich realisieren, wie schlimm es um Sakura und im Zuge dessen auch um Sasuke stand. Zumal dieser auch verheerende Verletzungen erlitten hatte.

Auf der Intensiv angekommen, entdeckte sie bereits am Ende des Ganges, auf den sie zusteuerten, einen jungen Mann. Er stand vor einer der Kojen, doch es war nicht Sasuke. Er war blond und Ami meinte, in ihm den Anführer der Kuramas wiederzuerkennen, dessen Gesicht sie bereits öfters in den Medien gesehen hatte. Er bemerkte sie auf halbem Wege und man sah ihm an, dass er in ihnen beiden jemand Bekanntes zu erkennen versuchte, jedoch erfolglos blieb. Tsunade stellte sie ihm kurz vor, doch das Fragezeichen auf seinem Gesicht blieb. Er erinnerte Ami so gar nicht an Sasuke, nein. Er hatte eine sehr warme Aura, doch der Kummer war auch ihm anzusehen.

Erst jetzt fiel der Blick auf das Szenario hinter der Glasscheibe. Da war eine junge blonde Frau, die Sasuke tröstend eine Hand auf die Schulter gelegt hatte. Sasuke sass auf einem Stuhl, vollkommen zusammengesunken. Es schockierte sie, denn sie hatte ihn seit letztem Frühling nicht mehr gesehen. Sie erinnerte sich noch gut an sein kühles, subtil dominantes Auftreten und diese ganz bestimmte Unantastbarkeit, die er immer ausstrahlte.

Davon war nichts mehr übrig. Und um das zu erkennen musste sie ihn nicht einmal von vorne sehen. Seine Körperhaltung sprach Bände. Kein Wunder hatte er Handy nicht abgenommen.

Naruto winkte nun vorsichtig die junge Frau heraus, die Sasuke zum Abschied noch einmal die Schulter drückte. Sie staunte nicht schlecht, als sie all die Leute vor der Koje entdeckte. Wie sich herausstellte war Ino eine von Sakuras besten Freundinnen und ein Mitglied der Kuramas. Sie lächelte freundlich, doch die dunklen Ringe unter den roten, leicht geschwollenen Augen waren selbsterklärend.

Tsunade wies Naruto und Ino an, ihr zu folgen und nickte ihr zum Schluss noch ermunternd zu, bevor sie sich entfernten. Und nun standen sie da im Angesicht einer Geschichte, wie sie dramatischer nicht mehr hätte werden können. Wer hätte vor einem Jahr gedacht, dass sie einmal hier stehen würden, weil sie eine kleine Rolle im Leben eines Gangleaders übernommen hatten. Es kostete Ami Überwindung, sich Sasuke überhaupt anzusehen. Von Sakura ganz zu schweigen.

Leise betraten sie die Koje. Bis auf das Piepen der Monitore und dem gleichmässigen Blubbern der Sauerstoffzufuhr war nichts zu hören. Sakuras geschundenes Gesicht jagte ihr einen kalten Schauer über den Rücken. Wie würde erst der Rest ihres Körpers aussehen?

Erst jetzt bemerkte sie, dass auch Sasuke an einer Infusion hing. Sasuke verbrachte also die Zeit, die er für die eigene Heilung benötigen würde, hier bei Sakura.

Bereits dieser Gedanke trieb ihr die Tränen in die Augen. Da sollte noch jemand behaupten, die Jugend von heute kenne keine Liebe mehr.

«Sasuke?», sagte sie leise, aber gut hörbar für ihn. Er rechnete nicht mit ihnen und sie wollte ihn nicht völlig überraschen, weshalb sie sich für eine zeitige Ankündigung entschieden hatte. «Wir sind es.»

Haru blieb in respektvollem Abstand stehen. Er wollte ihn nicht gleich überfordern. Sasukes Reaktion blieb aber erst aus.

Ami machte noch zwei Schritt auf ihn zu. «Wir wollten nach euch sehen, nachdem wir euch nicht erreicht haben.»

Jetzt hob er tatsächlich den Blick. Seine dunklen Strähnen hingen ihm wirr ins Gesicht, auf dem einige neue zukünftige Narben zu sehen waren. Um seinen Kopf war ein Verband angebracht.

Sasukes Augen waren rot, es war offensichtlich, dass er still vor sich hin geweint hatte. Als sein Blick sie traf zerbrach in ihr etwas. In ihm lag eine Verletzlichkeit, die sogar nicht dem Bild entsprach, das er sonst von sich vermittelte. Dieser Junge hatte sein ganzes Leben lang Mist erlebt. Man nahm ihm seine Eltern, seinen Bruder, viele seiner Freunde. Aufgewachsen als Strassenkind in den Fängen einer unerbittlichen Stadt voller Kriminalität und Kaltherzigkeit. Bei Sakura hatte er Halt gefunden und eine Liebe, die bedingungslos war. Eine tiefe Verbundenheit, die er so dringend gebraucht hatte.

Er sah gebrochen aus. Da war keine starke Aura mehr, kein kühler, durchdringender Blick, sondern einfach nur noch eine Mischung aus Verzweiflung und kompletter Apathie. Jetzt erhob er sich langsam, doch es war ihm anzusehen, dass er kaum noch Kraft fand, um aufzustehen.

Ami brachte das letzte bisschen Distanz zu ihm hinter sich und schloss ihn in die Arme. Seine letzte Umarmung in Otogakure war verhalten gewesen. Doch jetzt spürte sie, wie er sich mit all seiner verbleibenden Kraft an sie klammerte. Sein ganzer Körper war angespannt und zitterte.

«Wir sind da, Sasuke», presste sie mit weinerlicher Stimme hervor. Sie drückte ihn noch fester an sich und mit einer Hand streichelte sie beruhigend seinen Rücken.

Jetzt bahnten sich schwere, schmerzhafte Schluchzer an die Oberfläche. Er klammerte sich an sie, wie es Takahiro und Shina taten, wenn sie Angst oder Kummer hatten. Er brauchte so dringend Halt und den wollte sie ihm um jeden Preis geben.

Haru kam jetzt dazu und drückte Sasukes Schulter. Er weinte nicht oft, aber jetzt waren auch seine Augen feucht. «Wir gehen nicht weg. Versprochen.»

Ami hatte die schwere Vermutung, dass sie Sasuke so verletzlich erlebten, wie es selten jemand zuvor getan hatte. Seine ganze Schale war aufgesprungen und gab den Kern des Strassenjungen frei, der nichts anderes als Liebe und Sicherheit suchte. Sicherheit, die ihm diese Welt partout nicht geben wollte.

Dass sie das Haus in Oto trotz allem gekauft hatten, war nicht naiv oder gefühlsduselig gewesen, dachte Ami. Und ein Zufall schon gar nicht. Das alles hatte einen tieferen Sinn gehabt, den sie zu verstehen geglaubt hatte. Aber erst jetzt wurde ihr endgültig klar, dass Sasuke in ihr Leben getreten war, um weitaus mehr als eine flüchtige Bekanntschaft zu sein. Sie waren so etwas wie eine Familie, die sich erst spät im Leben gefunden hatte. Und da spielte es keine Rolle, ob sie sich nun erst ein halbes Jahr oder schon zehn Jahre kannten.

Sie würden ihn nicht hängen lassen. Auf gar keinen Fall.

So standen sie da. Sasuke geschüttelt von krampfartigen Schluchzern, Ami und Haru unter Tränen versuchend, zumindest seine schlimmsten Wunden irgendwie zu verschliessen.

 

Kakashi Hatake

 

Schnellen Schrittes ging der amtierende Polizeichef Konohas den weissen Krankenhausflur entlang. Das City Hospital war eines der grössten Krankenhäuser im Land und verfügte über einen Gefängnistrakt für Patientinnen und Patienten in Inhaftierung. Und dort kam er her.

Die verbliebenen Riots hatten grösstenteils geschwiegen, eines der Mädchen hatte dieses Schweigen jedoch gebrochen. Miranda Yuki war ein langjähriges Mitglied des inneren Riot-Kreises gewesen und war wie ihre Gangmitglieder nur zur Versorgung und Überwachung ins Krankenhaus gebracht worden. Ihre Verletzungen hielten sich in Grenzen, zumal sie sich auch widerstandslos ergeben hatten.

Und auch jetzt hatte sie mehr Informationen über Crows Machenschaften preisgegeben, als er erwartet hatte. Die Waffen, die ganzen Granaten und Sprengsätze hatten sie direkt von Orochimaru, einem bekannten Gangster und Dealer, der es immer wieder schaffte, ihnen durch die Lappen zu gehen, so auch jetzt. Bei einer Razzia in seinem Hauptquartier hatten sie nur noch gähnende Leere angetroffen und es gab kein Indiz, wohin sich dieser Kerl verkrochen hatte.

Orochimarus Involvierung hatten sie ja bereits vermutet. Interessant war jedoch, dass laut Miranda Yuki auch der ehemalige Polizeichef Zabuza Momochi die Riots aus seiner eigenen Haft heraus noch unterstützt hatte. Anscheinend hatte er einige V-Männer, die nach wie vor innerhalb des Polizeidepartements für ihn arbeiteten. Über sie hatte er seine Beziehungen mit einigen Gleichgesinnten in der Armee spielen lassen und den Riots diese Menge an Sprengstoff und Waffen besorgt. Miranda hatte sogar einige Namen nennen können, was es einfacher machte, diese Leute nun auch zu enttarnen. Er hätte wissen müssen, dass Momochi alles daransetzen würde, ihn zu sabotieren, nachdem er ihn in aller Öffentlichkeit gemeinsam mit Sakura Haruno entlarvt hatte. Eigentlich verrückt, dass seine Gier und sein Hass so weit reichten, dass er die Riots weiterhin unterstützte, nachdem sie ihn nach gemeinsamer Sache ohne Kommentar ins Gefängnis hatten wandern lassen. Sie hatten keine der Anschuldigungen nur im Ansatz abzustreiten versucht und ihren Komplizen einfach auflaufen lassen.

Nun, Momochi würden sie dafür zur Rechenschaft ziehen. Er war in diesem Moment nur froh, hatte er all seine Operationen selbst innerhalb des Departements unter absolute Geheimhaltung gestellt, sodass nur seine engsten Kollegen davon wussten. Zudem hatte er jede Person, die mit Momochi im engeren Sinne zu tun gehabt hatte, vollkommen von den Gang-Operationen ausgeschlossen. Mitgewirkt hatten hier nur seine vertrauenswürdigsten Kollegen und deren jeweilige Abteilungen. Wer weiss, was sonst hätte passieren können. Denn laut Miranda Yuuki hatte es keine Info vom aussen gegeben, die die Riots auf den Angriff der letzten Nacht hätte vorbereiten können. So beeindruckend und gleichzeitig erschreckend es auch war, Crow war einfach verdammt gut vorbereitet gewesen und hatte ein Talent für das Kalkulieren der Handlungen seiner Gegner gehabt.

So gut die Entwicklungen in dieser Richtung auch waren, er konnte sich kaum darüber freuen. Die ganze Nacht war eine einzige Tortur gewesen. Seine Polizisten waren angeschlagen, unter ihnen drei, deren Leben diesem Gangterror zum Opfer gefallen waren. Es gab Schwer- und Leichtverletzte, doch sah es für sie alle relativ gut aus.

Und dann waren da noch die Gangs, die diesen Kampf zu einem grossen Teil alleine hatten ausfechten müssen, entgegen aller Planung. Sie waren die, die wohl am meisten abbekommen hatten.

Er selbst sah sich verantwortlich für all die Dinge, die in der letzten Nacht schiefgelaufen waren. Sie hatten Crow einiges zugetraut, aber dass er gezielte Anschläge auf Gebäude und Menschen verübte, während eine Schlacht im Gange war, die er objektiv nicht gewinnen konnte, war einfach nur verrückt. Der Junge war überdurchschnittlich intelligent gewesen. Hatte seine perfiden Spiele auf dem Schlachtfeld gemanagt und gleichzeitig seine geplanten Anschläge in die Tat umgesetzt. Gerne hätte er sich mit diesem jungen Mann unterhalten, doch er hatte sich aus dem Spiel genommen, bevor man ihn hatte zur Rechenschaft ziehen können. Und er konnte nicht leugnen, dass ihn der Suizid von Ayato Kirishima tief erschüttert hatte, genau wie alle anderen auch. Mit dieser Stadt, dieser Gesellschaft stimmte so vieles nicht und Ayato war lediglich ein Produkt dieser ganzen Probleme.

Gegenüber den Gangs hegte er nun tiefe Schuldgefühle, da sie in diesem Kampf im Endeffekt auf sich alleine gestellt gewesen waren, nachdem man immerzu davon gesprochen hatte, den Riots gemeinsam entgegenzutreten. Er hatte nicht wirklich eine Wahl gehabt und doch konnte er sich nicht von seinem schlechten Gewissen freimachen. Die gedrückte, verzweifelte Stimmung unter den Gangs trug auch nicht gerade dazu bei, dass er sich besser fühlte.

Aber im Grunde genommen ging es auch gar nicht darum, wie er sich fühlte. Was geschehen war, das war nun einmal geschehen. Es galt jetzt, den Schaden zu begrenzen und nach neuen Möglichkeiten für die Gangs zu suchen. Dazu hatte er bereits einige Ideen, die Frage war nur, wie diese bei den verantwortlichen Personen ankommen würden. Er war jedenfalls fest entschlossen, alles in seiner Machtstehende zu tun, um den Gangs zu helfen, sich in dieser fast schon «neuen» Realität zurechtzufinden. Denn eines war ihm klargeworden: In diesen beiden Gangs sammelte sich eine Menge Potenzial, das es zu entfalten gab.

 

Hinata

 

«Ab jetzt wird alles gut, das verspreche ich dir.» Zum Abschied drückte sie ihre kleine Schwester so fest sie konnte an sich. Nach eineinhalb Stunden Zeit zusammen, war es für Hanabi an der Zeit, für das Abendessen auf ihre Abteilung zurückzukehren. Die Psychologen hatten ihr empfohlen, mit Hanabi eine Möglichkeit zur Aussprache zu schaffen, nachdem sich ihrer Schwester sehr viel offenbart hatte, von dem sie nichts gewusst hatte. Von Hinatas Rolle in der Sache ganz zu schweigen.

In diesem Gespräch hatte sie sich bestimmt tausendmal entschuldigt, aber Hanabi hatte ihr nicht das geringste bisschen Schuld zugewiesen. Sie war einfach nur froh gewesen, ihre grosse Schwester gesund zu wissen und so hatten sie einander lange in den Armen gelegen. Hinata hatte Hanabi auch nicht jedes Detail zu ihrem Erpressungsverhältnis mit Crow erklärt – alles hatte seine Zeit und sie wollte sie nicht überfordern.

Morgen würde ihr Vater Hanabi holen kommen, damit sie nach Hause konnte. Denn Crow hatte ihr körperlich kein Haar gekrümmt. Wie es bei ihr selber aussah, konnte Hinata noch nicht sagen. Aber sie rechnete nicht mit einer baldigen Entlassung.

Für Hanabi war es so wichtig, wieder in die Normalität zurückzukehren und ihr Trauma parallel dazu mit einer Fachperson aufzuarbeiten. Und irgendwann würde Hinata dazustossen können, damit sie vielleicht wieder so etwas wie eine Familie sein konnten.

Gerade war ein Pfleger dagewesen, um ihr Essenstablett abzuholen. Hinata hat nicht wirklich Hunger gehabt, sich aber trotzdem dazu überwunden, etwas zu essen. Im Moment fühlte sie sich müde, aber die Medikamente hielten ihre Hals-, Lungen- und Kopfschmerzen in Schach, wofür sie sehr dankbar war.

Jetzt klopfte es erneut und Hinata rechnete mit jemandem von der Pflege, doch schlussendlich war es Naruto, der eintrat. Ihr Herz blieb für einen Augenblick stehen, denn sie hatte wirklich nicht mehr mit ihm gerechnet. Sofort stürzten wieder all diese Erinnerungen auf sie ein, die sie für den Moment sorgfältig von sich weggeschoben hatte. Wie ging es Sakura und den anderen? Wie ging es ihm? Wie böse war ihre Gang auf sie? Wie böse war Naruto auf sie? Würde es jemals wieder einen Weg in die Normalität für sie geben?

Naruto schloss leise die Tür hinter sich. Inzwischen wurde es dunkel draussen, Hinata hatte aber nur ihre Nachttischlampe eingeschaltet, die jetzt einen goldenen Schein auf den Kurama-Anführer warf.

«Hi», sagte er leise. Seine Stimme war kratzig und rau, genau wie ihre.

Sie hätte gerne geantwortet, aber sie brachte keinen Ton heraus. Als ob die Worte in ihrem gereizten Hals steckengeblieben wären.

Sie konnte ihren Blick nicht von ihm nehmen. Er war an verschiedensten Stellen bandagiert, hatte blaue Flecken, Brandwunden und alle möglichen Male, die so eine Schlacht hinterlassen konnte.

Es gelang ihr nicht, sich dafür nicht in irgendeiner Weise schuldig zu fühlen. Sie hatte Crow mehr Macht gegeben und ihre eigenen Leute behindert und noch mehr gefährdet.

Trotzdem war sie froh, dass er da war. Nach dem Treffen mit Hanabi hatte das wilde Gedankenkarussell in ihrem Kopf wieder eingesetzt und der Kontakt mit anderen half dabei, es zu bremsen. Zudem würde niemals mehr abstreiten, wie gerne sie ihn hatte.

«Wie geht es dir?», fragte er und kam langsam auf sie zu. Hinata war überrascht, wie klar in ihrem Kopf alles wurde, wenn er da war. Als lichtete sich dieser scheussliche Nebel, der ihr immer wieder zuflüsterte, wie viele schlimme Fehler sie gemacht hatte.

«Gut», antwortete sie jetzt mechanisch. Die Offensichtlichkeit dieser Falschaussage liess sie beide verlegen lächeln.

«Ich denke, unsere Definition von ‘gut’ hat sich in der letzten Zeit einfach verändert.»

Sie nickte und wies auf den Stuhl neben ihrem Bett «Setz dich doch.»

Er tat wie geheissen und Hinata rutschte an die Bettkante.

«Wie geht es Saku?», fragte sie ihn nach einer Zeit des Schweigens mit erstickter Stimme.

«Unverändert. Nicht weckbar, aber stabil. Allerdings weiss niemand, wohin das führen wird.»

Es war nicht so, als hätte sie etwas anderes erwartet. Und trotzdem war da wohl diese klitzekleine Hoffnung gewesen, bessere Neuigkeiten zu erhalten. Das Leben einer ihrer engsten Freundinnen hing an einem Seidenfaden. Und sie konnte nicht anders, als sich wieder Vorwürfe zu machen.

«Ich wusste nichts von diesem Plan», sagte sie leise. «Ich hatte keine Ahnung von alldem. Da hat er mich immer sauber rausgehalten.»

Naruto nickte, wohlwissend, von wem sie sprach. «Dir gibt niemand die Schuld daran, was mit Sakura passiert ist. Crow wollte sie als Druckmittel benutzen, aber Yohei Murakami scheint einen absoluten Sinneswandel gehabt zu haben, denn er hat Sakura anscheinend geholfen, aus den Kellern zu entkommen. Keine Ahnung, wie viel Eigennutz Yohei dabei gesehen hat oder ob da tatsächlich gute Intentionen im Spiel gewesen sind. So wie es Angel von den Takas geschildert hat, schien Sakura sehr darauf gepocht zu haben, dass Yohei gerettet wird. Deshalb tippe ich darauf, dass wir Yohei vielleicht zu wenig zutrauen.»

Er seufzte. «Was wirklich geschehen ist, kann uns jetzt nur noch Sakura sagen.»

«Was hat Shoto Murakami eigentlich zum Schicksal seines Sohnes gesagt?»

«Noch nicht viel, soweit ich weiss. Allerdings steht Murakami Credits das Wasser nun bis zum Hals. Genau wie Tanaka und Watanabe. Nachdem Ayato sie alle letzte Nacht an den Pranger gestellt hat, sind nun auch aus der Bevölkerung Vorwürfe gegen sie alle und noch weitere grosse Persönlichkeiten erhoben worden. Die Leute trauen sich endlich, ihre Erfahrungen zu teilen. Ayato hat die Hemmschwelle erheblich gesenkt, indem er aufgezeigt hat, dass jeder Typ, egal wie einflussreich und wohlhabend, verwundbar ist.»

Hinata schüttelte langsam den Kopf. «Es ist schon verrückt, weisst du?»

«Was meinst du?»

«Ayato hat immer gesagt, er würde die Stadt in Asche legen. Das ist natürlich im übertragenen Sinn zu verstehen. Und weisst du, was er auch gesagt hat?»

Naruto sah sie fragend an. «Was denn?»

«Dass aus der ganzen Asche etwas Neues wachsen wird.»

Jetzt war es an ihm, den Kopf zu schütteln. «Manchmal weiss ich wirklich nicht mehr, ob er verrückt oder einfach nur wahnsinnig gut darin ist, zu kalkulieren. Aber ich glaube, dass jemand mit seinen Fähigkeiten und Idealen auch etwas verrückt sein muss. Er hat das Unmögliche versucht und das muss man ihm anrechnen.»

«Und dann schaut man sich all die Verluste und Verletzen an und hat nichts anders für ihn übrig als Wut», fuhr Hinata fort.

«Ganz genau.»

Das darauffolgende Schweigen war ganz und gar nicht unangenehm. Eher beruhigend und ein Weg, die Worte wirken zu lassen. Doch irgendwann begann diese eine Frage sie wieder zu quälen. Und sie musste sie stellen, sonst würde sie vielleicht nie eine Antwort erhalten.

«Sag mal», begann sie leise. «Hast du… ich meine letzte Nacht, im Keller… hast du das wirklich so gemeint?»

«Was genau meinst du?», frage er verwundert.

Sie schluckte und fasste sich ein Herz. «Alles. Ich meine, alles was du gesagt hast… waren das nicht nur Aussagen in der Hitze des Gefechts?»

Jetzt lachte er leise. «Nein. Das habe ich alles zu hundert Prozent so gemeint.»

Hinata stiegen Tränen in die Augen, doch sie wandte ihren Blick ab und blinzelte sie weg.

«Ich kann es dir noch einmal sagen: Ich mache dir nicht den geringsten Vorwurf. Und deshalb war auch alles, was ich gesagt habe, ernst gemeint.»

«Es wäre alles viel einfacher gewesen, wenn ich nicht als Geisel gedient hätte. Die Schlacht wäre eher gewonnen gewesen, wer weiss, vielleicht hättet ihr die Riots schon eher bezwungen, wenn ich ihnen nicht Informationen geleifert hätte!». In ihr bäumte sich etwas auf – ihr eigener Selbsthass. «Ohne mich würde Kankuro noch leben! So viele Outer-Standorte wären nicht aufgeflogen, wenn ich sie nicht verpfiffen hätte! Ich habe den Riots Macht gegeben, die sie nie hätten haben dürfen!»

Die Worte sprudelten nur so aus ihr heraus und die Selbstverachtung in ihrer Stimme war wohl kaum mehr zu überhören.

«Falsch», sagte Naruto ruhig. «Das alles wäre nicht passiert, wenn Crow nicht ein kleines Mädchen zu einem Druckmittel und dich damit zu einer Erpressten gemacht hätte. Du hattest keine Möglichkeit, dich dagegen zu wehren, weil er dich pausenlos überwacht hat. Die Nacht, in der ich dich bei deinem Block gesucht habe – auch da bist du bewacht worden oder? Da ist mir auf dem Rückweg so ein vermummter Typ entgegengekommen.»

Sie nickte, hielt ihren Blick aber immer noch abgewandt. «Das war Shark. Einer meiner vielen Bewacher.»

«Was ich damit sagen will: Du hast Schadensbegrenzung betrieben, indem du Crow etwas vorgemacht hast. Dass du nur eine Outer seist, dass du ihn… nun ja, lieben würdest. Du hast uns nach Kräften geschützt. Und das verdient eigentlich mehr Lob als irgendeinen Vorwurf.»

«Ich weiss aber manchmal nicht mehr, was von alledem wirklich gespielt war… ich meine was Letzteres betrifft. Ich stand total neben mir… ich habe mich selber nicht mehr gekannt. Und bin selber verrückt geworden. Deshalb liege bin ich auch hier und nicht im normalen Krankentrakt.» Ein Schluchzer bahnte sich seinen Weg nach oben. «Du solltest mich hassen.»

«Tu ich aber nicht», sagte er unverblümt, mit dieser bübischen Überzeugung in Stimme und Ausdruck. «Ganz im Gegenteil.»

Hinata vergrub den Kopf in ihren Händen. «Ich weiss nicht, womit ich das verdient haben sollte.»

«Nun, du wirst es wissen. Wenn du dich selbst nicht mehr verachtest. Denn du wirst dir selber verzeihen. Und du wirst einen Weg zurück in die Normalität finden. Aber das braucht Zeit. Denn ob du es wahrhaben willst oder nicht: Du bist eine derjenigen, die am meisten Schaden davongetragen hat. Und es braucht Zeit, sich davon zu erholen.» Sie spürte, wie er mit seiner warmen Hand nach ihrer griff. «Ich verspreche dir und uns allen, dass sich das alles irgendwann anfühlen wird, als läge es Lichtjahre zurück. Dass es alles nicht mehr so schwer sein wird. Und für Sakura hoffen wir, so fest wir können. Wir müssen in ihre Stärke vertrauen. So, wie wir das bei den Kuramas immer machen.»

Hinata konnte jetzt nicht mehr anders, als ihre Arme um ihn zu schliessen. Wie sehr hatte sie sich in den letzten Monaten danach gesehnt, endlich wieder Teil ihrer Gang zu sein. Und nach Naruto sowieso. Ihm so nahe zu sein hatte sie sich gewünscht, seit sie der Gang beigetreten war. Sie liebte ihn schon so lange.

Er erwiderte ihre Umarmung inbrünstig. «Ich werde es immer wieder sagen, bis es endlich soweit ist», murmelte er. «Alles wird gut.»

Sie spürte, wie seine Hand zärtlich über ihr Haar strich und langsam an ihre Wange wanderte. Er suchte ihren Blick und ehe sie sich versah, hatte er sie geküsst. Und für einen flüchtigen, wunderschönen Moment hob sich die Last der vergangenen Monate von ihren Schultern. Es war wunderbar. Und noch viel schöner, als sie es sich vorgestellt hatte.

Danach verharrten sie noch lange in ihrer Umarmung, bis eine der Schwestern Naruto dazu aufforderte zurück auf seine Station zu gehen. Anscheinend hatte man ihn dort schon vermisst und zudem wartete noch eine Dosis Schmerzmittel auf ihn.

Er küsste sie zum Abschied noch einmal, doch dann war er weg. Und da sank das Gewicht langsam wieder auf ihre Schultern herab. Zurück blieb ein Prickeln auf ihren Lippen.
 

Sakura

 

Der auffrischende Wind riss Blätter von den Baumkronen, die jetzt wild in der Luft umherwirbelten. Ein Blick nach oben zeigte, dass sich der Himmel verfinstert hatte und dunkelgraue Wolken aufgezogen waren.

«Ein Gewitter?», fragte Sakura verwundert gen Himmel. In ihr regte sich eine altbekannte Furcht, aber noch hatte sie die Kontrolle darüber.

«Sieht so aus», meinte Yohei.

«Können wir uns irgendwo verkriechen?» Gleich, nachdem sie die Frage gestellt hatte, fiel ihr ein, wie dämlich das war. Yohei kannte diesen Wald nicht einmal.

Wenn sie es sich genau überlegte, musste es hier in der Nähe einen umgestürzten Baum geben, der mitsamt Wurzeln aus dem Boden gerissen worden war. Als Kind hatte sie sich dort gerne versteckt, da die abstehenden Wurzeln einen gewissen Schutz boten.

Yohei folgte ihr ohne zu fragen und tatsächlich lag der Baum noch genauso da, wie sie ihn in Erinnerung hatte. Was auch irgendwie logisch war, denn sie bewegte sich wohl oder übel in ihrer eigenen Erinnerung.

Kaum hatten sich die beiden unter die Wurzeln des Baumes gekauert, brach das Unwetter über sie herein. Die Schleusen waren geöffnet und der Regen prasselte in Sturzbächen auf sie hinunter, begleitet von ohrenbetäubendem Donnerschlag und einem Lichtspektakel aus Blitzen am Himmel.

Sakura presste sich gegen den Baumstrunk, doch gegen die Angst half es nicht. Der Regen war ihr egal, aber hier draussen, mitten im Wald einem Gewitter ausgeliefert zu sein, half ihr nicht. Der Boden unter ihnen sog sich langsam mit Wasser voll und wurde matschig, denn die Wurzeln schützten sie in erster Linie vor dem Wind und nicht vor dem Niederschlag.

Yohei neben ihr war ganz ruhig, auch wenn er selber schon bis auf die Knochen durchnässt war. Sein blondes Haar hing ihm in tropfnassen Strähnen ins Gesicht.

Das Gewitter zog erst nach einer gefühlten Ewigkeit weiter, aber es hörte nicht auf zu regnen.

«Bist du sicher, dass du hierbleiben willst?», fragte er irgendwann.

Sakura hatte ihre Arme fröstelnd um die Knie geschlungen. «Es stimmt etwas nicht, oder?»

«Du meinst, dieses Paradies hier hat einen Haken?», versuchte er, aus ihren Worten schlau zu werden.

Sie nickte. «Ich fühle mich nicht mehr gut. Nicht so wie vorhin. Als sollte ich nicht hier sein.»

«Irgendwas will dich zum Gehen bewegen», meinte Yohei und bedachte dabei den Himmel, der aussah, als wäre das nächste Gewitter schon im Anmarsch. «Ist deine Hand immer noch warm?»

Sakura schüttelte den Kopf und versuchte, die Angst zu unterdrücken, die in ihr aufkam. «Vielleicht habe ich den Kontakt verloren», murmelte sie. Sakura realisierte in diesem Moment, wie sehr sie sich davor fürchtete, die Menschen zu verlieren, die auf sie warteten. Auch wenn sie sich nicht an ihre Gesichter erinnern konnte, so war da etwas, was sie in ihre Richtung zog.

«Vielleicht ist es an der Zeit, dass du dich entscheidest, in welche Richtung du gehen willst», sagte er. «Die Uhr tickt, Sakura.»

«Aber ich weiss doch noch nicht einmal, wie ich da rauskomme!», brauste sie auf. «Ich habe keine Ahnung, was ich machen muss!»

Keine Antwort. Und als sie sich umdrehte, war er verschwunden. Wie vom Erdboden verschluckt. Ein Anflug von Panik bewog sie dazu, aufzuspringen. «Yohei!»

Jetzt suchte sie das Gelände rund um den umgestürzten Baum ab. «Yohei!», brüllte sie erneut, doch sie erhielt wieder keine Antwort. Er war weg. Auf einmal.

Und sie blieb vollkommen durchnässt in Kälte und Regen zurück. Alleine an diesem Ort, über den in Kürze das nächste Gewitter einbrechen würde.

Dieser paradiesische Ort hatte sich innert kürzester Zeit in ihren schlimmsten Albtraum verwandelt. Und als sie losrannte, um in diesem Wald nach Yohei oder irgendetwas anderem zu suchen, dass ihr einen Anhaltspunkt, eine Richtung gab, suchten sie Yoheis Worte immer und immer wieder heim.

Ihre Uhr tickte.

Getrennte Wege

Sasuke

 

Nachdem Ami ihn dazu bewogen hatte, etwas an die frische Luft zu gehen und einen Kaffee zu trinken, hatte Sasuke erst gemerkt, wie gut etwas Abstand zu der ganzen Situation tat. Das änderte nichts an der Tatsache, dass er andauernd den Drang unterdrücken musste, zurück auf die Intensivstation zu laufen. Aber er erkannte durchaus die Qualität, die Ablenkung mit sich brachte.

Er hing nach wie vor an einer Infusion mit Schmerzmitteln, die es ihm wohl überhaupt erst ermöglichten, sich so lange bei Sakura aufhalten zu können. Sein eigener Körper war ihm im Moment eigentlich ziemlich gleichgültig, da half alles ärztliche und freundschaftliche Ermahnen nichts.

Ami war in der Cafeteria zurückgeblieben, um mit Haru noch einige Dinge abzusprechen. Sie hatte beschlossen, die nächsten Tage hier in Konoha zu bleiben und Haru würde zu den Kindern nach Oto zurückkehren. Von ihm hatte er sich bereits verabschiedet.

Er konnte gar nicht wirklich fassen, dass Ami und Haru Sakuras und seinetwegen so vieles stehen und liegen liessen. Er war ihr unendlich dankbar dafür, fühlte sich aber gleichzeitig auch schuldig. Er hatte Schicksalsschläge in seinem Leben bisher grösstenteils alleine durchgestanden und war es nicht gewohnt, so viel Unterstützung und Aufopferung von jemandem zu erfahren. Gerade von jemandem, der nicht zu seiner Gang-Familie zählte.

Als er zur Koje zurückkehrte und auf der Schwelle stand, fiel ihm auf, dass Sakura nicht mehr alleine war. Da stand eine Frau an ihrem Bett, das hellbraune Haar streng zu einem Knoten zusammengebunden. Ihre Haltung war kerzengerade, die Schultern straff. Das war niemand, der sie bisher besucht hatte.

Rasch ging er in seinem Kopf die Leute ausserhalb der Gangs durch, die Sakura vielleicht einen Besuch abstatten würden und dabei kam er nur auf einen logischen Schluss: Das musste Sakuras Mutter sein.

Er war schon im Begriff, sofort Kehrt zu machen. Er wusste in diesem Moment wirklich nicht, wie er mit dieser Frau sprechen sollte und ob es überhaupt etwas zu sprechen gab. Soweit er wusste, war Sakuras Mutter kein grosser Fan von ihm. Das machte ihm eigentlich nichts aus, denn sie war gewiss nicht die richtige Person, um Kritik an anderen zu üben. 

Doch da hatte sie ihn bereits bemerkt. Zum ersten Mal konnte er nun einen Blick in das Gesicht dieser Frau werfen, nachdem er bereits vieles über sie gehört hatte. Sie hatte Sakuras Augen, jedoch ein eher kantiges Gesicht mit einem harten Ausdruck. Sie widerspiegelte auf jeden Fall das Bild, das Sakura ihm immer wieder aufgemalt hatte.

Ihr Blick war erst verwirrt, als wisse sie nicht, wo sie ihn einordnen musste. Und als sie realisierte, wen sie da vor sich hatte, wurde ihr sichtlich unwohl. Sie wandte den Blick wieder ab und starrte auf ihre schlafende Tochter.

«Guten Tag», sagte sie, ohne ihn anzusehen. Sie klang aber nicht herablassend. Nur kurzangebunden.

«Tag», antwortete Sasuke und fragte sich sogleich, ob das ihr erster und letzter Austausch bleiben würde.

Er wusste nicht wirklich, wo er jetzt hinsollte, also entschied er sich, zu bleiben. Er würde Sakura bestimmt nicht alleine lassen, nur weil es unangenehm wurde, so wie es ihre Mutter seit Jahren tat.

«Kommen Sie nur», sagte sie auf einmal. «Sakura würde Ihre Anwesenheit bestimmt sehr begrüssen.»

Mebuki Harunos Stimme hörte sich an, als koste es sie ungeheure Mühe, die Kontrolle darüber zu halten.

Sasuke trat nun richtig in den Raum ein und stellte sich etwa zwei Meter entfernt von Sakuras Mutter hin. Sie schwiegen, zumal sie sich wohl wirklich nichts zu sagen hatten. Sasuke meinte schon, dass sie hier wohl so stehen würden, bis irgendjemand sie dabei unterbrach, als sich Mebuki Haruno dann doch zu Wort meldete.

«Waren Sie dabei?», fragte sie ohne ihn anzusehen. «Als es passiert ist, meine ich?»

Er schüttelte den Kopf und spürte sogleich, wie sich die kalte Hand seines schlechten Gewissens wieder um sein Herz schloss. Er war eben nicht dabei gewesen, und das war der Grund für die zigtausend Selbstvorwürfe, die ihn andauernd quälten.

«Sie waren zumindest in der Nähe», fuhr sie fort. «Ich war meilenweit entfernt in einem anderen Land.»

Er wusste gerade nicht, was er darauf antworten sollte. Vermutlich gab es auch keine Antwort darauf, denn die letzten Worte schien sie eher an sich selber gerichtet zu haben.

«Ich wusste nicht einmal, dass sie in diese Kämpfe auch involviert ist», murmelte sie. «Davon hat mir nicht mal Tsunade etwas erzählt.»

«Das war sie eigentlich nicht direkt», sagte Sasuke jetzt. «Sie hat die Sanitätseinheiten unterstützt. Und ist dabei ins Kreuzfeuer geraten.»

Das war noch untertrieben ausgedrückt. Die Riots waren von Anfang an hinter Sakura her gewesen und er war einfach zu blind dafür gewesen.

Wieder Schweigen.

«Ich möchte Ihnen jedenfalls danken», nahm sie das Wort wieder auf und suchte nun seinen Blick.

«Wofür?», rutschte es ihm vor Überraschung raus.

«Dafür, dass Sie hier bei ihr sind. Wie ich hörte», ihr Blick wanderte über seine Verbände, «und sehe, sind Sie selbst noch nicht gesund.»

Sie seufzte. «Ich bin ihre Mutter und war nicht da. Es ist für mich beschämend. Aber es ist doch in gewissem Masse tröstlich, zu wissen, dass es Menschen gibt, die ihr in dieser Situation beigestanden sind und noch beistehen.»

«Sie sollten sich auch schämen», sagte er direkt und unverblümt. Er würde dieser Frau bestimmt nicht einfach Honig ums Maul schmieren, nachdem sie ihre Tochter mehr oder weniger ihrer Tante und sich selber überlassen hatte. Er erinnerte sich noch sehr gut daran, wie traurig es Sakura immer gemacht hatte, dass ihre Mutter nur dann Interesse an ihr gezeigt hatte, wenn es um ihre prophezeite Karriere ging.

Mebukis Atem stockte für einen Moment und er rechnete schon damit, dass jetzt ein Donnerwetter über ihn hereinbrechen würde. Stattdessen schwieg sie.

«Da haben Sie eine wunderbare Tochter und trotzdem nichts Besseres zu tun, als mit irgendeinem Typen in die Karibik oder sonst wohin zu verschwinden? Und dann immer vorwurfsvolle Anrufe zu machen, weil Sakura nicht so lebt, wie sie es gerne möchten? Nachdem Sie nicht das Geringste dazu beigetragen haben, sie zu unterstützen.»

Mebuki hatte den Blick auf ihre schlafende Tochter gerichtet.

«Sakura hat eine Familie gefunden, die Sie ihr nicht gegeben haben. Dabei hätten Sie es gekonnt», fügte er noch an.

«Ich weiss», war ihre leise Antwort. Es war deutlich zu hören, wie sehr sie Sasukes Worte trafen – weil er Recht hatte.

«Andere Menschen haben keine Familie mehr», sagte er. «Also stellen Sie sich nicht so an.»

Er erinnerte sich, dass er Sakura vor einer gefühlten Ewigkeit Ähnliches geraten hatte. In etwas anderem Tonfall, verstand sich. Sasuke war es nicht unbedingt wohl dabei, diese ohnehin schon reumütige Frau so zu behandeln, aber verdammt, irgendjemand musste es doch mal sagen.

Mebuki nickte und setzte sich auf den Stuhl. Gedankenverloren streichelte sie Sakuras Hand.

«Nach der ganzen Scheidungssache…», begann sie nach geraumer Zeit, «da wollte ich einfach alles hinter mir lassen. Ich verstehe erst jetzt, wie sehr das auch auf Sakura zutraf. Sie erinnerte mich immer so sehr an diese scheussliche Zeit mit Kizashi…»

Sie schluckte schwer. «Ich liebte meine Tochter trotz allem und habe mich um sie gekümmert. Aber irgendwie haben wir den Draht zueinander verloren. Sie wollte andere Dinge, als ich sie ihr geraten hätte… wir stritten oft und manchmal frage ich mich, ob ich vielleicht einfach eine so ungeniessbare Person bin, dass man sich einfach mit mir streiten muss. Oder dass man mich… schlagen muss.»

Sasuke erschrak bei ihren letzten Worten. Mebuki Haruno war ein Opfer häuslicher Gewalt – das fiel ihm erst jetzt wieder ein.

«Ich stürzte mich in meine Arbeit und versuchte, meine Energie in meine wiederaufgenommene Karriere zu investieren. Und da lernte ich Leute kennen, die meine Fähigkeiten sehr wohl zu schätzen wussten. Ich liess mich vollkommen von dieser neuen Welt absorbieren.» Sie richtete sich auf. «Es war ein furchtbarer Fehler, sie dabei einfach zurückzulassen. Und es braucht anscheinend eine Situation wie diese, damit ich das überhaupt verstehe. Es gibt keine Entschuldigung für sowas.»

Es war schon verrückt, dass Mebuki Haruno eine solch emotionale Botschaft auf dermassen gefasste Art ausdrücken konnte. In alldem war es ihr immer noch möglich, Haltung zu wahren. Und darin unterschieden sie und Sakura sich wie Tag und Nacht.

Er war wirklich nicht in der Verfassung, Sakuras Mutter aufzubauen. Erstens war er in sowas wirklich nicht gut, zweitens fühlte er sich selber miserabler als je zuvor und drittens vermeinte er zu erkennen, dass sie das auch gar nicht wollte.

Aber das alles einfach so im Raum stehen zu lassen, war wirklich hart. Vielleicht konnte er ihr aus seinem bescheidenen Repertoire doch etwas mitgeben. Dinge, die ihm auch Ami gesagt hatte.

«Es ist gut dafür geradezustehen, was passiert ist. Fehler einsehen meine ich, Sie verstehen. Aber an der Vergangenheit können Sie jetzt nicht mehr das Geringste ändern. Und deshalb sage ich Ihnen: Wenn Sakura wieder aufwachen sollte, dann haben Sie die Chance, alles besser zu machen.»

Sie bedachte ihn mit einem verwunderten und gleichzeitig neugierigen Blick. «Ich weiss, nicht, ob Sakura das überhaupt noch möchte.»

«Das werden Sie erst wissen, wenn sie aufwacht. Also hoffen wir doch einfach das Allerbeste.»

Mebuki Haruno nickte langsam und setzte sich dann neben ihre Tochter. Sasuke beschloss, sie doch noch ein wenig alleine zu lassen. Heute Abend konnte er ja wieder bei Sakura sein. Bevor er über die Schwelle in den Flur trat, hörte er noch ein leises «Ich danke Ihnen».

 

Sakura

 

Sakura konnte kaum noch den Weg vor ihr sehen, weil der Regen ihr unerbittlich ins Gesicht peitschte. Ihre nackten Füsse schmerzten als sie, gejagt von diesem Sturm, durch den Wald lief und nach etwas suchte, das sie selbst nicht kannte. Ihr innerer Frieden war diesem scheusslichen Gefühl von Bedrohung gewichen.

Yohei war nirgendwo zu sehen und Sakura hatte die ungute Vermutung, dass er nicht mehr hier war. Hatte sie zu lange gewartet? Ihn zu lange festgehalten, nachdem er immer wieder gesagt hatte, dass sein Weg bereits bestimmt war? Vielleicht war das hier ihre Strafe dafür. Anstatt einen Weg zurück in ihr Leben zu finden, hatte sie sich hier verschanzt wie ein Feigling, hatte sich versteckt von dem was die Menschen durchmachten, die auf sie warteten. Yohei hatte sie aus lauter Egoismus hierbehalten, ihn nicht gehen lassen. Doch jetzt wollte sie nicht mehr hierbleiben. Denn es fühlte sich auf einmal alles daran falsch an.

Und ein dumpfes Gefühl sagte ihr, dass sie auch nicht hierbleiben konnte, selbst wenn sie es gewollt hätte.

Sie atmete schwer und ihr Körper ermahnte sie dazu, langsamer zu gehen, doch sie konnte nicht aufhören, sie musste laufen. Ansonsten war vielleicht alles zu spät.

Auf einmal stolperte sie über eine Wurzel, die aus dem Boden ragte, und landete der Länge nach auf dem matschigen Waldboden. Ihre Hände gruben sich in den Boden, um zumindest den Aufprall etwas abzufangen. Es fehlte ihr aber die Kraft dazu, ja, sie realisierte, wie aussichtslos die Sache war. Was zur Hölle musste sie tun? Sie war ganz alleine in diesem Wald, über dem ein fürchterlicher Sturm tobte, der ihren schlimmsten Albträumen entsprungen sein musste.

«Yohei!», rief sie, kaum laut genug, dass es irgendjemand hören konnte.

«Yohei!», rief sie noch einmal und dieses Mal vermischte sich ihr Rufen mit einem verzweifelten Schluchzen.

Er tauchte nicht auf. Wahrscheinlich war er weg. Unwiderruflich. Aber nach wem sollte sie sonst rufen? Sie erinnerte sich an niemanden ausser Yohei.

Sie schloss die Augen, versuchte, ihre Atmung zu beruhigen. Regen prasselte auf sie herab und ihr einst weisses Kleid saugte sich mit dem braunen Waldmatsch voll.

Angestrengt versuchte sie, sich an irgendjemanden zu erinnern. Irgendein Anhaltspunkt, der sie dazu brachte diese vergessenen Gesichter wieder vor sich zu sehen. Doch je mehr sie sich anstrengte, desto schlimmer wurde es.

«Helft mir», flüsterte sie und schloss die Augen. «Bitte.»

 

Sasuke

 

Inzwischen waren zwei weitere Tage vergangen, in den sich nichts geändert hatte. Während diverse Gangmitglieder aus dem Krankenhaus entlassen worden waren und sich auf den Weg in ihre HQs, endlich zurück nach Hause, gemacht hatten, gab es immer noch keine Anzeichen dafür, dass Sakura aufwachen würde.

Ami wohnte derzeit bei Tsunade, wenn sie nicht gerade im Krankenhaus war. Sakuras Mutter war auch jeden Tag vorbeigekommen, meist in Begleitung von Tsunade. Er selber verbrachte die Nacht normalerweise widerwillig in seinem Zimmer, da auf der Intensiv keine Übernachtungsgäste erwünscht waren. Man hatte ihm jedoch erlaubt, den ganzen Tag dort verbringen zu dürfen.

Die Krankenschwestern von seiner Abteilung waren so nett gewesen, sich mit den Intensivpflegenden abzusprechen, damit er seine Medikamente tagsüber gleich hier erhielt. Kimimaro hatte zwar gemeint, dass seine Genesung noch auf sich warten lassen würde, wenn er sich weiterhin so verausgabte, aber es war ihm egal.

Bis vor einer Viertelstunde hatte er mit Ami noch bitteren Kaffee aus dem Automaten im Aufenthaltsraum getrunken. Sie hatten oft miteinander geredet in den letzten Tagen und er hatte ihr viel erzählt – vielleicht mehr über sich, als er Sakura bisher preisgegeben hatte. Er war unendlich dankbar, dass sie und Haru gekommen waren, auch wenn er es nicht richtig in Worte fassen konnte.

Er war einfach nicht mehr er selbst. Zeitweise schämte er sich für seine Gefühlsausbrüche, die er aber bei bestem Willen nicht mehr kontrollieren konnte. Er war das einfach nicht gewohnt, auch wenn er zugeben musste, dass es etwas Erleichterndes hatte. Es war ihm auch egal, wenn ihn die Kuramas oder seine eigenen Leute so sahen – es spielte alles keine Rolle mehr.

Ami hatte das Krankenhaus nun verlassen und das bedeutete, dass Sasuke wieder alleine war. Wie schon die letzten Tage sass er auf seinem Stuhl und betrachtete die schlafende Sakura im Licht der Nachttischlampe. Es gab keinen anderen Ort an den er gehen wollte. Gehen konnte. Manchmal legte er den Kopf einfach auf den Bettrand und nickte dann selber ein. Vertraut war ihm inzwischen das regelmässige Piepen der Apparate, die ihren Puls imitierten. Das Geräusch spendete ihm Trost, weil es der Beweis dafür war, dass Sakura lebte. Solange dieses Geräusch da war, war auch noch nichts verloren.

Er klammerte sich an diesen kleinen Strang der Hoffnung, wusste aber zu gut, wie schnell er reissen konnte. Doch er konnte nicht anders, als hoffen. Der Gedanke, dass sich die Situation in die gegenteilige Richtung entwickeln könnte, liess jedes Mal wieder zerbrechen, was Ami so mühsam mit ihm zusammengekittet hatte.

Auch jetzt hatte er seinen Kopf auf den Bettrand gelegt, die Augen geschlossen. Es war schon fast ein friedlicher Moment. Sasuke versuchte, ruhig zu atmen. Sein ganzer Körper war erschöpft und fühlte sich an, als würde nur noch von seiner Haut zusammengehalten werden. Er war nur noch ein Schatten seiner selbst. Ja, wer war er überhaupt?

Tränen waren ihm bis vor Kurzem fremd gewesen. Doch in den letzten Tagen hatte er wohl mehr geweint, als er es in den vergangenen zehn Lebensjahren getan hatte. Meistens kamen sie einfach so, die stummen Tränen, ohne dass er es vorhersehen konnte. So auch jetzt. Dabei waren Tränen eigentlich immer Sakuras Fachgebiet gewesen.

Ein ungewohntes Geräusch riss ihn aus seinen Gedanken. Das Piepen war schneller geworden. Er brauchte einen Moment, um zu verstehen, was das bedeutete: Sakuras Puls war schneller geworden. Der Monitor zeigte eine Pulsfrequenz von fast 90 Schlägen pro Minute an, nachdem er seit geraumer Zeit immer zwischen sechzig und siebzig geschwankt hatte. Und er wurde zusehends schneller.

Kaum hatte er das realisiert, stand auch schon die Krankenschwester der Spätschicht in der Koje und begutachtete die Situation. Die Frequenz stieg auf 94 Herzschläge an, blieb von da an aber relativ stetig.

«Der Blutdruck ist normal, die Sauerstoffsättigung auch», sagte die Krankenschwester.

Sie griff nach dem Ohrthermometer, welches neben dem Bett in einem dafür vorgesehenen Körbchen lag und mass Sakuras Temperatur. «Alles normal», war ihr Fazit.

Ein Blick auf Sasuke und ihre Züge wurden weicher. «Noch kein Grund zur Beunruhigung, Mr. Uchiha. Sie ist nach wie vor in stabilem Zustand, ich werde das jedoch trotzdem dem diensthabenden Arzt melden.»

Er nickte langsam, auch wenn sein eigener Puls immer noch wild hämmerte. Sie legte ihm eine Hand auf die Schulter. «Wir lassen Miss Haruno nicht aus den Augen, das verspreche ich Ihnen.»

Sasuke wusste das. Die Kojen waren mit Kameras ausgestattet und die Überwachungsgeräte sendeten Sakuras Daten direkt ins Stationszimmer. Das wusste er alles, doch beruhigte ihn das im Moment nicht. Jede Veränderung konnte etwas Gutes, aber auch etwas Schlechtes bedeuten. Und als die Schwester wieder gegangen war, griff er nach Sakuras Hand. Sie war kalt.

«Was ist los?», fragte er leise und führte ihre Hand an seine Lippen, um sie zu küssen. «Es wird alles gut», flüsterte er und sagte dabei Dinge, an die er selber nicht wirklich glaubte.

Die Pulsfrequenz war jetzt wieder bei 90 Schlägen. Ob sie wohl träumte? Anders konnte er sich das nicht erklären.

Er legte seine Wange an ihre Hand, versuchte, sie irgendwie zu beruhigen, auch wenn es keine Wirkung haben würde. Doch da war dieses ganz subtile Gefühl, dass sie jetzt Beistand brauchte.

«Ich warte hier auf dich, solange du brauchst. Aber bitte, komm zurück.» Er drückte sein Gesicht noch fester an ihre Hand und ein leises Schluchzen bahnte sich seinen Weg an die Oberfläche. Schon wieder weinte er und er hatte keine Ahnung, wie er damit aufhören sollte. Also liess er es einfach geschehen.

«Weisst du noch, im Sommer vor einem Jahr?», fragte er leise. Vielleicht konnte er sie ja beruhigen, wenn er ihr etwas erzählte? Ein Versuch war es wert, auch wenn sie ihn nicht hören konnte. «Da haben wir ganz schön viel wildes Zeug erlebt.»

 

Sie öffnete ihre Augen wieder. Wie lange lag sie schon auf diesem Waldboden?

Der Regen hatte noch immer nicht aufgehört und auch der Donnerschlag war immer noch direkt über ihr zu hören. Die Baumkronen bogen sich im Wind und die Geräusche um sie herum waren alles andere als beruhigend. Hier auf dem Boden fühlte sie sich beinahe am sichersten, dabei war ihr klar, dass sie nicht hierbleiben konnte. Irgendetwas musste sie tun, ansonsten war es zu spät. Aber was?

Langsam stemmte sie sich selber aus dem Schlamm hoch und in diesem Moment spürte sie es. Da war wieder diese Wärme in ihrer rechten Hand. Doch dieses Mal war es nicht nur Wärme, sondern Hitze. Keine schlechte Hitze, sondern eine wohlige, tröstliche.

Kontakt, dachte sie. Yohei hatte beim letzten Mal gesagt, dass vielleicht jemand Kontakt zu ihr aufnehmen wollte.

Sakura packte indes ihre Hand und drückte sie. Jetzt würde sie das nicht mehr einfach so ignorieren, auch wenn sie nicht wusste, was das Halten ihrer eigenen Hand bringen sollte.

«Wer bist du?», fragte sie mit zittriger Stimme über das Heulen des Windes hinweg. «Zeig dich doch!»

Natürlich erhielt sie keine Antwort, denn sie war vollkommen allein in diesem scheusslichen Wald. Mühsam erhob sie sich nun vollständig und versuchte, auf ihren wackeligen Beinen wieder Halt zu finden. Sie wischte sich mit dem Arm den Dreck aus dem Gesicht und erschrak im ersten Moment, als sie bemerkte, wie einige Meter von ihr entfernt etwas im Wind wehte. Da baumelte etwas an einem Ast.

Zuerst fürchtete sie sich, doch dann überwand sie sich dazu, einige Schritte auf das seltsame Etwas zuzumachen. Beim Näherkommen vermeinte sie, dass es sich einfach um eine Art Schlingpflanze handelte, die von dem Ast hinunterhing, bei genauerer Betrachtung erwies sich diese Annahme als falsch. Sie wusste nicht, wie dieser Gegenstand hierhingekommen war – ein Lederbändchen mit einer Feder daran. Eigentlich hätte sie jetzt Angst haben müssen. Sich fragen müssen, ob sie in diesem Wald gar nicht alleine war. Und wenn ja, wer ihr da Gesellschaft leistete.

Aber dem war nicht so. Das Bändchen kam ihr vertraut vor, auch wenn sie nicht wusste, wo sie es einordnen musste. Sie streckte ihre Hand aus und strich behutsam über das abgewetzte Leder und über die feine Feder. Dann nahm sie es vorsichtig vom Ast. Das Bändchen wurde sofort ganz warm in ihrer Hand.

«Ich kenne dich», flüsterte sie.

Sie presste das Bändchen gegen ihre Brust und musste jetzt gegen Tränen der Erleichterung kämpfen, dankbar, dass sie es in der Hand hatte. Das war eine Erinnerung. Eine erste Erinnerung an jemanden aus ihrem Leben.

Sie streifte sich dieses besondere Schmuckstück über den Kopf. So würde sie es nicht verlieren.

Getrieben von einem neuen, vorsichtigen Mut, setzte sie ihre Suche durch den Wald fort. Sie durfte diese Spur jetzt nicht verlieren – das hier war vielleicht ihre letzte Chance.

«Gib mir noch irgendwas», rief sie in den Sturm hinaus. «Bitte!»

Sie bog aus dem Dickicht wieder auf den Weg hinaus und stand auf einmal vor einem grossen Messingtor, das sperrangelweit offenstand. Es passte sogar nicht in diesen Wald hinein, ja, an so ein Tor hätte sie sich bestimmt erinnert.

Langsam passierte sie die beiden Torflügel und stellte staunend fest, dass sich dahinter ein riesiger, wunderschöner Park eröffnete. Ein weisser Kiesweg führte über die schöne, seltsam gepflegt aussehende Wiese, zwischen Blumenbeeten und sauber gestutztem Rasen hindurch. Und inmitten dieses Paradieses stand ein schneeweisser Springbrunnen, versehen mit wunderbaren Ornamenten. Besonders auffällig war auch eine grosse Trauerweide, die etwas abseits vom Brunnen stand. Seltsam war nur, dass sich kein einziger Mensch hier befand, sie war vollkommen alleine.

Erst jetzt wurde Sakura bewusst, dass der Regen aufgehört und der Wind sich gelegt hatte. Ein Blick zurück zeigte, dass der Sturm ausserhalb des Tores weiterwütete.

Sakura verzichtete aufgrund ihrer angeschlagenen Füsse auf den Kiesweg und spazierte über den weichen Rasen nach unten. Auch diesen Ort hatte sie schon einmal gesehen, da war sie sich ganz sicher. Er löste ihn ihr ein wohliges Gefühl aus, genau wie das warme Lederbändchen um ihren Hals.

Am Brunnen tauchte sie ihre Hand in das Wasser, welches nun seltsam warm war, im Gegensatz zu dem Regen da draussen.  Was hatte sie an diesem Ort erlebt?

 

«Es würde mich nicht wundern, wenn die im Gold Park einem nicht auch irgendwann mal die Luft zum Atmen in Rechnung stellen würden. Ich habe selten einen Ort wie die Sunside gesehen, der so gepflegt und edel ist. Und du bist dorthin gelaufen, nachdem ich mich mit Naruto geprügelt habe.» Er musste schmunzeln. «Irgendwie peinlich, wenn ich so daran zurückdenke, da hattest du schon recht. Jedenfalls hast du mir erzählt, was dir diese Idioten in der Schule angetan haben. Wie sie dir die Haare abgeschnitten haben. Ich glaube, das war der Moment, in dem wir uns entschieden haben, uns trotzdem weiterhin zu sehen. Ich wusste zu diesem Zeitpunkt nicht einmal, dass ich für jemanden eine solche, echte Zuneigung empfinden konnte.»

 

Das alles war so vertraut und doch konnte sie dem Ganzen keine konkrete Erinnerung zuordnen. Vielleicht musste sie einfach weitersuchen?

Sie raffte sich auf und entdeckte hinter dem Brunnen ein Tor, das sie wieder in den Sturm hinausführte. Es kostete sie einiges an Überwindung, diese Oase wieder zu verlassen. Aber ihr war eines bewusst geworden: Wenn sie zu lange wartete und in der komfortabelsten Position verharrte, würde sie es nicht schaffen. Dieser Wald hatte sich auch innerhalb Kürze von einem Paradies in einen Albtraum verwandelt. Und wenn sie sich weiterbewegte, würden vielleicht noch mehr Erinnerungsfetzen zurückkehren.

Kaum hatte sie den Park verlassen, peitschte ihr auch schon wieder der Regen entgegen. Dieses Mal übermannte sie dir Furcht vor dem Unwetter nicht, denn sie wusste jetzt, dass sie auf der richtigen Spur war.

Inzwischen kam ihr der Wald überhaupt nicht mehr bekannt vor, doch von Weitem erkannte sie bereits, wie etwas an einem der Bäume lehnte – es war ein Motorrad. Bei näherer Betrachtung eine schwarze Yamaha-Maschine, die schon ziemlich mitgenommen aussah.

Motorradfahren. Daran konnte sie sich erinnern. An den Fahrtwind, die vorbeziehende Landschaft. Sie war nie selber gefahren, aber… ja, sie war oft Beifahrerin gewesen. Sie wurde richtig nervös, als ihr klar wurde, dass sie sich nur an den Besitzer dieser Maschine erinnern musste. Eigentlich war es so verflucht simpel. Sie griff nach der Feder um ihren Hals und drückte sie. Eines wusste sie jetzt mit Sicherheit: Die Person, mit der sie das Lederbändchen, den Park und diese Maschine verband, war ihr unglaublich wichtig.

«Keine Sorge», murmelte sie. «Ich werde mich an dich erinnern.»

Sie strich mit der Hand über den nassen Lenker der Maschine.

 

«Ich würde wahnsinnig gerne wieder mit dir zur Möbelfabrik gehen. War seit einer Ewigkeit nicht mehr dort. Vielleicht hat sich dort auch schon jemand anderes eingenistet, wer weiss. Jedenfalls haben wir viele gute Momente dort verbracht. Es ist zwar eine schwierige Zeit gewesen, aber rückblickend doch irgendwie so einfach. Wir haben unsere Gangs aussen vorgelassen und uns oft dort getroffen. Es ist ein Ort, an dem man die ganze Welt um sich herum irgendwie hat vergessen können. Wir gehen da irgendwann wieder hin, okay?»

 

Möbelfabrik. Das Wort wiederholte sich immer und immer wieder in ihrem Kopf, als sie vor dem alten Gebäude mitten im Wald stand. Der verbleichte Schriftzug an der Mauer liess den Namen des einstigen Inhabers verlauten. Sakura ging instinktiv nach rechts am verrammelten Haupteingang vorbei und entdeckt dort sogleich die unscheinbare Seitentür, vor der einige Tonnen standen, die sie mit angemessenem Kraftaufwand zur Seite schob. Die Tür liess sich ohne Probleme öffnen. Der Innerraum war ihr vertraut, der Müll am Boden, altes Holz und Utensilien, die früher einmal zur Produktion von Inneneinrichtung benutzt worden waren. Zu hören waren nur der Wind, der um die Ecken pfiff und der prasselnde Regen auf dem Dach. Um die Ecke fand sie auch gleich die Treppe, um in den ersten Stock zu gelangen. Bevor sie überhaupt einen Fuss auf die erste Stufe setzte, rechnete sie bereits mit dem bekannten Knarren, doch sie wusste, dass die Treppe halten würde. Oben angekommen betrat sie den einzigen, nicht verschlossenen Raum. Da war der Fensterrahmen ohne Glas, der alte Stoffsessel, die kleine Lampe, die Matratze. Und das Klavier. Besonders das Klavier schien ihr förmlich etwas entgegenzuschreien, sie darum zu bitten, sich endlich zu erinnern. Sie drückte einige Tasten, jedoch fehlte ihr das Gespür, um eine klangvolle Melodie entstehen zu lassen.

Dieser Raum war ein sicherer Hafen, das wusste sie.

«Ich möchte mich wirklich erinnern», sagte sie leise. «Aber es klappt gerade nicht.»

Es war zum Verrücktwerden. Sie wusste, da waren Erinnerungen, da waren Zusammenhänge, aber je mehr sie diese wiederherzustellen versuchte, desto wirrer wurden ihre Gedanken.

Sie machte einen Schritt in Richtung Fenster, das den Blick auf den wütenden Sturm freigab. Regen klatschte ihr ins Gesicht, als sie sich ein wenig hinauslehnte und nach irgendeinem weiteren Anhaltspunkt Ausschau hielt. Da draussen war alles so beunruhigend, doch dieses Gebäude vermittelte ihr Sicherheit, auch wenn es verlassen und zerfallen war.

Die Baumkronen bogen sich gespenstisch im Wind und Sakura wünschte sich, sie könnte hierbleiben. Aber ihr war klar, dass sie wieder nach draussen gehen musste.

Sie machte auf dem Absatz kehrt und verliess das Gebäude. Gerade wollte sie die Treppe hinuntersteigen, als ihr auffiel, dass sich etwas verändert hatte. Eine der Türen war nun nicht mehr verschlossen und nur angelehnt.

Sakura hätte eigentlich Angst verspüren müssen. Sie befand sich in einem verlassenen, düsteren Gebäude und sie ging in diesem Moment auf eine Tür zu, die vor wenigen Minuten noch verschlossen gewesen war. Aber von Angst war nichts zu spüren, denn sie war sich absolut sicher: In diesem Gebäude würde ihr nichts passieren.

Also stiess sie die Tür vorsichtig auf. Es war ein relativ kleiner Raum. Rechts stand eine Kommode, an den Wänden je ein Bett und ganz hinten befand sich ein Fenster, dessen Glas noch intakt war. Auf dem Boden lagen zerstreut einige Kleider und Zigarettenpäckchen herum. Es war wohl schon länger nicht mehr aufgeräumt worden.

Sakura betrat den Raum und begutachtete die ungemachten Betten. Sie strich mit der Hand sanft über die Laken und ihr kam eine Idee.

Sie setzte sich auf den Bettrand des rechten Bettes und legte sich hin. Vielleicht würde ihr das Gefühl dabei helfen, sich zu erinnern. Doch im Endeffekt war es nicht ein Gefühl, das ihren Puls beschleunigte, sondern ein ganz bestimmter Geruch. Die Laken rochen. Sie konnte nicht genau beschreiben, wonach, doch da war dieser ganz besondere, unverkennbare Geruch nach einem Menschen, der ihr unendlich wichtig war. Sakura vergrub ihren Kopf noch tiefer in Laken und Kissen, versuchte mit aller Mühe, diesem Geruch ein Gesicht zu geben.

Sie sehnte sich so sehr nach dieser Person und wusste nicht einmal, wie sie aussah. Aber wenn sie sich nicht erinnerte, war alles vorbei. Warum um Himmels Willen klappte es nicht?

Sakura spürte erneut Tränen aufsteigen, sie liess ihnen freien Lauf. Pure Verzweiflung übermannte sie jetzt, nachdem sie diesen Hoffnungsschimmer verfolgt hatte. Wenn nicht einmal der Geruch half, was würde dann helfen? Gab es überhaupt noch eine Chance für sie?

Sie sog den Duft tief in ihre Lungen ein und versuchte, darin Trost zu finden. Ihr Hand hielt das Lederbändchen um ihren Hals fest umklammert.

 

Sasuke unterdrückte ein Gähnen. Er war schon lange auf und sein Medikamentencocktail halfen nicht wirklich dabei, wacher zu werden.

«Jedenfalls musst du irgendwann wieder ins Taka-HQ kommen. Das Schlafen fällt mir so viel leichter, wenn du dabei bist. Ich habe mich immer noch nicht daran gewöhnt, alleine in dem Zimmer zu pennen. Es ist so viel besser gegangen, wenn du bei mir warst.»

Er lehnte sich nach vorne, während er weiter ihre Hand streichelte. Es war, als befände er sich mit Sakura in einer ganz eigenen Welt. All diese Erinnerungen Revue passieren zu lassen, liess ihn einmal mehr merken, was für eine verrückte Reise sie hinter sich hatten. Etwas mehr als ein Jahr und es hatte sich einfach alles verändert.

Sein Blick wanderte einmal mehr zu ihrem Gesicht und auch hier traf er eine Veränderung an. Er dachte zuerst, er sähe nicht recht, doch da war eine Träne, die langsam aus ihrem Augenwinkel über ihre Wange kullerte.

Sofort war er wieder hellwach. Das war die erste körperliche Reaktion, die seit ihrer Einlieferung aufgetreten war. Sie kämpfte mit irgendetwas, jetzt war er sich dessen ganz sicher.

«Du schaffst das», flüsterte er und drückte erneut ihre Hand. «Gib nicht auf.»

 

Das Gefühl der Einsamkeit und Verzweiflung wich einem erneuten Aufbäumen von Energie. Es war ein kleiner, schwacher Schub, doch es reichte, damit sich Sakura aufraffen konnte. Sich hier zu verkriechen war einzig und allein Verlust von wertvoller Zeit.

Sie stieg die Treppe hinunter und verliess das Haus wieder, auch wenn es sich anfühlte, als verliesse sie den sichersten Ort in diesem Wald. Der Wind riss an ihrem einst weissen, jetzt matschig-braun verschmutzten Kleid und ihren Haaren. Wo war sie noch nicht gewesen?

«Ich gehe nach Hause!», schrie sie wütend in den Sturm hinaus. «Ich werde nicht hierbleiben, ob du es nun willst oder nicht!» Diese Worte waren wohl eher an sich selbst gerichtet gewesen, denn es war ja auch niemand hier. Da war ein Teil in ihr, der noch nicht aufwachen wollte und wahrscheinlich konnte sie sich deshalb noch nicht erinnern. War es derselbe Teil, der auch Yohei hierbehalten wollte?

«Yohei!», brüllte sie. «Yohei! Ich weiss jetzt, was ich will!»

Sie lief weiter, denn Yohei tauchte nicht auf. Dabei wurde ihr nun immer klarer, welches Puzzleteil in dem Ganzen noch fehlte. Es musste Yohei sein. Er war es, der ihr hier Gesellschaft geleistet hatte. Sie war so stur gewesen und hatte ihn nicht ziehen lassen – sie hatte sich nicht eingestehen können, was längst nicht mehr rückgängig zu machen war. Yohei hierbehalten zu wollen war nichts als Egoismus, vermischt mit Trauer und der Unfähigkeit loszulassen, gewesen.

Sie wischte sich mit dem Arm Wasser und Tränen aus dem Gesicht. Es gab kein Aufhalten mehr. Er war verschwunden. Und jetzt war dieser Teil von ihr, der ihn nicht gehen lassen wollte, in diesem Albtraum gefangen. Und sie war in Begriff, Yohei dorthin zu folgen, wohin er unterwegs war.

«Yohei», sagte sie nun leise, mehr zu sich selber. «Ich werde dir nicht folgen. Meine Entscheidung ist getroffen. Bitte hilf mir. Ein allerletztes Mal.»

Es brauchte nur ein Blinzeln. Sakura erschrak zutiefst, als sich vor ihr auf einmal nicht nur der endlose Waldweg in die Düsternis befand, sondern eine Brücke. Nicht nur ein kleines Brücklein, sondern eine riesige Strassenbrücke, die über einen reissenden Fluss führte. Die Brücke kam ihr bekannt vor, aber so richtig einordnen konnte sie sie nicht. Zudem war ihr Ende nicht zu sehen, das Wetter war zu schlecht und die Brücke wohl zu lang.

Und als ihr Blick zur Brüstung wanderte, setzte ihr Herz einen Takt aus.

Da war er.

«Yohei!», rief sie und lief los. Yoheis Haar war genauso nass wie ihres, aber seine Kleider nach wie vor schneeweiss. «Wo warst du?!», rief sie über den Wind weg und kam vor ihm zum Stehen.

Sein Ausdruck war immer noch ruhig und er sah zufrieden aus. «Ich habe hier auf dich gewartet.»

«Yohei…», begann sie. «Es tut mir leid, dass ich so schrecklich egoistisch war. Weisst du, ich glaube, ich habe mich entschieden.»

Er nickte. «Ich weiss.»

«Es fällt mir so schwer…», ihre Stimme versagte, weil der Kloss in ihrem Hals einfach zu gross war. «Ich wollte das nicht, Yohei. Ich wollte nicht, dass dir das passiert.»

«Ich weiss», sagte er erneut. «Aber du weisst auch, dass es okay ist. Ich bin bereit. Aber du noch nicht.»

Sakura schniefte. «Ich wünschte, ich könnte dich retten und dich davon überzeugen, wie viel du dem Leben noch abgewinnen könntest.»

«Das brauchst du nicht. Jeder Mensch hat eine begrenzte Zeit. Meine ist abgelaufen. Ich bin froh, dass es vorbei ist. Das Leben hält nicht für jeden Glück und Freude bereit. Ich konnte mein Leben mit einem Sinn beenden und das ist mehr, als ich mir jemals erträumt hätte. Wirklich, Sakura.»

«Ich bin froh, das zu hören… es tröstet ein bisschen», sie unterdrückte ein Schluchzen, «wenn ich weiss, dass du es nicht bereust.»

«Ganz im Gegenteil», antwortete er. «Ich kann dir nur danken, dass du mir nach alldem noch eine Chance gegeben hast – und noch eine geben würdest.»

Sakura lächelte unter Tränen. «Sofort.»

Sie betrachteten die Brücke. Der Regen prasselte mit voller Wucht auf den nassen Asphalt, sodass er das Wasser knöchelhoch aufspritzen liess.

«Und wohin gehst du jetzt?», fragte Sakura.

Er liess sich einen Moment Zeit mit der Antwort. «Wenn ich mir die Brücke so ansehe», sagte er schliesslich, «dann werde ich wahrscheinlich jemanden wiedersehen.»

Sakura verstand nicht sofort, doch dann fiel es ihr wie Schuppen von den Augen. Die Brücke, kam ihr aus einem bestimmten Grund bekannt vor – es war die Northgate Bridge aus Konoha, mitten im Wald. Hier hatte sich Yoheis Mutter Hitomi das Leben genommen.

«Du wirst hier jetzt aber nicht runterspringen, oder?», fragte sie etwas schockiert.

Er lachte leise. «Nein. Ich werde sie überqueren. Um herauszufinden, was auf der anderen Seite liegt.»

«Auf jeden Fall nicht Konoha», sagte Sakura und musste auch ein wenig lachen.

Er lächelte. «Nein, ganz bestimmt nicht. Aber ich weiss, dass jemand dort warten wird. Jemand, der schon herausgefunden hat, wie es auf der anderen Seite aussieht.»

Sakura konnte gar nicht mehr sagen, was auf ihrem Gesicht Wasser und was Tränen waren. Ein Donnergrollen erschütterte den Boden und die Luft.

«Es ist Zeit», sagte Yohei. «Du wirst deinen Weg zurück finden, wenn ich gegangen bin, Sakura.»

«Danke für alles, Yohei», presste sie hervor. «Vielleicht… und das hoffe ich wirklich… sehen wir uns irgendwann wieder.»

Er nickte und wirkte, als fiele auch ihm der Abschied schwer. «Es wäre mir die grösste Freude, Sakura.»

Sakura umarmte Yohei erst ganz langsam, bedacht und sachte, aber dann immer fester. Es fühlte sich an, als umarme sie einen lieben Freund, den sie schon ewig kannte. Und es tat weh, ihn loszulassen. In diesem Fall für immer. Doch war es das einzig richtige zu tun.

Als er sich zum Gehen wandte, fiel ihm noch etwas ein. «Ach ja. Mit den wenigen Dingen, die du noch von mir hast… mach etwas Sinnvolles damit, ja?»

«Versprochen.» Sakura würde sich bald wieder erinnern, von welchen Dingen er sprach. «Ich werde dich nie vergessen, das verspreche ich dir auch.»

«Ich danke dir.» Er wandte sich noch einmal zu ihr um. «Mach das Beste aus deinem Leben, Sakura. Geniesse jede Sekunde davon. Dann wirst du mir viel zu erzählen haben.»

Zu keine Antwort mehr im Stande, nickte sie nur noch.

«Auf Wiedersehen, Sakura.»

Sie unterdrückte erneut ein Schluchzen. «Auf Wiedersehen, Yohei.»

Yohei trat seinen Weg ins Ungewisse an. Er setzte zielsicher aber bedacht einen Fuss vor den anderen über die Brücke, aus dem Wald hinaus ins Unbekannte. Der Wind riss an ihm genauso wie an ihr, doch brachte er ihn nicht von seinem Weg ab.

Einen Schritt nach dem anderen, bis er in dem Nebel aus Regen und Wind verschwunden war und Sakura nicht einmal mehr seine Schemen sehen konnte.

Es war nur wenige Sekunden nach seinem Verschwinden, als der Regen aufhörte, der Wind sich schlagartig legte und die ersten Sonnenstrahlen durch die Wolken drückten. Auf einmal war wieder Vogelgezwitscher zu hören. Die unheimliche Stimmung war Entspannung gewichen.

Sakura drehte sich um, um zu sehen, ob sich etwas verändert hatte. Und das hatte es in der Tat. Vor ihr lag nun ein langer Waldweg. Und ganz am Ende, da lichteten sich die Bäume – es war ein Ausgang. Und da war noch etwas – vor ihren Füssen lag ein Blatt unversehrtes Papier am Boden. Rasch hob sie es auf.

Es war ein Brief an sie, einer, den sie längst kannte. Und mit jedem Wort, das sie las, kehrten Bilder, Gerüche, Empfindungen in ihre Erinnerung zurück. Pechschwarzes Haar, dunkle Augen. Eine markante Narbe durch die Augenbraue. Ein hübsches Lächeln. Der Geruch nach Freiheit und Abenteuer, den sie nun endlich wieder einer Person zuordnen konnte.

Den Brief hatte sie bestimmt schon tausendmal gelesen und doch war jedes Mal wieder wie das erste Mal. Das überwältigende Gefühl, geliebt zu werden, verursachte bei ihr immer wieder Herzklopfen. Jetzt weinte sie vor Freude und Erleichterung, endlich wissend, wohin sie gehörte und wohin sie gehen musste.

Noch ein letztes Mal wandte sich Sakura um, doch da war die Brücke bereits verschwunden. Übrig blieb der andere Teil des Waldwegs, der wieder in den Wald hineinführte.

Sie presste den Brief an ihre Brust und lief los, dem Licht entgegen.

 

Im ersten Moment fühlten sich Sakuras Lider noch schwer an und ihre Sicht war verschwommen. Der Raum war nur schwach beleuchtet, wofür sie sehr dankbar war. Schon diese Helligkeit war für sie gewöhnungsbedürftig.

Langsam nahm sie das regelmässige Piepen im Hintergrund wahr. Ansonsten war es sehr still. Auch die Konturen des Raumes nahmen jetzt Form an und schnell war ihr klar, dass sie nicht alleine war. Sasuke war da. Und er hielt ihre Hand.

Ihr Körper fühlte sich noch sehr schwer an, weshalb sie es erst einmal dabei beliess, ihn zu betrachten. Er war blass und hatte dunkle Ringe unter den geröteten Augen. Ein Verband am Kopf und unzählige Kratzer. Aber er lebte.

Er hatte längst bemerkt, dass sie ihre Augen geöffnet hatte, doch er bewegte sich nicht. Er schaute sie einfach nur an, mit einem Blick, den sie kaum in Worte fassen konnte. Irgendwie ungläubig, aber hoffnungsvoll.

«Sasuke», flüsterte sie lächelnd und sprach endlich den Namen aus, nachdem sie in diesem Wald so verzweifelt gesucht hatte.

Jetzt erhob er sich langsam von seinem Stuhl, nach wie vor mit diesem Blick, als traue er seinen Augen nicht. 

«Sakura…», presste er hervor und seine Hand schloss sich richtig fest um ihre. Sie hatte Sasuke noch nie weinen gesehen, aber jetzt kullerten die Tränen nur so über seine Wangen. Sakura versuchte, sich vom Bett hochzustemmen, doch ihre Arme und Beine fühlten sich an, als wären sie aus Gummi. Er war rasch bei ihr und stützte sie, damit sie in eine aufrechte Position gelangen konnte.

Sie klammerte sich an ihm fest, er setze sich auf die Bettkante, damit sie besseren Halt finden konnte. Und dann legte sie einfach ihre Stirn an seine, liess sich von ihm halten und nahm diesen Moment tief in sich auf.

Bald würden die Erinnerungen an alles andere kommen und das hatte nichts mehr mit Freude zu tun. Aber jetzt wollte sie einfach nur bei ihm sein und nichts anderes mehr spüren.

Beinahe hätte sie einen anderen Weg gewählt und wäre von ihm weggegangen, für immer.

«Ich habe mich an dich erinnert», flüsterte sie. «Du brauchst nicht zu weinen.»

Er verstand wahrscheinlich nicht, was sie damit meinte. Doch seine Antwort berührte sie tief.

«Ich habe auf dich gewartet.»

Sie legte den Kopf auf seine Schulter und liess sich noch fester drücken. Er roch wunderbar.  Ganz leise Schluchzer brachten seinen Körper zum Beben und sie streichelte zur Beruhigung seinen Rücken.

Nur noch ein paar Sekunden verharren.
 

Sasuke konnte es kaum glauben. Sakura war zu ihm zurückgekehrt, nachdem er gedacht hatte, sie für immer aufgeben zu müssen. Es fühlte sich an wie ein Wunder und er würde es wohl erst später richtig fassen können.

Er hatte seinen Kopf an Sakuras gelegt, genoss ihren Duft, das Gefühl, sie endlich wiederzuhaben. Dieses Gefühl würde er niemals wieder vergessen, da war er sich sicher. Es war, als falle jegliche Last auf einmal von ihm ab, als schwebe er über allem.

Sie war endlich wieder da. Bei ihm.

Und als die Pflegenden und der zuständige Arzt eintrafen, behielt er ihre Hand in seiner. Er würde sie nicht mehr loslassen.

Nachbeben

Sakura

 

Der Krankenhauspark zeigte sich in seinem schönsten herbstlichen Glanz. Das goldene Licht der Spätnachmittagssonne liess die Baumkronen in all ihren Farben leuchten. In der Luft lag der angenehme Duft nach Laub und der langsam heraufziehenden kühleren Jahreszeit. Nur wenige Leute waren unterwegs und sie hatten den kleinen Spazierweg fast für sich.

Es waren zwei Tage seit Sakuras Aufwachen vergangen, in denen sie erfahren hatte, welche Schäden sie aus der Schlacht davongetragen hatte. Ihr rechtes Bein durfte sie im Moment nicht belasten. Zwar hatte die Kugel ihren Oberschenkelknochen nur gestreift, was sie vor einem schlimmen Trümmerbruch bewahrt hatte. Doch die Muskeln und Sehnen waren mehr als genug in Mitleidenschaft gezogen worden. Gerne wäre sie nur an Krücken gegangen, da sie aber zwei gebrochene Rippen und eine genähte Schnittwunde am linken Arm hatte, kam das nicht in Frage. Zumal der Blutverlust noch jetzt spürbar war. Man hatte ihr in den letzten Tagen erneut Blutkonzentrat verabreicht, was geholfen hatte. Aber Shizune hatte ganz klar gesagt, dass sie sich Zeit lassen müsse. Dabei hatte sie auch kein Blatt vor den Mund genommen.

«Du wärst beinahe gestorben, Sakura. Und deshalb musst du deinem Körper jetzt alle Erholungszeit geben, die notwendig ist», waren ihre Worte gewesen. Und das stimmte. Sie wäre sogar zweimal fast gestorben. Wenn Arrows Waffe geladen gewesen wäre, dann wäre sie längst nicht mehr da.

Sakura hatte sich ein wenig daran gewöhnt, dass jede Bewegung schwieriger war. Die Schmerzmittel halfen, aber vollständig ausschalten konnten und sollten sie den Schmerz nicht. Sie brauchte diese Signale ihres Körpers, um zu wissen, wie sie sich bewegen musste.

Auch die Erinnerungen an die Schlacht waren wie erwartet zurückgekehrt und hatten sie mit voller Wucht getroffen. Sie konnte kaum daran denken, ohne wieder kaltschweissig und nervös zu werden. Sie hatte Sasuke, Tsunade, ihrer Mutter, Shizune, Ami, Naruto, Hatake und den anderen in einer etwas wackeligen Rekonstruktion der Ereignisse geschildert, wie ihre Entführung, die eigentlich eine Art Rettungsmanöver von Tomcat gewesen war, ihre kurze Zeit als Geisel und die anschliessende Flucht und der Kampf mit Arrow und Kumpanen abgelaufen war. Sie hatte soweit es ging viermieden, Yoheis Namen in den Mund zu nehmen, weil es einfach zu sehr wehtat. Dass sie noch kein heulendes Elend war, hatte sie wohl den ganzen Medikamenten und ihrer Müdigkeit zu verdanken. Ihr Kopf war noch nicht bereit, zu verarbeiten, was wirklich passiert war.

Tsunade und ihre Mutter hatten zum ersten Mal in ihrem Leben beide genau gleich reagiert, als sie das erzählt hatte. Fassungslosigkeit und Selbstvorwürfe waren ihnen ins Gesicht geschrieben gewesen.

Sakura hatte auch von Makoto berichtet, der sie und Tomcat aus der brennenden Halle geholt hatte. Der Junge hatte in dieser Situation mehr Herz bewiesen, als sie es einem Riot jemals zugetraut hätten. Hatake hatte sie beruhigt und ihr erklärt, dass Makoto derzeit zwar noch in U-Haft sei, aber aufgrund von seiner Einsicht und Reue auf baldige Entlassung plädiert werde. Ihr Statement sei ein weiterer entlastender Faktor für den Jungen, nebst seinem jungen Alter und der Tatsache, dass er für lebensrettende Hilfe gesorgt hatte.

Die ganzen Ereignisse Revue passieren zu lassen, war sehr ermüdend gewesen. Sie hatte die Geschichte auch nur in bestimmten Portionen erzählen können, da sie nach kurzer Zeit immer wieder Schlaf gebraucht oder massive Kopfschmerzen bekommen hatte.

Allen Anwesenden war Yohei ein Rätsel gewesen, doch inzwischen wurde nicht mehr abfällig über ihn gesprochen. Einerseits, weil er verstorben war. Andererseits, weil er ein Paradebeispiel dafür war, dass man auch am tiefsten Abgrund noch richtige Entscheidungen treffen konnte. Ihre Erzählung hatte Yohei post mortem sehr viel Respekt eingebracht.

Die Gespräche mit Yohei im Keller hatte sie aber nicht ausgeführt. Das war etwas Privates, etwas viel zu Wertvolles, als dass sie es einer breiten Masse mitteilen würde.

Sakura hatte sich schon ein wenig daran gewöhnt, im Rollstuhl durch die Gegend geschoben zu werden. Längere Strecken waren für sie im Moment nur so zu bewältigen. Sasuke schwieg, als er mit ihr über den sorgfältig gepflasterten Gehweg spazierte.

Ihm ging es inzwischen besser. Nachdem Sakura aufgewacht war und realisiert hatte, wie sehr er sich verausgabte um bei ihr zu sein, hatte sie ihm Bettruhe verordnet. Er hatte daraufhin selbst viel Zeit mit Schlafen verbracht, dafür waren ihre Mutter und Tsunade viel bei ihr gewesen. Er wurde selber auch schnell müde, sein Gesamtzustand war aber gut. Seine Entlassung stand bald an und noch war unklar, wohin es für ihn und Naruto gehen würde. Hatake befand sich seit Tagen in hitzigen Gesprächen mit der Justiz und der Regierung, um über das Schicksal der Gangs und insbesondere deren Anführer zu entscheiden.

Für Sasuke und Sakura war das alles noch weit weg. Sie hatten in den letzten Tagen wenig Zeit zu zweit gehabt. Und wenn, dann hatte der Fokus ihrer Gespräche in erster Linie auf den Ereignissen der Schlacht gelegen. Sasuke hatte sie sehr schonend über die Geschehnisse der Schlacht aufgeklärt, auch über Ayato Kirishimas Suizid auf dem Dach und die Anschläge, die er verübt hatte. Sakura hatte das erschüttert, aber es drang irgendwie noch nicht recht zu ihr durch. Ihre Gedanken drehten sich im Moment noch zu sehr um Yohei und ihre Erlebnisse. Es gab so vieles, was sie erst einmal für sich einordnen musste, bevor sie überhaupt Platz für neue, schwere Emotionen hatte.

Viel von dieser Schlacht hatte sie aufgrund ihres Aufenthaltsortes gar nicht mitbekommen. Im Nachhinein hatte sie sich den gesamten aufgezeichneten Livestream der Riots angesehen, auch wenn Sasuke ihr erst davon abgeraten hatte. Aber sie hatte diese Konfrontation mit der Realität wirklich gebraucht. Zudem hatte sie nicht vor, die Augen vor dem zu verschliessen, was passiert war. Diese ganze Nacht noch einmal aus dieser Perspektive zu betrachten war nervenaufreibend gewesen. Aber jetzt wusste sie zumindest, was sich abgespielt und wie Crow seinen Plan in die Tat umgesetzt hatte.

Besonders erfreulich und gleichzeitig traurig waren hingegen die Informationen zu Hinata, die sie von Naruto erhielt. Sakura freute sich schon darauf, sie wiederzusehen. Dieses Mal in dem Wissen, dass ihre Freundin sie nie hatte verraten wollen. Allerdings ging es ihr im Moment nicht gut, was unter diesen Umständen mehr als nur logisch war. Naruto war bei ihr und das beruhigte Sakura ein wenig.

Sasuke steuerte eine Bank unter einer schönen Buche an. Es war ein friedliches Plätzchen und ein guter Ort, um in Ruhe zu reden. Es gab noch viel Unausgesprochenes und bis sie sich das alles mitgeteilt hatten, würde Zeit ins Land gehen.

Sasuke setzte sich auf die Bank, so konnte sie ihn direkt anschauen. Der Verband an seinem Kopf war inzwischen entfernt worden und die Platzwunde auf seiner Stirn verheilte gut. Genau wie bei ihr hatte sich Schorf über den Kratzern gebildet und die blauen Flecken am Körper hatten einen gelblichen Farbton angenommen.

Sakura hoffe inständig, dass er zum letzten Mal in seinem Leben so angeschlagen war. In all den Strassenjahren hatte er viel einstecken müssen und es wurde Zeit, dass er endlich zur Ruhe kam.

Ihr Blick wanderte zu dem Lederbändchen um seinen Hals. Die Feder war unter seinem schwarzen Kapuzenpullover versteckt. Das besondere Schmuckstück erregte nun immer besonders ihre Aufmerksamkeit. Sie war immer noch nicht ganz im Klaren darüber, was sie in ihren Träumen erlebt hatte. Fakt war, dass es sie immer noch verfolgte. Jeder Erinnerung an dieses Erlebnis fühlte sich so real an, als hätte sich das alles nicht nur in ihrem Kopf abgespielt. Oft grübelte sie und fragte sich, was mit ihr passiert wäre, wenn sie sich nicht an Sasuke erinnert hätte. Wenn sie Yohei nicht hätte gehen lassen. Dann wäre sie wohl längst nicht mehr hier.

Yohei. Der Abschied von ihm war schmerzlich gewesen. Sie hatten sich nur so kurz gekannt und trotzdem fühlte es sich an, als hätte sie einen Freund verloren. Was hätte sein können, wenn alles anders gekommen wäre? Der blosse Gedanke daran schmerzte. Die Realität schmerzte.

«Du bist oft in Gedanken versunken, seit du aufgewacht bist.»

Sakura senkte beschämt den Kopf, denn das stimmte. Gerade eben hatte sie regelrecht durch ihn hindurchgesehen.

«Tut mir leid», murmelte sie.

«Das war nicht als Vorwurf gemeint.» Er lehnte sich etwas vor. «Worüber denkst du nach?»

«Ich weiss nicht, ob ich dir das erklären kann.»

«Versuch es doch einfach.»

Sie dachte nach. «Ich bin einfach… traurig. Wegen so vielen Dingen. Ich weiss gar nicht, wo ich anfangen soll.»

«Es ist so viel, dass man es irgendwie gar nicht für sich ordnen kann», sprach Sasuke aus, was sie damit meinte.

Da war er auch schon wieder, sein durchdringender Blick. «Geht es um Yohei?»

Der Name löste ihn ihr wieder diese Beklommenheit aus, sodass sie ihren Blick reflexartig abwandte. Das war für ihn Antwort genug.

«Ich habe mit ihm gesprochen», sagte er nach einer kurzen Pause und Sakura spürte sofort, wie sich jeder ihrer Muskeln anspannte.

«Wann?»

«Kurz vor seinem Tod. Im Lazarett.»

«Warst du bei ihm?», presste sie hervor. «War er alleine, als er…»

«Nein, ich war da.»

Sie war mehr als nur überrascht und Sasuke sah ihr das an. Dass ausgerechnet er bei ihm gewesen war, als Yohei gestorben war… das war schon besonders.

«Es hat sich so ergeben. Du und er habt im Lazarett quasi nebeneinander gelegen.»

«Und was hat er gesagt?», fragte sie ihn. Ihr Durst nach mehr Infos über Yohei konnte sie kaum kaschieren.

«Er war sehr schwach, aber friedlich. Er hat mir gesagt, dass ihr gemeinsam geflohen seid.» Sasuke senkte den Kopf. Auch für ihn mussten die Erinnerungen an Yohei sehr emotional sein, auch wenn er ihn kaum gekannt hatte.

«Ich habe ihm dein Leben zu verdanken. Wer weiss, war passiert wäre, hätte er diesen Sinneswandel nicht gehabt und dich Crow überlassen. Und ihn dann kurz vor seinem Tod zu sehen und mit ihm zu sprechen… das verfolgt mich immer noch.»

Sakura nickte. Sie wusste genau, was er meinte.

«Ich habe ihm gesagt, dass er nicht sterben soll. Habe ihm sogar einen Platz bei den Takas angeboten. Aber er wollte nicht mehr. Er wollte einfach gehen.»

Sakura wischte sich verstohlen über die Augen. «Ich wollte ihn auch in die Gangs aufnehmen. Aber Yohei wusste, dass er die Nacht nicht überstehen würde. Oder überstehen wollte. Er hat nach einem Sinn ins einem Leben und dem Sinn in seinem Tod gesucht und ich glaube, er hat ihn für sich gefunden.»

Sasuke drückte ihre Hand, doch auch er war in dieser Situation nicht mehr der Starke. Er hatte sich verändert. Endlich liess er seinen Gefühlen freien Lauf, nachdem er sie jahrelang unter Kontrolle behalten hatte. «Glaubst du, es geht im jetzt besser? Dort wo er ist?»

Sakura hatte Sasuke noch nichts von ihrem seltsamen Komatraum erzählt. Denn es war nur ein Traum gewesen und hörte sich ganz schön verrückt an. Aber vielleicht war das der Moment?

«Sasuke, wenn ich dir jetzt etwas ganz Verrücktes erzähle… etwas richtig Seltsames. Versprichst du mir, dass du mich nicht auslachst?»

Er sah schon fast ein wenig empört aus. «Natürlich verspreche ich dir das.»

Sie holte Luft. «Ich habe ihn gesehen und mit ihm gesprochen. In einem komischen Traum.»

Sakura begann von vorne, was in diesem Fall das Gespräch zwischen Yohei und ihr im Keller war und ihre vorangegangenen Entdeckungen in seinem Rucksack war. Sie liess nicht aus, wie viel er ihr über sich selber offenbart hatte und dass sie innerhalb kurzer Zeit eine ganz bestimmte Verbindung aufgebaut hatten. Und später ging sie dann zu ihrem Traumerlebnis im Präkoma ein.

Sasuke hörte sich die ganze Geschichte an, ohne mit der Wimper zu zucken. Während der Erzählung wurde Sakura schnell klar, wie präsent die Ereignisse in ihrem Traum für sie immer noch waren. Normalerweise verblassten Träume in der Erinnerung, aber dieser war anders. Sie konnte immer noch den Regen auf ihrer Haut und den stürmischen Wind in ihren Haaren spüren, wenn sie daran dachte. Und all die Gefühle kamen wieder hoch.

«Es fühlt sich an, als hätte ich das wirklich erlebt. Dabei war es nichts anderes als meine Fantasie…»

«Nicht ganz», sagte Sasuke zu ihrer Überraschung.

«Wie meinst du das?»

«Kurz bevor du aufgewacht bist… vielleicht eine Dreiviertelstunde zuvor, da ist dein Puls in die Höhe geschossen und ich habe versucht, irgendetwas Beruhigendes zu machen. Es fühlte sich an, als kämpftest du. Womit weiss ich jetzt. Dann habe ich damit begonnen, dir Erinnerungen zu beschreiben, die wir gemeinsam hatten. Motorradfahren, den Gold Park, die Fabrik… all diese Dinge in derselben Reihenfolge, wie du die in deinem Traum erlebt hast.»

Sakura musste einmal kurz Luft holen. Das war ja wirklich absolut verrückt. Dabei hatte Yohei ihr ja gesagt, dass jemand mit ihr Kontakt aufnehmen wolle. Jetzt machte auch die Wärme in ihrer Hand Sinn, die sie in ihrem Traum so oft und intensiv gespürt hatte.

«Hast du meine Hand gehalten?», fragte sie überwältigt.

«Eigentlich immer, wenn ich bei dir war.»

Sie schüttelte ungläubig den Kopf. «Ich habe es gespürt. Du hast mir geholfen.»

Jetzt lächelte er ein wenig. «Wirklich?»

«Mhm.» Sie spielte gedankenverloren mit seinen Fingern. «Wärst du nicht gewesen… ich weiss nicht, ob ich es geschafft hätte.»

Sie lehnte sich vor und streckte ihre Hände nach seinem Gesicht aus. Seine Wangen fühlten sich warm und weich unter ihren Fingern an, als sie ihn küsste. «Ich danke dir.»

«Da gibt es nichts zu danken.»

Sie liessen die Ruhe auf sich wirken. Es fühlte sich an, als wären sie nach Langem endlich wieder in der Lage, einmal durchzuatmen. Auch wenn ihr persönlich das Atmen noch Schmerzen bereitete. Die Schmerzmittel halfen, aber gebrochene Rippen spürte man nun einmal bei jeder Bewegung.

«Jedenfalls konntest du dich trotzdem noch von Yohei verabschieden. Ob pure Fantasie oder nicht, es hört sich irgendwie… nun wie ein Abschluss an.» Er dachte nach. «Irgendwie hört es sich an, als habe er darauf gewartet, dass ihn jemand… rettet? Wenn das das richtige Wort ist? Von dir hat er Interesse erfahren, das er noch nie in seinem Leben bekommen hat. Ich glaube, das war für ihn sehr heilsam. Und deshalb war er danach auch bereit, zu gehen.»

«Er hat die ganze Zeit durchscheinen lassen, dass er nicht vorhatte, diese Nacht zu überleben. Ich bin einfach taub gewesen. Wollte ihn unbedingt rausholen.» Sie schüttelte den Kopf, immer noch nicht wirklich fähig, dass alles für sich zu ordnen.

In ihrem Augenwinkel entdeckte sie eine Person, die sich auf sie zubewegte – Hatake. Sogleich beschlich sie ein eher ungutes Gefühl. Ging es um Narutos und Sasukes Haftstrafe?

«Darf ich euch beide für einen Moment stören?», fragte der Polizeichef. Auch er sah mitgenommen aus. Dunkle Ringe unter den Augen, blasse Haut. Er hatte in den letzten Tagen wohl auch nicht allzu viel Ruhe gehabt.

Sakura fiel erst jetzt auf, dass er etwas bei sich trug – ein schwarzer Rucksack. Sofort gefror das Blut in ihren Adern, denn dieser Rucksack war alles, was noch von Yohei zurückgeblieben war. Und sie erinnerte sich sogleich an seine Worte, kurz bevor er die Brücke überquert hatte. Ob das nun Einbildung gewesen war oder nicht, die Gegenstände im Rucksack mussten in Sicherheit gebracht werden.

«Ist noch alles drin?», fragte sie, unwillkürlich etwas forsch.

Hatake nickte beschwichtigend und setzte sich neben Sasuke auf die Bank. «Wir haben uns den Inhalt angesehen, aber nichts entfernt.»

Er musterte sie. «Sie wissen also, was sich darin befindet.»

«Ja. Das sind Yoheis ganz persönliche Sachen. Was haben Sie damit vor?»

Er lächelte verschmitzt. «Das wollte ich eigentlich Sie fragen, Miss Haruno.»

«Das habe ich mir noch nicht so genau überlegt», meinte sie. «Etwas Sinnvolles?»

«Das hoffe ich doch. Was ich Ihnen dazu sagen kann: Das Tagebuch von Hitomi Murakami – nun das könnte die Basis sein, um Shoto Murakami richtig ins Schwitzen zu bringen. Wenn wir genug Leute finden, die gegen ihn aussagen und das Geschriebene bestätigen, Hausangestellte zum Beispiel, dann könnte ihn das vor Gericht bringen. Anklagen wegen häuslicher Gewalt, Missbrauch und Vergewaltigung.»

Sakura war ziemlich überwältigt. An so etwas hatte sie noch gar nicht wirklich gedacht. Dabei wäre es nur gerecht, diesen schrecklichen Menschen zur Verantwortung zu ziehen. Er hatte sowohl seine Frau als auch seinen Sohn auf dem Gewissen. Hatte ihr Leben zerstört.

«Die Polizei hat die Ermittlungen im Fall Murakami aufgenommen. Nachdem enorm viele anonyme Bestätigungen zu Ayato Kirishimas Behauptungen aufgetaucht sind. Dasselbe gilt für Watanabe und Tanaka. Doch die Anschuldigungen zur häuslichen Gewalt aus Hitomi Murakamis Tagebuch belasten ihn zusätzlich.»

«Da hätte Yohei nichts dagegen gehabt. Er hat seinen Vater verabscheut. Ihm und seiner Familie sind viel schlimme Dinge durch seinen Vater widerfahren. Er hat mir davon erzählt.»

Hatake sah sehr interessiert aus. «Das bringt mich zu meiner Frage. Ich würde gerne mit Ihnen über deinen Austausch mit Yohei sprechen und das alles niederschreiben. Wenn wir es schaffen, dass Ryuji Murakami uns das bestätigt, können wir besser gegen seinen Vater vorgehen.»

«Meinen Sie, das würde er? Soweit ich weiss, stand Ryuji eher in der Gunst seines Vaters als Yohei. Zumal er ja auch sein Imperium erben sollte.»

«Zu diesem Zeitpunkt ist alles möglich, Miss Haruno. Und wir müssen so viele Waffen wie möglich gegen ihn in der Hand haben.»

Da hatte er recht. «Ich bin gerne zu einem Gespräch bereit. Allerdings weiss ich nicht, ob ich alles noch genauso wiedergeben kann, wie Yohei mir es geschildert hat.»

Hatake winkte ab. «Das macht nichts. Es ist anzunehmen, dass Sie derzeit die Person sind, die am meisten über ihn weiss.»

Der Gedanke machte sie traurig. Wie jeder Gedanke an diesen Menschen, den sie kaum gekannt und zu dem sie doch eine solch bedeutsame Verbindung aufgebaut hatte.

«Nur noch etwas, bevor ich euch wieder allein lasse. Die Neubeurteilung Ihrer und Mr. Uzumakis Haftstrafe wurde auf nächsten Montag datiert, Mr. Uchiha. Leider haben wir die Order, Sie beide bis zu diesem Termin zurück in die Justizvollzugsanstalt zu bringen. Morgen.»

Es traf sie wie ein Blitzschlag. Die letzten beiden Tage hatte Sakura in einem schützenden Kosmos verbracht, aus dem die Realität so weit wie möglich rausgehalten worden war. Natürlich hatte sie gewusst, was auf sie wartete, aber es zu verdrängen war so viel einfacher gewesen.

Sasuke nickte und war augenscheinlich sehr viel gefasster als sie. Er schien es nicht verdrängt haben, ganz im Gegenteil. Er hatte ihr geholfen, in ihrer Seifenblase zu leben, er selber hatte sie aber nie betreten.

«Es tut mir wirklich leid. Aber noch ist nichts entschieden. Und die Abmachung steht – eure Strafe wird gemildert werden. Und ich werde alles dafür geben, dass das für euch besser ausgeht, als ihr es erhofft. Nur versprechen kann ich nichts.

«Alles okay», sagte Sasuke ruhig. «Danke.»

Hatake verabschiedete sich und liess sie wieder alleine. Sakura behielt den Kopf gesenkt; sie wollte nicht, dass er ihre Bestürzung gleich an ihren Augen ablesen konnte.

Doch wem wollte sie auch etwas vormachen? Bei Sasuke war das sowieso ein Ding der Unmöglichkeit.

«Wir wussten, dass es so kommt. Aber in den letzten Tagen war es wirklich einfach, es zu vergessen, nicht?»

Sie sagte nichts und presste stattdessen die Lippen zusammen. Ihre Entspannung war auf einmal einer richtiggehenden Verkrampfung gewichen.

«Ist schon okay, Sakura.»

«Ist es nicht!», entfuhr es ihr. «Ihr habt eure Leben aufs Spiel gesetzt, um diese Stadt zu schützen! Dass sie euch wieder einsperren wollen, ist doch einfach der Gipfel der Ungerechtigkeit!»

Sie wischte sich mit dem Ärmel ihrer Jacke Tränen der Wut aus den Augen. Es war nicht nur diese himmelschreiende Ungerechtigkeit, die sie dermassen aufbrachte. Nein, es war auch die Tatsache, dass Sasuke morgen nicht mehr bei ihr sein würde. In den letzten Tagen hatte er ihr so viel Halt und Wärme gegeben, die sie wirklich gebraucht hatte. Mit ihm war es einfacher gewesen, die Erinnerungen an diese Horror-Nacht, ihre Verletzungen, Yoheis Tod und all die Verluste zu kontrollieren. Seine Anwesenheit hatte ihr Trost gespendet und Sicherheit gegeben. Und jetzt fühlte es sich an, als würde der ohnehin schon wackelige Boden direkt unter ihren Füssen weggezogen werden. Als gäbe es nirgendwo mehr Halt.

«Das ändert nichts daran, dass wir uns strafbar gemacht haben, Sakura.» Er sagte das so nüchtern. Manchmal kam es ihr vor, als wäre er weicher geworden – auf eine gute Art. Doch jetzt wollte sie, dass er sich wehrte und nicht einfach alles über sich ergehen liess.

Sie hob den Kopf und ihr Blick musste Bände sprechen, zumindest dem nach zu urteilen, was Sasuke jetzt sagte.

«Ich will es einfach endlich hinter mich bringen, Sakura. Und dann will ich anders leben. Neu anfangen, soweit das noch geht. Das war damals nicht nur so daher gesagt.» Er nahm ihre Hand, als sorge er sich, sie könne trotz ihrer Verletzungen davonlaufen, weil sie das nicht hören wollte. «Ich glaube wirklich, die Zeit der Takas und der Kuramas ist vorüber, Sakura. Nach allem was passiert ist, kann ich mir nicht vorstellen, dass jemals wieder alles beim Alten sein wird. Wir alle müssen uns neu orientieren. Irgendeinen Weg finden, ausserhalb von dem zu leben, was wir kennen.»

Aus seinen Worten verstand sie genau Eines mit Sicherheit: Veränderung. Noch mehr Veränderung. Ihre Welt lag doch schon in Scherben. Wie sollte sie da jemals mit noch mehr Veränderung zurechtkommen?

Die Seifenblase war geplatzt, ihr Mikrokosmos verschwunden. Da war jetzt nur noch sie und der Mensch, der ihr am meisten Halt gab, würde morgen weg sein.

Sie erdrückte seine Hand beinahe, bis er ihren Griff Finger für Finger ganz sachte lockerte. «Wir werden das schon schaffen, Sakura.»

«Hast du denn gar keine Angst?», fragte sie ihn.

Er überlegte einen Moment, bevor er antwortete. «Doch, schon. Aber verglichen zu der Angst, die ich vor drei Tagen noch gehabt habe, kann ich damit schon umgehen. Etwas vom Schlimmsten, was hätte passieren können, ist nicht eingetroffen. Ich glaube, so schnell fürchte ich mich nicht mehr.»

Für Sakura war es zu spät. Sie spürte, wie ein Strudel voller negativer Emotionen in ihr anschwoll und an ihr zu reissen begann. Alles fiel auseinander und sie konnte nichts mehr dagegen unternehmen.

Sasuke bemerkte das sofort. Er nahm sie in den Arm und hielt sie so fest er konnte, doch zum ersten Mal seit sie denken konnte, half auch das nichts.

Bald würde er weg sein. Und sie in diesem Sog versinken.

 

Sasuke

 

Er hatte sich zugegebenermassen schon an seine Freiheit auf Zeit gewöhnt. Doch diese einzubüssen war nicht wirklich das, was ihm am meisten Sorgen machte.

Nein, heute war es Sakura, die zusammengesunken und bleich in der Empfangshalle neben ihrer Tante und Ami im Rollstuhl sass und in die Leere starrte. Als blicke sie einfach durch ihn und Naruto hindurch.

Gestern Abend hatte er bei ihr geschlafen und sie hatten sich die ganze Nacht gehalten. Doch seit sie aufgestanden waren, war kaum mehr Emotion in ihrem Gesicht zu erkennen gewesen. Sie wirkte so teilnahmslos und apathisch, dass es ihm richtiggehend Angst machte. Es war für ihn mehr als schockierend, sie so zu sehen, auch wenn er versuchte, sich das nicht anmerken zu lassen – denn helfen würde es ihr ganz bestimmt nicht, wenn er ihr das zeigte. Die Selbstvorwürfe hatten nie aufgehört, ihn zu quälen. Sie hatte viel zu viel eingesteckt. Was sie erlebt hatte, wäre selbst für einen abgebrühten Kerl schwer abzutun. Da konnte man sich denken, was es mit einer so sanften und sensiblen Person wie ihr machte.

Für ihn selber fühlte sich die ganze Sache surreal an. Es kam ihm vor, als lebe er seit diesem letzten Kampf nicht mehr in derselben Welt wie zuvor. Vielleicht lag es einfach daran, dass er sich verändert hatte. Er fühlte sich anders und konnte nicht einmal genau beschreiben, was es war.

Ami hatte ihn lange umarmt und ihm aufbauende Worte zugeflüstert, die er wirklich gebrauchen konnte. Für ihn war sie eine enge Vertraute geworden und er wusste nicht genau, womit er diese Zuneigung überhaupt verdient hatte.  

Neben ihm ging Big Fox her, der seinerseits in Gedanken versunken war, als sie die Halle verliessen. Und so blieb es, während sie auf dem Rücksitz eines Streifenwagens die Strassen von Konoha entlangfuhren und sich die Stadt noch einmal ansahen. Vermutlich zum letzten Mal für eine lange Zeit.

Der schmutzige Asphalt, die Menschen, die Leuchtreklamen, das alles war ihm auf seltsame Weise vertraut. Alles, was er je gekannt hatte, war diese Stadt. Was vorher gewesen war, war längst in seiner Erinnerung verblasst. Sein ganzes Leben hatte sich hier abgespielt. Und er kam nicht darum herum, sich zu fragen, wohin es von hier aus gehen würde. Ob Konoha ihn jemals loslassen würde. Vielleicht würde er ja bis an sein Lebensende an diese Stadt gebunden sein.

Sie passierten den Downtown Square und er erinnerte sich unwillkürlich an Silvester des vergangenen Jahres auf dem Dach der Bank, in der Madara sein Unwesen trieb. Den Typen hatte er auch schon lange nicht mehr gesehen. Er war seinerseits ein ziemliches Arschloch, aber er hatte viel für Itachi und ihn getan, was er ihm hoch anrechnete.

Etwas weiter die Strasse hoch zeigte sich ihnen auch das zerstörte Gebäude der Sayuri-Tanaka-Filiale, die Crow zum Opfer gefallen war. Das Chaos, welches kurz nach der Explosion geherrscht haben musste, war soweit beseitigt. Das Gebäude und die Seitenstrassen darum herum blieben gesperrt. Die vom Russ geschwärzten Wände und der ganze Schutt, der durch die zersplitterten Glasfenster zu sehen war, überliessen nicht viel der Fantasie, wenn man wissen wollte, was sich hier zugetragen hatte.

Hatake schwieg die ganze Fahrt über, aber Sasuke war nicht entgangen, wie angespannt er aussah. Er hatte immer wieder betont, wie ungerne er sie zurück in die JVA brachte. Dabei war es nun wirklich nicht seine Schuld.

Es dauerte noch etwa eine Viertelstunde, bis sie die dicken Betonmauern und das Sicherheitstor der JVA passierten. Sasuke entdeckte auf dem Court sogleich einige Insassen, die Basketball spielten. Ab heute würde das auch wieder sein Alltag sein.

 

Shikamaru

 

Shikamaru hatte die letzten Tage wohl nichts anderes gemacht, als organisiert. Da Big Fox und Demon heute wieder in den Knast gewandert waren, blieb alles an den Vizes hängen. Tatsächlich hatte die Stadt angeboten, die gross angelegte Trauerfeier für die gefallenen Polizisten auf die verstorbenen Gangmitglieder auszuweiten. Zuerst war er kein grosser Fan davon gewesen. Nachdem er jedoch lange mit dem zuständigen Amt gesprochen hatte, hatte er doch eingewilligt. Sie hatten ihm zugesichert, dass die Leichname der Gangmitglieder auf dem Gangfriedhof von Mr. Watanabe (dem sehr viel Netteren) bestattet werden konnten. Vor einer Stunde hatte er mit dem alten Herrn telefoniert – er war gerne bereit, einen Teil zur Trauerfeier beizutragen.

Sie hatten mit der Polizei zusammengearbeitet, aber sie waren immer noch Gangs und sie hatten ihre Rituale und Traditionen. Diese würden sie sich nicht nehmen lassen.

Shikamaru verbachte viel Zeit ihm HQ, dass sie nun endlich wieder bezogen hatten. Die meisten Gangmitglieder waren inzwischen aus dem Krankenhaus zurückgekehrt, doch von der sonst so ausgelassenen und entspannten Stimmung war wenig zu spüren. Die meisten hielten sich still, schliefen, lasen oder spielten Videospiele. Es war eine Zeit der Regeneration, die alle brauchten.

Er sass im Aufenthaltsraum am Tisch und antwortete gerade auf eine Mail von Pain – ja, inzwischen waren sie auf diese Weise miteinander vernetzt – in dem er ihn über die bisherige Organisation der Trauerfeier informierte. Im Hintergrund lief der Fernseher, denn Shikamaru wollte nichts verpassen. In der Stadt war seit Crows Tod viel in Bewegung gekommen, auf positive und negative Weise. Die Politik leistete sich im Moment Debatten, die noch vor einer Woche niemals Thema gewesen wären. Diskussionsplattformen, Newschannels, allesamt deckten derzeit in erster Linie die von Crow zur Sprache gebrachten Probleme in Konoha ab. Ob man es wahrhaben wollte oder nicht, Crow hatte bewirkt, was er hatte bewirken wollen.

Gerade jetzt wurden die Sechs-Uhr-Nachrichten geschaltet. Er hörte meist nur mit halbem Ohr zu, weil oft dieselben Dinge immer und immer wieder gesagt wurden, sodass er sie kaum noch hören mochte. Krawalle von irgendwelchen Crow-Anhängern, die sich immer noch aufbäumten, aber ohne ihr Mastermind nicht wirklich dorthin kamen, wo sie wollten. Debatten oder sonstiges politisches Gerede, das nirgendwo hinführte. Doch heute schienen die Themen für ihn wesentlich interessanter, als sonst.

 

«… wurden Sasuke Uchiha und Naruto Uzumaki wieder in die städtische Justizvollzugsanstalt eingewiesen. Die beiden Bandenführer nehmen erneut den Vollzug ihrer Haftstrafe auf, die sie mit der Teilnahme an den Polizeieinsätzen gegen die Jaguar Riots unterbrochen haben. Ihre Unterstützung des Konoha City Police Departements darf die beiden jungen Männer zwar auf eine Milderung ihres Strafmasses hoffen lassen, jedoch ist es mit allerhöchster Wahrscheinlichkeit unmöglich, sich ihrer Strafe gänzlich zu entziehen. Dabei sind besonders diese beiden Herren zu Sympathieträgern bei einem grossen Teil der Bevölkerung Konohas geworden. Das in der verhängnisvollen Nacht entstandene Videomaterial zeigt die selbstlosen Taten der Gang und ihren Anführern sehr deutlich auf. Viele Menschen anerkennen diese Aufopferung und brechen das Schweigen. Andere wiederum, liessen sich davon nicht beeindrucken.»

 

Es folgte ein Einspieler mit Interviews auf der Strasse, in denen Menschen ihren Zuspruch und ihre Dankbarkeit gegenüber den Gangs äusserten. Klar waren auch einige kritische Stimmen dabei, aber das überraschte Shikamaru nicht. Manchen Menschen war es nicht einmal genug, wenn man sein Leben auf Spiel setzte – in ihren Augen würde sich der Abschaum der Strasse nie ändern.

Es wurden weiter Auszüge aus den sozialen Medien gezeigt, massive Plädoyers für eine Milderung des Strafmasses von Demon und Big Fox, gleichzeitig Menschen, die die Gangs trotz allem am liebsten für immer hinter Gitter gesperrt hätten.

Shikamaru seufzte. Er wusste, dass es nicht reichte, sich einmal zu beweisen. Für manche Menschen würde es nie genug sein.

Die Bilder überraschten ihn trotzdem. Anscheinend kam der bereits in Vergessenheit geratene Hashtag #freethegangs, gemeinsam mit #freekonoha wieder auf. Zumindest waren beide in den Twitter-Trends. Manche Menschen hatten ganze Banner zu ihren Fenstern rausgehängt, auf denen diese Slogans standen.

 

«Während #freethegangs zur Zeit seiner Entstehung die wortwörtliche Freiheit von Sasuke Uchiha und Naruto Uzumaki forderte, um den Jaguar Riots entgegentreten zu können, bezieht er sich nun auf viel mehr als das. Nebst der geforderten Freiheit der Anführer, wollen die Menschen mehr: Nämlich die Befreiung einer unterdrückten Gesellschaftsschicht. Ein Leben für diese ungehörten Menschen, das sich fern von Ungerechtigkeit und Kriminalität abspielt. Diese beiden Wünsche scheint der zweite Slogan in sich zu vereinen.»

 

Shikamaru kam nicht umhin, sich zu fragen, was das für sie alle bedeutete. Es war viel zu realistisch veranlagt, als dass er sich deswegen grosse Hoffnungen machen würde. Doch es ergaben sich nichtsdestotrotz Möglichkeiten daraus. Was, wenn Naruto und Sasuke einen Richter vor sich hatten, der die Sache ähnlich betrachtete? Es konnte zwar genauso gut einer aus dem entgegengesetzten Lager sein, aber was, wenn nicht?

Er schüttelte den Kopf und schaltete den Fernseher aus.

 

Sakura

 

Sakuras Trauer und Schwere wich die ersten Tage ohne Sasuke nicht von ihr. Sie fühlte sich einsam, obwohl sie ständig Besuch erhielt. Hinata hatte sie immer noch nicht gesehen, aber im Moment fühlte sie sich nicht breit dazu.

In ihrem Kopf spielten sich ständig wieder die Szenen mit Tomcat im Keller ab, die sie einfach nicht ausblenden konnte. Ihr war erst im Nachhinein klargeworden, wie blutig und brutal das alles gewesen war. Jetzt, wo der Schock nachgelassen hatte, prasselte die Realität wie harte, kalte Hagelkörner auf sie nieder.

In der Nacht suchten sie Albträume heim, die ihr diese scheusslichen Erlebnisse immer wieder in allen Details schonungslos vor Augen führte.

Sie wurde zunehmend frustrierter, weil ihre Verletzungen sie dermassen einschränkten. In einem Rollstuhl war sie unnütz, brauchte immer Hilfe, um sich weitere Strecken fortzubewegen. Und diese ständigen Schmerzen bei jeder Bewegung. Es machte sie wahnsinnig.

Ihr Frust war jedoch nicht nur ihren Verletzungen geschuldet. Nein, sie war auch stinkwütend auf sich selber. In der Schlacht war sie wieder einmal eine Last für alle gewesen, anstatt zu helfen. Und jetzt erhielt sie auch noch einen Haufen Mitleid, das sie auf keinen Fall wollte, weil sie es nicht verdient hatte.

Ihre aufschäumenden Emotionen bekam ihr Umfeld immer wieder zu spüren. Natürlich wollte sie das nicht. Aber da war irgendetwas in ihr, ein fieses kleines Monster, das sich nicht aufhalten liess. Ihr Umgangston war in erster Linie gehässig oder teilnahmslos, das merkte sie selber. Nur abstellen konnte sie es nicht.

Und so wartete sie einfach, tief versunken in ihrer Frustration, bis der Gerichtstag kam. Das war der einzige Fixpunkt in dieser trüben Suppe. Und es war nicht gerade etwas, dem sie entgegenfieberte.

Am Montag fanden sie sich alle im Gerichtsaal 3 des Stadtgerichts ein. Sakura war ganz überwältigt gewesen, als sie die vielen Menschen vor dem Stadtgerichtsgebäude entdeckt hatte, die Plakate in die Höhe hielten und sich lautstark für Sasuke und Naruto stark machten. Es stimmte sie hoffnungsvoll – vorsichtig hoffnungsvoll.

Da es nicht für alle Gangmitglieder Platz gab, wurde eine Auswahl getroffen, zu der Sakura natürlich dazugehörte.

Ihr war richtig schlecht, als sie neben Tsunade und ihrer Mutter in ihrem Rollstuhl sass. Sie hatte bis auf ein knappes «Hallo» kaum ein Wort mit jemandem gewechselt. Sie kam sich so hilflos vor in diesem bescheuerten Rollstuhl und fühlte sich einfach nur schäbig. In ihrer Hand zerknüllte sie immer wieder dasselbe Taschentuch, um sich abzulenken. Aber es half alles nichts.

Nicht einmal mit Ino hatte sie viel gesprochen. Diese warf ab und zu einige besorgte Blicke in ihrer Richtung, was Sakura noch wütender machte. Sie brauchte kein Mitleid und keine Besorgnis. Aber so, wie sie hier auftrat, sah sie wohl aus wie ein Porzellanpüppchen, dem die Beine abgebrochen worden waren.

Zu Beginn der Verhandlung betrat ein hochgewachsener Richter den Raum, sie schätzte ihn auf Mitte fünfzig. Im Schlepptau hatte er einen weiteren, etwas jüngeren Richter und den Staatsanwalt. Durch die Tür auf der anderen Seite des Raumes kamen Sasuke und Naruto im Beisein ihrer Pflichtverteidiger in Sicht. Sie stutze für einen kurzen Moment – es war das erste Mal, dass sie die beiden in einem Anzug auftreten sah. So formell – wirklich ungewohnt.

Die Presse in den vordersten Reihen machte Fotos. Sie sah Naruto und Sasuke schon von Weitem an, wie unangenehm ihnen die ganze Sache war. Wobei Sasuke einen Tick entspannter wirkte als Naruto.

Sasukes Blick fand kurz ihren. Sogar in seinen Augen stand Besorgnis bei ihrem Anblick. Und das sollte etwas heissen, denn er stand heute vor Gericht. Eigentlich musste er sich nur um sich selber Sorgen.

Sakura senkte den Blick. Unwillkürlich stellte sie sich vor, wie man Shoto Murakami in derselben Weise den Prozess machte, wie den Gang-Leadern. Das wäre ein Anblick für den sie sich begeistern könnte. Aber der musste warten. Sie würde erst morgen mit Hatake über den Fall Murakami sprechen. Der Bankenmogul erhielt derzeit zwar eine kalte Dusche der Öffentlichkeit, viel Missbilligung und Misstrauen, aber das war nicht genug, um diesen Mann für das zu strafen, was er getan hatte.

Der Prozess dauerte lange an und war nervenaufreibend. Immer wieder Zeugenaussagen, Gegenargumente der Staatsanwälte, diese Dämonisierung von Sasuke und Naruto, das ganze verdammte Theater. Hier standen zwei Menschen, die bereit gewesen waren, für diese Stadt ihr Leben zu lassen. Diese Stadt, die ihnen nicht das Geringste gegeben hatten. Man war bereit gewesen, die Gangs in diesem Fall um Hilfe zu bitten, da gab es wohl kaum etwas Ausserordentlicheres. In dieser Hinsicht hatte bei jeglichen Regeln ein Auge zugedrückt. Aber wenn es darum ging, diesen jungen Männern eine zweite Chance zu geben, war das plötzlich eine «ganz schwierige Angelegenheit».

Sakura glaubte schon, dass in dieser Sache jegliche Hoffnung umsonst war, als die beiden Pflichtverteidiger Hatake in den Zeugenstand riefen. Dieser begann damit, seine Erlebnisse und Erfahrungen mit den Gangs, insbesondere ihren Anführern, zu schildern. Hatake fand so treffende und wohlwollende Worte, dass Sakura trotz der ganzen Situation irgendwie warm ums Herz wurde. Zuerst erzählte er von der getroffenen Vereinbarung, die zwar allen bekannt war, es aber trotzdem wert war, noch einmal aufgegriffen zu werden. Weiter schilderte er ihren Mut und ihre Bereitschaft, ihre Loyalität gegenüber ihren Vertragspartnern. Doch das wirklich Interessante kam erst noch.

«Euer Ehren, ich kann Ihnen versichern, dass diese beiden Herren keine Gesetzlosen sind. In meiner Arbeit mit ihnen haben sie, wie auch die anderen Bandenmitglieder viel Menschlichkeit, Gerechtigkeitssinn und vor allem ein hohes Potenzial bewiesen. In Konoha suchen wir im Moment den Weg in eine Zukunft, in der die Menschen sich sicher fühlen können und in der niemand leiden muss. Die Erfahrungen von Mr. Uzumaki und Mr. Uchiha, die selber jahrelang in den untersten Schichten dieser Gesellschaft haben leben müssen, sind diesbezüglich mehr als nur wertvoll. Sie haben für diese Stadt massive gesundheitliche und mentale Strapazen auf sich genommen, bei denen sie auch ihr Leben hätten lassen können. Doch sie haben Durchhaltevermögen und Loyalität bewiesen – gegenüber Leuten, die sie für Abschaum gehalten haben.»

Der ganze Saal hörte ihm gebannt zu. Die Richter schienen interessiert.

«Ich habe dies lange mit meinen Kollegen des Verteidigungs- und Bevölkerungsschutzdepartementes besprochen. Sie wären bereit, sowohl den Angeklagten, als auch den anderen Gangmitgliedern ein Angebot zu machen. Und es lautet wie folgt: Mr. Uchiha und Mr. Uzumaki werden eine Gefängnisstrafe von drei Monaten in Kauf nehmen und danach als Rekruten zum nächsten halbjährigen Rekrutierungsdatum in den Dienst der Armee eintreten. Sie werden die Rekrutenschule absolvieren, wo sie sich Fähigkeiten unter einer strengen disziplinarischen Aufsicht aneignen. Wenn sie der Armee mindestens zwei Jahre als ausgebildete Soldaten gedient haben, werden sie entlassen. Sie werden durch diese Ausbildung direkt zum Aufnahmeverfahren für die Polizeischule zugelassen, wo sie ihre Ausbildung zu Polzisten machen können.»

Ein Raunen ging durch den Saal. Hatten sie da gerade recht gehört? Bot Hatake ihnen einen Ausweg an?

«Das Angebot abzüglich der Gefängnisstrafe gilt auch für alle anderen Gangmitglieder der Kurama Foxes und der Taka Snakes, unabhängig des Geschlechtes. Wer kriminell rückfällig wird, wird von dieser Vereinbarung ohne Widerruf ausgeschlossen. Wir sind überzeugt, dass diese jungen Menschen im Dienst der Armee ihre Fähigkeiten ausbauen können. Somit wird kein Potenzial verschwendet und es wird ein Mehrwehrt für die Einwohner dieses Landes erzeugt. Das ist der Deal, den wir ihnen anbieten können. Einen Weg, ihre Potenziale zu nutzen und eine Ausbildung zu absolvieren, die sie zu eigenständigen Bürgern dieser Stadt macht.»

Sakura hätte zu gerne die Gesichter von Sasuke und Naruto gesehen. Eines wusste sie aber mit Sicherheit – wenn Naruto diese Chance auch vom Richter zugesprochen bekam, dann würde er sie packen. Er wäre sehr gerne ein Polizist geworden.

«Und sie glauben, dass dies ein würdiger Ersatz zu einer langen Freiheitsstrafe für diese beiden Herren ist?», fragte der Richter sachlich. Er wollte testen, wie ernst es Hatake war.

«Absolut. Junge, fähige Menschen wegzusperren, anstatt ihre Fähigkeiten zu nutzen und sie im richtigen Setting einzugliedern, ist eine absolute Verschwendung und liegt nicht im Sinne einer modernen Justiz. Zudem wird so die Abmachung mit Mr. Uchiha und Mr. Uzumaki eingehalten – die Linderung des Strafmasses.»

Sakura konnte gar nicht so recht fassen, was das bedeuten würde. Klar, zwei Jahre Militärdienst waren kein Zuckerschlecken. Aber die Jungs würden eine Ausbildung erhalten und ganz nebenbei grösstenteils von ihrer Freiheitsstraffe losgesprochen werden. Besser als Jahre hinter Gittern war das doch allemal?

Nun hiess es Daumen drücken. Die Richter fragten Hatake noch einige weitere Details zu diesem Vorschlag und fuhren dann mit der Verhandlung weiter.

Der Prozess dauerte bis in den späten Nachmittag hinein und am Ende standen sie da mit einem Haufen Hoffnung und viel Angst davor, dass es nicht so laufen würde, wie sie es sich erhofften.

Die Urteilsverkündung würde erst in einer Woche stattfinden. Bis dahin hiess es für sie: Zittern.

 

Hinata

 

Sie traf Sakura im Park an. Als sie sie bemerkte, war es bereits zu spät, um umzukehren und wieder in der Tür zu verschwinden.

Ihr Herz blieb beinahe stehen, als sie Sakura unter einem der Bäume im Rollstuhl sitzen sah. Sie sah nicht gut aus, das war bereits aus dieser Entfernung zu erkennen.

Jetzt gab es kein Zurück mehr. Hinata ging auf Sakura zu und hoffte, dabei möglichst zielstrebig und überzeugend zu wirken. Doch eigentlich wäre sie am liebsten sofort davongelaufen. Sie hatte sich in ihrem Zimmer immer und immer wieder ausgemalt, wie dieser Moment ablaufen könnte. Was sie sagen, wie sie sich verhalten würde. Alles umsonst, denn jetzt waren diese ganzen Ideen wie weggeblasen. Zurück blieb die Angst davor, ihrer Freundin nach allem was geschehen war in die Augen zu sehen. Sie nahm all ihren Mut zusammen.

Sakura bedachte sie mit einem schwer zu deutenden Blick. Je näher sie kam, desto sichtbarer wurden die Spuren, die die letzte Schlacht auf Sakuras Körper und in ihrer Seele hinterlassen hatten. Sie war dünner geworden, hatte dunkle Ringe unter den Augen und ihr Teint war fahl. Ihr Haar hatte sie zusammengebunden, doch auch so war sichtbar, dass es ganz matt und glanzlos war. Es kam Hinata vor, als stünde sie einem anderen Menschen gegenüber. Selbst als sie vor ihr zum Stehen kam, glaubte Hinata, Sakura würde einfach durch sie hindurchsehen.

Wenn sie es sich genau überlegte, sah sie auch nicht besser aus. Sie hatte in ihrer Zeit hier zwar wieder einigermassen normal zu essen begonnen. Aber ihre schlaflosen Nächte, die unruhigen Tage mit ständig angeschaltetem Gedankenkarussell, Selbstvorwürfen, Nervenzusammenbrüchen und scheusslichen Erinnerungen an eine Zeit, die sie so gerne vergessen hätte, gingen auch nicht spurlos an ihr vorbei.

Tja, da waren sie also. Beide nur noch einen Schatten ihrer selbst. Und Hinata kam nie um den Gedanken herum, dass sie das nicht hätte verhindern können. Sie trug so viel Schuld in alldem und niemand konnte sie vom Gegenteil überzeugen.

«Was siehst du?», fragte sie ihre Freundin. Zumindest hoffte sie, dass sie beide noch Freundinnen waren.

Sakura zuckte andeutungsweise mit den Schultern. «Keine Ahnung.»

Hinata wusste nicht, ob Sakuras abwesender Ton ihr oder der ganzen Situation geschuldet war. Sie brauchte einen Moment, um einen Weg zu finden, das Gespräch weiterzuziehen. Am Ende beschloss sie einfach, direkt zu sein. Kein Gerede um den heissen Brei, keine Zurückhaltung mehr. Sie setzte sich neben ihre Freundin auf den Boden.

«Es tut mir leid, Sakura. Alles, was passiert ist. Alles an dem ich Mitschuld trage.»

Die darauffolgenden Sekunden des Schweigens verstrichen langsam und qualvoll. Gleich würde sie wissen, wo Sakura stand.

«Dir braucht gar nichts leidzutun. Das ist nicht dein Fehler. Wenn ich es mir genau überlege weiss ich nicht einmal, wem genau man in der Sache am besten die Schuld zuschieben sollte.»

Hinata schluckte schwer. «Egal, wer die Schuld trägt – es ist sowieso alles auseinandergebrochen.»

Sakura nickte nur deprimiert. «Mir tut es auch leid, Hina.»

«Was denn?»

«Dass ich nach einiger Zeit an dir zu Zweifeln begonnen habe.»

«Zurecht.»

«Nein. Ich hätte wissen müssen, dass du das nie tun würdest. Nicht freiwillig.»

«Es gab da einen Moment, an dem ich nicht mehr sicher war, auf welcher Seite ich wirklich stehe, Sakura. Ihr hattet allen Grund, an mir zu zweifeln.»

«Nicht im Geringsten. Du warst in einer Situation wie sie belastender nicht hätte sein können. Dass da der eigene Kopf verrückt zu spielen beginnt ist ziemlich normal.»

Wieder blieb es still. Es war eine angenehme, versöhnliche Stille, in der Hinata spürte, dass ihre Freundschaft immer noch da war. Sie würden Zeit brauchen, um selber mit all ihren Erlebnissen fertigzuwerden.

«Glaub mir, Crow wird es nicht auch noch über seinen Tod hinaus schaffen, uns auseinanderzubringen. Einmal Kurama, immer Kurama. Merk dir das», sagte Sakura in streckte ihre Hand nach Hinatas aus. Diese griff ohne zu zögern zu und drückte sie ganz fest. Es fühlte sich heilsam an. Zu wissen, dass es nach alldem immer noch einen Ort gab, an den sie gehen konnte. Dass es immer noch Menschen gab, die sie akzeptierten. Für den Moment war es genug. Auch wenn sie wusste, dass ihre Dämonen sie in Kürze wieder heimsuchen würden.

Sie verharrten noch lange so und begannen langsam, über das zu sprechen, was passiert war. Darüber, was sie beide an diesen tiefen Punkt gebracht hatte.

Normal würde für sie eine lange Zeit nichts mehr sein. Aber vielleicht konnten sie noch ein wenig an diesem Bisschen Normalität festhalten, dass zwei Freundinnen verband.

 

Hatake

 

Hatake musterte das vergriffene Tagebuch in seiner Hand. Er war in einem ersten Schritt die von Sakura mit Post-It-Zetteln markierten Stellen durchgegangen. Es war erschütternd, um das einmal vorwegzunehmen. Mit seinen Ressourcen würde sich leicht verifizieren lassen, dass das die Handschrift von Hitomi Murakami stammte. Sakuras schriftliche Zeugenaussage stand bereits, die mündliche würde sie hoffentlich direkt in einer Gerichtsverhandlung geben können.

Zwei ehemalige Hausangestellte der Murakamis hatte er bereits auftreiben können, diese waren aber sehr verschwiegen geblieben. In seiner Zeit als Kriminalpolizist hatte er gelernt, Körpersprache zu lesen. Es war offensichtlich gewesen, dass beide auf jeden Fall etwas zu erzählen gehabt hätten, es jedoch aus purer Furcht nicht getan hatten. Was wiederum nur zeigte, was für ein Mensch Shoto Murakami sein musste. Er vermutete sogar, dass Murakami ihnen schriftliche Verschwiegenheitserklärungen abverlangt hatte. Blieb nur die Frage, womit er ihnen drohte, wenn sie trotzdem zur Polizei gingen.

Murakami wusste, dass ein Ermittlungsverfahren gegen ihn lief. Vermutlich war er gerade dabei, mit allen Mitteln zu verhindern, dass irgendwelche unliebsamen Informationen an die Polizei gelangen. Verhindern, dass er Leute verhörte, konnte er allerdings nicht.

Die Tür öffnete sich und ein junger, dunkelhaariger Mann betrat in Begleitung von Mitarashi den Raum. Die Anspannung in seinem Gesicht war nicht zu übersehen.

Er setzte sich hin, kerzengerade, wie ein Tier im Verteidigungsmodus. Nachdem Hatake Bilder von Yohei Murakami studiert hatte, konnte er auch nun die unübersehbare Ähnlichkeit zu seinem älteren Bruder erkennen.

Ryuji Murakami hatte dieselben markenten Gesichtszüge, dieselbe hellgrüne Augenfarbe, der Blick, die Haltung. Die beiden hätten ihre Verwandtschaft nicht verleugnen können.

«Guten Tag Mr. Murakami. Ich danke Ihnen für Ihr Erscheinen.»

«Ich hatte ja wohl keine Wahl.» Ryujii rückte sich seine Krawatte zurecht.

«Da haben Sie wiederum recht.»

«Was wollen Sie von mir wissen?» Ein ablehnender Tonfall, hinter dem sehr viel Unsicherheit verborgen lag.

«Diverse Dinge. In erster Linie zu Ihrem Bruder.»

Ein Schatten legte sich über seine Augen. Egal, was für eine Beziehung er zu Yohei gehabt hatte, sein Tod musste ihn tief treffen.

«Wie war Ihr Verhältnis zu ihm?»

Er schwieg einen Moment, schien abzuwägen, welche Antwort hier angebracht war. «Wir standen uns nicht sehr nahe.»

«Beschreiben Sie das.»

«Unsere Leben haben sich… nun ja, in ganz andere Richtungen entwickelt. Ich habe meine Ausbildung sehr ernst genommen, damit ich später einmal den Posten meines Vaters übernehmen kann. Yohei ist in ganz andere Richtungen abgedriftet, wie Sie ja wissen.»

«Wann hatten Sie das letzte Mal direkten oder telefonischen Kontakt zu Ihrem Bruder?»

Er überlegte. «Das war kurz nach dem Tod meiner Mutter. Ich habe ihn nur kurz gesehen. Er hat einige Dinge aus ihren Zimmern an sich genommen, bevor man mit der Räumung begonnen hat.»

«Haben Sie ihn aufgehalten?»

«Nein. Ich habe ihm gesagt, dass er das nicht dürfe, habe ihn aber machen lassen. Er war ziemlich… am Boden, wenn Sie wissen was ich meine. Ging mir ja nicht anders.»

«Hatten Sie beide ein ähnlich gutes Verhältnis zu Ihrer Mutter?»

Er senkte den Kopf. «Nein. Ganz und gar nicht. Yohei stand Mom immer näher.»

«Weshalb?»

Ryuji gab mit einem etwas pikierten Seufzer zu verstehen, dass er dieses Thema ganz und gar nicht gut fand und er auch am liebsten nichts dazu gesagt hätte.

«Sagen wir es so: Ich verbrachte mehr Zeit mit meinem Vater, schon nur wegen der Arbeit. Yohei verbrachte die meiste Zeit damit, bei seiner Gang herumzustreunen und Mom regelmässig zu besuchen. Er hatte eine andere Verbindung zu ihr. Sie hat immer ganz anders gelächelt als bei mir, wenn er aufgetaucht ist.»

«Warum hat Ihre Mutter Suizid begangen?»

Die Frage erwischte ihn, weil er nicht mit ihr gerechnet hatte. «Woher soll ich das wissen? Ich kann ja nicht in ihren Kopf reinsehen.»

«Aber oftmals hat man doch gewisse Vermutungen?»

Er verschränkte die Arme. «Sie hatte Depressionen. Aber das haben viele Leute, Mr. Hatake. Andere Vermutungen habe ich nicht.»

Er log ihn fadengerade an, aber Hatake wusste, wieso. Sein Vater hatte ihm wohl jegliche Aussage verboten, die auch nur schon in die Richtung des eigentlichen Problems lenken konnte.

«Misshandlung durch den eigenen Ehemann? Vergewaltigung? Psychische Gewalt? Klingelt da etwas?»

Ryujis Unterlippe zitterte kaum merklich. Es wusste haargenau, wovon Hatake sprach und es zerriss ihn innerlich.

«Sie wissen, was passiert ist, Mr. Murakami. Versuchen Sie nicht, ihren Vater zu schützen, der das getan hat.»

«Sie haben keine Ahnung», sagte Ryuji nur. Hatake tat er leid. Ein junger Mann, der von Kindesbeinen an emotionaler und körperlicher Gewalt ausgesetzt war, der dazu herangezogen wurde, zu werden wie sein Vater. Er nahm ihm das nicht übel. Aber vielleicht hatte er die Chance, Ryuji daraus zu befreien, bevor er selber entweder ein schrecklicher Mensch wie sein Vater wurde, oder ihn dasselbe Schicksal ereilte, wie seine Mutter.

«Dan erzählen Sie es mir.»

«Da gibt es nichts zu erzählen.»

Hatake griff in die Schublade neben ihm, wo er zuvor das Tagebuch deponiert hatte und legte es auf den Tisch. «Kennen Sie das?»

Ryuji rutschte auf seinem Stuhl nach vorne und musterte das Buch mit einem fragenden Blick. Hatake schob es näher zu ihm. Ryuji schlug das Buch auf und sogleich leuchtete etwas in seinen Augen auf – wahrscheinlich erkannte er die Handschrift seiner Mutter darin.

«Lesen Sie sich einmal rein. Am besten die markierten Stellen», meinte Hatake und lehnte sich zurück.

Ehrfürchtig begann Ryuji damit, die Seiten durchzublättern. Er kannte das Buch nicht, das machte seine Reaktion deutlich. Aber von seiner Mutter zu lesen, wie sie ihre Erlebnisse selbst auf klarste Weise schilderte, erschütterte ihn zutiefst. Seine Atmung ging schneller, das Umblättern der Seiten wurde fahriger. Irgendwann schlug er das Buch zu.

«Woher haben Sie das?», fragte er und hatte sichtlich und hörbar Mühe, dabei ruhig zu klingen.

«Von Ihrem Bruder.»

Ryuji hatte schon eine Antwort bereit, doch jetzt stockte er. Dann schüttelte der langsam den Kopf. «Er hat das bei sich getragen?»

«In seinen letzten Stunden, ja. So wie auch andere Gegenstände, die Ihrer Mutter gehörten.»

Darauf sagte Yoheis Bruder erst einmal nichts mehr.

«Verstehen Sie, worauf ich hinauswill? Sie müssen keine Schuld für das, was passiert ist, auf sich nehmen. Aber Sie machen sich schuldig, wenn Sie die verantwortliche Person decken. Ihrem Vater steht ein gerichtlicher Prozess bevor, ob Sie nun gegen ihn aussagen oder nicht. Aber Ihre Aussage hätte ein schweres Gewicht. Deshalb bitte ich Sie, darüber nachzudenken. Für Ihre Mutter. Und für Ihren Bruder, der sich zum Ziel gesetzt hat, Ihren Vater für seine Taten zur Rechenschaft zu ziehen.»

Ryuji hielt seinen Blick gesenkt, als hielte er kaum aus, was Hatake da sagte.

«Sie müssen nicht werden wie er. Auch wenn er das immer gewollt hat.»

Dann blieb es still. Ryuji nestelte verkrampft an seinem goldenen Armband herum. Hatake wollte ihn schon alleine lassen und ihm Zeit zum Nachdenken geben, als er wieder Worte fand.

«Wie ist er gestorben?», fragte er leise. «Mein Bruder.»

Hatake war etwas überrascht. Doch auch auf das hatte er sich vorbereitet – zumal er auch Miss Harunos Wunsch berücksichtigen wollte.

«Ich hätte da jemand, der bei ihm gewesen ist. Yohei hat ihr auch dieses Buch sowie die anderen Gegenstände gegeben. Möchten Sie sie treffen?»

Ryuji nickte abwesend und Hatake liess sich nicht zweimal bitten. Sakura Haruno hatte den Wunsch geäussert, Yoheis Bruder treffen zu können.

Sakura betrat den Raum in Begleitung von Mitarashi, die sie stützte. Ryuji hatte ein riesengrosses Fragezeichen im Gesicht, als sie sich an Hatakes Platz setzte.

«Wir lassen euch dann mal allein», meinte der Polizeichef und verliess mit Mitarashi den Raum.

 

Sakura

 

«Wer sind Sie?», fragte Ryuji, verständlicherweise ziemlich verwundert. Sakura musterte ihr Gegenüber mehr als nur interessiert. Es versetzte ihr richtiggehend ein Stich ins Herz, Yoheis Bruder hier direkt vor sich zu haben. Und dann sahen sich die beiden auch noch so verflucht ähnlich.

«Ich bin Sakura Haruno.»

Der Name schien bei Ryuji irgendetwas auszulösen, rein anhand seines Gesichtsausdrucks zu urteilen. «Ich kenne Ihren Namen, kann ihn aber ehrlich gesagt gerade nicht einordnen.»

«War mal im Fernsehen, vermutlich deshalb. Ich bin ein Mitglied der Kurama Foxes. Und ich war bis kurz vor seinem Tod bei Yohei.»

«Sind Sie eine Freundin von ihm?», fragte er verwirrt. Er war im Bilde, dass Yohei zu den Jaguar Riots gehört hatte, entsprechend machte es für ihn eher wenig Sinn, dass eine Kurama mit ihm befreundet gewesen sein sollte.

Sakura nickte. Dieses Gespräch kostete sie viel Kraft, denn sie fühlte sich mehr als nur traurig und verzweifelt, wenn sie daran dachte, was Yohei widerfahren war. «Sozusagen. Willst du die Geschichte hören?»

Ryuji nickte, wenn auch unsicher. Und Sakura erzählte ihm alles. Davon, wie sie sich überhaupt begegnet waren und wie das alles zu ihrer gemeinsamen Flucht aus den Kellergewölben der Transportfirma geführt hatte. Sie erzählte ihm von dem Gespräch in Yoheis finsterem Raum, von dem Tagebuch, von den Bildern, den Ohrringen. Von Yoheis Trauer.

Ryujis Miene blieb während ihrer ganzen Erzählung undurchsichtig. Aber Sakura wusste, dass es ihn nicht kaltliess.

«Dein Bruder war ein beeindruckender Mensch, ob du es mit glaubst oder nicht. Er hatte seine Fehler, aber die haben wir alle. Am Ende hat er sich dazu entschieden, das zu tun, was er für richtig hielt.» Sie musste tief durchatmen. Das Wiederkäuen dieser ganzen Geschichte setzte auch ihr zu. «Aber er wollte nicht mehr leben.»

Nun kam Leben in Ryujii. «Warum?»

Sakura bedachte ihn mit einem durchdringenden Blick. «Das weisst du doch selber, Ryuii.»

Jetzt war er vor den Kopf gestossen und das lag ganz sicher nicht daran, dass sie ihn ungefragt duzte.

Sie fixierte ihn erneut mit ihren Augen. Es sollte kein Entkommen geben. Ryuji musste nicht für seinen kranken Vater lügen und sich selbst sein ganzes Leben versauen. «Du weisst genau, was dein Vater deiner Mutter angetan hat. Du weisst, was er dir und Yohei angetan hat. Und dir sollte klar sein, dass du dein eigenes Leiden nur verschlimmerst, indem du ihn deckst. Das Tagebuch hier», sie wies auf das zerfledderte Buch in der Mitte des Tisches, «ist das deiner Mutter. Die Handschriftenanalyse wird es beweisen. Aber du kannst dir auch selber lieb sein und es einfach zugeben. Du machst dich nicht strafbar, Ryuji. Aber ich glaube, Yohei hätte es viel bedeutet, dich auf der richtigen Seite zu wissen – auf der deiner Mutter.»

Ryuji starrte sie wütend an. Nichts anderes hatte sie erwartet. «Was glauben Sie eigentlich, wer Sie sind?»

«Niemand besonderes. Aber glaub mir, ich habe es satt, dem ganzen Mist immer nur zusehen zu müssen. Dein Vater ist verantwortlich für den Suizid deiner Mutter und du weisst es genau. Und dein Bruder ist deiner Mutter in den Tod gefolgt – weil euer Vater sie beide kaputtgemacht hat. Und jetzt erzähl mir nicht, dass er für dich ein Bilderbuchvater gewesen ist.»

Sie lehnte sich nach vorne. «Yohei mag schwer verletzt gewesen sein. Aber das alleine hätte ihn vermutlich nicht getötet. Er wollte nicht mehr, Ryuji. All die Jahre des Schmerzes, wie er nicht nur die eigene Misshandlung, sondern auch jene seiner Mutter hat erleben müssen, waren genug. Er hat aufgegeben. Keinen Lebenswillen mehr gehabt. Es geht mir hier also um zweierlei Dinge: Erstens, Gerechtigkeit für Yohei und deine Mutter Hitomi. Und zweitens, dass dich nicht irgendwann dasselbe Schicksal ereilt.»

Das schien zu sitzen. Ryuji öffnete den Mund und schloss ihn gleich wieder, unfähig, eine standfeste Antwort zu geben. Seine Körperhaltung drückte jedoch pure Ablehnung aus.

Sakura erhob sich und gab sich Mühe, nur ein Bein zu belasten. Aus ihrer Jackentasche zog sie ein Zettel mit ihrer und Hatakes Nummer drauf. «Wo stehst du in dieser Sache, Ryuji? Auf der Seite deines Vaters oder der deiner Mutter und deines Bruders?»

Sie legte den Zettel auf den Tisch und schob ihn zu ihm hin. «Ruf mich an, wenn du dich entschieden hast.»

Sie humpelte zur Tür und drehte sich noch einmal um. «Du bist deine eigene Person, Ryuji. So wie es dein Bruder war. Du musst nicht zu dem werden, was irgendjemand für dich vorgesehen hat. Für Yohei ist es zu spät, aber für dich nicht.»

Und damit verliess sie den Raum.

 

Der Zukunft entgegen

Sakura

 

Der Tag der Trauerfeier kam unaufhaltsam. Sakura fürchtete sich vor diesem Tag beinah noch mehr als sie die Gerichtsverhandlung gefürchtet hatte. Vielleicht, weil am Verhandlungstag noch alles offen gewesen war und es Möglichkeiten gegeben hatte, das Schicksal der Betroffenen zu beeinflussen. Denn heute war das nicht möglich. Die Schicksale der Verstorbenen waren in Stein gemeisselt, unwiderruflich. Daran gab es nichts mehr zu rütteln. Die Tragödie hatte sich ereignet und sie hatten damit zu leben, ob sie es wollten oder nicht.

Sie fühlte sich miserabel und ihr war hundeelend, als sie neben Hinata auf dem Rücksitz von Tsunades altem Fiat von zu Hause aus in Richtung Stadthalle fuhren, wo die Trauerfeier abgehalten wurde. Ihre Tante fuhr heute ruhiger und vorsichtiger als sie es je zuvorgetan hatte. Auch sie schien nicht in Eile zu sein, an diesen bedrückenden Ort zu kommen.

Hinata neben ihr ging es wohl ähnlich. Zumal sie immer noch voll der Selbstvorwürfe war. Ihr Psychologe hatte ihr aber dazu geraten, an der Feier teilzunehmen. Rituale waren wichtig, um einen Abschluss zu finden und hoffentlich irgendwann Frieden schliessen zu können mit dem, was einem widerfahren war. Noch wusste Sakura nicht so recht, wie das funktionieren sollte.

Tsunade parkte ihren Wagen etwas abseits, da der Verkehr um die Halle herum heute natürlich besonders dicht war. Es war ein verhangener Tag, zwar regnete es nicht, aber der Himmel war durchweg grau und wenig einladend – ganz passend eigentlich. Vor der Halle trafen sie auf viele der Kuramas und Takas, heute alle in Schale geworfen. Man hatte den Jungs schwarze Anzüge und den Mädchen schwarze Hosen, Blusen oder Kleider zur Verfügung gestellt, sofern sie keine hatten. Sakura hatte sich für eine ihrer eigenen simplen Blusen entschieden. Sie wusste nicht, wofür sie sich hätte herausputzen sollen.

Das Gelände um die Halle war abgesperrt, doch vor den Zäunen drängten sich Fotografen und die Presse. Wie Aasgeier hingen sie am Gitter und versuchten, etwas von den Leichen abzukriegen, die heute zu Grabe getragen wurden. Es war eine Frechheit. Immerhin war es nur KCTV erlaubt, die Trauerfeier in Bildern und Filmmaterial festzuhalten.

Als Sakura und Hinata die Bildfläche betraten, Sakura inzwischen an Krücken, wurde das Blitzlichtgewitter noch intensiver. Ihre Tante schirmte sie so gut sie möglich von den Kameras ab, doch verhindern konnte sie es nicht. Sie beschleunigen ihre Schritte und waren dankbar, als sie die Treppe zum Eingang erreichten, wo bereits zig andere Leute in das schützende Foyer flüchteten.

In Sakura gaben sich Wut und Trauer die Klinke in die Hand. Das hier war eine Trauerfeier und nicht irgendeine bescheuerte Sensation, die es in billigen Klatschblättern festzuhalten gab. Das hier war die Verabschiedung von mutigen Menschen und guten Freunden. Es fühlte sich so entwürdigend an.

Im Eingangsbereich entdeckte sie sogleich die Kuramas und Takas, sowohl Inners als auch Outers. Sie erhielt trotz der deprimierten Grundstimmung eine herzliche Begrüssung, Hinata hielt sich etwas im Hintergrund. Sakura merkte aber, dass ich um sie herum alle irgendwie anders benahmen. Als hätten sie Angst, irgendetwas zu sagen, was sie herunterziehen könnte. Dabei wäre es ihr am liebsten, wenn sie sich einfach ganz normal verhielten.

«Hina, komm doch zu uns», sagte Kiba in Hinatas Richtung. Das hier war seit der Schlacht Hinatas erstes Aufeinandertreffen mit den anderen Kuramas. Dummerweise war Naruto noch nicht da, denn das hätte Hinata mehr Sicherheit gegeben. Und Naruto wusste genau, wie er solche Situationen handhaben musste.

Hinata kam langsam auf sie zu. Ihre Hände zitterten, den Kopf hielt sie gesenkt. Das hier war für die Feuerprobe, vor der sie sich so fürchtete. Sie hatte ihr davon bei ihren vermehrten Treffen im Krankenhauspark und später nach ihrer Entlassung bei Sakura zu Hause erzählt. Ihre psychische Situation hatte sich nur minim beruhigt und war längst noch nicht wieder beim Alten. Es war sowieso zu bezweifeln, dass das überhaupt möglich war. Und nun ihren langjährigen Freunden entgegenzutreten in dem Wissen, dass sie sie hatte verraten müssen, war eine unvorstellbare Belastung.

Die Anspannung in der Gruppe war nun deutlich spürbar. Zwischen ihnen und Hinata stand viel Unausgesprochenes. Auf halbem Weg erlag sie ihrer Angst und wandte sich wieder ab, verschwand in dem Pulk an Leuten. Ihr Vater und Hanabi waren entweder schon hier oder würden in Kürze eintreffen, wahrscheinlich suchte sie nach ihnen.

«Sie braucht doch keine Angst zu haben», murmelte Kiba etwas enttäuscht. «Big Fox hat uns ja alles erzählt.»

«Nimm es nicht persönlich», sagte Temari und klopfte ihm auf die Schulter. «Wir müssen ihr Zeit lassen.»

«Ich sehe mal nach ihr», sagte Neji kurzerhand und tauchte auch in die Menge ab. Als Hinatas Cousin fand er vielleicht eher Zugang zu ihr.

«Unfassbar, was Crow ihr angetan hat.» Tenten schüttelte nur ungläubig den Kopf. «Andere Menschen wissentlich so kaputtzumachen…»

Sakura seufzte. «Hinata macht sich wahnsinnig viele Selbstvorwürfe, egal, wie sehr man sie vom Gegenteil zu überzeugen versucht. Das heute wird sehr hart für sie werden. Sie sieht sich mitschuldig für jeden einzelnen Todesfall seit Kankuro.»

In Temari zerbrach sichtich etwas, als sie den Namen ihres Bruders hörte. Ihr Blick verfinsterte sich sofort. «Damit hatte sie nichts zu tun. Das waren ganz alleine Crow uns sein Gefolge.» Sie wandte sich ab und ballte die Fäuste. «Ich werd’ gleich wieder sauer, wenn ich daran denke, dass Hinata jetzt auch noch eine solche Schuld auf sich nimmt.»

Shikamaru legte ihr beruhigend eine Hand auf die Schulter – eine subtile Geste, aber Sakura war schon länger aufgefallen, dass sich die zwei näherstanden, als noch vor einem Jahr.

Das Gespräch nahm seinen Lauf. Thema war in erster Linie die Wut über Crow. Sakura teilte diese Wut, aber sie hatte nicht die Energie, sich das jetzt kurz vor der Feier anzuhören.

Gaara schien es ähnlich zu gehen. Er hatte bisher geschwiegen und sich nicht in das Gespräch eingeklinkt. Schweigen war eine von Gaaras Talenten und wenn der Tod seines Bruders Thema wurde, reagierte er immer mit dieser eisigen Stille.

«Wollen wir reingehen, Cherry?», raunte er ihr zu und sie nickte, dankbar, der Situation entfliehen zu können.

Die Halle war mit Blumen in buntesten Farben geschmückt strahlte eine schöne Feierlichkeit aus. Zwischen den zig Stuhlreihen gab es einen breiten Durchgang, der direkt nach vorne zum Rednerpult führte, wo hoffentlich in Kürze Mr. Watanabe stehen würde. Die Stimmen der bereits sich einfindenden Menschen hallte von der hohen Decke wider. Eigentlich war es ganz schön hier.

In den vordersten Reihen waren Markierungen angebracht, die sie als Kurama-, Taka- oder Polizei-Sitzreihen kennzeichneten. Sie entdeckten Choji, der sich bereits eingefunden hatte. Es schien, als habe er noch einen ruhigen Moment für sich gebraucht, doch jetzt winkte er ihnen zu. Sakura war dankbar, die beiden Jungs bei sich zu haben. Sie beide hatten ein sehr gutes Gespür für Situationen und mit ihnen konnte man auch einfach Schweigen aushalten, ohne dass sich dabei komisch zu fühlen.

Ihre Gedanken schweiften rasch ab. Manchmal konnte sie gar nicht so genau benennen, worum sie sich drehten. Meistens war es ein Wirrwarr an vielen, bedrückenden Dingen. So auch jetzt.

Sie wurde erst wieder aufmerksam, als ein Raunen durch den Saal ging. Sie war so in Gedanken versunken gewesen, dass sie gar nicht bemerkt hatte, wie sie ich inzwischen um sie herum die anderen Kuramas eingefunden hatten. Ein Blick durch den Saal zeigte, dass alle Plätze besetzt waren. Es musste also in Kürze vierzehn Uhr sein.

Sie entdeckte ihre Tante bei Jiraiya und Shizune, einige Reihen hinter ihr. Auch Hinata war jetzt da. Sie sass mit Hanabi neben ihrem Vater. Hana sah inzwischen auch um einiges besser aus. Ihren genauen seelischen Zustand kannte sie jedoch nicht. Hinata hatte ihr aber erzählt, dass ihr Vater sofort unbezahlten Urlaub genommen hatte und sie nun viel Zeit zu Dritt miteinander verbrachten.

Die Ursache des Raunens im Saal war eine andere. Durch ihren so apathischen und trägen Körper ging ein Hauch von Wärme, als sie Sasuke entdeckte. Er trug denselben Anzug wie bei der Gerichtsverhandlung. Sakura hatte ihn seit dann nicht mehr gesehen. Nun war es fast ein Monat her, dass sie ihm nahe hatte sein können. Sie hatten ein paarmal telefoniert. Aber manchmal hatte sie einfach nicht die Kraft dazu gehabt, wenn er angerufen hatte. Ihre Tante hatte dann für sie den Anruf beantwortet. Sakura hatte gemerkt, dass es ihr nach den Telefonaten mit ihm immer schlechter ging, weil sie ihn so sehr vermisste. Seine Stimme zu hören, ihn aber nicht bei sich zu haben und dabei zu wissen, dass sich an diesem Zustand so schnell nichts ändern würde, war die reinste Folter gewesen. Dann lieber gar keinen Kontakt.

Sasuke hatte sie sofort entdeckt. Sein Blick wirkte besorgt, als er ihren traf. In Begleitung von zwei Polizisten wurden er und Naruto nach vorne geführt. Sie spürte eine Hand auf ihrem Knie – Ino war auch eingetroffen und hatte mit Choji die Plätze getauscht, sodass sie neben Sakura sitzen konnte. Sakura hatte ihre Anwesenheit nicht einmal bemerkt, was sie aber nicht überraschte. In letzter Zeit war sie so neben der Spur, dass sie ständig irgendwo in Gedanken war und sich vollkommen ausklinkte.

Ino schenkte ihr einen aufmunternden Blick. Sakura schätzte es ungemein, wie besorgt ihre Freundin um sie war, aber sie war im Moment nicht fähig, ihr irgendetwas zurückzugeben.

Sakura konnte ihren Blick nicht von Sasuke abwenden. Die Trennung hatte sie nur deswegen ausgehalten, weil sie den Kontakt zu ihm abgebrochen hatte, ansonsten wäre sie wohl durchgedreht. Ihr ging es miserabel und in dieser Zeit hätte sie seinen Halt wirklich gebraucht. Und er hätte ihn diesen gegeben, das wusste sie mit absoluter Sicherheit.

Nachts, wenn sie ihre Albträume heimsuchten und sie immer wieder diese Nacht durchleben liessen, in der Yohei gestorben war. Den Kampf mit den Riots immer wieder durchleben zu müssen, immer wieder diese Schmerzen zu spüren und zu bluten, die Verzweiflung, die Angst in voller Kraft erneut zu spüren… es war der blanke Horror. Er hätte vielleicht ihr Gedankenkreisen irgendwie unterbrechen können… vielleicht. Ihm und Naruto hatte genauso zugesetzt. Aber dann hätten sie ihren Schmerz zumindest teilen können.

Tsunade hatte veranlasst, dass sie psychologische Betreuung erhielt. Sie hatte bereits drei Sitzungen hinter sich, in denen sie mit diesen Ereignissen auf kontrollierte Weise konfrontiert wurde und darüber sprechen konnte. Es half, keine Frage. Aber sie spürte, dass sie von einer Normalität noch meilenweit entfernt war. Genau wie Hinata.

Hinata war sowieso die einzige Person, die ihren Gefühlsstand nachvollziehen konnte. Sie beide waren in dieser Nacht fast gestorben. Und trotzdem hatte Hinata sehr viel mehr erlebt als sie. Sakuras Trauma war im Vergleich zu Hinatas schon fast nicht nennenswert.

Sakura erwiderte also seinen Blick aus ihren müden Augen. Sein Platz war bei den Takas, die auf der gegenüberliegenden Seite des Durchgangs waren. Naruto hingegen, steuerte seinen Platz bei ihnen an. Sein Blick schweifte über die Leute und blieb bei Hinata hängen. Kurzerhand machte er zwei Reihen hinter ihnen Halt, um die Hyuugas zu begrüssen. Er nahm Hinas Hand in seine und drückte sie, bevor er sich auf seinem Platz neben Kiba, eine Reihe hinter ihnen einfand. Er legte Sakura zur Begrüssung eine Hand auf die Schulter und sie rang sich ein Lächeln für ihn ab, welches er natürlich sofort als aufgesetzt enttarnte.

«Es wird alles gut», flüsterte er ihr ins Ohr. «Ganz bestimmt.»

Es machte Sinn, dass die Gangs in Gruppen beieinandersassen und ihr war klar, wie wichtig Sasukes Anwesenheit bei den Takas war. Er war bereits vertieft in ein leises Gespräch mit Yahiko und Konan. Sie wünschte sich, es gäbe eine Möglichkeit, bei ihm sein zu können. Aber die würde sich später noch ergeben. Hoffentlich.

Die Feier begann mit dem Bürgermeister Kenzo Kobayashi höchstpersönlich. Ein Mann Mitte fünfzig mit graumeliertem Haar und einem dichten Bart. Er war erst im dieses Jahr zum Bürgermeister gewählt worden, soweit sie wusste. Sakura hatte ihn bisher erst im Fernsehen gesehen und wusste nicht so recht, was sie von ihm halten sollte. Seine Einleitung war aber schön und gehaltvoll.

«Ich muss Sie nicht daran erinnern, warum wir heute hier sind. Das letzte Jahr war für die Stadt Konohagakure ein düsteres Jahr, mit dem wir in keiner Weise gerechnet haben. Wie eine Welle hat uns eine neue Gang überrollt, uns auf die Probe gestellt und uns alles abverlangt. Neue, rebellische Gedanken, Ohnmacht gegenüber der aktuell vorherrschenden Situation in Konoha und die Wut über die allgegenwärtige Ungerechtigkeit, hat diese Welle hervorgebracht. Hier und heute sprechen wir nicht darüber, wer in diesem Streit die richtigen Motivationen hatte und wer die falschen. Weil ich von ganzem Herzen glaube, dass es keine falschen Motivationen gegeben hat. Es gab höchstens falsche Taten, die folgten.»

Er machte eine kurze Pause. «Der Konflikt zwischen Konoha und den Riots hatte Opfer zur Folge, denen wir heute Gedenken wollen. Wir dürfen uns glücklich schätzen, dass Konoha von denen unterstützt wurde, die wir für lange Zeit als Feinde betrachteten. Die Kurama Foxes und die Taka Snakes haben alles riskiert – wie sich herausstellte für eine Stadt, die ihnen nichts gegeben hat. Das wollen wir jetzt ändern. Betrachten Sie dies als Versprechen. Konoha wird nicht vergessen, was ihr für uns getan habt, ganz im Gegenteil. Ihr könnt euch darauf verlassen, dass sich eure Situation ändern wird.»

Er hob den Kopf und fixierte die Anwesenden Leuten wieder mit einem aufrichtigen Blick. «Aber darum geht es jetzt nicht. Heute gedenken wir denen, die in diesem Kampf ihr Leben gelassen haben. Ob Gangs oder Polizisten, heute sind wir alle gleich und zum selben Zweck da. Ich danke euch im Namen Konohas für euren Einsatz und hoffe, dass ihr Trost in einem neuen Konoha finden werdet. Betrachtet das hier als einen Wendepunkt für diese Stadt. Als nächstes werden wir Mr. Ichiro Watanabe begrüssen, ein langjähriger Freund der Kurama Foxes und Taka Snakes, der sich immer darum gekümmert hat, ihren Verstorbenen einen würdigen Abschied und eine würdige Beerdigung zu geben.»

Sakura hatte nicht mit einer solchen Rede gerechnet, zumal sie einen sehr aufrichtigen Eindruck hinterliess. Und sie wünschte sich, dass sich die Worte des Bürgermeisters bewahrheiten würden und sich nicht nur als Worthülsen voller leerer Versprechungen entpuppten.

Erst jetzt wurde Sakura klar, dass sich an der Seite des Saals ein Streichorchester eingefunden hatte, die nun ein wunderbares Lied anstimmten. Die Töne waren schön und weich, hatten etwas Tröstliches und auch etwas Sehnsüchtiges – eigentlich genau das, was sie alle im Moment brauchten.

Angestellte der Stadthalle trugen fünf grosse Tafeln hinein, auf der verschiedene Porträts zu sehen waren. Jede Tafel war einer Sektion gewidmet – Kuramas, Takas, Polizei, Riots und Zivilisten. Es waren die Gesichter der Gefallenen, die ihnen entgegenblickten und Sakuras Herz krampfte sich zusammen. Darunter waren nicht nur jene, die in der Zeit der Zusammenarbeit zwischen Polizei gestorben waren, sondern alle Opfer, die die Riots gefordert hatten.

Sakura liess den Blick erst über die Tafel der Takas schweifen, wo ihr sofort Karins feuerrote Mähne ins Auge sprang. Sie sah selbstbewusst und ein wenig herausfordernd in die Kamera, genauso, wie Sakura sie in Erinnerung hatte. Karin war ein Tornado gewesen, der sich von nichts und niemandem etwas hatte sagen lassen. Und trotzdem war sie so menschlich gewesen. Der Gedanke daran, wie sich ihre Beziehung entwickeln hätte können, wenn Karin noch leben würde, brach ihr das Herz. Zu gut erinnerte sie sich an Karins Tod, lag er doch auch gar nicht so lange zurück. Sie war so mutig gewesen, eine Heldin, die sich geopfert hatte. Sakura wusste, dass sie noch viele gute Momente gehabt hätten. Die taffe Taka und das Prinzesschen hatten eine ganz besondere Dynamik gehabt, ein bisschen Rivalität, ein bisschen Freundschaft und ganz viel gegenseitiger Respekt.

Zwei Bilder weiter entdeckte sie sogleich Itachi. Sie war immer wieder verblüfft, welche Ähnlichkeit er mit Sasuke hatte und trotzdem nicht aussah, wie eine ältere Version von ihm. Sein langes schwarzes Haar und seine dunklen Augen hatten etwas Hypnotisierendes, was ihn eindeutig als einen Uchiha auszeichneten. Sakura wagte einen Blick zu den Takas. Sie konnte Konans Gesicht nicht sehen, aber sie hatte ihren Kopf gesenkt. Wahrscheinlich tat es zu sehr weh, ihren verstorbenen Freund anzusehen. Viele der verstobenen Taka-Outers kannte sie nicht. Einige kamen ihr zwar bekannt vor, aber sie war nicht lange genug bei den Takas gewesen, um sich an all ihre Namen zu erinnern. Das tat ihr in diesem Moment sehr leid.

Bei den Polizisten kannte sie einige sogar mit Namen und fragte sich sogleich, wie schlimm es für ihre Familien sein musste, sie hier und heute auf dieser Tafel zu sehen. Manche von ihnen hatten bestimmt auch schon eigene Familien gegründet, die nun ohne Vater oder Mutter dastanden.

Um diesen Gedankengang und die damit verbundene Schwere zu unterbinden, wechselte sie sogleich zur Tafel der Kuramas, wo sie auch Sora und die vielen Outers ausmachen konnte, die nicht mehr unter ihnen waren. Sakura konnte ihre Tränen nicht mehr zurückhalten, als ihr Kankuro mit einem breiten Lächeln von der Tafel her entgegenblickte. Es war ein Foto, dass im Aufenthaltsraum des Kurama-HQs aufgenommen worden war, was ein Teil des altbekannten abgewetzten Sofas im Hintergrund verriet. In schwarzen, endgültigen Lettern stand sein Name unter dem Bild. Ino griff nach ihrer Hand und drückte sie. Das Bild weckte Erinnerungen an die Zeit vor diesem ganzen Krieg, als alles noch anders gewesen war. Wo sie in ihrer Misere als Strassenkinder doch noch irgendwie so etwas wie Glück verspürt hatten. Es war nie einfach gewesen, aber im Vergleich zu ihrem jetzigen Zustand kam es ihr vor, als hätten sie so etwas wie eine heile Welt gehabt.

Ganz am Ende der Tafel entdeckte sie auch das Bild eines blonden jungen Mannes. Ihr blieb beinahe das Herz stehen. Da war ein Bild von Yohei, mit seinem Namen auf der Kurama-Tafel. Sie musste die Hand vors Gesicht halten, um nicht in Schluchzen auszubrechen. Shikamaru musste das veranlasst haben.

Sie wandte sich nach dem Vize um und konnte nicht mehr als ein dankbares Nicken in seine Richtung geben, nach wir vor mit der Hand vor dem Mund und Tränen, die über ihre Wangen rollten. Shikamaru erwiderte ihren Blick mit allem Trost, den er ihr ohne Worte geben konnte.

Was wäre, wenn Yohei nicht auf dieser Tafel stehen würde? Dann wäre er jetzt hier, bei ihnen, vielleicht als Teil der Kuramas.

Ino legte ihr den Arm um die Schulter, aber es half alles nichts. Sie betrauerte jeden Einzelnen auf diesen Tafeln, aber bei Yohei wurde sie das quälende Gefühl nicht los, dass sie die Macht dazu gehabt hätte, ihn zu retten. Auch wenn er das vehement bestreiten würde. Dieser Gedanke gab ihr immer wieder einen kleinen Geschmack darauf, wie sich Hinata mit ihren vielen Selbstvorwürfen fühlen musste.

Auf der Tafel der Riots kamen ihr auch einige Gesichter bekannt vor. Allen voran stach ihr natürlich das von Crow ins Auge. Es war eine alte Aufnahme, wahrscheinlich die neuste, die es von ihm gab. Auf dem Bild sah er ganz anders aus, als sie ihn in Erinnerung hatte. Er erinnerte sie darauf einfach an einen normalen jungen Mann, ohne Hintergedanken, ohne durchtrieben Spiele, ohne messerscharfes Kalkül. Einfach ein Mensch. Und sie fragte sich, wie Ayato Kirishima wohl geworden wäre, hätte er sich nicht in den Ranken von Rachedurst und Wut verfangen. Wobei sie nicht wusste, ob eine solch alternatives Schicksal überhaupt zu ihm gepasst hätte.

Sakura war positiv überrascht, die Gesichter der gefallenen Riots an dieser Trauerfeier zu sehen. Sie hatte irgendwie nicht damit gerechnet, aber sie fand es nur fair, ihnen auch diese Plattform zur Verfügung zu stellen.

Das Orchester spielte sein Lied zu Ende und nun trat Mr. Watanabe hinters Rednerpult. Der alte Mann ging inzwischen an einem Stock und sah gebrechlicher aus als vorher. Mr. Watanabe war immer gut zu ihnen gewesen. Umso schöner, war es Shikamaru und Yahiko gelungen, ihn für diese Trauerfeier zu engagieren.

Mr. Watanabe bedachte seine Zuhörer mit einem liebevollen Lächeln. «Wissen Sie, ich bin es gewohnt, vor vielen Leuten zu sprechen», begann er. «Aber dass ich einmal ein solch breites Publikum haben würde, wäre mir nie in den Traum in den Sinn gekommen. Der Anlass dazu ist kein schöner und ich werde mich gerne bemühen, ihn so würdevoll wie möglich zu gestalten.»

Mr. Watanabes Stimme hatte etwas Beruhigendes und war an sich bereits tröstlich. Es war, als spreche hier der Grossvater aller Gangmitglieder, so vertraut kam es ihr vor.

«Ich kenne die Jungen und Mädchen der Kuramas und Takas schon sehr lange. Ich habe es mir zur Aufgabe gemacht, ihnen einen Ort zu bieten, wo sie willkommen sind. Denn in dieser Stadt gab es keinen Platz für sie – nicht einmal im Tod.» Jetzt wandte er sich mit seinen Worten direkt an die Gangs. «Ich habe viele von euch beerdigt. Einerseits jene, die in Gangkämpfen gefallen sind. Aber auch jene, die Opfer ihrer eigenen Dämonen wurden. Dämonen, die ihnen ihr Schicksal geschickt hat und die sie nie haben bezwingen können. Und heute möchte ich alle, die im Kampf um Konoha gefallen sind zu ihnen senden. An einen Ort, an dem sie sich wiedersehen.»

Er richtete das Mikrofon. «Ich werde gar nicht versuchen euch einzureden, dass das hier alles einen Sinn hatte. In diesem Kampf sind einzig und alleine viel zu junge Menschen gestorben und es zu beschönigen wäre nichts anderes als unangebracht. Also werden wir heute die Zeit nutzen, um uns an sie zu erinnern.»

Mr. Watanabes Rede war eingängig und wunderschön. Nach seiner kurzen Einleitung begann er, Anekdoten aus seinen Erlebnissen mit den Gangs zu erzählen. Es waren persönliche, herzerwärmende Erinnerungen. Er nannte keine Namen, doch an einige der Geschichten erinnerte Sakura sich sogar. Es waren Anekdoten, die ein Lächeln auf die Gesichter der Zuhörer zauberte und andere, die zum Nachdenken anregten.

«Zum Abschluss habe ich noch eine kleine Geschichte, die mir besonders in Erinnerung geblieben ist. Es handelte sich um eine junge Frau, die heute nicht mehr unter uns weilt. Ich kannte sie gut. Sie war eine Kämpferin, die viel durchlitten hat. Eine eigenwillige, starke Seele. Nach der Beerdigung eines Bandenmitglieds kam sie in einer ruhigen Minute auf mich zu. Sie wirkte nachdenklich und ich spürte ihre Unruhe bereits, als sie in mein Büro trat.»

 

«Glauben Sie, es gibt einen Ort für uns, an dem wir Frieden finden können?», fragte sie.

«Natürlich. Glaubst du denn nicht daran?»

«Ich weiss es nicht. Es gibt ja auch auf dieser Welt keinen. Wir sind so kaputt… ich bin so kaputt… manchmal fühlt es sich an, als wäre ich in tausend Teile zersprungen. Wie soll ich so jemals Frieden finden können?»

«Du bist nicht kaputt. Die Welt versucht, dich und deine Freunde kaputt zu machen. Aber ihr seid immer noch hier. Und glaube mir, wenn ich dir sage, dass ich kaputte Menschen kenne. Ihr seid keine davon.»

«Warum fühle ich mich dann so?»

«Weil du in einer Gesellschaft lebst, die Gut und Böse nicht unterscheiden kann. Die dir das Gefühl gibt, dass du kaputt bist.»

«Gibt es denn eine Möglichkeit, dass wir zu den Guten werden? Ich meine, ich weiss längst, wer in dieser Stadt die Bösen sind und wir sind es garantiert nicht. Ich habe sie kennengelernt. Aber niemand sieht das so. Ich wünschte mir nur, dass endlich jemand dieses Spiel durchschauen würde.»

«Ich kann dir eines mit Sicherheit sagen: Das, was die Menschen als gut definieren, wird sich früher oder später als das Kaputte, Böse entpuppen. Und du wirst sehen, meine Liebe, du bist bereits ein Teil des Guten. Die Menschen werden bald verstehen, dass sie dich und deine Freunde brauchen. Es ist nur eine Frage der Zeit.»

«Glauben Sie das wirklich?»

«Von ganzem Herzen.»

 

«Die junge Frau ist vor kurzem gestorben und hat all ihren Mut bewiesen, bevor sie von dieser Welt gegangen ist. Sie hat allen bewiesen, dass sie zu den Guten gehört. Sie war niemals kaputt, nur gezeichnet von dem, was sie durchlitten hat. Es gibt tausende weitere solche Schicksale. Vielleicht wird es an der Zeit, dass wir unseren Blick endlich auf das richten, was wirklich böse und verdorben ist. Und ich versichere Ihnen: Die Gangs sind es nicht. Ich bin überzeugt, dass sie inzwischen ihren Frieden gefunden hat. Und dass die vielen Teile, in die sie zersprungen ist, jetzt wieder ein grosses Ganzes sind.»

Er wandte sich noch einmal direkt an die Gangs und suchte den Augenkontakt zu den vordersten Reihen. «Und seid versichert: Alle Menschen auf diesen Tafeln, sind wieder ein grosses Ganzes, egal, wie zersprungen sie sich gefühlt haben. Sie haben ihren Frieden. Und sie warten darauf, euch irgendwann, nach einem langen und glücklichen Leben bei sich begrüssen zu dürfen. An einem Ort, an dem auch ihr wieder ein grosses Ganzes sein dürft.»

Die Feier ging weiter, doch Mr. Watanabes Rede hallte mit Ausdauer in Sakuras Kopf nach. Es war eine tröstlich, sich vorzustellen, wie Yohei, Karin, Itachi, Kankuro und all die anderen nun an einem Ort waren, wo es ihnen besser ging. Yohei hatte sie ja selbst diese Brücke überqueren sehen – ob das jetzt ein Traum gewesen war oder nicht. Es folgten Beiträge von Hatake als Polizeichef und von Angehörigen Verstorbener, immerzu untermalt von schöner Musik. Es war eine stimmungsvolle Feier, aber irgendwie fehlte Sakura etwas. Gang-Trauerfeiern waren privater, enger, weniger glatt. Sie war es sich gewohnt, im engsten Kreis ihrer Leute Abschied zu nehmen und das hier war kaum zu vergleichen.

Und als die Feier vorbei war, fühlte sie sich wie ein ausgedrehter Waschlappen, sowohl physisch als auch emotional. Die Beisetzungen fanden erst übermorgen statt, da die Verstorbenen auf unterschiedlichen Friedhöfen zur Ruhe gelegt werden würden.

Wie all die anderen erhob sich Sakura, nachdem die Feier beendet worden war. Ino machte sich auf, um Hinata zu begrüssen. Sakuras Blick blieb an den Tafeln hängen. Sie konnte diese Bilder gar nicht genug ansehen und versuchen, sie sich einzuprägen. Sie sahen alle so zufrieden aus auf diesen Bildern. Und wenn sie Mr. Watanabe glauben wollte, dann waren sie auch jetzt glücklich, wo auch immer sie waren.

«Sie werden uns die Tafeln schenken», sagte eine tiefe, vertraute Stimme neben ihr.

Sie wischte sich verstohlen mit dem Ärmel ihrer Bluse über die Augen. «Ich weiss nicht, ob ich es verkrafte, sie jeden Tag zu sehen.»

Sasuke legte seinen Arm um ihr Schultern, zog sie zu sich heran und gab ihr genau das, was sie so dringen brauchte – Halt. Sie legte ihren Kopf an seine Brust, schloss die Augen und liess sich von ihm auffangen. Es war ein heilsames Gefühl von Geborgenheit, dass ihr so lange gefehlt hatte. Seine Stimme, sein Geruch nach Abenteuer und heute auch Aftershave, die Vertrautheit, die sie teilten… es war wie nach Hause kommen. Und für den Moment konnte sie vergessen, dass diese Zweisamkeit von kurzer Dauer sein würde. Was um sie herum passierte, war ihr gerade ziemlich egal. Sie musste diesen Augenblick tief in sich aufnehmen.

«Tut mir leid, muss ich mich so auf dir abstützen», murmelte sie in sein Hemd. Es war egoistisch von ihr, ihn zu beanspruchen, während er selber in einer weitaus schwierigeren Situation war als sie. Und trotzdem wusste sie nicht, wie sie es ohne ihn schaffen sollte.

Er lachte nur leise. «Ich stütze mich auf dir ab seit wir uns kennen. Vielleicht kann ich auch mal endlich etwas zurückgeben.»

Sie schloss ihre Arme noch fester um seinen Körper. Wenn sie ihn nur gut genug festhielt, dann konnten ihn die Polizisten nicht mehr mitnehmen.

«Ich liebe dich», murmelte sie und spürte, wie sich seine Hand sachte an ihren Hinterkopf legte und ihn leicht nach hinten kippte, sodass sie ihn aus ihren verquollenen Augen anschauen musste. Er küsste sie ganz vorsichtig auf den Mund, als wäre sie aus Porzellan. Sakura liess es mit sich geschehen, liess sich mitnehmen von diesem Strudel von Zuneigung und Wärme, von dem Gefühl, lebendig zu sein. Das letzte Mal, als sie sich so gefühlt hatte, war sie gerade aus ihrem Präkoma erwacht. Von da an war alles eine einzige Tortur gewesen.

«Ich liebe dich auch», flüsterte er nach diesem kurzen Moment inniger Zweisamkeit mitten unter Leuten. «Wie geht es dir denn?»

Die Antwort auf diese Frage kannte er. Er stellte sie, um ihr die Möglichkeit zu geben, sich mitzuteilen und das schätzte sie. Allerdings brachte sie nicht mehr als ein Kopfschütteln zustande.

Ihm war klar, dass er ihr nicht helfen konnte. Sie kämpfte im Moment mit ihren eigenen Dämonen und wusste nicht, ob sie den Kampf gewinnen konnte. Ihr Psychologe hatte schnell gemerkt, dass sie mit Yoheis Tod noch nicht im Mindesten umgehen konnte. Es fehlte nebst einem Abschluss einfach die Gerechtigkeit. Die Riots hatten Yohei nicht umgebracht, sondern sein Vater. Und auch wenn die Polizei ermittelte und es Hoffnung gab, noch war die Sache nicht beendet. Reiche Menschen fanden doch immer irgendein Schlupfloch, um sich ihrer Verantwortung zu entziehen.

«Komm, wir gehen nach draussen.» Sasuke nahm sie bei der Hand und Sakura liess sich aus dem Saal führen. Sasuke wollte seinen Moment in Freiheit geniessen, wie könnte sie es ihm auch verübeln.

Draussen im Foyer herrschte in ziemliches Gewusel, ein Gemisch aus Menschen, die weinten, sich Mut zusprachen oder sogar gemeinsam lachten. Die Takas standen in einer grossen Gruppe neben dem Eingang. Vielleicht war es nicht schlecht, einmal Hallo zu sagen.

Sie wurden von den Takas herzlich begrüsst. Konan umarmte sie sogleich und sprach ihr Mut zu, auch wenn ihre verschmierte Wimperntusche von ihrem eigenen Schmerz zeugte. Nach Konan fiel ihr sogleich Pixie um den Hals, die nun ganz offiziell eine Taka war. Pixies Anblick machte ihr immer ein wenig Mut, da sie der lebende Beweis dafür war, dass nicht alles an den vergangenen Monaten schlecht gewesen ist. Ihre verspielte und lebensfreudige Art war ansteckend und Sakura war überzeugt, dass ihre Anwesenheit momentan ein Segen für die Takas war.

Fast alle Takas waren da und trotz allem spürte sie noch ihren Lebensgeist. Nur etwas fehlte: Deidara im Mittelpunkt. Einer der Takas mit dem grössten Wiedererkennungswert, immer einen lockeren Spruch auf den Lippen, der kaum einmal ernst sein konnte. Er stand etwas abseits, ganz untypisch. Aber die Frage nach dem Warum beantwortete sich mit einem Blick in sein Gesicht. Sein linkes Auge war versteckt hinter einem Verband. Sakura hatte schon gehört, dass sein Auge massive Schäden erlitten hatte.

Einmal mehr wurde ihr bewusst, was nebst den Todesfällen das Schlimmste an ihrer Situation war. Deidara war einer dieser Menschen, die kein Wässerchen trüben konnten und unglaublich widerstandsfähig waren, selbst wenn sie Rückschläge erlitten. Und nun waren sie soweit, dass sogar er gebrochen aussah. Sein Blick schien leer, hatte nichts Spitzbübisches oder Schelmisches mehr.

Sasuke bemerkte, wie sie Deidara musterte und drückte ihre Hand. «Eine solche Verletzung im Gesicht ist für ihn schmerzhafter als ein Messer im Bauch.»

Das konnte sie verstehen. Wenn man Deidara, Womanizer, kannte, dann wusste man, wie verheerend eine Entstellung im Gesicht war.

Sakura lehnte sich gegen Sasukes Schulter und stellte sich zum zigsten Mal in der vergangenen Zeit die Frage, wie es mit ihnen allen weitergehen sollte.

«Miss Haruno!» Eine bekannte, aber nicht vertraute Stimme, liess sie aufschrecken. Die Köpfe der Takas drehten sich in die Richtung, aus der sie gekommen war.

Sakura schluckte, als sie Ryuji Murakami entdeckte. Sasuke neben ihr drückte sein Rückgrat durch und wurde gleich ein wenig grösser. Sofort war Sakura wie auf Nadeln. Natürlich, Ryuji war auch eingeladen worden, schliesslich gehörte sein Bruder zu den Verstorbenen. Ob auch sein scheusslicher Vater aufgetaucht war? Sie bezweifelte es.

Sie löste ihre Hand von Sasukes und ging auf Ryuji zu, sehr zum Unbehagen von Sasuke, der sie nun aus einiger Entfernung wie ein Adler beobachtete.

«Mit dir hätte ich jetzt nicht gerechnet», sagte sie unverblümt.

«Sie müssen ein ganz schreckliches Bild von mir haben.»

Sie zuckte mit den Schultern. «Hast du einen Entscheid getroffen?»

Er biss sich auf die Lippe. Irgendetwas hielt ihn zurück. Jetzt, da sie ihn genauer betrachtete fielen ihr auch die dunklen Ringe unter seinen blutunterlaufenen Augen auf.

«Wo ist denn dein Vater, Ryuji?», fragte sie aus einem Bauchgefühl heraus.

Er lachte bitter und vermied es, sie dabei anzusehen. «Man stellt sich schon gewisse Fragen. Wenn der Vater bei der Beerdigung des eigenen Sohnes nicht auftaucht. Und man wundert sich… ober er das auch bei meiner Beerdigung machen würde.»

Eines war Sakura sofort bewusst: Sie waren kurz davor, Ryujis Unterstützung zu erhalten. Sie durfte diese Gelegenheit auf gar keinen Fall verpassen.

«Das kann ich verstehen, Ryuji.» Sie verspürte ehrliches Mitleid für Yoheis Bruder. Er hatte seine halbe Familie in einer Zeitspanne weniger Monate verloren und es blieb ich nur noch sein liebloser, manipulativer Vater und der Druck, als Übriggebliebener zu entscheiden, auf welcher Seite er stand. «Es tut mir sehr leid. Das dir das hier widerfahren ist. Es ist nicht fair und glaube mir, wenn ich dir sage, dass ich deinen Schmerz nachvollziehen kann.»

Ryuji behielt den Blick gesenkt. «Weisst du… er hat mir davon abgeraten, zu kommen. Jeder Auftritt in der Öffentlichkeit sei derzeit aufgrund der laufenden Ermittlungen ein Risiko für Murakami Credits. Deshalb ist er nicht da. Wegen dem Risiko.»

Die Bitterkeit in seiner Stimme war unüberhörbar. Und so sehr Sakura auch Mitleid empfand, hoffte sie, dass Ryuji sich vielleicht doch entscheiden würde, für die Gerechtigkeit einzutreten.

«Wäre es denn für sein Image nicht besser gewesen, wenn er den trauernden Vater gegeben hätte?»

Ryuji schüttelte den Kopf. «Mein Vater ist vieles, aber kein Schauspieler. Er hätte es unmöglich geschafft, Trauer vorzuspielen. Und das weiss er nur zu gut. Yohei war für ihn inzwischen ein Fremder.»

Sakura wischte sich verstohlen über die Augen. Es tat ihr so weh, zu sehen, dass Yoheis Bruder genauso litt, wie er selber es über Jahre getan hatte. Nur schien es Ryuji erst jetzt richtig bewusst zu werden.

«Und was ziehst du für jetzt für Konsequenzen?», fragte sie ihn direkt.

Er musste nicht lange über seine Antwort nachdenken und schien sich das alles schon in vielen durchwachten Nächten überlegt zu haben. «Ich stand über Jahre unter seiner Knute. Er hat mich gefördert, mir viele Chancen gegeben und mir immer wieder gesagt, dass ich die Zukunft von MC bin. Ich habe es geglaubt. Habe eine gewisse… Betriebsblindheit entwickelt. Aber als Yohei gestorben ist wurde mir erst richtig klar, wie schlimm es wirklich ist. Wenn du mit einer Mutter aufwächst, die psychisch durchgehend am Boden ist, wird es irgendwann schon fast… normal. Ich habe es kaum hinterfragt, wie sehr er mich von Yohei und Mom abgeschottet hat. Du kannst dir nicht vorstellen, wie mich die Vorwürfe auffressen. Ich habe das zugelassen. Beide Todesfälle habe ich nicht verursacht, aber ich habe sie zugelassen. In meinen Augen gibt es da keinen grossen Unterschied. Und wenn ich ihnen zumindest nach dem Tod noch irgendetwas Gerechtigkeit verschaffen kann, meint Gott, dann werde ich es tun.»

Sakura lächelte unter Tränen, unfähig, viel mehr zu dieser Entscheidung zu sagen. «Dann packen wir es an, okay?»

Er nickte mit glänzenden Augen. «Okay.»
 

Ryuji verliess die Feier gleich nachdem sie mit Hatake ein Treffen für morgen vereinbart hatten. Diese überraschende Wendung des Tages war eine kleine Aufmunterung und verlieh ihr in ihrer Ohnmacht erneut das leise Gefühl, dass noch nicht aller Tage Abend war. Kaum war Ryuji verschwunden, war Sasuke bei ihr. Sie dachte, seine Besorgnis würde sich in Luft auflösen, wenn er von dem Gespräch hörte, doch sein Gesichtsausdruck verhiess Gegenteiliges.

«Was ist?», fragte sie ihn ein wenig verdutzt. Er schien die Antwort nicht gleich auf der Zunge zu haben.

«Ich mache mir nur Gedanken. Glaubst du, Murakami hinter Gitter zu bringen wird dir über Yoheis Tod weghelfen?»

Sie fühlte sich von dieser Aussage irgendwie angegriffen. «Es geht um Gerechtigkeit, Sasuke. Willst du mir etwa sagen, man solle diesen Irren weiter in der Stadt wüten und die Leben anderer zerstören lassen?»

Er schüttelte den Kopf. «Das ist es nicht, was ich meinte. In dieser Hinsicht bin ich deiner Meinung. Ich mache mir nur manchmal etwas Sorgen. Murakami bestraft zu wissen wird dir den Schmerz nicht nehmen. Das kann nur die Zeit.»

Sakura wusste nicht, warum er ihr das alles sagte. Es fühlte sich an, als wolle er sie davon abbringen, diese Sache weiterzuverfolgen. Dabei war es doch verdammt nochmal einfach nur gerecht.

«Ich bin nicht bescheuert, okay?», fauchte sie, im Affekt zu heftig. Seine Augen wurden gross, aber er liess sich nicht beirren. «Dass ich das Arschloch weg vom Fenster haben will hat nichts mit Schmerz zu tun sondern…»

«Vergeltung? Rache?»

«Er hat es verdient, Sasuke, und wenn du es auch nur wagst, etwas anderes zu behaupten… dann können wir das hier für heute auflösen.» Jedes Wort schmerzte, aber sie konnte ihre Wut nicht bändigen.

«Ich behaupte nichts anderes. Ich merke nur, dass dich das im Moment mehr beschäftigt als alles andere.»

Sakura macht einen Schritt von ihm weg und versuchte, sich zu beruhigen, doch das wollte nicht klappen. «Natürlich beschäftigt es mich! Sasuke, ich muss doch irgendetwas haben, worauf ich hinarbeiten kann!», brach sie aus und bemerkte dabei ihr eigenes Zittern. Etwas leiser fügte sie an: «Ich habe im Moment kein anderes Ziel. Ich weiss nicht, worauf ich hinarbeiten soll. Die Zukunft ist düster und das hier ist wenigstens ein Ziel. Und ich brauche ein Ziel… ich habe doch nichts... sonst werde ich noch wahnsinnig…»

Ihre Stimme versagte unter dem dicken Kloss in ihrem Hals und sie wandte sich ab. Er wollte nach ihrem Arm greifen, doch sie entzog ihn ihm.

«Sakura…»

«Es ist alles ungewiss. Ich kann morgens kaum aufstehen, so wenig Antrieb habe ich. Es fühlt sich jeder verdammte Schritt, den ich mache, sinnlos an. Ich weiss nicht, wie ich das bewältigen soll. Nur etwas gibt mir im Moment Kraft: Und es ist genau das. Diesen dreckigen Mistkerl zu versorgen.»

«Und was ist danach?»

Sie fixierte ihn mit zusammengekniffenen Augen. «Nichts ist dann. Ich weiss nicht, wohin ich gehen soll. Und weiss Gott, wann du zurück sein wirst. Ob du nun ins Militär oder ins Gefängnis gehst… ich muss irgendwie alleine zurechtkommen, aber ich fühle mich wie ein Wrack. Bin ein Wrack. Und ich hasse mich dafür.»

Sasuke schüttelte durchgehend den Kopf, fast schon ungläubig, das alles zu hören.

«Depressionen hat man mir bereits attestiert. Aber die Diagnose macht für mich nichts klarer. Im Endeffekt kann ich mir nur selbst helfen. Medikamente werde ich keine schlucken, das habe ich dem Psychologen schon gesagt. Kann er vergessen.»

Sasuke machte erneut den Versuch, ihre Hand zu nehmen. Sie liess ihn gewähren. Er schien nicht mit einem solchen Ausbruch gerechnet zu haben, nicht nachdem sie gerade vorhin ihre Zweisamkeit so genossen hatten.

«Ich weiss also, dass ich krank bin. Dass ich nicht alle Tassen im Schrank habe. Das musst du mir nicht auch noch sagen.» Jetzt entzog sie ihm wieder ihre Hand erneut, dieses Mal sanfter. Es brach ihr das Herz, jetzt zu gehen. Aber in ihr drängte alles danach, von hier wegzukommen. Wohin sie wollte, wusste sie nicht. Am liebsten wieder in ihr Bett, wo ihr auch niemand helfen konnte, aus diesem Loch rauszukommen.

«Wo willst du denn hin?», fragte er hörbar verletzt, als sie sich abwandte.

«Nach Hause. Wir hören uns.»

Und damit liess sie ihn stehen, rief Tsunade zu, dass sie direkt nach Hause ging. Ihre Tante hatte nicht einmal die Chance zu reagieren. Ihren Tränen liess sie erst freien Lauf, als sie in der U-Bahn sass. Sie zog sich die Kapuze ihrer Jacke über den Kopf und versteckte ihr gerötetes Gesicht so gut wie möglich hinter ihrem Schal.

Sie war wütend auf sich selbst. Sie hatte ihn verletzt, er, der selbst schon genug zu kämpfen hatte. In ihrem egoistischen Gefühlsausbruch. Aber es war alles so schwer und sie bemerkte wie schon so oft in letzter Zeit, dass sie sich, ihrem Körper und ihren Emotionen einfach nicht mehr Herr war.

Sasuke hatte ihr nicht folgen können, weil ihn die Polizisten am Eingang sofort abgefangen hätten. Sie musste sich bei ihm entschuldigen. Unbedingt. Aber jetzt konnte sie nicht.

 

Sasuke

 

Sasuke bereute nicht, was er gesagt hatte. Er bereute höchstens den Zeitpunkt, den er dafür gewählt hatte. Ihre aufgebrachte Reaktion war ein Zeichen dafür gewesen, dass seine Vermutungen zumindest einen Funken Wahrheit beinhalteten. Und doch tat es ihm heute weh, wie sie sich verhalten hatte. Er stand selbst gerade nicht am besten Punkt in seinem Leben und er wollte nicht jammern, schliesslich hatte er sich einiges davon auch selber eingebrockt. Aber heute hätte er es sehr genossen, mit Sakura einfach eine kurze gute Zeit zu haben.

Jetzt war es für ihn vorbei mit der guten Zeit. Denn Sakuras Worte hatten ihn erschüttert. Ihm war klar gewesen, dass es ihr schlecht ging. Aber er hatte zu wenig Kontakt mit ihr gehabt, um zu merken, dass es sich dabei wohl nicht nur um eine «normale» Trauer handelte, sondern um Depressionen. Hätte er Eins und Eins zusammengezählt, hätte er es vielleicht bemerkt. Aber er war ein Trottel gewesen und hatte ihr spitzfindige Fragen gestellt, die es nicht gebraucht hätte.

Und nun war sie fort und er konnte nicht einmal versuchen, sie zu trösten. Das wäre jetzt sein einziger und innigster Wunsch gewesen. Sie so gehen zu lassen war beunruhigend. Besonders wenn er wusste, dass er nicht die Möglichkeit hatte, einfach später bei ihr vorbeizugehen und das alles zu klären. Er musste sie anrufen, aber vielleicht nicht gleich jetzt. Auf einmal spürte er eine Hand auf seiner Schulter – Hatake.

«Hast du einen Moment?», fragte dieser. Hinter ihm stand Naruto und wirkte irgendwie ziemlich gut gelaunt dafür, dass sie hier an einer Trauerfeier waren.

«Worum geht’s?»

«Nun, ich habe gerade einen Anruf erhalten. Das schriftliche Gerichtsurteil ist draussen. Und was soll ich sagen – bist du bereit, Soldat zu werden? Und danach vielleicht Polizist?»

Sasuke stockte der Atem. Er hätte es nicht für möglich gehalten, obwohl er immer gewusst hatte, wie er sich entscheiden würde. Es jetzt aber aus Hatakes Mund zu hören, war absolut surreal. Wenn Sakura das noch mitbekommen hätte… vielleicht hätten sie dann nicht mehr gestritten.

Jetzt konnte er nicht anders, als zu lächeln. Zum ersten Mal seit langer Zeit glaubte er, eine Perspektive zu haben. Auf eine Zukunft, die sich nicht mehr im Sumpf Konohas abspielte.

«Wo muss ich mich einschreiben?»

 

 

Zeit geht ins Land…
 

Haruka Ichinose, 3. Dezember

 

Der Bericht unvollständig. Immer noch. Sie kaute auf ihrem Kugelschreiber herum, als sie die schwarzen Lettern auf dem Bildschirm ihres Computers immer wieder durchging, um herauszufinden, wo das Problem lag.

Vielleicht war es einfach sie selbst. In letzter Zeit hatte sie ihr Privatleben ziemlich zurückgeschraubt, um die Berichterstattung für Konoha sicherzustellen. Draussen war es bereits dunkel und die Stadt leuchtete in allen Farben der Leuchtreklamen. Hier vom KCTV-Tower aus konnte man die Downtown wunderbar überblicken.

Sie hatten jetzt Dezember und der letzte Monat war bewegt gewesen. Da war einerseits die Situation auf der Strasse, die eine Menge politische Aufmerksamkeit erhalten hatte und zu deren Berichterstattung sie in erheblichem Masse beigetragen hatte. Sie hatte in zahlreichen Reportagen diverse Bereiche des «Sumpfs von Konohagakure» abgedeckt. Von der Prostitution Minderjähriger, die Machenschaften kriminellen Organisationen im Untergrund, den Drogenhandel bis hin zu den Strassenkindern. Und natürlich die Gangs – eine ganz persönliche Herzensangelegenheit. Denn auch in dieser Hinsicht war vieles passiert. Die Toten waren zu Grabe getragen und die Menschen Konohas begannen einen Weg zu suchen, mit ihrem Trauma zu leben.

Die inhaftierten Gangleader Naruto Uzumaki und Sasuke Uchiha hatten sich dazu entschieden, das Angebot des Polizeichefs Hatake anzunehmen und sich nach einer einer Gefängnisstrafe dem Militärdienst zu verpflichten, um später die Chance auf eine Ausbildung zum Polizisten zu haben. Das Gericht hatte beschlossen, die Haftstrafe um einige Tage zu kürzen, damit die Leader zu Weihnachten draussen waren und eine kurze Pause hatten, um im Januar die Rekrutenschule antreten konnte. In Harukas Augen war das nur fair.

Nebst den Leadern hatten sich auch andere Gangmitglieder bereiterklärt, diesen Weg zu gehen. Eine Mehrheit der jungen Männer, aber auch eine beachtliche Zahl an Frauen. Ein weiterer Beweis dafür, dass man diesen Menschen nur die Chance geben musste, anstatt sie ständig wie Aussätzige zu behandeln. Haruka erfüllte es mit beinahe mütterlichem Stolz, daran zu denken, was diese jungen Menschen erreichen konnten und erreichen würden.

Sie brauchten Hoffnung für die Zukunft, denn die Situation in der Stadt war noch längst nicht wieder normal. Nun, sie sollte auch nie wieder normal werden, denn was sie vor diesem ganzen Bandenkrieg als normal bezeichnet hatten, was nichts Gutes gewesen. Vielleicht war es besser ausgedrückt, wenn man sagte, dass noch keine Ruhe eingekehrt war.

Ayato Kirishima und seine Jaguar Riots hatten viel bewegt und diese Bewegung würde noch lange spürbar bleiben. Sie hatten einen unglaublich wichtigen Diskurs angerissen, der wohl nicht in absehbarer Zeit im Sand verlaufen würde. Sie hatten in den Menschen am Ende der Nahrungskette das Gefühl geweckt, etwas bewirken zu können. Die Jaguar Riots als Gross-Gang waren zerfallen, aber nicht verschwunden. Da draussen gab es inzwischen viele Riots, die vielleicht nie der Gang angehört hatten, aber ganz klar die radikalen Ansichten von Ayato Kirishima teilten. Es gab nicht selten noch Aufruhr, die von der Polizei aufgelöst werden musste und andere kriminelle Tätigkeiten, die den Stempel der Riots trugen. Diesen Ereignissen fehlte es meistens an Organisation und Planung, was sie im Vergleich zu den Riots vor ihrem Fall schon fast alt aussehen liess. Es fragte sich nur, ob sich diese Bewegung langsam in Luft auflöste oder ob sie wieder an Aufwind gewann. In Harukas Augen ging es in erster Linie davon ab, die Konoha nun gegen die Missstände vorging.

Jedenfalls würde Ayato Kirishima als zweiundzwanzigjähriges Mastermind in die Geschichte eingehen, dass die Stadt in ihrem Fundament erschüttert hatte. Und heute war Haruka der Überzeugung, dass Ayato der Grund für die in Bewegung gekommene Regierung war. Ein tragisches Schicksal, dass sie in eben diesem Moment niederzuschreiben versuchte. Ayato Kirishima war der Inhalt ihrer nächsten Reportage und die Recherchearbeiten dazu hatten viel Zeit gekostet. Es schien, als wäre er aus dem Nichts aufgetaucht, doch nach einem längeren Telefonat mit Sasuke Uchiha hatte sie etwas über seine Hintergründe erfahren. Vielleicht würde sie diese Reportage irgendwann zu ihrer Zufriedenheit fertigstellen und den diese besondere Figur in all ihren Facetten beleuchten können.

Crow der Teufel. Crow der Mörder. Crow der Rebell. Crow der Revolutionär?

Noch wusste sie nicht, wie sie diesen jungen Mann post mortem betiteln wollte. Aber für diesen Entscheid hatte sie ja noch Zeit.

Sie schloss seufzend das Dokument und schaltete den Computer aus. Sie lebten in aufregenden Zeiten und die Stadt erholte sich noch immer von ihrem Schock. Und doch wusste Haruka tief drinnen, dass Konoha erst am Anfang einer grossen Reise stand. Eine Reise, die sie alle verändert hatte und weiter verändert würde.

Sie betätigte den Lichtschalter und das Büro lag im Dunkeln. Sie würde sich morgen wieder der Zukunft widmen.

 

Kakashi Hatake, 12. Dezember

 

Shoto Murakami sah aus, als würde er seinen Sohn gerne auf der Stelle in der Luft zerreissen. Zu seinem Leidwesen war er aufgrund der Polizeipräsenz im Gerichtssaal nicht in der Lage, sich dem jungen Mann im Zeugenstand zu nähern, der soeben jede Anklage gegen ihn bestätigte. Damit hatte der Bankenmogul nicht gerechnet.

Doch Ryuji stand da, mit durchgedrücktem Rückgrat und überzeugender Präsenz. Es hatte lange gedauert, bis sie sich zusammen mit den Staatsanwälten eine Strategie zurechtgelegt hatten. Hatake glaubte aber, dass Ryuji die vielen Gespräche mit Sakura gutgetan hatten. Sie war wohl die einzige, mit der er sich richtig über seinen Bruder unterhalten konnte.

Sakura sass auf ihrer Bank und hatte einen besonderen Ausdruck im Gesicht. Auf diesen Moment hatte sie lange gewartet, das sah man ihr an.

Es brauchte keinen Experten, um den Ausgang dieser Verhandlung und das Urteil vorauszusagen. Die Anklageliste war lang und reichte von den Verbrechen innerhalb seines Hauses bis hin zu all den zwielichtigen Orten, an die seine Millionen geflossen waren. Der Prozess zu all diesen Klagen würde noch mehrere Tage dauern. Aber den häuslichen Teil würden sie heute erledigen.

Murakami schäumte vor Wut, als die Verhandlung beendet war. Als er in Begleitung seiner Anwälte an ihnen vorbeiging fauchte er Ryuji noch zu: «Du wirst alles verlieren, das schwöre ich dir!»

Ryujis Hand zitterte, aber er blieb standhaft und sagte nichts. Sakura stellte sich neben ihn und meinte nur: «Wenn ich Sie wäre, würde ich den Mund nicht zu voll nehmen.»

«Miststück!», bellte der gefallene Grossbankier noch, bevor seine Anwälte ihn endlich dazu brachten, zu schweigen. Ausserhalb des Saals wurde er von einem unangenehmen Blitzlichtgewitter empfangen.

«Gut gemacht, ihr beiden», lobte Hatake und klopfte ihnen auf die Schulter. «Ich denke mal, dass es gut aussieht.»

Ryuji schien sich immer noch in seinem ganz eigenen Film zu befinden. Wohl zum ersten Mal in seinem Leben hatte er gegen seinen Vater aufbegehrt. Und wie er das getan hatte.

Auch Sakuras Gedanken schienen noch an einem ganz anderen Ort zu verharren. Der Gerichtsbeschluss würde in einer Woche erfolgen. Doch Hatake war guten Mutes.

 

Sakura, 24. Dezember

 

Kurama-Weihnachten war immer eines der schönsten Ereignisse im Jahr. Es waren diese ganz besonderen Tage, an denen sie das HQ zu einer kuschligen Höhle mit Kerzen, Dekoration und einem wunderbaren Weihnachtsbaum umwandelten. Die Stimmung war immer ganz besonders gut, wenn die Düfte von Chojis Leckereien den Aufenthaltsraum erfüllten und sie in eine kleine heile Welt transportierten, die sie sich selber schufen.

Es kam ihr vor, als wäre ihr letzter Besuch im HQ in einem anderen Leben gewesen. Sie klopfte dreimal kurz, einmal lang und wieder zweimal kurz an die Tür. Sprach ihren Namen in das Funkgerät dahinter und betrat den Aufenthaltsraum, wo ihr sogleich freudige Begrüssungen, untermalt von altbekannter Weihnachtsmusik aus dem Radio entgegenschwangen. Ihre Krücken war sie Gott sei Dank vor zwei Wochen losgeworden. Intensive Physiotherapie und Training hatten ihr geholfen, wieder richtig gehen zu können, auch wenn ihr Bein immer noch sehr schnell ermüdete. Die vernarbte Einschusswunde an der Rückseite ihres Beins würde sie nie mehr loswerden.

Kiba balancierte auf der wackligen Leiter und versuchte, den abgewetzten Stern auf die Spitze des Tannenbaumes zu setzen. Tenten kam herbeigeeilt, um die Leiter von unten zu stabilisieren, damit Kiba nicht in hohem Bogen mitsamt der Tanne auf den Boden segelte.

«Ich sagte, du sollst warten!», schimpfte sie, doch Kiba hatte vor lauter Konzentration kaum bemerkt, auf welch wackligem Fundament er stand.

«Ta-da!», rief er, als er den Stern an seinen Platz gebracht hatte. «Sieht doch wunderbar aus.»

Tenten schüttelte nur den Kopf und tätschelte Akamaru, der neben der Leiter in freudiger Erwartung auf seinen Besitzer wartete. «Dein Herrchen bricht sich irgendwann noch den Hals und was machen wir dann mit dir, Süsser?»

«Hey Kiba, die mit den neun Leben sind die Katzen, das weisst du schon oder? Nicht die Hunde», kommentierte Neji die Szene vom Sofa aus.

«Es gibt halt Menschen, die wollen hoch hinaus, okay?», meinte Kiba nur und stieg die Leiter nach vollendetem Werk wieder hinunter. «Ich weiss, dass du das nicht verstehst. Kleingeister bleiben halt auf dem Boden.»

Sakura grinste in sich hinein. Immer wieder köstlich die beiden. Im hinteren Teil des Raumes machte Lee Krafttraining und Temari und Gaara spielten irgendein Rennspiel auf der Konsole. Sie wollte jetzt nicht daran denken, dass der dritte im Bunde der Sabakunos fehlte – das erste Weihnachten ohne Kankuro.

Shikamaru stiess von den Schlafräumen her zu ihnen und war offensichtlich gerade dem Bett entstiegen. Er begrüsste sie gähnend und fläzte sich auf eines der anderen Sofas.

«Saku!» Ino kam aus der Küche und wischte sich die mehligen Hände an ihrer Schürze ab. «Kannst du mir mal helfen? Ich muss die letzte Ladung Kekse machen, sonst komme ich in Zeitverzug!»

Sakura liess sich nicht zweimal bitten. Sie liebte alles, was mit Weihnachten zu tun hatte und das Backen war eine ihrer grössten Freuden. Währenddem sie also mit Ino und Sai in zügigem Tempo mit den Förmchen (darunter vier verschiedene Fuchs-Versionen) den Teig ausstachen, bestrichen und ein Blech nach dem anderen in den Ofen schoben, erzählte Ino von ihrer Mutter. Choji war unterdessen dabei, das Festmahl für heute Abend zuzubereiten.

Tatsächlich hatte Mrs. Yamanaka ihrem Mann den Laufpass gegeben und sich eine Wohnung gesucht, in der nun auch Ino seit Anfang Monat lebte. Für sie war es eine grosse, aber willkommene Umstellung gewesen. Unwillkürlich musste Sakura an Hitomi Murakami denken. Natürlich war Mrs. Yamankas Situation nicht direkt mit der Hölle zu vergleichen, die Mrs. Murakami durchgemacht hatte. Aber es war schön zu sehen, dass sich Inos Mutter hatte freistrampeln können, bevor Schlimmeres passiert war. Tatsächlich hatte sie auch ihre Essstörung inzwischen sehr viel besser im Griff.

«Gerade heute stand in der Zeitung, dass der alte Murakami sich immer noch gegen den Gerichtsbeschluss aufbegehrt. Er hat ein Beschwerdeverfahren am Laufen, laut Experten sei es aber ziemlich aussichtslos», meinte Ino, als ihr Sakura von ihrem Vergleich zwischen den beiden Frauen erzählte. «Ich will ja nicht die Stimmung drücken, Saku, aber der Gedanke drängt sich auf, was hätte sein können, wenn man eher gegen dieses Monster vorgegangen wäre. Aber jetzt hat er wenigstens viele lange und zähe Jahre hinter Gittern vor sich.»

Sakura nickte in vollem Verständnis. Diese Frage hatte sie in den vergangenen Monaten zur Genüge immer und immer wieder in ihrem Kopf gewälzt. Sie hatte lange mit ihrem Psychologen daran gearbeitet und war nach sehr langen und intensiven Gesprächen zum Schluss gekommen, dass sich die Vergangenheit nicht ändern liess, auch wenn man noch so sehr an ihr herumstudierte. Das «Was-wäre-wenn» beschäftigte sie oft, aber inzwischen war sie besser in der Lage, es zu bremsen und sich selber wieder in die Realität zurückzuholen. Sie hatte so etwas wie eine Stabilität erlangt, auch wenn sie die Dämonen der vergangenen Erlebnisse und die Trauer immer wieder einzuholen vermochten. Und sie hatte sich damit abgefunden, dass sie diese nie ganz loswerden würde, aber vielleicht einen Weg finden konnte, damit zu leben. Ihr Umfeld und ihr Psychologe hatten ihr eine Strickleiter in ihr tiefes Loch, ihre Depression, hinuntergeworfen und jeden Tag nahm sie wieder eine neue Sprosse in der Hoffnung, irgendwann oben anzukommen.

«Hey ihr Lieben!», ertönte es aus dem Kücheneingang. Hinata war da. Die Mädchen fielen einander trotz teigigen und mehligen Fingern in die Arme und drückten sich. Sie hatten sich seit fast zwei Monaten nicht mehr gesehen, nur geschrieben oder telefoniert selbst das selten. Hinata hatte eine stationäre Therapie in einer psychiatrischen Klinik hinter sich, den sie selber verlangt hatte. Verkündet hatte sie es nach einer gemeinsamen Aussprache mit den anderen Kuramas. Und wenn sich Sakura nicht täuschte, sah sie richtig gut aus. Sie hatte einen gesunden Teint, einen wachen Blick und wenn sie sich nicht täuschte ein breites Lächeln der Vorfreude auf ihrem Gesicht. Der Grund dafür würde in Kürze durch die Tore des HQs treten.

Hinata klinkte sich in die Keks-Backerei ein und erzählte ihnen vieles aus den vergangenen Wochen. Anscheinend waren sie, ihr Vater und Hanabi wieder zu einer richtigen Einheit zusammengewachsen, nachdem sie mehrere Jahre lang aneinander vorbeigelebt hatten – zumindest der Vater an seinen Töchtern. Und das war doch eine wirklich positive Entwicklung in all der Misere. Hanabi ging inzwischen auch wieder ganz normal zur Schule und schien sich einigermassen erholt zu haben, soweit das halt möglich war.

Ausserhalb der Küche wurden Stimmen laut, was wohl die Ankunft des einzig wahren Rückkehrers verkündete. Hinata war sofort beim Waschbecken und spülte sich in unglaublicher Hektik die Hände sauber, sodass die anderen nicht anders konnten, als zu lachen.

«Zu deiner Freude darf ich verkünden, dass er länger als fünf Minuten hier sein wird, Hina», rief ihr Ino hinterher, doch konnte sie kaum ihre eigene Freude über Hinatas wieder aufgeglommene Lebensfreude verbergen.

«Dann lass uns den verschollenen Sohn auch mal begrüssen», meinte Sai und schob Ino spielerisch in Richtung des Spülbeckens. Sakura beobachtete die beiden schon eine ganze Weile. Sie schienen enger miteinander zu sein, als noch vor der Schlacht. Was es daraus wohl geben mochte?

Sakura ihrerseits knabberte etwas vom übriggebliebenen Teig und sammelte dann alle Förmchen ein, um sie in einem Becken mit Wasser einzulegen.

«Sag mal Sakura, was ist denn mit den beiden los?», fragte Choji interessiert, als Ino und Sai die Küche verlassen hatten.

Sakura setzte eine verschwörerische Miene auf. «Ich glaube, das werden wir in nicht allzu langer Zeit erfahren», flüsterte sie ihm zu und er lachte.

Naruto war zurück, nach den letzten Monaten in der JVA Konohagakure. Jiraiya hatte ihn heute direkt von dort abgeholt. Big Fox war wieder bei seinen Füchsen und das zauberte ein lang vermisstes Strahlen auf sein Gesicht. Als Sakura aus der Küche hinaustrat, schloss er gerade Hinata in seine Arme, was die Kuramas dazu verleitete, in einen scherzhaften Beifall auszubrechen – hatte ja auch lange genug gedauert, bis die zwei sich endlich gefunden hatten. Naruto grinste nur noch breiter.

Es war ein herzlicher Empfang für den Leader und Sakura liess ihn zuerst noch ein wenig ein Bad in seinen Leuten nehmen. Sie hatte ja mehr als genug Zeit, um ihn zu begrüssen.

«Na, Mäuschen?», hörte sie auf einmal ihre Tante neben sich sagen. Sakura hatte in all dem Trubel gar nicht bemerkt, dass auch Tsunade eingetroffen war, gemeinsam mit Shizune. «Fast wie in den alten Zeiten, was?»

Sakura drückte ihre Tante zur Begrüssung. Sie hatte sie heute noch gar nicht gesehen. «Man könnte es meinen.» Sie lächelte. «Mama hat übrigens noch geschrieben. Sie hat ihre Wohnung jetzt einigermassen eingerichtet. Und sie freut sich auf morgen.»

Tsunade legte ihrer Nichte einen Arm um die Schulter. «Ich freue mich auch. Das wird für uns alle ein Neuanfang.»

Ihre Mutter hatte Tsunade und sie am Weihnachtsmorgen zum Brunch eingeladen. Die letzten Monate waren auch für sie und ihre Mutter eine heilsame Zeit gewesen. Sakura konnte sich gar nicht mehr erinnern, wann sie in ihrem Leben zum letzten Mal so viel Sorge von ihrer Mutter erfahren hatte. Fast jeden Tag hatte sie eine SMS von ihr auf dem Handy oder sie rief sogar an. Ihre Unterhaltungen hatten an Steife verloren und an Inhalt gewonnen. Einmal hatten sie sogar ein langes Gespräch über ihren Vater geführt, der sich vor Kurzem erst wieder bei Mebuki gemeldet hatte. Anscheinend lebte er im Ausland und hatte erst verspätet mitbekommen, was in Konoha passiert war – und was mit seiner Tochter passiert war. Entsprechend hatte er Mebuki ausfindig gemacht.

Ihre Mutter hatte nie so genau gesagt, was das mit ihr machte. Aber Sakura war nicht blind und hatte sofort gesehen, wie alte Wunden aufgerissen worden waren. Wer weiss, vielleicht war es heilsam, wenn sie die Gelegenheit bekam, sich mit ihm auszusprechen.

Aber das sollte sie jetzt nicht kümmern. Die Zukunft würde Zukunft bleiben, bis sie sie lebten. Ihr Vater war für sie nur noch ein verschwommenes Bild. Sie hatte gelernt, ohne einen Vater zu leben. Was auch immer die Zukunft in dieser Hinsicht brachte, sie würde es auf sich zukommen lassen.

«Ich freue mich auch», sagte Sakura und meinte es so. Inzwischen gab es wieder Dinge, auf die sie sich freute. Einige sogar.

«Hey Sakura!», rief Naruto auf einmal. «Ignorierst du mich?»

Sakura lachte laut aus. «Sag mal, hast du noch nicht genug Aufmerksamkeit?»

Er kam auf sie zu und umarmte sie. Meine Güte, es war lange her. Es kam ihr vor, als wäre ihre letzte Umarmung Lichtjahre her.

«Wie geht es dir denn?», fragte er. 

«Besser. Wirklich. Aber eigentlich muss ich das ja wohl dich fragen?»

«Knast überstanden!» Er reckte triumphierend das Kinn in die Höhe. «Jetzt werde ich Soldat.» Ihm schien etwas einzufallen. «Ach ja, Grüsse von Demon.»

«Danke dir.» Zwischen den beiden hatte sich definitiv so etwas wie eine Freundschaft entwickelt. Es war das falsche Wort, aber ihr viel kein besseres ein. Freundschaftliche Rivalität vielleicht? Eigentlich war es auch egal. «Es ist schon verrückt, nicht? Vor einem Jahr hätten wir uns wohl nie ausgemalt, wo wir heute stehen…»

Er nickte. «Du sagst es. Ehrlich gesagt kann ich es gar noch nicht fassen. Es ging alles so schnell. Nicht, dass ich mich beschweren will.»

«Ich weiss schon, was du meinst. Aber ich glaube, wir sind auf gutem Weg.»

«Das glaube ich auch», sagte er lachend. «Vielleicht ist das endlich das Ende unserer Sackgasse. Zumindest sehe ich jetzt so etwas sie eine Zukunft für uns. Eine, die sich nicht auf der Strasse abspielt.»

Es war ein schöner Gedanke. Fast zu schön, um wahr zu sein. Aber diese Hoffnung hegten sie alle. Vielleicht waren die Opfer des vergangenen Jahres nicht umsonst gewesen.

«Ach und ich wollte dir noch gratulieren.»

«Wozu?», fragte sie verwundert.

«Zu Murakamis Verurteilung. Der Typ kriegt was er verdient. Und zwanzig Jahre Gefängnis sind kein Zuckerschlecken, lass dir das von einem ehemaligen Häftling gesagt sein, der es nur kurz hinter Gittern ausgehalten hat.»

Das Thema löste bei ihr immer wieder eine bestimmte Ambivalenz aus. Ja, es war gerecht, dass Murakami bekommen hatte, was er verdiente. Andererseits fühlte es sich auch irgendwie komisch an, daran beteiligt zu sein, jemanden ins Gefängnis zu bringen. Es war wohl, das was Sasuke damals an der Trauerfeier gemeint hatte. Sie würde dieses Ziel anstreben und nun, da sie es erreicht hatte, fühlte sie sich seltsam leer. Zurück blieb jetzt nur noch die Trauer um Yohei und keine Möglichkeit, noch aktiv etwas zu verändern. Das Gefühl des Triumphs war schnell verraucht und einer trockenen Nüchternheit gewichen. Und das erzählte sie Naruto genauso.

«Kann ich mir vorstellen. Mann, Cherry, du hast echt etwas geleistet im letzten Jahr. Ich weiss nicht, ob alles so gekommen wäre, wenn du nicht gewesen wärst.»

«War das alles denn etwas Gutes? Wenn ich zurückblicke sehe ich irgendwie nur Trauriges, Schweres. Besonders die vielen Opfer… ich weiss nicht.»

«Aber wenn du nach vorne blickst, siehst du Gutes, oder? Ich meine, stellen wir uns mal vor, wir hätten die Riots einfach über die Stadt walzen lassen. Dann würden wir jetzt bestimmt nicht viel Zukunft vor uns sehen. Zumal die Riots uns so oder so angegriffen hätten. Der Krieg war schon länger unausweichlich, als wir zurückdenken konnten. Er war unausweichlich von dem Moment an, als Crow den Entschluss gefasst hat, seine Mission durchzuziehen. Die Zusammenarbeit mit den Cops war für uns ein einziger Vorteil. Und den hast du uns beschert.»

«Na, nicht nur ich. Es war in erster Linie Hatake.»

Naruto schmunzelte. «Du kannst mir erzählen was du willst. Du warst es. Ganz einfach.»

Er legte ihr die Hand auf die Schulter. «Also Kopf hoch. Die Vergangenheit in Ehren halten, aber die Zukunft dabei nicht vergessen. Machen wir das so?»

«Lass es und versuchen.»

«Wunderbar. Frohe Weihnachten, Cherry» Er legte ihr einen Arm um die Schultern und zog sie wieder inmitten eines Haufens voller ausgelassener Kuramas.

Das Weihnachtsfest erlebte sie dieses Jahr auf eine ganz andere, soviel dankbarere Weise als in den Vorjahren. Sie waren noch vertrauter als vorher und es fühlte sich an, als wären sie nach langer Zeit endlich wieder als Familie vereint. Sie überreichten sich wie jedes Jahr unter Kibas wunderbarem Baum kleine Geschenke, sie assen dank Choji wie die Könige und konnten auf jene anstossen, die dieses Weihnachten nicht mehr erleben konnte. Sie erzählten sich Geschichten, Erlebnisse aus der vergangenen Zeit, doch der Krieg wurde so weit wie möglich aussenvor gelassen. Ihre Erlebnisse auf dem Schlachtfeld hatten sie schon vor längerer Zeit miteinander ausgetauscht, zumal jeder besonders diese entscheidende Nacht aus einer ganz anderen Perspektive erlebt hatte. Also liessen sie es sich einfach bei gutem Essen und vor allem leckeren Weihnachtskeksen gut gehen, ohne trübsinnige Gedanken.

Sie fühlte sich zum ersten Mal seit langer Zeit wieder erfüllt. Nur jemand fehlte. Und als ob er ihre Gedanken aus der Ferne hätte lesen können, summte das Handy in ihrer Hosentasche.

 

Wenn du dich in die Kälte raustraust… der Glühwein geht dieses Jahr auf mich.

S.

 

Sakuras Herz begann wie wild zu klopfen und unwillkürlich fragte sie sich, ob das auch irgendwann aufhören würde. Nicht dass es sie störte.

Sie sprang auf und sogleich lachte Naruto los. «Warum habe ich damit gerechnet?»

Sakura schaute etwas schuldbewusst in die Runde, doch die anderen schienen nicht im Geringsten sauer zu sein. Das war schon der zweite Weihnachtsabend, an dem sie sie verlassen würde. Nur war dieses Jahr alles anders.

«Nehmt ihr mir das jetzt übel?»

Die anderen lachten nur und winkten ab.

«Ich bitte dich, geh schon», meinte Termari auffordernd, mit einem wissenden Lächeln im Gesicht.

«Wir sehen uns, Cherry», sagte Lee.

«Dass du mir auch zeitig nach Hause kommst», sagte Naruto mit erhobenem Finger und einem breiten Grinsen auf dem Gesicht.

Sasuke hatte bei den Kuramas ganz schön an Respekt gewonnen. Das lag wohl in erster Linie an der Gesamtsituation und dem neuerdings eher entspannten Verhältnis zu Naruto. Aber auch seine Leistung in der Schlacht hatte wohl einigen ganz schön Eindruck gemacht. Und sie schloss auch nicht aus, dass viele von ihnen Sasukes echte und ehrliche Besorgnis um sie wahrgenommen hatten, als sie im Präkoma gelegen hatte.

Jetzt hatte sie genau ein Ziel. Es war keine Frage, wo sie sich treffen würden.
 

Der Friedhof lag still und andächtig da. Heute schienen viele Leute noch an den Gräbern gewesen zu sein, denn überall brannten Kerzen die versuchten, in der Kälte ein wenig Wärme zu spenden. Der Himmel war schon den ganzen Tag wolkenverhangen gewesen und bei diesen eisigen Temperaturen machte er Hoffnung auf den ersten Schnee des Jahres.

Auch dieses Jahr waren die Strassen wieder belebt. Konoha war aufgewacht aus seinem tiefen Schlaf, den die Riots und der Krieg bewirkt hatten und es schien, als pendle sich alles langsam aber sicher wieder etwas ein.

Sie ging den allzu vertrauten Weg über die kleinen Pfade zwischen den Gräbern hindurch in die Ecke, in dem die Gangmitglieder der Takas ruhten. Sie sah ihn schon von Weitem im Schein der Kerzen, die er auf dem Grab seines Bruders entzündet hatte. Er sass auf dem kalten Boden vor dem Grab und betrachtete es, ganz in seiner eigenen Welt. Als sie näherkam, entdeckte sie auch die zwei dampfenden Pappbecher auf dem Boden und musste unwillkürlich schmunzeln.

Er hatte sie längst bemerkt, da war sie sich sicher, aber er liess sie in Ruhe nähertreten. Sie hatte ihn im Gefängnis zweimal besucht. Sie erinnerte sich, wie wütend es sie gemacht hatte, dass er in dieser orangen Häftlingskluft mit Schwerverbrechern gleichgesetzt worden war. Sasuke hatte das weniger ausgemacht und gemeint, er wäre eigentlich auch ein Verbrecher. Sakura war damit nicht einverstanden, das Gesetz schon. Und es spielte keine Rolle, was sie davon hielt.

Hier war er nun, mit seiner schwarzen Jacke und seiner ebenso schwarzen Mütze auf dem Kopf. Wieder zurück in seiner Farbe. Es war ein wohltuender Anblick.

Er erhob sich langsam, öffnete seine Arme ein wenig, wie eine Einladung, die sie noch so gerne annahm. Sie liess sich in seine Arme fallen, liess sich drücken, halten, streicheln, sog ihn auf, seinen Geruch, den Moment. Die Distanz zu ihm war schwierig gewesen. Nach ihrer Meinungsverschiedenheit an der Trauerfeier hatte sie sich ziemlich schnell telefonisch bei ihm entschuldigt. Das war gut gewesen, doch irgendwie hatte die ganze Situation es schwieriger gemacht, wieder richtig zueinanderzufinden. Das alles schien jetzt banal, absolut irrelevant. Sie wanderte mit ihren Lippen an seinem Hals entlang nach oben und küsste ihn auf die kühle Wange. Einmal, zweimal. Dann tastete sie sich zu seinem Mund vor.

Sein Griff um ihre Taille verstärke sich und sie liess sich mitnehmen von diesem unbeschreiblichen Gefühl, das ihr so furchtbar gefehlt hatte in den letzten Monaten. Sie legte ihre Hände an seine Wangen, streichelte seine Haut, liess ihre Finger durch seine weichen Haarsträhnen gleiten.

«Ich liebe dich», flüsterte sie, die Augen immer noch geschlossen, die Lippen nur wenige Millimeter von seinen entfernt.

«Ich liebe dich auch. Danke, dass du gekommen bist.»

Sie lösten sich voneinander und er drückte ihr sogleich den warmen Becher in die Hand.

«Nicht, dass du noch einfrierst.»

Sakura nahm dankend einen Schluck und liess sich von innen aufwärmen. Ihr Blick wanderte zu Itachis Holzkreuz. Nun war es über ein Jahr her, dass Itachi an der DD-Area gestorben war. Sie kam nicht umhin sich zu fragen, wie das vergangene Jahr mit Itachi ausgesehen hätte. Ob er sich auch entschieden hätte, Soldat zu werden?

Sasuke schien Ähnliches durch den Kopf zu gehen, so wie er das Kreuz betrachtete.

«Ich bin sicher, er wäre unglaublich stolz auf dich», flüsterte sie und drückte seine Hand. Er nickte. Vor einem Jahr hatte er kaum ein Wort über die Lippen gebracht. Jetzt sagte er mit belegter Stimme: «Ich hoffe es.»

Sie setzten sich beide auf den Boden und nippten stumm an ihrem Glühwein. Es war kein Moment, der viele Worte brauchte. Sie feierten still mit den Verstorbenen das diesjährige Weihnachten.

Sakura kitzelte nach geraumer Zeit etwas an der Nase und ein Blick zum Himmel verriet auch, was es war.

«Jetzt schneit es doch noch, sieh», sagte sie leise. Einige der sanften Flöckchen hatten sich bereits auf seinen Haarsträhnen niedergelassen, die unter der Mütze hervorragten. Er schloss die Augen und schien den Moment zu geniessen.

«Hattet ihr einen schönen Heiligabend?» fragte sie lehnte ihren Kopf gegen seine Schulter. «Ich weiss ja, dass du die Weihnachtszeit nicht besonders magst.»

Er schüttelte den Kopf «Dieses Jahr ist eh alles anders. Und es war wirklich schön. Ein wenig Normalität in der ganzen Scheisse, weisst du? Und letztes Jahr haben wir ja nicht wirklich gefeiert… wegen Itachi. Aber heute war sogar Deidara da.»

«Wie geht es ihm?»

«Nicht gut.» Sasuke klang bedrückt. «Der Typ ist ein wenig wie unsere Batterie. Der hat Energie für eine ganze Gang. Er steckt das mit dem Auge sehr schlecht weg. Heute habe ich ihn zum ersten Mal wieder lächeln sehen. Dabei war er früher immer derjenige, mit den lockeren Sprüchen und den dämlichen Ideen.»

«Es tut mir so leid. Ich mag ihn wirklich, gerade weil er eben ist wie er ist. Er macht viele Sprüche und provoziert gerne, aber er strahlt auch so viel Lebensenergie aus. Er ist einfach durch und durch Taka.»

Sasuke seufzte. «Das stimmt. Aber Hotaru kümmert sich gut um ihn. Und er wäre nicht Deidara, wenn er aus dieser Situation nicht irgendetwas Gutes machen könnte. Er ist wahnsinnig widerstandsfähig und ich glaube, dass er nur Zeit braucht. Nur das Militär ist für ihn mit dieser Einschränkung gelaufen.»

«Wollte er es denn?»

«Ich glaube, er denkt da nicht zu sehr darüber nach. Der Vorschlag kam ja erst, als er die Verletzung schon hatte. Aber Hatake ist drauf und dran, andere Wege zu finden, wie er uns wieder unter die normalen Menschen bringen kann. Und Deidara steckt voller Überraschungen. Er hat jetzt auch wieder mit dem sprayen begonnen, wie ein Verbissener sage ich dir. Es fällt ihm schwerer mit nur noch einem Auge, aber bei dem Talent wird das nicht lange gehen, bis er wieder sprayt wie zuvor. Hatake hat ihn schon angefragt, ob er nicht eine Art Denkmal-Graffiti für die Gangs kreieren will.»

«Das muss er einfach.» Sakura erinnerte sich nur zu gut an das eindrückliche Schlangengraffiti im Taka-HQ. Deidara hatte ein riesiges Talent.

«Was meinst du…», fragte er nach einem weiteren angenehmen Moment des Schweigens «Wo wir wohl in einigen Jahren stehen werden?»

Sie überlegte. «Ich weiss es nicht. Aber hoffentlich zusammen.»

Ein Anflug eines Lächelns auf seinem Gesicht. «Das würde ich mir wünschen.»

«Vielleicht beginnen wir besser anders. Was willst du in den nächsten Jahren alles machen?», stellte sie nun die weiterführende Frage.

«Also erst muss ich die Rekrutenschule machen… dann will ich Polizist werden, wenn sie mich wollen. Und dazwischen?» Er kratze sich am Kopf. «Ami, Haru und die Kinder sehen. Ganz oft hier auf den Friedhof kommen, um Itachi, Karin und die anderen zu besuchen. Und natürlich bei dir sein.» Er drückte ihr einen Kuss aufs Haar. «Einfach in Ruhe leben, denke ich. Und du?»

Sie schüttelte den Kopf. «Keine Ahnung. Ganz bestimmt werde ich auch viel hier sein. Und auf dem Friedhof, wo Yohei begraben liegt… ich verdanke ihm mein Leben.» Sie dachte nach. «Und sonst… etwas studieren, glaube ich. Vielleicht gehe ich in dieselbe Richtung wie Ami. Ich hatte gar keine Zeit, mir darüber grosse Gedanken zu machen. Vielleicht einmal ausziehen, wenn ich einen Job finde, den ich neben dem Studium machen kann. Dann könntest du an deinen freien Tagen zu mir kommen.»

Die Idee schien ihm zu gefallen. «Ich würde gerne mit dir zusammenwohnen. Wenn ich dann mal was verdiene.»

Sie kuschelte sich noch näher an ihn. «Na, dann haben wir doch einen Plan.»

«Bist du dir sicher?», fragte er auf einmal und in seiner Stimme schwang etwas Verletzliches mit.

«Natürlich. Warum nicht?»

Er schien nach den richtigen Worten zu suchen und meinte dann leise. «Ich war im Knast viel bei meiner Psychologin, Naomi. Leider ist es wirklich so, dass ich nicht so stabil bin, wie ich es sein sollte. Da gibt es so ein paar Sachen…»

«Alkohol?»

Er stockte kurz und nickte daraufhin bekennend. «Ich habe diese Neigung… unter Stress oder wenn es mir schlecht geht, dann trinke ich einfach immer noch zu viel. Aber ich arbeite daran.»

«Das weiss ich, Sasuke. Du musst dich dafür nicht schämen.»

«Ich dachte nur, wegen deiner Erfahrungen mit deinem Vater…»

«Du brauchst dir keine Sorgen zu machen. Arbeite einfach weiter an dir. Ich werde dir helfen, so gut ich kann. Und ich glaube, die Zeit im Militär wird dir dabei helfen.»

«Das glaube ich auch. Aber da sind noch mehr Sachen. Aggressionen, Stimmungsschwankungen…»

Sie legte ihre Hand an sein Gesicht und drehte seinen Kopf in ihre Richtung, sodass er sie ansehen musste. «Ich bin nicht so naiv, wie alle immer denken, Sasuke. Ich weiss, wer du bist. Und ich liebe dich. Deshalb ändert das nichts an meiner Sicht der Dinge.» Sie senkte den Blick. «Mach dich bitte nicht kleiner als du bist. Ich bin übrigens auch nicht besonders stabil im Moment. Versuchen wir doch einfach, gemeinsam zu wachsen und zu sehen, wo uns das hinführt. Okay?»

Er nickte, Erleichterung in den Augen. «Einverstanden.» Er beugte sich zu ihr und küsste sie auf den Mund. «Manchmal frage ich mich wirklich, womit ich dich verdient habe.»

«Vielleicht verdienen wir einfach einander.» Sie lehnte sich wieder gegen ihn und betrachtete die tanzenden Flämmchen der Kerzen und Teelichter auf Itachis Grab, die den geflügelten Taka-Falken auf dem Kreuz erhellten. Sie liessen ich erfüllen von der friedlichen Atmosphäre, der versöhnlichen Stille in dieser Gedenkstätte. Fast fühlte es sich an, als wären Itachi, Karin, Kankuro, Yohei, Sora und all die anderen ganz nahe bei ihnen.

«Was meinst du, wollen wir noch Karin und Kankuro besuchen?», fragte er auf einmal, als hätte er ihre Gedanken gelesen.

«Unbedingt.»

Er stand auf und half ihr mit Leichtigkeit auf die Beine. Karins Grab lag nur wenige Meter von Itachis entfernt. Es war wunderschön geschmückt und es gab sogar ein eingerahmtes Foto von ihr, mit ihrer wilden roten Mähne und dem feurigen Blick.

«Jetzt, wo sie nicht mehr da ist, musst du mir vielleicht ab und an die Leviten lesen», murmelte er gedankenverloren und sie lachte leise.

«Das konnte sie besser als jede andere, was?»

«Du sagst es. Es ist nicht mehr dasselbe ohne sie. Wenn Deidara ein perfekter Taka war, dann war sie die perfekte Taka.»

«Und wie.» Sakura kämpfte wieder gegen einen Anflug tiefer Traurigkeit und gegen die Gedanken daran, was hätte sein können, wenn Karin den Krieg überlebt hätte. Und sie konnte nicht mehr, als den Opfern des Krieges für das dankbar sein, was sie geleistet hatten. Und für die Zeit, die sie zusammen hatten verbringen können. Aber es war so verflucht schwer. Sie wischte sich verstohlen über die Augen, als ihr einige Wege weiter nun auch noch Kankuros breites Grinsen von einem eingerahmten Bild auf seinem Grab entgegenschien.

Sasuke nahm sie in den Arm, liess sie weinen. In solchen Momenten überkam Sakura die Trauer einfach und es wurde ihr unmöglich, sich noch dagegen zu wehren. Und wie immer kam in ihr diese eine Frage auf: Warum um Himmels Willen war das alles passiert?

Sakura kannte diese Art von Gefühlsausbruch bestens. Es brauchte jeweils einige Zeit, bis sie sich wieder fasst und so war es auch heute. Als sie mit Sasuke in Richtung Friedhofsausgang ging, hatte sich ihre Trauer wieder soweit zurückgestellt, dass sie wieder klar denken konnte.

Am Ausgang stand Sasukes schwarze Yamaha. Sie war ihr auf dem Hinweg gar nicht aufgefallen, so voller Vorfreude war sie gewesen.

«Hast du Lust, noch ins Taka-HQ zu kommen?»

«Und wie», hauchte sie, bevor sie noch einmal herzhaft in ein Taschentuch schnäuzte.

Er bedachte sie mit einem liebevollen Blick. «Das dürfte inzwischen auch wesentlich unkontroverser gehandhabt werden als noch vor einigen Monaten. Und weisst du was? Du musst keine Augenbinde mehr tragen.»

Sie musste unwillkürlich lachen. Ja, es hatte sich so vieles verändert. Jetzt durfte sie ins Taka-HQ, würde sogar endlich erfahren, wo es sich befand. Noch vor einem Jahr waren ihre Gangs spinnefeind gewesen. Ihr Auftauchen dort war meistens mit Missgunst versehen gewesen.

Sasuke schwang sich auf seine Maschine. Wie hatte sie es vermisst, mit ihm zu fahren. So oft hatten sie das nun schon gemacht, doch immer wieder freute sie sich wie ein kleines Kind darauf. Er sah sie auffordernd an. «Keine Angst, ich bin nicht eingerostet im Knast. Hatte ja schon ein wenig Bedenken, aber da ging vorhin alles wie durch Butter.»

Sie lachte und schwang sich hinter ihm auf die Maschine, schlang ihre Arme um ihn und vergrub ihr Gesicht an seiner Schulter. «Dass du mir bloss nie mit dem Motorradfahren aufhörst, ja?»

«Nie im Leben freiwillig», sagte er. «Wir werden vielleicht in naher Zukunft keine Gangs mehr sein, aber das biken wird uns wohl immer im Blut liegen. Glaubst gar nicht, wie sehr mir das im Knast gefehlt hat.»

Sie gab ihm einen Kuss auf die Wange. «Dann bin ich ja beruhigt.»

Er grinste sein wunderbares, freches Grinsen. Ihr allerliebstes. «Also dann, halt dich fest.»

Sie schloss ihre Arme noch einmal enger um ihn, als er den Motor startete und die Maschine unter ihnen zu arbeiten begann.

Er drückte aufs Gas und Sakuras Adrenalinpegel stieg, wie sie so durch das winterlich-nächtliche Konoha brausten. Noch konnte sich der Schnee nicht auf den Strassen festsetzen, Sasuke fuhr trotzdem mit grosser Vorsicht. Er war schon immer ein guter Lenker gewesen, das konnte sie mit all ihren Erfahrungswerten getrost sagen.

Die hohen Gebäude, die Leuchtreklamen und die Menschen zogen an ihnen vorbei. Es war kalt und der Wind drang durch ihre Kleider bis auf die Haut. Heute störte es sie nicht. Sie genoss einen Augenblick der Leichtigkeit und Zuversicht, gespickt mit sehnsüchtiger Nostalgie. Unwillkürlich machten ihre Gedanken eine Reise in vergangene Zeiten. Zu dem Tag, als sich ihr Leben verändert hatte. Die Strassenparty mit dem dämlichen DJ, dem sie wohl oder übel alles zu verdanken hatten. Die Blood Zone. Die schwierigen Auseinandersetzungen mit den Kuramas, weil sie es nicht geschafft hatte, ihre Beziehung zu Sasuke vor ihnen geheim zu halten. Sie erinnerte sich auch an den Tag, als sie vor dem Supermarkt in ihn hineingelaufen war. An dem Tag hatte es geregnet und sie hatten sich noch kaum gekannt. Wie sich Sasuke mit Naruto geprügelt hatte und wie er ihr bis in den Gold Park nachgelaufen war. Und dann hatte der Krieg zwischen den Takas und den Kuramas begonnen. Es hatte ihre noch so frische Beziehung auf eine harte Probe gestellt. Sie hatten sich im geheimen getroffen, oft in der Möbelfabrik im Little East. Und als sie von den Takas gekidnappt worden war, war ihre Welt zusammengebrochen. Aber auch das hatte sie schlussendlich nicht auseinandergebracht. Die passenden Stichworte waren hier wohl Fieber und Essigsocken. An diese Nacht, in der er so schlimm von Naruto verletzt worden war und stark aufgefiebert hatte, erinnerte sie sich nur zu gut. Damals war ihr klar geworden, wie viel er ihr trotz allem noch bedeutete. Und an der DD-Area hatte sie ohne nachzudenken Kopf und Kragen riskiert, um ihn von dem explodierenden Gebäude wegzubekommen. Er hatte sich revanchiert, indem er sie vor den Flammen geschützt hatte. Sie waren von dieser vermeintlichen Wiedervereinigung direkt in die nächste Katastrophe gelaufen, als ein überlebender Riot Itachi erschossen hatte. Und Sasuke in seiner Rage ohne zu zögern seine Waffe auf diesen Riot gerichtet und ihn erschossen hatte. Der Gedanke liess sie immer noch erschauern.

Wenn sie es sich genau überlegte, war ihre Geschichte bis jetzt ein einziges Verlieren und Wiederfinden gewesen. An Silvester hatten sie unter einem Feuerwerk wieder Schritte aufeinander zugemacht. Und von da an war es wieder ein Auf und Ab gewesen. Sie hatten ihr schlimmstes Tief erreicht, als er sie vor lauter Wut am Arm verletzt hatte. Damals war es für sie endgültig vorbei gewesen. Ihr gemeinsamer Ausflug nach Otogakure würde aber bis heute ihre schönste Erinnerung an ihre Zeit bleiben. In Oto hatte Sasuke sich mit seiner Vergangenheit konfrontiert und dafür bewunderte sie ihn. Das Erlebnis Oto hatte sowohl seine als auch ihre Augen in jeder Hinsicht geöffnet. Und am Abend des Schulfest hatten sie sich endlich wiedergefunden. Dieses Mal wirklich. Jede andere Trennung war von da an einem anderen Faktor geschuldet gewesen, für den sie nichts konnten – der Krieg mit den Riots. Von da an hatte alles seinen Lauf genommen.

Die Erinnerungen an all diese Zeiten waren überwältigend. Sie fühlte sich unendlich dankbar für alles, was sie mit ihm erlebt hatte. Sie gehörten zusammen, daran gab es spätestens seit ihrem Wiedererwachen im Krankenhaus keine Zweifel mehr.

Und jetzt steuerten sie auf die Zukunft zu. In voller Fahrt, mit neu erwachten Visionen und Möglichkeiten, die sie sich vor einem Jahr nicht in ihren kühnsten Träumen ausgemalt hätten. Sie sog diesen Augenblick auf, liess in ihn jede einzelne Zelle ihres Körpers vordringen. Den Kopf auf seine Schulter gelegt, mit geschlossenen Augen, liess sie sich von Sasuke in die Zukunft führen.

 

Sasuke

 

Das Gefühl von Freiheit war ihm im letzten halben Jahr abhandengekommen. Das hatte einerseits mit seiner Inhaftierung und der ständigen polizeilichen Überwachung seit dem letzten Frühsommer zu tun, andererseits aber auch mit den Umständen, in denen sie sich bewegt hatten. Ein Mitglied einer Gang zu sein hatte einen entscheidenden Vorteil: Man war sowieso ein Gesetzesbrecher und konnte tun und lassen, was man wollte. Er war ein Streuner gewesen, immer irgendwo unterwegs und das hatte ihm dieses Gefühl von Freiheit beschert. Jetzt wusste er, dass es ich dabei um einen falschen Freund gehandelt hatte, denn immerzu war er dazu verdammt gewesen, im Sumpf von Konoha herumzulungern und sich selber darin zu verlieren.

Nun erfuhr er eine ganz neue Freiheit, fernab von Konohas Nacht, den Clubs, den Bars. Das hier war sein Lauf in ein neues Morgen, seine Chance auf ein gutes Leben. Ein Leben mit einer Ausbildung, hoffentlich einem Job und natürlich ein Leben mit Sakura.

Was verloren war, würde ihn noch lange schmerzen. Itachi hätte es mehr als nur verdient, das alles miterleben zu dürfen und sein eigenes neues Leben aufzubauen. Karin und Yohei ebenso. Jeder diesen Krieg nicht überlebt hatte. Er hätte sie so gerne auf diesem Weg dabeigehabt. Aber er ging ihn trotzdem nicht alleine.

Seine ganz persönlichen Geister der Vergangenheit würden ihn immer verfolgen. Damit hatte er sich abgefunden. Er musste einen Weg finden, mit dem Schmerz zu leben, anstatt ihn bekämpfen zu wollen – das hatte Naomi immer gesagt. Und langsam aber sicher begann er zu verstehen, was sie damit meinte.

Er genoss das Gefühl von Sakuras Nähe, ihre Arme um seinen Oberkörper, ihren Kopf auf seiner Schulter. Wie sie ihm vollumfänglich und ohne Vorbehalt vertraute, dass er sie sicher ins Taka-HQ brachte.

Und mit demselben Vertrauen würde er ihr von hier an begegnen, das schwor er sich. Er hatte sie beinahe verloren und jetzt wollte er ihr alles geben, was er hatte. Sakura war seine Freiheit. Seine Zukunft. Mit ihr konnte er seine Dämonen in der Vergangenheit lassen.

Das wusste er mit absoluter Gewissheit.

Es war eine lange Reise gewesen, die ihnen alles abverlangt hatte. Noch waren sie längst nicht am Ziel, aber sie würden den Weg dorthin zusammen gehen – worauf auch immer sie zusteuerten.
 

Sie waren Gangs der Strassen, die Beschützer dieser Stadt und der Bund all jener, die sich mit ganz eigener Kraft gegen das Schicksal gestellt hatten.

 

Und sie hatten gesiegt.

Wir gehen weiter

Mit quietschenden Bremsen rollte die U-Bahn in die Station ein und benötigte eine gefühlte Ewigkeit, bis sie zu Stehen kam. Wie eine Wilde drückte sie den Türöffner immer und immer wieder, bis ihr diese trägen Dinger endlich den Weg freigaben. Ihre Mitpassagiere hatten nur fragende Blicke für sie übrig, aber das spielte ihr nun wirklich keine Rolle.

Schon war sie auf den Bahnsteig gesprungen, nahm die Beine in die Hand und lief die Treppe hinauf Richtung Ausgang. Draussen schlug ihr sogleich der Geräuschdschungel der Grossstadt, gespickt mit dem vertrauten Geruch nach Abgasen entgegen.

Geschickt schlängelte sie sich im Eiltempo zwischen all den Menschen durch, die heute etwas früher Feierabend machten und sich bereits auf dem Weg ins Wochenende befanden. Von der Station Library Circus im North war es nicht mehr weit bis zu ihrem Block. Zwei Strassen nach rechts, dann am Supermarkt und dem Reisebüro vorbei und schon stand man vor dem Gebäude. Fünf Stockwerke, einst weisse, jetzt graue Fassade. Es gab gewiss schönere Bauten in der Stadt, aber kleine Paradiese konnte man sich selber schaffen.

Im Treppenhaus roch es nach frisch zubereitetem Essen, Sakura konnte aber nicht genau sagen, worum es sich handelte. Irgendwas mit Curry.

Es gab einen klapprigen Lift, Sakura entschied sich jedoch für die Treppen. Im fünften Stockwerk angekommen musste sie nur noch sieben weitere Stufen nehmen, die zur Attika führten. Sakura schloss auf und betrat die kleine aber feine Wohnung. Es war nichts Luxuriöses und entsprechend bezahlte sie einen niedrigen Preis. Die Wohnung hatte einige Mängel, mit denen sie aber gut leben konnte. Im Winter war es manchmal etwas kalt, jetzt im Sommer dafür umso heisser. Sie warf den Schlüssel auf die Kommode neben dem Eingang. Die Spätnachmittagssonne warf durch ihre grosse Fensterfront Muster auf den Boden und tauchten die Wohnung in ein angenehmes Licht. Das Wohnzimmer war ein offener Raum, der fliessend in die Küche überging. Einzig Schlaf- und Badezimmer waren vom Rest der Wohnung getrennt.

Als erstes begab sie sich unter die Dusche, im Eiltempo, denn viel Zeit blieb ihr gar nicht mehr. In zwanzig Minuten würde Tsunade sie abholen kommen. Sakura fuhr inzwischen zwar auch Auto, hatte aber kein eigenes. Hier in der Stadt lohnte sich das für sie nicht wirklich.

Abtrocknen, Haare föhnen und bürsten, ein wenig Schminke und dann raus in die Küche. Erdbeerjoghurt aus dem Kühlschrank als Zwischenmahlzeit. Sie versuchte, während dem Löffeln des Joghurts in ihr Kleid zu schlüpfen, mit mässigem Erfolg. Wenigstens blieben keine rosa Flecken auf den frühlingsgrünen Stoff zurück. Sakura hatte sich dazu entscheiden, wieder ein Sommerkleid zu tragen, genau wie im Sommer vor fünf Jahren. Bei den Temperaturen draussen passte das sowieso.

Ein Blick auf die Uhr verriet, dass sie vor lauter Beeilung nun doch zu früh war. Also liess sie sich auf ihre kuschelige Couch fallen und genoss ihre ersten fünf Minuten Ruhe von heute. Liess ihren Blick durch die Wohnung schweifen. Die grossen Fenster, der Balkon mit der kleinen Lounge aus alten Gartensesseln, den sie mit Lichterketten ausgestattet hatte und abends zu einem der schönsten Orte der Welt wurde. Die Wohnung war nicht besonders modern und hatte einen zusammengeflickten Touch, was ihr aber schon immer gefallen hatte. Es fühlte sich einfach echt an. Und nach langen Arbeitstagen fand sie hier einen Hafen der Ruhe und der Geborgenheit. Kurz nach ihrem Auszug aus Tsunades Wohnung hatte sie schreckliches Heimweh gehabt und sich gefragt, wie sie sich hier jemals einfinden sollte, aber inzwischen fühlte sie sich pudelwohl. Sogar ihre Mutter mochte diesen Ort und ihre Mom war sich nun wirklich anderes gewöhnt gewesen.

An der Wand hingen Bilder von grünen, weiten Landschaften, die ihr in dieser grauen Stadt etwas ersetzten, was ihr fehlte – Natur. Die grossen Zimmerpflanzen trugen natürlich dazu bei. Und auch innerhalb der Wohnung hatte sie Lampen und Lichterketten installiert, sodass dieser Ort nachts zu einer kuschligen Höhle wurde.

Neben dem Esstisch stand eine Kommode, auf der sie Bilder aufgestellt hatte und auch an der Wand darüber ging die Bildersammlung weiter. Gerade heute gewannen diese Fotos wieder an Bedeutung. Denn sie beinhalteten Erinnerungen an eine Zeit, die nun schon so lange vergangen zu sein schien.

Sie stand auf und begutachtete jedes einzelne Bild, ein kleiner Schatz voller Vergangenheit. Da waren sie, Ino und Hinata im Kurama-HQ, wie sie auf den Sitzsäcken sassen und lachten. Wenn sie sich recht erinnerte, hatte Lee damals gerade einen Witz erzählt, der richtig schlecht gewesen war, sie sich aber gerade deswegen kaum mehr hatten halten können. Und irgendjemand hatte diesen Moment festgehalten.

Daneben an der Wand ein Gruppenbild der Kuramas. Damals war sie gerade ziemlich frisch in der Gang gewesen. Sie sahen alle so jung aus. Noch viele weitere dieser wunderbaren Momente, verewigt durch die Kamera. Sie und Naruto, Ino mit Akamaru, Kiba ölverschmiert unter einem Motorrad, das er gerade reparierte, Choji in der Küche… es fehlten nur noch die Takas. Konan hatte ihr vor einer Woche endlich Bilder zukommen lassen, nun mussten sie nur noch gerahmt und aufgehängt werden. Sasuke war mässig begeistert gewesen, in erster Linie von denen, auf denen er zu sehen war. Aber davon konnte er sie nicht abhalten. Noch wohnte er nicht offiziell hier.

Die Bilder auf der Kommode waren ein wenig anders. Flankiert von zwei Teelichtern zeigten sie Gesichter. Itachi, Kankuro, Karin, Yohei. Letzterer dank Ryuji, der ihr ein Bild von ihm aufgetrieben hatte. Ein wirklich schönes Bild, Yohei hatte ein verschmitztes Lächeln auf den Lippen. Sakura wurde bei der Betrachtung dieser Menschen immer wehmütig. Aber heute wollte sie ihnen danken, denn sie hatten alles riskiert. Und ohne Yohei wäre sie selbst nicht mehr hier.

Es klingelte – das war Tsunade. Rasch schlüpfte sie in ihre Sandaletten, packte ihre Handtasche und verliess ihre Wohnung sogleich wieder. Sie seufzte bei dem Anblick des klapprigen Fiats, der tatsächlich auch die letzten Jahre überlebt hatte. Tsunade würde ihn erst weggeben, wenn er auf der Strasse liegenbliebe, da war sie sich sicher.

«Na Mäuschen, wie geht’s?»

«Gut!» Sie gab ihrer Tante einen Kuss auf die Wange. «Müde, aber gut.»

«Strengen Tag gehabt?»

Sie seufzte schwer. «Ist noch untertrieben. Aber heute war zumindest ein guter Tag. Ist ja auch nicht die Norm.»

«Du hast einen wahnsinnig herausfordernden Job, Mäuschen.»

«Ich weiss echt nicht, ob ich das für immer machen kann.»

«Musst du auch nicht. Dir stehen Türen und Tore offen. Vielleicht machst du ja auch mal sowas wie Ami?»

«Vielleicht…», murmelte sie. Mit der Zukunft war das so eine Sache. Sie bot immer neue Möglichkeiten und im Moment war Sakura noch nicht dort angekommen, wo sie sein wollte. Genauer gesagt wusste sie überhaupt nicht, wo sie sein wollte. Nach ihrer Ausbildung – ja, sie war Sozialarbeiterin geworden – hatte sie einen Job in einem Kinderheim angenommen und arbeitete dort zwei Tage pro Woche auf der Wohngruppe und zwei Tage in der Fallführung, machte also auch viel Schriftliches, stand im Kontakt mit der Kindesschutzbehörde, kümmerte sich um Finanzielles. Und grundsätzlich gefiel ihr das auch, die Arbeit war einfach herausfordernd, sowohl fachlich als auch psychisch. Besonders natürlich jene mit den Kindern.

«Sakura, gib dir Zeit. Du arbeitest erst seit einem halben Jahr dort und erwartest einfach zu viel von dir. Und die Kinder… diese Kinder haben keine einfachen Geschichten. Das sind kleine Narutos, Sasukes, Temaris und Karins. Verstehst du? Stell dir mal vor du hättest für sie alle die Verantwortung gehabt, als sie noch Kinder waren. Das ist nicht einfach. Aber deine Schützlinge haben das Glück, jemanden wie dich als erwachsene Bezugsperson zu haben, anstatt sich selber helfen zu müssen.»

Sakura nickte. Sie mochte den Job, wirklich. Aber es gab auch Tage, da hasste sie ihn. Das machte es ziemlich schwierig, sich eine Meinung zu bilden.

«Du hast ja recht», sagte Sakura und seufzte. «In letzter Zeit war einfach alles etwas viel.»

Tsunade nickte und setzte den Blinker Richtung Downtown. «Das verstehe ich wirklich gut.»

Ihre Tante arbeitete inzwischen wieder als Krankenschwester im City Hospital. Sakura hatte während dem Studium Teilzeit in einem Restaurant gearbeitet und sich so in finanzieller Hinsicht selber über Wasser halten können. Entsprechend war Tsunade nicht mehr auf das höhere Salär in der Anwaltskanzlei angewiesen gewesen und hatte sich wieder ihren beruflichen Wurzeln zugewandt.

Vor ihnen tauchte der City Park auf. Jetzt im Hochsommer stach das Grün der Natur inmitten der grauen Stadt besonders hervor. Tsunade schnappte sich die erstbeste günstige Parklücke. Sakura kramte in ihrem Portemonnaie bereits nach Geld, doch Tsunade winkte ab. «Wir riskieren es. Ein Grossteil der Polizisten sollte heute sowieso besseres zu tun haben.» Ihre Tante grinste verschmitzt.

Sie steckte das Portemonnaie also zurück in ihre Tasche und machte sich mit ihrer Tante auf den Weg zum Parkeingang, wo sie bereits ein riesiges Gewusel an Leuten erwartete. Inos blonder Haarschopf stach sofort aus der Menge heraus, da brauchte Sakura kaum zweimal hinzuschauen. Ino war ganz in ihren Farben erschienen – knallviolettes Kleid und eine erstaunlich gut dazu passende rosa Handtasche. Die langen Haare waren in einem strengen hohen Dutt zusammengenommen und waren so ziemlich das Einzige, was noch auf ihre aktuelle Berufsbezeichnung schliessen liess.

«Unsere Frau Anwältin», scherzte Tsunade, als sie sie mit einem Kuss auf die Wange begrüsste.

«Angehende Anwältin, Tsunade. Da fehlen noch einige Semester und Weiterbildungen.»

Ino hatte zur Überraschung vieler nach dem Krieg und einer längeren Auszeit ein Jurastudium aufgenommen. Sakura hatte das nicht gewundert, denn Ino war ein cleverer Kopf und ganz sicher nicht auf den Mund gefallen. Sie hatte sich auch nicht von dem Blondinen-Klischee oder Vorurteilen aufhalten lassen, die sie im Studium anfänglich begleiteten.

«Die anderen sind auch schon da», sagte Ino, nachdem sie auch Sakura begrüsst hatte. Sie sahen sich nicht mehr so oft wie früher, was in erster Linie daran lag, dass sie nicht mehr zusammen zur Schule gingen und es die Gangs in ihrer ursprünglichen Form nicht mehr gab. Ino wohnte im derzeit noch bei ihrer Mutter, da die Semestergebühren über eine so lange Studienzeit für sie mit ihrem Nebenjob (ebenfalls Kellnerin) gerade mal finanziert werden konnten. Nebenbei noch eine Wohnungsmiete zu zahlen, lag nicht drin. Aber Ino genoss es sehr, nach der schwierigen Zeit mit ihrem Vater endlich wieder eine gesunde und stabile Mutter zu haben. Es eilte also nicht.

«Ich setze mich dann mal zu Shizune ab, ja?», meinte Tsunade, als die ehemalige Bandenärztin in ihr Blickfeld trat. Sakura und Ino begrüssten sie ebenfalls mit einem Winken, dann machten sie sich auf den Weg zu den anderen.

«Sai kommt aber auch heute, oder?», fragte Sakura, als sie sich durch den Menschenauflauf wanden.

«Natürlich!» Ino lächelte. «Er hatte noch Unterricht bis vor einer Stunde und hat sich dann direkt auf den Weg gemacht. Hina hat er auch gleich mitgerbacht.»

Es war der Zufall, der Sai und Hina dazu brachte, am gleichen Ort zu arbeiten. Sai verdiente seine Brötchen als Zeichenlehrer am Gymnasium, parallel zu seinem Kunststudium. Er hatte genau wie Sasuke und Naruto Militärdienst geleistet, sich aber gegen eine Ausbildung zum Polizisten entschieden und war durch sein ausserordentliches Talent ohne Collegeabschluss via Aufnahmeprüfung an der Kunsthochschule zugelassen worden. Ino und er waren nun seit bald drei Jahren offiziell ein Paar, was sich schon sehr lange davor abgezeichnet hatte. Und sie ergänzten sich gut – er mit seiner ruhigen, besonnen Art, sie mit ihrer Lebhaftigkeit.

Hinata hingegen unterrichtete Mathematik am Gymnasium und führte in der Primarschule desselben Schulverbandes eine Grundschulklasse. Entsprechend sahen sie sich oft und waren nun gemeinsam direkt von der Arbeit hierhergekommen.

Im Zentrum des Parks war ein breites Podest aufgebaut, auf dem in Kürze die Diplomierung der angehenden Polizisten stattfinden. Der Park war festlich geschmückt und überall warteten Angehörige der Diplomanden darauf, ihre Liebsten ihr hart verdientes Zeugnis entgegennehmen zu sehen. Bereits von Weitem entdeckte Sakura ihre Freunde, die Kuramas. Viele von ihnen sah sie regelmässig, aber nie mehr so oft wie früher. Fast alle von ihnen hatten sich für den Militärdienst entscheiden, nicht alle von ihnen waren Polizisten geworden.

Da war Kiba, der nach dem Militär eine Ausbildung zum Automechaniker gemacht hatte und damit wohl seine Bestimmung gefunden hatte. Akamaru war noch immer stets an seiner Seite, inzwischen aber auch schon elf Jahre alt und nicht mehr ganz so flink unterwegs wie früher. Das musste er auch nicht mehr.

Oder Gaara, der die Welt der Technik einmal mehr für sich entdeckt hatte und Informatiker geworden war. Er arbeitete in der Software-Entwicklung, aber Sakura fiel der Name der Firma nicht mehr ein.

Choji gehörte auch dazu. Man hatte seine ausserordentlich guten Kochfähigkeiten schon im Militär entdeckt, wo er in der Feldküche gewirkt hatte. Mit einer Empfehlung seiner Vorgesetzten hatte er fast mit Leichtigkeit eine Ausbildungsstelle zum Koch in einem ziemlich schicken Restaurant in der Downtown erhalten, wo er noch immer arbeitete. Sie waren auch schon ein paarmal von ihm eingeladen worden und es war einfach nur köstlich gewesen. Nicht, dass sie das wunderte.

Die grosse Mehrheit der Kuramas hatte sich trotzdem für die Ausbildung zum Polizisten entschieden, zumal sie viele der dazu notwendigen Fähigkeiten und Fertigkeiten bereits hatten. Sasuke hatte ihr einmal gesagt, dass der Beruf eines Polizisten dem am nächsten kam, was ihm vertraut war – nur konnte er auf diese Weise Verbrechen verhindern, anstatt sie selber zu begehen. Und das Adrenalin und die Action waren sie sich sowieso gewohnt, brauchten es vielleicht sogar ein bisschen.

Sakura schaute sich nach den Takas um, aber in der Menge konnte sie sie nicht ausfindig machen, bevor die Feier begann. Der Schauplatz der Diplomierung war nicht aus reinem Zufall der City Park geworden, ganz im Gegenteil. Hatake hatte die Absolventen den Ort auswählen lassen und da es in diesem Jahr ausserordentlich viele ehemalige Gangmitglieder unter den Anwärtern hatte, hatte man sich für den Stadtpark entschieden. Nebst der Tatsache, dass der Park wirklich schön war und im Herzen Konohas lag, hatte er für die Gangs schon fast sentimentalen Wert. Die vielen Partys hier draussen hatten nie ohne die Kuramas und Takas stattgefunden und nun, nach mehreren Jahren der Abwesenheit kehrten sie zurück, besser als je zuvor.

Jetzt tauchten sie auf, die Diplomanden und ihre Vorgesetzten, Hatake an erster Stelle. Sie alle trugen ihre formalen Uniformen und Sakura musste sich immer wieder eingestehen, wie sehr ihr der Anblick des uniformierten Sasukes gefiel.

Die anwesende Presse machte fleissig Bilder, denn es handelte sich hierbei um einen historischen Moment. Die ersten ehemaligen Gangmitglieder, die zu Polizisten ausgebildet worden waren. Morgen würden die Zeitungen voll davon sein.

Wenn sich in den vergangenen Jahren an Sasuke etwas verändert hatte, war es in erster Linie sein Charakter. Er war weicher geworden und benutzte seine Härte nur noch ganz gezielt. Jetzt, da er kein Gangleader mehr war, brauchte er sie kaum noch. Im Militär hatte man ihm geholfen, sein Alkoholproblem gezielt zu therapieren und inzwischen war er relativ stabil. Allerdings hatte er in den vergangenen Jahren auch einige Rückfälle erlebt, zum Glück keine schweren. Und er war noch immer bei der Psychologin Naomi Ito in Therapie. Sein Ziel war die Aufarbeitung seines gesamten schwierigen Lebens und das nahm Zeit in Anspruch. Das Rauchen hatte er weitgehend aufgegeben und er griff nur noch zur Zigarette, wenn ihn etwas wirklich aufregte.

Auch seinen Jähzorn hatte er noch, aber weitaus besser im Griff, als noch vor dem Krieg.

Sakura musterte ihn voller Stolz. Er war so weit gekommen und in Militär und Ausbildung hatte er (wie erwartet) Glanzleistungen erbracht. Sein Haar war wieder etwas länger geworden. Er konnte es jetzt ganz knapp im Nacken zusammenbinden, was er oft tat, wenn ihn die Strähnen störten. Konan hatte ihr gesagt, dass Sasuke sie so noch viel mehr an Itachi erinnerte, der ja eine rückenlange, pechschwarze Mähne gehabt hatte. Und Sakura konnte dem nur zustimmen.

Alles in allem sah er viel gesünder aus. Er war gut genährt und hatte in den letzten Jahren an Körperform nur noch dazugewonnen. Vor dem Krieg hatte er sich eher unausgewogen ernährt, wie er ihr erzählt hatte – unregelmässige Mahlzeiten, viel billige Fertigsachen. Gewundert hatte es sie nicht, bei all den psychischen Belastungen blieb der Appetit halt weg. Und zu Gangzeiten war eine ausgewogene Küche dann doch eher Wunschdenken gewesen.

Er sah ziemlich konzentriert aus. Was er immer noch nicht mochte war, ausgestellt zu sein und hier auf diesem Podest befand er sich auf dem Präsentierteller. Um ihn herum standen die anderen: Naruto, Tenten, Termari, Shikamaru, Shino, Lee, Neji, sowie mehrere Kurama-Outers. Und von den Takas dasselbe. Sasori, Hidan, Suigetsu, Juugo, Shion, Kakuzu, Kisame, Zetsu, sogar Tayuya und Saara. Es war schon verrückt, sie alle hier zu sehen, uniformiert und auch verändert. Erwachsener vielleicht?

Eine Woge aus unbändigem Stolz überflutete sie, als ihre Freunde ihre Diplome entgegennahmen, die sie sich mit viel Schweiss und Blut hatten verdienen müssen. Besonders die Zeit in der Rekrutenschule war für viele von ihnen nicht einfach gewesen. Harter Drill, Disziplin, strikte Regeln und Strukturen. Zwar hatten diese Aspekte durchaus heilsame Effekte gehabt, nichtsdestotrotz hatten sie völlig anders leben müssen, als sie es bisher gekannt hatten.

Die Feier nahm ihren Lauf, Hatake hielt eine wunderbare Rede auf seine Rekruten, die sich natürlich nicht nur auf die Gangs fokussierte, sondern auch auf die anderen Absolventen. Dann kam der Bürgermeister Kenzo Kobayashi und gleich darauf noch einer der Absolventen, den Sakura nicht kannte und einige lustige Anekdoten aus ihrer Zeit an der Polizeischule erzählte.

Am Ende der Feier musste sie sich erst auf die Suche nach Sasuke machen, den sie in dem ganzen Getümmel aus den Augen verloren hatte. Ino hatte bereits Sai ausgemacht und war spurlos verschwunden – wiedermal typisch. Sie fand Sasuke bei den Takas und sie war längst nicht die Erste, die ihm gratulieren wollte. Neben ihm stand bereits Takahiro (inzwischen zwölf Jahre alt und am Beginn seiner Teenager-Jahre), der sich lachend mit ihm unterhielt. Sakura schmunzelte. Er hatte die Iwasawas oft besucht und Takahiro sah zu Sasuke auf wie zu einem viel älteren Bruder. Er hatte immer eine gewisse Bewunderung im Blick, wenn er sich mit ihm unterhielt.

Shina stand daneben und zupfte ungeduldig an seinem Ärmel. Die beiden buhlten immer abwechslungsweise um seine Aufmerksamkeit, zumal Shina ihr vor etwa einem Jahr mal gesagt hatte, dass sie Sasuke wahrscheinlich irgendwann einmal heiraten wolle. Sie hatte beschlossen, dass er die coolste Person war, die sie je getroffen hatte und dass ihre Freundinnen (wohlgemerkt alle acht bis neun Jahre alt) neidisch waren. Jetzt ging er in die Knie und liess sich von Shina umarmen und anscheinend flüsterte sie ihm etwas Lustiges ins Ohr, an seinem Lachen nach zu urteilen.

Sakura beschloss, sich erst noch bei den Takas bemerkbar zu machen, denn Ami und Haru hatten sich jetzt auch noch um Sasuke versammelt. Konans blaue Haare stachen ihr sofort ins Auge. Ihr Gesicht hatte einige Piercings dazugewonnen und wenn sie sich nicht täuschte hatten sich mehrere neue Tattoos auf ihre Arme geschlichen. Gleich neben ihr war Yahiko, bei dem sie die Zu- oder Abnahme an Körperkunst längst nicht mehr beurteilen konnte.

«Sakura!» Konan drückte sie herzhaft. Sie hatten sich schon sehr lange nicht mehr gesehen, aber oft geschrieben. Sogar der eher kühle Yahiko umarmte sie kurz.

Yahiko und Konan hatten sich beide gegen das Militär entschieden und sich stattdessen anderweitig weitergebildet. Nun besassen sie einen Tattoo- und Piercingshop im North, der ziemlich gut lief. Sie waren beide enorm talentiert, die ihre neusten Tattoos hatten sie sich gegenseitig gestochen. Es war inzwischen auch kein Geheimnis mehr, dass die beiden ein Paar waren. Konan hatte das lange Zeit Sorgen gemacht, aber die Takas hatten ihnen das in keiner Weise übelgenommen, im Gegenteil. Konan verdiente diese neu gefundene Liebe.

Gleich bei ihnen fand sie Hotaru und Deidara. Wenn sie es sich genau überlegte, hatten sie eine der grössten Veränderungen hinter sich. Deidara war zu einem noch sympathischeren Exzentriker mutiert. Er hatte damit begonnen, seine Kleider selber zu designen und im Graffitistil zu gestalten. Dazu trug er immer eine Augenklappe, die mit seinen Kleidern zu seinem Markenzeichen geworden war. Er hatte bestimmt dreissig verschiedene davon, jede ein wenig anders, jede ein wenig kreativer. Heute hatte er sich ganz patriotisch für eine mit einem roten Taka-Symbol auf schwarzem Grund entschieden. Sakura erfüllte es immer mit unendlicher Dankbarkeit, wenn sie ihn mit Hidan und seinen Takas scherzen sah. Er hatte zu seinem alten Ich zurückgefunden, wenn auch nicht vollständig. Womanizer war definitiv gestorben, aber er brauchte das auch nicht mehr. Er war ein neuer Deidara, ein bunter Hund, der auf ganz andere Weise in Erinnerung blieb. Hotaru und er waren seit dem Krieg offiziell ein Paar und das hatte sich nie geändert. Seine Lockerheit, seine Unbeschwertheit und seine blöden Sprüche waren zurück. Nur verwirklichte er sich jetzt ganz anders. Sein künstlerisches Talent hatte Anklang gefunden und seit er das Denkmal-Graffiti der Gangs in der Downtown gesprayt hatte, hagelte es für ihn Anfragen und Aufträge. Er sprayte inzwischen nicht mehr nur, sondern malte auch. Im Moment konnte er sogar davon leben. Hotaru, ebenfalls in die verrückten Designs ihres Freundes gekleidet, hatte eine Marketing- und Buchhaltungsausbildung gemacht, um ihn zu unterstützen und weil ihr das Managen einfach lag. Deidara war eher ein Chaot, Hotaru behielt den Überblick und gemeinsam träumten sie vom grossen künstlerischen Erfolg. Und das war nicht einmal unwahrscheinlich.

«Ah, Sakura-Mausi!», rief Deidara schon fast aus Reflex, als sie sein schelmischer Blick streifte.

«Cherry-Schätzchen!», hörte sie sogleich Hidans Stimme aus einer anderen Richtung, als hätte der eine Wolf das Heulen seines Rudelkumpels erhört. Die beiden hatten es zur Tradition gemacht, sie immer mit den allerbescheuertsten Spitznamen anzusprechen. Sakura brachte das jeweils nur zum Lachen, ja, irgendwie gehörte es einfach dazu. Die beiden waren an sympathischer Dämlichkeit einfach nicht zu überbieten und drückten ihr nun zur Begrüssung gleichzeitig links und rechts einen Kuss auf die Wange.

«Meine Güte», prustete Sakura. «Ich hatte gehofft, ihr hättet das längst vergessen.»

«Niemals», beteuerte Deidara und legte eine Hand auf seine Brust, als wolle er einen Eid ablegen.

Hidan grinste. «Das ist ein Traum, von dem du dich besser verabschiedest. Und wenn ich mich nicht täusche, wird gleich…»

Ein scharfer Pfiff übertönte für eine Sekunde das Stimmengewirr. Das Timing war perfekt, wie Hidan bereits vermutet hatte. Das war Sasukes ganz eigener Zurechtweisungs- und Erziehungs-Pfiff, mit dem er seine Leute immer in die Schranken gewiesen hatte.

Er kam auf sie zu, doch er hatte nicht wie früher einen verärgerten Gesichtsausdruck aufgesetzt, viel mehr schien er sich zu amüsieren.

«Wann werdet ihr eigentlich erwachsen?», fragte er und konnte ein Grinsen nicht unterdrücken. Hidan und Deidara setzten ihre Engelsmienen auf, zuckten mit den Schultern und überliessen dann ihrem Boss das Feld. Ihr war aufgefallen, dass sie ihn immer noch so nannten.

Sakura betrachtete Sasuke mit einem schelmischen Blick. «Die Uniform steht Ihnen, Officer.» Sie sah ihn nicht zum ersten Mal in Uniform, aber diese hier war jene für die ganz besonderen Anlässe, die er selten bis nie trug.

Sie hatte Sasuke noch nie mit einem solchen Ausdruck im Gesicht gesehen. Er strahlte wie die warme Abendsonne am Himmel und er wirkte irgendwie erfüllt. Angekommen. Er war da, wo er sein wollte. Er zog sie an sich heran und küsste sie auf den Mund. Nur kurz, nur zur Begrüssung, aber voller Liebe.

«Ich bin so stolz auf dich, das kannst du mir glauben», sagte sie und drückte ihm noch einmal einen Kuss auf die Wange. Und dann schloss er sie richtig fest in seine Arme, legte seinen Kopf an ihren. Sakura wurde in diesem Moment bewusst, wie weit sie gekommen waren. Sasuke hatte so viel geschuftet, um heute hier stehen zu können. Er hatte mit seinen Dämonen gekämpft, mit dem Alkohol, mit seiner Trauer, mit dem, was ihm die Ausbildung abverlangt hatte. Doch er hatte sich kein einziges Mal beschwert.

«Ich kann’s gar nicht glauben», murmelte er, als er sich wieder von ihr löste und ihr noch einmal mit der Hand über die Wange strich.

«Sakuraaaa!» Ehe Sakura es sich versah, fiel ihr ein blonder Wirbelwind um den Hals. Sakura lachte laut heraus, als sie ihr Gleichgewicht wiedergefunden hatte. Pixie grinste wie ein Honigkuchenpferd als sie nun auch Sasuke überfiel.

Sakura bekam sich kaum mehr ein, als sie Sasukes nicht mehr ganz so amüsiertes Gesicht sah. Er hatte sich immer noch nicht an das stürmischste Mitglied der Takas gewöhnt, meinte es aber nicht böse.

Wo Pixie war, da war auch Fangs nicht weit. Sakura umarmte Suigetsu zur Begrüssung und gratulierte ihm. Die beiden gab es fast nur noch im Doppelpack. Da hatten sich zwei gefunden. Pixie trug ihre Haare nun in einem frechen blonden Bob.

«Weisst du was, Saku? Wir haben so viel gespart, dass wir jetzt endlich unsere Südamerika-Reise machen können. Hab gekellnert wie eine Wilde!»

Suigetsu und Anju hatten beide Hummeln im Hintern, soviel sollte gesagt sein. Und Pixie hatte ihr schon oft von ihren Reiseplänen erzählt. Sie hatte ihre Freude am Kellnern entdeckt, hatte sich sogar dazu ausbilden lassen. Irgendwann hätte sie gerne ein eigenes Restaurant, das sagte sie zumindest immer. Aber Sakura wusste nicht, wie ernst es ihr damit war.

Pixie war eine der Takas, die sie noch in regelmässigen Abständen sah – nicht oft, aber regelmässig.

Sakura sah sich nach Sasuke um, der bereits wieder absorbiert war. Noriko und Inaho waren als Vertretung für seinen Freundeskreis aus Otogakure angereist und freuten sich mit ihm über seinen Erfolg. Sasuke hatte Ami und Haru oft besucht und die Zeit genutzt, sich auch mit seinen ehemaligen Schulfreunden zu treffen. Ja, er war richtig aufgegangen und nicht mehr ganz so in sich gekehrt, wie noch vor fünf Jahren.

«Das freut mich riesig!», sagte sie nun zu Anju und Suigetsu. «Ich erwarte Bilder aus Machu Picchu, ja?»

«Die wirst du kriegen!» Sie nutzten die Gelegenheit, um sich noch ein wenig auszutauschen. Wenn man sich lange nicht gesehen hatte, gab es doch einige Infos, die auf den neuesten Stand gebracht werden mussten.

Kurz darauf war auch Ami zu Stelle. Sakura war öfters mal mit Sasuke in Oto gewesen, aber nicht immer. Die Iwasawas kamen nebst den Gangs für Sasuke einer Familie am nächsten. Nebst dem, dass sie sich gut mit Ami verstand, lieferte ihr gemeinsamer beruflicher Hintergrund auch immer viel Gesprächsstoff. Mit ihrer Berufserfahrung konnte Ami ihr immerzu mit wertvollen Tipps zu Seite stehen. Sakura rief sie oft an, wenn sie mal nicht weiterwusste.

Später entdeckte sie Hinata, die bei Sai und Ino war. Hina hatte sie gerade letztes Wochenende gesehen, als sie mit Ino zu Dritt einen Filmeabend bei ihr im Wohnzimmer veranstaltet hatte. Hina winkte ihr zu und lächelte breit. Sakura erfüllte es jedes Mal mit Freude, Hina wieder in solch stabiler Verfassung zu sehen. Sie hatte lange gekämpft und noch heute hatte sie ihr Trauma nicht ganz überwunden, doch sie machte Fortschritte. Und bei den Kuramas war sie längst wieder zu Hause. Sie umarmte ihre Freundin, wurde aber sogleich von Naruto verdrängt, der nun nach einer Überdosis an Gratulationen endlich seine Freundin begrüssen wollte.

«Cherry, es tut mir leid, aber ich weiss schon gar nicht mehr wohin mit den Glückwünschen», entschuldigte er sich grinsend. «Ich muss mich jetzt hier bei Hina verstecken, ja?»

Hinata lachte. «Siehst du, Saku, das sind die zukünftigen Polizisten von Konoha. Ich weiss ja nicht, ob mich von denen beschützen lassen will.»

Naruto zog einen nicht ganz ernstgemeinten Flunsch, der sich schnell in ein Grinsen verwandelte. «Dein Support wärmt mir das Herz.» Er küsste sie auf die Wange, bevor er sogleich von Jiraiya in Beschlag genommen wurde.

Hinata und er hatten eine wunderbare Beziehung entwickelt. Sakura war immer wieder beeindruckt, wie gut sie sich trotz all der Vorbelastung machten, wie viel Geduld und Liebe sie füreinander hatten. Hinata lebte noch bei ihrem Vater und ihrer Schwester. Sie hatte mit ihrer Familie viel Zeit nachzuholen gehabt. Naruto lebte genau wie Sasuke offiziell noch im Banden-HQ, war aber schon fast ein Teil der Hyuuga-Familie geworden.

Noch eine ganze Weile blieben sie auf dem Parkareal und und nutzten die Zeit, um all die Leute wiederzutreffen, die sie schon so lange nicht mehr gesehen hatten und dabei all die kleinen Leckereien zu knabbern, die zu Verfügung gestellt worden waren. Nachdem sich der Auflauf aber etwas aufgelöst hatte, stand bereits der nächste Programmpunkt an – gemeinsames Essen im Taka-HQ, nur für die Gangs. Choji und Juugo hatten sich zusammengetan, um etwas richtig Gutes zu zaubern. Die Gangs hatten inzwischen voreinander keine wirklichen Geheimnisse mehr, weil es streng genommen auch gar keine Gangs mehr gab. Die HQs waren von der Stadtverwaltung offiziell anerkannt worden, gehörten nach wie vor den Gangs, wurde aber von der Stadt finanziert – als Geschenk für ihre Leistung vor fünf Jahren. Gerade diejenigen, die Militär und Polizeischule hinter sich hatten, hatten sich noch keine eigene Wohnung leisten können oder wollen und wohnten noch dort. Unabhängig davon stand bereits jetzt fest, dass die HQs bleiben sollten wie sie waren. Sie gehörten den Gangs, waren ihr Treffpunkt, ihr zu Hause. Und wer von ihnen auch immer dort wohnen wollte, würde es dürfen.

Naruto hatte auch schon die Idee geäussert, Strassenkinder in den HQs aufzunehmen. Die Stadt arbeitete an ihren vielen Problemen, aber es würde noch Jahre dauern, bis sie in ihren Strukturen reformiert worden war. Entsprechend gab es immer noch viel zu tun.

Sakura liebte das Taka-HQ schon fast wie das der Kuramas, aber nur fast. Vor Jahren hätte sie sich nie träumen lassen, dass die Kuramas und Takas eines Tages gemeinsam hier sein würden. Dass sie überhaupt zusammen essen würden.

Es herrschte eine wunderbare, ausgelassene Stimmung und Sakura fragte sich regelmässig, ob sie eigentlich träumte. Es war so surreal. Die Kuramas hatten grosses Interesse an diesen Räumlichkeiten, die über Jahre hinweg ein unauffindbares Mysterium für sie gewesen waren, ein ganz eigenes El Dorado. Besonders beeindruckend fanden sie Deidaras Schlangengraffiti.

«He, könntest du uns nicht auch so eines ins HQ sprayen?», fragte Neji Deidara.

Deidara nickte. «Klar. Ein Babyfuchs mit Windeln und einem Schnuller vielleicht?»

Neji fiel vor Lachen fast rücklings vom Stuhl. Die Sticheleien gehörten einfach dazu.

Während des Essens fielen Naruto die immer noch an der Wand aufgereihten oder aufgehängten Trophäen auf. «He, das ist mein Stirnband!»

Sogleich erkannte noch einige andere Kuramas ihre Habseligkeiten, aber anstatt wütend zu sein, brachen sie nur in schallendes Gelächter aus.

«Ihr könnt den Kram zurückhaben, wenn ihr wollt», meinte Sasuke grinsend.

Naruto winkte ab. «Nee, behaltet den Ramsch. Sonst vergesst ihr uns noch.»

Der Abend war ein Genuss, sie prosteten sich zu, knüpften weiter an diesem immer noch neuen Band zwischen ihnen, dass hoffentlich über die Jahre immer fester werden würde. Im Augenwinkel beobachtete Sakura einmal, wie Sasuke und Naruto gemeinsam mit ihren Bierflaschen anstiessen. Es blieb die einzige Bierflasche, die Sasuke an diesem Abend öffnete.

 

Sie kehrten erst gegen halb drei Uhr morgens nach Hause zurück, erfüllt und zufrieden nach diesem wunderbaren Abend. Sasuke ging als erster duschen und Zähneputzen, sie gleich danach. Erfrischt schlüpfte sie in ihren Pyjama und trat ins Wohnzimmer hinaus. Sasuke stand auf der Dachterrasse und betrachtete das nächtliche Konoha. Er machte das oft und irgendwie erinnerte das Sakura an früher. Trotz aller Veränderung war Konoha immer noch seine Stadt. Sie gesellte sich zu ihm.

«Deine Mom hat mir geschrieben», sagte er. «Hat mich beglückwünscht und sich entschuldigt, dass sie heute nicht dabei sein konnte.»

«Sie arbeitet zum Glück nur noch eine Woche ausserhalb der Stadt. Danach wird sie sicher vorbeischneien, um dir noch direkt zu gratulieren, so wie ich sie kenne.» Die Beziehung zu ihrer Mutter war nach wie vor eine Baustelle, aber sie gaben sich beide riesengrosse Mühe. Und dass sie Sasuke direkt beglückwünschte, war eine wunderbare Geste.

«Und wie beurteilt sie das Arbeitsklima unter der neuen Führung von Murakami Credits?»

Sie lachte. «Sie ist sehr zufrieden. Das Jobangebot an sich war ja schon toll, aber die Arbeitsbedingungen seien wirklich gut. Ryuji scheint wirklich klasse Arbeit zu machen. Ich muss ihn mal wieder treffen.»

«Es ist schön zu sehen, wie sich so viele Dinge ganz langsam zum Guten wenden», murmelte er. «Zumal man jetzt schon seit gut einem Jahr nichts mehr von irgendwelchen Möchtegern-Riots gehört hat.»

Sie nickte. Die Jahre nach dem Krieg waren durchzogen gewesen von einem letzten Aufbäumen der Riot-Überreste. Aber Ayato Kirishima war der Kopf und das Herz dieser Bewegung gewesen. Ohne ihn war sie nur noch ein kläglicher Schatten von dem, was die echten Riots zu Stande gebracht hatten. Tief drinnen war Sakura Ayato in gewisser Hinsicht auf eine ganz seltsame Weise dankbar. Nicht für die Morde an ihren Freunden, nicht für das Leid. Aber für die Veränderung die er bewirkt hatte.

Sakura nahm seinen Arm und lehnte ihren Kopf gegen seine Schulter. Trotz der späten Stunde war immer noch Verkehrslärm bis hier hinauf zu hören. Konoha schlief nie, das würde sich wohl niemals ändern.

«Was meinst du, wollen wir draussen schlafen?»

In dieser warmen Sommernacht fand sie das eine wunderbare Idee. Sie hatten ihre Sessellounge, auf der wunderbar zwei Personen nebeneinander Platz hatten. Sasuke holte ihre Decken aus dem Schlafzimmer und kuschelte sich zu ihr. Sie schaltete die Lichterketten über ihnen ein und sogleich war sie in ihrem ganz persönlichen Traumland. Vor Jahren hätte sie es nie geglaubt, wenn ihr jemand gesagt hätte, dass sie einmal mit Sasuke einen solchen Frieden haben würde. Ohne den Zwist der Gangs. Die Schatten der Vergangenheit unter Kontrolle.

Sie liess sich von ihm halten, streichelte sein weiches Haar und betrachtete das Sternenzelt über ihr. Sie waren so klein in dieser Welt. Und doch fühlte sich das, was sie teilten, unglaublich gross an.

Sie küsste seine weichen Lippen, seine Wangen und sein Haar. Liess sich von ihm liebkosen und bettete ihren Arm anschliessend in seine Armbeuge. Mit geschlossenen Augen lauschte sie den Autos auf der Strasse im Hintergrund und seinem regelmässigen, ruhigen Herzschlag im Vordergrund.

Es lag noch so viel vor ihnen. Höhen und Tiefen, Freude, Trauer, Wut, Versöhnung, Liebe. Sie würden jeden Tag nehmen. Würden ihn geniessen, aber nie jene vergessen, die das mit ihrem Opfer erst ermöglicht hatten. Wohin sie das führen würde, stand noch in den Sternen.

 

Doch heute spürte sie nur Zuversicht.

 


Nachwort zu diesem Kapitel:
Ich hoffe, das erste Kapitel hat euch gefallen!

Über Kommentare freue ich mich riesig!=D

glg ximi Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Heii meine Lieben!
Also erst einmal: Ihr seit echt umwerfend! So viele Kommentare und Favos bereits beim ersten Upload? Vielen vielen Dank!
Es freut mich, wenn ich eure Meinung zu lesen bekomme und ihr mir auch ab und an mal sagt, wo es Fehler hat oder was vielleicht irgendwie verdreht ist. Danke!

Ich hoffe, ich kann euch weiterhin überzeugen und ihr habt Spass mit dem nächsten Kapitel!
Im Moment ist es halt nicht so actionreich, für die, die das lieber haben, aber die Action wird wiederkommen, versprochen!^^

So und jetzt, bis bald!

Eure ximi

P.S: ENS beim nächsten Kapi bekommen wie immer die, die das letzte Kapitel kommentiert haben. Sonst verlier ich den Überblick xD Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Meine Lieben!
Es tut mir leid, dass es so lange gedauert hat, aber ich habe es in all dem Weihnachtstrubel ein bisschen verhängt ^^
Dafür ist das Kapitel etwas länger als geplant, ich hoffe es gefällt euch.
Vielen Dank für eure tollen Rückmeldungen und bisherige 102 Favoriteneinträge. Das ist wirklich der Hammer!^^
Ach und wie bereits im letzten Kapitel gesagt, Action wird es wieder geben, aber noch nicht jetzt :)

ENS gibts wie immer für die, die das letzte Kapitel kommentiert haben, oder einfach öfters mal kommentieren.
Wer schlimme Tippfehler findet, darf mir die gerne per ENS mitteilen, da wäre ich sehr froh. Manchmal nützt es bei mir auch nichts, das Kapitel zehnmal durchzulesen, die Fehler übersehe ich leider oft.^^
Danke!

Auch auf der Startseite vermerkt, aber hier nochmal aufgeführt:

- Ein tolles Fanart von Itoe-Uchiha zum ersten Teil, das sich leider nicht hochladen liess: http://itoeuchiha.jimdo.com/gallery/bilder-für-ff-de-autoren/

- Ein toller Trailer von SakuraKirsche von FF.de : https://www.youtube.com/watch?v=crpjLzahc3M&app=desktop
Bis bald

Ihr beiden habt das toll gemacht! Vielen Dank dafür, ich bin so happy!=D

So und jetzt bis bald! ^^

Eure ximi Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Heii meine Lieben

Soo, es hat nicht ganz so lange gedauert, wie beim letzten Mal. Hab mich rangehalten =D
Ich hoffe, das Kapitel hat euch gefallen! Herzlichen Dank an alle fleissigen Leser und auch an alle Kommentierer, ihr bereitet mir jedesmal aufs Neue wieder Freude!

Ach ja, nochmal zur Erinnerung: Der Trailer zum ersten Teil von SakuraKirsche von FF.de, für alle die ihn noch nicht kennen=D¨
https://www.youtube.com/watch?v=crpjLzahc3M

Soo und jetzt bis bald!

eure ximi

P.S: ENS wie immer für all die, die das letzte Kapitel kommentiert haben oder öfters einen Kommentar dalassen=) Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Heii meine Lieben!

Ich hoffe es hat euch gefallen. Zurzeot habe ich ein wenig Mühe mit dem Schreiben, aber ich versuchs trotzdem, sonst wird es hundertpro in einer Blockade enden..^^
Schreibt mir, was euch gefallen hat, was nicht, wo sich Tippfehler eingeschlichen haben usw, das hilft mir sehr beim weiteren Schreiben! ;D
Vielen lieben Dank für all die regelmässigen, tolle, motivierenden, aufbauenden Kommentare! Ihr bereitet mir immer wieder eine riesige Freude damit!
Vielen Dank auch an die vielen Favoriteneinträge, echt wow!=D

So und jetzt bis bald

Eure ximi Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Meine Lieben!

Es tut mir aufrichtig Leid, dass es so lange gedauert hat! Ich hatte ein echtes Schreibtief, welches ich im Moment halbwegs überwunden habe, nicht zuletzt dank meine wundervollen Beta-Leserin piranja11 ! =)
An dem Kapi habe ich echt lang herum geschraubt un ich hoffe, ihr seid zufrieden damit. Sagt mir, was euch gefallen hat und was nicht^^

So und nun noch um das hier richtig zu stellen: Ich wurde bei einem Wettbewerb kritisiert, dass ich keine dieser Doppel-S schreibe, die man in Deutschland benutzt. Dies aus dem einfachen Grund: weil ich Schweizerin bin. Wir kennen das in unserer Rechtschreibung nicht, lernen es nicht und benutzen es folglich auch nicht. (Gibts auf meiner Tastatur nicht einmal^^)
Ich hoffe, es stört euch nicht allzu sehr =)

Ich freue mich auf eure Rückmeldungen und hoffe, es hat euch gefallen. ^^

Eure ximi

(ENS wie immer für die, die das letzte Kapi kommentieren) Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Soo meine Lieben

Tut mir wirklich leid, dass ihr wieder so lange warten musstet. =/
Jedenfalls hoffe ich, dass euch das Kapitel gefallen hat, auch wenn beziehungstechnisch nicht allzu viel passiert ist. Dafür wird es jetzt langsam aber sicher wieder ernst ;D
Über Rückmeldungen und Anregungen würde ich mich wie immer sehr freuen^^

Und jetzt ganz liebe Grüsse und bis bald

Eure ximi

P.S: Danke wie immer an meine Betaleserin piranja11! =D Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Heii meine Lieben!

Nun habe ich es wieder einmal geschafft, ein Kapitel zu schreiben und hoffe natürlich, dass es euch gefällt. =)
Wer auf SasuSaku-Action wartet, die kommt bestimmt, keine Sorge ;)
Vielen Dank an all die tollen Reviews! Es hat mich wieder einmal riesig gefreut, so viele Rückmeldungen zu bekommen!

So und jetzt bis bald

eure ximi

P.S: ENS wie immer an alle Kommentierer Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Soo meine Lieben!

Erst einmal herzlichen Dank für all eure tollen Kommentare und Favoriteneinträge! Ihr seid eine wahre Freude =D
Zum Kapitel gibt es nicht viel zu sagen: Ich weiss dass das einigen von euch nicht gefallen wird, aber bedenkt, dass wir noch nicht einmal in der Hälfte der Story sind und noch vieles passieren kann.
Ich freue mich auf jeden Fall auf eure Gedanken und Meinungen zu dem Kapitel =D

so und jetzt bis bald

eure ximi

P.S: ENS regle ich wie gehabt, wer einen Kommentar dalässt bekommt eine. Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Soo meine Lieben!

Dieses Mal war ich für meine Verhältnisse doch ziemlich schnell oder? ;D
Jaa, SasuSaku-Fans, ihr seht das richtig, von jetzt an gibt es wieder für einen Moment SasuSaku, ihr dürft euch also freuen ^^
Hab euch ja auch lange warten lassen.
Ich hoffe, das Kapitel hat euch gefallen! Ich noch einmal herzlich für die vielen tollen Kommentare, die mich immer wieder anspornen! Auch jetzt bin ich gespannt auf eure Gedanken und Meinungen zum neuen Kapitel!^^

Bis bald

Eure ximi

P.S: ENS wie immer ;D Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Soo meine Lieben!

Hier habt ihr das nächste Kapitel, wahrscheinlich früher, als die meisten von euch erwartet haben. Ich bin grad auf einer guten Schreibwelle ;D
Ich hoffe, dass ihr mit dem Kapitel zufrieden seid und entschuldige mich im Voraus schon einmal für das offene Ende. Ich freue mich auf eure Rückmeldungen!^^
Vielen Dank an alle bisherigen Kommentar-Schreiber und für alle Favoriteneinträge! Ihr seid wirklich unglaublich!

Bis bald

eure ximi

ENS wie immer =) Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Soo meine Lieben!
Entschuldigung, dass es wieder etwas lange gedauert hat, ich hatte leider sehr viel zu tun und bin nicht wirklich zum Schreiben gekommen. Das Kapi ist dafür verhältnismässig etwas länger ;D
Ich hoffe, ihr hattet Spass beim Lesen und ich freue mich schon, eure Meinungen dazu zu lesen. Jetzt, da aufgeklärt ist, wer diese Leute sind würde es mich eure Gedanken dazu natürlich brennend interessieren =D

bis bald

eure ximi Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Soo meine Lieben!

Ich weiss, es hat lange gedauert. Und ich weiss, dass das nicht so sein sollte. Mir sind viele Dinge dazwischen gekommen, private Dinge, Stress und allerei Mist. Jedenfalls bin ich keine Maschine und deshalb hat es nun einmal so lange gedauert.
Dafür habt ihr hoffentlich bemerkt, dass das Kapitel fast doppelt so lange wie einige andere bisherige Kapitel sind ;D
Vielleicht ist das eine kleine Wiedergutmachung =)
Und hier haben sie sie, die SasuSaku-Fans: SasuSaku-Action. Ich hoffe es hat euch gefallen und ich konnte euch damit eine Freude machen. Mir hat diese Szene jedenfalls sehr viel Spass bereitet ^^
Das Lied ist ein Song der mir schon lange im Kopf herumgeht. "King" von Lauren Aquilina. Ich mag ihn in Verbindung mit Sasuke und der gesamten Situatuion^^

So und jetzt freue ich mich von euch zu hören!

bis bald

eure ximi

(ENS wie immer an die, die ein Kommentar dalassen) Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Hi meine Lieben!

Ich habe es doch noch geschafft, das neue Kapitelchen hochzuladen =)
Ich möchte mich noch einmal bei allen ganz herzlich für die zahlreichen, lieben und motivierenden Kommentare zum letzten Kapitel bedanken, es war mir eine wahre Freude, sie zu lesen! ^^
Nun hoffe ich, dass euch das Kapitel gefallen hat. Wer Kritik, Anregungen oder anderes hat, darf diese auch gerne anbringen. Ich freue mich auf eure Rückmeldungen =D

Bis bald

eure ximi

ENS beim nächsten Kapitel: Wie immer diejenigen, die das letzte Kapitel kommentiert haben^^ Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Soo meine Lieben!

Es hat lange gedauert, ich weiss. Liegt daran, dass ich Dauerstress und von der vergangenen Zeit noch zwei Wochen im Ausland verbracht habe. Jedenfalls ist das Kapitel da und ich hoffe, es hat euch gefallen. In dem Kapitel steckt viel Herzblut, besonders im letzten Teil. Das ist für mich eine Schlüsselszene in der Geschichte und ich hoffe, man hat es gemerkt. ;D

Vielen lieben Dank für eure zahlreichen Rückmeldungen! Es ist so eine Freude, sie zu lesen und spornt mich jedesmal aufs Neue an. Ihr seid eine tolle Leserschaft! =D

Nun, ich hoffe, dass ich das neue Kapitel diesesmal etwas schneller bereit haben werde, versprechen tue ich aber besser nichts;D

Bis bald

Eure ximi

ENS: Wie gehabt ;D Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Hallo meine Lieben!
Ich hoffe, das Kapitel hat euch gefallen, auch wenn es wirklich lange gedauert hat. Aber ich schreibe keine Kapitel, hinter denen ich nicht stehen kann, deshalb braucht es einfach manchmal mehr Zeit.
Vielen Dank für eure tollen Kommentare zum letzten Kapitel, ich bin wirklich beschenkt mit einer wunderbaren Leserschaft und hoffe, dass ich euch weiterhin für die Geschichte begeistern kann! =D

So und jetzt bis bald

Eure ximi

P.S: ENS wie immer ;D Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Halllo meine Lieben!
Zuerst einmal herzlichen Dank für eure vielen Kommentare und Favoriteneinträge für diese FF. Obwohl ich in letzter Zeit oft auf mich warten lasse, lest ihr trotzdem immer noch felissig weiter und das schätze ich sehr! =D
Ich hoffe, dass euch das Kapitel gefallen hat, auch wenn diesesmal wieder mehr die Action im Zentrum strand. Das gefällt einigen von euch wahrscheinlich mehr, anderen weniger.
Jedenfalls freue ich mich darauf, von euch zu hören! ;D

Bis bald

Eure ximi

P.S: ENS wie immer ;D Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Meine lieben Leser!

Es tut mir leid. Das soll schon mal gesagt sein. Das war eines der komplexesten, schwierigsten Kapitel, die ich bisher geschrieben habe. Es ist mir wahnsinnig schwer gefallen, all diese Dinge passieren zu lassen, aber das ist nun einmal keine Friede-Freude-Eierkuchen-FF.
Ich hoffe, das Kapitel hat euch in diesem Sinne "gefallen", wenn man von den Ereignissen einmal absieht.

Danke für die vielen, bishegrigen Kommentare und Favoriteneinträge, ihr macht mich wirklich happy! =D

Bis bald

Eure ximi

(ENS wie immer ;D) Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Hallo meine Lieben!
Ich weiss, es hat lange gedauert, hatte so meine Mühen bei diesem Kapitel^^
Aber jetzt ist es da und ich hoffe natürlich, dass es euch gefallen hat!
Wieder einmal möchte ich mich für all die Rückmeldungen, Favroiteneinträge und ENS bedanken, die ich im Zusammenhang mit Konoha Gangs bekommen habe und immer noch bekomme. Es ist für mich eine wahre Freude, dass diese FF auf so viel Interesse gestossen ist und ich fühle mich einfach nur geehrt, dass ihr euch alle so viel Zeit nehmt, mir zu schreiben! Danke! =D

Ich freue mich, von euch zu hören!
Bis bald

Eure ximi

ENS: Wie immer ;D Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Hallo meine Lieben

Vielen Dank für euer geduldiges Warten! Ich habe mir wieder etwas Zeit gelassen, ich weiss. Dafür bin ich doch relativ zufrieden mit dem Ergebnis =) Ich hoffe, es hat euch gefallen, auch wenn in diesem Kapitel nicht allzu viel Action von Statten gegangen ist ;D

Natürlich möchte ich mich auch wieder für die vielen tollen Kommentare bedanken! Ihr seid wirklich grandios! Danke, dass ihr euch die Zeit nehmt, meine Geschichte zu lesen!=D

Bis bald

Eure ximi

P.S: ENS wie immer ;D Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Heii meine Lieben
Nun, ich habe es mal geschafft, ein wenig schneller zu sein^^
Herzlichen Dank wie immer für eure lieben, aufbauenden und motivierenden Kommentare!
Ihr bereitet mir jedesmal riesige Freude damit. Ich weiss, ich wiederhole mich wahrscheinlich, aber danke, dass ihr diese FF so fleissig lest! =D

Ich freue mich, von euch zu hören!
Ganz liebe Grüsse

Eure ximi

ENS wie immer ;D Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Meine Lieben!
Herzlichen Dank für all eure lieben Kommentare!
Es ist immer wieder wunderbar, von euch zu hören! =D
Ich hoffe natürlich, dass euch das neue Kapitel zugesagt hat und ihr nach wie vor zufrieden mit mir seid ;D

Vielen Dank und ganz liebe Grüsse

Eure ximi

ENS wie immer ;D Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Meine Lieben!

Das wäre also das neue Kapitel, ich hoffe, es hat euch gefallen. Alle, die gerne Action haben, werden diese bestimmt wieder bekommen. Im Moment muss sie noch ein wenig ausbleiben ;D
Danke für alle Kommentare, Favoriteneinträge und Abos! Es ist mir eine Freude! =D

Bis bald

Eure ximi

ENS wie immer ;D Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Hallo meine Lieben

Das neue Kapitel ist da und es hat etwas länger gedauert. Ich musste mir hier sehr viel überlegen und ich sage es direkt, es war ziemlich anstrengend, es zu schreiben. Ich hoffe natürlich, dass es euch zusagt.
Konoha Gangs II geht langsam aber sicher story-technisch in die letzte Runde, so viel soll bereits gesagt sein. Es wird natürlich noch einige Kapitel geben, denn ich habe noch einen Haufen Zeug zu erzählen. Ganz im Anime/Manga-Stil würde man sagen, wir sind jetzt so ziemlich bei der letzten Arc angelangt, aber die dauert noch eine ganze Weile.
Nur damit ihr mal so einen Zwischenstand habt ;)

Ein Dankeschön wie immer an alle Leser, Kommentierer und natürlich für alle Favoriten-Einträge. Es ist eine wahre Freude mit euch! =D

Ganz liebe Grüsse und bis bald

Eure ximi

(ENS wie immer ;D) Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Hallo meine Lieben!

Herzlichen Dank, dass ihr wieder vorbeigeschaut habt!
Ich habe wie immer viel um die Ohren, deshalb dauert es einfach etwas länger, bis die neuen Kapitel kommen. Liegt unter anderem auch daran, dass ich viel Strategisches zu schreiben habe, was für mich ziemlich anstrengend ist. Nichtsdestotrotz möchte ich die Kapitellänge von mindestens 7000 Wörtern beibehalten =) Also habt Geduld mit mir ;)

Ich hoffe, dass sich das Warten gelohnt. An alle Action-Fans: Es geht bald wieder los ;D
An dieser Stelle ein grosses Dankeschön für alle Favoriteneinträge, Kommentare und einfach an alle Leser! Es ist mir eine Freude!

Bis bald und frohe Ostern!

Eure ximi Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Hallo meine Lieben!

Ich habe es wieder einmal geschafft und hoffe, dass ich euren Erwartungen gerecht werden konnte!
Nach und nach werden die Kapitel wieder komplizierter, aber es mach nach wie vor riesig viel Spass, diese Geschichte weiterzuspinnen =D
Herzlichen Dank für alle eure Unterstützung in Form von motivierenden und lieben Kommentaren. Ich schätze es wirklich, euch als Leser zu haben! =D
Rückmeldungen, positiv oder negativ, sind wie immer willkommen ;D

Bis bald

Eure ximi Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Hallo meine Lieben

Das Kapitel hat sich wieder einmal Zeit gelassen, diesmal sogar noch länger. Ich hatte Prüfungen und einen Haufen Dinge zu tun. Dazu eine richtige Schreibblockade und da bleibt nichts anderes als zu warten, bis sie vorbei ist.
Ich hoffe natürlich, dass euch das Kapitel gefallen hat! Vielen Dank wie immer für alle Favoriteneinträge und Kommentare, es ist immer eine Freude! =D

Bis bald

Eure ximi

(ENS wie immer ;D) Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Hallo meine Lieben

Ich hoffe, ihr konntet mit dem neuen Kapitel etwas anfangen ;D
Wiedereinmal möchte ich mich herzlich bei allen fleissigen Kommentar-Schreibern und Kommentar-Schreiberinnen sowie allen Lesern und Leserinnen bedanken, es macht mit grossen Spass, eure Gedanken zur Geschichte zu lesen.

Trotzdem dass diese FF eine breite Leserschaft hat, habe ich doch gemerkt, dass die Reaktionen bei einem neuen Upload abgenommen haben. Das ist absolut okay, lasse ich doch auch immer mit neuen Kapiteln auf mich warten. Ich bin sehr dankbar und schätze mich glücklich, dass diese FF so viele treue Lesende hat. Falls es aber für die Abnahme der Reaktion andere Gründe gibt, würde mich das doch sehr interessieren. Ist die Geschichte langweilig geworden? Gibt es etwas, was euch gefehlt hat? Welche Gründe es auch gibt, wenn jemand Kritik hat, bitte anbringen. Das muss nicht in einem Kommentar sein, kann auch per ENS erfolgen. Ich möchte mich nach wie vor verbessern =)

Herzlichen Dank fürs Lesen dieses Kapitels und bis zum nächsten Kapitel

Eure ximi

ENS erfolgt wie immer =) Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Hallo meine Lieben!

Ich hoffe, ihr konntet etwas mit dem Kapitel anfangen. Ich habe leider enrom viel für die Schule zu tun und komme kaum zum Schreiben. Danke, dass ihr trotzdem immer dabei seid, wenn ich es doch schaffe, endlich ein neues Kapitel hochzuladen =D

Bis bald

Eure ximi

ENS wie immer ;D Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Hallo meine Lieben

Ich weiss, es hat lange gedauert, diesmal sogar noch länger als gewöhnlich. Die vielen Deadlines im Studium haben mich von Schreiben abgehalten. Jedenfalls hoffe ich, dass die Qualität nicht unter dem Fakt gelitten hat, dass ich immer nur etappenweise vorwärtsgekommen bin.
An dieser Stelle, vielen Dank für eure Kommentare zum letzten Kapitel, es hat mich riesig gefreut! Über eine Rückmeldung zum neuen Kapitel würde ich mich natürlich auch freuen. Ich hoffe, ihr hattet Spass beim Lesen! =D

Bis bald

Eure ximi

ENS wie immer ;D Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Hallo meine Lieben

Schneller ging es leider nicht, aber jetzt ist das Kapitel da und ich hoffe, es hat euch gefallen. =D
Danke wieder einmal an alle Leserinnen und Leser! Es ist eine Freude mit euch!
Vor einigen Wochen wurde der FF eine Illustration zugefügt. Das wunderschöne Bild ist mir von Zara1 zugesendet worden, seht es euch doch an und lasst ihr eine Bewertung oder einen Kommentar da! ;D

Bis bald

Eure ximi

(ENS wie immer ;D) Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Hallo meine Lieben!

Erst einmal eine herzliche Entschuldigung an euch - ich habe mit dem neuen Kapitel sehr sehr sehr seeehr lange auf mich warten lassen. Das war so nicht geplant, aber ich war in den letzten Monaten ziemlich ausgelastet und im Stress. Und wenn ich mal zum Schreiben gekommen bin, war ich blockiert. Tut mit also wirklich sehr leid!
Ich hoffe, das neue Kapitel war für euch nicht zu trocken. Leider geschieht im Moment sehr viel auf der Polizei- und weniger auf der Gang-Ebene, aber das wird sich bald ändern. Danke an alle, die mir auch nach dieser langen Pause als Leser beistehen! Ihr motiviert mich immer wieder aufs Neue, weiterzumachen! =D

Eure ximi

(ENS wie immer) Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Hallihallo meine Lieben!

Ich hoffe, euch hat das neue Kapitel gefallen ;D Wie ihr wisst, geht es langsam in die Endrunde mit Konoha Gangs II. Deshalb habe ich eine kleine Ankündigung, bzw. eine Frage an euch.
Öfter wurde mir mittgeteilt, dass mehr Hintergrundinfos zu den vielen Charakteren in KG eine tolle Sache wären und ich finde das auch. Ich habe einen Haufen zu erzählen und sehe bei jedem Charakter eine individuelle Hintergrundgeschichte. Nun habe ich bereits vor langer Zeit die Idee gehabt, eine OS-Sammlung zu machen (je nachdem auch 1-3 Kapitel), die Geschichten zu den Charakteren beinhaltet. Natürlich wären die auf eure Bedürfnisse abgestimmt und ich würde mir das Recht nehmen, auch ab und zu etwas zu schreiben, was ich selber gerne noch niedergeschrieben sehen möchte. Die OS können Folgendes beinhalten:

- Hintergrundgeschichten zu allen Charakteren (je nachdem, wer euch interessiert)
- After Storys: Was mit einem oder mehreren Charakteren nach den Ereignissen von KG II passiert und noch nicht gerklärt wurde (auch alle beliebigen Charaktere, je nach Wunsch)
- Wenn ihr noch andere Ideen habt, dürft ihr diese gerne anbringen und ich werde schauen, was icht tun kann

Falls Interesse besteht, dürft ihr mir diese Wünsche in den Kommentaren mitteilen, bitte genau sein (Charakter/ Charaktere und in welchem Kontext). Ich werde mir alles aufschreiben und auch versuchen, allen Wünschen gerecht zu werden ;D

Vielen Dank an alle Leserinnen und Leser für ihr Interesse und die lieben Kommentare!

Bis bald

Eure ximi

(ENS wie immer;D) Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Hallo meine Lieben

Dieses neue Kapitel war für mich sehr anspruchsvoll zu schreiben. Es gab viel zu überlegen und vor allem hatte ich das Bedürfnis, für Karin ein würdiges Kapitel zu schreiben. Es war hart, sie gehen zu lassen. Sie war eine meiner Lieblingsfiguren, weil sie so wahnsinnig viel Charakter hatte. Jedoch habe ich bereits während des Schreibprozesses für den ersten Teil gewusst, dass sie nicht bis zum Ende dabei sein wird. Je mehr ich sie durch die Geschichte kennengelernt habe, desto schwerer tat ich mich bei dem Gedanken, sie gehen zu lassen.
Nun ist es soweit und ich hoffe, das Kapitel war ihr würdig. Konoha Gangs II wird bald seinen Abschluss finden (wobei es noch mindestens fünf Kapitel werden, mehr sind auch möglich, je nachdem). Ich erinnere deshalb gerne noch einmal an die geplante OS-Sammlung. Wer Vorgeschichten oder Afterstorys von bestimmten Charakteren lesen möchte, kann sie mir per Kommentar oder ENS mitteilen. Am besten schlagt ihr mir konkrete Charaktere vor - alles ist möglich; ob Taka, Kurama, Riot oder Figuren ausserhalb der Gangs.

Danke an dieser Stelle wieder einmal für eure treue Leserschaft und die tollen Kommentare, die ich jedesmal lesen darf. Es ist mir immer eine Freude!

Bis bald

Eure ximi

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Nachwort zu diesem Kapitel:
Hallo zusammen

Diesmal ein etwas ruhigeres Kapitel, nach all der Action ;D Aber keine Sorge, es geht bald wieder los, dem Ende entgegen.
Ich freue mich, dass ihr auf der Zielgeraden immer noch mit dabei seid! Danke! =D

Wer weitere Ideen für die OS-Sammlung hat, einfach mitteilen. Ach und die ENS gibts wie immer ;D

Bis bald

Eure ximi Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Hallo meine Lieben

Ich fange gar nicht erst damit an, mich für den späten Upload zu entschuldigen. Schreibblockaden, Ferien, Krankheit, alles auf einmal hat eine grössere Verzögerung bewirkt. Umso mehr hoffe ich, dass euch das Kapitel zugesagt hat. Auch dieses Kapitel kann als ein "Übergangskapitel" bezeichnet werden, es passiert also rein storytechnisch nicht besonders viel. Ich hoffe trotzdem, dass es euch gefallen hat und freue mich, dass ihr da wart.
Ein ganz grosses Dankeschön mal wieder an alle, die mir einen Kommentar dagelassen haben, es ist mir immer eine Freude und es beflügelt mich jedes Mal aufs Neue!

Bis bald

Eure ximi

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Nachwort zu diesem Kapitel:
Hallo meine Lieben!

Es hat noch länger gedauert als sonst und ich hoffe, ihr versteht nach diesem Kapitel auch warum. Es ist gar nicht so einfach einen Schauplatz von dieser Grösse (virtuell natürlich ;D) sinnvoll zu nutzen und nachvollziehbar in die Geschichte einzubauen. Crow macht es mir mit seinen Spielen auch nicht gerade einfach, denn im Endeffekt sollte ja alles irgendwie Sinn machen. Deshalb habe ich mir wirklich Zeit genommen, das Kapitel zu schreiben und es mir gut durch den Kopf gehen zu lassen. Danke also für das (un-)geduldige Warten ;D

Nichtsdestotrotz hoffe ich, dass es euch zugesagt hat. Ich würde mich freuen, eure Gedanken und Vermutungen zu dem Kapitel in den Kommentaren zu lesen =D

Bis bald

Eure ximi

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Nachwort zu diesem Kapitel:
Hallo meine Lieben!

Dieses Kapitel wurde für meine Verhältnisse in beinahe schnell hochgeladen, was?
Ich mache nur Spass, es hat wieder angedauert. Aber ich glaube, dass ich euch mit diesem wieder etwas Gutes bieten konnte, etwas, wohinter ich stehen konnte. Und so soll es sein =D

Ich hoffe, es hat euch zugesagt. Ich weiss, dass die Uploads sehr unregelmässig erfolgen und deshalb möchte ich allen ein Kränzchen winden, die die FF trotzdem noch mit Hingabe verfolgen. Ihr pusht mich jedes Mal aufs Neue - danke!

Natürlich freue ich mich wie immer über eure Gedanken und Theorien zum Kapitel. Ich merke dann immer, wie viel ihr euch beim Lesen überlegt! =D Ich freue mich über jeden einzelnen Kommentar und will auch immer jeden beantworten!

So und nun hoffe ich, ihr mögt euch noch ein wenig gedulden. Denn es wird wieder einen Moment dauern, bis es weitergeht. Ich freue mich immer auf euch!

Bis bald

Eure ximi

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Nachwort zu diesem Kapitel:
Hallo meine Lieben!

Rein handlungstechnisch ist in diesem Kapitel nicht so viel passiert, dafür umso mehr auf Charakterebene ^^ Ich hoffe, es hat euch gefallen/ zugesagt. Ich kann euch gleich sagen, dass es bis zum nächsten Kapitel wieder etwas dauern wird, aber dafür wird es hoffentlich ein gutes. Die Handlung ist komplex und meine Zeitressourcen sind etwas begrenzt, deshalb muss ich schauen, wie ich es einrichten kann.
Da beim letzten Kapitel viel die Sorge geäussert wurde, dass die FF abgebrochen wird, möchte ich noch Folgendes anfügen: Die FF wird auf jeden Fall beendet, ich brauche einfach meine Zeit dafür. Ich wiederhole: Ich werde Konoha Gangs nicht abbrechen, sondern zu Ende führen, sofern ich gesund und munter bleibe natürlich ;D Aber lange geht es jetzt nicht mehr, bis wir am Ende angekommen sind. Ich freue mich darauf und gleichzeitig werde ich diese FF sehr vermissen. Ich habe in all den Schreibjahren viel gelernt =)

Deshalb danke an alle, die die FF auch so hartnäckig verfolgen- Ein besonderer Dank gilt natürlich an all jenen, die immer mal einen Kommentar dalassen, denn ihr gebt mir immer wieder aufs Neue Energie.

So, genug geredet. Ich gebe mir Mühe, so rasch wie möglich weiterzuschreiben ;D

Bis bald

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Nachwort zu diesem Kapitel:
Hallo meine Lieben

Ich habe es endlich geschafft, das Kapitel zu beenden. Ich muss schon sagen, es war nicht besonders einfach. Manchmal gibt es Kapitel und Stellen, die mir wahnsinnig Mühe bereiten. Dieses hier war ein solches Kapitel, da ein Haufen Zeug passiert, es irgendwie Sinn machen und am Ende zum grossen Ganzen passen muss. Besonders herausfordernd ist es für mich immer, mehrere Handlungsstränge zusammenzuführen, was ich in den nächsten Kapiteln immer wieder werde tun müssen.
Deshalb danke für die Geduld! Ich hoffe, das Warten hat sich gelohnt =D

Ich wünsche euch eine gute Zeit und bis zum nächsten Kapitel! =D


Eure ximi

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Nachwort zu diesem Kapitel:
Hallo meine Lieben

Es hat wieder gedauert, aber ich hoffe ihr seht auch ein wenig, warum. Wie ich feststellen durfte, ist es eine riesige Herausforderung, mehrere Handlungsstränge zu führen und diese noch mit Action und Strategie zu versehen. Jedenfalls ist es jetzt da und ich hoffe, es hat euch gefallen ;D

Ich möchte mich wieder einmal ganz herzlich für die viele positive Resonanz bedanken. Es macht mich richtig happy, wenn ihr mich an euren Gedanken teilhaben lasst.
Das Ende von Konoha Gangs rückt immer näher und ich möchte einfach zum Ausdruck bringen, wie dankbar ich euch dafür bin, dass ihr die Geschichte so fleissig und mit Feuer verfolgt! =D

Abschliessend möchte ich noch einmal darauf hinweisen, dass die liebe Lea-Welt24 von FF.de damit begonnen hat, meine FF als Hörbuch zu vertonen. Bis jetzt steht erst das erste Kapitel, aber schon davon war ich absolut begeistert. Ihr findet das erste Kapitel hier: https://www.youtube.com/watch?v=BezN9FvLxp8
Lea-Welt24 hat ganze Arbeit geleistet und ich würe mich freuen, wenn ihr dem Video einen Daumen nach oben gebt, ihr ein Abo dalasst oder vielleicht sogar einen Kommentar dazu schreibt^^ Lea hat es echt verdient!

So und jetzt bis bald

Eure ximi Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Hallo meine Lieben!

Ich danke euch für eure unendliche Geduld. Es hat wieder gedauert. Das ist zum einen der Komplexität der momentanen Handlung geschuldet. Zum anderen meiner Abschlussarbeit, die Mitte Dezember fällig ist und deshalb meine Zeit beansprucht.
Dafür war das hier das bislang längste Kapitel der ganzen FF, was mich wiederum ziemlich zufrieden macht.

Ich hoffe, euch hat das Kapitel zugesagt. Ich werde natürlich alles daran setzen, dass das nächsteKapitel schneller kommt, aber ich verspreche euch jetzt mal nichts. Werde mir auf jeden Fall Mühe geben.

Herzlichen Dank für eure Lesertreue und bis bald!

Eure ximi

Reminder: Wenn ein neues Kapitel rauskommt, erhalten alle eine Info-ENS, die beim letzten Kapitel kommentiert haben. Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Hallo meine Lieben!

Ich hoffe, das neue Kapitel hat euch zugesagt! Wie ihr seht, ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis die FF abgeschlossen ist. Wobei es trotzdem noch einen Moment dauern kann, ihr kennt mich ja.
An dieser Stelle wieder einmal ein herzliches Dankeschön an euch Leserinnen und Leser, die so viel Geduld mit mir beweisen und die FF immer noch fleissig verfolgen! =D

Bis bald

Eure ximi Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Hallo meine Lieben!

Danke für eure Geduld! Ob ihrs glaubt oder nicht, aber ich habe intensiv an diesem Kapitel geschrieben und wollte es richtig schnell hochladen. Doch ich habe die Komplexität meiner eigenen Handlung deutlich unterschätzt. Deshalb kommt es wieder erst einen Monat nach dem letzten Kapitel.

Ich hoffe sehr, dass es euch gefallen hat und würde mich freuen, wenn ihr eure Gedanken dazu mit mir teilt! =D

Bis bald

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Nachwort zu diesem Kapitel:
Hallo meine Lieben

Es hat gedauert, aber jetzt ist das neue Kapitel da. Die Kapitel werden immer herausfordernder zum Schreiben, zumal wir uns dem Ende nähern und ich alle offenen Enden auch zusammenführen muss, sodass am Schluss alles Sinn macht. Deshalb danke ich euch für eure Geduld, da die Kapitel vermutlich jetzt meistens so lange auf sich warten lassen werden. Ich versuche immer, schnell zu sein, aber für mich geht die Qualität vor.
Ich hoffe, das Kapitel hat euch gefallen. Die letzten Kapitel waren eine emotionale Berg- und Talfahrt für mich, gespickt mit Schreibblockaden und Motivationsmangel. Ich hoffe, ihr konntet etwas damit anfangen =)
Ich freue mich wie immer über Rückmeldungen! Danke an alle, die sich immer die Zeit nehmen, einen Kommentar dazulassen!

Bis bald

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Nachwort zu diesem Kapitel:
Hallo meine Lieben

Hier hätten wir das neue Kapitel. Ich möchte mich an dieser Stelle wieder einmal bei euch für die tolle Resonanz bedanken, die ich immer von euch erhalte. Zu wissen, dass ihr die Geschichte in ähnlichem Masse liebt wie ich und immer gespannt auf neue Kapitel wartet, gibt mir Energie. Ohne euch Leser hätte KG II vielleicht niemals das Licht der Welt erblickt. Aber jetzt, kurz vor Ende auf all die Jahre zurükzuschauen und die Reise der Gangs Revue passieren zu lassen, stimmt mich ein wenig emotional =D Es ist viel passiert und das Ende ist in Sicht. Ich werde auf jeden Fall alles geben, um der FF einen würdigen Schluss zu verpassen, wenn es dann soweit ist.

Herzlichen Dank an alle Leserinnen und Leser. An alle, die die FF schon quasi von Tag 1 an verfolgen und auch an alle, die auf dem Weg dazugestossen sind und (zu meiner grossen Freude) immer noch dazustossen.

Bis bald

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Nachwort zu diesem Kapitel:
Hallo meine Lieben!

Hier hätten wir das neue Kapitel. Es ist ein etwas besonders Kapitel, wie ihr gerade gesehen habt, ich hoffe naütrlich, dass es euch trotzdem gefallen hat. Ich möchte mich wieder einmal ganz herzlich für eure wunderbaren Rückmeldungen bedanken. Ihr gebt mit immer viel Power, um weiterzumachen! =D

Bis bald

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Nachwort zu diesem Kapitel:
Hallo meine Lieben

Ich dachte, gegen den Schluss wirds einfacher, aber das Gegenteil ist der Fall. Ich glaube das schwierigste beim Schreiben ist es, alle losen Enden irgendwie zusammenzuknüpfen ;) Ich hoffe, das neue Kapitel hat euch zugesagt. Es werden noch 1-2 Kapitel werde (ob das mit oder ohne Epilog ist, weiss ich noch nicht). Jedenfalls stehen wir kurz vor dem Ende und ich hoffe doch sehr, dass ich das bis Ende Jahr noch hinkriege - ich bin positiv eingestellt, aber wer weiss.
Ich habe für dieses Kapitel zudem so lange gebraucht, weil ich einen neuen Job begonnen habe und ich einfach jedesmal nach der Arbeit todmüde war. Langsam kommt es wieder, aber wir werden sehen, wie schnell ich bin.

Danke für eure Lesertreue und bis bald!

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Nachwort zu diesem Kapitel:
Hallo meine Lieben

Ich weiss nun wirklich nicht, was ich sagen soll. Also entschuldigt, wenn das hier ein zusammenhangsloses Gebrabbel wird. Ich bin gerade etwas emotional.

Ein Blick zurück

Tja, wer hätte es gedacht: Konoha Gangs wurde beendet. Sechseinhalb Jahre habe ich für Konoha Gangs I und II gebraucht – für eine Geschichte, die sich in einem Zeitraum von etwa eineinhalb Jahren abspielt - was für eine Leistung ;D. 2013 war ich siebzehn Jahre alt, machte gerade meine erste Ausbildung und die Geschichte gab mir so viel Kraft, ich brannte dafür, lebte Konoha Gangs in meinem Kopf. Nach meinen ersten Schreibversuchen auf FF.de (allesamt abgebrochene Versuche), hatte ich die Idee für Konoha Gangs. Und ich hätte nie gedacht, dass ich so viel positive Resonanz erhalten würde. Leser kamen und gingen (zumindest kommentierende Leser, bei den anderen kann ich es nicht sagen) und ich bin jedem und jeder Einzelnen so wahnsinnig dankbar, dass ihr den Weg für kürzere oder längere Zeit begleitet habt.
Konoha Gangs war mein Lernfeld, das mir ermöglichte, mich zu entwickeln und meine Passion für das Erschaffen von Geschichten und Figuren weiter zu nähren. FFs sind ein wunderbarer Boden, um Schreiben zu lernen oder sich im Schreiben zu verbessern. Die Charaktere waren da, es brauchte ein Plot. Und in diesem Plot sind die Figuren dann doch etwas ganz Eigenes geworden. In meinem Kopf haben KG-Sakura und KG-Sasuke nicht mehr viel mit ihren Originalen gemeinsam. Sie haben eine gewisse Eigenständigkeit entwickelt.
Aber ich muss zugeben, dass ich KG I kaum noch lesen kann, ohne mich zwischenzeitlich zu schämen, aber dann muss ich mir immer wieder in Erinnerung rufen, dass mich dieser Prozess so viel weitergerbacht hat. Ich habe immer noch wahnsinnig viel zu lernen, bin aber stolz darauf, wie weit ich schon gekommen bin.

Ich will nicht sagen, dass es nie schwer war. Gerade die letzten beiden Jahre waren hinsichtlich Konoha Gangs schwierig. Wie gesagt, man wächst mit den Geschichten und ich hatte immer mehr das Gefühl, aus Konoha Gangs «rausgewachsen» zu sein. Ich meine damit nicht Reife – ich glaube Konoha Gangs ist alles andere als kindisch. Ich «lebte» die Geschichte nicht mehr, wie noch zu Beginn. Und hatte eigene Ideen entwickelt, die mich immer mehr von Konoha Gangs weggezogen haben, die meine Aufmerksamkeit auf andere Dinge gelenkt haben, genauer gesagt, auf ein anderes Schreibprojekt. Wie ihr gemerkt habt, wurden die Wartezeiten länger. Das hatte vor allem damit zu tun, dass ich mich jedes Mal etwas dazu zwingen musste, Konoha Gangs zu schreiben. Es brauchte immer viel, bis ich wieder in der Story drin war und ich hatte oft das Gefühl, den Draht zur Geschichte verloren zu haben. Und das hat bei mir ein Gefühl vorn Verzweiflung ausgelöst – als würde mit etwas ganz Wichtiges entgleiten.
Aber für mich war es NIE eine Option, die FF abzubrechen, denn der Plan bis zum Schluss stand. Und ich bin verdammt froh, habe ich das durchgezogen, aber ich bin auch froh, habe ich es jetzt geschafft und kann mich Neuem zuwenden. Ich bin sehr zufrieden mit dem Ende und durfte meine Liebe für diese Geschichte im Schreibprozess noch einmal neu erleben.
Die Geschichte ist alles anderes als perfekt, wird aber immer einen ganz besonderen Platz in meinem Herzen haben, weil ich durch diese FF herausgefunden habe, was für einen Weg ich verfolgen möchte.

An dieser Stelle: Ich danke euch von ganzem Herzen für alles! Jeder und jede, der oder die diese Geschichte gelesen hat, sie favorisiert oder kommentiert hat, ihr wart ein wesentlicher Grund, warum ich mich entwickeln konnte. Warum ich jetzt weiss, worin meine Passion liegt. Jedes Feedback, ob Kritik oder Lob und natürlich jedes tolle Fanart und jede liebe Nachricht hat mir unglaublich geholfen. Ich habe so viel Freude daran gehabt, wie ihr immer mitgefiebert habt, wie ihr mit der Geschichte mitgegangen seid und mich das auch habt spüren lassen. Es fühlte sich an, als könne ich mit meiner Geschichte etwas bewirken und das ist eine der besten Empfindungen, die ich je gehabt habe. Ich weiss nicht, wie ich euch danken soll. Aber ich kann euch sagen: Ohne euch wäre ich heute wahrscheinlich an einem ganz anderen Punkt. Ihr habt mir gezeigt, dass man belohnt wird, wenn man sich traut, etwas zu verfolgen.
Danke an euch alle, meine lieben Takas und Kuramas von Animexx und FF.de.

Ein Bick nach vorn...

Für die Zukunft habe ich Ideen. Hier einige Infos dazu:
Ich habe euch vor langer Zeit das Schreiben einer OS-Sammlung angeboten. Diese Idee gibt es noch und ich habe alle eure OS-Wünsche gesammelt. Allerdings weiss ich nicht, wann und wie und ob ich diese realisieren werde. Für den Moment werde ich mich neu ausrichten und Konoha Gangs zurücklassen. Das bedeutet nicht, dass ich die Sammlung nie machen werde. Aber im Moment habe ich das Bedürfnis, weiterzugehen und neues auszuprobieren. Das wurde mir besonders im letzten Jahr klar, als ich mit KG II kaum vorankam. Ich hoffe ihr verzeiht mir, aber ich möchte euch keine halbpatzigen OS liefern. Und ich möchte meine Zeit im Moment anders nutzen. Aber wie wir gelernt haben: Einmal Kurama, immer Kurama. Deshalb ist es nicht ausgeschlossen, dass die OS-Sammlung irgendwann kommen wird.

Was meine weiteren Projekte angeht: Ich werde voraussichtlich keine FFs mehr schreiben. Ich versuche im Moment, ein eigenes Buch im Genre Fantasy (wahrscheinlich Young Adult Fantasy) zu schreiben, was noch ewig dauern kann und am Ende möglicherweise auch nicht erfolgsgekrönt sein wird. Ich habe viele Ideen, eine davon ist Self-Publishing, falls ich dieses Buch (es soll eine Serie werden) überhaupt jemals hinkriege. Wenn ihr dann (sollte ich es wirklich veröffentlichen), in ferner Zukunft, immer noch in der Community unterwegs seid, werde ich euch gerne darauf aufmerksam machen. Damit ihr sehen könntet, ob ich auch ausserhalb von FFs als Autorin etwas tauge, sofern ihr Lust habt ;)

Der Epilog wird am Donnerstag 24.12 hochgeladen. Ein kleines Weihnachtsgeschenk, wenn man so will. Ich freue mich auf euch!

Zu guter letzt gilt es einen riesigen Dank an meine fleissige und zuverlässige Beta-Leserin piranja11 auszusprechen! Vielen Dank für deine Arbeit und dass du die Kapitel in meinem Stress immer so rasch korrigiert hast! Es war mir eine Freude, mit dir zu arbeiten! =D

Ich werde euch vermissen und hoffe, ihr seid zufrieden mit dem Ende dieser Geschichte!

In unendlicher Dankbarkeit
Eure ximi Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Hallo meine Lieben

Nur noch ein kurzes Nachwort: Ich hoffe, dieser Epilog war für euch zufriedenstellend. Er soll einen kleinen Ausblick in die Zukunft der Gangs geben. Eine kleine Kostprobe von dem, was aus den Gangs geworden ist. Und ich weiss, dass wahrscheinlich unbeantwortete Fragen zurückgelassen werden, aber das soll so bleiben ;)

Zum Schluss: Ich danke noch einmal für ALLES! Ich bin unendlich dankbar für jedes Review, das ich schon zum letzten Kapitel bekommen habe. Es ist herzerwärmend, noch einmal von euch lesen zu können und mit so vielen wunderbaren Worten beschenkt zu werden. Ihr macht es mir wesentlich leichter, mich von KG zu verabschieden. Vielen Dank! Und wenn ich endlich Zeit finde, werde ich euch noch antworten!
Ansonsten verweise ich gerne an mein Schlusswort aus dem letzten Kapitel, ansonsten wiederhole ich mich hier nur auf langweiligste Art ^^

In diesem Sinne verabschiede ich mich, wünsche euch frohe Festtage und alles Gute! Auch eure Zukunft steht noch in den Sternen, als macht etwas daraus, okay? Es ist alles möglich.

Nur das Beste wünscht euch in erneuter unendlicher Dankbarkeit

Eure ximi Komplett anzeigen

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Von:  Stef_Luthien
2023-01-10T23:40:14+00:00 11.01.2023 00:40
Es ist so überwältigend nach all den Jahren endlich das Ende dieser Geschichte zu lesen. Mittlerweile bin ich fast mit dem Studium fertig, aber damals war ich 14 Jahre alt und habe KG gelesen kurz bevor KGII veröffentlicht wurde, dann habe ich mich wegen der Schule nur noch sehr spärlich angemeldet und habe mich Mitte letzten Jahres wieder an diese Geschichte erinnert und musst erstmal das Kapitel suchen, bei dem ich damals aufgehört habe. Trotz der vergangenen Jahre habe ich diese Geschichte wirklich gerne zu Ende gelesen und die Kapitel haben mich genauso gepackt wie früher.
Vielen lieben Dank für diese wunderbare Geschichte.♡
Antwort von:  ximi
09.06.2023 13:45
Nach meheren Monaten antworte ich dir endlich.
Was du erzählst, rührt mich. Dass KG dich so lange begleitet hat (mich ja auch :D) ist einfach wunderbar. Dass es dich auch nach langer Zeit wieder gepackt hat, freut mich umso mehr. Es ist das Schönste, mit dem Schreiben etwas bewirken zu können. Vielen Dank, dass du KG verfolgt hast.
Ich wünsche dir alles Gute!
Von:  Ekirlu
2022-09-16T12:19:40+00:00 16.09.2022 14:19
Hallo, was für eine tolle FF. Ich habe es mir ja zum Vorsatz gemacht nur noch abgeschlossene FF's zu lesen, da ich gemerkt habe das man durch zu lange Pausen nicht mehr so richtig in die Geschichte reinfindet, ich finde es reißt einem nicht mehr so mit. Deshalb bin ich um so überwältigter von deiner Geschichte! Vielen Dank dafür 😊
Antwort von:  ximi
18.09.2022 15:36
Hi! Schön, hier mal wieder einen Kommentar vorzufinden. Vielen lieben Dank für deine Rückmeldung und das Lob!

Das ist ein guter Vorsatz und bei KG war das sowieso eine clevere Entscheidung, da meine letzten Uploads an Unregelmässigkeit kaum zu überbieten gewesen sind ;)
Herzlichen Dank, dass du dir noch Zeit genommen hast für ein kurzes Feedback!

glg ximi
Von:  Talyia92
2022-02-25T08:24:45+00:00 25.02.2022 09:24
Huhu. Ich wollte heut auch mal kommentieren. Ich habe diese FF damals schon h gelesen und auch dieses mal war es fast wie beim ersten mal. Es ist wohl die beste die ich jemals gelesen habe und immer wieder lesen konnte. Hatte ganz oft Ärger mit meinem Mann weil ich einfach nicht aufhören konnte. Also einmal ganz großes Lob für dich :)
Antwort von:  ximi
02.03.2022 20:58
Ganz herzlichen Dank für deinen lieben Kommentar! Das ist ein Riesenkompliment! =D Ich rechne hier gar nicht mehr mit Kommentaren, umso mehr freut es mich natürlich, wenn sich noch jemand Zeit nimmt, einen zu verfassen. Ich hoffe, du hattest nicht allzu sehr Ärger :)

Vielen Dank und eine gute Zeit!

glg ximi
Von:  Sherry-chan
2021-09-09T21:33:35+00:00 09.09.2021 23:33
Hi ximi! Ich habe den ersten Teil deiner FF damals vor Jahren gelesen und auch öfter kommentiert, allerdings war ich dann seeehr lange nicht mehr online und habe vieles verpasst. Jedoch hab ich mich vor Kurzem wieder an deine Geschichte erinnert und was soll ich sagen? Selbst so viele Jahre später, hat sie mich wieder so gefesselt, dass ich teilweise bis in die frühen Morgenstunden gelesen hab! Manchmal auch so 6-8 Stunden am Stück haha. Nun ist es vorbei und es hat voll die Leere hinterlassen, hab noch tagelang gegrübelt und drüber nachgedacht.. Ich glaube wirklich, dass diese Geschichte so gut ist, dass sie sich auch als Buch verkaufen würde, wenn man einfach nur die Namen ändert und *puff* hat man einen Bestseller! Auf jeden Fall danke ich dir für diese wundervolle Geschichte, die so schön spannend und lehrreich war und mich auch gleichzeitig über Jahre nicht mehr komplett losgelassen hat.
Liebe Grüße und alles Gute für die Zukunft!
Sherry-chan
Antwort von:  ximi
13.09.2021 20:29
Liebe Sherry-chan

Da guck ich mal wieder auf Animexx vorbei und prompt gibt es einen unerwarteten neuen Kommentar. Die FF ist nun seit einem 3/4-Jahr beendet und da freut es mich umso mehr, einen solch lieben Kommentar vorzufinden.
KG fehlt mir zugegebenermassen und ich komme ab und an wieder hier vorbei, um ein wenig in der Erinnerung zu schwelgen. Es war eine wunderbare Zeit für mich.
Umso mehr freut es mich, dass es dir offenbar ähnlich ging, auch wenn da eine Pause dazwischen war ;) KG längst nicht perfekt, aber es freut mich, dass du die FF für veröffentlichungswürdig hältst. Auch wenn es nicht allzu schwierig wäre, Namen von Figuren und Ortschaften zu ändern, so wären es doch immer noch von Kishimoto inspirierte Elemente. Falls ich jemals ein Buch veröffentlichen könnte, dann wird das eine ganz eigene Sache sein. Zumal ich Konoha Gangs bis zum Umfallen überarbeiten müsste ^^
Es ist für mich immer das grösste Kompliment gewesen, wenn Leserinnen wie du sich so haben in die Geschichte reinversetzen können, darum danke. Danke, dass du an meinem ersten Herzensprojekt teilgehabt hast und dir noch die Zeit genommen hast, einen so schönen Kommentar zu schreiben.

Ganz liebe Grüsse und nur das Beste!

ximi
Von:  FriePa
2021-05-01T17:37:25+00:00 01.05.2021 19:37
Hey :)

Ich habe deine Beiden FFs bereits letzte Woche komplett verschlungen, aber weil ich einfach so sprachlos und beeindruckt war, musste ich sie direkt nochmal lesen.
Und auch beim zweiten Mal fehlen mir noch immer die Worte. Ich habe wirklich viele richtig gute Geschichten gelesen, aber mit einem beeindruckenden Abstand ist deine innerhalb kürzester zu meinem absoluten Favoriten geworden.
Es stimmt einfach alles. Der Polt, die Charakterentwicklung, Schreibstil. Ich kann gar nicht alles aufzählen.
Ja, man merkt das KG I deine Anfänge dahingehend waren, aber während des Lesens hat man auch dort sehr früh eine enorme Steigerung gemerkt.
Ich weiß nicht wie viele Tränchen ich während des Lesen vergossen habe, aber es waren einige und es werden bestimmt noch einige dazu kommen, denn das wird nicht das letzte Mal sein, dass ich deine Geschichten lesen werde. :3
Nur eine Frage hätte ich, ist mir wahrscheinlich auch nur aufgefallen da ich den Charakter mag: War Gaara überhaupt beim großen Finale gegen Crow dabei? Ich gehe stark von einem ja aus, allerdings fiel sein Name nicht einmal, deshalb wollte ich hier nochmal gezielt nachfragen. :)

Ich glaube mehr habe ich an dieser Stelle erst einmal nicht zu sagen. Ich freue mich bereits jetzt auf das nächste Mal, wenn ich deine FF lesen werde und auch dann weiterhin gespannt den Atem anhalte, obwohl ich ja genau weiß was passieren wird.

In diesem Sinne - Es war mir eine absolute Ehre KG I und KG II zu lesen.
Nur das Beste für dich 🙏😁😊

Oh und sollte es doch irgendwann zu dieser OS Sammlung kommen, bin ich auf jeden Fall wieder dabei 😉
Antwort von:  ximi
06.05.2021 15:11
Hallihallo!

Herzlichen Dank für diesen wunderbaren Kommentar, und das sogar einige Monate nach Abschluss der Geschichte. Es ist schön, dass die FF trotzdem von einigen Leuten noch neu entdeckt wird, auch wenn es gar keine Uploads mehr gibt ;)
Vielen Dank für deine lieben Worte. Konoha Gangs war ein Projekt, dass mich enorm lange begleitet hat, eigentlich fast durch meine ganze Jugend. Wie du richtig beschreibst, war es ein Prozess, den man auch anhand der Kapitel erkennen kann. Für mich ist es (nebst dem, dass es manchmal ein bisschen peinlich ist ;D) schön, diesen Prozess so dokumentiert zu haben. Heute würde ich zigtausend Sachen an dieser FF anders machen, aber man kann auch kein perfektes Schreibwerk von einer Teenagerin erwarten (eigentlich von niemandem... was ist schon perfekt? :D). Und KG I und II sind sowieso alles andere als perfekt. Ich schweife ab, entschuldige.
Für mich ist das auschlaggebendste, dass die FF berühren und mitreissen kann. Bei dir ist mir das (so entnehme ich es deinem Kommentar) gelungen. Danke dir dafür! Ich schätze es enorm, dass du mich an deinen Gedanken zur FF teilhaben lässt!

Zu deiner Frage: Ja! Gaara war auf jeden Fall vor Ort. Es ist etwas unglücklich, dass ich ihn nicht erwähnt habe. Das liegt erstens daran, dass ich bei all den Figuren und Handlungssträngen wohl etwas den Überblick über den Rest der Gang verloren habe und zum anderen, dass betreffenbde Kapitel zu einer Zeit entstanden sind, in der ich in einer tiefen Schreibkrise gesteckt habe und jedes Kapitel ein ein Kampf war. Aber Gaara war dabei.
Du bist übrigens wahnsinnig aufmerksam, gefällt mir! =D

Noch einmal herzlichen Dank! Ich wünsche dir eine gute Zeit!

LG ximi
Von:  Shyla_Uchiha
2021-02-16T22:12:17+00:00 16.02.2021 23:12
Jetzt ist es vorbei... und ich bin traurig 🙁
Es war wirklich eine tolle FF und ich bin froh, dass du sie vollendet hast. Viel zu oft werden tolle Geschichten abgebrochen.
Also danke für die mitreißenden Momente und diese hammer Story :3

Falls ich eine gaaanz kleine Kritik äußern darf: es schleichen sich die ein oder anderen Tippfehler ein, die teilweise recht verwirrend sein können. Aber das tut der Story natürlich nichts ab.

Mach weiter so :3

Liebe Grüße
Antwort von:  ximi
13.04.2021 22:54
Besser spät als nie: Hey!

Herzlichen Dank für deinen Kommentar! Es freut mich, dass dir die Geschichte gefallen hat! Es war nicht immer einfach für mich, aber ich bin auch froh, konnte ich sie abschliessen.
Danke auch für deine Kritik. Das mit den Tippfehlern ist mir absolut bewusst. Leider fehlten mir während des Schreibens sowohl Zeit als auch Motivation, die Kapitel mit der Lupe durchzugehen - irgendwann sieht man die eigenen Fehler nicht mehr, weil man den Text ja selber geschrieben hat. Entschuldige also dafür, aber das hat einfach nicht drin gelegen.

Wünsche dir alles Gute!

LG ximi
Von:  Sasu1988
2021-01-06T20:44:40+00:00 06.01.2021 21:44
Wahnsinn 😭😭😭😭was für ein grandioses Finale🍾was soll ich sagen liebe Ximi... Gäbe es hier sowas wie ne Oscar Verleihung dann würdest du voll abräumen 🏆🏆🏆ich finde es gut das der Epilog nicht ganz so aufregend war wie manch anderes Kapitel es ist das perfekte Ende... Wie ein Fluss.. Erst ganz klein dann entwickelt er sich immer schneller zu etwas großem und dann.. BOOMMMM.. Ist es ein perfekter Fluss... So wie die Moldau.. Ich hoffe du kennst das klassische Stück 😅☺️.. . Gott ich hoffe du verstehst was ich meine😅... ich bin noch voller Emotionen... Noch nie hat mich ne Story so mitgerissen wie deine... Gib bitte niemals dieses tolle und wunderbare Geschenk des Schreibens auf.. Worte in Emotionen und Gedanken zu verwandeln...Das kann nicht jeder..
Lass mal wieder was von dir lesen(hören) 😉
Ganz liebe Grüße und alles alles Gute für deine Zukunft wünscht dein größter Fan Sasu🐉💞🌹Sayonara
Antwort von:  ximi
19.01.2021 20:56
So meine liebe, endlich habe ich es geschafft! Ich antworte dir gleich auf beide Kommentare, hoffe das ist okay für dich! =D
Erst einmal ein grosses Danke für diese tollen Feedbacks! Du weisst gar nicht, wie sehr ich mich darüber gefreut habe!

Kapitel 50: Es freut mich, dass dich dieses Kapitel so berühren konnte und in deinen Augen ein guter Abschluss war. Vielen Dank auch für deine Komplimente zu meiner Entwicklung... solche Worte machen mich immer ganz besonders glücklich =D "Von der Seele schreiben"... das gefällt mir sehr! Danke. Und ich würde wahnsinnig gerne ein Buch rausbringen, aber das ist schwierig. Und ich weiss nicht, ob ich das Zeug dazu habe. Aber ich denke probieren geht über studieren oder? ;D
Danke schon jetzt für dein Versprechen, mein Fan zu sein. Ich werde auf jeden Fall noch schreiben, weiss aber halt noch nicht genau, wie ich das angehen will. Ich würde mich dann freuen, wieder von dir zu hören =D

Epilog: DAAAANKEEE. Ich kann mich nur wiederholen, sorry. Du hast mir da eine Krone aufgesetzt von der ich nicht weiss, ob ich sie verdiene. Aber es ist natürlich wunderbar zu wissen, dass du meine Geschichte so sehr schätzt. Deine Fluss-Analogie ist ja einfach perfekt. Ich denke tatäschlich dass man die Geschichte ein wenig so beschreiben kann (und ja ich kenne das Moldau-Stück ;D)
Ehrlich, ich weiss nicht, was ich sagen soll. Ausser Danke. Dafür dass du mein Schreiben für eine Gabe hälst, dafür dass du dich so mitreissen lässt und mich auf so liebe und motivierende Weise an deinen Gedanken teilhaben lässt.

Und somit wünsche auch ich dir alles Gute für die Zukunft und weil es noch nicht genug ist: DANKE!
Von:  Sasu1988
2021-01-05T13:22:19+00:00 05.01.2021 14:22
Ach du Scheiße😭😭😭😭das ist sooooo wahnsinnig toll ximi...
Ich hab geheult wie n Baby...was ein Kapitel.. All diese Gefühle all die Emotionen.. Ich hab mich gefühlt als wäre ich persönlich dabei gewesen bei der Zeremonie... So viele wahre Worte...
Ich bin sprachlos.. Und dann nochmal die Rückblende ich hab mir das Lied von Ellie Goulding vorgestellt das welches beim ersten 50 shades of gray Film die titelmusik war... So schön..
Ich freu mich jetzt auf das zusatz Kapitel.. Das lese ich wenn mein kleiner pennt 😅🤭und zu dir und deiner Rückblende☺️du hast dich sehr toll entwickelt dein schreibstil ist für mich unverwechselbar halt einzigartig... Du schreibst vieles von deiner Seele und man spürt es beim lesen... Ich freue mich wenn du mal ein Buch raus bringst.. Ich werde einer deiner Fans sein das zu 100% ach was sage ich, der bin ich jetzt schon.
Ich schreibe dir nochmal nach dem Epilog falls ich die richtigen Worte finde und nicht heulend wie n baby auf der Couch liege😅😅😅ganz liebe Grüße Sasu🐉
Von:  franny
2020-12-27T18:00:13+00:00 27.12.2020 19:00
Ein perfekter Anschluss für eine super FF!!!
Ich bin froh das es ein gutes Ende genommen hat und alle zuversichtlich und glücklich in die Zukunft schauen.
Es hat Spaß gemacht deine FF zu lesen und ich würde mich freuen bald wieder von dir zu lesen =)
Komm gut ins neue Jahr und hoffentlich bis bald!
LG franny
Antwort von:  ximi
28.12.2020 20:11
Hi franny!
Vielen lieben Dank für all die Zeit, in der du KG begleitet hast. Du warst eine der ganz fleissigen Kommentierenden und dafür danke ich dir!
Wie bereits gesagt, werde ich mit grosser Wahrscheinlichkeit keine FFs mehr schreiben und mich einem eigenen Projekt widmen. Natürlich wärst du auch dort herzlich willkommen, wenn ich es mal auf irgendeine Weise veröffentliche.
Danke für diese Zeit und nur das Beste für die Zukunft! =D

LG ximi
Von:  mai-ling
2020-12-26T23:02:27+00:00 27.12.2020 00:02
Hey ximi,

ja, wo oder eher wie fang ich denn am Besten an? Immerhin werden das hier wohl meine letzten Worte an dich...

Ich danke dir nochmal von ganzem Herzen, für diese unglaublichen 6 Jahre mit dieser einzigartigen Geschichte! Ich bin damals nur zufällig auf deine FF KG I gestoßen, und zwar genau am 30.10.2014. Mich hat die Länge deiner FF neugierig gemacht, denn man findet hier selten FFs, die eine Länge von 30 Kapiteln aufweisen und dazu noch abgeschlossen sind. Und ich muss sagen, ich bereue es keinesfalls, mir deine FF angeschaut zu haben. Ich hatte KG I damals an einem Abend durchgelesen und war mehr als sprachlos. Das du dann sogar noch KG II rausgebracht hast, war einfach der Knaller und ab da hattest du mich definitiv als feste Stammleserin :).

Und auch KG II war überwältigend, sogar weitaus besser als ich es mir hätte vorstellen können. Du bist an KG I gewachsen, man hat es nicht nur am Schreibstil gemerkt sondern auch an der Tragweite der einzelnen Kapitel, der Charakterenentwicklung, der Umgebungsbeschreibungen und letztendlich 52 sagenumwobenen Kapiteln. Du konntest von Anfang an deine Leser in Situationen hineinversetzen, mitfiebern und mitfühlen lassen. Das schaffen die wenigsten. Ich finde keineswegs, dass du dich für KG I schämen musst. Man fängt im Leben immer mal mit etwas an und mit der Zeit wächst man daran, wird reifer etc. Und das kann man hier sehr gut erkennen.

Und ja, ich habe in der Tat geweint beim Lesen des Epilogs. Es war einfach so ergreifend episch. 6 Jahre sind eine lange Zeit und da kann man mal als Stammleser sentimental werden (nur mal so unter uns: beim Finale vom Anime Naruto hab ich Rotz und Wasser geheult, wenn man mal überlegt das es einen in der Jugendzeit bis hin zum Erwachsenenalter begleitet hat), und deine FF hat das gleiche Gefühl bei mir ausgelöst.

Für deinen weiteren Lebensweg wünsche ich dir alles erdenklich Gute und das dein Traum vom Buch in Erfüllung gehen mag ;). Ich bin mir ziemlich sicher, dass du das schaffen wirst.
Kleiner Tipp: Lass dir KG I und KG II als Buch binden. Wenn du dann mal ein Schreibtief hast oder am verzweifeln bist, kannst du immer darauf zurückschauen, was du schon mal erreicht hast und wer weiß, vielleicht motiviert es dich ;).

Und zum Schluss wünsche ich dir einen guten Rutsch ins neue Jahr 2021 🎉🍾🥂🎇🎆

P.S.: Solltest du doch jemals hier wieder etwas veröffentlichen, lass es mich wissen. Vielleicht bin ich ja auch noch da ;).

Fühl dich gedrückt, m-l 🤘🏼

Antwort von:  ximi
30.12.2020 20:37
Liebe mai-ling

Tausend Dank für diese wunderbaren letzten Worte an mich. Dass du 2014 auf KG I gestossen bist, ist für mich eine wirklich glückliche Fügung. In diesen Portalen ist es immer schwierig, eine gewisse Aufmerksamkeit zu erregen und herauszustechen. Deshalb bin ich sehr froh, ist mir das zumindest mit der Länge der FF und ihrer Beendigung gelungen =)

Ich denke definitiv, dass man in einem Prozess wächst und so ist es mir in der Erstellung von KG ergangen. Vieles von dem, was ich in KG 1 geschreiben habe, würde ich inzwischen wohl etwas anders machen. Aber ich habe akzeptiert, dass es ist wie es ist. Und eigentlich ist es ja schön, wenn man den eigenen Prozess betrachten kann. Es freut mich total, dass ich mich in deinen AUgen auch entwickelt habe, ganz besonders dass die Charas sich entwickelt haben. Charakterentwicklung ist in meinen Augen das Herz einer guten Geschichte.

Auch wenn es etwas schräg klingt, freut es mich, dass du geweint hast beim Epilog - weil es dich berührt hat. Und die Nostalgie ist halt schon nicht wegzureden, denn sechs Jahre sind wirklich eine lange Zeit, in der vieles passiert und mit der man wohl auch gewisse Erinnerungen verbindet. Mir ging das beim Finale von Naruto übrigens ähnlich. Wenn etwas, das einen berührt und lange begleitet auf einmal zu Ende ist, kann das schon sehr traurig stimmen. Entsprechend ist es natürlich ein Riesenkompliment, dass es dir bei KG gleich ergangen ist!

Ich möchte dir noch einmal für all die Zeit danken, in der du die FF begleitet und auch so fleissig kommentiert hast. Es war mir eine riesige Freude und ich habe das unglaublich geschätzt! Den Tipp mit dem Binden als Ansporn ist gut! =) Mal zu sehen, wie dick es wäre, würde mich auch interessieren. Ich würde es dich auf jeden Fall wissen lassen, wenn das mit dem Buch etwas werden würde danke für dein Interesse ;D

Die guten Wünsche kann ich nur zurückgeben: Ich wünsche dir nur das beste für die Zukunft und einen guten Rutsch in ein neues, hoffentlich besseres Jahr! Mach's gut! =D
Eine Umarmung zurück!

LG ximi


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