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Herzschlag II

Miss Sato
von

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4. Dezember 1924 – New York
 

Eine frische Brise ließ mich frösteln und beförderte mich zurück in die Realität.

Es war inzwischen sieben Monate her, seit ich das Hospital hatte verlassen dürfen und seit mein Vater mich wieder bei sich aufgenommen hatte. Jedoch war etwas anders. Ein Gefühl der Fremdheit begleitete mich seit meiner Ankunft in diesem großen Haus. Der Geruch, die Wände, dieses Zimmer. Es war mein zu Hause, doch es fühlt sich nicht so an. Es war merkwürdig.

Ebenso befremdlich war die Tatsache, dass es scheinbar kein einziges Foto aus den Tagen meiner Kindheit mehr gab. Ich wollte wissen wieso, aber vielmehr noch, wollte ich erfahren warum ich mich nicht an diese Zeit erinnern konnte. Die Zeit, bevor ich im Hospital die Augen geöffnet hatte und mich mit meinem neuen Ich abfinden musste – dem Vampir.
 

Vater schwieg, wenn ich ihn nach meinem vergangenen, menschlichen Dasein fragte. Es schien ihm nicht unangenehm zu sein oder etwas dergleichen. Ein anderer Grund musste die Ursache für sein Schweigen sein. Doch egal was es war, ich wollte das nicht hinnehmen. Es war meine Vergangenheit und mein Recht, etwas darüber zu erfahren. Ich würde ihn wieder darauf ansprechen, so oft es nötig war, bis er mir alles erzählte.
 


 

Es war schon früh und Vater hatte sich bereits zurückgezogen. Ich ging nach unten in den ersten Stock, in welchem sich sein Schlafzimmer befand und bereitete mich seelisch darauf vor, dass er schimpfen würde, weil ich noch wach war. Ich war bereit dieses Risiko einzugehen.

"Vater?"

"Im Bad", kam es mürrisch von ihm.

Es missfiel ihm, dass ich noch nicht im Bett lag, das konnte ich hören. Doch ich blieb und wartete geduldig im Salon, während Vater sich noch im Bad aufhielt. Ich legte mir in Gedanken die Worte zurecht, mit denen ich ihn zum Reden bringen wollte.
 

Im Stillen verfolgte ich seine Schritte, die sich gleichmäßig dem Salon näherten und wie kurz darauf die Türe geöffnet wurde. Ich erhob mich und sah meinen Vater entschlossen an.

Schweigend setzte er sich auf einen alten Ledersessel, in dem er gewöhnlich zu Lesen pflegte, und wartete darauf, dass ich mein Anliegen vorbrachte. Vater war kein Mann großer Worte, wenngleich er einst ein mächtiger Mann gewesen war. Das Reden überließ er meist mir.

"Ich weiß, dass du nicht darüber sprechen willst, aber ich würde es jetzt gerne wissen. Es liegt mir sehr viel daran, zu erfahren was geschehen ist. Mir fehlen Erinnerungen ... und -"

Ich hielt Inne als er die Hand hob und mir damit andeutete zu schweigen.

Mein Blick war weiterhin fest auf sein Gesicht gerichtet. Ich würde keinen Rückzieher mehr machen, egal wie er mich jetzt ansah oder was er sagen würde. Mit jeder Sekunde wurde ich unruhiger. Ich versuchte es mir nicht anmerken zu lassen, doch ich war sicher, dass Vater es längst bemerkt hatte. Es war ein Leichtes für ihn, mich zu durchschauen. Nicht nur mich; er konnte hinter alle Fassaden blicken. Vater war noch immer ein großer, angesehener Mann. Von Menschen und Vampiren gleichermaßen gefürchtet. Hiroshi Matsumoto – ehemaliges Oberhaupt der Yakuza in Tokio. Ihm hatte die Stadt gehört, wenn nicht sogar weitaus mehr. Zumindest hatten mir unsere Bediensteten das berichtet. Selbst hatte er mir nie von seinen Geschäften erzählt, doch ich konnte ahnen was es bedeutete der Oyabun gewesen zu sein. Warum er nun hier war – in New York – konnte mir keiner verraten. Es war ein Rätsel. Vermutlich war es auch das Beste, dass ich unwissend war.
 

In den Augen dieses unantastbaren Mannes lag Unmut, vielleicht sogar Unbehagen, doch es würde ihm nichts nützen. Ich stand vor ihm, unbeweglich und fest wie ein Fels, während die Stille den Raum um uns zu erdrücken versuchte. Es kam mir vor, als würde die Zeit still stehen und die Luft dünner werden. Auch mich plagte dieses unwohle Gefühl. Nicht nur, weil ich eisern darauf wartete, dass mein Vater etwas sagte, sondern auch weil ich mich vor dem fürchtete, was er sagen könnte. Vater lehnte sich etwas nach vorn und sah mir prüfend in die Augen. Ich hielt den Atem an, bis er endlich das Wort ergriff.

"Gut, du sollst die Wahrheit erfahren."

Erleichtert atmete ich aus und doch musste mir die Nervosität mit dicken Pinselstrichen ins Gesicht geschrieben stehen.
 

"Du wurdest verkauft. Vor einigen Monaten, als du noch ein Mensch warst, hat man dich an einen Vampir verkauft."

Ich wollte etwas sagen. Wollte fragen, wie so etwas sein konnte, warum Vater mich nicht beschützt hatte, doch meine Zunge wog schwer wie Blei. Mein Mund ließ sich nicht öffnen.

Er fuhr fort: "Du warst allein auf dem Weg nach Hause. Abends, als die Sonne bereits hinter den Häusern verschwunden war und er nutzte die Gelegenheit, um endlich das zu erbeuten, was ihm zustand: Dich."

Ich musste mich zusammenreißen, damit meine Gesichtszüge mir nicht entglitten.

Vater schwieg für einen Augenblick. Er versuchte wohl meine Gesichtszüge zu deuten, um zu erkennen was gerade durch meinen Kopf ging. Es kam mir endlos vor und ich schenkte ihm ein zartes Nicken, dass er fortfahren möge.

"Er hat dich zu dem gemacht, was du jetzt bist, ließ dich zurück und entzog sich seinen Pflichten als Meister. Du warst auf dich allein gestellt, halt- und schutzlos, also bist du dorthin gegangen, wo du dir Hilfe erhofftest. Du gingst nach Hause zu deiner Familie."

Ich konnte es beim besten Willen nicht begreifen, doch ich wagte nicht zu fragen. Ich wollte Vater nicht unterbrechen.

"Du musstest erkennen, dass dein Durst nicht mit Wasser gestillt werden konnte. Im Blutrausch hast du ihnen allen das Leben ausgesaugt. Deiner Mutter, deiner kleinen Schwester und deinem Vater."

Heiße Schauer breiteten sich in mir aus, als er mir von meinen Taten berichtete. Erschüttert und angewidert zugleich, wandte ich mich ab und ging ans Fenster. Ich brauchte frische Luft und musste mich beruhigen. Es war unfassbar, was ich getan haben sollte. Wie konnte man nur so etwas tun? Seiner eigenen Familie? Mein Magen zog sich zusammen und ich fühlte mich als würde mir jemand die Kehle zuschnüren. Die Luft blieb mir weg.

Auch wenn ich mich nicht mehr an meine Familie erinnern konnte, wusste ich nicht Recht wie ich damit umgehen sollte. Es war Schrecklich.

Nein, sogar Grausam. Mir fehlten die Worte.

Mein Unterbewusstsein schien auf das hier zu reagieren und ich spürte wie es mir langsam immer heißer wurde und mir die Tränen in die Augen stiegen. Ich schloss die Lider, atmete tief ein und wieder aus. Ein paar Mal.

Ich starrte hinaus auf die Stadt und versuchte meine Gedanken zu ordnen, doch es gelang mir nicht. Es zerriss mich innerlich und dabei wusste ich nicht, ob es meine Taten oder mein Vergessen war, was stärker an mir zerrte.

Ich wandte mich wieder Vater zu, der noch immer ruhig in seinem Sessel saß und auf mich wartete.

Meine Stimme bebte.

"Wenn ich dich getötete habe ... wie kann es sein, dass du noch hier ... vor mir sitzt? Und warum kann ich mich nicht erinnern?"

Die Fragen brannten mir auf der Zunge. Vater jedoch behielt die Fassung und hob wieder die Hand. "Geduld, ich werde es dir erklären."

Er wartete, bis ich mich ihm gegenübersetzte und mich wieder etwas beruhigt hatte.

"Maya, ich habe mich dir angenommen, nachdem du ..."

Er unterbrach sich selbst und beendete den angefangenen Satz nicht. Ich versuchte geduldig zu bleiben und hoffte das er bald fort fahren würde.

"Ich bin nicht dein Vater. Du entstammst einer armen Familie aus Ueno. Dein leiblicher Vater war ein hinterhältiger Verräter. Ein Lügner. Er hat sich nicht um seine Familie geschert. Ihn interessierte nur der Handel. Er verkaufte dich an den Vampir, weil er sonst nichts mehr hatte ..."

Ich sah den Mann der mir gegenüber saß jetzt mit völlig anderen Augen. Er war nicht mein Vater. Nicht mein leiblicher Vater. Mit einem Schlag wurde mir alles klar. Dieses Gefühl der Fremde, dass mich seit Wochen verfolgte. Es war kein Streich, den meine Gedanken mir spielten, es war Realität. Ich wusste nicht was ich fühlen sollte. Wut? Trauer? Oder Enttäuschung? Meine Gefühlswelt stand auf dem Kopf. Trotz allem wollte ich hören, wieso ich mich an nichts erinnern konnte, also ergriff ich das Wort mit zittriger Stimme.

"Wieso kann ich mich an nichts mehr erinnern?"

Hiroshi gab mir ein bisschen Zeit, bevor er mit dem Rest der Geschichte fortfuhr.

"Das war ein Unfall. Als du nach deinem Rausch wieder zu dir gekommen bist, hast du verstanden was du angerichtet hattest. In Verzweiflung und Panik hast du versucht, dir das Leben zu nehmen. Ohne Erfolg, wie du siehst. Bei deinem Versuch musst du dir kräftig den Kopf gestoßen haben, daher dein Erinnerungsverlust."

Er stand auf und kam auf mich zu, um vor mir in die Hocke zu gehen.

"Auch diese kleine Narbe ist dir davon geblieben."

Er fuhr mir vorsichtig über den hellen Streifen an meiner rechten Schläfe. Kurz zuckte ich zusammen, als ich seine Hand spürte. Obwohl seine Hand sich kühl anfühlte, spürte ich die Wärme, die von ihr ausging.

Doch nach wie vor fehlten einige Teile des Puzzles. Hiroshi musste es an meinem Blick erkannt haben, denn er fuhr fort:

"Einer meiner Leute hatte diesen Vampir, der dich wandelte, schon seit einer Weile im Auge. Er ist dir auch später gefolgt und hat dich gefunden, als du bewusstlos auf dem Boden lagst. Er brachte dich sofort ins Hospital. Ein spezielles Abteil ..."

Ich ließ das Ganze etwas auf mich wirken.

"Wie kam es, dass du mich mitgenommen hast? Es könnte dir ganz gleich sein. Du hättest mich auch einfach da sterben lassen können!"

Hiroshi blieb weiterhin vor mir in der Hocke.

"Man sollte einen Jung-Vampir nicht auf sich alleine gestellt lassen."

Er erhob sich und setzte sich wieder in seinen Lieblingssessel, dabei ließ er mich nicht aus den Augen. Er schien wohl bemerkt zu haben, dass diese Antwort mich nicht gänzlich zufriedenstellte.

"Dein Vater hatte ein Weile für mich gearbeitet. Das ist aber schon einige Jahre her. Er hatte einem meiner Söhne das Leben gerettet als dieser in Schwierigkeiten war. Und als ich davon hörte, was dir zugestoßen war, beschloss ich, dich aufzunehmen."

Allmählich verstand ich.

Ich wollte gerade ansetzen, um noch etwas zu sagen, als er mich unterbrach.

"Ich wollte dich nicht dir selbst überlassen. Außerdem ist es für alle Vampire sehr riskant, wenn ein junger Vampir ohne Führung durch die Straßen irrt. Du hättest uns verraten können dann wärst nicht nur du selbst in Gefahr, sondern alle. Wenn die Menschen von der Existenz der Vampire erfahren, wären wir alle schnell von der Bildfläche verschwunden."

Ich nickte nur und stand wieder auf. Da ich mich nicht an meine Familie erinnern konnte, wusste ich auch nicht, wie ich meine jetzigen Gefühle zuordnen sollte. Früher war ich Teil einer armen Familie und jetzt, lebte ich wohlhabend, bei einem Mann den ich eigentlich nicht kannte und der mir auf unerklärliche Weise trotzdem vertraut war.

"Soll ich dich nun Meister nennen?"

Von meinem jetzigen Standpunkt aus, konnte ich erkennen wie er leicht die Augenbraue anhob. "Nein, das musst du nicht. Ich überlasse es dir, wie du mich nun nennen willst".

Er ließ mir also die Wahl. Ich sah ihn nicht als Meister, doch war er auch nicht mein leiblicher Vater. Dennoch empfand ich es treffender, ihn als Vater zu bezeichnen, da es sich die letzten Monaten genau so angefühlt hatte. Er brachte mir vieles über das Leben als Vampir bei und stand mir dabei nicht nur wie ein Meister sondern auch wie ein Vater zur Seite. Es war ihm wichtig, dass es mir gut ging und dass ich zufrieden war.

"Danke, dass du mir alles erzählt hast."

Er nickte kurz und sagte mir, dass es Zeit sei, ins Bett zu gehen.

Ich ging an ihm vorbei, blieb kurz stehen, bevor ich den Salon verließ, und wandte mich noch einmal an ihn.

"Schlaf gut ... Vater."

Ein leichtes Lächeln umspielte meine Lippen und ich konnte ihm ein Schmunzeln entlocken, als ich ihn nichts desto trotz noch immer Vater nannte. Er wünschte mir noch einen schönen Schlaf und deutete mir an, dass es Zeit wurde, nach oben zu gehen. Er ging in sein Zimmer und ich nach oben in meines. Ich musste eine Nacht über das alles schlafen. Doch jetzt, da ich endlich wusste, was geschehen war, fühlte ich mich besser. Es war schwer, all das zu verstehen, doch ich fühlte mich leichter. Eine Weile ging ich das Ganze in Gedanken durch, bis mir irgendwann die Augen zufielen und ich endlich schlafen konnte.
 


 

Einige Tage später klingelte es schon zeitig an der Tür. Ein Dienstmädchen öffnete sie und ließ den jungen Mann herein. Sie bat ihn, im Wohnzimmer zu warten. Kurz darauf konnte ich ihre Schritte hören, wie sie die Treppe hinauf kamen und es kurz darauf an meine Tür klopfte. Ich bat sie herein und setzte mich auf. "Miss Sato, Mr. Rivers ist hier und wartet bereits auf Sie". Ich nickte ihr zu und sagte das ich gleich hinunter kommen würde.

Sie verließ das Zimmer und ich sprang unter meiner Decke hervor. Es war nun schon eine Weile her, dass ich mich weiter als nötig von meinem Bett entfernt hatte, doch Scott ließ mir keine andere Wahl, als jetzt damit aufzuhören. Schnell ging ich ins Bad, machte mich zurecht und zog mich an. Ich eilte nach unten und konnte sehen, wie er im Wohnzimmer umher ging.

"Scott, du bist zu früh!", lächelte ich ihn an, "aber lass uns jetzt gehen, ich muss dir unbedingt etwas erzählen."

Ich verabschiedete mich noch von meinem Vater und verließ mit Scott das Haus. Ich kannte ihn jetzt seit einigen Monaten. Auch er war ein Vampir und ich verstand mich gut mit ihm.

Draußen hielt ich kurz Inne und wandte mich an Scott.

"Er hat mir vor ein paar Tagen alles erzählt. Du weißt schon, die Sache mit meinen Erinnerungen."

Er nickte nur und hörte mir zu, wie ich ihm alles von Anfang bis zum Ende erzählte. Obwohl er nichts sagte, fühlte ich mich verstanden. Er war da und half mir mein neues Leben lieben zu lernen.
 

Ich mochte und mag es auch heute noch.



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