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Ein Leben unter Tausenden

von

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Dumpf dröhnen die Trommeln in den Ohren, als die Stadt aus dem Schlaf geweckt wurde. Die Stimmen beginnen sich zu einem unverständlichen Gewirr zu vermischen, sodass es unmöglich ist, den Grund für den Alarm zu erahnen. Dennoch ahne ich, dass es jene sind, die seit Jahren versuchen die Heilige Stadt zurück zu erobern. Sarazenen. Einst geführt unter Saladin, schrecken verbreitend unter den Pilgern und Kriegern, sind sie noch heute eine gefürchtete Macht, die man nicht unterschätzen sollte. Doch was… wenn es die Mongolen sind? Was… wenn es gar das Mameluken-Heer ist, welches sich unaufhaltsam durch die Wüste hier her auf den Weg machte? Doch ist dies überhaupt von Belangen? Ist dies wichtig in dieser Stunde, in der niemand erahnen kann, was als nächstes auf ihn wartet?
 

Ich erhebe mich von meinem Lager. Es geschieht wie in einem Rausch, den ich nicht selbst bestimmen kann. Die Waffen stehen an der Wand gelehnt, meine Kleidung hängt auf einem einfachen Holzständer. Rüstung… man es kann so nicht mehr nennen. Der Harnisch ist zerbeult, ich hatte keine Zeit ihn zu den Schmieden zu bringen. Längst ist mein weißer Waffenrock rot vom Blut und grau vom Staub des Landes. Sand haftet an ihm, Löcher zieren ihn, wo Bolzen und Pfeile ihre Ziele fanden. Das rote Kreuz prangt wie ein unvergängliches Symbol darauf. Es erinnert mich jedes Mal auf’s Neue, welche Eide ich schwor, welchen Weg ich wählte und welche Verpflichtungen ich gegenüber dem Kreuz habe.
 

Schritte eilen an meiner Tür vorbei. Stimmen brüllen Befehle für die Sergeanten. Im Hof wird bereits Chaos sein. Ritter, die auf ihre Pferde steigen, Knappen, die ihre Herren noch in die letzten Rüstungen schnallen, ihre Waffen tragen, ihre Schilde halten. Die Priester werden die letzten Gebete und Segnungen sprechen, die Augen sind zum Himmel erhoben. Stimme Gebete und Wünsche an den Herren, an Jesus Christus oder Maria, ein Wunsch, zurückzukehren. Doch die wenigsten werden diesen Moment erhalten. Die wenigsten werden es schaffen, unbeschadet aus diesem Kampf hervor zu gehen.
 

Ich schließe meine Augen, fühle den heißen Wind auf meiner Haut. Ich war dort… ich habe in der Wüste bereits meine Schlachten geschlagen. Ich sah das Blut, die abgetrennten Körperteile und ich hörte die markdurchdringenden Schlachtrufe der Moslems. Ich sah ihre Furchtlosigkeit in den Augen, fühlte die Furcht in meine Glieder kriechen, als sich das Heer auf uns zubewegte. Ich höre noch immer das Surren der Pfeile, die neben mir in Brüder eindringen, die ihre Augen durchschlagen, ihre Körper, als wären die Rüstungen aus Papier. Ich hörte erneut die Schreie, die Schmerzenslaute, während Sand aufgewühlt wird und die Luft durchzieht. Das Donnern der Pferdehufe lässt mich noch immer erschauern, die Gewalt der Wellen, welche aufeinander prallten. Schwerter, die Klirren. Leben, die vergehen. Die Aasgeier kreisen bereits über den Feldern, als der Kampf gerade beginnt… Ein Signalhorn, dass die Trebuchets entfesselt…
 

Mich von den Erinnerungen lösend, streiche ich über den Waffenrock, ehe mich der Rüstung zuwende. Ich lege sie an. Erst das Kettenhemd, dann die Schulterteile, den Harnisch. Ich habe gelernt die eher leichte Rüstung selbst anzuziehen. Es mag nicht einfach sein, doch seit mein Knappe viel, bereits vor mehr als fünf Jahren, wählte ich mir keinen Neuen mehr. Es war ein spezielles Band, das uns zusammen hielt. Ein Band, dass über den Lehrer und Schüler hinaus ging und eher als ein Band zwischen Brüdern bezeichnet werden kann. Ein blindes Vertrauen, ein Wissen, dass der eine dem anderen den Rücken deckte…
 

Ich zurre die Riemen am Harnisch seitlich fest, lege den Waffenrock über, bevor Gürtel und Schwertscheide folgen. Handschuhe, darüber die zerbeulten Armschienen, bevor ich Streitkolben und Schild anhebe. Längst ist mein Helm zerschlagen von den Waffen anderer. Doch mir fehlte die Zeit… ich sehe auf ihn, sehe auf die Bruchstelle an der Naht und schüttel den Kopf. Ich sollte ihn bei Zeiten dem Schmied übergeben… Denn lediglich von einer Kettenhaube geschützt, wird mein Kopf nicht viel aushalten. Noch einmal richtet sich mein Blick auf das Kreuz, welches mir meine Mutter einst mitgab, als ich in „Le Temple“ in Paris meine Knappschaft begonnen hatte. Ich bewahre es auf, beschütze es. Vielleicht sollte ich ihr einen Brief schreiben? Ihr sagen, was ich mache, dass es mir gut geht? Vielleicht sollte ich wirklich sicher gehen, dass es ihr an nichts mangelt.
 

Die Rufe werden lauter und die Signalhörner erschallen über den Mauern der Stadt. Es wird Zeit, dass ich mich meinen Brüdern anschließe. Es wird Zeit, dass ich die Schildreihe auffülle und meinem Bruder neben mir ein Schild bin.
 

Wie in Trance trete ich aus meinem kleinen Raum heraus. Ich reihe mich in die Krieger ein, die aus dem Ordenshaus herausströmen, lasse mich mit ihnen treiben. Mein Blick wandert über die Basarstände zu beiden Seiten. Sie sind unbesetzt, die Händler verschanzen sich in ihren Häusern, ihre Familien bei sich habend und betend, dass sie diesen Angriff überstehen würden, dass wir erneut siegreich sind und die Mauern halten. In solchen Momenten wie jetzt frage ich mich, ob es die richtige Entscheidung war, ein Tempelritter zu werden. Mein Leben gehört Jesus Christus und ich bin bereit für die Pilger und deren Schutz zu sterben und doch ist da immer die Frage, wie es gewesen wäre, wenn ich den Hof meines Großvaters übernommen, wenn ich eine Familie gegründet und sesshaft geworden wäre. Wie oft habe ich hier bereits lachende Kinder beobachtet, habe ich zugesehen, wie sie mit einfachen Holzfiguren spielten und durch die Straßen rannten. Lachend, fröhlich singend. Ihre Kinderaugen, die die Welt noch immer so sehen, wie sie sich wünschen. Eine Welt, in der es nichts gibt, was man nicht erreichen konnte. Einige Kinder sprachen von Engeln, die sie gesehen haben, andere von fantastischen Welten über den Wolken, wo man friedlich lebte, wo es keinen Krieg gab, kein Leid. Einige träumen von der weiten Welt, von Abenteuern und schönen Ländern. Andere sehen uns Ritter an und wünschen sich nichts mehr, als ebenso erhaben wie wir zu sein. Ehrenraft, die Armen beschützend, selbstlos im Kampf die Stadt verteidigend. Ein schöner Traum, ein schöner Gedanke, der in der Realität jedoch rasch zerplatzt, wie eine Seifenblase.
 

Ein Donnern erklingt und kurz darauf fliegen Steinbrocken um mich herum. Ein Trebuchet-Geschoss hatte es über die Mauer geschafft und schlug in unmittelbarer Nähe in ein Gebäude ein. Der Lehm brach so rasch, dass die darin verbauten Steine zu tödlichen Geschossen wurden. Einige werden getroffen, andere von den herabfallenden Mauern erschlagen, verwundet. Staub wirbelt auf, verringert unsere Sicht. Erneut höre ich Rufe. „Weiter! Verstärkt die Mauern! Sie brechen durch!“ Es scheint von überall herzu kommen. Jeder der irgendwo eine Mistgabel hat bewaffnet sich und eilt zu den Mauern. Noch steht das Tor, noch hält es den Angriffen stand, doch wie lange noch?
 

Auf den Türmen der Stadt stehen Balisten, welche die Feinde dezimieren sollten. Etwas dahinter auf den Vorplätzen werden die Trebuchets beladen. Sie schleudern ihre Ladung Meterweit über die Mauern, treffen die anrückenden Truppen empfindlich. Doch reicht es aus?
 

Ich habe kein Auge mehr für die Stadt, keine Gedanken mehr an die Menschen und die Kinder. Vergessen sind meine kurzen Überlegungen, eine Familie zu haben. All dies ist nutzlos im Angesicht der Schlacht. All dies verblasst zu einem irrelevanten Gedankengang, der mich jetzt von meinen Aufgaben, von meinem Kampf abhalten würde.

Ich eile die Leiter hinauf, das Schild kurz über den Rücken gelegt mit dem entsprechenden Gurt. Pfeile begrüßen mich, ein ganzer Regen ergießt sich über die Streiter, die Jerusalem verteidigen. Neben mir fallen getroffene die Mauer hinab. Einige halten sich die Augen, andere wanken, der Federkiel ragt aus ihrer Brust heraus. Der Tod ist all gegenwärtig und ich erahne, dass die Engel des Todes bereits darauf warten, jene mit sich zu nehmen, die hier ihren Lebenshauch aushauchen. Mein Schild nehmend, beginne ich mich den Streitern anzuschließen. Mein Streitkolben trifft die Köpfe jener, die über Leitern und Seile versuchen, die starken Mauern dieser Stadt zu überwinden. Immer wieder schweift mein Blick über die Ebene vor der Stadt, wo die übrigen Soldaten der Moslems nur darauf warten, ihre Chance zu erhalten. Ein Meer aus Schwarz, aus undurchsichtigem Sandgewirr, das die wahre Streitmacht verbirgt. Ob Michael uns heute beistehen wird? Ob seine Heerscharen unsere Waffen führen, sein Geschick uns leitet? Ich weiß es nicht und ich fühle eine Angst in mir aufkeimen, die ich so oft fühlte im Angesicht des Todes.
 

Während ich die Mauern verteidige, mein Leben, beginne ich das „Vater Unser“ zu beten. Erst in Französisch, meiner Heimatsprache, dann in Latein. Ich höre, wie andere in das Gebet einstimmen, wie sich die Stimmung wandelt. Ich fühle eine Stärke, die ich bis eben vermisst hatte. Es ist, als würde mich jemand führen, als würden meine Bewegungen durch einen anderen unternommen werden. Schwerter treffen auf mein Schild, Schreie erklingen, Kampfrufe übertonen die Befehle. Ich höre sie, sehe die Schlachten und dann… dann ist es still. Es erscheint mir, als würde ich in Zeitlupe kämpfen. Kein Ton durchdringt diesen Moment, keine Furcht erfüllt mein Herz. Im absoluten Rausch bewege ich mich todbringend gegenüber meinen Feinden, fokussiert auf den direkten Gegner vor mir, auf jene Gegner neben mir. Blut überzieht meinen Körper, meine Haut. Ich schmecke den Sand auf meinem Lippen, das Blut auf meiner Zunge. Die Hitze lässt meine Haut sich röten, verbrennt mir das Gesicht erneut, wie schon so häufig zuvor.
 

Wie lange diese Schlacht dauert, ich vermag es nicht zu sagen. Stunde um Stunde zieht vorbei. Ich fühle, wie meine Muskeln schmerzen, wie sich Stahl in meine Haut bohrt. Schnitte an meinem Oberarm, in meinem Gesicht lassen mein eigenes Blut auf die Rüstung und den Waffenrock tropfen, der für meine Reinheit und meinen Glauben steht. Ich bewege mich fast tänzerisch über die Kadaver um mich herum. Sie überziehen den Wehrgang auf den Zinnen, türmen sich hinter den Mauern zu riesigen Bergen auf. Halblebende liegen darauf, begraben werden von jenen, die tot über sie fallen. Freund und Feind… es macht keinen Unterschied, denn im Tod sind wir alle gleich. Wir sind Leiber aus Fleisch und Knochen, die erneut zu dem werden, aus dem wir gekommen sind. Wir nähren die Tiere mit unserem Fleisch, nähren die Pflanzen mit unserer Asche. Unsere toten Augen starren in einen Himmel, den wir nicht mehr sehen können und längst hat das Herz aufgehört zu schlagen, egal wie edel, intrigant oder angsterfüllt es auch gewesen sein mag. Am Ende stehen sowohl wir Christen, als auch die Moslems vor unserem Richter und wir haben es zu verantworten, was wie wir mit jener Zeit umgegangen sind, die uns gegeben war.
 

Ja, es mag Blasphemie sein, dass ich durch aus den Moslems zugestehe, dass ihr Glaube sie nicht direkt in die Gehenna, die Hölle führt. Womöglich wäre ich vor Rom ein Ketzer und doch kann ich nicht einfach schwarz und weiß malen. Ich vermag es nicht. Nicht nach allem, was ich weiß, was ich sah, was ich erlebte. Ich erlebte die Gnade der Feinde, die meinen ehrenhaften Kampf würdigten und mir mit etwas Wasser das Leben retteten, nachdem ich das ihre verschont hatte, waren es doch mehr Kinder, die ich vor mir sah. Angsterfüllte Mameluken, die hofften durch den Kampf ihre Freiheit aus Ägypten zu erhalten. Ich erlebte jedoch auch die Grausamkeit der Mongolen, die ihre Gefangenen versklavten und noch vor den Toren der sicheren Stadt die Frauen vergewaltigten, die es nicht mehr in die sichere Zuflucht schafften. Und ich erlebte die absolute Ehrfurcht der Moslems vor ihrem Gott. Ich hörte ihre Priester beten in einer Sprache, die mir fremd ist und ich sah ihre Ergebenheit, ihr Fügen in das Schicksal, bevor sie in den Kampf zogen. Es war, als würde ich in einen Spiegel sehen… einen Spiegel, den die wenigsten wahrnehmen. Wie kann ich einfach ein Leben beenden, wenn eines der Gebote lautet: Du sollst nicht töten? Wie kann ich eine andere Religion verteufeln und herabwürdigen wenn es heißt: Liebe deinen Nächsten wie dich selbst?
 

Doch manches Mal benötigt es Jahre des Kampfes, bis man diesen Weg erreicht, bis man nachfragt und in der Dunkelheit der Nacht, im Gebet um die Führung bittet, um die Weisheit dieses Blutvergießen, dieses Leid zu verstehen. Ich mag einer der wenigen sein, einer der sehenden oder der blinden, je nach dem welche Sicht man vertritt, doch ich bin nicht gewillt blind in meinen Tod zu gehen und Petrus keine Antwort geben zu können, was ich mit meinem Leben angefangen habe. Denn welcher Engel, welcher Wächter möchte einen stumpfen Krieger bei sich haben, der nur auf eine Sache schlagen kann, jedoch weder Barmherzigkeit und Menschlichkeit kennt? Macht uns nicht genau das aus?
 

Schwer atmend hebe ich den Kopf. Es ist Nacht geworden und ich knie über einem Moslem. Mein Streitkolben steckt in seinem Schädel. Ich knie auf seinem Körper, als würde ich in Andacht versunken in der Kapelle des Ordenshauses sein, im Gebet an unseren Herren versunken. Der Kampf ist vorüber, vorerst. Ich sehe Heiler, die durch die Reihen gehen, Medicusse, die nach Überlebenden suchen. Ich nehme schmerzhaftes Stöhnen war, Schreie von weiter unten. Der Geruch von verbranntem Fleisch steigt in meine Nase, beißend und Übelkeit erregend. Die ersten Leichenfeuer brennen, drinnen wie draußen und ich erhebe mich. Ein weiter Kampf, der endet. Ein weiterer Kampf, der unzählige Leben forderte. Mein Schild anhebend, blicke ich auf ein Loch auf der unteren Seite. Eine Lanze brach durch, fand die dünne Stelle die bereits durch Kolben und Hämmer bearbeitet worden war. Ich hatte Glück… soviel steht fest. Meine Muskeln brennen mit jedem Schritt und ich kämpfe mich über die Leichen hinweg. Unter meinen Füßen rutschen blutige Hände weg, bringen mich fast zu Fall, doch ich kann mein Gewicht ausgleichen, mich fangen, ehe ich stürze. Über die Steinstufen hinab gehend, die zu den oberen Mauern führen, vorbei an zerborstenen Trebuchets und Katapulten, achte ich kaum auf meinen Weg. Ich möchte einfach nur zurück zum Ordenshaus, zurück in mein Zuhause, fern von meiner Heimat. Der Weg durch die Stadt ist mir bereits so gut bekannt. Ich kann ihn im Schlafe gehen. Den Kopf leicht gesenkt haltend, den Streitkolben in Richtung Boden gerichtet, setze ich meinen Weg fort, setze einen Fuß vor den anderen.
 

Um mich herum brennen Fackeln und Lichter. Die Menschen versuchen die Stadt etwas heimelig zu gestalten, versuchen sich Hoffnung zu spenden. Einige stellen die Lichter auf, um den Seelen ihren Weg nach Hause zu erleuchten, ihren Weg ins Himmelreich. Ein schöner Brauch und ich hoffe, dass einmal auch für mich eine Kerze brennen mag, auf dass ich mich nicht verirre, wenn ich mein Leben beenden sollte.
 

Das Ordenshaus ist von regem Treiben durchzogen. Heiler und Priester eilen von einem Bruder zum anderen. In der Schmiede brennen die Öfen. Das Klirren von Hämmern auf Metall erklingt über den gesamten Hof. Es wird repariert, was in der Kürze der Zeit möglich ist. Ein Blick auf mein Schild, entschließe ich mich dazu, es neben die anderen zu stellen. Sollte es morgen nicht fertig sein, weiß ich dennoch, wo ich es finden kann, wenn der nächste Angriff beginnt.
 

Ich sollte später in der Kapelle beten… dem Herren danken, dass er mich leitet, dass er mich lebend aus dem Kampf zurück führte. Ich werde bald wissen, welche Brüder vor unseren Schöpfer getreten sind und welche noch leben. Bald kommen neue aus Europa. Sie werden in Acre an Land gehen und von dort den Weg mit den Pilgern nach Jerusalem nehmen. Die leeren Zellen werden erneut mit Leben gefüllt und es werden weitere Leben vergehen. Der Lauf der Dinge und ich bin mir sicher, dass es nichts geben wird, was einen allübergreifenden Frieden zur Folge haben würde.
 

Ich öffne bald die Tür zu meiner Kammer. Sie ist nicht groß, nicht prunkvoll, doch sie reicht vollkommen aus. Was nützen Reichtum und Güter, wenn man sie am Ende nicht mit sich nehmen kann?

Mich umdrehend, blicke ich zu meinem einfachen Lager, als ich den Gürtel öffne und erstarre. Dort, auf dem Lager, liegt in weiße Leinen geschlagen ein Körper. Langsam trete ich näher heran, lasse ab von meinem Vorhaben, meine Rüstung abzulegen. Welchen Bruder hat man hier fälschlicherweise hingelegt? Meine Hand ausstreckend, schlage ich das Leinenende über dem Gesicht zurück. Ich starre in das Gesicht eines mir bekannten Ritters… sein Schädel ist seitlich zertrümmert, Knochen und Gehirnmasse sind zu sehen. Ein Überleben… unmöglich gewesen.
 

Ich weiche zurück, starre auf meine Hände. Dies konnte nicht wahr sein! Wie war es möglich, dass ich dort lag, wenn ich doch hier stand!? Das war ein Traum, ein dunkler Traum! Ich sinke auf meine Knie und wende den Kopf herum. Ich trage noch immer die Rüstung, ich habe mein Schild abgegeben… meinen Blick hebend, erblicke ich es auf dem Körper liegen, auf meinem, darunter die gefalteten Hände. Das Loch der Lanze war deutlich zu sehen und mein Streitkolben ruhte auf meiner Brust.
 

Ich kann es nicht verstehen, nicht begreifen! Bin ich gefallen? Wann!? Wie!? Mein Verstand kann es nicht erfassen. Mein Herz es nicht verstehen.
 

Die Türen öffnen sich erneut. Ein Ritter und zwei Sergeanten betreten meine Kammer, gehen an mir vorbei, as wäre ich nicht hier.

„Es ist bedauerlich, dass dieser Morgenalarm uns davon abhielt, ihn den Flamen zu übergeben, wie es einem Ritter seines Standes gebühren würde. Und selbst jetzt wird nicht viel Zeit für Psalme sein…“
 

Skeptisch blickt der Ritter, den ich als Schildbruder bezeichnen würde, auf das Leinen.

„Wer war so blasphemisch?! Wer hat es gewagt, sein Antlitz erneut zu enthüllen, seine Ruhe zu stören!“ Den Kopf schüttelnd, legt er erneut das Leinenende auf mein Gesicht, sodass ich einer Mumie gleich auf meinem Lager liege. Es ist… beängstigend mich so zu sehen.

Sie betten mich auf eine einfache Trage und bringen mich hinaus. Schweigend, neben mir stehend, folge ich dieser kleinen Gruppe. Immer wieder starre ich auf meine Hände, auf die Umgebung. Ich bin heute Morgen erwacht durch den Schlachtenlärm! Ich habe mich gerüstet, bin in den Kampf gezogen… Ich habe mich verteidigt, gekämpft. Ich fühlte die Schmerzen, ich fühlte die Furcht, ich betete… andere stimmten mit mir ein! Ich habe es gehört, genau mitbekommen! Wie kann ich zu diesem Zeitpunkt bereits verstorben gewesen sein!? I
 

Hinaus tretend, blicke ich erneut seitlich, hin zur Schmiede. Mein Schild steht nicht mehr… wie auch? Wenn… es doch auf mir liegt?
 

Wie im Traum sehe ich zu, wie mein Körper auf einen Scheiterhaufen gebetet wird, wie andere neben mir ebenfalls den Flammen übergeben werden. Psalme, Gesänge, Gebete… ich höre sie und doch auch nicht. Ich stehe mitten unter ihnen und doch sehen sie mich nicht! Ist das der Grund, warum keiner mich ansprach? Ist das die Erklärung, warum die Heiler an mir vorbei gingen, als wäre ich nicht da? Meine Hand gleitet zu meinem Kopf. Ich halte meine Stirn und taste über meine linke Gesichtshälfte. Sie ist…normal, oder? Erneut hebe ich meinen Kopf, blicke auf das Feuer, dass das Leinen zerfrisst, meinen Körper ergreift. Das Schild und mein Streitkolben wurden von meinem Schildbruder von mir genommen. Sie werden anderen zum Schutz dienen, als Waffen.
 

Ich bleibe stehen, selbst als die letzten Glutreste verglommen sind und starre auf den Punkt, der von meiner Asche bedeckt wird. Die Welt wechselt zu einem Grau, dass die Farben ersetzt. Ich blicke in den Himmel und vermisse bereits jetzt die blauen Farben, die diesen gezeichnet hat. Ich vermisse die Wärme der Sonne, denn es wirkt, als würde es kühler werden. Erneut drehe ich meinen Kopf, blicke neben mich. Brüder und Sergeanten betreten das Ordenshaus und verlassen es erneut. Sie sind ebenso grau, wie die Umgebung. Einige kenne ich… sie fielen vor Jahren, andere erst vor wenigen Tagen. Krieger, so wie ich. Soldaten, Kämpfer… Vater, Brüder, Söhne… Neffen und Onkel. Das, was wir waren wird hier nicht mehr von Belangen sein und es ist auch nicht das Himmelreich, wie viele es beschreiben und wie es uns versprochen wird. Es ist eher eine Abbildung der Realität, die uns Heimat und vielleicht auch Flucht sein wird. Werden wir hier die Kämpfe jedes Mal erneut durchleben? Werden wir in Frieden leben können? Ich weiß es nicht. Doch egal wie sehr ich diese Unwissenheit fürchte, wie sehr ich mich danach sehne, erneut zurück zukehren zu meiner Mutter, so weiß ich jetzt, dass ich jede Chance vertan habe, sie lebend wieder zu sehen. Doch vielleicht bleibt mir die Gnade gewährt, sie im Tode zu finden…
 

Noch einmal drehe ich mich um, sehe zu den letzten vergehenden Farben. Ich hoffe für jene, die nach mir kommen, dass sie zumindest etwas von mir lernen konnten. Ich hoffe, dass sich zumindest einer meines Namens erinnern wird, wenn die Zeiten sich beruhigen und dieser Kampf um das Heilige Land einmal beendet sein wird. Doch dies, liegt nun nicht mehr in meiner Hand.
 

Mich abwendend von den letzten Fetzen des Lebens, schreite ich auf die betenden Brüder zu und knie mich zu ihnen. Ich reihe mich ein in die Welt der Toten und vermische mich mit den Grautönen der anderen, die diese Ebene bevölkern. Wer weiß? Vielleicht werde ich einmal die Augen öffnen und das Blau des Himmels erneut sehen. Ich warte auf diesen Moment und ich weiß eines… ich werde ihn mit Freuden willkommen heißen.



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