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Mondscheinkuss

von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Ganz ehrlich? Ich habe keine Ahnung ob das mit der Blutgruppe stimmt. Bei Wikipedia stand, dass AB mit 5% die seltenste Blutgruppe in Deutschland sei. In einem anderen Artikel war es Null Rhesus negativ. Woanders stand AB Rhesus negativ mit 1 %. Ich habe jetzt auf gut Glück bei Andreas Null Rhesus negativ benutzt. Wenn es jemand besser weiß, immer her mit der Antwort damit ich die Textstelle ausbessern kann (es muss aber eine seltene Blutgruppe in Deutschland sein!).

Kommentar meiner Mutter: Wieso? Kann dein Vampir sonst kein Blut trinken? - Unheimlich...woher weiß sie, dass es dabei um Vampire geht? Ich habe rein gar nichts erwähnt, sondern sie nur nach einer seltenen Blutgruppe gefragt. XD hahaha~
Meine Ma durchschaut einfach alles. °3° Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Aktuell schreibe ich bereits an Kapitel 11 und da die Story langsam nicht mehr wirklich Humor zu bieten hat, habe ich es aus den Genre entfernt und durch Darcfic ersetzt. By the way~ Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Fariks Vorgeschichte Komplett anzeigen

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Und Vampire gibt es doch!

Ich stehe an der Mauer der Sporthalle und luge vorsichtig um die Ecke. Da ist er. Dale. Er hockt an der Wand hinter dem Gebäude, den Blicken der lästigen Lehrer entzogen und raucht heimlich. Das ist es jedoch nicht, warum ich ihn seit einigen Tagen stalke.

Ich habe eine schlimme Befürchtung und sehe klammheimlich zu meinem Mitschüler. Ein kurzer Blick zu meiner besten Freundin Melanie sagt mir, dass sie bereit ist. Kugelschreiber und Notizblock sind gezückt, also können wir mit der Checkliste beginnen.

„Blasse Haut.“

Sie notiert es.

„Ziemlich lange Fingernägel für einen Jungen.“ Ich betrachte meinen Mitschüler und sehe dann flüchtig auf die raspelkurzgeknabberten Nägel meiner linken Hand. „Seine Eckzähne sind schon ein bisschen länger, habe ich letztens in der Kantine bemerkt.“

„Mia hat die Zähne vorne aber auch länger und schaut aus wie ein Kaninchen und deine Schneidezähne sind auch nicht wirklich sehr gerade.“

„Ja, egal. Schreib auf. Was soll das auch? Ich wollte nie eine Zahnklammer tragen, es ist unangenehm und der kleine Schönheitsmakel fällt nicht weiter ins Gewicht.“

Seufzend schaut Melanie auf ihren Block und zeichnet ein Vampirgebiss.

„Schwarze Haare. Nun gut, dass tut nicht wirklich etwas zur Sache.“ Ich grübele einen Moment andächtig. „Er trägt eine Sonnenbrille. Das macht ihn schon irgendwie verdächtig.“

„Na ja, die Sonne scheint auch, Andreas.“

„Ja, aber Vampire reagieren empfindlich auf Lichteinflüsse. Deswegen trägt er ja auch den Hoody und die Jeans bei dieser Hitze.“

Melanie verzieht ihren Mund und sieht stirnrunzelnd zu unserem unfreiwilligen Opfer. „Er muss oft ins Krankenzimmer. Ich habe gehört, dass er unter Anämie leidet.“

„Natürlich, er braucht Blut und wenn er keines bekommt, geht er noch vor die Hunde.“

„Ob die Krankenschwester eingeweiht ist?“

„Wir werden sie nachher noch eingehender unter die Lupe nehmen.“

Wir beschatten Dale neugierig. Mein Mitschüler ist erst seit kurzem in unserer Klasse. Ich habe mitbekommen, dass sein Vater Amerikaner ist, seine Mutter Deutsche, daher auch der Name, der nicht gerade üblich an deutschen Schulen ist. Was mich allerdings fasziniert ist die Tatsache, dass er wahrscheinlich ein Vampir sein könnte. Das muss ich allerdings erst noch beweisen!

Einige Hinweise gibt es und denen werde ich näher auf den Grund gehen. Ich muss versuchen mehr über diesen Jungen herauszufinden und dann werde ich ihn überführen!

„Meinst du nicht, dass du es ein bisschen übertreibst, Andreas? Ich meine, er sieht nicht aus wie ein Vampir. Jedenfalls nicht so wie ich sie mir immer vorstelle...“

„Ich werde dich schon noch überzeugen!“, erwidere ich abwesend und fest entschlossen Dale zu überführen.

„Weißt du was? Mich interessiert ein anderes Gerücht viel mehr.“

„Hä?“, frage ich und ziehe eine Grimasse. Was kann denn bitte interessanter sein als die Tatsache, dass wir hier einen waschechten Vampir an unserer Schule haben?!

Verständnislos sehe ich Melanie an, die mich bis über beide Ohren angrinst. „Einige meinen, er steht vielleicht auf Jungs.“ Sie kichert amüsiert.

Ich verziehe meinen Mund. „Was soll daran interessant sein?“

„Na, er sieht gut aus und was ist schöner als die Vorstellung, dass sich zwei sexy Jungs zusammen in einem Bett...“ - Ich halte ihr mit meiner Hand den Mund zu. „Das will ich gar nicht wissen, was du hier schon wieder für Fantasien hast! Heb' dir dein Kopfkino für Zuhause auf!“, meckere ich leise.

Schalkhaft blicken mich ihre blauen Augen an. Ich grummele und ziehe meine Hand zurück. Die spinnt doch. Haben wir es hier jetzt etwa mit einem schwulen Vampir zu tun? Das geht ja mal gar nicht! Ich meine, prinzipiell haben Vampire es doch immer auf Frauen abgesehen, denen sie das Blut aussaugen können, zumindest in Filmen und Büchern.

„Was regt es dich so auf? Kann dir doch eigentlich egal sein oder nicht?“, fragt Melanie und beugt sich zu mir vor. Ich ziehe abrupt meinen Kopf zurück, als sie mir plötzlich so nahe ist. Ich mag Melanie, aber manchmal ist sie es, die kräftig übertreibt.

„Es regt mich nicht auf. Das macht nur alles keinen Sinn. Ich glaube nicht, dass er auf Jungs steht. Er gibt sich ja mit überhaupt niemandem hier ab! Wie kommen dann alle darauf, dass er vom anderen Ufer ist?“

„Weil er schon einige Mädchen abgewiesen hat und ich denke, dass es dafür durchaus seine Gründe geben könnte.“ Melanie nickt aufgrund ihrer Schlussfolgerung und verschränkt die Arme vor der Brust.

„Du spinnst doch. Dann steht er halt noch nicht auf Mädchen. Na und? Dann ist er eben ein Spätzünder.“

„Du hast für alles eine plausible Ausrede oder?“

„Das sind keine Ausreden. Es ist die Wahrheit!“, erwidere ich großspurig. Ich linse aus dem Augenwinkel zu Dale und verziehe mein Gesicht zu einer Grimasse. Der Junge drückt die Kippe aus und erhebt sich gemächlich. Ich zerre Melanie am Arm zurück und laufe mit ihr eilig auf den Pausenhof. Grummelnd stecke ich meine Hände in die Hosentaschen.

Wir setzen uns auf die Stufen vor der Sporthalle und gelangweilt lasse ich meinen Blick über die anderen Schüler schweifen. „Diese nichtsahnenden Idioten. Sie wissen gar nicht wie sehr sie in Gefahr schweben.“

Melanie kichert und kritzelt neben mir auf ihrem Block herum.

„Lach nicht!“, murre ich ohne sie anzusehen. „Ist doch wahr. Hier könnte jeder als Blutkonserve dienen. Vampire sind da nicht wählerisch. Sie nehmen sich wen sie kriegen können, hauptsache das Blut schmeckt gut.“

Melanie streicht mit ihrem Kugelschreiber über meinen Hals. Erschrocken zucke ich zusammen und rücke von ihr ab. Sie lacht daraufhin lauthals.

„Idiot! Du nimmst mich nicht ernst!“

„Nein, tut mir leid.“ Sie grinst breit und schüttelt den Kopf, so dass ihre kurzen blonden Haare über ihre Wangen streifen. „Aber du bist witzig.“

Ich blicke an ihr vorbei und schaue zu Dale, der aus seinem Versteck kommt. Sein Blick streift flüchtig den meinen und für einen winzigen Moment wird mir unbehaglich zumute. Wenn der Kerl schwul ist und dann auch noch ein Vampir... dann bin ich möglicherweise in Gefahr. In beiderlei Hinsicht.

Ich stehe abrupt auf und schaue auf Melanie herunter. „Lass uns die Krankenschwester aushorchen!“, fordere ich sie entschlossen auf. Die Frau weiß sicher mehr.

„Wenn du meinst...“ Melanie erhebt sich träge und folgt mir. Ich schaue wie nebenbei auf ihren Block und entreiße ihn ihr kurzerhand. Mit einer schwungvollen Bewegung reiße ich die Seite heraus, die sie die ganze Zeit bemalt hat. Genervt halte ich ihr den karierten Zettel vor die Nase, woraufhin sie mich schuldbewusst ansieht.

„Du und dein blödes Kopfkino! Soll ich das etwa sein?!“, meckere ich aufgebracht. Die Zeichnung zeigt mich und Dale in inniger Umarmung, nackt auf einem Bett. Was wir da tun, gefällt mir ganz und gar nicht!

Melanie zuckt mit den Schultern. „Das könnte jeder sein...“ Sie versucht sich herauszureden, doch dann runzelt sie die Stirn und blickt mich frech an. „Oder legst du es darauf an, dass ich denke, dass du auf der Zeichnung bist? Du hast es doch wohl nicht etwa auf Dale abgesehen und hast dir nur deswegen diesen ganzen Schrott mit dem Vampirzeug ausgedacht?“

Ich ziehe eine Schnute und sehe meine Freundin bleleidigt an. „Wie kommst du denn auf so einen Müll? Das bildest du dir nur ein! Ich will gar nichts von dem! Im Übrigen ist er ein Vampir und das werde ich dir auch beweisen!“, versuche ich mich zu verteidigen, auch wenn Melanie mich mitleidig ansieht und mir scheinbar kein Wort mehr glaubt. Wütend knülle ich den Zettel zusammen und werfe ihn in den nächsten Mülleimer. Ich öffne die Glastür, die ins Gebäude führt und suche mit Melanie das Krankenzimmer auf. Es ist eigentlich kaum als solches zu bezeichnen. Es gibt zwei Liegen und ein paar Medizinschränke sowie einen Schreibtisch, an dem wie jeden Tag die Krankenschwester sitzt. So einen kleinen Luxus leistet sich nicht jede Schule.

Ich klopfe an die offene Tür. Die Frau sieht von ihrem Buch auf und lächelt uns entgegen. Sie trägt über ihrer Kleidung einen weißen Kittel und ihre schlanken Beine ragen darunter hervor. Sie ist noch recht jung und hat ein hübsches dezent geschminktes Gesicht. Die Haare sind schwarz und zu einem Pferdeschwanz gebunden.

„Alles in Ordnung bei euch?“, fragt sie und legt das Buch beiseite. Ich werfe kurz einen Blick darauf. Es scheint ein Thriller zu sein. Keine leichte Sommerlektüre passend zur Jahreszeit?

„Uns geht es gut, wir wollten Sie nur etwas fragen.“ Melanie übernimmt meinen Part und reißt mich somit aus meinen Gedanken heraus. Ich schaue auf das Namensschild der Ärztin. Daniela Maibach.

„So? Worum geht es denn?“, fragt sie und dreht sich uns zu, wobei sie ihre Beine überschlägt was mir für einen Moment den Atem verschlägt und ich krampfhaft meinen Blick heben muss, um nicht an dem Anblick festzuhängen wie Sekundenkleber.

„Na ja, ähm... wir haben gehört, dass Dale hier oft herkommen muss und da haben wir uns gefragt was mit ihm los ist.“

„Das ist nett von euch, dass ihr euch Sorgen um ihn macht, aber ich unterliege der ärztlichen Schweigepflicht. Tut mir leid.“

„Ach so?“, fragt Melanie arg enttäuscht, auch wenn ich ihr anmerke, dass es sie nicht die Bohne interessiert.

„Da kann man wohl nichts machen...“, murmele ich und zucke mit den Schultern.

„Ich kann euch beruhigen. Es ist nichts allzu Ernstes.“ Die Krankenschwester lächelt uns aufmunternd zu. „War es das?“

Wir nicken und gehen zurück in den Flur. „Das hat uns gar nichts gebracht.“

„Wir sollten noch mal hingehen, wenn sie nicht da ist und uns ein bisschen umsehen.“

Melanies Einfall gefällt mir und so nicke ich zustimmend. „Ist schon ein bisschen auffällig oder nicht? Ist doch nur eine Schule und kein Krankenhaus, da kann sie uns doch sagen was er hat.“

„Eben nicht, sie ist trotzdem eine Ärztin und mal ehrlich, es geht uns gar nichts an was mit Dale los ist. Wahrscheinlich stimmt es wirklich, dass er unter Anämie leidet.“

„Vielleicht stecken die beiden unter einer Decke? Deswegen will sie uns nichts sagen. Sehr verdächtig...“, schlussfolgere ich nachdenklich.

Melanie boxt mir in den Arm. „Spinn hier nicht rum!“, meint sie lachend. Ich bleibe stehen und renne augenblicklich wie von der Tarantel gestochen nach draußen.

„Andreas? Was ist los? Hey, warte doch!“, brüllt Melanie mir überrascht hinterher.

Ich öffne die Tür und kann gerade noch rechtzeitig vor Dale abbremsen. Mit grimmigen Gesicht packe ich den zerknüllten Zettel und nehme ihn an mich. Wütend sehe ich Dale an, der die Augenbrauen hochzieht.

„Hast du das etwa aus dem Mülleimer gefischt?“, schnauze ich ihn an und merke wie peinlich mir das ist. Wie kommt er denn nur an diese dämliche Zeichnung?!

Dale wirkt weniger aufgebracht. Stört es ihn denn gar nicht, dass wir beide darauf zu sehen sind? Vor allem was wir da tun, sollte ihn doch eigentlich auf die Palme bringen!

„Na ja, bist du das da?“, fragt er und deutet auf Melanies blödes Meisterwerk.

Ich laufe rot an und zerknülle den Zettel sofort wieder. „Bin ich nicht!“

„Doch, der sieht aus wie du.“

Hat sich denn heute jeder gegen mich verschworen?

„Das bin ich aber nicht!“, beharre ich starrsinnig.

Dale schweigt und ich spüre wie er mich mustert. Der Blick entgeht mir nicht. Ich presse meine Lippen fest aufeinander und spüre wie ich jetzt erst recht wie eine Tomate anlaufe. Was soll das denn werden?

„Okay“, meint er schließlich lächelt unbekümmert und lässt mich einfach verdutzt stehen. Ich drehe mich um und sehe ihm nach. Was war das denn gerade eben?

Der Typ ist wirklich ein komischer Kauz.

Melanie kommt zu mir gelaufen. Anklagend halte ich ihr den Zettel vor die Nase. „Er hat das da aus dem Mülleimer gefischt!“

Melanie sieht mich ungläubig an. „Wieso wühlt er denn im Müll herum?“

„Was weiß ich? Ist doch scheißegal, viel schlimmer ist, dass er das hier gesehen hat und wissen wollte ob ich das bin!“, fahre ich sie forsch an.

Melanie kratzt sich am Kopf. „Sorry, ich habe nicht geahnt, dass er das jemals zu Gesicht bekommen würde.“

„Das kannst du dir sparen! Es ist ja längst passiert und jetzt haben wir den Salat! Toll gemacht, Mel!“

„Wir können es nicht ändern. Gib es mir, dann entsorge ich es.“

„Auf keinen Fall! Ich behalte den Zettel! Ich will nicht, dass es am Ende noch die ganze Schule zu Gesicht bekommt! Es reicht mir, wenn Dale mich schon für einen Idioten hält! Der denkt doch sicher, dass ich diesen Schund gezeichnet habe!“

„Reg' dich ab, Andreas! Ich habe mich entschuldigt und wir können es nun mal nicht mehr ändern. Es ist zu spät.“

Gereizt sehen wir einander an. Zum Glück klingelt es zum Ende der Pause, so dass wir schweigend nebeneinander zu unserer Klasse gehen. Ich verstecke den Zettel in meiner Hosentasche und weiche Dales Blick vor dem Klassenzimmer demonstrativ aus.
 

Auf dem Heimweg verfolge ich Dale mit einem geringen Abstand, damit ich ihn nicht aus den Augen verliere. Zu meinem Glück passieren wir viele Orte, an denen ich mich bestens verstecken kann.

Dale hat es jedenfalls nicht eilig und schlendert gemütlich heimwärts. Er achtet kaum auf den Weg, sondern spielt auf seinem Handy herum. Einmal wäre er dabei beinahe gegen ein Auto gelaufen, dieser Trottel.

Ich folge ihm dicht auf den Fersen und frage mich, was ich hiermit eigentlich bezwecken will. Sobald er in seinem Elternhaus verschwindet, enzieht er sich ohnehin meinen Blicken.

Und so kommt es auch. Nach wenigen Minuten erreichen wir ein Wohnhaus, das so gar nicht zwischen die anderen passt. Wie es aussieht arbeiten Bauarbeiter an einem Anbau. Ich bleibe an einem Wagen stehen und sehe zu wie Dale die Haustür öffnet und dann bleibt mir das Herz in der Hose stecken, als er sich umdreht. Ich hocke mich eilig hinter das Auto und kneife die Augen zusammen.

Ich höre langsame Schritte, die auf mich zukommen und krieche vorsichtig die Längsseite des Wagens entlang.

„Was machst du da? Verfolgst du mich?“, vernehme ich Dales Stimme hinter mir. Ich zucke zusammen und drehe mich ihm langsam zu.

Er sieht von oben auf mich herab und wirkt statt ärgerlich eher belustigt. Ich schaue zu ihm auf und schlucke. Was soll ich denn sagen? Eine passende Ausrede habe ich mir natürlich nicht ausgedacht und meine glorreiche Idee, mich hinter dem Auto zu verstecken, kann ich auch nicht erklären.

„Äh...“ Klar, ausgerechnet jetzt habe ich natürlich mal keine Ausrede parat! Das hat mir gerade noch gefehlt. Das scheint echt nicht mein Tag zu sein und es ist nicht mal ein Montag!

Ich verharre in der Hocke und sehe auf den grauen Asphalt zu meinen Füßen. Dale hockt sich neben mich und zupft an einem gelockerten Schuhband meines Turnschuhs herum. Ich ziehe meinen Fuß etwas zurück und er lässt davon ab.

„Im Verfolgen bist du nicht sehr gut. Ich habe dich schon seit einer ganzen Weile bemerkt. Willst du was von mir?“, fragt Dale neugierig.

Meine Hand wandert unwillkürlich in meinen Nacken. Ich lege meinen Kopf ein wenig schief, um ihm nicht ins Gesicht sehen zu müssen.

„Geh einfach weg. Ich bin gar nicht da.“ Verdammt, ich komm mir hier so blöd vor!

Dale lacht. „Nach dem Motto: Was ich nicht sehe, sieht mich nicht?“ Er boxt mich leicht gegen die Schulter und so sehe ich doch zu ihm.

Er scheint wirklich nicht wütend auf mich zu sein. Warum nur? Ich meine, dass muss man doch irgendwie creepy finden, wenn man gestalkt wird. Obwohl ein Vampir, der ewig lebt, hat sicher schon so einiges gesehen und erlebt. Den bringt bestimmt nichts so schnell aus der Ruhe. Ja, dass muss es sein!

Ich stehe auf und Dale tut es mir gleich. „Hier wohnst du also?“, frage ich wie beiläufig in der Hoffnung so seiner Frage entgehen zu können.

„Ja. Wie du siehst wird noch ein bisschen am Haus gebaut.“

Ich nicke und bin froh, dass Dale nicht auf seiner vorigen Frage beharrt. Ich schaue zu dem Haus und der verlassenen Baustelle davor.

„Tja, also ich muss jetzt auch mal heim...“ Hastig gehe ich an ihm vorbei. Zu früh gefreut, denn Dale packt kurzerhand mein Handgelenk und lässt mich nicht so schnell entwischen. Egal wie sehr ich auch zerre, er lässt nicht los. Mürrisch blicke ich ihn an. „Lass los!“

„Auf einmal hast du es so eilig?“ Dale lächelt vergnügt. Sieht er das hier als Spiel an oder was? Ach, du scheiße! Er tut es wirklich! Wie eine Katze die mit ihrer Beute spielt, bevor sie diese genüsslich verputzt! Und ich bin die Beute! Er wird mich ins Haus schleppen und mich aussaugen!

Jetzt zerre ich erst recht an meinem Arm. „Lass los! Ich will nach Hause!“, meckere ich mit leicht aufkeimender Panik in meiner Stimme.

Dale zieht mit einem Ruck an meinem Handgelenk, so dass ich unsanft nach vorne gezogen werde und beinahe gegen ihn pralle. Ich sehe zu ihm auf und werde langsam aber sich ungehalten. Hat der Junge keine Ohren? Ich habe ihn aufgefordert mich loszulassen und er tut es nicht.

Ich schaue in seine Augen, na ja, zumindest versuche ich es, denn seine Sonnenbrille versperrt mir die Sicht.

„Und wenn ich gar nicht loslassen will?“, fragt Dale mich dreist. Ich sehe ihn wütend an. Merkt er gar nicht wie unwohl ich mir fühle? Was will er denn von mir?

„Sag mal...“, beginnt Dale. „Das Bild vorhin...“

„Was ist damit?“

„Das bist wirklich du gewesen oder?“

Ich schlucke und weiche genervt seinem Blick aus. „Man kann es sich auch schön reden...“, brumme ich.

„Was?“

„Nichts!“

„Also bist du es nun oder nicht?“

„Nein, bin ich nicht!“

„Schade...“

Ich habe mich wohl verhört. Findet Dale es wirklich schade?! Entsetzt sehe ich ihn an. „Wi-wieso denn schade?“

Dale grinst verlegen und ich merke wie sich sein Griff an meinem Handgelenk lockert. Eilig entziehe ich mich ihm, bleibe jedoch an Ort und Stelle stehen.

„Och nee...“ Ich schaue zu ihm auf, weil er einen Kopf größer ist als ich. „Sind die Gerüchte echt wahr?“

„Welche Gerüchte?“, will Dale wissen.

„Na ja, dass du ein bisschen anders tickst.“

„Anders?“

„Dass du vom anderen Ufer bist.“

„Welches Ufer?“

Ungläubig sehe ich ihn an. Ist der Kerl echt nicht helle oder steht er tatsächlich gerade auf dem Schlauch?

„Na, dass du auf Jungs stehst!“, fahre ich ihn ungehalten an.

„Ach so!“ Dale lacht. Scheinbar hat es klick gemacht. „Ja, das stimmt.“

Na super...

„Deswegen habe ich auch gehofft, dass du das auf der Zeichnung bist.“ Er grinst verlegen. Ich greife in meine Hosentasche, ziehe den Zettel heraus und falte ihn auseinander. Eingehend betrachte ich die erotische Zeichnung, die Melanie von mir und Dale angefertigt hat. Ob ich es will oder nicht, der Typ sieht mir mehr als ähnlich. Dummerweise haben nun mal nicht viele Jungs an meiner Schule Sommersprossen im Gesicht. Die kleinen Verräter. Bei dem Anblick der Zeichnung dreht sich mir allerdings der Magen um, denn es ist deutlich zu sehen, wer da in wem steckt und was unsere Zungen so miteinander für Spielchen treiben.

„Wenn es dich so anturnt kannst du es behalten. Bei der Zeichnung will ich mich lieber erschießen.“

Dale lacht und nimmt sie mir ab. „Du siehst aber ziemlich heiß darauf aus.“

„Danke, aber das Kompliment lehne ich ab.“ Gereizt schaue ich Dale an, der noch immer wie gebannt auf die Zeichnung stiert.

„Sag mal, stehst du etwa auf mich?“, frage ich unbeholfen.

„Nee, eigentlich nicht.“ Dale blickt zu mir auf. „Aber... du hast schon was an dir das mir gefällt und weißt du, die Zeichnung turnt mich ehrlich gesagt schon ein klein bisschen an.“ Er lacht und kratzt sich am Arm. „Eh ja... also ich würde dich nicht von der Bettkante schubsen, wenn du das wissen willst.“

So langsam aber sicher habe ich echt genug gehört. Merkt Dale eigentlich was er hier für eine Scheiße redet? Was soll das alles? Der will mich ins Bett kriegen oder habe ich das gerade falsch interpretiert?

„Ich muss nach Hause!“ Ich trete einen Schritt zurück und schlucke. Was soll das ganze Schwulenzeug? Das verwirrt mich nicht nur, es lenkt mich auch von meinen Absichten ab, Dale als Vampir zu überführen.

„Kann ich mit hochkommen?“, frage ich und kriege beinahe einen Herzkasper. Das habe ich gerade nicht wirklich gesagt! Hirn, was tust du mir da an? Will es mir etwas mitteilen?

Dale ist ebenso verwirrt, wirkt aber deutlich angetan. Hoffentlich denkt er jetzt nicht, dass ich mit ihm in die Kiste steigen will?

„Klar, aber wolltest du nicht heim gehen?“

„Äh, das kann noch warten.“ Eigentlich eine gute Idee, so kann ich gleich mal herausfinden, ob er in einem Sarg schläft oder andere kuriose Dinge zuhause tut.

Ich folge Dale zögernd ins Haus und erlebe eine weitere Überraschung an diesem Tag.

In die Enge getrieben

Das hat mir gerade noch gefehlt. Wie konnte es nur soweit kommen?

Deprimiert sitze ich auf der Bank der Umkleidekabine, während Dale draußen im Gang an der Tür rüttelt. Irgendein Schlauberger hat uns wohl eingesperrt.

Seufzend überkreuze ich die Füße und stemme mich mit beiden Händen auf der Bank ab. Das Leben meint es wirklich nicht gut mit mir.

An den Schritten erkenne ich, dass Dale zurückkommt und kurz darauf steht er im Türrahmen der Umkleide. „Nichts zu machen. Wir sitzen hier fest.“

„Wenn wir Glück haben hat vielleicht eine andere Klasse gleich Sport.“

„Also haben wir eine halbe Stunde nur für uns.“ Dale kommt langsam schleichend zu mir und lässt sich viel zu nahe neben mir auf der Bank nieder. Sofort rutsche ich auf Abstand. Noch immer erinnere ich mich an meine dumme Entscheidung sein Haus zu betreten und es behagt mir absolut nicht in seiner Nähe zu sein.

Zu meinem Ärger rutscht Dale aber ein Stück weiter mir entgegen und scheint mir nicht von der Seite weichen zu wollen.

Was mir absolut nicht behagt ist, dass ich dieses verdammte Zimmer gesehen habe und mir momentan einfach nicht sicher bin was ich davon halten soll.

„Kannst du nicht mal da sitzen bleiben? Rück mir nicht so auf die Pelle!“

„Stell dich nicht so an, ich will doch nur neben dir sitzen!“

„Das kannst du auch von da hinten!“, fahre ich Dale an. Tut er aber nicht. Er rückt absichtlich noch dichter an mich heran. Irgendetwas läuft hier komplett aus dem Ruder!

„Dreißig Minuten sind eine lange Zeit...“, raunt er mir zu. Augenblicklich rinnt mir ein Schauder über den Körper. Erstarrt bleibe ich sitzen. „Zeit genug um ein bisschen Spaß miteinander zu haben, meinst du nicht?“

Dale beugt sich zu mir vor und ich spüre seinen Atem an meiner Haut. Gleich rammt er mir seine messerscharfen Eckzähne in den Hals und saugt mir meinen Lebenssaft aus dem Körper. Ich spüre seinen heißen Atem, seine Lippen, die hauchzart über meine Haut streifen und unwillkürlich ziehe ich meine Schulter hoch. Gleich bin ich Geschichte. Adieu~ liebe Welt. Dabei wollte ich doch noch so viel in meinem Leben machen und erreichen. War es das jetzt wirklich?

Ich runzele die Stirn. Jetzt muss er aber langsam mal anfangen. Wieso fühle ich dann nichts? Ich spüre deutlich seine Lippen an meinem Hals, nicht jedoch seine Zähne. Worauf wartet er denn noch?

Stattdessen seufzt Dale und schiebt mein Shirt mit seiner Hand ein Stück hoch. Seine warmen Finger erkunden meinen Bauch und stocksteif warte ich ab. Gleich, gleich, gleich...

So sehr ich auch darauf warte, es tut sich rein gar nichts. Liege ich etwa falsch? Will Dale mir gar nicht das Blut aussaugen?

Irritiert blinzele ich. Spätestens als mir seine Hand in den Schritt rutscht geht mir endlich ein Lichtlein auf. „Was zum...?!“ Ich schubse Dale heftig von mir und rücke ab. Angewidert wische ich mir mit der Hand über den Hals an dem er mich bis gerade eben noch geküsst hat. „Was soll der Scheiß?!“

„Ich dachte, wir vertreiben uns einfach ein bisschen die Zeit.“ Dale scheint ebenfalls ein wenig verwirrt zu sein.

„I-ich dachte du willst...“ Ich beiße mir auf die Unterlippe und spreche meinen Gedanken nicht aus. Der Idiot wollte mir die ganze Zeit nur an die Wäsche gehen! Das gibt’s doch nicht!

„Halte dich bloß von mir fern!“, schnauze ich Dale an und stehe hastig von der Bank auf. Wo ist bloß Mel, wenn man sie mal braucht?!

Ich habe befürchtet er zeigt endlich mal sein wahres Gesicht und dann passiert so etwas!

Wütend blicke ich Dale an und verschränke die Arme vor der Brust. Ich presse meinen Körper außer Reichweite eng an die kühlende Zwischenwand des Gebäudes und mustere den Jungen vor mir skeptisch.
 

„Tja, da wären wir also.“ Dale grinst und schließt die Haustür hinter mir. Aufmerksam sehe ich mich um. Von drinnen sieht es zu meiner Enttäuschung aus wie ein ganz normales Haus. Der Eingangsbereich ist weiß gestrichen und der Boden ist aus edlem Marmor. Eine Fußmatte mit Begrüßung liegt zu meinen Füßen und als Dale sich seiner Schuhe entledigt tue ich es ihm gleich. Wir laufen in die Küche, die aussieht wie eine aus diesen Möbelkatalogen. In der Mitte der Küche steht eine große Küchcheninsel. Die Einrichtung ist im Landhausstil gehalten und will nicht so recht zum teuer wirkenden Interieur passen.

Dale öffnet den Kühlschrank und eine weitere Enttäuschung macht sich bemerkbar. Keine Blutkonserven weit und breit zu sehen. Ich unterdrücke einen Seufzer und nehme Dale dankend die Coladose ab. Ich öffne den Schlitz und trinke einen Schluck. Das kühle Nass tut gut.

„Ist sonst niemand hier?“, frage ich.

„Nö.“ Dale lächelt, aber es wirkt im ersten Moment irgendwie falsch. Nachdenklich sehe ich ihn an, als ich bemerke, dass er bereits zur Treppe läuft. Sie ist geschwungen und ein cremefarbener Teppich läuft über die Stufen wie fließendes Wasser. Es gibt kein Geländer, sondern lediglich eine Treppenläuferstange aus Messing, an der ich mich festhalte als wir hinauf laufen. Wir landen in einem Flur mit lauter verschlossenen Türen.

Dale öffnet die letzte Tür auf die wir direkt drauf zu gehen. Er lässt mich zuerst eintreten und auch hier wirkt alles ganz normal. Sollte ich mich tatsächlich geirrt haben? Ist er doch ein ganz normaler Junge? Sein Zimmer ist ein typisches Jugendzimmer. Im Gegensatz zum Rest der Wohnung in Blautönen gehalten, statt heißen Frauen hängen an den Wänden Poster mit halbnackten Männern in sexy Posen. Na ja, wer's mag...

Ich wende den Blick ab und setze mich auf das Bett. Viel zu normal für meinen Geschmack. Was erwarte ich auch? Vielleicht ist er ja einer dieser neuartigen Vampire, die sich an alles mögliche anpassen können? Das würde durchaus Sinn machen.

Dale setzt sich neben mich und trinkt seine Cola.

Mein Blick fällt wieder auf die Poster. „Du stehst also echt auf Männer.“ Meine Mundwinkel ziehen sich nach unten.

„Sieht so aus.“

„Deine Eltern haben kein Problem damit?“

„Nee, sie sehen das ziemlich locker.“

„Aha.“ Ich runzele die Stirn. Was ich so vom Haus bisher gesehen haben, wirkt es eher so auf mich als wären die Eltern eher konservativ und würden Wert auf ihre äußere Erscheinung legen. Irre ich mich da etwa? Sind sie doch nicht so prüde?Wenn man es recht bedenkt, leben Vampire sehr lange, es kann also gut sein, dass Dale sich ihnen gegenüber schon vor Jahren geoutet hat. Das würde auf jeden Fall Sinn machen.

Dale stellt seine Dose ab und spielt mit seinen Fingern. Sein Blick wandert unstet durch das Zimmer und bleibt dann lauernd auf mir hängen. Ich schlucke und fühle mich unwohl in meiner Haut. So wie er mich ansieht, bekomme ich das Gefühl als wäre ich seine Beute.

„Wo ist die Toilette?“, frage ich und stehe abrupt vom Bett auf.

Dale zieht einen Schmollmund. „Unten die linke Tür neben der Küche.“

Ich stelle meine Cola auf dem Schreibtisch ab und eile aus dem Zimmer. Draußen atme ich tief durch. Langsam laufe ich durch den langen Flur und die Treppe hinunter. Oben wartet Dale und ansonsten ist niemand im Haus. Irgendwie fühle ich mich fehl am Platze.

Ich suche das Badezimmer auf, schließe die Tür hinter mir und trete ans Waschbecken. Ich blicke in den Spiegel und stutze. „Wieso ist hier ein Spiegel? Vampire haben doch eh kein Spiegelbild? Was soll das bringen? Eine Attrappe für Außenstehende?“, murmele ich nachdenklich und berühre mit den Fingerkuppen das Glas.

Ich betrachte mein Spiegelbild einen Moment lang, ehe ich den Kopf schüttele und mich abwende. Ich erleichtere mich, wasche mir anschließend die Hände und verlasse das Badezimmer.

Ehrlich gesagt zieht es mich gar nicht zurück nach oben. In Dales Anwesenheit fühle ich mich nicht sehr wohl.

Ich verziehe meinen Mund und nach einigem Zögern schleiche ich mich zur Haustür. Mein Blick fällt noch einmal zur Treppe. Gerade als ich mich der Haustür zuwenden will, bemerke ich, dass unter der Treppe die Tür einen Spalt göffnet ist. Ich bleibe stehen und starre dorthin. Der Spalt ist nicht sehr breit. Fasziniert bewege ich mich dorthin. Das kann ja nur eine Abstellkammer sein, aber die Neugier ist trotzdem übermächtig und so schleiche mich leichtfüßig näher heran. Ich greife nach der Tür und ziehe sie weiter auf.

Dunkelheit macht sich vor meinen Augen breit. Ich runzele die Stirn. „Doch keine Abstellkammer?“, flüstere ich und sehe auf die Treppe, die nach unten führt. „Also ein Keller?“

Ich setze meine Fuß auf den ersten Treppenabsatz. Das Holz knarzt leise unter meinen Sohlen.

Hier gibt es kein Licht, trotzdem setze ich einen Fuß vor den anderen. Es ist ziemlich kühl, je tiefer ich mich vorwage. Vorsichtig suche ich nach der nächsten Stufe, als ich auch schon zusammen zucke und angestrengt in die Stille horche. Da war ein Geräusch. Ich laufe die letzten Stufen hinab und pralle beinahe gegen eine Tür. Mit der Hand befühle ich das raue Holz und ziehe mir schmerzhaft einen Splitter zu. Ich gebe einen zischenden Laut von mir und pule an dem Finger herum, um den Splitter heraus zu ziehen.

Ein leichter Lufthauch kommt mir entgegen und zieht erneut meine Aufmerksamkeit auf die Tür. Ich greife nach dem Griff, lasse Splitter, Splitter sein und öffne die morsche Tür. Sie knarzt ziemlich laut und erschrocken halte ich die Luft an. Ein Schauder rinnt mir über den Körper und ich merke wie sich eine Gänsehaut ausbreitet. Angespannt warte ich ab, doch nichts ist zu hören.

Ein schummriges Licht strahlt mir durch den Türspalt entgegen. Ich blicke darauf und öffne die Tür noch ein ganzes Stück. Gerade als ich eintreten will, halte ich jedoch inne und starre wie gebannt in die Mitte des Raumes.

Dort steht zu meiner Verwunderung eine antike weiße Badewanne mit goldenem Hahn und Füßen. Darin sitzt eine Person mit langen schwarzen Haaren. Ich kann sie nur von hinten erkennen. Dem schmalen Körper nach zu urteilen scheint es eine Frau zu sein. Ich atme aus dem Mund und mit einem Mal wird mir bewusst, dass die Frau die Tür gehört haben muss. Wieso reagiert sie dann nicht? Ist sie in der Wanne beim Baden eingeschlafen?

Zaghaft trete ich näher heran in den Raum und gehe in einigem Abstand um die Wanne herum um einen Blick auf die Person zu erhaschen und passe auf, dass ich keine der vielen Kerzen am Boden um die Wanne herum umwerfe, bleibe jedoch abrupt stehen und starre in das Wasser. Blut. Das ganze Wasser ist voller Blut.

Der Kopf der Frau ist in den Nacken gelegt und starrt hinauf an die Decke. Nach einem kurzen Blick merke ich jedoch das dort nichts ist. Ihre Haut ist blass und durch den hohen Wasserstand sehe ich lediglich die Ansätze ihrer Brüste. Ihre Arme liegen schlaff über dem Badewannnenrand. Mit schaudern bemerke ich das die Frau die Augen geöffnet hat, doch sie sind milchig weiß. Hastig sehe ich mich um, kann jedoch kein Messer finden. Hat sie sich etwa nicht die Pulsadern aufgeschnitten? Wieso sitzt Dale da oben seelenruhig und tut nichts? Hat er nicht gewusst, dass die Frau hier ist?

„Whoa!“ Ich stolpere einige Schritte zurück als die Frau auf einmal ganz langsam ihren Kopf in meine Richtung dreht. Ihre Augen sehen mich an und tun es doch nicht. Sie lebt noch!

„Dale, was willst du hier? Du kannst nach mir baden, warte noch eine Weile.“ Ihre Stimme klingt gefasst, leise und ruhig. Irgendwie melancholisch.

Ich schnappe nach Luft und laufe eilig aus dem Raum, renne die Treppe hinauf und gerade als ich sehe wie Dale die Treppe herab gelaufen kommt, laufe ich auch schon panisch zur Haustür, reiße sie grob auf und stürme aus dem Haus.
 

Dale blickt mich unbekümmert an. Er hat mich bis jetzt noch nicht auf meine panische Flucht angesprochen. Ob er weiß, was ich gesehen habe? Wieso lässt er es sich nur nicht anmerken?

„Hör auf deine blöden Spielchen mit mir zu treiben. Das ist echt nicht witzig!“, meckere ich ungehalten. „Such dir einen anderen Idioten dafür!“

„Wieso? Ich habe doch einen ganz süßen Idioten vor mir stehen.“

„Ich bin kein Idiot!“, fahre ich ihn wütend an was Dale allerdings nur zum Lachen bringt.

„Gerade eben hast du aber behauptet ich solle mir einen 'anderen' Idioten suchen.“ Dass er das Wort so sehr betont passt mir gar nicht in den Kram. „Du weißt wie ich das meine!“, meckere ich aufgebracht.

„Reg' dich ab. Ich necke dich doch nur ein bisschen.“ Dale lächelt amüsiert. Es scheint ihm Spaß zu machen, dass ich auch noch darauf eingehe. Er bringt mich echt auf die Palme!

Dale steht auf und kommt schleichend wie eine Katze auf mich zu. Ich dränge mich enger an die Wand in meinem Rücken und blicke ihn mit großen Augen an. Wird er mich jetzt beißen?!

Wenige Zentimeter von meinem Gesicht entfernt bleibt Dale stehen und sieht mir tief in die Augen. Ich erwidere seinen Blick mit Unbehagen.

„Weißt du eigentlich wie sehr du mich faszinierst?“, fragt er leise.

Irritiert sehe ich ihn an. In welcher Hinsicht? Als Drink für Zwischendurch oder als potenzielles Betthäschen? Beides will mir nicht so recht gefallen.

Dale leckt sich über die Lippen und stemmt seine Hände an die Wand, so dass ich zwischen seinen Armen eingepfercht bin und nicht entkommen kann.

„Ich weiß, dass du versuchst mich auf Abstand zu halten und gerade das gefällt mir. Diese Spielchen, die wir treiben machen die Sache ein ganzes Stück interessanter“, raunt er mir zu.

Ich sehe ihn böse an und presse meine Lippen fest aufeinander.

„Glaubst du ich merke nicht, dass du mich immer beobachtest und mir überall hin folgst?“, fragt Dale grinsend und beißt sich auf die Unterlippe. Ich weiche seinem Blick aus. Ganz toll, ich bin entlarvt worden. Ich habe einfach nicht gut genug auf meine Deckung geachtet.

Dale senkt seinen Kopf und überbrückt die letzten Zentimeter. Ich reiße die Augen auf und spüre seine Lippen auf meinem Mund. Erstarrt bewege ich mich nicht. Wie jetzt? Wieso küsst er mich denn jetzt schon wieder?

Irritiert stoße ich ihn von mir, so dass Dale einige Schritte zurück taumelt und zu Boden fällt. Ich sehe auf ihn herunter und verschränke wütend die Arme vor der Brust. „Willst du mich verarschen?!“, schnauze ich ihn wütend an. „Dass ist deine Sache, wenn du auf Jungs stehst, aber lass gefälligst deine schmierigen Finger von mir! Du bist echt das Letzte! Du nimmst dir jede Gelegenheit heraus um mich für blöd zu verkaufen! Merkst du gar nicht, dass ich dich absolut nicht leiden kann?“, fahre ich ihn unwirsch an.

Dale sieht zu mir auf und zieht die Augenbrauen zusammen. Sein Blick wirkt eisern. Ich trete einen Schritt zur Seite und gerade als ich aus der Umkleide eilen will, hält er mich am Handgelenk zurück und zerrt mich mit voller Wucht zu Boden. Ich kann mein Gleichgewicht nicht mehr halten und pralle unsanft auf den Rücken. Für einen Moment bleibt mir die Luft weg. Ich ringe nach Atemluft und schon im nächsten Augenblick beugt Dale sich über mich.

„Du weißt nicht mit wem du dich anlegst, Kleiner!“ Seine Stimme ist leise und er sieht mich ernst an. Verschreckt sehe ich zu ihm auf und kneife die Augen zusammen als Dale sich auf mich legt und festnagelt. Er presst seine Lippen auf meinen Mund und zwingt mir einen Kuss auf.

Ich stemme meine Hände an seine Schultern um ihn von mir herunter zu kriegen, doch das ist gar nicht so einfach. Dale packt meine Handgelenke und drückt meine Arme seitlich meines Kopfes auf den kühlen Boden. Seine Zunge drängt sich forsch in meine Mundhöhle und mit aller Kraft die ich aufbringen kann, drehe ich meinen Körper zur Seite um Dale aus dem Gleichgewicht zu bringen. Es gelingt mir. Er rollt von mir ab, also nutze ich die Gelegenheit mich aus seinem Griff zu befreien und rappele mich auf. Nicht ohne ihm einen letzten Fußtritt zu verpassen renne ich aus der Umkleide in die Sporthalle.

Ich höre Schritte hinter mir und mir läuft ein eiskalter Schauder über den Rücken. „Hilfe! Ist hier denn niemand?!“, schreie ich panisch.

Ich spüre wie Dale mir ins Shirt greift und mich mit Wucht zurück reißt. Ich pralle mit ihm zusammen und falle zu Boden. Es poltert laut als wir auf den Hallenboden aufschlagen. Dales Arme schlingen sich in einem Klammergriff um meinen Bauch, so dass es mir unmöglich ist zu entkommen. Trotzdem zappele ich wild mit allen Gliedmaßen und schlage um mich.

„Lass mich los! Du Wichser! Arschloch!“, brülle ich so laut ich kann, bis er mein Gesicht zu sich dreht und meine Lippen mit seinen verschließt, so dass mir die Worte im Halse stecken bleiben. Unwillkürlich rinnen mir Tränen über die Wangen. Es gelingt mir nicht sie zu unterdrücken. Wut und Frust zerfressen mich innerlich. Ich lasse meine Arme schlaff liegen. Dales Griff lockert sich ein wenig, den Kuss unterbricht er jedoch nicht. Mit halbgeschlossenen Augen sehe ich ihn an. Wieso macht er das? Wieso küsst er jemanden, den er im Grunde genommen gar nicht kennt? Den er nicht liebt? Wie sehr will er mich noch demütigen?

Ich spüre seine Zunge, diesen widerlichen Fremdkörper in meinem Mund und hasse mich dafür, dass mir der Kuss mehr gefällt als mir lieb ist.

Schließlich lässt Dale von mir ab. Ich richte mich auf und so sitzen wir schweigend auf dem Hallenboden. Ich wische mir mit dem Handrücken über die Augen und anschließend kräftig über den Mund.

Mit leicht wackeligen Beinen stehe ich benommen auf und laufe quer durch die Halle zurück zur Umkleide. Ich nehme meine Sachen an mich und laufe in den Flur zum Ausgang. Vor der Fensterfront setze ich mich auf eine Bank und starre auf meine Schuhe. „Scheiße...“, fluche ich leise.

Mein Blick fällt nach draußen. Die Pause ist wohl vorbei, denn niemand ist zu sehen. Der Pausenhof ist wie leer gefegt.

Plötzlich packt mich die Wut. Ruckartig stehe ich auf, lasse all meine Sachen achtlos zu Boden fallen und stürme zurück. Dale betritt gerade die Umkleide, als ich energisch auf ihn zulaufe, ihn entschlossen am Kragen packe und grob an die Wand schubse. Dale sieht mich überrascht an.

„Du kannst ruhig versuchen mir deine Küsse aufzuzwingen, aber ich werde nie etwas für so ein bescheuertes Arschloch wie dich empfinden! Du bist ein Egoist und denkst nur an deinen eigenen Vorteil! Du machst auf nett, aber in Wirklichkeit bist du ein verlogenes Schwein!“

Dale sieht mich starr an.

„Es wundert mich nicht, dass jemand wie du ganz allein ist und ich wette, dass ohnehin niemand mit dir befreundet sein will, wenn er erst mal hinter deine Fassade blickt.“ Ich blicke ihm wütend in die Augen und lasse Dale los.

Entgegen meiner Erwartungen ist Dale absolut nicht verletzt. Er beginnt sogar überlegen zu grinsen und mich überkommt das Gefühl als ob er arrogant auf mich herab blickt.

„Willst du mich damit beeindrucken? Glaubst du mir ist es wichtig Freunde zu haben? Hältst du mich für jemanden, der herum heult, nur weil er keine Freunde hat die einem an den Hacken hängen und mich mit ihren lästigen Problemen nerven?“

Stirnrunzelnd sehe ich ihn an. „Du legst echt keinen Wert auf Freunde?“, frage ich ihn verblüfft.

Dale zuckt mit den Schultern.

„Aber bist du dann nicht einsam?“

Dale runzelt die Stirn. „Man ist nicht unbedingt einsam, nur weil man keine Freunde hat. Man ist nur einsam, wenn man sich welche an seiner Seite wünscht und sie nicht hat. Das ist ein Unterschied.“

„Ja, aber...“, ich halte inne. „Alles alleine zu machen ist doch auch langweilig.“

„Willst du jetzt allen Ernstes mit mir über Freundschaft und Einsamkeit diskutieren?“, fragt Dale ungehalten.

„Nein!“, murre ich. „Ich verstehe dich nur einfach nicht.“

„Und jetzt soll ich dir auf die Sprünge helfen? Soll ich dir meine Biografie über mein Leben zukommen lassen?“, fragt Dale höhnisch.

Ich ziehe eine Schmollmund. „Du nimmst mich nicht ernst und das stört mich an dir!“, fahre ich ihn an.

„Du willst, dass ich dich ernst nehme?“, fragt Dale und zieht die Augenbrauen hoch. „Wieso? Liegt dir etwas an mir?“

Ich halte den Mund und weiche seinem Blick aus. Eigentlich nicht, aber ich will mehr über ihn erfahren. Ich will wissen was es mit dieser unheimlichen Frau auf sich hat und warum Dale eben so ist wie er ist. Ob er wirklich ein Vampir ist. Er ist ein Forschungsobjekt für mich, aber mehr auch nicht.

„Du bist störrisch, aber der Kuss hat dir gefallen.“ Dale beugt sich zu mir herunter. Er grinst hinterlistig. Skepsis breitet sich auf meinem Gesicht aus. „Ein Kuss ist ein Kuss. Dafür braucht man keine Gefühle, damit es einem gefällt.“ Unbeeindruckt sehe ich ihn an.

„Hm...“, macht Dale und lehnt sich an Wand. „Du willst mir also weiß machen, dass du nichts empfunden hast?“

„Doch.“

Dale zieht eine Augenbraue hoch.

„Wut. Wut und Hass.“ Ich lächele und stemme meine Hände in die Seiten. „Weil du mir meinen ersten Kuss geklaut hast und denkst du kannst dir alles erlauben.“

Dale lächelt, doch sein Gesicht wirkt alles andere als gelassen. „Hass ist gut. Man kann jemanden länger hassen als ihn zu lieben. Liebe verflüchtigt sich mit der Zeit, aber Hass bleibt. Es nagt an dir und zerfrisst dich innerlich. Du sagst, du hasst mich. Gut, damit kann ich leben. Das zeigt mir, dass du durchaus etwas für mich empfindest.“ Er beugt sich nahe zu mir herunter. „Ich werde deinen Hass auf mich schüren, auf dass das Feuer in dir für immer lodert und du mich niemals vergisst.“

Ich halte die Luft an und meine Augen weiten sich als er mir diese Worte ins Ohr flüstert. Ein Schauder rinnt mir über den Körper und meine Eingeweide ziehen sich zusammen. Ist das wieder nur ein dummer Scherz? Oder meint er das wahrhaftig ernst?

Eine blutige Angelegenheit

Die ganze Nacht habe ich kein Auge zugetan. Die Ereignisse der letzten Tage haben mich doch mehr mitgenommen als ich vermutet hätte.

Unruhig wälze ich mich im Bett von einer Seite zur anderen und strampele schließlich mit einem wüsten Laut die Decke von meinem Körper. Frustriert setze ich mich auf. Mein Gesicht vergrabe ich in den Händen und stöhne kellertief. Dale ist schuld an allem. Hält er mich für einen Narren?

Er spielt mit mir und ich bin auch noch so dumm und gehe darauf ein. Wie blöd kann man denn nur sein?

Ich ziehe die Gardine am Fenster über meinem Bett ein Stück zurück und blicke in den nachtschwarzen Himmel. Sterne sind am Firmament zu erkennen und fasziniert betrachte ich die Mondsichel. Bald ist Vollmond.

Seufzend setze ich mich näher ans Fenster, verschränke meine Arme auf dem Fensterbrett und bette meinen Kopf darauf. Mit dem Finger streife ich über meine Lippen. Dales forsche Küsse haben mir gefallen, daran lässt sich nichts ändern, so sehr es mir auch missfällt.

Jetzt habe ich den ganzen Ärger an der Backe und das nur wegen Melanies dummer Kritzelei. Wieso musste sie mir das antun?

Was mache ich jetzt überhaupt wegen Dale? Irgendwie hat er mir ja schließlich gedroht und leider habe ich auch immer noch nicht herausfinden können was nun an der Vampirsache dran ist. Ich komme kein Stück voran und ein wenig pisst es mich auch an.

Dale ist ein komischer Kauz. Am Anfang wirkte er noch ganz okay auf mich, aber jetzt... Er ist so ganz anders. Als hätte er eine gespaltene Persönlichkeit.

Ich angele mir mein Handy vom Nachttisch neben dem Bett und wähle Melanies Nummer. Mir ist klar, dass es mitten in der Nacht ist, aber ich kann jetzt unmöglich schlafen nicht nach dem was heute passiert ist und sie ist immerhin meine Freundin! Sie wird es schon verstehen.

Erst mal tut sich rein gar nichts. Es tutet und dauert eine ganze Weile, bis Mel endlich abnimmt.

„Wasn?“, murrt sie verschlafen. Okay, vielleicht auch nicht...

„Wo warst du eigentlich heute?“, frage ich sie ohne Umschweife. Kein sehr guter Gesprächsanfang.

„Was? Wieso? Weißt du eigentlich wie spät es ist?“

„Ja ist mir schon klar. Was mir nicht klar ist, ist warum du nicht da warst! Nach der Sportstunde. Wo warst du?“

„Ach das meinst du. Eigentlich wollte ich dir das erst heute sagen, du Spinner!“

„Es ist heute!“, erwidere ich erwartungsvoll.

Melanie seufzt genervt. „Also gut...“

Abwartend lausche ich, doch irgendwie kommt sie nicht zu potte. „Mel! Erde an Mel! Bist du noch wach?“

„Ich wäre wach, hättest du mich nicht mitten in der Nacht aus dem Schlaf gerissen!“, faucht sie mich gereizt an. Erneut seufzt sie. „Ich habe die Zeit genutzt, um der Sache mit der Krankenschwester auf den Grund zu gehen. Ich wollte wissen, ob Dale wirklich an Anämie leidet und habe mich ins Krankenzimmer geschlichen als die Ärztin nicht da war.“

„Ja und? Was hast du herausgefunden?“, frage ich hibbelig.

„Nichts! Niente!“, murrt sie. „Es gibt nicht mal eine Akte über ihn!“

„Was? Was hast du gesagt?“

„Es gibt keine Akte über Dale!“, wiederholt sie frustriert.

„Merkwürdig.“

„Nicht wahr? Ich hätte ja gerne nachgefragt, aber ich wollte nicht, dass sie misstrauisch wird.“

„Die Sache mit Dale wird immer sonderbarer.“

„Was war denn jetzt mit dem Sportunterricht? Was sollte die Frage?“, hakt Melanie neugierig nach.

„Äh...“ Ich kratze mich am Kinn und lasse mich rücklings ins Bett fallen. „Ich war mit Dale in der Umkleide eingesperrt. Na ja, also in der Sporthalle. Irgendein Vollidiot hat einfach die Tür...“ - „Moment was?“ - „Jemand hat die Tür...“ - „Nein, nein! Das Andere! Ihr wart zusammen eingesperrt?“

Nun bin ich es der seufzt. „Ja, es war schrecklich. Er hat versucht mir auf die Pelle zu rücken.“

„Ist nicht wahr? Und dann?“

Ich ziehe überrascht die Augenbrauen in die Höhe. Mir scheint, dass Mel nun hellwach ist. Woran liegt das denn?

„Jetzt erzähl schon!“, fordert sie aufgeregt.

„Er...“ Ich halte inne und es kostet mich schon ein wenig Überwindung es ihr zu erzählen. „Er hat mich geküsst.“

Erst mal ist es ganz ruhig und dann fängt sie auf einmal am anderen Ende der Leitung an zu jauchzen und zu schreien. Erschrocken halte ich das Handy außer Reichweite meines Ohres und sehe es ungläubig an.

„Mel! Beruhige dich!“, meckere ich ungehalten.

„Wie war es? Ist er ein guter Küsser? Wie genau hat er dich geküsst? Ein einfacher Kuss oder mit Zunge? Wo hat er dich angefasst?“, brabbelt sie euphorisch drauf los.

„Dir ist schon klar, dass du es gerade ein wenig übertreibst?“, frage ich sie lauernd.

„Stell dir doch mal vor! Das heißt doch, dass die Gerüchte wahr sind! Er steht auf Kerle und nicht auf irgendwelche sondern auf dich! Das ist der Wahnsinn!“

„Wieso zum Teufel sollte das der Wahnsinn sein?“

„Sorg einfach dafür, dass er sich in dich verliebt, dann können wir ihn ganz einfach aushorchen und wenn er auf dich steht wird er dir alles erzählen und überleg mal, so kommst du viel einfacher an sein Geheimnis, ob er nun ein Vampir ist oder nicht!“, vermutet Melanie lachend.

Ich runzele die Stirn und denke nach. Da hat sie nicht ganz unrecht. Das Problem ist nur, dass der Kuss ihm wahrscheinlich nicht viel bedeutet, mal abgesehen davon, dass Dale mich auch bedroht hat. Das sollte ich nicht einfach auf die leichte Schippe nehmen.

Nur wie will er dafür sorgen, dass ich ihn hasse? Oder wollte er mich lediglich auf den Arm nehmen? Ich kann diesen Kerl einfach nicht durchschauen.

„Andreas? Bist du noch da?“

„Ja, ich bin noch da. Weißt du was? Lass uns in der Schule reden. Ich muss dir da noch etwas erzählen.“

Als ich ein leises Klopfen an meinem Fenster höre, zucke ich erschrocken zusammen.

„Na gut, bis dann.“ Melanie legt frustriert auf, während ich mich vorbeuge und einen Blick aus dem Fenster werfe. Ungläubig sehe ich in Dales Gesicht. Meine Hand mit dem Handy sinkt auf die Matratze und mir kippt augenblicklich die Kinnlade herunter.

Dale schwebt. Okay, nein, er schwebt natürlich nicht. Er sitzt auf dem Ast des Baumes vor meinem Fenster und gibt mir mit seiner Hand zu verstehen, dass ich das Fenster öffnen soll. Dem komme ich allerdings äußerst ungern nach.

„Was machst du hier?“, frage ich skeptisch. Die frische Nachtluft weht mir ins Gesicht. Tun solche dämlichen Aktionen nicht verliebte Teenies in blöden Jugendfilmen?

„Woher weißt du überhaupt wo ich wohne?“, frage ich weiter, während Dale nach dem Fensterrahmen greift und Anstalten macht in mein Zimmer zu klettern. Mit Unbehagen sehe ich ihm dabei zu. Er lässt sich im Schneidersitz auf mein Bett sinken und mir gefällt es gar nicht, dass er den Dreck seiner Schuhe auf meiner Decke verteilt.

„Deine Adresse ist leicht zu finden, wenn man ein bisschen im Internet sucht.“ Dale grinst und beugt sich leicht vor. „Und was ich hier mache?“, fragt er mit leiser Stimme.

„Weißt du was? Es interessiert mich gar nicht! Geh einfach!“, erkläre ich entschlossen und deute mit meiner Hand nach draußen.

„Du hast mich gerade eben reingelassen und jetzt willst du mich rausschmeißen?“, fragt Dale belustigt.

„Ja, genau das habe ich vor und jetzt verschwinde!“, fahre ich ihn wütend an.

„Wieso bist du so kratzbürstig? Hast du Angst vor mir?“ Dale kriecht langsam auf mich zu und zwingt mich Richtung Kopfkissen zu rutschen. Schleichend wie eine Katze kommt er auf mich zu. Ich weiche seinem Blick ärgerlich aus.

„Nein, habe ich nicht. Ich will nur, dass du verschwindest!“, murre ich. Dale zwingt mich in eine liegende Position ohne mich auch nur anzufassen. Auf allen Vieren ist er über mir und schaut auf mich herab. Er lässt sich mit dem Hintern auf meinen Unterleib sinken, während seine Finger langsam über mein Shirt gleiten.

„Hast du was auf den Ohren?“, meckere ich leise und blicke auf seine Hände. Eine Gänsehaut überkommt mich, als Dale sich tiefer zu mir herunter beugt und unsere Lippen nur noch Zentimeter voneinander trennen. Er schaut mir fest in die Augen und öffnet den Mund. Unweigerlich schaue ich auf seine Lippen. Die Lippen, die mich geküsst haben.

„Weißt du, ich habe mir gedacht...“, weiter kommt er gar nicht. Ich ziehe ihn an mich und küsse Dale. Mir dreht sich gleichzeitig der Magen um und ich könnte meinen Kopf gegen die nächste Wand schlagen für diese absolut bescheuerte Aktion. Auf was für Ideen bringt Melanie mich nur immer wieder? Das ist doch nicht zu fassen!

Dale wirkt überrascht, positiv überrascht. Ich lässt sich gänzlich auf mich sinken und küsst mich ausgiebig. Ich zwinge mich dazu die Augen zu schließen um seine blöde Visage nicht ansehen zu müssen. Dales Lippen pressen sich fest auf meine. Ich öffne meinen Mund und lecke ihm über die Lippen. Dale tut es mir gleich und drängt mit seiner Zunge forsch in meine Mundhöhle, tastet sie ab und neckt spielerisch meine Zunge.

Wenn er sich in mich verliebt erzählt er mir alles, rauscht mir der Gedanke durch den Kopf.

Es ist nur ein Kuss, mehr nicht. Austauschen von Speichel und wenn ich die Augen verschließe, kann ich mir auch vorstellen, dass ich ein Mädchen küsse. Sofern mir das gelingt, denn die pralle Beule, die sich an mich drückt ist schwer wegzudenken. Besonders als Dale sich auch noch leicht an mir reibt.

Seine Hände gleiten über meine Seiten und als sie unten an meinem Hosenbund der Boxershorts ankommen schieben sie das graue Shirt nach oben. Ich spüre die warme Haut an meiner, seine Finger, die über meinen Bauch streichen und jeden Zentimeter erforschen.

Ich kneife die Augen zusammen. Einfach ignorieren. Leichter gedacht, als getan. Vor allem als er meine Nippel erreicht und sie leicht zwischen Zeigefinger und Daumen zwirbelt. Mit dem Finger reibt er leicht darüber, während er mit seinem Knie meine Beine auseinander spreizt. Er lässt sich dazwischen sinken und so langsam wird mir das zu viel. Wie weit muss ich denn überhaupt gehen? Ich kann doch unmöglich mit ihm schlafen! Nicht mit Dale! Auf keinen Fall mit einem Jungen!

Mit flammenden Wangen liege ich hier im Bett mit einem Jungen, den ich praktisch gar nicht kenne. Ein Mitschüler von mir. Einem potenziellen Vampir!

Ich drehe meinen Kopf zur Seite, zwinge Dale den Kuss abzubrechen was ihn nur nicht weiter kümmert. Seine Lippen streifen über meinen Hals, lassen mich schaudern und küssen jeden freien Fleck.

„Dale...“ Ich sehe zu ihm, doch er verschließt meine Lippen augenblicklich wieder mit seinen. Das war ein ziemlich kläglicher Versuch. Na ja, solange es beim Küssen bleibt...

Ich schlinge meine Arme um Dales Nacken und erwidere den Kuss. Meine Finger krallen sich auf seinem Rücken in die dünne schwarze Jacke. Er küsst wirklich gut wie ich mir eingestehen muss. Ein Seufzen entweicht mir und so langsam entspanne ich mich entgegen aller Erwartungen doch. Dales Hände zwängen sich unter meinem Rücken Richtung Arsch und verschwinden in meiner Boxershorts. Ein seltsamer Laut entkommt meinen Lippen als er kräftig zupackt. Das kam etwas überraschend.

Ich stemme meine Hände gegen seine Schultern und lege den Kopf in den Nacken, unterbreche so den Kuss und schnappe nach Luft. „Dale, wir müssen aufhören!“

Ich schaue wieder zu ihm und beiße mir auf die Unterlippe. Dale scheint davon wenig angetan zu sein. Mühsam versuche ich mich aufzurichten. Dale lässt von mir ab und setzt sich in aufrechter Position mir gegenüber.

Mit der Zunge lecke ich mir über die Zähne und weiche seinem Blick aus. Verlegen kratze ich mich am Hals und gleite fahrig mit den Fingern durch meine Haare.

„Das war eine selten dämlich Idee. Erst drohst du mir und dann küssen wir uns. Es ist besser, wenn du gehst!“ Es gelingt mir nicht ihm dabei in die Augen zu sehen.

„Okay.“ Ohne ein weiteres Wort erhebt Dale sich und klettert aus dem Fenster. Ich sehe auf und blicke auf seinen Rücken. Als er draußen ist verschließe ich sofort das Fenster, während Dale sich den Baum wie ein Affe herunter hangelt und lehne meine Stirn an das kühle Glas. Das tut gut. Ich schließe meine Augen und versuche wieder runter zu kommen. Ich bin immer noch ganz konfus von dieser Aktion meinerseits. Das war ein kläglicher Angriff wie ich mir eingestehen muss. Dale zu verführen scheint ja nicht sehr schwer zu sein, aber ich bin nicht bereit dafür auch noch die Beine breit zu machen. Ich will nicht mit ihm schlafen. Es muss auch anders gehen.

Ich lasse mich ins Bett sinken und habe das Gefühl, dass seine Finger immer noch überall auf meinem Körper sind, seine Lippen auf meinen und zu meinem Ärger hat es mich ganz und gar nicht kalt gelassen. Wie soll ich Dale das nächste Mal unter die Augen treten? Ich darf auch nicht vergessen, dass er mich bedroht hat. Wann und wie will er das machen?

Alle Viere von mir gestreckt liege ich im Bett, die Augen weit aufgerissen und bringe es nun erst recht nicht fertig in dieser Nacht noch einzuschlafen.
 

Ich fühle mich wie gerädert als ich morgens in der Klasse sitze und versuche dem Erdkundeunterricht zu folgen. Was interessieren mich die amerikanischen Flüsse? Ich werde wahrscheinlich niemals nach Amerika kommen. Wieso also muss ich das lernen? In einem Jahr habe ich den ganzen Kram ohnehin wieder vergessen.

Ein kleiner zusammen gefalteter Zettel landet auf meinem Tisch. Irritiert schaue ich darauf und lasse meinen Blick suchend durch das Klassenzimmer schweifen. An Dale bleibe ich hängen, doch er folgt dem Unterricht und beachtet mich gar nicht. Ich schaue zur Seite und fange Melanies Blick ein. Langsam klappe ich die Nachricht auseinander und lese den kurzen Text.

Was wolltest du mir erzählen?

Seufzend sehe ich zu Melanie. Kann das nicht bis zur Pause warten? Genau das schreibe ich unter ihre Frage, falte den Zettel wieder zusammen und werfe ihn zielsicher in ihre Richtung. Okay, ich treffe ihren Sitznachbarn am Kopf, aber ehe er reagieren kann, schnappt Mel sich flink den Zettel und so erhalte ich nur einen bösen Blick seinerseits. Entschuldigend lächele ich.

Kurz darauf trudelt der Zettel wieder bei mir ein.

Nein, es muss jetzt sein! Der Unterricht schläfert mich gleich ein.

Ich lächele. Nicht nur sie. Ich blicke kurz zu Dale und schreibe dann mit etwas zaudern was gestern passiert ist, das andere erzähle ich ihr in der Pause. Damit wird sie sich zufrieden geben müssen. Auf jeden Fall kann sie davon bis zur Pause zehren.

Diesmal schaffe ich es den Zettel auf ihren Tisch zu werfen, doch zu meinem Pech kommt ihr Banknachbar Melanie zuvor und erhascht einen Blick die die Notiz.

„Was? Andreas und Dale treibens miteinander?!“, entfährt es ihm lauthalt was ihn sogar dazu animiert von seinem Stuhl aufzustehen.

Ich zucke heftig zusammen und auf einmal sehen alle meine Mitschüler in meine Richtung, allerdings bleibt auch Dale nicht verschont.

„Was ist hier los?“ Unsere Lehrerin, die gerade noch irgendetwas über Flüsse erklärt hat sieht sich streng im Klassenzimmer um.

„Dale und Andreas sind Homos und ficken miteinander!“, erklärt ihr Mr. Oberschlau.

Eine Gänsehaut rinnt mir über den Körper. Mein Blick klebt auf meinem Tisch und ich habe das Gefühl rot wie eine Tomate anzulaufen. So war das eigentlich nicht geplant gewesen.

„Ach was!“, mischt sich Dale ein. Erneut zucke ich peinlich berührt zusammen. „Wir haben noch gar nicht gefickt, aber gestern Abend hat er mich schon rangelassen so geil wie er war. Ich war so nah dran einzulochen!“ Er lacht und einige Mitschüler fallen mit ein, andere reden wild durcheinander, während mein Gesicht in Flammen steht.

Mit einem lauten Knall fällt mein Stuhl zu Boden als ich mich ruckartig erhebe. Ich sehe wutentbrannt zu Dale, stürme brüllend auf ihn zu und schlage mit der Faust in sein Gesicht. Polternd fällt Dale von seinem Stuhl. Noch ehe er reagieren kann, beuge ich mich über ihn und schlage immer wieder auf ihn ein. Er kann sich kaum wehren und hält seine Arme schutzsuchend nach oben. Verbissen dresche ich auf ihn ein und sehe nur noch rot. Ich spüre wie meine Mitschüler an mir zerren und versuchen mich von ihm herunter zu schleifen, doch in wilder Rage befreie ich mich und schlage erneut zu. Ich verfehle Dales Gesicht, der nun seinerseits zurückschlägt und mich hart an der Nase trifft. Mir schießen die Tränen in die Augen und ich spüre wie mir Blut aus den Nasenlöchern läuft. In dem Moment spüre ich wie mich starke Arme hochziehen und aus dem Raum zerren. Ich zappele wild, schage um mich und erhasche einen kurzen Blick auf den Lehrer meiner Parallelklasse.

Er schleift mich vor die Tür und lässt von mir ab, als ich zu Boden sinke. Atemlos sitze ich auf dem kühlen Flur und halte mir die schmerzende Nase.

„Bleib hier bis du dich beruhigt hast und dann gehst du zur Krankenschwester! Hast du verstanden? Das wird noch ein Nachspiel haben!“, droht mir der Lehrer und geht zurück in meine Klasse.

Melanie kommt zu mir gelaufen. „Andreas? Alles okay?“

„Nein, nichts ist okay!“, fahre ich sie wütend an. „Was soll der Scheiß? Wieso posaunt er das durch die Klasse?“

„Ich weiß es nicht...“, meint Melanie kleinlaut. „Das ist meine Schuld! Ich hätte einfach bis zur Pause warten sollen. Es tut mir so leid!“

Ich schniefe und wische mir die blutige Hand an meinem Pullover ab.

„Was meinte Dale damit?“, hakt Melanie vorsichtig nach.

„Ich habe ihn rangelassen. Hast du doch gesagt, ich soll dafür sorgen, dass er sich in mich verliebt. Ahnt ja keiner, dass er so ein vermaledeites Arschloch ist!“ Tränen der Wut rinnen mir über die Wangen. Fahrig wische ich sie weg. „Er hat mir gedroht in der Umkleide. Er wollte, dass ich ihn hasse. Prima, das bekommt er ja echt gut hin! Ich bin auf dem besten Weg ihn zu hassen!“

„Andreas...“ Hilflos sieht Melanie mich an.

Taumelnd erhebe ich mich und lasse Melanie einfach zurück. Ich gehe den Flur entlang, schniefe und wische mir immer mal wieder über die Wangen.

Als ich beim Krankenzimmer ankomme, klopfe ich gar nicht erst an, sondern platze einfach in den Raum hinein.

Die schwarzhaarige Ärztin blickt mir freundlich entgegen. „Ach herrje, was ist dir denn passiert?“

„Kleine Prügelei“, nuschele ich und setze mich auf eines der Betten.

Daniela kommt sofort zu mir und besieht sich meine Nase. „Du hast Glück, sie scheint nicht gebrochen zu sein.“ Lächelnd wischt sie mir das Blut aus dem Gesicht. „Aber das gibt trotzdem einen schönen blauen Fleck mitten im Gesicht.“

„Na super...“, murre ich.

Daniela beugt sich zu mir herunter. „Du riechst so gut.“

„Hä? Was?“, frage ich irritiert und als sie mir noch näher kommt wird mir doch etwas unwohl zumute. Darf eine Ärztin ihren Patienten verführen?

Daniela lässt zumindest nichts anbrennen. Sie küsst mich am Hals und während ich noch steifsteif auf dem Bett sitze, spüre ich auf einmal wie mein Körper versteinert. Ich bin nicht in der Lage mich zu bewegen, als Daniela mich küsst und ihre Hände über meine Arme gleiten lässt. Nicht, dass ich etwas dagegen hätte von einer heißen Ärztin vernascht zu werden, aber irgendetwas stimmt hier nicht. Daniela drückt mich sachte auf das Bett und setzt sich breitbeinig auf mich. Ihr Rock rutcht hoch und entblößt ihre Oberschenkel. Sie nagelt mich fest und hält meine Hände an den Handgelenken über meinen Kopf.

„Was tun sie da?“, frage ich benebelt, aber doch sehr angetan.

Etwas schrammt über meinen Hals. Es schmerzt. Ich zucke zusammen und kneife die Augen zu. Was war das? Also irgendetwas stimmt hier ganz und gar nicht!

„Das tut weh!“, jammere ich und spüre wie es in meine Haut eindringt, sich hinein schiebt und regelrecht in mein Fleisch bohrt, tiefer und tiefer. Ich japse und schnappe nach Luft. Mich überkommt eine Gänsehaut und ich höre schmatzende Geräusche. Mein Blick klebt an der weißen Decke des Raumes und noch immer bin ich bewegungsunfähig.

„Hören Sie auf!“, flehe ich halbherzig. Mir ist ganz flau und ich spüre wie mir etwas über die Haut rinnt. Was ist das?

Sie hört nicht auf. Ihre linke Hand legt sich auf meine Wange, während ich spüre wie ich immer schwächer werde. Müdigkeit überkommt mich. Die Sicht wird trüb und es fällt mir schwer bei Bewusstsein zu bleiben.

Dann höre ich einen lauten Knall und das Gewicht auf mir verschwindet schlagartig. Auch der Schmerz an meinem Hals nimmt ab, trotzdem pocht es unangenehm an der Stelle. Benommen sehe ich zu der Person in Schwarz, ehe ich ohnmächtig werde und von der Dunkelheit umhüllt werde.

Eine unerwartete Wendung

Ich fühle mich noch ein wenig duselig als ich zu mir komme. Es dauert einige Zeit bis ich wieder klar sehen kann und ich fühle mich ziemlich schwach, als hätte ich gar keine Kraft in meinem Körper.

Jemand hantiert an meinem Hals herum und eine andere Person hält meine Hand. Es ist Melanie, die mich besorgt anblickt und sofort aufsteht um sich über mich zu beugen.

„Andreas! Wie geht’s dir?“, fragt sie und streicht mir mit ihrer Hand über den Kopf.

Ohne ihr zu antworten drehe ich mein Gesicht zu der Person links von mir. „Dale?“, frage ich benommen.

„Halt still!“, fordert er mich auf und dreht mein Gesicht zurück damit er besser an meinen Hals kommt.

„Da war... Die Ärztin hat...“ Es fällt mir schwer einen klaren Gedanken zu fassen. „Mein Hals tut weh.“ Als ich mit der Hand dorthin greifen will hält Dale sie fest.

„Ich habe die Wunde schon versorgt, jetzt grabsch da nicht auch noch hin!“, murrt er. Als ich in sein Gesicht sehe stelle ich fest, dass es leicht angeschwollen und blutig ist. Einige erste blaue Flecken machen sich bemerkbar.

„Was hat sie gemacht?“, frage ich Dale.

Dieser schweigt und wechselt einen deutlich sichtbaren Blck mit Melanie. „Das muss unter uns bleiben, ist das klar?“

Sie nickt und ich tue es ihr gleich. Dale seufzt und verschränkt seine Arme vor der Brust. Er scheint mit sich zu hadern, als wolle er es uns gar nicht sagen.

„Wo ist die Krankenschwester?“, frage ich und lasse den Blick durch den Raum schweifen.

„Hinter mir auf dem Bett.“ Dale zieht den Vorhang zwischen den beiden Betten zurück und augenblicklich halte ich den Atem an.

Die Frau ist ans Bett gefesselt und geknebelt. Wütend starrt sie zu uns herüber. Ihr Körper ist mit Blut besudelt. Sie zerrt an den Seilen und strampelt mit den Füßen. Wütende Laute stößt sie aus und sieht uns hasserfüllt an.

„Mir blieb nichts anderes übrig. Sie hat heute noch kein Blut bekommen und das kann gefährlich werden. Für alle, die ihr über den Weg laufen. So was kommt hin und wieder vor.“ Dale zieht den Vorhang zu und sieht auf mich herunter. „Sie hat ein bisschen zu viel von deinem Blut getrunken, deswegen geht es dir so schlecht. Es dauert eine Weile, bis dein Körper wieder über genug Blutkörperchen verfügt. Es war keine schlaue Idee mit deiner blutigen Nase diesen Raum zu betreten.“

„Dann ist es also wahr?“ Mit großen Augen sehe ich ihn an. „Du bist ein Vampir?“

Dale lacht amüsiert. Zu meinem Ärger dauert es eine Weile bis er sich wieder gefangen hat. „Nein. Ich bin kein Vampir.“ Grinsend blickt er auf mich herab. „Eure Krankenschwester ist ein Vampir.“

Sprachlos sehe ich ihn an. Habe ich etwa die ganze Zeit falsch gelegen? Aber ich war mir so sicher, dass er ein Vampir ist! Wie konnte ich so stark daneben liegen?

„Was hast du mit all dem hier zu tun?“, fragt Melanie zögerlich.

„Ich bin sozusagen eine wandelnde Blutkonserve für die Blutsauger.“ Um es uns zu demonstrieren zieht er seinen Pullover hoch. Überall auf seiner blassen Haut sind Bissspuren verteilt, teils Neuere, teils Ältere, die Narben hinterlassen. Dale lässt den Pullover wieder herunter. „Klar, man könnte das Blut leicht aus den Krankenhäusern entwenden, aber viele Vampire bevorzugen doch eher frisches Blut, direkt vom Menschen. Deswegen bin ich hier.“

„Dann hast du also gar keine Anämie?“, will Melanie wissen.

Dale schüttelt den Kopf. „Ich komme hier öfter vorbei damit Daniela mein Blut trinken kann.“

„Wieso fühle ich mich so schwach? Fühlst du dich nicht so?“, frage ich Dale und kann es noch gar nicht richtig realisieren was er uns alles erzählt.

„Normalerweise begnügt sie sich mit weniger Blut. Meistens gehe ich am Wochenende zu einem Arzt, der mir dann ein wenig auf die Sprünge hilft. Energiedrinks helfen aber auch ganz gut, um mich über die Woche fit zu fühlen.“ Dale grinst breit und steckt seine Hände in die Hosentaschen.

„Deswegen bist du ein Einzelgänger?“ Melanie sieht ihn neugierig an.

„Es ist besser, wenn ich alleine bleibe. Nicht jeder muss hinter mein Geheimnis kommen.“ Dale zuckt mit den Schultern.

Langsam setze ich mich im Bett auf, auch wenn mir noch immer schwummrig zumute ist. „Also gibt es Vampire tatsächlich...“, murmele ich.

„Wie man's nimmt...“, erwidert Dale. „Es gibt Vampirjäger, die versuchen sie auszumerzen. Man bekommt es nicht immer mit, aber Vampire verstoßen oft genug gegen die Regeln und richten ein regelrechtes Blutbad an. Du hast Glück gehabt, dass ich dich zuerst gefunden habe. Wäre jemand anderes hier reingekommen, wäre nicht nur herausgekommen, dass Daniela ein Vampir ist, die andere Person hätte ebenfalls Schaden nehmen können.“

Nachdenklich sehe ich ihn an, dann wird mein Blick jedoch wieder zornig. „Dir scheint es ja toll zu gehen, wenn man bedenkt was du für eine Scheiße in der Klasse angerichtet hast!“

Dale wirkt sichtlich unbekümmert. „Was hätte ich tun sollen? Es ist ja ganz süß, dass du mir auf Schritt und Tritt folgst, aber ich konnte nicht riskieren, dass du mehr über mich erfährst. Irgendwie musste ich dich ein wenig auf Abstand halten und etwas besseres ist mir im ersten Moment nun mal nicht in den Sinn gekommen. Na ja und heute Morgen. Ich weiß auch nicht, ich wollte dich noch mal sehen. Du warst letztens so mitgenommen als du mein Haus fluchtartig verlassen hattest. Ich wollte einfach sicher gehen, dass mit dir alles in Ordnung ist, mal abgesehen davon, dass...“ Dale holt tief Luft und weicht meinem Blick aus. „Ich hatte mir gedacht, nachdem was wir in der Sporthalle getan haben, es vielleicht möglich wäre... du und ich...also...“ Er beißt sich auf die Unterlippe und schaut mir in die Augen. „Ach, ich weiß auch nicht!“, murrt er. „Ich weiß nicht was ich mir dabei gedacht habe!“

„Ich schon.“ Melanie sieht ihn schalkhaft lächelnd an. „Du wolltest ihn zwar auf Abstand halten, aber du fühlst dich zu Andreas hingezogen.“

Dale schürzt die Lippen und sieht sie grimmig an. „Tue ich nicht!“, meckert er leise.

Ich sehe zu ihm auf. Ganz toll, dass hat mir echt noch gefehlt. Eine wandelnde Blutkonserve hat sich in mich verguckt. War zwar so geplant gewesen, um mehr über ihn zu erfahren, aber ob mir das jetzt noch etwas bringt? Ich weiß von seinem Geheimnis und somit wird er wohl von sich aus mit der Sprache herausrücken.

„Ich habe nie gefragt, aber wer ist die Frau in deinem Haus?“

„Elaine.“

„Wer ist sie?“

Dale wirkt zögerlich. „Ein Vampir. Sie ist...meine Schwester.“

„Sie hat in Blut gebadet.“

„Jaaaa...“, meint Dale langgezogen. „Sie hat so ihre Vorlieben.“ Er grinst und wirkt sichtlich angespannt.

„Sie hat mich mit dir verwechselt und meinte, du könntest nach ihr baden.“ Auffordernd sehe ich ihn an.

„Es ist eine Art Schutz okay?“, gibt Dale wiederspenstig zu. „Das Blut ist von mir. Ein paar Mal im Jahr müssen wir das tun.“

„Was für ein Schutz soll das sein?“

„Damit die Vampirjäger nicht riechen, dass sie ein Monster ist, klar?!“

„Kann man das riechen?“, frage ich irritiert.

„Die Vampirjäger halten einige Vampire am Leben um die Färten von Ihresgleichen aufzunehmen.“

„Wieso zum Teufel badest du in Blut?!“, frage ich Dale fassungslos.

„Wenn ich mich tagtäglich mit Vampiren abgebe, muss ich mich schützen!“ Dale hält inne und überlegt, dann gibt er sich einen Ruck. „Dass wir hier leben hat einen Grund. Wir sind auf der Flucht.“

„Vor wem?“, fragt Melanie ungläubig.

„Hunter Reed.“ Dale spuckt den Namen regelrecht aus. „Er will meine Schwester töten.“

Melanie und ich sehen den Jungen vor uns sprachlos an. So langsam komme ich nicht mehr richtig mit. Das sind mir eindeutig zu viele Informationen auf einmal. Ich habe noch gar nicht richtig verdaut, dass unter uns Menschen wirklich Vampire leben. Ich habe zwar die ganze Zeit gehofft, dass es so ist, aber jetzt zu wissen, dass es tatsächlich so ist hat schon einen seltsamen Beigeschmack.
 

„Glaubst du ihm das alles wirklich?“, fragt Melanie mich auf dem Heimweg. Sie hat kurzerhand beschlossen die letzten Stunden sausen zu lassen und sieht mich nun skeptisch von der Seite an.

Ich stecke meine Hände in die Hosentaschen und zucke mit den Schultern. „Die Bisse sind doch Beweis genug oder nicht?“

„Aber du hattest mir erzählt, dass du es nicht richtig mitbekommen hast was die Krankenschwester getan hat. Die könnten dir auch mit etwas anderem zugefügt worden sein.“

„Möglich, aber ich glaube nicht.“

„Und dann die Sache mit seiner Schwester. Wieso wollte er uns nicht mehr darüber erzählen?“

„Vielleicht um sie zu decken?“, vermute ich.

Melanie seufzt. „Ich weiß wirklich nicht was ich davon halten soll.“

„Ich ja auch nicht.“ Seufzend sehe ich gerade aus und schlendere den Gehweg entlang.

„Was sagst du deinen Eltern? Ich meine, die sehen doch die Verletzung! Und dann ist da ja noch die Prügelei in der Schule...“ Melanie schlägt die Hände vors Gesicht und gibt einen jammernden Laut von sich. „Das wird alles immer kurioser!“

Lächelnd blicke ich zu ihr. „Dann erfahren sie halt von der Prügelei. Wenn ich ein Pflaster auf den Hals klebe wird es gar nicht mehr so stark auffallen und alles ist in butter. Es wird ja wohl nicht ewig dauern bis die Bissspuren verheilt sind.“

Melanie seufzt und sieht mich skeptisch an. „Da war doch noch etwas...“, murmelt sie und schlagartig erhellt sich ihre Miene. „Wolltest du mir nicht noch etwas erzählen?“

„Na ja, im Prinzip hat sich die Sache wohl erledigt, glaube ich.“ Schulterzuckend gehe ich weiter, doch so leicht gibt Melanie sich nicht geschlagen.

„Sag schon!“, fordert sie mich auf.

„Ist nicht weiter spektakulär. Es ist nur so, dass Dale mich in der Halle bedroht hat. Er meinte, er würde mich noch dazu bringen, dass ich ihn hasse. Er wollte mich nur auf Abstand halten, dass erklärt doch soweit alles.“

„Bist du dir da wirklich sicher?“ Melanie wirkt wenig überzeugt. An der Bushaltestelle bleiben wir schließlich stehen.

„Ich denke, die Sache hat sich erledigt. Was soll er mir jetzt noch großartig antun wollen. Ich kenne doch sein Geheimnis.“

„Stimmt auch wieder.“

Der Bus fährt ein und hält direkt vor uns. Die Tür öffnet sich. Melanie umarmt mich flüchtig und steigt ein. „Bis morgen!“, ruft sie mir im Bus zu, ehe sich die Tür schließt und winkt, als das Gefährt sich auch schon in Bewegung setzt. Ich winke fahrig und sehe dem Bus nach.

Ob sie Recht hat? Sollte ich das lieber nicht auf die leichte Schippe nehmen? Mir fällt nur kein plausibler Grund ein warum ich das jetzt noch tun sollte?

Auf den restlichen Metern zu meinem Elternhaus lasse ich mir Zeit und trödele vor mich hin. Hoffentlich wissen meine Eltern noch nichts davon. Ich weiß absolut nicht was ich ihnen sagen soll. Ich kann doch schlecht erzählen, dass es um eine Sache zwischen mir und Dale geht. Die Sache mit dem Kuss.

Mir wird warm in den Wangen. Ärgerlich klopfe ich mir mit den Handinnenflächen ins Gesicht. Dass ich mal zu so etwas imstande wäre. Ich! Ein Hetero, der einen Schwulen küsst! Und es hat mir auch noch gefallen...

Augenblicklich sinkt mein Kopf herunter. Mein Blick haftet auf dem Gehweg. Das kann doch nicht wahr sein!

Gut, ich habe noch nie jemanden geküsst. Das war mein erster Kuss und ich bin froh, dass es mir einigermaßen gelungen ist. Wenn man gar nicht weiter darüber nachdenkt ist es sogar einfacher als ich immer dachte, stelle ich verblüfft fest.

Dale ist auch richtig zur Sache gekommen. Ob er mehr wollte? Also so richtig zur Sache kommen...?

Und wieder schießt mir die Röte ins Gesicht. Sex mit Dale? Nein, das geht ganz und gar nicht! Erst mal habe ich von Sex keinen blassen Schimmer und zum Anderen kann ich mir nicht vorstellen, dass sich Sex mit einem Kerl gut anfühlt. Ich meine, der stochert da mit seinem Schwanz in meinen Gedärmen herum. Wie kann sich das dann bitte gut anfühlen? Ich glaube auch nicht, dass der Körper dafür gemacht wurde, dass da unten etwas reinkommt. Wenn man es mal aus hygienischer Sicht betrachtet ist es eine echt eklige Angelegenheit.

Mein Mund verzieht sich und mich überkommt ein Schauder. Unwillkürlich schüttele ich mich. Nee, das muss echt nicht sein!

Küssen ja, aber kein Sex mit einem Kerl! Nie und nimmer!

„Whoa!“, entfährt es mir, als ich plötzlich angerempelt werde. Falsch. Ich bin es, der in jemanden reingelaufen ist, weil ich nicht auf meine Umgebung geachtet habe.

Irritiert sehe ich auf. Der Mann ist größer als ich. Hochgewachsen, attraktiv und eine düstere Erscheinung. Er könnte glatt einem Modemagazin entsprungen sein.

„Sorry!“ Mehr fällt mir im Moment nicht ein. Mein Blick gleitet über seine dunklen braunen Augen. Er hat dichte Augenbrauen und dunkles braunes Haar, welches leicht vom Wind zerzaust wird. Seine Kleidung ist schwarz. Schwarze Hose, schwarzer Pulli und darüber eine dunkle Jacke. Alles in allem eine düstere Erscheinung. Eine attraktive düstere Erscheinung wie ich verblüfft feststelle.

„Ist ja nichts passiert.“ Er bleibt stehen und sieht mich an. Verlegen erwidere ich seinen Blick. Er wirkt schon irgendwie stechend und ich fühle mich als hätte ich etwas verbrochen und er versucht nun herauszufinden was ich getan habe.

„Alles in Ordnung?“ Er deutet auf meinen Hals und sofort greife ich nach der verbundenen Stelle.

„Äh ja, ist nicht Ernstes!“, erwidere ich hastig.

Prüfend sieht der fremde Mann mich an, dann entspannt sich seine Miene. „Eigentlich suche ich diese Adresse. Kannst du mir helfen?“

Ich sehe auf den kleinen Notizzettel, den er mir vor die Nase hält. „Das ist meine Schule.“ Ich sehe zu ihm auf. „Sie müssen einfach nur immer geradeaus gehen. An der großen Kreuzung nach links und vor dem Supermarkt biegen Sie rechts ab. Ist nicht zu verfehlen.“

„Okay, danke.“

Er schenkt mir ein hinreißendes Lächeln und paralysiert sehe ich ihm nach. Noch nie habe ich so einen hübschen Mann gesehen.

Grinsend drehe ich mich um und gehe heim. Melanie wird vor Wut kochen, dass ihr das entgangen ist.

Abrupt bleibe ich stehen. Wieso finde ich den Mann denn so toll? Kann mir doch schnuppe sein wie er aussieht. Stirnrunzelnd knabbere ich auf meiner Unterlippe. Na toll. Erst Dale, jetzt der fremde Typ. Schippere ich gerade ans andere Ufer ohne es zu bemerken?

„Oh je...“
 

Zuhause wartet das nächste Dilemma. Meine Eltern sind längst in Kenntnis gesetzt worden. Zuerst muss ich mir über das Telefon eine ewig andauernde Predigt meines Vaters anhören, der so gar nicht von meiner Prügelei angetan ist. Schuldbewusst lausche ich seinem Gezeter und bekomme eine Woche Hausarrest aufgebrummt.

Die nächste Überraschung bietet mir meine Mutter, die mir erzählt, dass ich für eine ganze Woche vom Unterricht suspendiert worden bin. Schön so was auch mal zu erfahren. Da hat Dale mir ja was ganz tolles eingebrockt!

Ganze fünf Tage muss ich nicht in die Schule. Insgeheim freue ich mich natürlich. Mal ganz ehrlich, wer freut sich nicht über so etwas? Das ist wie Kurzferien. Zum Glück schreibe ich diese Woche keine wichtigen Teste oder Arbeiten. Zumindest hoffe ich, dass es auch dabei bleibt.

Als ich dann endlich mit einem Zettel in der Hand in mein Zimmer gehe pfeffere ich ihn auf den Schreibtisch. Es ist eine meterlange Liste mit Aufgaben die ich die nächsten Tage hier im Haushalt erledigen soll. So viel zu meinen Ferien.

Seufzend strecke ich alle Viere von mir. Schön und gut, aber was fängt man mit all der Zeit an, wenn ich das Haus nicht verlassen darf? Ich bin natürlich nicht jemand, der ständig auf Achse ist. Ich bin gerne in meinen vier Wänden. Ab und an treffe ich mich natürlich auch mit Melanie, dann ziehen wir durch die Stadt, gehen essen oder ins Kino, aber die nächsten Tage kann sie ja auch zu mir kommen.

Das erste was mir in den Sinn kommt ist meine Konsole aufzubauen. Solange mein Fernseher noch im Zimmer steht muss ich das ausnutzen.

Kurz darauf hänge ich bäuchlings auf dem Bett und zocke Red Dead Redemption. Die Zeit vergeht wie im Flug. Nach etlichen Stunden in denen ich alles um mich herum vergessen habe ist es Abend und von unten ist die Haustür zu hören. Mein Vater ist daheim.

Angespannt halte ich inne und warte ab. Keine Schritte sind zu vernehmen. Kommt er also nicht hoch um mich noch einmal in die Mangel zu nehmen?

Schulterzuckend zocke ich weiter und gehe meiner Lieblingsbeschäftigung nach. Banditen jagen und das Kopfgeld für sie kassieren.

Unwillkürlich muss ich dabei an diesen Hunter Reed denken. Ob der auch so einer Art Beschäftigung nachgeht? Vampire jagen und Trophäen einsacken? Vampirjäger. Irgendwie stelle ich mir das schon sehr spannend vor. Gerade in dieser langweiligen Zeit muss das doch eine sehr spannende Aufgabe sein. Der Controller landet auf der Matratze und Gedankenverloren blick ich an die Wand, stelle mir vor wie ich in der heutigen Zeit blutrünstige Vampire jage und sie töte, ehe sie es bei mir versuchen.

Seufzend lege ich den Kopf aufs Bett und schließe die Augen. Es wirkt immer noch so merkwürdig auf mich. Vampire, die es wirklich gibt. Es wirkt surreal. Unecht. Wie aus einem schlechten Jugendroman. Oder diese Teeniefilme, in denen ein ganz normaler Jugendlicher es plötzlich mit einer Horde Vampire zu tun bekommt die ihm das Blut aussaugen wollen.

Andächtig streiche ich über den Verband an meinem Hals. Meine Mutter ist darauf zum Glück nicht näher eingegangen. Sie denkt natürlich, dass die Verletzung von der Prügelei herrührt. Gut, belasse ich es dabei. Ist auch sicher, sie in dem Glauben zu lassen.

Grimassen schneidend wälze ich mich auf den Rücken. Mein Blick fällt aus dem Fenster in den dunklen Abendhimmel. Habe ich wirklich schon so lange gezockt? Wie doch die Zeit verfliegt.

Ich muss unweigerlich an letzte Nacht denken. Dale. Der Kuss. Mit dem Finger streiche ich mir über den Mund und schließe die Augen. Die Fingerkuppe gleitet über die Lippen, fährt dazwischen. Ich lecke an meinem Finger, sauge ein wenig daran. Die andere Hand gleitet in meinen Schritt, sucht sich ihren Weg in meine Hose.

Ohne mich zu rühren runzele ich die Stirn. Was mache ich hier eigentlich? Will ich mir echt einen von der Palme wedeln und dabei an Dale denken? Wie bescheuert bin ich denn?

Ich ziehe meine Hand aus der Hose und setze mich auf. Das wird ja immer besser. Mit den Händen gleite ich durch meine Haare, verwuschele sie und seufze kopfschüttelnd. Meine Finger greifen nach dem Controller. Ablenkung, ja das ist genau das Richtige in solchen Momenten in denen man eine Dummheit begehen will.
 

Am nächsten Tag ist Melanie da. Wir haben Wochenende, superschönes Wetter und ich darf nicht raus. Ich bin ja so was von am Arsch!

Melanie und ich beschließen also eine Art Poolparty im Badezimmer zu machen. Auf so eine blöde Idee kommt man wohl nur, wenn man wirklich nichts Besseres zu tun hat. Sie im knappen Bikini und ich in Badehose. Wir lassen das Wasser ein, natürlich mit richtig viel Schaum bis die Wanne voll ist. Quietscheentchen, heimlich angemixte Coctails und leckeres Obst, welches Melanie mitgebracht hat. Wir setzen uns in die Wanne. Ich nach hinten, sie zwischen meine Beine an meine Brust gelehnt. Fast schon wie ein Paar.

„Wieso sind wir eigentlich nicht zusammen?“, frage ich Melanie.

„Weil du auf Dale abfährst?“

Hm, ganz unrecht hat sie nicht. Melanie ist aber auch nicht von schlechten Eltern. Sie ist blond, schlank, aber nicht so krankhaft spindeldürr wie es bei einigen Mädchen in Mode ist und eigentlich total hässlich aussieht. Sie ist kurvig und meiner Meinung nach sexy. Eher der Typ nettes Mädchen von nebenan, aber die sind ja auch nicht zu verachten. Wieso muss man sich immer an Weiber schmeißen, die ohnehin unerreichbar sind, wenn man ein tolles Mädchen praktisch direkt vor der Nase hat?

Mit den Händen streiche ich über Melanies Schultern, die noch trocken sind. Sie hat die Beine angezogen und den Kopf auf die Knie gebettet.

„Wir kennen uns aber schon so lange. Wir hätten längst mal ausgehen können.“

„Beste Freunde küssen sich nicht.“

„Wieso nicht?“, frage ich Melanie.

Sie dreht mir ihr Gesicht zu. „Na ist doch komisch. Wenn es nicht gut läuft, will man doch weiterhin befreundet sein, aber das hat doch irgendwie einen schlechten Nachgeschmack, wenn die Beziehung in die Hose ging. Meinst du nicht? Man will doch die Freundschaft nicht gefährden.“

Nachdenklich schaue ich sie an. Recht hat sie und trotzdem...

Sie hat keinen Freund. Ich habe keine Freundin. Ist das wirklich der einzige Grund, welcher uns davon abhält einander zu daten?

Ich lecke mir über die trockenen Lippen. „Aber ein Versuch kann doch nich schaden oder?“, frage ich sie.

Melanie presst die Lippen fest zusammen und runzelt die Stirn.

„Bin ich dir zu hässlich?“, witzele ich lachend.

Sie lächelt zurückhaltend. „Nein. Du siehst sogar echt toll aus.“ Sie wirkt verlegen. Die ganze Stimmung ist gerade irgendwie äußerst komisch. Ein wenig angespannt, voller Erwartungen auf das was eintreffen wird und das was nicht passiert.

Melanie senkt den Blick und dreht sich mir langsam zu. Nicht gerade einfach in der engen Badewanne. Sie sieht mich zögernd an und greift nach dem Wannenrand. Nur langsam nähern sich unsere Gesichter einander. Unsicherheit. Wir zögern beide. Wirken verlegen. Lächeln und schmunzeln als uns nur noch wenige Zentimeter voneinander trennen.

Der Kuss ist zaghaft, noch ein wenig scheu. Unser erster Kuss. Ermutigt presse ich meine Lippen fester auf ihre, übe mehr Druck aus und küsse sie mit klopfendem Herzen. Melanie schmiegt sich eng an mich. Ich schlinge meine Arme um ihren nassen Körper. Nach einer Weile lösen wir uns voneinander. Beide knallrot im Gesicht. Wir lachen und weichen unseren Blicken aus.

Eine wirklich komische Stimmung.

Und dann muss ich an Dale denken. Seine forschen Küsse, die mich gänzlich aus der Bahn geworfen haben.

Ich atme tief durch als Melanie mich erneut küssen will. Ich erwidere es verlangend.

Dale zu küssen war toll, aber es ist besser, wenn ich mich mit einem Mädchen abgebe. Dale würde mich ja doch nur ins Chaos stürzen. Und doch...

Was ist, wenn ich genau das will?

Und Melanie mir nur als Fluchtweg dient?

Hetzjagd

Schweigend sitzen Melanie und ich auf dem Bett. „Ist das wahr?“

„Ja, Dale war heute nicht in der Schule.“

„Müssen wir uns Sorgen machen?“, überlege ich und sehe sie sorgenvoll an. Melanie zuckt mit den Schultern.

„Glaubst du, dieser Typ hat seine Familie...? Also, du weißt schon...als Geisel? Ich meine, die Vampirjäger wollen Vampire ausrotten. Sie können doch nicht ewig fliehen ohne bemerkt zu werden oder?“, vermutet Melanie.

„Ich habe keine Ahnung!“, seufzend lehne ich mich an die Wand. Sie kühlt angenehm im Rücken bei dem heißen Wetter. Die letzten schönen Sommertage bevor der bittere regnerische Herbst beginnt.

Melanie beugt sich zu mir vor. „Soll ich mal bei ihm vorbeigehen?“

Entsetzen spiegelt sich auf meinem Gesicht wieder. „Bist du wahnsinnig? Was willst du denn machen, wenn wirklich etwas passiert ist? Außerdem lebt da seine komische Schwester. Die ist mir nicht ganz geheuer. Mit der stimmt etwas nicht!“

Melanie gibt sich geschlagen. „Also warten wir einfach ab?“

„Er ist bestimmt nur krank oder so. Ist sicher nichts Schlimmes. Was soll auch schon passieren?“

„Argh! Das ist zum kotzen! Ich kann hier nichts machen!“

„Du kannst aus dem Fenster klettern. Ist Dale so nicht auch reingekommen?“, fragt Melanie und wirft einen Blick aus meinem Fenster. „Wir zwei sind auch immer so in dein Zimmer gekommen als wir jünger waren.“

„Und dann kommen meine Eltern rein und sehen das offene Fenster. Du kennst meinen Vater! Mit dem ist nicht zu spaßen.“

„Ja, stimmt auch wieder.“ Melanie lässt sich zurück aufs Bett sinken. „Ich könnte auch die Krankenschwester fragen.“

„Wieso? Willst du auch als blutiger Snack für zwischendurch enden?“, frage ich sie sarkastisch.

„Okay, das heißt also wir können nichts tun?“ Sie wirkt sichtlich unzufrieden mit der Situation.

„Im Moment nicht.“

Ich runzele die Stirn. „Mir fällt gerade etwas ein...“

„Was?“, neugierig beugt Melanie sich vor. Ihre Augen sehen mich erwartungsvoll an. Ich grinse, beuge mich vor und küsse sie kurz. Melanie runzelt die Stirn. „Was war das denn jetzt?“

„Ich wollte dich küssen.“ Schulterzuckend sehe ich sie an und lache.

Melanie kräuselt die Lippen und boxt mir gegen die Schulter. „Jetzt sag schon! Du verbirgst etwas!“

„Okay, okay!“ Abwehrend halte ich meine Hände in die Luft. „Ich bin gestern meinem Traummann begegnet.“

Melanie entgleisen schlagartig die Gesichtszüge.

Lachend kugele ich mich auf dem Bett. „Das ist echt herrlich! Wie du immer wieder guckst!“, foppe ich sie.

Melanie grummelt. „Was ist das für ein Typ gewesen?“

„Er sah aus wie ein Model. Eher der südländische Typ. Ich habe kaum ein Wort rausgebracht als er mit mir geredet hat und er sah so toll aus!“, schwärme ich und klimpere mit den Wimpern.

„Moment! Ihr habt miteinander geredet?“ Nun habe ich Melanies volle Aufmerksamkeit.

„Na ja, er wollte nur wissen wo unsere Schule liegt.“

„Wieso?“ Sie runzelt die Stirn und blickt mich skeptisch an.

„Keine Ahnung. Vielleicht ist er ein neuer Lehrer oder so?“

Melanie beugt sich vor und guckt mich prüfend an. „Fährst du auf ihn ab?“

„Wo denkst du hin?!“, erwidere ich empört. „Er ist ein Mann und viel älter als ich!“

„Ja, na und? Das hat dich nicht davon abgehalten Dale zu küssen.“

„Der fremde Typ ist älter als ich!“

„Hat bisher auch niemanden aufgehalten. Ich meine, nächstes Jahr wirst du 18, dann bist du volljährig und er kriegt auch keinen Ärger, wenn er mit dir in die Kiste springt. Zumindest, wenn es rauskommen sollte.“

„Sag mal, nimmst du das zwischen uns eigentlich ernst?“, frage ich sie unerwartet. „Ich meine, irgendwie sind wir doch zusammen oder? Und du denkst, ich schmeiße mich an einen Fremden ran.“

Melanie seufzt. „Doch, tue ich, nur...“ Sie zögert. „Es ist immer noch so komisch. Wie soll ich ernsthaft etwas mit dir anfangen, wenn du dank Dale völlig durch den Wind bist und der andere Typ hat es dir auch angetan. Das merke ich doch.“

Bedrückt senke ich den Kopf. „Es ist ja nicht so, dass ich auf ihn stehe. Dale hat mich doch nur geküsst und den anderen Kerl sehe ich wahrscheinlich ohnehin nicht mehr wieder. Glaubst du einer wie der würde sich ernsthaft mit jemandem wie mir abgeben? Außerdem bin ich nicht schwul!“

„Mag sein, dass du es bestreitest, aber du kannst nicht leugnen, dass es dir gefallen hat Dale zu küssen oder?“

Ich sehe sie schweigend an und schlucke. Stimmt, da hat sie recht. Mit den Händen fahre ich mir übers Gesicht. „Es war der Hammer! Der Kuss...“, gestehe ich und spüre unweigerlich die Röte in meinen Wangen. „Ich bin vorher noch nie geküsst worden, aber das war... Dale hat... Es war so geil.“ Geknickt sehe ich Melanie an, die nun doch ziemlich beleidigt wirkt.

„Ich fand es geil von ihm geküsst zu werden. Weißt du wie sich das anhört? Das ist doch Mist! Das ist falsch!“

„Wieso ist es falsch?“

„Ich und ein Junge? Ich habe mich nie für Jungs interessiert und dann kommt einer daher spaziert und überfällt mich und ich kriege weiche Knie! Das ist doch bescheuert!“

„Vielleicht hast du gerade danach gesucht und es bisher nur nicht gewusst?“, vermutet Melanie vage.

„Du spinnst doch, Mel!“ Lachend schüttele ich den Kopf. „Es war nur ein blöder Kuss, weiter nichts!“

Melanie beugt sich zu mir, schaut mir fest in die Augen und küsst mich spontan. Ich ziehe die Augenbrauen hoch und schließe die Augen. Damit ist das Gespräch wohl beendet. Soll mir ganz recht sein. Der Zungenkuss raubt mir die Sinne, aber so abrupt wie es begann, beendet Mel es auch schon wieder. Überrumpelt sehe ich sie an. „So, jetzt hast du zwei Vergleiche. Welcher Kuss haut dich mehr um?“, fragt Melanie mich ernst.

Ich beiße mir auf die Unterlipppe. „Dales...“, erwidere ich wiederspenstig.

„Da hast du deine Antwort. Ob du es wahrhaben willst oder nicht, aber in der Hinsicht wirst du lieber von einem Jungen geküsst, glaub mir!“ Melanie setzt sich zurück.

„Das war nur ein Versehen!“

„Ja klar und ganz zufällig ist seine Zunge in deinen Hals gerutscht. Glaub ich sofort!“ Melanie schüttelt den Kopf. „Du musst es endlich einsehen. Das war keine Suche nach einem Vampir. Du wolltest die ganze Zeit in seiner Nähe sein, deswegen hast du Dale beschattet.“

„Gar nicht wahr! Ich wollte wissen ob er ein Vampir ist!“

„Nein wolltest du nicht!“

„Ich bin nicht schwul!“

„Was dich trotzdem nicht davon abhält bei einem Kuss mit einem Jungen weiche Knie zu bekommen!“ Angriffslustig sieht Melanie mich an.

„Wieso regt dich das eigentlich so gar nicht auf? Ich meine, wir sind doch zusammen!“

„Sind wir das wirklich, Andreas?“

„Ja!“

„Gut, okay.“ Melanie wirkt nachdenklich. „Willst du die Gefühle einfach abschalten? Das geht nicht einfach so, schon gar nicht, wenn du Dale ständig in der Schule begegnen wirst und er auf dich abfährt. Das war immerhin nicht zu übersehen.“

„Solange wir uns nicht küssen kann doch nichts passieren und wer weiß, vielleicht zieht er ja ohnehin demnächst mit seiner Familie wieder weg?“

„Du willst ihm ausweichen?“

„Ich will ihn nur nicht küssen.“

Melanie mustert mich. „Wieso nur glaube ich dir das nicht?“

Seufzend krieche ich auf sie zu und verharre dicht vor ihrem Gesicht. „Solltest du aber. Du bist schließlich meine Freundin...meine feste Freundin!“

Melanie schmunzelt. „Da ist was dran.“ Lächelnd beugt sie sich vor und küsst mich. Ich drücke sie auf die Matratze und lege mich auf sie. Ihre Arme schlingen sich fest um mich. Was soll ich schon mit einem Jungen anfangen mit dem ich sowieso keinen Sex haben will? Mit einem Mädchen ist doch ohnehin alles viel einfacher. Kein blödes Outing, keine dummen Blicke der anderen und der Sex ist auch nicht schmerzhaft, zumindest für mich. Wozu kompliziert, wenn es auch einfach geht?
 

Abends sitze ich am Fenster und schaue in die Dunkelheit. Die Lichter der Straßenlaternen spenden etwas Helligkeit und tauchen die Häuser in ein schummriges gruseliges Licht. Es erinnert mich an den Abend als Dale hier aufgekreuzt ist. Der Abend an dem wir uns geküsst haben. Der Kuss in der Sporthalle war aber auch nicht zu verachten.

Melanie hat recht. Mit mir stimmt etwas nicht. Absolut nicht.

Ich habe noch nie einem Jungen hinterhergesehen. Jedenfalls nicht mit bestimmten Absichten. Als Dale sich in der Schule so daneben benommen hat war ich nicht nur beschämt sondern auch enttäuscht. Enttäuscht darüber, dass er es nicht so ernst genommen hat wie ich. Und er ist hier der Schwule von uns beiden. Der, der auf Männer steht. Der, der meine Gefühle in Wallung bringt und mir den Kopf verdreht sobald er mich küsst.

Sind Homos so? Nehmen sie das alles nicht so ernst oder ist das nur einfach Dales Art? Klar, er hat es als Ausrede abgetan, weil er mich auf Abstand halten wollte, aber ob nicht noch mehr dahinter steckt?

Ich kanns nicht verleugnen, dass ich ihn gerne noch mal küssen würde. Das steht schon mal fest. Daran gibt’s nichts zu rütteln. Es passt mir nur einfach nicht in den Kram.

Ein Junge.

Dale sieht schon nicht schlecht aus. Okay, er ist ziemlich blass, hat ständig blutunterlaufene Augen und sieht auf den ersten Blick echt fertig aus, aber wenn ich in seine dunklen Augen sehe, vergesse ich alles um mich herum. Dann will ich ihn nur noch küssen.

Ich lasse mich rücklings auf die Matratze sinken, wende jedoch nicht den Blick vom Fenster.

Es macht mir wirklich Sorgen, dass er nicht in der Schule ist. Ich wollte es vor Melanie nur nicht so offensichtlich darlegen.

Mit einem Ruck setze ich mich auf und öffne das Fenster. Schuhe habe ich hier oben im Zimmer nicht, also ziehe ich mir die Socken aus und klettere aus dem Fenster. Es ist nacht und meine Eltern schlafen tief und fest, solange ich keinen Lärm veranstalte.

Vorsichtig hangele ich mich zu dem breiten Ast, der doch ein wenig unter meinem Gewicht zu knacken beginnt, also lasse ich mich nicht zweimal bitten und klettere zum breiten Stamm. Von Ast zu Ast klettere ich wie ein Affe herunter und lande schließlich auf dem Rasen. Ich spüre das Gras und die Erde unter meinen Füßen. Es ist kühl und eine Gänsehaut überzieht meine Arme.

Dale wohnt nicht weit von der Schule weg und die liegt nur einen Katzensprung von meinem Haus entfernt. Ich laufe über den Aspahlt was sich allerdings nicht ganz so gut an den Sohlen anfühlt, wenn man rennt.

Wie ein Schatten husche ich über die Gehwege, weiche auf weichen Rasen aus, wenn sich mir die Gelegenheit bietet und renne zur Schule.

Dort angekommen verschnaufe ich kurz. Das große Gebäude wirkt in der Nacht noch weniger einladend als tagsüber.

Gerade als ich imstande bin weiter zu laufen, bemerke ich eine Bewegung aus dem Augenwinkel. Irritiert bleibe ich stehen. Wer treibt sich denn nachts auf dem Schulgelände herum?

Das große schmiedeeiserne Tor ist verschlossen. Neugierig lasse ich meinen Blick über den dunklen, leeren Schulhof gleiten. Nichts zu sehen. Habe ich mich geirrt? Ist das die Müdigkeit, die mir einen Streich spielt?

Nein, da war es schon wieder. Dann höre ich etwas klappern. War das eine Katze?

Ich greife nach den Sprossen im Tor und setze meinen Fuß dagegen. Mit all meiner Kraft stoße ich mich vom Boden ab und klettere das Tor hinauf. Oben angekommen klettere ich rüber und lasse mich auf der anderen Seite herab rutschen. Ich sehe mich mit zusammengekniffenen Augen um. Langsam, Schritt für Schritt, überquere ich den Schulhof und gehe schnurstracks auf das Gebäude zu. Keiner ist zu sehen. Als ich an der Glastür ankomme, greife ich danach. Zu meiner Verwunderung lässt sie sich öffnen. Ist doch noch jemand hier?

Zögernd ziehe ich die Tür auf und schaue in das stille, dunkle Gebäude hinein.

„Gruselig. Kommt gleich ein Axtmöder?“, witzele ich leise um mich selbst ein wenig zu beruhigen. Ich bin angespannt und alles schreit in mir so schnell wie möglich wieder abzuhauen. Selbst in schlechten Horrorfilmen geht so etwas immer schief!

Ich lausche angestrengt, doch nichts ist zu hören. Gut, dass ich keine Schuhe trage. Auf Fußspitzen schleiche ich in das Gebäude, laufe an der Wand entlang und halte schließlich an um einen Blick um die Ecke zu werfen. Die Aula liegt leer und verlassen vor mir. Dann höre ich ein Geräusch über mir. Ich fahre zusammen und halte inne, lausche mit gespitzten Ohren und eine Gänsehaut überkommt mich unweigerlich. Am liebsten würde ich wegrennen.

Vorsichtig drehe ich mich um. Der Gang hinter mir ist leer. Ausatmend drehe ich mich um und erstarre. Ein riesiger Schatten ragt vor mir auf. Ich öffne den Mund, reiße die Augen weit auf und trete einen Schritt zurück. Kein Laut verlässt meine Lippen.

„Shhh...“

Ich werde an die Wand gepresst. Mein Mund wird zugedrückt. Mein Herz hämmert in der Brust und erstarrt starre ich die Silhouette vor mir an. „Sei leise!“, raunt mir eine leise tiefe Stimme zu.

Erneut das Geräusch. Schnelle Schritte, die über uns den Gang entlang huschen. Die Person vor mir presst sich eng an mich um nicht gesehen zu werden.

Ich will nur hier weg. Einfach weglaufen.

„Da ist sie!“, flüstert er. Ich kann ihn nicht erkennen. Wer ist das? Dale nicht. Der Mann wirkt älter auf mich.

Ich höre ein unangenehmes Geräusch und linse herunter. Licht spiegelt sich kurz darauf. Ein Dolch?

„Bewege dich nicht vom Fleck!“, flüstert mir der Mann ins Ohr, dann lässt er von mir ab und schleicht sich leichtfüßig auf die andere Seite der Wand. Er läuft hinter den Schaukästen mit den Pokalen und Auszeichnungen vorbei, hält sich im Schatten der kleinen Flur, die zu Klassenzimmern führen und kommt schließlich zur Tür an, um die Treppen ins obere Stockwerk hochzulaufen.

An die Wand gepresst sehe ich zu wie der Fremde flüchtig aus meinem Blickfeld verschwindet. Ich kann kaum atmen. Was geschieht hier? Wer ist die andere Person? Was hat er vor? Will er sie töten?

„Scheiße, was mache ich hier noch?“, flüstere ich. Ich sollte die Beine in die Hand nehmen und das Weite suchen stattdessen stehe ich hier wie eine erstarrte Salzsäule und kann mich nicht bewegen.

Nur vorsichtig wage ich es einen Blick über die Aula schweifen zu lassen, ziehe meinen Kopf aber ruckartig zurück als ich schnelle Schritte vernehme, die auf mich zuhalten. Es klackert.

Gerade als ich mich umdrehen will, spüre ich wie etwas nach meiner Schulter greift. Ich fahre zusammen und drehe mich mit schreckgeweiteten Augen um.

„Du!“ Ich kann nur die Schemen ausmachen, doch die Stimme ruft in mir eine unangenehme Begegnung ins Gedächtnis.

„Was machen Sie hier?“, frage ich mit furchtsamer Stimme und befreie mich von ihrem schmerzhaften Griff.

Daniela schüttelt den Kopf. „Dasselbe könnte ich dich fragen, aber wir haben keine Zeit! Wir müssen hier weg!“ Sie packt mich am Handgelenk und zerrt mich quer durchs Gebäude. Verwirrt laufe ich hinterher. Ihre Fingernägel vergraben sich tief in mein Handgelenk. Wir durchqueren schnellen Schrittes die Aula. Unsere Schritte hallen im Gebäude laut wider.

„Du kannst nicht fliehen!“, brüllt jemand hinter uns.

Daniela wirft den Kopf herum und schaut in eine bestimmte Richtung. Sie hält so plötzlich an, dass ich beinahe in die hineinpralle. Sie reißt mich erneut mit und taumelnd folge ich ihr. Wir flüchten durch das große Gebäude, laufen durch Türen und Treppen hinauf, anschließend wieder herunter.

Das ist eine Hetzjagd!, kommt mir der schreckliche Gedanke.

„Wir müssen uns verstecken!“, rufe ich. Denselben Gedanken hatte Daniela wohl auch. Sie öffnet schwungvoll eine Tür und schubst mich in den Raum. Ich verliere mein Gleichgewicht und pralle schmerzhaft auf den Boden. Mit den Händen kann ich mich gerade noch so abstützen. Etwas knackt im Gelenk. Ein Schmerz durchfährt meinen ganzen Arm bis hinauf in die Schulter. Gerade als ich mich aufrichten will, werde ich unsanft zu Boden gedrückt. Ich spüre den Körper auf mir.

„Was soll das?!“, rufe ich und spüre wie mir der Verband vom Hals gerissen wird. „Aua! Aaaaaaaargh!“ Laut schreie ich auf als sich etwas tief in meinen Hals bohrt. Mir wird kurz schwarz vor Augen. „Hören Sie auf! Miststück! Runter von mir!“, brülle ich und versuche sie von mir zu stoßen. Sie krallt sich an mir fest und saugt sich an meinem Hals fest. Ich spüre wie mir das Blut über den Hals fließt. Ich drehe mich mit einem Ruck auf den Rücken, höre ein lautes Geräusch, als die Frau gegen den Medizinschrank prallt. Ihre Zähne reißen mir die Haut auf. Ich brülle vor Schmerz. Fluchend rappele ich mich auf als sie mich erneut zu Boden ringt und dabei eine Kraft aufbringt, die meine bei weitem übertrifft. Mit den Armen stütze ich mich an ihren Schultern ab, versuche die Frau, dieses Monster, von mir fernzuhalten. Blut läuft ihr aus dem Mund, tropft mir ins Gesicht. Sie beißt mir in den Unterarm. Ihre Fangzähne vergraben sich tief in meiner dünnen Hautschicht.

Das ist kein einfaches blutsaugen mehr, sie hat die Kontrolle über sich verloren.

Sie bringt mich um!

Ich trete nach ihr, treffe sie in den Magen, doch das hält sie nicht davon ab. Wie ein Hund beißt Daniela sich an mir fest. Ich schlage ihr ins Gesicht, doch es bringt nichts. Egal wie sehr ich mich auch wehre, ich kann mich nicht befreien.

Etwas bohrt sich durch ihren Hals, blitzt kurz auf und bringt sie zum Röcheln. Ich sehe mit großen Augen auf und dann sackt Daniela auf mir zusammen. Sie greift sich an den Hals. Ihre Hand gleitet zum Nacken und mit einem Ruck reißt sie sich den Dolch aus dem blutenden Hals. Das Silber ist blutdurchtränkt. Es sickert an der spitzen Klinge herab.

Der fremde große Mann steht wie ein Schatten hinter ihr. Ich sehe es erneut aufblitzen. Das fahle Mondlicht spiegelt sich auf der langen Klinge des Schwertes, lässt es bedrohlich aufblitzen und mit einem kräftigen Hieb schlägt er ihr vor meinen Augen den Kopf ab.

Der Leib sackt auf mir in sich zusammen. Angeekelt stoße ich ihn von mir. Der Kopf rollt unter einen Stuhl.

Mit schreckgeweiteten Augen sehe ich zu dem fremden Mann hinauf. Er steckt die Klinge in die Scheide an seinem Gürtel und hockt sich vor mich. Als er sich mir nähert, zucke ich zusammen und weiche zurück. Er packt mich am Arm, dort wo Daniela mich gebissen hat. Es schmerzt höllisch. Ich schreie auf und zerre an meinem Arm, doch er lässt nicht davon ab, vergräbt seine Finger in meiner offenen Wunde.

„Lassen Sie mich los!!!“ Ich winde mich, stampele mit allen Gliedmaßen und trete nach ihm. Der Femde ist wenig beeindruckt. Er packt mich, zieht mich hoch und schleudert meinen Körper ohne große Mühe auf das Lehrerpult. Er greift grob nach meinem Kinn und zieht meinen Kopf zur Seite. Mit ängstlichen Augen, wie ein Tier in der Falle, sehe ich zu ihm auf.

„Bitte, tun Sie mir nichts...“, flehe ich mit erstickter Stimme.

Er sieht mir in die Augen. Im Licht des Mondes kann ich ihn das erste Mal richtig erkennen. Ich erinnere mich an unsere Begegnung auf dem Heimweg von der Schule.

Seine dunklen Augen nehmen mich gefangen. Er beugt sich herunter zu meinem Hals und erschrocken zucke ich zusammen. Es schmerzt als seine Zunge über die zerrissene Haut leckt. Ich starre an die Decke als sich Zähne darin vergraben. Geräuschvoll schmatzend saugt er an der Haut, raubt mir mein Blut und in meinem Kopf dreht sich alles. Mir ist schwindlig und flau. All die schrecklichen Eindrücke schwirren durch meinen Kopf. Tränen rinnen mir aus den Augenwinkeln über die Wangen. Ich spüre wie meine Kraft schwindet.

„Lass ihn am Leben, Farik!“ Der Mann wird zurückgerissen. Blut tropft ihm von Kinn. Er leckt sich über die Lippen und geht zur Seite. Mit dem Handrücken wischt er sich fahrig über den Mund.

Der andere Mann kommt nun näher. Mit Argusaugen betrachtet er mich. „Wer sind Sie?“, frage ich benommen.

„Hunter Reed. Das ist Farik Bin Al-Saud.“

„Er ist ein Vampir...“, flüstere ich und sehe zu dem Mann.

„Wie man es nimmt. Er hat die Seiten gewechselt und tötet lieber seinesgleichen.“ Hunter Reed ist ein alter Mann. Er wirkt erfahren auf seinem Gebiet und doch lässt er einem Vampir den Vortritt.

„Werden Sie mich töten?“, frage ich mit brüchiger Stimme. Für mich sieht der alte Mann mit Vollbart eher aus wie ein normaler Jäger der Wild erlegt, keine Vampire.

„Nein, das würde zu viel Aufmerksamkeit erregen.“ Hunter Reed betrachtet meine Wunden und zerrt aus seiner Tasche einen Verbandskasten. Notdürftig kümmert er sich um meine Verletzungen.

„Trag ihn, Farik. Wir müssen hier weg. Was für eine Sauerei.“

Der Mann, der mir noch eben das Blut ausgesaugt hat, hebt mich mit leichtigkeit hoch. Ich werfe einen kurzen Blick zurück in das Zimmer. Riesige Blutlachen breiten sich auf dem Boden aus. Der Körper liegt bewegungslos auf dem Grund, zuckt ein letztes Mal und als ich den Kopf sehe, die leeren Augen, die mich anstarren, wende ich den Blick ab.

So schnell es geht verschwinden wir aus dem Gebäude. Es gibt einen kleinen Weg, der mir bisher nie aufgefallen ist. Wir drängen uns zwischen Büschen und Sträuchern hindurch und gelangen hinter der Schule auf eine ganz normal verlassene Seitenstraße.

„Schnell jetzt!“, fordert Hunter und öffnet die Tür eines weißen Transporters. Farik steigt mit mir hinten ein. Die Tür wird zugezogen und dann umgibt uns finstere Dunkelheit. Nur ich und dieser Vampir. Der Wagen setzt sich in Bewegung und fährt schnell durch die Straßen. Ich liege auf irgenetwas unangenehmen, das mir in den Rücken sticht. Es rumpelt und dann erlöst mich endlich die Ohnmacht.

Den Tatsachen ins Auge blicken

Als ich zu mir komme habe ich das Gefühl Stunden geschlafen zu haben, nur das mich vorher noch jemand mit einer Axtwie einen Baum gefällt hat. Verwirrt sehe ich mich um und setze mich langsam auf. Ich liege in einem Bett. Na ja, es ist eher eine einfache Pritsche wie man sie aus Gefängnissen oder Lazaretten kennt. Sofort greife ich mir an den Hals. Es schmerzt und er ist verbunden worden. Vor meinem inneren Auge spielt sich alles noch einmal ab. Eine Gänsehaut überkommt mich und mir wird ganz flau im Magen. War das alles echt? Oder ein Traum? Schlafwandle ich neuerdings? Ist die Frau vor meinen Augen wirklich geköpft worden?

Mein Blick schweift durch den Raum und bleibt an einer Person hängen die mit dem Rücken zu mir an einem Tisch sitzt und aus einem Glas Rotwein trinkt. Eine dunkle Gestalt mit schwarzen Haaren.

„Wer sind Sie?“, frage ich misstrauisch.

„Du erinnerst dich nicht?“

Doch. An diese Stimme würde ich mich jederzeit erinnern. „Sie sind... dieser Vampir!“

Er dreht sich mir lächelnd zu. „Jackpott.“

Mürrisch erwidere ich seinen Blick. „Erst helfen Sie mir, dann beißen Sie mich, saugen mir mein Blut aus und dann werde ich auch noch entführt! Haben Sie eine Schraube locker oder was stimmt nicht mit Ihnen?!“, fahre ich ihn wütend an und schlage die Decke zurück. Als ich jedoch abrupt aufstehen will wird mir ziemlich schwindlig. Der hohe Blutverlust. Benommen setze ich mich wieder. „Sie haben die Krankenschwester umgebracht!“

„Bevor sie es bei dir tun konnte. Wie wäre es mit etwas mehr Dankbarkeit?“

„Dankbarkeit?!“ Ich würde ihm liebend gerne an die Gurgel springen! Egal wie toll seine blöde Visage aussieht! „Ich soll dankbar sein?! Sie haben ein Massaker angerichtet! Sie haben mir mein Blut ausgesaugt! Scheiß auf Dankbarkeit!“

„Immer mit der Ruhe.“ Ein älterer Mann kommt zu uns. Auch an ihn kann ich mich leider nur zu gut erinnern.

„Nehmen Sie ihren Vampir mal an die Leine! Ist es wirklich sicher ihn frei herumlaufen zu lassen? Er könnte wieder jemandem um den Hals fallen!“, meckere ich aufgebracht.

„Keine Sorge, kleine Furie. Ich habe ja das hier.“ Der Mann hält sein Glas hoch und lächelt breit.

Mir dreht sich der Magen um. „Ist das etwa...?“

„Menschenblut? In der Tat.“ Er leckt sich anzüglich über die Lippen und trinkt aus dem Glas. Das tut er doch mit Absicht!

Ich sinke zurück auf die harte Pritsche und sehe mich das erste Mal in diesem Raum richtig um. Schwer zu sagen wo ich mich gerade befinde. Es ist ein kleiner enger Raum mit dunklen rauen Betonwänden. Befinden wir uns in einem Bunker? Danach sieht es irgendwie aus. Nur wo sind wir?

An den Wänden stehen deckenhohe Regale gefüllt mit allerlei Konserven, Decken und anderen Dingen die man in einer Notsitution für gewöhnlich benötigt.

„Ist das hier ein Bunker?“, frage ich zögernd nach.

Mr. Reed nickt. Er setzt sich an den Tisch und breitet einige Karten aus.

„Sie haben diese Frau gejagt. Die Krankenschwester.“

„So siehts aus. Bist ja doch nicht auf den Kopf gefallen, Kleiner.“ Der Vampir grinst amüsiert und betrachtet mich unverhohlen. Ich ziehe mir die Decke enger an den Körper und rutsche näher an die Wand heran. Der Typ ist mir unheimlich, der würde mir glatt noch mal an die Blutreserven gehen, wenn sein Herrchen nicht da wäre!

Allein schon wie er mich ansieht. Als wäre ich eine nette Zwischenmahlzeit vor dem Hauptgang.

Unwillkürlich schlucke ich hart und weiche seinem Blick aus.

„Es war unvermeidlich. Vampire gehören einfach nicht in unsere Welt. Wir müssen sie ausrotten.“ Hunter Reed sieht kurz zu mir, ehe er sich wieder über die Karten beugt.

„Ja, aber es sind doch auch Menschen!“

„Vampire sind keine Menschen. Sie sind Monster, die auf der Erde nichts zu suchen haben.“

„Und doch haben Sie eines dieser Wesen an Ihrer Seite! Wo ist da der Sinn?“

Reed schweigt.

Auch der Blick des Vampirs wirkt auf einmal nicht mehr ganz so gelassen. Er schaut gedankenverloren in sein Glas mit Blut.

„Ihr seid Mörder...“

„Für eine gute Sache!“ Der alte Mann blickt mich ernst an. „Ist dir eigentlich klar wie viele Menschenleben sie schon genommen haben? Nein, denn es bekommt ja niemand mit. Dafür sind sogenannte Cleaner da, die die Scheiße hinterher aufräumen und beseitigen. Was glaubst du warum immer wieder Menschen plötzlich verschwinden und jahrelang nicht mehr auftauchen. Sie sind tot. Getötet von Vampiren! Nicht entführt wie es gerne mal in den Medien nett ausgedrückt wird.“

Entsetzt sehe ich von einem zum anderen. „Nein, dass kann nicht sein! Das würde doch auffallen!“

„Und doch geschieht es. Es ist unsere Aufgabe, Fariks und meine, diese Vampire zu töten damit sie nicht noch mehr Menschenleben fordern!“

„Sie lügen! Das ist nicht wahr!“, brülle ich durch den Raum.

Farik steht auf und kommt schleichend zu mir. „Du bist zweimal von demselben Vampir gebissen worden. Glaubst du wirklich, wenn niemand gekommen wäre um dir zu helfen, dass du dann tatsächlich noch leben würdest?“ Er setzt sich zu mir auf die Pritsche und lässt seine Finger über meinen Verband am Hals gleiten. Eine Gänsehaut überkommt mich. Schaudernd stoße ich seine Hand weg.

„Woher wissen Sie, dass ich zweimal gebissen wurde?“

Farik lächelt mitleidig. „Wir haben dich behandelt. Sie hat dich beide Male in den Hals gebissen. Es ist noch zu erkennen und ich erinnere mich nur zu deutlich an unsere erste Begegnung. Ich habe es geahnt. Es ist ungewöhnlich, nicht undenkbar, aber durchaus ungewöhnlich, wenn jemand an so einer Stelle einen Verband trägt. Außerdem riechst du nach Vampir!“

Mein Blick senkt sich auf die Decke. Meine Hände krallen sich fester in den grauen kratzigen Stoff. „Sie war so nett. Ich kann es immer noch nicht fassen...“

„Es ist dein Blut. Es hat sie süchtig danach gemacht. Einmal davon gekostet, hat sie im wahrsten Sinnes Wortes Blut gerochen und wollte mehr. Sie hat sich nach deinem Blut verzehrt. Du hast die Blutgruppe Null Rhesus Negativ oder?“

„Woher wissen Sie das?“, frage ich skeptisch. Hat der Kerl meine Krankenakte gesehen?

„Weil sie in Deutschland recht selten vorkommt. Etwa 6 % der Bevölkerung hat diese Blutgruppe. Für Vampire ist sie berauschend. Wie eine Droge. Selbst ich konnte kaum wiederstehen.“ Er beißt sich auf die Lippe und sieht auf meinen Hals. Seine Augen drücken Begehren aus, verlangen nach meinem Lebenssaft, welcher unablässig gleich einem Strom durch meinen Körper fließt.

„Heißt das ich bin eine Delikatesse für Vampire?“, frage ich und merke das meine Stimme kaum merklich zittert.

„Wenn sie es wissen durchaus. Noch hat es sich nicht herumgesprochen. Du hast Glück, dass wir dich so schnell finden konnten. Garantieren kann ich es dir jedoch nicht. Es kann gut sein, dass diese Frau es irgendwo an der falschen Stelle herausposaunt und jemand Wind davon bekommen hat.“

„Na ganz toll!“, entfährt es mir lauter als gewollt. „Dann kann ich ja auch freiwillig auf die Schlachtbank gehen, wenn die Vampire es bereits wissen!“

„Nun, erst einmal heißt es abwarten und Tee trinken.“ Farik lehnt sich ein wenig zurück.

„Wie jetzt? Wollt ihr mich hier einsperren?“, frage ich misstrauisch.

„Vorerst.“ Farik lächelt und beugt sich wieder vor. Viel zu nahe für meinen Geschmack. „Es sei denn du willst dem nächsten Vampir in die Arme laufen?“

„Wieso? Der Vampir sitzt doch vor mir.“ Mit zusammengekniffenen Augenbrauen sehe ich ihn mürrisch an. Farik lächelt. „Wieso schließt du dich uns nicht an?“

„Was?“ Nun entgleisen mir die Gesichtszüge vollends.

Fariks Finger vergraben sich in meinen Haaren und streichen über meinen Nacken. Wieso braucht der Typ immer diesen Körperkontakt? Ist ja furchtbar!

„Ich kann mir gut vorstellen, dass du mehr wissen willst oder nicht? Mehr über Vampire, mehr über Vampirjäger. Mehr über dich?“

„Was meinen Sie damit?“

„Farik.“

„Was?“

„Du kannst mich duzen.“

„Nein, danke.“

Farik lächelt und nur Zentimeter trennen unsere Gesichter voneinander. Mit seinen dunklen Augen sieht er mich ernst an. „Glaubst du wirklich es ist Zufall, dass du in diese ganze Sache hineingezogen wurdest?“, raunt er mir leise zu. Ich starre auf seinen Mund.

„Ja, das glaube ich!“, erwidere ich schlagfertig und hebe den Blick. Will der Idiot mich etwa verarschen? Natürlich ist es Zufall! Was sonst?

Farik verzieht seinen Mund zu einer Grimasse und seufzt. Dabei schließt er für wenige Sekunden die Augen. „Okay, einen Versuch war es wert.“

„Tze!“ Ich sehe ihn verächtlich an. „Sucht euch einen anderen Idioten, den ihr für blöd verkaufen könnt! Du! Du willst mich doch nur als wandelnde Blutkonserve mitnehmen! Damit du nach belieben Blut saufen kannst!“

Farik lacht. „Du bist sehr amüsant!“ Er steht von der Pritsche auf und knöpft sein rotes Hemd auf. Knopf für Knopf. Vorhin war er gänzlich in Schwarz gekleidet. Vorhin? Wie lange lag ich hier überhaupt?

Ich sehe wie er seinen Oberkörper entblößt und muss schlucken. Ja, doch. Das kann sich durchaus sehen lassen. Ich zwinge mich wegzuschauen.

„Du kennst die Vorzüge eines Vampires nicht.“ Farik steigt zu mir auf die Pritsche, sehr galant dabei und nähert sich mir.

„Ich will sie nicht kennen!“ Allerdings kann ich nich verhindern, dass meine Augen doch zu seinem muskulösen Oberkörper wandern. Nicht so ausgeprägt wie bei Bodybuildern, die praktisch nur aus Muskelfleisch bestehen, sondern schlank und doch durchtrainiert. Ein Mann für den eine Frau alles stehen und liegen lassen würde. Sogar den Mann an ihrer Seite.

Es gibt nur einen kleinen Unterschied. Ich bin keine Frau. Ich bin ein Mann.

Also tue ich das erste was mir in den Sinn kommt und klatsche Farik meine Handfläche ins Gesicht. „Such dir woanders einen Idioten mit du deinen Spaß haben kannst!“

„Deine Augen scheinen aber etwas anderes sagen zu wollen.“ So leicht gibt Farik sich nicht geschlagen. Hilfesuchend schaue ich an ihm vorbei, doch Reed scheint besseres zu tun zu haben als seinen Spürhund an die Leine zu nehmen.

„Weißt du was meine Augen sagen? Verpiss dich!“, fahre ich den Mann vor mir an. „Ich bin nicht mal volljährig! Ich kann dich jederzeit anzeigen, wenn du dich an mir vergreifst!“

Farik lacht. „Nein, würdest du nicht. Wie willst du jemanden anzeigen, der schon seit 135 Jahren tot ist und unter einer völlig anderen Identität lebt?“

Meine Augen weiten sich. „Du bist ein alter Knacker?!“

Farik kräuselt die Lippen. „Ich bin nicht alt!“ Er wirkt ein wenig gekränkt und schmollt. Okay, ich scheine auf der richtigen Spur zu sein. Immer schön dran bleiben.

„Ja, du bist total alt! Guck dir doch mal all die Runzeln an!“

Farik tut es tatsächlich. Er steht auf und läuft eilig zu einem Spiegel. Meine Güte, den kann man ja leicht verarschen. Beinahe hätte ich laut aufgelacht.

Der Typ scheint ein Narzisst zu sein. Das hat mir gerade noch gefehlt.

„Was redest du? Da ist doch gar nichts!“, meckert er beleidigt und zieht an einigen Stellen prüfend an der Haut.

Prustend halte ich mir die Hand vor den Mund und schaue zur Seite. Dann kommt mir allerdings etwas in den Sinn, auf das ich bis eben noch gar nicht eingegangen bin. „Wieso wollt ihr mich hier behalten?“, meckere ich aufgebracht. Vorbei ist der Spaß. Denn das hier finde ich absolut nicht witzig!

„Wir müssen wissen, ob sie dich infiziert hat.“ Farik lehnt an der Wand und verschränkt die Arme vor der Brust.

„Womit?“, frage ich höhnisch.

Er antwortet mir nicht. Sein eiserner Blick haftet auf mir. Dann geht mir ein Licht auf.

„Nein!“, keuche ich erschrocken auf. „Wie lange bin ich schon hier? Es ist doch nichts passiert! Ich bin immer noch der Alte! Ich fühle mich nicht anders!“

„Wir warten trotzdem ab.“

Mit blassem Gesicht sehe ich auf meine zitternden Hände. Auf einmal fühle ich mich gar nicht mehr wohl in meiner Haut und ich will einfach nur weg. Weg von hier. Weg von diesen Leuten. Weg von diesem Vampir. Ich will nach Hause. Zu meiner Familie. Dort wo ich mich sicher fühle.

Erst als Farik direkt neben mir steht, bemerke ich, dass er den Raum durchquert hat und sich zu mir auf die Pritsche setzt.

„Wenn du zu einem Vampir wirst können wir dich nicht leben lassen.“

„Ich bin kein Vampir!!!“, schreie ich ihn aufgebracht an.

„Das wird sich noch zeigen.“

Wütend balle ich meine Hände zu Fäusten. „Ich.bin.kein.Vampir!“, wiederhole ich zwischen zusammengebissenen Zähnen.

„Wenn sich nichts tut, lassen wir dich in einigen Stunden gehen.“ Farik sieht mich ernst an. Ich schaue zu ihm und so langsam finde ich das alles hier absolut nicht mehr witzig. Ich knabbere auf meiner Unterlippe und weiche seinem Blick aus, starre stattdessen an die graue Wand. „Ich bin kein Vampir...“, flüstere ich jammernd.

„Das alles war ein wenig viel für dich.“ Farik streicht mir über die Wange. Meine Mundwinkel ziehen sich nach unten. Mehrmals muss ich blinzeln. In einem Moment reißen wir noch dumme Witze und im nächsten Moment könnte innerhalb von wenigen Stunden mein Leben als Mensch und kurz darauf als Vampir zu enden sein. Wie kann ich das glauben?

Ich bin ein Teenager. Ich habe doch noch mein ganzes Leben vor mir. Was ist mit meinen Eltern? Mit Melanie? Mit Dale? Wie werden sie es erfahren oder gar nicht? Werde ich einfach getötet, irgendwo vergraben und niemand erfährt davon?

Als Farik mich in die Arme zieht, entrinnt mir unweigerlich ein Schluchzen. „Ich will nicht sterben...“, heule ich und fühle mich auf einmal wieder wie ein kleines Kind, das auf den Asphalt gefallen ist und sich die Knie aufgeschlagen hat. Tränen rinnen mir über die Wangen und meine Nase läuft. Schniefend drücke ich mein Gesicht in Fariks Hemd. Der seidige Stoff färbt sich dunkelrot. Beruhigend streicht mir der Mann über den Rücken. Ich komme mir dabei ziemlich dumm vor. Beinahe erwachsen, heule ich hier herum wie ein Kleinkind. Aber ich bin eben auch nur ein Mensch und es geht um mein Leben. Ein Leben, dass ich nicht hergeben will. Es gibt doch noch so viel was ich tun möchte.
 

Als ich aufwache fühle ich mich wie ausgetrocknet. Wann habe ich das letzte Mal so viel geheult? Ich kann mich nicht erinnern. Es ist leise und wie ausgestorben im Bunker. Ich setze mich auf und ziehe die Decke zurück.

Mein Blick schweift durch den Raum. Ich bin allein. Sie sind weg. War das alles nur ein Traum? Bin ich nicht doch schlafgewandelt?

Mein Hand greift nach dem Hals. Der Verband ist noch da.

Ich vernehme ein leises Knarzen und sehe zu der schweren Eisentür. Sie ist offen. Weit geöffnet.

Vorsichtig erhebe ich mich und stolpere taumelnd darauf zu. Ich sehe in den dunklen Gang. Er liegt schummrig und verlassen vor mir. Das Licht flackert. Für einen kurzen Moment schließe ich die Augen. Dann gibt es kein Halten mehr. Ich laufe so schnell ich kann, als würde mich jemand verfolgen, durch den Gang vorbei an leeren Zimmern mit Doppelbetten und Vorratskammern die schon ewig nicht mehr gefüllt worden sind. Leere Kisten stehen herum. Als hätte jemand eilig aufbrechen müssen liegt alles verlassen dort herum. Ich renne eine Treppe hinauf, fliege beinahe auf die Schnauze und zerre panisch an der Tür. Sie öffnet sich zu meiner Erleichterung und gleißendes Licht blendet mich. Ich kneife die Augen zusammen und befinde mich auf einmal mitten in einem Wald.

Irritiert schaue ich mich um. Bäume, überall sind Bäume die in die Höhe schießen. Die Blätter der Baumkronen verweigern mir die Sicht in den Himmel. Es riecht nach Holz, Pflanzen und allerlei anderen Gerüchen, die ich gar nicht einordnen kann.

„Wo bin ich?“, frage ich mich und laufe einfach los. Weg von dem Bunker. Ohne mich umzusehen. Ziellos irre ich durch den Wald bis ich schließlich auf eine Straße treffe. Am Wegesrand laufe ich über das Gras und immer weiter bis ich endlich eine Stadt erreiche und feststelle, dass ich nicht weit von meiner entfernt bin. Ich finde eine Bushaltestelle und zum Glück habe ich noch ein paar Euro in meiner Hosentasche damit ich heimfahren kann. Es ist 6:13 Uhr als der Bus an der Haltestelle eintrifft. Ich bin die ganze Nacht unterwegs gewesen.
 

Nach einigen Stunden Schlaf bin ich einigermaßen erholt. Mein Vater ist zur Arbeit gefahren und meine Mutter trifft sich mit einer Freundin, ergo bin ich allein zuhause.

Mein erster Weg führt also aus dem Haus. Diesmal durch die Haustür. Vorbei an der Schule samt den grausigen Erinnerungen der letzten Nacht renne ich zu Dales Haus. Der Schock ist groß, denn das erste, das ins Auge fällt ist das 'Zu verkaufen'-Schild auf dem Rasen. Ich bleibe davor stehen und sehe die Hausfassade hinauf. An den Fenstern hängen nicht mal mehr Gardinen. Die Baustelle des Anbaus liegt ebenfalls verlassen vor.

„Wieso ist er weg? Er kann mich doch jetzt nicht einfach im Stich lassen?“ Enttäuschung macht sich in mir breit. Er kann doch nicht einfach abhauen nach all dem was passiert ist?! Wieso macht er das?

Ich sinke zu Boden und spüre das Gras unter meinen Händen. Er ist weg. Einfach so.

Froh könnte ich sein, doch ich bin es nicht. Ich könnte alles aus meinen Hirn verbannen, alles was ich bisher erlebt habe. Es geht nicht.

„Du mieser Scheißkerl! Erst ziehst du mich in diese Sache rein und dann verkrümmelst du dich klammheimlich! Komm raus aus deinem Versteck!“, schreie ich laut und beuge mich vornüber, vergrabe mein Gesicht in den am Boden liegenden Händen und versuche nicht in Panik auszubrechen. „Lass mich jetzt nicht im Stich, Dale...“, jammere ich leise.
 

Auch Melanie kann mich an diesem Tag nicht aufheitern. Ich habe ihr meine Aktion der letzten Nacht verschwiegen. Ich will sie nicht noch weiter hineinziehen, sie nicht in Gefahr bringen.

Stattdessen liegen wir nackt in meinem Bett und küssen uns. Das bisschen Petting kann mich allerdings auch nicht auf andere Gedanken bringen. Mir liegt es noch immer schwer im Magen, dass Dale verschwunden ist. Ich dachte, er steht auf mich? Wieso erzählt er mir dann nicht, dass er wegzieht?

Melanie küsst mich innig und stöhnt, während ich sie befriedige. Ich lasse von ihr ab und setze mich im Bett auf.

„Was ist? Wieso hörst du auf?“, fragt Melanie mich verwirrt und blickt mit lustverhangenen Augen zu mir auf. Ihre Wangen sind gerötet. Sie greift nach meiner Hand, doch ich entziehe mich ihr.

„Ich kann das jetzt einfach nicht.“

„Warum?“

„Darum!“ Wieso kann sie es nicht einfach hinnehmen? Wieso muss sie alles wissen? Wieso kann sie mich jetzt nicht einfach in Ruhe lassen?

„Geh einfach!“, fordere ich sie barsch auf.

Melanie setzt sich auf. „Ach komm schon, Andreas.“ Sie setzt sich lächelnd auf meinen Schoß und reibt sich auffordernd an mir. Ich stoße sie auf die Matratze und erhebe mich von meinem Bett. „Geh!“, fahre ich sie wütend an und beginne mich wieder anzuziehen.

„Was ist dein Problem?!“ Nun kann auch Melanie nicht mehr ihre Fassung bewahren.

„Ich habe kein Problem! Ich will nur meine Ruhe! Lass mich einfach in Ruhe!“ Ich sehe sie dabei nicht an, sondern ziehe mir meine Kleidung über und stürme ins Badezimmer. Dort lasse ich mich auf den Badewannenrand sinken und raufe mir die Haare. Vielleicht ist mir die ganze Sache doch nicht so gut bekommen wie ich dachte?

Mit beiden Händen greife ich nach dem Badewannenrand und starre zu Boden. Ich muss nur wieder runterkommen, rede ich mir ein. Mich einfach nur beruhigen. Das ist alles. Erde an Andreas, das Leben geht weiter!

Und wieso zittere ich dann am ganzen Leib und würde am liebsten nur heulen?
 

Nach einiger Zeit traue ich mich wieder mein Zimmer zu betreten. Es ist leer. Melanie ist weg. Ich setze mich auf die Bettkante und wippe leicht vor und zurück. Ich denke an gar nichts. Schaue einfach nur die Muster auf dem Teppichboden an und bemerke die Tränen gar nicht, die meine Wangen entlang rinnen.

Ein Klopfen reißt mich aus meiner Starre. Es kommt vom Fenster. Ungläubig sehe ich dorthin und drehe mich auf dem Bett um, krieche zum Fenster und öffne es.

„Lange nicht gesehen.“ Dale grinst breit und ohne lange zu überlegen falle ich ihm um den Hals. Erschrocken versucht er sein Gleichgewicht zu halten. „Whoa! Pass doch auf! Willst du, dass wir uns beide die Knochen brechen? Lass mich doch erst mal reinkommen!“

Ich kralle mich regelrecht haltsuchend an ihn und atme tief durch. Mir fällt ein Stein vom Herzen, dabei sollte ich doch wütend auf ihn sein oder nicht? Diesen ganzen Schlamassel habe ich immerhin Dale zu verdanken.

Der klettert nun ungelenk durch das Fenster auf mein Bett, da ich nicht bereit bin von ihm abzulassen. Er drückt meinen Kopf zurück und sieht mir stirnrunzelnd in die Augen.

„Was ist los?“

Ich wische mir die Tränen aus dem Gesicht, doch mittlerweile lässt sich der Strom nicht mehr aufhalten. Egal wie oft ich mir über die Augen streiche, die Tränen fließen unaufhörlich weiter und nehmen einfach kein Ende. „Ich bin so blöd...“, heule ich.

Dale lächelt irritiert. „Wieso das denn?“

„Weil ich nicht aufhören kann zu heulen und ich bin doch ein Kerl!“, jammere ich schluchzend und verärgert.

„Na und? Auch Männer müssen ab und an mal weinen. Ist doch ganz normal.“ Dale lächelt und wischt mir mit den Händen über die Wangen. „Was ist wirklich los?“

Schniefend sehe ich ihn an und schlucke. „Du warst einfach weg. Du warst nicht da und ich...ich brauchte jemanden zum Reden und du warst nicht da...“ Meine Stimme klingt brüchig.

„Wieso wolltest du mit mir reden?“, fragt Dale.

Ich presse die Lippen fest aufeinander, schniefe erneut und irgendwie wollen die Worte nicht aus meinem Mund. Meine Lippen zittern ein wenig. Dale beugt sich vor und küsst mich. Einfach so.

Ich schließe meine Augen und lasse es geschehen. Lasse zu, dass er mich tröstet ohne zu wissen was in mir vor sich geht. Er zieht mich in seine Arme und der Aufforderung komme ich mehr als nur gerne nach. Ich dränge mich eng an ihn, küsse ihn verlangend bis wir schließlich im Bett liegen, eng umschlungen und ich endlich zur Ruhe komme.

Entscheidungen und Konsequenzen

Dales Zunge in meinem Mund erregt mich. Seine Hände scheinen überall auf meinem Körper zu sein, erforschen die Haut unter meiner Kleidung und seine freie Hand drückt mich am Nacken fester an seine weichen Lippen. Ich spüre seinen Atem in meinem Gesicht. Wie kann sich das hier nur so richtig anfühlen, wenn ich die ganze Zeit das Gefühl nicht loswerde, dass es falsch ist? Ich habe doch jetzt eine Freundin wieso gebe ich mich dann Dales Berührungen hin und genieße es auch noch?

Sein Bein schiebt sich zwischen meine. Die Beule in meiner Hose lässt sich schlecht wegzaubern. Ich stöhne und kriege gar nicht genug von seinen Lippen, die ich gierig in Besitz nehme. Etwas ungelenk zieht Dale sich seine Jacke aus, ich zerre ungeduldig an seinem Pullover und auch das Shirt fliegt irgendwo hinter mir zu Boden. Meine Hände streichen über seine warme Haut. Ich weiß gar nicht wo ich ihn zuerst anfassen soll. Seine Arme schlingen sich um meinen Leib und drücken mich fest an sich. Sein vernarbter Körper ekelt mich erstaunlicherweise nicht an. Die Narben fühlen sich ein wenig komisch an unter meinen Händen, aber es ist nicht so schlimm wie es vielleicht auf den ersten Blick aussehen mag.

Ich lege mich auf Dale und küsse mich seinen Brustkorb entlang. Er genießt es und seufzt. Ich rutsche höher, wandere mit den Lippen über sein Schlüsselbein und hinauf zum Halsansatz. Ich spüre wie erregt er ist. Sein Ständer reibt an meinem. Dales Hände landen auf meinem Arsch und dann macht er sich an meiner Hose zu schaffen. Wir setzen uns beide auf und als seine Hand in meine Hose gleitet umarme ich ihn. Meine Stirn bette ich auf seine linke Schulter und ich merke wie die Wärme durch meinen ganzen Körper strömt. Dales Hände zerren ungeduldig an meiner Hose also richte ich mich ein wenig auf, so dass er sie mir in die Kniekehlen herunterziehen kann. Entblößt sitze ich auf seinem Schoss und merke, dass ich vor Aufregung ein wenig zittere. Dale versteckt seinen Kopf an meiner Halsbeuge und so tue ich es ihm gleich und lege auch bei ihm Hand an. Er stöhnt mir ins Ohr und eine Gänsehaut überkommt mich dabei. Ich kann nicht sagen, dass es mich nicht anturnt. Unsere Lippen finden erneut zueinander und der Kuss artet schnell in einem atemraubenden Zungenkuss aus, während wir wichsen. Ich lausche den Geräuschen, Dales hörbarer Atmung und schließe die Augen. Er drückt mich rücklings auf die Matratze und legt sich auf mich ohne den Kuss zu unterbrechen. Keuchend komme ich in seiner Hand und es dauert eine Weile bis auch Dale abspritzt. Außer Atem liegt er auf mir, küsst mich gierig und scheint sich gar nicht mehr von mir lösen zu wollen.

Wenige Minuten später liegt er nackt neben mir auf dem 1,20 Meter breiten Bett und streichelt meinen Körper. Ich starre an die Zimmerdecke und kann es immer noch nicht fassen, dass wir uns gerade so nahe gekommen sind. Nur weil ich meine Fassung verloren habe? Wollte er mich auf diese Art einfach trösten? Oder steckt doch mehr dahinter?

Wieso bin ich überhaupt darauf eingangen? Muss ich es jetzt Melanie beichten? Die reißt mir doch den Kopf ab!

Vielleicht hatte sie doch recht? Wahrscheinlich ist es keine gute Idee gewesen etwas mit ihr anzufangen, solange ich mich nach Dale verzehre. Dabei wollte ich ihn auf Abstand halten. So viel also zu meinen Plänen.

Seine Finger zwirbeln meine Brustwarze. Als ich zu Dale sehe wirkt er gedankenverloren. Mit der Fingerkuppe neckt er meinen Nippel und sieht dann zu mir auf als er bemerkt, dass ich ihn anstarre. Dale lächelt. „Was ist?“

Ich schüttele den Kopf und seufze. „Ich bin mit Melanie zusammen.“

Er dreht sich auf den Bauch und stützt sich mit den Ellenbogen auf der Matratze ab. Dale schaut auf mich herunter und am liebsten würde ich seinem Blick ausweichen.

„Wie lange schon?“

„Seit unserer Prügelei, also seit ich von der Schule suspendiert worden bin.“

„Aha... Hattet ihr schon Sex?“, fragt Dale. Sonderlich neugierig wirkt er nicht auf mich, aber verleugnen lässt es sich auch nicht.

„Nein, noch nicht.“ Meine Hände liegen auf dem Bauch und etwas nervös nestele ich mit den Fingern herum. „Aber bald vielleicht...“

„Bist du nervös?“

„Schon. Ein bisschen. Ist mein erstes Mal. Ich will nichts falsch machen.“ Ich lache, aber so richtig ist mir nicht danach zumute. Wer weiß, ob Melanie mich noch ranlässt nachdem ich sie aus dem Haus gejagt habe?

„Willst du es mit mir versuchen?“ Dale grinst anzüglich.

Ich erwidere seinen Blick scheu. „Nimm es mir nicht übel, aber ich will nicht mit dir Sex haben.“

Dale zieht erstaunt die Augenbrauen hoch. „Warum nicht?“

„Na ja, irgendwie...ist es falsch... oder nicht?“ Ich weiche seinem Blick aus und spüre wie ich verlegen werde. Ich will ihn ja nicht verletzen. „I-ich bin nicht schwul und...“ Ich halte inne und nehme all meinen Mut zusammen. „Ich glaube nicht, dass.... dass es sich gut anfühlen kann, wenn du mit mir fickst, also in den Arsch...weil....“ Meine Wangen stehen in Flammen. Scheiße ist das ein dämliches Gespräch! Das ist soooo~ dermaßen peinlich! „Weil es... es ist ja auch unhygienisch und...weil...der Körper nicht dafür gemacht ist und... und...wenn es weh tut...“ Ich verberge mein Gesicht in den Händen und habe das Gefühl, dass mein Schädel gleich nicht nur rot wie eine Tomate ist sondern auch explodiert und auseinander fliegt wie eine Piñata.

Dale erwidert nichts. Das gibt mir gleich noch einen weiteren Grund in Verlegenheit zu geraten. Ich habe es vermasselt. Ich bin es falsch angegangen. Ich habe ihn beleidigt. Wie kann ich das jetzt noch zurecht biegen? Ich bin so ein Dummkopf.

Dann lacht Dale.

Vorsichtig ziehe ich die Hände vom Gesicht und linse zu ihm. „Weißt du wie niedlich du gerade bist?“ Er streichelt mir amüsiert über die Wange. „Du machst dir Gedanken über Dinge, um die ich mich einen feuchten Kehricht gekümmert habe als ich das erste Mal mit einem Kerl Sex hatte. Ich habe einfach nicht nachgedacht, wollte einfach nur mit ihm vögeln, ihn spüren und du...“ Dale lacht und küsst mich spontan.

Ein wenig überfordert erwidere ich den Kuss nur halbherzig. Ich dachte, er wäre jetzt verägert. Pustekuchen.

Dale stützt sein Kinn auf die Handfläche und sieht mich an. „Die ersten Male tut es sauweh, aber wenn man Routine hat gewöhnt sich der Körper an den Analsex. Es braucht nur ein wenig gute Vorbereitung.“

„Klingt nicht sehr verlockend...“, gestehe ich ihm stirnrunzelnd.

„Es ist deine Sache. Ich kann dich nicht zum Sex zwingen. Das musst du schon selbst wollen. Wenn du verspannt bist kann ich schlecht mit dir ficken. Ich will dir ja nicht weh tun.“ Er lächelt sanft und rubbelt mir durch die Haare.

„Fühlt es sich gut an?“, frage ich neugierig.

„Ja, klar.“ Dale grinst. „Sex ist geil.“

Ich verschränke die Arme hinter dem Kopf und blicke wieder an die Decke. „Da ist aber auch noch Melanie. Ich kann mich nicht einfach so wieder von ihr trennen.“

„Sie muss es ja nicht erfahren.“

Ich sehe zu Dale und schüttele entschieden den Kopf. „Nee, das kann ich nicht machen. Nicht hinter ihrem Rücken. Sie ist meine beste Freundin. Das kann ich ihr nicht antun!“

„Du hast aber gerade mit mir gewichst. Ist das kein Betrug?“

Nachdenklich sehe ich Dale an. „Wann fängt denn Betrug für dich an?“

„Hm...“ Dale denkt nach. „Wenn jemand in Gedanken nicht mehr bei mir ist. Betrug beginnt im Kopf. Es ist immer eine Kopfsache. Wenn du dich schon nach jemandem verzehrst, dauert es auch nicht mehr lange und ihr landet im Bett. So einfach ist das.“

„So wie wir?“, frage ich ihn und sehe Dale in die Augen.

Er schaut mich an und lächelt. „Verzehrst du dich nach mir?“

„Ich muss oft an dich denken. An unsere Küsse.“

„Du magst mich!“ Erfreut beugt er sich über mich. Mag ich ihn denn? Na ja, so etwas wie Sympathie ist schon vorhanden, auch wenn ich oft genug wütend auf ihn gewesen bin. Ich finde nicht alles gut was er macht, aber ich will ihn trotzdem auch in meiner Nähe haben.

Ich schiebe Dale von mir herunter und setze mich auf. Verlegen kratze ich mich im Nacken. „Schon, aber es ist besser, wenn wir uns etwas zurückhalten.“

Ich beuge mich herunter und greife nach meiner Boxershorts. Dale sieht mir beim Anziehen zu. „Wieso hast du geheult?“

Ich halte inne und erstarre. Unbehagen erfüllt mich. „Nichts, also einfach nur so.“

„Einfach nur so heult man, wenn man Depressionen hat. Du sahst mir eher danach aus als wäre etwas Schreckliches passiert, Andreas.“ Dale umarmt mich von hinten. „Was ist los?“

Ich sitze auf dem Bett, die Boxershorts halb angezogen und starre ins Leere. „Sie ist tot...“

„Was? Wer?“

„Die Krankenschwester. Ich habe es gesehen...“ Meine Stimme versagt. Ich presse die Lippen fest aufeinander und blinzele mehrmals. „Er... er hat sie geköpft. Mit einem Schwert. Ein echtes Schwert! Einfach so. Der Kopf flog ab und all das Blut und dann... dann war sie tot... sie lag da und... und hat sich nicht mehr bewegt. Ihre leeren Augen...“ Ich halte mir die Augen mit der Hand zu und versuche die Tränen zurückzuhalten. „Er hat sie getötet. Vor meinen Augen. Das war Mord.“

Dale zieht mich an sich. Ich drehe mich in der Umarmung und erwidere sie. Mein Blick fällt aus dem Fenster. „Sie hat mich schon wieder gebissen“, flüstere ich Dale ins Ohr. „Ich bin schuld, dass sie sterben musste.“

Dale wiegt mich beruhigend in den Armen hin und her. „Nein bist du nicht. Er hat dich vor ihr beschützt, sonst hätte sie dich getötet.“

„Ich will das alles nicht mehr, Dale. Ich habe Angst. Das ist nicht normal. Am Anfang habe ich es selbst nicht geglaubt und jetzt... jetzt blicke ich nicht mehr durch. Da passieren so viele Sachen auf einmal. Ich kann das nicht mehr. Ich will, dass es aufhört.“

Dale drückt mich von sich und lehnt seine Stirn an meine. „Ich glaube, es wird Zeit, dass du den wichtigsten Menschen in meinem Leben kennen lernst.“
 

Elaine Murdock leidet an einer erblichen Erkrankung, die zu einem Zerfall der Netzhaut ihrer Augen und somit bereits früh zu einer Erblindung geführt hat.

Erstaunt sehe ich zu wie sie nun durch das Hotelzimmer flaniert, als hätte sie nie woanders gelebt. Zielsicher durchquert sie den Raum und kommt auf mich zu. Ihr bodenlanges schwarzes Kleid umspielt ihre kurvige Figur und ich kann nicht verhindern, dass mein Herz einen kleinen Sprung hinlegt. Sie ist wirklich wunderschön... solange sie nicht in Blut badet.

„Hallo.“ Lächelnd reicht sie mir die Hand.

„Ha-hallo!“, stottere ich und bin total verlegen. Ich weiß gar nicht was ich sagen oder wie ich mich ihr gegenüber verhalten soll.

„Dale hat mir bereits erzählt, dass ich euch verwechselt habe. Es tut mir leid. Ich muss dich furchtbar erschreckt haben.“ Sie lächelt und hält noch immer meine Hand in beiden Händen umgriffen. Ihre sind angenehm warm. Meine hingegen aus Nervosität kalt und verschwitzt.

„Kein Ding.“ Mit großen Augen sehe ich zu Dale. Er setzt sich aufs Bett und holt ein Taschenmesser hervor. „Was...? Dale!“ Hastig laufe ich zu ihm und reiße seine Hand zurück als er das Messer an die Haut ansetzt. „Was machst du denn da?“, frage ich ihn bestürzt.

Dale schüttelt mich ab. „Reg dich nicht auf. Ich mache nur einen kleinen Schnitt.“

„Warum?“

Dale deutet mit dem Kinn zu seiner Schwester. Ich sehe zu ihr und dann fällt es mir wieder siedend heiß ein. „Weil sie ein Vampir ist.“

„Du brauchst keine Angst haben. So ein Schnitt verheilt schneller als wenn sie mich beißen würde. Okay, einige Vampire bevorzugen es mich zu beißen, aber das hier tut weniger weh.“ Dale lächelt und schneidet sich in die Haut. Es ist mehr als nur ein kleiner Schnitt. Ich wende den Blick ab. Blut, Blut, Blut. Überall wo ich hinsehe. Nimmt das denn nie ein Ende?

Elaine kommt zu uns und kniet sich vor dem Bett nieder. Alles was sie tut sieht so anmutig aus, stelle ich bewundernd fest. Als wäre sie nicht von dieser Welt. Sie streckt ihre Hand aus und Dale reicht ihr den blutenden Arm. Sie leckt über die Haut und beginnt an der Wunde zu saugen wie aus einem Strohhalm.

Skeptisch blicke ich zu Dale. „Musst du das oft machen?“, frage ich besorgt.

„Na ja, für den täglichen Bedarf reicht es nicht aus, aber momentan muss es so gehen. Ich bin nun mal keine Maschine die Blut herstellt. Ich kann nicht jedem Vampir Blut spenden. Ab und an schon, aber ich darf es nicht ausreizen. Nur jetzt wo wir nicht mehr im Haus leben, kann ich ihr auch nicht regelmäßig Blutkonserven besorgen. Wir müssen aufpassen.“

„Weil die Jäger in der Stadt sind?“

Dale nickt. Er greift nach meiner Hand und verschlingt unsere Finger miteinander. Es fühlt sich gut an. Seine Ruhe ist ansteckend. Ich erwidere den Druck und bin froh, dass Elaine es nicht sehen kann. Das wäre mir doch ziemlich peinlich.

Schmatzend labt sie sich an dem Arm ihres Bruders und mir dreht sich der Magen um. Blut schmeckt nun mal nicht und ich kann mir nicht vorstellen, dass jemand auf diesen ekelhaften metallischen Geschmack wirklich abfährt.

„I-ich brauche ein Glas Wasser.“ Hastig stehe ich auf und laufe ins Badezimmer. Ich suche nach einem Becher, finde keinen und halte kurzerhand meinen Kopf unter den Wasserhahn um so zu trinken. Ich atme tief durch und wische mit dem Handrücken über den Mund. Ich schaue in den Spiegel. Seit wann bin ich so verdammt blass? Setzt mir das alles so zu?

Ich wische meinen Mund mit dem Handtuch ab und drehe mich um als auch schon Dale ins Zimmer tritt. Ich gehe zur Seite, als er sich das Blut vom Arm wäscht und ihn mit Klopapier abtupft. Anschließend helfe ich ihm beim Verbinden der Wunde. Dale sieht mir dabei zu und es ist mir ein wenig peinlich, dass er mich dabei so anglotzen muss.

„Ich wollte, dass du es siehst. Damit du weißt was ich tue.“

Ich nicke ohne ihm ins Gesicht zu schauen.

„Du hast Angst. Das kann ich verstehen, aber nicht alle Vampire sind schlecht. Meine Schwester ist immer noch diesselbe wie vorher als sie ein Mensch gewesen ist.“

„Okay.“

Dale beugt sich vor und küsst mich. Ich schließe die Augen und versuche mich zu entspannen.

„Macht ihr versaute Sachen?“

Erschrocken löse ich mich von Dale. Der grinst jedoch lediglich. „Woran denkst du schon wieder? Das war nur ein Kuss!“

„Dale!“ Verlegen versuche ich ihn zum Schweigen zu bringen.

„Ein Kuss also?“ Elaine lächelt. „Soll ich euch eine Weile alleine lassen?“

„Nein, nein! Nicht nötig!“, erwidere ich hastig und hebe abwehrend die Hände. Dale schmollt. „Warum streitest du es so schnell ab? Du verletzt mich. Gib mir einen Versöhnungskuss.“

Knallrot stehe ich im Badezimmer. Dale lacht und legt mir einen Arm um die Schultern. „Hey, ich ziehe dich nur auf.“ Er grinst und schleift mich aus dem Raum. Elaine folgt uns.

„Wie lange ist sie schon ein Vampir?“, raune ich Dale zu.

„Drei Jahre.“

Überrumpelt drehe ich mich um. Elaine zeigt immer noch ihr hinreißendes Lächeln. „Äh...“

„Ich habe gute Ohren. Das bekommt man unweigerlich, wenn man erblindet. Man muss sich auf das Gehör verlassen, wenn man nicht mehr sehen kann. Ich habe auch einen Blindenstock, aber hier im Zimmer ist das nicht nötig, auch wenn ich bereits oft genug irgendwo gegen gelaufen bin.“

„Aber nur die ersten Tage.“ Dale setzt sich auf einen Sessel vor dem Fenster und ich tue es ihm gleich. Die Vorhänge sind zugezogen. „Sie wollte absolut nicht diesen dämlichen Stock benutzen und hat sich dauernd gestoßen!“, erzählt er lachend.

Elaine lässt sich auf dem Bett nieder. Aus dem Augenwinkel beobachte ich sie. Ich habe noch nie so eine schöne Frau gesehen. Nicht wie aufgedonnerte Models. Sie strahlt eine natürliche Schönheit aus und hat Manieren, die man heutzutage eher vergeblich sucht. Als käme sie aus einem anderen Jahrhundert.

„Wo sind eure Eltern?“

„Sie sind bei Bekannten untergetaucht.“

„Sie lassen euch einfach alleine?“, frage ich verblüfft.

„Auf Elaines Wunsch. Sie will sie nicht in Gefahr bringen.“

„Sind eure Eltern keine Vampire?“ Verwundert lege ich den Kopf ein wenig schief.

„Nein.“ Elaine schüttelt den Kopf. „Ich bin vor drei Jahren gebissen worden. Ich wusste nicht, dass sie ein Vampir gewesen ist. Sie war ein junges Mädchen, ich wollte ihr helfen und dann hat sie mich gebissen und zu einem Vampir gemacht.“

Betroffen sehe ich sie an. „Ist das schlimm? So ein Leben als Vampir?“

„Nun ja...“ Elaine lächelt und schweigt einige Sekunden. „Ich altere nicht. Ich werde also nicht immer an einem Ort verweilen können. Ich kann nichts sehen. Das stellt jedes Mal eine neue Herausforderung für mich dar, deswegen bin ich auf Hilfe angewiesen, wenn ich umziehe.“ Ihre Hände liegen entspannt in ihrem Schoß. „Die Geburt war schlimm.“

„Die Geburt?“

„So nennt sie ihre Verwandlung. Die Geburt zu einem neuen Leben.“ Dale wirft mir einen kurzen Blick zu.

„Es ist wie Feuer, das dich innerlich verbrennt. Dein ganzer Körper steht in Flammen. Der Schmerz... ist unerträglich.“ Elaines eisernes Lächeln wirkt gar nicht mehr so fröhlich. „Du wünschst dir zu sterben damit es endlich ein Ende hat dabei ist es erst der Anfang.“ Sie sieht zu mir. „Ich wünsche keinem Menschen das Leben eines Vampires annehmen zu müssen.“

Dales Finger reibt über einen Kratzer auf dem gläsernen Tisch, der uns beide voneinander trennt. „Die Menschen wünschen sich ewiges Leben, aber weiter denken sie oft gar nicht. Die Einsamkeit, man verliert Freunde, muss ihnen jedes Mal beim Sterben zusehen und überlebt sie doch alle. Es gibt keinen Ort an dem man für immer bleiben kann und dann ist da dieser ständige Durst nach Blut. Die ewige Geheimniskrämerei. Es zerfrisst dich innerlich und macht dich krank.“

Gefesselt sehe ich in Dales dunkle Augen. „Man muss sich mit so einem Leben arrangieren. Es ist möglich, aber man muss auch mit den Konsequenzen klar kommen.“

Betreten schweige ich. Schon immer haben mich Vampire fasziniert. Aus Filmen und Büchern. Wie sie dargestellt wurden und jetzt wo ich der Realität ins Auge blicke frage ich mich an was ich noch glauben kann und an was nicht?

Jeder legt seine Thesen über Vampire anders aus. Es liegt wohl an mir mir ein eigenes Bild von ihnen zu verschaffen.
 

Dale dirigiert mich nach einiger Zeit ins angrenzende Badezimmer. „Setz dich.“

Vorsichtig zieht er mir den Verband ab und besieht sich die Wunde. „Sieht übel aus. Sie hat kräftig zugebissen.“

„Es hat auch höllisch weh getan.“

„Glaub ich dir. Die Wunde wurde aber gut behandelt.“

„Das waren diese Leute. Der Vampirjäger und sein Lakai.“ Ich sehe zu Dale auf, der die Wunde wieder ordentlich verbindet. Danach befördert er eine merkwürdige Flasche hervor.

„Was ist das?“, frage ich und greife danach. Der Inhalt ist eine rosa Flüssigkeit.

Dale grinst. „Mein Geheimrezept. Kokosmilch vermischt mit meinem Blut.“

„Du bist eklig.“

Dale geht in die Hocke, zieht meine Ärmel zurück und gibt die Flüssigkeit auf seine Hände, verreibt sie und anschließend auf meiner Haut. „Du hast viel Zeit mit Vampiren verbracht. Ich will nicht, dass du sie anlockst.“

„Muss ich mir Sorgen machen?“

„Tja, das wird sich noch zeigen.“

„Was ist so besonders an deinem Blut?“

Dale lächelt und lehnt sich zu nahe zu meinem Gesicht hoch. „Irgendwann sage ich es dir.“ Lächelnd sieht er mich an. Fragezeichen schwirren in meinem Kopf herum.

„Irgendwann explodiert mein Kopf, weil ich mit all den Infos nicht mehr klar komme.“

Wir lachen und Dale zieht mich am Hintern näher zu sich heran. „Sofern es mir möglich ist, werde ich dich nach Kräften beschützen, auch wenn ich nicht immer bei dir sein kann.“

„Sag mir nächstes Mal wenigstens Bescheid, bevor du dich einfach aus dem Staub machst.“ Schmollend sehe ich Dale an. Er nickt und gerade als er mich küssen will halte ich ihn zurück.

„Ich mag dich, echt, aber...“ Meine Finger streichen andächtig über seine Lippen. „Zweigleisig bin ich noch nie gefahren und ich will das mit Melanie durchziehen. Ich will mit ihr zusammen sein.“

Dale sieht zu mir auf. „Obwohl du mit mir zusammen sein willst?“

„Sagt wer?“

„Ich.“

Ich schaue ihm in die Augen und schneide Grimassen mit dem Mund. „Du bist mein Forschungsobjekt. Mehr nicht.“

„Eeeeeeh? Wie lausig ist das denn? Mehr nicht?“, jammert Dale und kräuselt die Lippen. Kurz darauf grinst er hinterhältig. „Forschungsobjekt? Vielleicht ist das doch nicht so übel wie es im ersten Moment klingt?“

„Hä?“ Verwirrt erwidere ich seinen Blick. „Woran denkst du schon wieder?“

„An unerforschte Gebiete. Hier und dort und da auch.“ Frech deutet er mit der Hand an diverse Körperstellen von mir. Ich spüre wie ich rot im Gesicht werde.

„So war das nicht gemeint.“

Dale schmiegt sich mit dem Gesicht an meine Brust und sieht zu mir auf. Den Dackelblick hat er jedenfalls drauf.

„Ich muss nach Hause. Meine Mutter kommt bald heim.“

„Du denkst, das hat keine Zukunft mit mir oder? Du denkst schon weiter, nicht wahr?“, fragt Dale unerwartet.

„Nein, das ist es nicht. Es ist nur...“ Ich halte inne und atme tief durch. „Tut mir leid, aber mit einem Jungen ausgehen... Ich kann das nicht. Nicht jetzt.“ Ich schiebe Dale von mir, stehe auf und laufe zur Haustür.

„Andreas!“, ruft er mir nach, doch ich verlasse das Hotelzimmer ohne mich umzudrehen und renne den Gang entlang, hinaus aus dem Hotel und immer weiter. Ich spüre den frischen Wind in meinem Gesicht und atme tief durch. Langsamer werdend wird mir klar, dass ich Dale gerade in die Wüste geschickt habe. Ich halte an und gehe ein wenig außer Atem weiter.

Es ist besser, wenn ich mich von ihm fern halte. Von ihm und den Vampiren. Ich muss mein Leben leben und das ist ein ganz normales. Ein unspektakuläres Leben. Eines ohne Hirngespinste. Ohne Dale.

Fluch oder Segen?

Ein Leben ohne Dale ist gelinde gesagt... scheiße. Es ist nicht nur langweilig, denn außer Melanie kommt mich praktisch keiner meiner sogenannten Freunde besuchen. Mir fehlen auch Dales Berührungen und die Küsse, die mich so herrlich abgelenkt haben.

Ich hänge wie ein nasser Sack auf dem Bett, spiele Mirrors Edge und könnte mich selbst ohrfeigen. Wahrscheinlich lässt Dale sich jetzt gar nicht mehr bei mir blicken. Wollte ich das nicht? So ein stinknormales Leben? So wie es eben vorher gewesen ist?

Ich lasse den Controller zu Boden sinken und seufze. Ganz langsam aale ich mich zu Boden und krieche wie ein träges Walross über den Fußboden. Ich greife nach der Flasche Fanta und trinke in großen Schlucken daraus.

Heute ist Mittwoch, also sind es ab morgen noch zwei Tage, das wäre bis Freitag, zusätzlich das Wochenende und am Montag geht es wieder in die Schule. Spätestens dann laufe ich Dale wieder über den Weg. Oder auch nicht sofern er nicht wirklich untergetaucht ist und gar nicht vor hat die Schule wieder zu besuchen.

Es klingelt an der Tür und wie von der Tarantel gestochen renne ich aus dem Zimmer, die Treppe herunter und zur Haustür. Als ich sie aufreiße steht Melanie mir gegenüber. „Hi, Mel!“

„Hallo.“ Sie wirkt reserviert. „Du bist ja ziemlich gut drauf.“

„Jepp, du bist ja schließlich da.“

Ihr Mienenspiel ist sehr amüsant. Sie wirkt etwas überrumpelt. „Letztens hast du mich rausgeworfen, falls dir das entgangen sein sollte.“

„Sorry deswegen. Das war echt mies von mir. Ich wollte dich nicht vor den Kopf stoßen. Ich war nur ein bisschen durcheinander und ich hätte es nicht an dir auslassen sollen.“ Verlegen lehne ich im Türrahmen. „Kommst du mit hoch?“

„Ja, okay.“

Sie folgt mir in mein Zimmer und oben angekommen setzen wir uns aufs Bett. Wir sind beide ein wenig angespannt.

„Ich habe Dale gesagt, dass ich ihn nicht mehr sehen will.“

Melanie sieht überrascht zu mir. „Echt? Warum?“

„Weil ich mit dir zusammen sein will.“

„Oh.“

Dieses 'Oh' wirkt ja nicht sehr erfreut. Was ist denn mit Melanie los? Sollte sie mir nicht um den Hals fallen?

Ich linse zu ihr. Sie trägt heute ein geblümtes Kleid, darüber eine blaue Jeansjacke und ihre Füße stecken in braunen Stiefeln, die bis an ihre Waden reichen. So ein wenig Countrystyle, kommt es mir unweigerlich in den Sinn.

Zumindest beginnt sie jetzt sich ihrer Stiefel zu entledigen. Ihre Jacke landet auf dem Bett. „Was machen wir jetzt?“

„Tja, gute Frage.“

Melanie zieht die Beine an und macht es sich auf dem Bett gemütlich. „Was hast du gestern gemacht?“, fragt sie neugierig.

Mit Dale gewichst. Kann ich ihr nur nicht sagen. Mit Dale geknutscht. Kann ich ihr auch nicht erzählen. Bin Vampirjägern begegnet. Habe eine wunderschöne blinde Frau kennengelernt. Behalte ich besser alles für mich, wenn ich sie mir nicht zur Feindin machen möchte.

„Nichts dolles. Ich habe nur abgehängt.“

Melanie zupft an meinem Shirt. Ich sehe über die Schulter hinweg zu ihr. Mittlerweile liegt sie mehr im Bett als das sie sitzt.

Ich drehe mich ihr zu und beuge mich über Melanie. Ich küsse sie und koste von ihren Lippen,die vom Lipgloss nach Erdbeere schmecken. Sie umschlingt meinen Nacken mit ihren Armen und so komme ich der Aufforderung nach mich auf sie zu legen. Das Kleid ist recht dünn. Ich greife nach ihrem Oberschenkel, ziehe ihr Bein hoch und schiebe den Stoff ihres Kleides zurück. Ohne lange zu überlegen ziehe ich es ihr über den Kopf. Wieder küssen wir uns, Mel spreizt die Beine und reibt sich verlangend an meinem Schwanz. Meine Hand wandert in ihren Slip.

Kurz darauf sitzen wir etwas bedröppelt auf dem Bett. Ohne Kondom kein Sex. Tja, schlechter Anfang.

„Was machen wir jetzt?“, fragt Mel und zieht sich das Kleid über und wirkt ebenso wie ich ziemlich enttäuscht.

„Zocken?“

„Okay.“
 

Es ist später Nachmittag und ich hänge erneut in den Seilen. Meine Eltern arbeiten beide, Melanie hat sich auch nach einiger Zeit verzogen und jetzt muss ich mich selbst beschäftigen. Ich liege im Bett, die Hose hängt mir in den Kniekehlen und wichse. Was soll man auch sonst tun, wenn einem langweilig ist und man heute nicht mal zum Zug kam. Beinahe hätte ich mit Melanie geschlafen. Aber eben nur beinahe.

Ich seufze und zucke heftig zusammen als es an der Tür klingelt. Mit geröteten Wangen sehe ich zu meiner Zimmertür. Wer ist das denn? Die Post ist doch schon durch und Besuch erwarte ich nicht. Verärgert sehe ich auf meinen Ständer. Was mache ich denn jetzt? Einfach klingeln lassen? Ich bin ja nicht verpflichtet an die Tür zu gehen. Wenn es ein Vertreter ist, macht er sich schon noch vom Acker.

Ich ignoriere es, wichse weiter und erneut klingelt es. Diesmal etwas aufdringlicher. Ich gebe einen genervten Laut von mir und setze mich im Bett auf, verschließe die Hose und ziehe mein Shirt herunter.

Ich verlasse das Zimmer, laufe die Treppe herunter und zupfe pickiert an dem Shirt. Die Beule ist dummerweise immer noch deutlich zu sehen, also öffne ich die Tür einen Spalt breit und verstecke mein Dilemma dahinter, so dass man es nicht auf den ersten Blick sehen kann. „Ja?“, frage ich mürrisch.

„So sieht man sich wieder.“

„Farik!“, entfährt es mir und mit großen Augen starre ich den Vampir an. Der Mann lächelt entwaffnend und steht lässig vor meiner Haustür. Und verdammt, er sieht toll aus!

„Was willst du hier? Wie hast du mich gefunden?“ Noch immer nehme ich es ihm extrem übel, dass er und Reed mich entführt und er mir sogar das Blut ausgesaugt hat.

„Wenn man ein bisschen hacken kann ist es nicht schwer an deine Facebookdaten zu kommen.“ Farik lächelt unbekümmert. „Lässt du mich rein?“

„Du bist ein Hacker?“

„Ich bin so vieles, Kleiner.“ Er lacht und kratzt sich am Nacken. „Ich bin unsterblich. Meine Jobliste ist extrem lang. Soll ich dir meinen Lebenslauf zukommen lassen?“

„Haha! Sehr witzig!“, murre ich. „Ich kann gerade nicht.“

„Ach ja?“ Farik hebt die Augenbrauen hoch und nimmt keinerlei Rücksicht. Er rammt die Tür auf, so dass ich nach hinten stolpere und zu Boden falle. Genau auf meinen Allerwertesten.

„Scheiße! Pass doch auf!“, fahre ich den Mann verärgert an und sehe zu ihm auf.

Farik zuckt lediglich mit den Schultern und schließt die Tür. Ich rappele mich auf und greife mir an den schmerzenden Arsch.

„Was denkst du dir eigentlich? Du kannst nicht einfach so in eine fremde Wohnung eindringen! Das ist Hausfriedensbruch!“

Farik kommt nahe auf mich zu. „Reg dich ab! Wie sieht es aus? Hast du dich schon entschieden?“, fragt er neugierig.

Ich lehne mich zurückgedrängt an die Wand und mustere ihn skeptisch. „Was meinst du?“

„Willst du mir und Hunter helfen?“

„Du spinnst doch!“, erwidere ich schlagfertig. Ich trete ein paar Schritte an ihn heran. „Sag mal, kommt es dir nicht komisch vor? Du hilfst einem Mann, der dich töten wird, wenn er dich nicht mehr braucht. Ist dir das eigentlich klar? Wenn er es nicht tut mache ich es, wenn ich eurem kleinen Vampirclub beitreten würde! Was nicht nicht der Fall sein wird!“

Farik lächelt. „Hältst du mich für so naiv? Du weißt doch gar nichts! Du hast keinen blassen Schimmer wer hier wen benutzt.“ Er lächelt und ich spüre seinen Atem auf meinem Gesicht. Seine Hand in meinem Schritt. Ich stöhne ungewollt und halte mir erschrocken die Hand vor den Mund. Ich greife nach Fariks Hand, aber nur unwillig. Es fühlt sich einfach zu gut an dort unten angefasst zu werden, wenn es nicht gerade die eigene Hand ist.

Ich seufze und merke wie er mich am Hals küsst. Meine Stirn lehnt an seiner Schulter. Seine schwarze Lederjacke kühlt mein erhitztes Gesicht. Sollte ich mich nicht ein klein wenig mehr zu Wehr setzen?

„Ey!“, meckere ich als er einfach den Verband von meinem Hals zieht. „Finger weg!“

Ich greife mir an den Hals, doch Farik zieht meine Hand einfach weg. Er leckt über die Wunde und sofort überkommt mich ein Schauder. Mit aufgerissenen Augen merke ich wie er mich an die Wand presst und mir keine Gelegenheit gibt mich ihm zu entwinden. Er nagelt mich einfach fest. Sein Bein reibt an meinem Schritt.

„Nicht schon wieder...“, stöhne ich und zerre an meinen Händen, versuche mich zu befreien was gar nicht so einfach ist. Zappelnd winde ich mich in seinem Griff.

Mein Schrei hallt durch das ganze Haus. Der Schmerz ist furchtbar. Ich spüre wie sich seine scharfen Zähne in meine Haut graben, das weiche Fleisch durchbohren, dort wo ich besonders empfindlich bin und eine tiefe blutige Wunde hinterlassen. Ich höre wie er gierig an meinem Hals saugt und zittere am ganzen Leib. Der Schmerz zieht durch den Hals und meine Hände krallen sich in Fariks Jacke als er von ihnen ablässt und sich an mir festhält. Schmerz und Lust gleichzeitig zu verspüren ist ein merkwürdiges Gefühl.

Kleine Sternchen tanzen vor meinen Augen auf. Ich blinzele mehrmals und dann durchfährt mich ein jäher Schmerz, der nicht mit dem davor zu vergleichen ist. Er zieht durch meinen ganzen Körper, breitet sich immer weiter aus und lähmt mich. Irgendetwas ist anders als die letzten Male als ich gebissen worden bin.

Irgendetwas dringt in mich ein wie ein Fremdkörper. Ein kläglicher Laut entkommt meinen Lippen.

Gift durchströmt meinen Leib, bahnt sich in meine Blutgefäße und tränkt meine Adern. Es schmerzt höllisch und lässt meine Schlagadern deutlich sichtbar hervortreten. Kurz wird mir schwarz vor Augen und meine Beine geben nach, doch Farik hält mich und presst meinen Körper gegen die Wand.

Er gibt lustvolle Geräusche von sich als wäre er nicht bei Sinnen, labt sich an meinem Blut und lähmt mich noch immer.

Langsam rutsche ich die Wand herunter. Ich fühle mich komisch. Farik sinkt mit mir zu Boden und zieht mich auf seinen Schoss, kann immer noch nicht von meinem Hals ablassen. Benommen hänge ich auf ihm und lausche seinen schmatzenden Geräuschen. Sie scheinen von weit her zu kommen.

Für kurze Zeit verliere ich das Bewusstsein bis ich wieder zu mir komme. Farik löst sich von mir. Sein Gesicht ist voller Blut. Es sieht ekelhaft aus. Grotesk. Er leckt sich über die Lippen und für wenige Sekunden blitzen seine Zähne auf. Er zieht meinen Kopf zurück und leicht betäubt sehe ich in seine dunklen Augen. „Du wirst mir noch dafür danken, Kleiner!“, raunt er mir zu und leckt mir über die Lippen. Ich schmecke Blut. Mir ist ganz schwummrig zumute. „Farik, was...?“, murmele ich und falle polternd zu Boden als er mich einfach loslässt und zur Seite stößt. Ich pralle mit dem Kopf auf den Teppich. Es tut weh. Ich kneife die Augen zusammen, bin aber viel zu schlapp um mich aufzusetzen. Als hätte ich all meine Kraft verloren. Meine Finger vergraben sich in den kurzen Teppichfasern.

„Du wirst mir noch dafür danken.“ Fariks Stimme in meinen Ohren. Sie ist ganz nah. Seine Zunge leckt mir über die Ohrmuschel. Schritte. Die Haustür knarzt. Dann ist alles ganz still.

Was ist passiert? Wieso kann ich mich nicht bewegen? Woher kommt dieser Schmerz, der mich krampfartig zusammen krümmen lässt. Mein Körper spannt sich an. Ich jammere leise. Noch immer schmecke ich das Blut von meinen Lippen. Mein Blut.

Was wollte Farik hier? Was wollte er von mir? Was hat er gemacht?

Ich liege ausgestreckt mitten im Flur und Fluten von Krämpfen durchfließen meinen Körper. Das Gift verbreitet sich. Ein Gift, dass mich lähmt und irgendetwas in mir verändert. Ich spüre es, kann es jedoch nicht zuordnen. Vor Schmerz schreie ich, doch die Laute entweichen nur leise meinem Mund. Mühsam kämpfe ich mich über den Teppich zur Treppe vor. Es kommt mir vor wie eine Ewigkeit Ich greife zitternd nach der ersten Stufe. Was passiert mit mir?

Mein Körper brennt wie in einem Fieberwahn und gleichzeitig durchströmt mich eine Eiseskälte. Ich kneife die Augen zusammen und zittere heftig am ganzen Leib. Meine Zähne klappern aufeinander als wäre tiefster Winter. Die Schneidezähne schmerzen furchtbar als hätte ich Karies. Tränen fließen über meine Wangen und meine Nase läuft bis ich bemerke, dass ich blute. Ich wische mit dem Handrücken über die Nase und schniefe.

Minuten oder Stunden. Ich weiß es nicht. Es erscheint mir wie eine Ewigkeit und die Qual nimmt einfach kein Ende. Erschöpft und am Ende meiner Kräfte bemerke ich, dass meine Atmung flacher wird. Es fällt mir zusehends schwerer Luft zu holen.

Die Tür öffnet sich wieder. Ich kann die Kraft nicht aufbringen den Kopf zu heben und nachzusehen. „Es ist noch im Gange. Ich hatte gedacht, es geht schneller bei dir. Du bist wirklich ein Sturkopf.“ Fariks Stimme. Er hebt meinen Körper an und stützt mich. Ich sehe betäubt wie er sich in den Arm beißt. Ich schnuppere und kann plötzlich viel mehr Gerüche als sonst wahrnehmen. Ich schaue wie hypnotisiert auf den blutenden Arm, den Farik mir unter die Nase hält. Angewidert wende ich den Kopf ab und spüre wie er mir die Finger in den Mund schiebt, versucht meinen Mund mit Gewalt zu öffnen. Ich schlucke und lecke ungewollt mit der Zunge an seinen Fingern, diesen Fremdkörpern in meinem Rachen. Dann schmecke ich das Blut. Ich verschlucke mich daran, würge und versuche den Kopf abzuwenden. Farik hält mich eisern fest. Mir wird schlecht. Ich kneife die Augen zusammen und schlucke widerwillig. Ich schlucke und schlucke, merke wie mir ganz flau wird und würge erneut, um nur noch mehr Blut zu schlucken. Nein, tue ich nicht. Mittlerweile lecke ich an Fariks Arm, sauge das Blut aus der offenen Wunde und kann gar nicht mehr genug davon bekommen. Farik entreißt mir abrupt seinen Arm. Ich strecke die Hand danach aus, lecke mir über die Lippen und sehe wie in Trance zu ihm auf. Er grinst und schon im nächsten Moment muss ich mich zur Seite drehen und erbrechen. Ein blutiger Schwall entkommt meinem Magen. Ich ächze und wische mir die blutigen Lippen ab. Mir ist elend zumute und eine träge Müdigkeit befällt meinen Körper.

Ich atme schwer und halte mir den schmerzenden Bauch. Fariks Nase reibt über meine Wange wie ich nur am Rande bemerke. „Ich wusste, dass du der Richtige dafür bist. Dass du an meiner Seite bleiben wirst. Die Verwandlung wird noch einige Zeit andauern, aber dann bist du ein vollwertiger Vampir und gehörst zu mir.“ Seine leise Stimme dringt in mein Ohr. Sein Atem kitzelt unangenehm. Farik zieht mich in seine Arme und lehnt sich an die Wand neben der Treppe. Ich lehne meinen Kopf an seine Brust und schließe die Augen. Hörbar atme ich tief durch als bereits eine erneute Welle von Krämpfen meinen Körper durchfährt.
 

Gähnend strecke ich mich und beiße mir prompt auf die Zunge. „Aua!“, murre ich und öffne die Augen, drehe mich auf die Seite und berühre die Zunge mit den Fingern. Etwas schabt an meiner Haut. Irritiert runzele ich die Stirn und befühle meine Zähne. Wieso sind die so scharf?

Hastig setze ich mich auf. Mein Blick wandert durch das Zimmer. War das bloß ein schlechter Traum? Ich ziehe die Bettdecke zurück und springe aus dem Bett, laufe zur Treppe und blicke herunter in den Flur. Nichts zu sehen. Nur ein großer dunkler Fleck auf dem Teppich.

Siedend heiß kommt mir alles wieder in den Sinn. Das ist ein Blutfleck. Farik war also doch hier. Eilig renne ich ins Badezimmer und schaue in den Spiegel. Ich sehe furchtbar aus. Meine Haut ist blass und dann fällt mir auf, dass mit dem Spiegelbild etwas nicht stimmt. Es ist verschwommen, als würde jemand eine Kameraschärfe einstellen. Ich bin da und bin es doch nicht. Was ist das? Ist der Spiegel beschlagen? Mit der Handfläche wische ich über das Glas. Das Spiegelbild ändert sich jedoch nicht.

„Komisch...“ Stirnrunzelnd wende ich den Blick ab. Von meinem Abbild wird mir schwindlig. Ich gehe in die Hocke, hole aus dem Schränkchen unter dem Waschbecken Reinigungsmittel, fülle einen Eimer mit Wasser und bewaffne mich mit Schwamm und Handtuch.

Mühselig versuche ich den Blutfleck zu entfernen. Es ist wirklich eine mühselige Arbeit. Ich bekomme den Fleck kaum weg und habe keine Ahnung wie ich meinen Eltern die Rückstände erklären soll.

Ich halte inne und lasse alles stehen und liegen. Mein Blick fällt zur Wanduhr über der Wohnzimmertür. Es ist später Abend. In ungefähr ein oder zwei Stunden kommen meine Eltern heim. Was soll ich ihnen nur sagen? Ich sinke zu Boden und wische mir mit dem Handrücken über die Stirn. Sie ist immer noch ziemlich heiß als hätte ich Fieber.

„Was hat er mir angetan?“ Mühselig erhebe ich mich vom Teppich und taumele hinauf in mein Zimmer. Mit zitternden Händen greife ich nach meinem Handy und suche im Adressbuch nach Dales Nummer bis mir einfällt, dass ich die noch gar nicht bekommen habe.

Was mache ich denn jetzt? Panisch sehe ich mich um, klicke auf meinem Handy herum und werfe es schließlich frustriert aufs Bett. Ich sinke in mich zusammen und lasse mich seitlich auf die Matratze fallen. Mit der Zunge lecke ich mir prüfend über die Zähne. Alles wieder normal. Da sind keine scharfen Stellen zu spüren. Meine Hand zittert. Ich umgreife sie mit der anderen und halte sie dicht vor mein Gesicht, schließe die Augen und versuche Ruhe zu bewahren.

Fariks Worte kommen mir wieder in den Sinn. Was wollte er mit all dem bezwecken? Ist mir das tatsächlich passiert? Wie kann das sein?

Ich sehe hinauf in den Abendhimmel und bemerke die Sterne. Ein kleines Funkeln deutet auf ein Flugzeug hin. Ich vergrabe mein Gesicht in der Decke und brülle meine Wut hinein, kralle meine Finger in den Stoff und bleibe schließlich deprimiert liegen.
 

Meine Haut verbrennt. Grauenvoller Schmerz durchdringt meinen Körper als würde mir jemand kochendheißes Wasser auf den Körper gießen. Ich zucke zusammen und wende den Kopf zum Fenster, kneife geblendet die Augen zusammen und halte mir die Hände vor das Gesicht. Als würde ich in Flammen stehen. Es tut höllisch weh und hastig rutsche ich zur Seite, weg vom Fenster und falle prompt polternd zu Boden. Stöhnend kauere mich zusammen und merke wie der Schmerz ein wenig nachlässt. Es riecht nach verbranntem Fleisch. Ich würge und halte mir Mund und Nase zu. Meine Augen schmerzen vom Sonnenlicht und für einige Zeit kann ich nichts sehen. Es ist als hätte ich eine Weile zu lange in eine Taschenlampe oder ins Licht einer Glühbirne geguckt. Meine Augen brauchen eine Weile bis sich der Blick wieder normalisiert.

Schlapp liege ich auf meinem Zimmerteppich vor dem Bett und wälze mich auf den Rücken. Vom Aufprall schmerzt noch die Schulter.

Die Zimmertür wird abrupt geöffnet. „Huch? Wieso liegst du denn auf dem Boden? Bist du aus dem Bett gefallen?“

Mir entkommt lediglich ein ächzender Laut.

„Gut, dass du schon wach bist. Es ist ein Lehrer von dir da, er möchte mit dir sprechen und wartet im Flur. Ich lasse euch beide alleine, ich muss zur Arbeit, aber du kommst zurecht, nicht wahr? Über den Teppich sprechen wir aber heute Abend noch mal ein Wörtchen! Was hast du damit nur gemacht?“ Die Tür schließt sich wieder und so lässt meine Mutter mich nichtsahnend allein zurück.

Mit der Hand berühre ich kurz mein Gesicht. Die Berührungen auf der Haut tun weh.

Ich setze mich auf und erneut geht die Tür auf. Hastig senke ich den Blick. „Ich gehe ja schon runter, Ma!“, murre ich hastig.

„Nur keine Eile!“, ertönt Fariks ruhige Stimme.

Ich sehe zu ihm auf. „Was hast du mit mir gemacht? Was hast du mit mir gemacht!!!“, brülle ich lauter werdend. Am liebsten würde ich ihm den Kopf abreißen!

Farik hockt sich vor mir hin und zieht mich fest in seine Arme. So schnell kann ich gar nicht reagieren, da hat er mich auch schon an sich gezogen. „Du gehörst jetzt zu mir. Du bist einer von uns.“

Mit großen Augen starre ich an die Wand gegenüber und kann es gar nicht richtig realisieren was er mir da sagt.

„Nein...“

„Doch. Du weiß ja gar nicht was du jetzt für ein Leben führen wirst, Kleiner.“ Fariks Stimme klingt für meinen Geschmack viel zu begeistert, während es mir einfach nur sauschlecht geht.

„Mach es rückgängig!“, flehe ich ihn an.

Farik lacht. „Das ist nicht möglich. Du bist auf dem besten Wege ein Vampir zu werden. Es dauert nicht mehr lange.“

Ich drücke ihn von mir und sehe Farik entsetzt an. Mit voller Wucht schlage ich ihm ins Gesicht. Sein Kopf fliegt zur Seite. Er knallt mit dem Körper gegen das Bettgestell und sieht mich einen Moment verwirrt an.

„Wie kannst du mir so etwas antun? Wie kannst du das ohne meine Erlaubnis machen? Ich will nicht zu so einem Monster werden! Ich will nicht so ein Leben führen! Ich habe Familie und Freunde, die ich nicht im Stich lassen kann und will!“, schreie ich ihn an.

Farik leckt sich über die aufgeplatzte Unterlippe. „Ich bin einsam.“

„Was?“, frage ich irritiert.

„Ich wollte einen Partner an meiner Seite haben. Ich wollte jemanden, der...“ Farik hält inne und senkt den Blick. „Ich wollte dich!“ Seine Augen blicken mich direkt an. Ich schlucke, weiß nicht was ich erwidern soll und beiße mir auf die Unterlippe.

„Was du brauchst kann ich dir nicht geben, Farik.“ Ich versuche meine Fassung zu bewahren, aber es fällt mir schwer und im Moment will ich ihn einfach nur krankenhausreif schlagen. „Ich kann es nicht.“

„Doch, du musst es nur wollen!“, meint dieser eindringlich und kriecht auf mich zu. Unsere Gesicht trennen nur Zentimeter voneinander. „Du musst es nur wollen, es zulassen, dann erlebst du was ich dir für ein großartiges Geschenk gemacht habe!“, raunt er mir zu und küsst mich auf die Stirn.

Ich drücke ihn an den Schultern von mir. „Das ist kein Geschenk!“, erwidere ich mit zitternder Stimme. „Das ist ein Fluch! Du hast mir mein Leben genommen!“ Ich stehe hastig auf und will aus dem Zimmer laufen, als Farik mich am Handgelenk packt und zurückhält.

„Es ist kein Fluch und das wirst du bald selbst sehen. Du wirst ewig leben! Du kannst alles machen was du je tun wolltest! Jetzt hast du für alles genug Zeit!“

Ich drehe mich ihm zweifelnd zu und halte meine Hand kurz ins Sonnenlicht. Sie fängt an zu verbrennen, blasen zu werfen und zu kokeln.

„Das nennst du ein Geschenk?!“

Würdest du ewig leben wollen?

Vermummt in einem schwarzen Hoodie mit Kapuze und dunkler Hose stehe ich im Hotel und klopfe an die Tür. Den Ärmel ziehe ich bis über beide Hände. Es schmerzt im Tageslicht viel zu sehr. Die andere Hand verschwindet daher schnell wieder in der vorderen Bauchtasche des Pullis.

Laut klopfe ich mehrmals an die Tür, dann öffnet sie sich endlich. Dale sieht mich überrascht an.

„Hilf mir!“, krächze ich und greife nach seinem Arm.

„Was ist denn los?“, fragt Dale verwirrt.

„Bitte, hilf mir!“, flehe ich und hebe mein Gesicht an. Dales Augen weiten sich erschrocken. „Scheiße! Was ist dir denn passiert?“, entfährt es ihm. Er greift nach meinem Kinn und zieht mein Gesicht höher um sich die Blessuren der Verbrennungen eingehender anschauen zu können.

Tränen laufen mir über die Wange. „Farik hat mich gebissen. Er war bei mir zuhause und dann hat er irgendetwas mit mir gemacht. Ich verändere mich, Dale. Hilf mir!“, jammere ich verzweifelt.

Dale zieht mich bestürzt in eine Umarmung. Schutzsuchend dränge ich mich an ihn.

Er löst sich viel zu schnell wieder von mir als mir lieb ist. „Warte hier kurz. Ich dunkle das Zimmer ab.“ Er rennt durch den Raum und zieht die schweren dunklen Vorhänge zu, die auch schon bei meinem letzten Besuch geschlossen waren wie mir wieder einfällt. Elaine ist nicht da. Irritiert sehe ich mich im Raum um.

Dale zieht mich ins finstere Zimmer hinein. „Normalerweise benutzen wir hier normale Deckenbeleuchtung, aber du bist noch in der Transformationsphase wie es aussieht.“ Er führt mich zum Bett und nervös lasse ich mich auf die Bettkante sinken. Mit dem linken Bein wippe ich nervös auf und ab. Dale geht vor mir auf die Knie. Vorsichtig streift er mir die Kapuze vom Kopf.

„Mein Gesicht ist...“, versuche ich zu erklären. Ich bin furchtbar entstellt, schießt es mir durch den Kopf.

„Mach dir keine Sorgen. So schlimm sieht es gar nicht aus.“ Dale lächelt, versucht zu es zumindest und greift nach meiner Hand. Sein Daumen streichelt beruhigend über meinen Handrücken. Ich lehne meine Stirn an seine und schließe die Augen.

„Ich weiß nicht was ich jetzt tun soll“, flüstere ich verzweifelt. „Hilf mir...“

„Beruhige dich, Andreas.“ Dale umarmt mich. Ich schlinge meine Arme um ihn und presse meine Lippen fest zusammen.

„Und ich habe so~ Hunger.“

Dale antwortet nicht.

„Hast du was da?“ Ich lasse von ihm ab und ziehe die Nase hoch. Dale sieht mich besorgt an. „Du wirst das nicht essen können.“

„Natürlich kann ich das!“, meckere ich aufgebracht.

Dale seufzt. Er kratzt sich am Hinterkopf, steht auf, geht zur Minibar und kommt mit einem Schokoriegel zurück.

Hastig und mit zitternden Händen versuche ich die Verpackung zu öffnen. Es gelingt mir nicht. Dale nimmt mir den Riegel ab und öffnet ihn für mich. Ich reiße ihm den Snack aus der Hand und beiße gierig hinein. Ich seufze. Tut das gut! Seit gestern habe ich nichts mehr richtig gegessen.

„Nicht so hastig, Andreas.“ Dales Hand legt sich auf meinen Arm. Ich ignoriere ihn und knabbere fleißig an dem Schokoriegel bis ich ihn aufgegessen habe. Ein wenig außer Atem bemerke ich wie mein Magen rumort. Ich halte mir den Bauch und spüre wie die Übelkeit in mir hochkriecht.

„Alles okay?“, fragt Dale besorgt.

Ich halte mir die Hand vor den Mund und würge. Hastig stehe ich auf und eile ins Badezimmer. So schnell wie der Riegel im Magen gelandet ist so schnell kommt er auch wieder auf demselben Weg heraus. Zitternd halte ich mich an der Klobrille fest.

Dale streicht mir mit der Hand beruhigend über den Rücken als er mir nachgelaufen kommt. „Ich habe dir gesagt, dass es nicht klappen wird.“

Ich sacke zu Boden, nachdem ich die Spülung betätigt habe und sehe starr auf die Badezimmerfliesen. Der Raum ist stockduster und Müdigkeit macht sich in mir breit. Ich greife nach meinem Magen und mir ist einfach nur schlecht. Dale steht auf und füllt einen Becher mit Wasser. „Komm her, spül dir erst mal den Mund aus.“ Er hält mir den Plastikbecher entgegen, nachdem ich mich wankend erhoben habe. Ich trinke die Flüssigkeit und spucke sie zurück ins Waschbecken. Dale hält mich fest, damit ich nicht gleich hinterher falle.

Ich stelle den Becher auf der Amatur ab und lehne mich gegen ihn.

„Leg dich ins Bett. Du bist ja total hinüber.“ Dale zerrt mich zum Doppelbett und zieht die Bettdecke zurück. Er zieht mir die Schuhe aus, deckt mich zu, legt sich hinter mir ins Bett und umarmt mich fest. Es ist ein beruhigendes Gefühl, dass er hier bei mir ist.
 

Ich wälze mich im Bett herum und öffne die Augen. Ich liege dicht an Dales Körper und schmiege mich an ihn. Er ist herrlich warm und seine Nähe tut gut. Wie lange ich geschlafen habe weiß ich nicht.

Meine Hände gleiten fahrig über seinen Körper. Er seufzt und streckt sich wie eine Katze. Ich drehe ihn auf den Rücken, lege mich auf seinen Bauch und ziehe sein Hemd hoch. Keine Ahnung wieso ich das hier tue, warum ich auf einmal so geil auf ihn bin. Ich küsse seine Haut, lecke über die Nippel und reibe mich verlangend an ihm. Ich zerre ungeduldig an seinem Reißverschluß, öffne den Knopf und lasse meine Hand in seiner Hose verschwinden.

Dale stöhnt und drückt sich wohlig gegen meine Hand. Er öffnet verschlafen die Augen. Ich rutsche hoch und küsse ihn gierig, dringe mit der Zunge forsch in seinen Mund hinein und öffne nebenbei meine Hose. Dale greift in meine Schulter und weiß noch gar nicht so recht wie ihm geschieht. Ich ziehe mir die Hose aus und tue es bei ihm ebenso.

„Nicht so hastig. Was ist denn mit dir los?“, fragt Dale amüsiert und packt mich an den Handgelenken. Meine Hände zittern. Ich sehe zu ihm und dann auf unsere halbnackten Körper. „I-ich weiß nicht...“, gebe ich kleinlaut zu und blinzele mehrmals. Irgendwie konnte ich gerade gar nicht richtig denken. Als hätte sich mein Gehirn ausgeschaltet. Wie ein Tier in der Paarungszeit habe ich mich gefühlt.

Verwirrt sitze ich auf Dales Beinen und greife mir an die pochende Stirn. Ich habe Kopfschmerzen und immer noch schrecklichen Hunger.

Ich schnuppere und beuge mich vornüber. Meine Hand gleitet über Dales Hals, streicht über die Haut und irgendwie erregt es mich. Ich kann es riechen. Das Blut wie es pulsierend durch seine Adern fließt. Verlangend lege ich mich auf ihn und küsse die empfindliche Haut.

„Andreas, komm zu dir. Das bist nicht du!“, meint Dale eindringlich und versucht mich an den Schultern von sich zu schieben. Erregt reibe ich mich an seinem Körper und beiße ihm in den Hals. Der ersehnte Erfolg trifft nicht ein. Ich schmecke kein Blut. Ich beiße fester zu, entlocke Dale einen Schrei und werde von seinem Körper geschubst.

Fassungslos sieht er mich an. Bedröppelt schaue ich zu ihm.

„Scheiße! Bist du noch zu retten?“, schnauzt er mich wütend an. „Wenn du Blut brauchst, dann fahr deine Zähne aus oder willst du mir den ganzen Hals durchbeißen?!“, fährt er mich aufgebracht an.

Ich lecke unwillkürlich über meine stumpfen Zähne. „Ich kann so was nicht auf Kommando!“, meckere ich ebenso gereizt.

„Verdammt, das gibt 'nen saftigen blauen Fleck!“ Wütend blickt Dale mich an.

„Tut mir leid!“

Dale seufzt und greift nach seiner Hose. Er zieht sein Klappmesser hervor und schneidet sich in den Arm. Ich sehe die rote Flüssigkeit und krieche hastig zu ihm, packe den Arm und lecke gierig darüber. Ich stöhne tief und zufrieden als ich die metallische Flüssigkeit in meinem Mund spüre, schlucke dürstend und keuche als ich Dales Hand an meinem Ständer spüre. Ich greife nach seiner Hand und schließe die Augen. Berauscht lasse ich mich von meinem Hunger und der Lust mitreißen und stöhne immer wieder lüstern bis ich meinen Orgasmus erreiche und mich schon im nächsten Moment wieder erbreche und ganz nebenbei deftig das Bett einsaue.

Dale zieht meinen Kopf an den Haaren zurück. „Hast du schon sein Blut getrunken?“, fragt er lauernd. „Kannst du das nicht früher sagen?“

Verständnislos blicke ich ihn aus dem Augenwinkel an und wische mir über den Mund.

„So leid es mir tut, du bist auf Fariks Blut angewiesen.“ Dale seufzt. „Du brauchst sein Blut um deinen Hunger zu stillen. Meines ist nicht für dich geeignet, zumindest nicht in der ersten Zeit. Du brauchst das deines Erschaffers bis du dich vollständig verwandelt hast.“

Verdutzt sehe ich Dale ins Gesicht. Ich schmecke Blut und Erbrochenes in meinem Mund und verziehe mein Gesicht. Ich ziehe mir die Hose wieder hoch und laufe taumelnd ins Badezimmer um mir den Mund auszuspülen. Was stimmt nur nicht mit mir?

Ich sinke am Waschbecken zu Boden und versuche wieder einen klaren Kopf zu kriegen. Als ich Schritte höre sehe ich zur Tür. Dale lehnt sich in den Türrahmen und verschränkt die Arme vor der Brust.

„Wer ist dein Schöpfer?“, fragt er frei heraus. Klingt das vielleicht bescheuert. Schöpfer...

„Farik.“

„Wer ist er genau? Du hast mir noch gar nicht alles richtig über ihn erzählt.“

Ich wische mir über den nassen Mund und setze mich erschöpft auf die Toilette. „Du hast mir doch von den Vampirjägern erzählt...“, beginne ich und atme tief durch. Mir ist immer noch ganz flau. „Ich bin am Tag unserer Prügelei das erste Mal Farik begegnet. Er wollte wissen wo die Schule liegt. In der Nacht als ich zu dir wollte, habe ich etwas in der Schule bemerkt als ich vorbei gelaufen bin. Ich war neugierig und habe es etwas näher unter die Lupe genommen, jedenfalls bin ich dort einem Vampirjäger namens Hunter Reed begegnet. Der, der auch deine Schwester sucht glaube ich. Farik war ebenfalls dort und die Krankenschwester. Farik hat sie getötet als sie mich angegriffen hat. Das war das erste Mal, dass er mich gebissen hat. Ich war verletzt also haben sie mich mitgenommen. Farik ist ein Vampir, der mit Reed zusammen arbeitet. Sie haben mich am nächsten Morgen laufen gelassen, nachdem sie sicher waren, dass ich kein Vampir geworden bin.“ Ich mache eine kurze Pause und fahre mir mit den Händen über mein geschundenes Gesicht, ehe ich Dale ansehe. „Farik hat mich gestern aufgesucht. Er ist über mich hergefallen und hat mich gebissen. Er hat mir das angetan. Er meinte, es sei ein Geschenk.“ Ich gebe einen verächtlichen Laut von mir. „Er hat mich zu einem Monster gemacht...“, erzähle ich leise.

Dale kommt zu mir und bleibt dicht vor mir stehen. Ich blicke zu ihm auf, ziehe ihn näher an mich heran und verstecke mein Gesicht an seinem Bauch. „Du riechst so gut...“, murmele ich und nestele an seiner Hose. Dale hält mich jedoch davon ab.

„Deine Sinne schärfen sich. Die nächsten Stunden wird es noch intensiver. Die nächste Zeit solltest du dich nicht im Tageslicht aufhalten und deine Gier... die musst du in den Griff kriegen.“ Dale zieht mich hoch und streicht mir die Haare aus dem Gesicht. Er lächelt. „Es sei denn du willst mit mir...“ Er lässt den Satz offen stehen und sieht mich nachdenklich an.

Ich schüttele den Kopf. „Das ist leichter gesagt als getan.“

„Ich weiß, aber anders geht es nicht. Du musst dich dem jetzt stellen, es zulassen, sonst wird es nur noch schlimmer.“ Dale zieht mich an sich. Ich presse mich an seinen warmen Körper und schließe die Augen.

„Wenn ich ein Vampir werde, dann töten sie mich.“

„Das werde ich nicht zulassen.“

„Nein, dass wirst du nicht schaffen.“ Ich schlinge meine Arme um Dales Nacken und seufze. „Ich kann es immer noch nicht richtig fassen. Ausgerechnet ich.“ Lachend wische ich mir über die Augen ohne Dale dabei loszulassen.

Dale hebt mich ohne Vorwarnung hoch.

„Whoa!“ Erschrocken klammere ich mich an ihn, während er mich ins Zimmer zurückträgt und mich auf dem Bett ablegt. Er kriecht auf allen Vieren über mich und küsst mich. Ohne lange nachzudenken erwidere ich es und ziehe ihn auf mich. Es ist nur ein kurzer Kuss, dann liegen wir in einer innigen Umarmung im Bett.

„Du musst nach Hause, auf Farik warten und dann... na ja, du weißt schon.“ Dales Atem streift mein Ohr.

„Ich will ihn nicht mehr sehen.“

„Du musst! Ob du willst oder nicht. Dein Körper braucht jetzt Blut und keine normale Nahrung. Sein Blut.“ Dale hebt den Kopf und legt seine Hand an meine Wange. „Nur solange bis der Prozess abgeschlossen ist. Ein paar Stunden und dann ist es vorbei, dann kommst du wieder zu mir.“

„Und Elaine?“

„Die ist im Zimmer nebenan.“

Ich nicke bedächtig, aber wirklich wohl fühle ich mich nicht bei der ganzen Sache. Allein bei dem Gedanken Blut trinken zu müssen dreht sich mir schon wieder der Magen um. Dale rollt sich auf die Seite und liegt neben mir auf dem Bett. Wir starren beide an die Zimmerdecke. Ohne hinzusehen suche ich nach seiner Hand. Wir verschlingen unsere Finger miteinander. Den freien Arm lege ich mir über die Augen als ich meine Gefühle nicht mehr länger zurückhalten kann. Immer wieder wische ich mir fahrig die Tränen aus dem Gesicht.
 

Meinen Eltern täusche ich eine Migräne vor somit bleibt das Zimmer dunkel und sie lassen mich in Ruhe, sehen so nicht was aus mir wird und kümmern sich nicht weiter um die Geräusche die aus meinem Zimmer zu hören sind. Zu meinem Glück, denn ich wüsste nicht wie ich ihnen meinen Zustand erklären sollte.

Als es an der Tür klingelt bin ich kaum imstande mich zu erheben. Dass ich noch kein Blut getrunken habe macht meinem Körper mehr zu schaffen als ich angenommen habe. Ich bin erschöpft vom Nichtstun.

Zittrig erhebe ich mich und kämpfe mich zur Tür vor. Die Treppe stellt sich als großes Hindernis dar. Mir ist schwindlig und ich habe große Mühe nicht auf den Stufen zu stolpern. Als ich endlich den Flur erreiche klemmt im Briefschlitz ein Umschlag. Langsam gehe ich näher heran. Es ist ein einfacher brauner Umschlag. Irgendetwas wabbeliges ist da drin.

Ich ziehe den Umschlag heraus, reiße ihn auf und schlucke als ich den Inhalt sehe. Mir rutscht der Umschlag aus der Hand, fällt zu Boden und lässt die Blutkonserve ein Stück herausrutschen. Ich sinke zu Boden und greife nach der Konserve. Mein Herz hämmert in meiner Brust oder ist es mein Puls? Mein Blut gerät in Wallung, ich lecke mir über die trockenen rauen Lippen und reiße die Konserve auf. Gierig trinke ich daraus. Mir läuft das Blut übers Kinn und ein Keuchen entkommt meinen Lippen, während ich die Flüssigkeit gierig aus dem Beutel sauge, jeden Schluck genieße und einen Seufzer der Erleichterung ausstoße. Danach sehe ich auf den leeren Beutel und lecke mir über die Lippen. Wie kann Blut nur so verdammt gut schmecken?!

Ich werfe den Beutel auf den Umschlag und lehne mich an die Wand. Zufrieden schließe ich die Augen und merke langsam wie mein Körper wieder zu Kräften kommt. Zumindest das flaue Gefühl im Magen verflüchtigt sich ein wenig.

Ich atme tief durch und wische mir über den Mund. Schon im nächsten Moment komme ich mir total bescheuert vor. Wie kann ich mich über so einen ekelhaften Drink freuen und die euphorischen Gefühle die mich dabei durchströmen machen mir mehr als nur Angst. Das bin nicht ich. Mein Hirn setzt aus und ich bekomme langsam aber sicher das Gefühl mehr und mehr zu einem Tier zu werden. Das ist doch nicht normal? Was stimmt nicht mit mir? Was geht hier ab?

Mit den Fingern befühle ich meine Zähne. Nach belieben kann ich sie noch nicht ausfahren. Das beruhigt mich ein wenig.

Ich bemerke einen weißen Zettel, der noch im Umschlag steckt. Ich ziehe ihn heraus und runzele die Stirn. Es ist kein Zettel sondern ein weiterer Umschlag. Darin befindet sich ein Erste Klasse Flugticket nach Abu Dhabi. Wieso zum Teufel sollte ich in die Vereinigten Arabischen Emirate reisen?

Im Briefumschlag steckt noch ein Zettel. Ich falte ihn skeptisch auseinander.

Steig heute Abend in den Flieger. Ich stelle dich der Familie vor. Farik Bin Al-Saud

Ich lasse den Brief zu Boden fallen. „Das kann doch wohl nicht wahr sein? Macht der mich zum Vampir damit ich auf Befehl kusche? Für wen hält sich dieses vermaledeite Arschloch?ˮ

Andererseits fliegt er dorthin oder nicht? Ich brauche sein Blut. Soviel steht schon mal fest. Also bin ich am Arsch, wenn ich es nicht tue. Außerdem war ich noch nie in Abu Dhabi. Das könnte durchaus meinen Horizont erweitern bzw. das ist Urlaub for free! Mit einem super Erste Klasse-Ticket!
 

In dunkle Kleidung gehüllt sitze ich im Flugzeug der Türkisch Airline und bin mehr als angespannt. Wenn meine Eltern merken, dass ich weg bin kann ich was erleben. Dale konnte ich auch nichts mehr sagen. Ein Zwischenstopp in Istanbul, ansonsten geht es etwa 16 Stunden durch die Lüfte.

Ich ziehe mir die Kapuze tiefer ins Gesicht und ziehe das kleine Rollo am Fenster herunter. Alles nur kein Licht.
 

Farik erwartet mich am Ausgang. Er trägt die Kleidung eines arabischen Scheichs und augenblicklich wird mir klar, dass ich diesen Mann überhaupt nicht kenne. Wer ist das?

Er nickt mir zu und ein Fahrer nimmt mir das Gepäck ab, geleitet uns zu einer schwarzen Limousine und hält uns die Tür auf, bevor er meine Sachen im Kofferraum verstaut. Ich sitze mit Farik auf der Rückbank und komme mir mehr als nur fehl am Platze vor.

Der Wagen setzt sich in Bewegung und mit einem mulmigen Gefühl blicke ich aus dem Fenster. Erst als Farik mir seine Hand auf den Oberschenkel legt, sehe ich zu ihm und schiebe sie angeekelt weg.

„Ich bin froh, dass du dich entschieden hast den Flug zu nehmen.ˮ Seine dunklen Augen nehmen mich gefangen und augenblicklich schüttele ich den Kopf. „Ich hatte doch keine andere Wahl!ˮ, erwidere ich brüsk.

„Doch die hattest du.ˮ

„Ach ja? Entweder ich fliege oder leide weiterhin? Wäre ich dann gestorben?ˮ, frage ich mit einem ironischen Unterton. „Ich habe dich nicht darum gebeten mich zu dem was machen was du bist!ˮ

„Einem Vampir?ˮ

„Einem Monster!ˮ Wütend starre ich wieder aus dem Fenster.

Wir schweigen beide den Rest der Fahrt.
 

„Das ist ein Palast!ˮ Mürrisch sehe ich zu Farik. „Bist du reich?ˮ

„Hm, ja. Kann man wohl so sagen.ˮ Farik lächelt und öffnet die Haustür. Ein Butler kommt uns entgegen und nimmt mein Gepäck ab.

„Farik? Was soll ich hier?ˮ, frage ich und sehe mich in der riesigen protzigen Eingangshalle um. Ein riesengroßer goldener Kronleuchter hängt über meinem Kopf an der Decke herunter mit zahlreichen Glühbirnen die kein Mensch zählen kann. Hohe Säulen schießen an die Decke und formen sich zu einem einzigen verwebten Muster, bestehend aus mehreren stuckähnlichen Gebilden. Mit Geld scheint dieser Mann nicht gerade zu geizen, aber wenn man lange lebt, kann man anscheinend auch viel an einem Haus herum werkeln.

„Ab sofort wirst du bei mir leben.ˮ Farik lässt mich stehen. Seinen Blick konnte ich nicht deuten. Irritiert sehe ich ihm nach.

„Ich kann auch wieder zurückfliegen! Du kannst mich mal! Ich bin doch nicht dein Untergebener!ˮ, brülle ich ihm nach.

Farik bleibt abrupt stehen. Über die Schulter hinweg sieht er mich an. „Hast du dir das Ticket nicht richtig angesehen?ˮ

Stirnrunzelnd greife ich nach meinem Rucksack und krame darin herum. Ich hole das Flugticket hervor und schaue es mir genau an. Mir entgleisen die Gesichtszüge sofort als ich bemerke, dass es keinen Rückflug beinhaltet.

„Was zum...?!ˮ Ich sehe zu Farik, doch er ist inzwischen gegangen. Alleine stehe ich in der großen Halle und knülle das Ticket in meiner Faust zusammen.

„FUCK!!!ˮ, brülle ich so laut ich kann.

Auf was habe ich mich hier eingelassen?

Wie bescheuert bin ich, dass ich mich darauf eingelassen habe?
 

Resigniert sehe ich mich in meinem Zimmer um. Hier findet eine Großfamilie Platz. Ich lasse mich auf dem luxuriösen Kingsize Bett aus Mahagoni nieder. Es ist schwarz und hat am Gestell goldene schwungvolle orientale Verzierungen. Rot-goldene Kissen liegen am Kopfende und die gleichfarbige Bettdecke scheint aus Seide zu sein. Über dem Kopfende befindet sich ein großer gerahmter Spiegel.

Ich lege mich der Länge nach auf das Bett, nachdem ich mich meiner Schuhe entledigt habe. Ich komme mir vor wie in einem falschen Film. Nicht mal genug Geld für ein Flugticket habe ich dabei. Im Moment komme ich mir einfach nur ziemlich verarscht vor. Ich habe mich in Farik getäuscht, war so dumm und habe sein Angebot ohne Einwände angenommen, habe nicht mal Zweifel gehabt und jetzt hänge ich in einem mir fremden Land fest.

Super, Andreas. Ganz tolle Leistung!
 

Mittlerweile ist es Abend als die Tür aufgeht. Farik kommt mit einem Tablett ins Zimmer. Langsam und verschlafen setze ich mich auf, als er mich aus dem Schlaf reißt und sehe zu wie er näher kommt. „Ich kann dir erst jetzt Gesellschaft leisten. Ich hatte einige wichtige Termine zu erledigen.ˮ

„Glaubst du das interessiert mich?ˮ, frage ich verächtlich. Farik reicht mir ein Glas, doch ich weise es zurück. „Ich mag Rotwein nicht.ˮ

„Das ist kein Wein.ˮ Stirnrunzelnd sieht er auf mich herunter. Widerwillig nehme ich das Glas an mich. Ich rieche das Blut und merke wie sich mein Magen zusammen zieht. Nicht schon wieder. Ich atme tief durch und schließe die Augen.

„Trink!ˮ, fordert Farik mich auf.

„Ich kann nicht...ˮ, erwidere ich und halte ihm das Glas entgegen. „Und ich will nicht!ˮ

„Du musst! Trink!ˮ Sein eiserner Blick macht mir Angst. Ich schlucke und lasse das Glas sinken. Ohne Vorwarnung schleudere ich es ihm entgegen. Das Blut verteilt sich auf Fariks Gewändern und sofort durchtränkt die Flüssigkeit den Stoff in tiefem Blutrot. Das Glas fällt klirrend zu Boden und zerbricht in zig Scherben.

Fariks Hand fährt nach vorne. Er umgreift meinen Hals und klettert zu mir aufs Bett. „Was erlaubst du dir eigentlich? Mich in meinem eigenen Haus so derart zu beleidigen? Glaub ja nicht, du kannst dir hier alles erlauben!ˮ, schimpft er aufgebracht. Ich greife nach seinem Handgelenk und schnappe nach Luft. Er presst mich auf die Matratze und drückt mit beiden Händen zu. Nach Atem ringend blicke ich zu ihm auf.

„Du wirst dich benehmen! Du wirst mich nicht zurückweisen und du wirst hier bleiben! Bei mir!ˮ Fariks Gesicht senkt sich tiefer. „Du wirst bald merken, dass ich dir hier eine einmalige Chance biete.ˮ

Seine Hände lockern sich und hörbar schnappe ich panisch nach Luft. Farik macht sich an meiner Hose zu schaffen und noch immer benommen versuche ich ihn daran zu hindern. „Das wollte ich schon die ganze Zeit mit dir tun.ˮ Er zieht mir die Hose herunter und dreht mich auf den Bauch. Seine Lippen bedecken meinen Nacken mit Küssen, seine Hände gleiten gierig über meinen Körper und schieben meinen Hoodie hoch um mehr Haut freizulegen.

Mir wird schwarz vor Augen als er ohne Vorbereitung in mich eindringt. Meine Finger krallen sich in das Kopfkissen. Tränen schießen mir in die Augen. Das Kissen dämpft meine Schreie.

„Du wirst mir gehorchen, tun was ich sage und mir nicht widersprechen!ˮ, raunt er mir ins Ohr. In dieser Nacht rettet mich keine Ohnmacht.

Gier nach Blut

Als ich die Augen öffne, habe ich im ersten Moment keine Ahnung wo ich mich befinde, doch dann kommt mir alles wieder in den Sinn. Ich nehme eine Bewegung neben mir wahr und sehe zur Seite. Farik sitzt nackt neben mir im Bett. Ein Bein hat er angezogen, das andere lang auf der Matratze ausgestreckt. Er bemerkt meinen Blick und sieht zu mir. Seine Hand streicht durch meine Haare. Ich drehe meinen Kopf von ihm weg und spüre den stechenden Schmerz in meinem Hintern als ich mich rege. Ich schiebe Fariks Hand weg und setze mich ächzend auf. Er setzt sich hinter mich und küsst meinen Rücken, umschlingt meinen Körper und ich komme mir vor wie in einem schlechten Traum. Zumindest hoffe ich, dass es einer ist.

„Wir kriegen heute Besuch. Mach dich ein wenig frisch, ich lasse dir passende Kleidung bereitlegen und benimm dich anständig.ˮ

„...ˮ

„Ja, Meister! Sag es!ˮ, fordert Farik mich auf und beißt mir mit seinen scharfen Zähnen schmerzhaft ins Ohrläppchen.

„Nein.ˮ

„Sag es!ˮ Seine Zähne durchschneiden mir die empfindliche Haut. Ich stöhne und versuche sein Gesicht wegzuschieben. Ich merke wie mein Ohr blutet.

„Ja...ˮ, gebe ich unwillig von mir. „Ja, Meister...ˮ Am liebsten würde ich ihm ins Gesicht spucken, für all das was er in der letzten Nacht getan hat.

Er gibt einen zufriedenen Laut von sich. „So ist es gut. Braver Junge.ˮ Er zieht mich zurück ins Bett, legt sich auf mich und nimmt meine Lippen in Besitz. Ich kneife die Augen zusammen und greife nach seinen Schultern, versuche ihn wegzudrücken, aber er ist viel stärker als ich. Gierig küsst er sich über meinen Oberkörper. „Bitte nicht, Farik. Bitte nicht noch mal!ˮ, flehe ich und winde mich unter dem Mann. Er richtet sich auf und schaut auf mich herab. „Du wirst dich schon noch daran gewöhnen.ˮ Unbeeindruckt blickt er mich an, dann seufzt er. Er fährt seine Zähne aus und beißt sich in den Arm. Ich sehe gebannt zu seinem Unterarm und meine Brust hebt und senkt sich schneller als meine Atmung sich beschleunigt. Ich greife nach seinem Arm und trinke, verschlucke mich, huste und trinke weiter von dem Blut, das so verführerisch duftet. Meine Augen schließen sich, während Farik sich wieder auf mir niederlegt. Das Blut fließt durch meine trockene Kehle und ich kann kaum genug davon kriegen. Nur am Rande bemerke ich, dass Farik mir dabei durch die Haare streicht. „So durstig?ˮ, fragt er amüsiert und ich hasse mich dafür was ich hier tue. Ich öffne meine Augen und sehe zu ihm auf, erwidere seinen Blick starr und labe mich an seinem roten Saft. Er entzieht mir abrupt seinen Arm und streicht mir mit dem Daumen über die blutigen Lippen. Ich lecke daran, schmecke das Blut und lasse mich regungslos von ihm küssen.

Mehrmals blinzele ich, dann schubse ich Farik abrupt von mir und richte mich hastig auf, rutsche näher an das Kopfende und ziehe die Beine an. Angeekelt wische ich mir über den Mund und versuche einen klaren Kopf zu behalten. Schon wieder hat mein Gehirn ausgesetzt.

Farik lächelt und klaubt seine Gewänder zusammen. „Geh dich nebenan waschen.ˮ Er verlässt das Zimmer und verzweifelt vergrabe ich mein Gesicht in den Händen. Was mache ich hier? Was soll das alles werden? Will er mit mir nur einen Vogel in einem goldenen Käfig halten?

Ich kauere mich zusammen und verfluche mich innerlich dafür, dass ich in diesen dämlichen Flieger gestiegen bin. Wie soll ich denn jetzt wieder zurückkommen?

Die Tür geht auf. Ein Mann bringt mir frische Kleidung. Ich sehe zu wie er das Zimmer wortlos verlässt und rühre mich nicht vom Fleck. Mein Blick fällt auf die andere Zimmertür. Langsam stehe ich auf und taumele durch das Zimmer. Zögernd gehe ich auf die Tür zu, öffne sie und gucke erstaunt in das große einladende Badezimmer. In der Mitte des Raumes steht eine große Wanne auf goldenen Füßen, sogar der Wasserhahn ist vergoldet. Ich drehe den Hahn auf und lasse heißes Wasser ein. Mehrere Fläschchen stehen auf einer Amatur. Ich öffne sie nacheinander und schnuppere daran bis ich einen Duft finde, der mir gefällt und gebe den Inhalt in die Wanne. Schaum sammelt sich an und nach einiger Zeit drehe ich das Wasser ab. Vorsichtig steige ich hinein. Seufzend lasse ich mich ins heiße Nass sinken und genieße das die Hitze, die meinen Körper hinaufkriecht.

Ein schwacher Trost für all das was ich bisher durchmachen musste. Ich komme mir so blöd vor. Wieso lasse ich diesen Mann auf meiner Nase herumtanzen? Wieso lasse ich das zu? Wieso bin ich hier?

Ich ziehe die Beine eng an den Körper und lehne meine Stirn auf die Knie. Mit der Hand reibe ich über meinen Hintern. Mein erster Sex und dann auch noch mit einem Mann, für den ich keine Gefühle hege und dann bin ich auch noch mit Gewalt genommen worden. Ich kann nicht mal zu einem Arzt gehen oder jemandem davon berichten. Ich muss hier weg. So schnell wie möglich.

Ich will wieder nach Hause zu meiner Familie. Ich will wieder zurück in mein Zimmer in dem ich mich sicher fühle. Ich will wieder zu meinen Freunden und all das hier vergessen. Das hier ist ein Alptraum. Ein Leben, das ich nicht führen will. Nicht mit dieser Person.

Nach dem Bad trockne ich mich ab und fühle mich ein klein wenig besser. Erholt, aber immer noch mit dem Gefühl schmutzig zu sein. Ich muss an die letzte Nacht denken. Die Schmerzen waren nichts gegen die meiner Verwandlung, aber das Farik sich in dieser Nacht mit Gewalt geholt hat was er wollte kann ich ihm nicht verzeihen. Das werde ich niemals tun! Ganz sicher werde ich nicht klein beigeben und mich in einem Schneckenhaus verstecken. Er mag vielleicht meinen Körper in Besitz nehmen können, jedoch nicht meine Seele und mein Herz schon lange nicht. Ob ich will oder nicht, es gehört längst Dale. Abwesend blicke ich in den Spiegel und runzele die Stirn. Skeptisch trete ich näher heran und strecke die Hand danach aus. Er zeigt mein Spiegelbild nicht. Jetzt ist es vollkommen fort.

„Gibts doch nicht!ˮ, murmele ich fassungslos und lasse die Hand am Glas herab rutschen und kann lediglich die Badezimmereinrichtung darin sehen.

Jemand klopft an die offene Tür. Überrascht drehe ich mich um, wobei mein Herz einen unsanften Sprung macht.

Meine Miene verzieht sich. „Was?!ˮ, murre ich als ich Farik erblicke, dessen Augen lechzend über meinen Körper gleiten.

„Ich wollte nur nachsehen ob du fertig bist.ˮ Er trägt einen edlen schwarzen Anzug, der diesen Mann nur noch attraktiver aussehen lässt. Es vermittelt ein falsches Bild von ihm. Seine wahre Gestalt will niemand kennen lernen.

„Mein Spiegelbild ist weg.ˮ

„Sieh es mal so, dann musst du deine Visage nicht mehr ansehen.ˮ Farik lächelt unbekümmert.

Griesgrämig gehe ich auf ihn zu, an ihm vorbei und zurück ins Zimmer. Vor dem Bett bleibe ich stehen und blicke lustlos auf die zusammengefaltete Kleidung.

Farik tritt hinter mich und versteckt seine Nase in meinen Haaren. Ein unangenehmer Schauder überkommt mich und zieht eine Gänsehaut über meinen Körper. Fariks Hände legen sich auf meine Schultern, massieren sie leicht. Ich erstarre unter seinen Berührungen und fühle mich wie gelähmt. „Mach dir keine Gedanken. Die Verbrennungen in deinem Gesicht stören mich nicht.ˮ

Ich rümpfe die Nase und drehe mich zu ihm um. „Was willst du von mir? Ich bin nicht dein Spielzeug!ˮ

„Dessen bin ich mir bewusst. Du bist mein Gefährte.ˮ

„Nein, bin ich nicht! So behandelt man seinen Lebensgefährten nicht! Du hast kein Recht dazu mich zu Dingen zu zwingen die ich nicht tun will! Du respektierst mich nicht!ˮ

„Du wirst dich schon damit abfinden.ˮ Farik streicht mir über die Wange und beugt sich vor um mich zu küssen. Ich weiche zurück und plumpse auf das Bett. Das Handtuch öffnet sich und hastig ziehe ich es wieder zusammen. Farik greift nach meinen Händen und als ich aufsehe ist sein Gesicht direkt vor meinem. Ich spüre seinen Atem.

„Ein Leben mit mir ist sorgenfrei. Du wirst für immer und ewig an meiner Seite leben können. Es hat durchaus seine Vorzüge. Ich biete dir ein sehr komfortables Leben, Andreas.ˮ Seinen Kuss erwidere ich nicht und so löst er sich auch sofort wieder von mir und blickt mir ernst in die Augen. „Du solltest mir ein wenig entgegen kommen, sonst mache ich dich mir gehörig und glaub mir, dass willst du nicht!ˮ

Meine Mundwinkel ziehen sich nach unten. Farik versucht es noch einmal und widerwillig öffne ich den Mund, spüre seine Zunge und erwidere den Kuss halbherzig, zumindest bis ich mich entscheide ihm in die Zunge zu beißen, doch leider komme ich nicht dazu.

Farik lächelt und geht auf Abstand. „Zieh dich an und komm herunter in die Halle.ˮ

Ich wische mir mit dem Handrücken über die Lippen. „Ich bin nicht sein Eigentum...ˮ, murmele ich wütend. Wenn ich das nicht sein will, muss ich den Spieß umdrehen. Ich muss ihn mir hörig machen. Nur wie stellt man das bei einem Mann an, der sich nichts sagen lässt? Der sich nimmt was er will. Zur Not auch mit Gewalt.

Seufzend stehe ich auf und ziehe mir die Klamotten über. Zum Glück keine komischen Gewänder. Ich ziehe mir ein blaues Hemd zum Zuknöpfen an und dazu eine schwarze Stoffhose. Auch polierte schwarze Schuhe hat der Diener mir dagelassen. Ich gehe herüber zum Spiegel an der Wand und bleibe unschlüssig davor stehen. Ich habe ganz vergessen, dass mein Spiegelbild fortan nicht mehr vorhanden sein wird. Ich zupfe an meinem Hemd und verlasse schließlich das Zimmer.

Orientierungslos irre ich eine Weile durch das große Haus. Nicht mal die Treppe nach unten finde ich auf Anhieb wieder. Schließlich lande ich in der Eingangshalle und warte ungeduldig. Wieso lasse ich mich auf diesen ganzen Mist ein? Ich hätte es boykottieren und auf meinem Zimmer bleiben sollen.

Der Butler kommt mir entgegen und deutet mir an ihm zu folgen. Schweigend laufe ich ihm hinterher. Er öffnet eine Seitentür, versteckt hinter einem roten gemusterten Wandteppich und lässt mich eintreten. Er schließt die Tür hinter mir. Überrumpelt drehe ich mich um. Den Rest des Weges muss ich wohl alleine zurücklegen. Vor mir liegt eine Steintreppe, die nach unten in die Finsternis führt. Lediglich der schwache Lichtschein einer Fackel an der Wand erhellt den dunkeln Gang. Ich greife nach der rauen Wand und laufe die Stufen unsicher herunter. Am liebsten würde ich umdrehen und aus diesem Haus flüchten. Irgendetwas bereitet mir gewaltiges Unbehagen. Nicht erst jetzt, schon seit ich dieses Haus betreten habe.

Auf halber Strecke mache ich Halt und sehe zurück. Langsam setze ich den Weg fort und erreiche schließlich eine verschlossene schwere Eisentür. Skeptisch bleibe ich davor stehen. Ich lege nicht wirklich wert darauf diese Tür zu öffnen. Ich will nicht wissen was sich dahinter verbirgt. Eine Weile hadere ich mit mir und gerade als ich mich umdrehen will um die Treppe hochzulaufen öffnet sie sich. Mein Herz macht einen kurzen Aussetzer und sofort dränge ich mich an die Wand. Eine Frau sieht mich überrascht an. Sie hat rote Locken und trägt ein figurumspielendes dunkelrotes Abendkleid. Der Schlitz im Stoff geht hinauf bis zu ihrem Oberschenkel. Ihre üppige Oberweite springt beinahe aus ihrem Dekolleté.

„Oh, hier ist doch jemand! Ich dachte, ich habe mich geirrt!ˮ, meint sie und mustert mich interessiert. „Tritt ein!ˮ, fordert sie mich auf und zögernd folge ich ihr. An einer langen Tafel sitzen mehrere fremde Leute und sehen mich an. Ich merke, dass ich nicht wirklich willkommen bin. Wo ist Farik? Ich entdecke ihn am Ende der Tafel. Er schaut kurz zu mir, unterhält sich allerdings mit dem Mann neben sich. Unbeholfen bleibe ich an der Tür stehen und nestele nervös an meinem Ärmel herum. Ich fühle mich unwohl und will einfach nur weg.

Der Raum ist wie ein schmaler Schlauch angelegt. Mir gegenüber am Ende der Tafel befinden sich bodenhohe Vorhänge und an den langen Seiten stehen Kommoden bedeckt mit Kerzen, Blumen und allerlei anderen Accessoires. Über dem Esstisch hängt ein riesiger Kronleuchter.

Schließlich steht Farik auf und kommt auf mich zu. Er legt mir einen Arm um die Schultern und führt mich an die Tafel heran. Die Gespräche verstummen und alle blicken zu uns.

„Heute Abend möchte ich einen ganz besonderen Gast in unserer Runde willkommen heißen. Andreas Lehmann.ˮ

Tja, Beifall kann ich wohl kaum erwarten. Die Runde schweigt beharrlich und betrachtet mich teils skeptisch, teils neugierig.

„Sag nicht, du hast deinen letzten Lover mal wieder unter die Erde gebracht!ˮ, ertönt es amüsiert von der rothaarigen Schönheit.

Entsetzt sehe ich zu Farik auf, der sich nichts anmerken lässt. „Andreas ist einer von uns. Ich habe ihn unter meine Fittiche genommen und von nun an wird er bei mir leben. Ihr werdet ihn mit Respekt behandeln!ˮ Seine feste Stimme lässt keine Widerworte zu. Einigen der Anwesenden ist es anzusehen, dass es ihnen nicht in den Kram passt. Dass ich ihnen gänzlich ungelegen komme. Ich habe es mir ja nicht ausgesucht. Ich wollte nicht einer von ihnen werden. Ich lasse den Blick über die Männer und Frauen schweifen. Sind sie alle Vampire? Sie sehen so normal aus.

Farik dirigiert mich zu einem leeren Stuhl an seiner Seite. „Nun denn, möge das Fest beginnen!ˮ, ruft er aus und erhebt sein Glas. Ich blicke auf das vor mir, aber es ist leer, also sehe ich zu wie alle ihre Gläser in die Luft heben und erschrecke mich zu Tode als hinter Farik der Vorhang hochgezogen wird. Ich dachte, der wäre nur eine Verzierung!

Stattdessen befindet sich dort eine Art Bühne wie in einem Theater. Ein paar Leute sitzen auf dem Boden. Gefesselt und geknebelt. Mir sträuben sich die Nackenhaare als sie sich ängstlich mit geweiteten Augen umsehen und klägliche Laute von sich geben.

„Such dir einen aus.ˮ Farik sieht mich auffordernd an.

„Wa-was?ˮ, frage ich irritiert und sehe von den Geiseln zu ihm und wieder zurück.

Farik lächelt. „Du sollst dir einen aussuchen. Mach schon!ˮ

„Wieso?ˮ, frage ich und verschränke die Arme vor der Brust.

„Damit du das Blut trinken kannst. Was denn sonst?ˮ

Fassungslos sehe ich Farik an. „So etwas tue ich nicht! Das ist barbarisch!ˮ Abrupt stehe ich auf, so dass mein Stuhl nach hinten umkippt und polternd zu Boden fällt. Alle sehen zu uns. „Ihr seid doch nicht ganz dicht im Kopf! Ihr seid Monster! Zum Teufel mit euch! Ach was! Nicht mal der will euch haben!ˮ Aufgebracht trete ich zurück und renne zur Tür, doch ein Mann stellt sich mir sofort in den Weg.

„Was soll das?ˮ, frage ich wütend und bekomme es langsam mit der Angst zu tun. Was ist das hier für ein seltsames Treffen? Was sind das für kranke Menschen?

Ich sehe zurück zu den Anderen. Sie wirken sichtlich brüskiert über mein Verhalten.

Farik winkt einen Mann zu sich heran, der sich eine zeitlang im Schatten an der Wand des Raumes aufgehalten hat und den ich vorher gar nicht richtig bemerkt habe. Farik flüstert ihm etwas ins Ohr. Der Mann durchquert den Raum und packt mich am Oberarm. Er zerrt mich nach draußen, die Treppe hinauf und bringt mich zurück in mein Zimmer. Er öffnet die Tür und schubst mich grob in den Raum. Ich stürze zu Boden und kann mich gerade noch so eben mit den Händen beim Aufprall abstützen.

Nach wenigen Minuten kommt Farik ins Zimmer gestürmt, auf mich zu und schlägt mir die Faust ins Gesicht. „Macht dir das Spaß? Mich vor allen zu blamieren? Muss ich dir erst Manieren einprügeln?!ˮ, brüllt er mich an und schlägt auf mich ein. Schützend halte ich mir die Hände vor den Körper und kauere mich zusammen.

Irgendwann scheint er genug zu haben und lässt von mir ab. Ich wage es nicht die Augen zu öffnen und rühre mich nicht. Mein Gesicht fühlt sich seltsam angeschwollen an. Ich sehe zu Farik auf, der sich neben mir auf den Boden sinken lässt und sich durch die Haare fährt. Ich schniefe und sehe ihn verletzt an. Meine Lippen zittern vor Wut. „Du bleibst den Rest des Tages auf deinem Zimmer.ˮ Ächzend erhebt er sich und verlässt den Raum. Ich bleibe am Boden liegen, vergrabe mein Gesicht heulend in den Händen, will einfach nur noch nach Hause und wünsche mir, dass dieser Schrecken endlich ein Ende nimmt.

Ich schleppe mich ins Bett und verstecke mich unter der Decke, nachdem ich mich von den Schuhen befreit habe.
 

Laute Stimmen reißen mich aus dem Schlaf. Ich schrecke hoch und die Tür öffnet sich abrupt. Ein junger Mann wird unter lautem Protest in mein Zimmer gezerrt. Verwirrt sehe ich zu den Männern, die ihn ohne irgendwelche Erklärungen auf mein Bett befördern und dort an einer der vier hochstehenden Säulen am Bettgestell mit einem Seil festbinden.

Sie lassen uns ohne eine Erklärung alleine zurück.

Der Junge spricht schnell und ängstlich in einer Sprache, die ich nicht verstehe. Arabisch, vermute ich. Er zerrt an den Fesseln und sieht mich mit großen Augen an. Er ist in meinem Alter, trägt ein weißes verwaschenes Shirt sowie eine braune Hose, schwarze Schuhe und hat dunkelbraunes kurzes Haar. Er kauert sich ans Bettende ohne mich aus den Augen zu lassen. Irritiert starre ich ihn an und rücke selbst auf Abstand. Was soll das werden?

Wir beäugen uns skeptisch bis wir einfach nur noch unseren Gedanken nachhängen. Ich ziehe meine Bettdecke höher und erinnere mich, dass ich den Jungen unten bei den anderen Leuten gesehen habe. Wieso wurde er auf mein Zimmer gebracht?
 

Der Tag neigt sich langsam dem Ende entgegen und mein Magen beginnt zu knurren. Es ist unüberhörbar. Der Junge schreckt zusammen und sieht mich mit großen Augen an. Er jammert und beginnt wieder panisch an seinen Fesseln zu zerren. Ich krabbele langsam über das Bett und greife nach dem Seil. Wieder spricht der Junge ohne Punkt und Komma und rückt von mir ab. Ich greife nach dem Knoten und versuche ihn zu lösen, aber er wurde so festgezurrt, dass sich der Knoten kaum öffnen lässt. Verzweifelt zerre ich daran. Es ist auch nicht gerade hilfreich, wenn der Junge selber am Ziehen ist und den Knoten damit nur noch fester macht.

Seufzend gebe ich es auf. Das hat einfach keinen Sinn. Ich sehe mich im Zimmer um, aber ich bezweifle, dass hier so etwas Scharfes wie ein Messer herumliegt. Ich lecke mir über die Zähne. Die sind aber immer noch stumpf. Wenn ich das Seil wenigstens durchnagen könnte.

Ich raufe mir den Kopf und sehe zu dem heulenden Jungen. Erst jetzt fällt mir auf wie sehr es mich nervt, aber ich bin ja auch nicht besser, bin ständig am Heulen wie ein Kleinkind und unternehme einfach nichts. Es wird langsam Zeit etwas zu tun.

Schon im nächsten Moment trete ich so fest ich kann gegen diese blöde Säule am Bett. Noch mal und noch einmal. So fest ich kann. Ich höre ein Knarzen, aber viel tut sich noch nicht. So leicht gebe ich mich jedoch nicht geschlagen. Der Junge hilft mir nun auch, tritt selber zu und dann endlich gibt das dicke Holz nach. Es kracht und die Säule fällt polternd zu Boden. Da wurde wohl am Material gespart.

Hastig versuchen wir gemeinsam das festgezurrte Seil nach oben zu ziehen. Es ist anstrengend und wir haben Mühe, aber es klappt. Nach oben hin geht es sogar leichter, weil die hervorgehobenen Verzierungen nicht mehr im Weg sind. Jubelnd ziehen wir das Seil hoch. Der Junge schreit auf und sieht auf den Arm. Er hat sich am zerborstenen Holz des Bettgestells geschnitten.

Wie hypnotisiert starre ich auf die blutige Wunde. Der Junge jammert und versucht die Fessel am Handgelenk zu befreien. Ich greife nach seiner Hand woraufhin er inne hält. Ich schlucke mehrmals und kann den Blick nicht von dem Blut abwenden. Abgehackt atmend senke ich den Kopf, strecke die Zunge heraus und lecke genüsslich über die Wunde. Der Junge redet auf mich ein und versucht meinen Kopf wegzuschieben. Er schreit und tritt panisch nach mir. Ich sehe zu ihm und mein Blick verweilt sofort auf seinem Hals. Ich spüre wie es mich erregt und stoße ihn rücklings auf die Matratze. Überrascht fällt er hintenüber und versucht mich abzuwehren. Er schlägt mir die Faust an den Kopf. Ich packe seine zusammengebundenen Handgelenke und halte sie über sein Haupt, lege mich auf ihn und lecke über seinen verschwitzten Hals. Er brüllt, zappelt und windet sich unter mir. Mit der freien Hand gleite ich über seine Brust und zerre an seinem Hemd, reiße es auf und lasse meine Finger wolllüstig über seine nackte Brust wandern. Ich beiße in seinen Hals, aber ich spüre kein Blut an meinen Zähnen. Ich lecke über die Haut und beiße erneut zu. Wieder klappt es nicht. Dann fester und zerre unnachgiebig an der Haut. Der Junge unter mir schreit lauthals. Er heult und schreit auf mich ein, doch ich verstehe ihn nicht. Kann ihn in meinem Zustand kaum selbst wahrnehmen. Als hätte jemand einen Schalter in meinem Kopf umgedreht. Immer fester beiße ich in die malträtierte Haut. Dann endlich spüre ich wie sich meine Zähne verändern und vergrabe sie tief in dem verwundeten Fleisch. Verlangend und wie in einem Rausch sauge ich das Blut aus seinem Hals und kriege kaum genug davon. Die Zeit scheint ewig anzudauern, aber seine Stimme wird leiser bis er schließlich keinen Ton mehr von sich gibt und keuchend trinke ich immer und immer weiter. Ich halte inne und lecke über meine Lippen. Zufrieden schließe ich meine Augen und lasse den Kopf auf die Schulter des Jungen sinken um mich ganz dem Nachklang dieses Genusses hinzugeben.
 

Als ich wieder aufwache ist es Abend. Verschlafen reibe ich mir über die Augen. Auf wem liege ich? Dale?

Ich hebe den Kopf an und sehe auf den Jungen unter mir. Seine Augen sind geschlossen und sein Körper eiskalt. Hastig rappele ich mich auf und rutsche von ihm herunter. Zögernd strecke ich die Hand aus und berühre ihn ängstlich.

„Hey, alles okay mit dir?ˮ, frage ich besorgt, doch er rührt sich keinen Zentimeter. Ich schlucke und sehe mich hilflos um. War ich das etwa? Was habe ich da angerichtet? Ich wollte ihm doch helfen!

„Komm schon! Wach auf!ˮ, rede ich auf ihn ein und rüttele an seinem Körper. „Ich wollte das nicht. Es tut mir so leid. Das wollte ich nicht!ˮ, jammere ich panisch. „Wach auf, bitte! Bitte!ˮ

Er ist noch so jung. In meinem Alter und nun ist er tot. Ich sacke in mich zusammen und schaue auf den leblosen Leib des fremden Jungen. „Was mache ich denn jetzt?ˮ Ich wische mir die Tränen aus den Augenwinkeln und klettere vom Bett. Die Tür lässt sich zu meinem Kummer nicht öffnen was meine Panik nur noch mehr anstachelt. „Macht auf!ˮ, brülle ich und hämmere unablässig mit den Fäusten an die Tür. „Macht auf! Lasst mich hier raus! Bitte! Ich will hier raus!ˮ

Ich sinke an der Tür zu Boden. Über die Schulter sehe ich zurück zum Bett auf dem die Leiche liegt.
 

Stunden später kommen die zwei Männer wieder ins Zimmer. Ohne mit der Wimper zu zucken holen sie den Leichnam. Ich sitze zusammengekauert in einer Ecke des Raumes und sehe ihnen wie in Trance nach. Sie gehen an Farik vorbei, der draußen steht, mich ansieht und zu mir ins Zimmer kommt. Er schließt die Tür hinter sich und lehnt sich dagegen.

Ich schniefe und wische mir über die Augen.

Farik sieht mich ernst an. Er kommt auf mich zu und hockt sich vor mich.

„Ich habe ihn umgebracht...ˮ

„Es ist schwierig sich zu beherrschen, nicht wahr?ˮ Seine Stimme klingt ruhig und entspannt. Er lehnt sich neben mich an die Wand. „Es dauert eine Weile bis man die Gier nach Blut unter Kontrolle bekommen hat.ˮ

„Ich wollte das nicht. Er hatte doch solche Angst...ˮ Heulend wische ich mir über die Augen. Farik zieht mich an sich. Ich sollte ihn von mir stoßen. Er hat mir den Jungen immerhin ins Zimmer bringen lassen. Ich lasse mich resigniert in eine Umarmung ziehen und schließe die Augen. „Ich will wieder nach Hause!ˮ, flehe ich ihn an. „Ich kann dir nicht geben was du von mir verlangst.ˮ

Ganz langsam knöpft er mein Hemd auf. „Doch, das kannst du. Du musst es nur zulassen, akzeptieren wer du jetzt bist und dich mir endlich öffnen.ˮ Farik senkt den Kopf und küsst sich über meine Brust. Ich sehe zu ihm herunter. Mit jedem weiteren Knopf legt er meine Haut frei. Seine Lippen wandern immer tiefer.

Mein Blick fällt zur offenen Tür. Farik greift in meinen Schritt und unwillkürlich stöhne ich auf. Ich schubse ihn heftig von mir, rappele mich auf und eile aus dem Zimmer. Ich renne zur Treppe, laufe sie herunter und falle dabei beinahe zu Boden, kann mich allerdings gerade noch am Geländer festhalten, taumele weiter und renne durch die große Halle. Ich kann hören wie Farik nach mir ruft. Seine Stimme hallt durch das große Anwesen.

Panisch hechte ich zur großen Haustür und rüttele daran, doch sie ist verschlossen. Ich laufe zu den anderen Türen, aber die führen nur in fensterlose Räume. Eine Bibliothek, ein Arbeitszimmer...

Hier gibt es keinen Ausgang, stelle ich verzweifelt fest. Farik steht oben an der Treppe und sieht zu mir. Es gibt kein Entkommen.

„Dachtest du, ich mache es dir so einfach?ˮ, fragt er mit kalter Stimme. Ich weiche zurück. „Du Psycho!ˮ, schreie ich ihn wütend an.

„Sei ein braver Junge und komm nach oben!ˮ, fordert er mich auf. Ich bleibe störrisch in der großen Halle stehen.

„Komm her!ˮ, brüllt er gereizt.

Ich atme tief durch. Ich kann hier nicht weg und eine Waffe bringt mir bei einem Vampir auch nicht viel. Es gibt hier nicht mal etwas womit ich mich zur Wehr setzen könnte. Widerstrebend gehe ich langsam die Treppe hoch. Farik hält mir seine Hand entgegen. Gereizt ergreife ich sie. Er packt grob zu und schleift mich hinter sich her.

Er öffnet eine Tür am Ende des Ganges. Farik schaltet einen Lichtschalter an und unbehaglich sehe ich mich in dem erhellten Raum um. Wir befinden uns in einem Schlafzimmer. Farik schließt die Tür und zieht mich zum Bett. Ich lasse mich auf der weichen Matratze nieder und wehre mich nicht als er mich unsanft entkleidet. Er zieht sich aus und steigt zu mir aufs Bett. Ich sehe ihm nicht ins Gesicht als er mich an der Schulter küsst und in die Laken drückt. Ich spüre das Kissen unter meinem Kopf und starre an die Decke. Ich ärgere mich über mich selbst. Wie konnte ich nur so dumm sein? Ich habe mich für blöd verkaufen lassen und habe nicht mal Dale über meine Aktion in Kenntnis gesetzt.

Gefangen in einem goldenen Käfig

Als ich am nächsten Morgen aufwache liegt Farik hinter mir. Wieso lasse ich zu, dass er mich so behandelt? Habe ich das verdient? Wieso hat er mich zu einem Vampir gemacht? Damit er auf immer und ewig ein williges Betthäschen hat?

Ich entziehe mich seinen Armen, setze mich im Bett auf, vergrabe mein Gesicht in den Händen und atme tief durch. Ich muss ruhig bleiben. Dale wird schon merken, dass ich weg bin und dann stellt er Nachforschungen an und holt mich hier weg.

Und wenn nicht?

Wenn niemand kommt?

Farik regt sich hinter mir. Er rutscht näher an mich heran und küsst sich meinen Rücken entlang. Seine Hände streichen über meine Haut. Er greift nach meiner Schulter und zieht mich zurück ins Bett. Ich lege mich hin und sehe zu wie er sich über meinen Oberkörper küsst.

„Was bin ich für dich?ˮ, frage ich ihn matt.

Farik hebt den Blick als er über meinen Nippel leckt. „Ein netter Zeitvertreib.ˮ

Ich schlucke und wende den Blick ab. „Hast du mich hierher geholt damit du mich jederzeit ficken kannst wie es dir beliebt?ˮ

Farik seufzt und lässt von mir ab. „Du bist mein Gefährte.ˮ

Mit zusammengezogenen Augenbrauen sehe ich ihn an. „Du bist nicht wie ein Entführer. Du hast irgendetwas im Sinn, nur blicke ich nicht dahinter. Ich verstehe nicht was du dir von mir erhoffst. Dass ich die Beine breit mache? Willst du jemanden haben, den du herumkommandieren kannst? Was?! Was willst du von mir?!ˮ

Farik setzt sich auf. Er wirkt ein wenig verärgert. „Du bist der Köder.ˮ

Irritiert sehe ich ihn an und setze mich ebenfalls im Bett auf.

„Hunter Reed und ich sind hinter den beiden Geschwistern her. Um an sie heranzukommen habe ich dich verschleppt. Du bist naiv und es war ein leichtes Spiel dich von ihnen wegzulotsen. Wenn ihnen genug an dir liegt werden sie nach dir suchen und dann klappt die Falle zu. Im Grunde genommen bist du nur ein Spielball. Es ging die ganze Zeit nicht um dich.ˮ Farik legt mir seine Hand an die Wange. „Was aus dir wird ist vollkommen egal. Du bist nichts wert. Du siehst nicht einmal schön aus mit deinen Verbrennungen im Gesicht.ˮ

Schluckend sehe ich ihn an und versuche zu realisieren was er mir da erzählt.

„Wir haben nachgeforscht und schnell wurde uns klar, dass unser Weg nur über dich zu Dale und Elaine führt.ˮ Farik erhebt sich vom Bett und beginnt sich anzukleiden.

Ich starre wie betäubt auf die Decke in die sich meine Finger krallen. „All das war nur ein abgekartetes Spiel?ˮ, frage ich leise.

„Du bist nun ein Vampir und ich dein Meister.ˮ Farik kommt zu mir und beugt sich über mich. Ich sehe auf. Dicht vor meinem Gesicht hält er inne. „Wenn ich die Geschwister an meiner Seite habe und Reed beseitige kann ich eine neue Weltmacht heraufbeschwören. Wir Vampire werden die neuen Götter sein. Die Menschen werden uns unterliegen und zu unseren Sklaven. Wir machen sie zu Vampiren, unseresgleichen und dann beginnt ein neues Zeitalter. Der Mensch ist wie ein widerwärtiges Insekt, doch mit den Fähigkeiten eines Vampires können wir so vieles erreichen. Du wirst sehen, es wird der Tag kommen an dem die Menschheit untergeht und wir aus den Schatten treten um uns das zu nehmen was uns immer vorenthalten blieb. Die Nacht wird regieren und Vampire erhobenen Hauptes in die Zukunft blicken. Vergessen wird die Zeit sein, in der wir in der Dunkelheit leben mussten. Keine Geheimniskrämerei mehr. Kein Leben im Verborgenen. Wir werden frei sein und danach streben wir schon so lange. Nach Freiheit!ˮ

Farik lächelt und zieht sich zurück. Er verlässt das Zimmer und noch immer klingen seine Worte in meinem Kopf nach. Ich fühle mich wie betäubt. Der Schlüssel zur Freiheit sind diese beiden Geschwister, doch was ist so besonders an ihnen?

Dale hat schon einmal angedeutet, dass er anders ist als normale Menschen. Doch was bedeutet das?

„Dale, komm nicht hierher. Bitte, komm nicht...ˮ, murmele ich leise.
 

Den Tag verbringe ich alleine in Fariks Schlafzimmer. Gelangweilt nehme ich es auseinander, doch sehr viel finde ich nicht. Die Schränke sind leer und mich überkommt das Gefühl, als wäre dies hier gar nicht sein richtiges Zimmer, nur eines von vielen in diesem großen unübersichtlichen Haus.

Da meine Kleidung blutüberströmt ist hat mir mal wieder ein Diener neue gebracht. Eine schwarze Stoffhose und ein weißes Hemd zum Zuknöpfen.

Gelangweilt sitze ich auf dem Bett herum. Mein Blick fällt auf die zerwühlten Laken. Abwesend streiche ich mit der Hand einige Falten glatt.

Wenn ich mich nicht wehre und es zulasse ist der Sex gar nicht so schlimm. Ich empfinde zwar keine Freude daran und ekele mich regelrecht beim Akt, aber es ist auszuhalten. Farik ist zärtlicher, wenn ich mich nicht dagegen sträube und hat sich diesmal sogar genug Zeit gelassen um mich vorzubereiten. Trotzdem. Es bestärkt mein Gefühl nur. Diesen Ekel davor mit einem Mann zu schlafen. Ich fand den Gedanken daran vorher schon nicht sehr verführerisch. Und jetzt...?

In Dales Anwesenheit war ich nie richtig ich selbst, seit Farik mich zu einem Vampir gemacht hat. Von mir aus... Hätte ich jemals von mir aus mit ihm schlafen wollen? Ohne dieses wolllüstige Gefühl eines Vampires, der danach lechzt diesen anderen Körper in Besitz nehmen zu wollen?

Nein, ich wollte Dale schon vorher nahe sein.

Meinen Kopf vergrabe ich in den Händen und seufze. Ich wünschte er wäre jetzt hier. Hier bei mir.

Ein weiterer Seufzer entfährt mir als ich mich rücklings ins Bett fallen lasse und deprimiert an die Zimmerdecke starre.

Wenn ich mich in mein Schicksal füge, kann ich Farik vielleicht umstimmen? Ihn davon abhalten Dale und Elaine für seine Zwecke auszunutzen. Und wenn es mir nicht gelingt?

Meine Hand gleitet über meine verbrannte Wange. Farik hat mir klar gemacht, dass ich für ihn wertlos bin. Er schläft mit mir um sich zu vergnügen, aber wirklich etwas für mich empfinden tut er nicht. Er findet mich hässlich.

Ich lache freudlos auf, ehe ich mich aufrichte und vom Bett erhebe. Ich schlurfe durch den Raum und gehe zur Tür. Sie lässt sich zu meiner Verwunderung öffnen. Irritiert werfe ich einen Blick aus dem Zimmer. Draußen ist ebenfalls niemand zu sehen. Hält Farik es nicht für nötig mich zu kontrollieren?

Als ich einen Schritt aus dem Zimmer wage pralle ich mit dem Fuß gegen einen Gegenstand. Es klirrt leise. Ich blicke herunter. Auf einem Tablett steht ein einzelnes Glas. Wein? Ich greife danach und sofort strömt mir die blutige Note in die Nase und bringt mein eigenes Blut in Wallung. Obwohl mir ein wenig schlecht wird stürze ich das Blut die Kehle hinunter ohne das Glas auch nur einmal abzusetzen. Nach dem letzten Schluck stelle ich das Glas zurück und fühle mich schon etwas besser. Fariks Blut schmeckt wirklich ausgezeichnet. Viel besser als das des Jungen von gestern.

Ich lehne mich an die Wand und greife mir an die Stirn. Noch immer fühle ich mich schlecht, wenn ich an ihn denken muss. Ich wollte ihm helfen und stattdessen habe ich ihn umgebracht. Wie soll ich meinen Blutdurst nur jemals unter Kontrolle bringen?

„Vielleicht ist es wirklich besser, wenn ich hier bleibe und Dale nicht kommt. Ich bin für alle eine Gefahr...ˮ, murmele ich frustriert und versuche dieses Gefühl der Hilflosigkeit herunterzuschlucken. Ich sinke zu Boden und atme tief durch. Ich werde sie nie wieder sehen können. Meine Eltern, Melanie, Dale und Elaine...

Mein menschliches Leben ist vorbei. Ich werde nur noch als Vampir leben, mich der Dunkelheit hingeben und nie wieder richtiges Tageslicht sehen können. Ich schlucke und wische mir eine vorwitzige Träne aus dem Augenwinkel.

„Ich bin ein Monster...ˮ, flüstere ich verzweifelt.
 

Als Farik abends heimkommt, sitze ich auf den Stufen der großen Treppe in der Eingangshalle. Mein Kopf lehnt an den Sprossen des Geländers und haftet auf dem Mann in Gewand und Kopftuch, der ins Haus kommt und sich dem Stoff am Kopf entledigt. So entgeht er zumindest einem Großteil der Sonneneinstrahlung. Auch die Sonnenbrille reicht er dem Butler, der ihm alles abnimmt und kommt schließlich zu mir.

„Wie war dein Tag?ˮ, fragt Farik desinteressiert und bleibt einige Stufen unter mir stehen.

„Ereignislos...ˮ, murmele ich und weiche seinem Blick aus.

„Hast du Durst?ˮ

Matt nicke ich und so setzt Farik sich neben mich und hält mir seinen Arm hin. Widerwillig richte ich mich auf und beuge mich darüber. Meine Lippen gleiten über die Haut und diesmal klappt es reibungslos meine Zähne auszufahren und sie in die Haut des Mannes zu bohren. Mit beiden Händen greife ich nach seinem Arm und trinke gierig. Ich schließe die Augen und spüre seine freie Hand, die durch meine Haare streicht. Eine Weile sitzen wir auf der Treppe bis er mich von sich fort schiebt und aufsteht. Ich lecke mir über die blutigen Lippen und sehe zu ihm auf.

Ohne ein weiteres Wort kehrt Farik mir den Rücken zu und steigt die Treppen hinauf. Er biegt nach rechts ab und da ich ohnehin nichts zu tun habe folge ich ihm.

Farik läuft auf eine Zimmertür zu und tritt ein. Unschlüssig bleibe ich stehen, obwohl er die Tür offen gelassen hat. Nach einigen Minuten des Zauderns trete ich doch ein und sehe mich um. Es handelt sich um ein kleines Lesezimmer. Sehr groß ist der Raum nicht. Mit der Bibliothek im Haus kann es zumindest nicht mithalten. Farik sitzt an einem Schreibtisch und rastlos lasse ich mich in einem Besucherstuhl ihm gegenüber nieder.

Er beachtet mich nicht als wäre ich gar nicht anwesend.

„Wofür brauchst du Dale und Elaine?ˮ, frage ich Farik nach einer Weile, während ich ihm einfach nur zugesehen habe wie er Papiere durchgeht. Er schaut kurz auf, doch nur für einen Moment.

„Das hat dich nicht zu interessieren.ˮ

„Das tut es aber!ˮ, erwidere ich störrisch.

Farik hält inne und lässt die Dokumente in seiner Hand sinken. „Was weißt du über Vampire?ˮ

„Eine ganze Menge. Einiges ist wahr, doch andere Dinge sind an den Haaren herbeigezogen und seit den Jahren hat sich vieles geändert.ˮ

„Dale und Elaine sind etwas Besonderes.ˮ

„Inwiefern?ˮ Stirnrunzelnd sehe ich zu meinem Gegenüber.

„Dir mag es noch nicht aufgefallen sein, doch Dales Blut macht es möglich, den Geruch von Vampiren zu überdecken.ˮ

„Das weiß ich bereits.ˮ

„So macht er es uns schwieriger sie zu finden. Das kleine Mädchen, das Elaine gebissen hat war eines unserer ersten Vorfahren. Sie hat dir sicherlich nicht erzählt was mit dem Mädchen anschließend passiert ist oder?ˮ

„Nein, ich glaube nicht.ˮ So richtig daran erinnern kann ich mich nicht mehr.

„Sie ist tot. Elaines Blut ist Gift für Vampire.ˮ

Erstarrt sehe ich den Mann vor mir an.

„Der Bruder schenkt Leben, die Schwester nimmt es. Es ist perfekt!ˮ Farik lacht laut auf. Erschrocken zucke ich zusammen. „Und du! Du wirst dafür sorgen, dass sie hierher kommen!ˮ

„Was?ˮ, frage ich skeptisch.

„Du wirst Kontakt zu ihnen aufnehmen und dafür sorgen, dass beide herkommen. Sag ihnen hier seien sie sicher, dass ich Reed nur benutzt habe und sie sich in diesem Haus nie mehr fürchten müssen.ˮ

Zweifelnd sehe ich den Mann an. Farik scheint sehr von seiner Idee überzeugt zu sein.

„Nein, das tue ich nicht.ˮ Entschlossen sehe ich zu ihm. Fariks Lächeln verschwindet augenblicklich.

„Wie bitte?ˮ, fragt er lauernd.

Ich presse meine Lippen aufeinander und schüttele entschieden den Kopf. „Ich werde sie nicht hierher locken.ˮ

Farik seufzt und lächelt. „Ja, das habe ich befürchtet.ˮ

Er steht auf, kommt um den Tisch herum und geht vor mir auf die Knie. Er zwängt sich zwischen meine Beine und greift nach meinen Händen, küsst beide Handrücken und blickt zu mir auf. „Es hat auch Vorteile für dich. Du kannst mit ihm zusammen sein. Das willst du doch oder nicht? Du willst in Dales Armen liegen und von ihm gehalten werden, nicht von mir. Ich sehe es dir doch an. Du liebst ihn und verzehrst dich nach ihm.ˮ

Ich schlucke unwillkürlich und weiche seinem Blick mit dem falschen Lächeln aus. Fariks Hände gleiten über meinen Körper und Knopf um Knopf öffnet er mein Hemd. Seine Lippen küssen sich meinen Brustkorb entlang. „Du willst seine Hände und Lippen spüren. Ist es nicht so?ˮ, flüstert er. Seine Lippen wandern hinauf zu meinem Hals. Unstet irrt mein Blick durch den Raum. „Du willst sein Blut kosten und seine zarten Lippen in Besitz nehmen...ˮ Fariks Mund drückt sich auf meinen. Ich kneife die Augen zusammen und stemme meine Hände gegen seine Schultern. „Nein! Nein! Ich will ihn nicht in Gefahr bringen!ˮ, erwidere ich und versuche Abstand zwischen mich und Farik zu bringen.

„Dann lässt du mir keine andere Wahl!ˮ Seine Stimme ist auf einmal eiskalt und mit einem kraftvollen Ruck zieht er mich vom Stuhl. Ich stolpere hinter ihm her, als er mich aus dem Lesezimmer zerrt. Ängstlich sehe ich mich um, doch von den Dienern ist weit und breit niemand zu sehen.

Wo bringt er mich hin?

„Farik? Bitte beruhige dich! Ich habe es nicht so gemeint! Ich wollte dich nicht verärgern! Bitte, tu mir nichts! Ich... I-ich...ˮ, jammere ich und stemme meine Beine in den Boden.

Wir sind wieder in der Eingangshalle. Farik lässt mich zu Boden fallen und geht zu einem Tastenfeld direkt neben der Eingangstür. Er gibt eine Nummer ein woraufhin es jedes Mal piept. Dann höre ich wie sich unter mir etwas surrend in Bewegung setzt. Der Boden unter mir zieht sich zurück. Hastig rutsche ich außer Reichweite und sehe zu wie die Bodenplatte verschwindet und stattdessen eine finstere gähnende Leere hinterlässt. Vorsichtig krieche ich näher heran und sehe, dass eine breite Treppe nach unten führt. Ich schaue über die Schulter hinweg zu Farik. Dieser hat sich aus einer Kommode nahe der Tür eine Taschenlampe geholt, schaltet sie an und bedeutet mir ihm zu folgen. Widerwillig tue ich es.

„Pass auf wo du hintrittst!ˮ, ermahnt er mich. Ich folge ihm zögernd. Mit jeder Stufe geht es immer tiefer in die Dunkelheit hinein und nach einer schier endlosen Zeit kommen wir schließlich unten an. Es sind Kellergewölbe und eine Art Labyrinth von Gängen erstreckt sich unter dem großen Anwesen. Staunend und ein wenig ängstlich laufe ich Farik nach, der zielsicher durch die Gänge geht. Nach einiger Zeit wird mir klar was das hier ist. Es ist eine Gruft. Überall in den Gängen sind kleine Kuhlen ausgehoben worden in denen Skelette lagern. Zumindest das was noch von ihnen da ist.

Der Gang weitet sich und mit einem Mal sind zu beiden Seiten vom Boden bis zur Decke Schädel an den Wänden zu sehen. Übereinander- und nebeneinander gestapelt nehmen sie beide Wände ein und starren uns aus ihren hohlen Augen an. Vor uns befindet sich ein kleiner Durchgang in einer Wand aus Erde an der sich keine Totenköpfe befinden.

Eine flackernde Fackel hängt daneben. Wir laufen durch den offenen Eingang und als Fariks Taschenlampe ziellos über die Wände irrt und den Raum erhellt wird mir klar, dass das hier das Ende der Reise ist.

„Darf ich vorstellen? Dein Vorgänger!ˮ, erklärt Farik und der Schein seiner Taschenlampe bleibt mir gegenüber an der Wand des Raumes hängen.

Ich schlucke und weiche bei dem grauenhaften Anblick einen Schritt zurück. Mir steigt der Geruch von Verwesung in die Nase, der bereits die ganze Zeit durch diese Gruft wabert und hier nun seinen Höhepunkt findet. Mit der Hand halte ich mir meine Nase zu, die dank meiner Verwandlung zu einem Vampir wesentlich intensiver auf derartige Gerüche reagiert.

Die Ketten klirren leise. Die Person an der Wand ist tot und doch lebt sie noch. Der Körper ist ein Schatten seiner selbst und mit der Zeit hat die Verwesung eingesetzt, die sich deutlich am Leib abzeichnet. Der ausgemergelte Körper hängt in Ketten gelegt an der Wand und starrt uns apathisch an. Der Blick wirkt wie in Trance, als wäre die Person nicht mehr hier sondern in ihrer eigenen Welt und hat längst mit dem diesseits abgeschlossen. Ein Schauder fährt mir über den Körper und ich weiche zurück. Der Mund öffnet sich, gibt einen hauchenden Ton von sich unterlegt von einem Geräusch, dass sich nur entfernt wie das eines Schweines anhört, das seinem Tod in die Augen blickt, nur sehr viel leiser. Ein leiser Schrei, der nicht von dieser Welt ist. Die Haut ist nur noch eine blasse Schicht über den Knochen und ich kann eindeutig die Knochen und Gelenke sehen. Die Haut selbst hat mit der Zeit einen gräulich blassen Ton angenommen und die Kleidung hängt schlapp am Körper herunter.

„Wie lange ist er schon hier unten?ˮ, frage ich flüsternd und kann den Blick kaum abwenden. Mein Puls rast und ich habe Angst, dass Farik dasselbe mit mir vor hat.

„Oh ich denke ein paar hundert Jahre sind es durchaus. Ist es nicht so, mein Lieber?ˮ, fragt Farik lächelnd und beugt sich vor. „Er sah so schön aus und nun sieh' ihn dir an. Abstoßend, nicht wahr?ˮ Farik kommt zu mir und legt einen Arm über meine Schultern. „Er war wie du, konnte sich nicht mit seinem neuen Schicksal abfinden und hat mein Geschenk für ihn mit Füßen getreten.ˮ Kopfschüttelnd wirft er theatralisch die Hände in die Luft. „Ich musste ihn wegsperren. Er wäre mir nur im Weg gewesen und hätte mich hintergangen. Wenn ich ihm überdrüssig werde, lasse ich ihn ein wenig in der Sonne brutzeln, aber noch... Noch möchte ich, dass er leidet und sich darüber im Klaren wird was er für einen dummen Fehler getan hat. Es hätte nicht so weit kommen müssen.ˮ

Farik tritt an den Mann heran und streicht über seine eingefallene Wange. Die Wangenknochen treten deutlich hervor. Er streicht ihm die wenigen noch verbliebenen Haarsträhnen aus dem Gesicht und lächelt versonnen. Es ist ein grotesker Anblick als Farik ihm einen sanften Kuss auf die Stirn gibt. Erneut gibt der Mann einen tonlosen krächzenden Laut von sich, der mir das Blut in den Adern gefrieren lässt als ich sehe, dass er keine Zunge mehr hat. Unwillkürlich blicke ich zum Ausgang. Ich will wieder nach oben. Weg von hier und diesem fürchterlichen Szenario.

„Ich möchte, dass du noch einmal über meine Bitte nachdenkst.ˮ Abrupt wende ich mich Farik zu, der nun dicht vor mir steht. Seinen Augen sehe ich an, dass es keine Bitte ist. Es ist ein Befehl.

„Ich sollte dich eine Weile hier unten bei ihm lassen damit du diese Situation etwas ernster nimmst in der du steckst.ˮ Farik geht an mir vorbei und für einen Moment bin ich wie vor den Kopf gestossen. Mit aufgerissenen Augen sehe ich zu dem Mann in Ketten und renne hastig Farik nach. Ich greife nach seinem Arm und reiße ihn zu mir herum, so dass er unwillkürlich gegen die Wand prallt. „Lass mich nicht hier unten!ˮ, flehe ich ihn an. „Nich bei ihm!ˮ

Farik hebt die Augenbrauen und sieht mich erstaunt an, dann werden seine Gesichtszüge jedoch weicher und er zieht mich an sich. „Du hast doch wohl keine Angst vor ihm?ˮ, flüstert er mir belustigt ins Ohr. Ich spanne mich an und kralle meine Finger in den Stoff seines Hemdes.

„Du bleibst hier! Du denkst darüber nach und dann wirst du mir mitteilen wie du dich entschieden hast!ˮ Kraftvoll stößt er mich von sich, so dass ich zu Boden falle und rücklings auf dem harten Grund lande. Für einen Moment bleibt mir die Luft weg und mein Schädel schmerzt vom Aufprall. Ich stöhne und fasse mir an den Hinterkopf als ich mich langsam aufrichte. Um mich herum ist es stockduster, nur der kleine Schein der Fackel draußen erhellt die dunklen Gänge.

Eilig rappele ich mich auf und stürme durch den Gang. „Farik? Farik!ˮ, brülle ich so laut ich kann und versuche den Weg zurück zu finden. Nach einiger Zeit wird es heller und erfreut sehe ich die große Treppe die nach oben führt. Farik läuft sie hinauf und so schnell ich kann folge ich ihm.

Ganz oben dreht er sich mir zu. Als ich jedoch die letzten Stufen überwinde, höre ich das bekannte Surren und bemerke wie die Bodenplatte hervorkommt und sich über mir schließt. „Nein! Nicht! Farik, lass mich nicht hier unten! Bitte nicht! Farik!ˮ Panik kriecht in mir auf, nimmt schleichend Besitz von meinem Körper und schreiend hämmere ich mit den Händen an die Platte über mir die nur noch einen dumpfen Laut von sich gibt als sie sich schließt. „Farik!!!ˮ

Dunkelheit herrscht rings um mich herum und ängstlich kauere ich mich auf den Stufen zusammen. Ich höre meinen Atem, den ich abgehackt ausstoße und das Blut rauscht mir in den Ohren. Angestrengt lausche ich und achte auf jedes noch so kleine Geräusch und obwohl ich weiß, dass hier unten in der Gruft außer dem angeketteten Mann niemand ist, so fürchte ich mich trotzdem und presse mich eng an die erdige Wand nahe des rettenden Ausgangs, der direkt vor mir liegt und doch den Weg nach draußen versperrt.

Bonusgeschichte: Sheikh

Ich mag Anzüge, sie sind so viel ansehnlicher als diese bodenlangen Thawbs, die man als Scheich normalerweise trägt. Mein Vater ist als Erbe seines Vaters zu einem Ölscheich geworden. Der Reichtum kam also nicht plötzlich. Ich bin damit aufgewachsen, genieße es in vollen Zügen und habe mir all meine Wünsche erfüllt. Das Problem daran ist, wenn man alles haben kann wird das Leben schnell langweilig und eintönig. Ebenso die Kleidung. Ich finde es erfrischend, dass die Jugend sich mittlerweile auch im westlichen Stil kleidet. Ich betrachte mich im Spiegel und sehe an mir herunter. Ich sollte es mit Stolz tragen. Jeder Araber, der etwas auf sich hält trägt einen Thwab.

Der Diener klopft an die Tür und kommt herein. „Der Journalist Arik Ward ist hier.ˮ

„Ich werde ihn selbst empfangen.ˮ Hoffentlich fängt er nicht an von Politik zu sprechen. Diese Ausländer treten gerne von einem Fettnäpfchen ins Nächste. Bestimmt geht es nur wieder um das Öl. Wie ich zu meinem Reichtum kam beziehungsweise mein Vater vor mir. Ich bin ja nur der Erbe. Seit einem Jahr übernehme ich die Arbeit meines verstorbenen Vaters. Ein plötzlicher Herzinfarkt hat ihn über den Jordan geschickt, nicht lange nach dem Tod meiner Mutter.

Ich setze mir die Ghutra auf den Kopf, binde den Agal einen schwarzen Strick darum, verlasse mein Schlafzimmer und gehe zur Haustür. Da steht er. Der Mann, den ich lieber in meinem Bett sehen würde, als mit ihm lästige Gespräche zu führen. Er ist Amerikaner, lebt derzeit aber hier in Dubai und arbeitet für ein Onlinemagazin. Ich weiß, dass er auf Männer steht, denn ich habe genaustens über ihn nachgeforscht. Ich bin kein Mann, der etwas dem Zufall überlässt.

„Ahlan wa sahlan!ˮ

„Ahlan bik!ˮ Er erwidert lächelnd die Begrüßung und wir schütteln die Hände. Am Eingang zieht Arik sich die Schuhe aus und folgt mir. Ein Diener bringt Erfrischungen und kleine Häppchen.

Wir betreten den Majlis, den Empfangsraum und lassen uns auf den Sesseln einander gegenüber nieder. Zwischen uns steht ein Glastisch auf dem der Diener alles abstellt. Arik greift dankbar nach dem kalten Glas Wasser. Ich komme nicht umhin ihm auf den Hals zu starren und zuzusehen wie sich sein Adamsapfel auf und ab bewegt bei jedem weiteren Schluck. Der nächste Gedanke ist allerdings nicht mehr ganz so jugendfrei, also versuche ich schleunigst an etwas anderes zu denken.

Arik kommt mir entgegen und direkt auf den Punkt. Er stellt mir gezielte Fragen, auf die ich kurzangebunden reagiere – wie so oft. Eines kommt zum anderen und so dauert das Gespräch maximal eine Stunde an in der ich mich wie bei einem Verhör fühle.

An der Haustür schüttele ich ihm etwas länger die Hand als beabsichtigt und streiche wie zufällig über seine warme Haut. Ob er es bemerkt hat, weiß ich nicht, da er sich nichts anmerken lässt. Ich sehe ihm nicht nach als er die Wohnung verlässt.
 

***
 

Auf der Party, die ich eine Woche später besuche ist er ebenfalls zugegen. Wir feiern auf einer langen schnittigen blau-weißen Yacht. Wahrscheinlich hat ihn ein Bekannter von mir eingeladen. Umso besser. Hier bei Alkohol und lauter Musik kann man sich zumindest etwas unterhalten ohne formell klingen zu müssen. Ich hoffe, er hat seinen Job heute zu Hause gelassen. Wenn er dumme Fragen stellt werfe ich Arik höchstpersönlich ins Meer.

Er trägt zu seiner sonnengebräunten Haut ein rotes Poloshirt, eine blaue Jeans und schwarze Schuhe. Die dichten schwarzen Haare tun ihr übriges und lassen ihn nur noch mehr wie einen Araber aussehen. Man könnte meinen er sei hier aufgewachsen.

„Salam alaykum, Arik!ˮ, grüße ich ihn ungezwungen. Er dreht sich zu mir um und hält einen Blue Splash in der Hand. „Wa alaykum as-salam, Farikˮ, erwidert er lächelnd und drückt meine Hand. Immer wieder amüsant wie ähnlich sich unsere Namen sind, denn nur ein einziger Buchstabe trennt sie voneinander. Ob dies ein Wink des Schicksals ist, dass ich mich so zu ihm hingezogen fühle?

Seit unserer ersten Begegnung vor drei Monaten bei einem kurzen Interview geht mir dieser gutaussehende Mann mit den stechend grünen Augen nicht mehr aus dem Kopf.

Die Musik zwingt uns dazu nahe beieinander zu stehen und dem jeweils anderen ins Ohr zu brüllen. Wir ziehen uns ans Heck der Yacht zurück und stehen somit etwas Abseits der tanzenden Meute im Inneren. Der laue, frische Wind zerzaust unsere Haare. Immer wieder ist er am Lachen und scheint bester Laune zu sein. Auch wenn wir nur Small Talk machen scheint er viel ausgelassener zu sein als bei unserem Interview. Meine Hand auf der Reling tastet sich suchend zu seiner. Als ich seinen Handrücken berühre entzieht er sich mir nicht. Mit den Fingern streiche ich über die Haut. Arik trinkt und sieht mir dabei tief in die Augen. Niemand beobachtet uns als ich mich zu ihm herunterbeuge und diese sinnlichen Lippen mit meinen berühre. Er schmeckt nach Alkohol. Meine Hand schlingt sich fest in Ariks Nacken. Ich intensiviere den Kuss, schiebe ihm meine Zunge in den Mund und spüre wie sich seine Finger in mein Hemd krallen. Das Glas stellt er hinter sich auf einen Tisch und schlingt seine Arme fest um meinen Oberkörper. Ich dränge ihn lechzend gegen die Reling ohne auch nur noch einen Zentimeter Abstand zwischen unseren Körpern zu gewähren. Ich habe mir schon immer genommen was ich haben wollte, aber noch nie habe ich jemanden so sehr begehrt wie Arik. Meine Hand rutscht unter sein Shirt und berührt die warme Haut. Nach einer schier endlosen Zeit löse ich den Kuss und lasse meine Lippen über seine Wange wandern. Ich spüre die rauen Bartstoppeln und küsse mich zu seinem Hals herunter. Er stöhnt mir ins Ohr und sein Atem kitzelt, beschert mir eine Gänsehaut und bringt meine Geduld ans Ende ihrer Kräfte.

Ich gehe auf Abstand, ergreife seine Hand und schleife Arik entschlossen unters Deck. Wir laufen durch einen engen, schlauchartigen Gang und suchen nach einem leerstehenden Zimmer. Wir landen im eleganten Schlafzimmer meines Freundes und sehen uns flüchtig um. Der Raum an sich ist nicht sehr groß, rechteckig und das weiße moderne Kingsize Bett nimmt den meisten Platz ein. Direkt an der Wand zu meiner Rechten ist eine kleine Sitzecke mit grauer Couch, einem schwarzen kreisrunden Tisch und direkt neben dem Bett befindet sich eine schwarz lackierte Kommode. Gegenüber ist ein schmaler Schrank mit Fernseher, während sich direkt am Kopfende des Bettes ein riesiger Spiegel befindet. An der Fensterfront gibt es eine weitere Sitzecke mit weißen, lederbezogenen Sesseln und einer Tür zum angrenzenden Badezimmer. Der Teppich unter unseren Schuhen ist flauschig und weich. Ich ziehe Arik energisch an mich und zerre ihm ungeduldig die Kleidung vom Leib. Er tut es mir gleich und immer wieder suchen unsere Lippen lüstern nacheinander. Grinsend schubse ich Arik aufs Bett und klettere schließlich über ihn. Wir sind nackt. Ich halte seine Handgelenke in die Laken gedrückt und sehe auf ihn herunter. Lust, Verlangen und Gier sehe ich in seinem herausfordernden Blick. Heute Nacht gebe ich ihm alles was er will.

Wir wälzen uns wolllüstig im Bett, nutzen jede freie Fläche und in dieser Nacht zeige ich ihm Dinge, die er sich noch nicht einmal in seiner wildesten Fantasie erträumt hätte. Ich entlocke Arik die schönsten Laute, beschere ihm eine wohlige Gänsehaut nach der anderen, klammere mich wie ein Ertrinkender an ihn und suche Halt in seiner liebevollen Umarmung. Ein Passagier würde draußen im Gang nur das Ächzen und Knarzen des Bettes, das Stöhnen und Keuchen der Liebenden hören, aber ihm würde entgehen, dass diese eine Nacht unser beider Leben verändern sollte. Das es niemals mehr so sein würde wie jetzt. Dass es unsere einzige Nacht sein würde in der wir eng umschlungen in einem Bett liegen. Eine Nacht im Schein des hellen Vollmondes, der sich auf der Wasseroberfläche spiegelt, das Zimmer hell erleuchtet und seine unheilvollen Fühler nach uns beiden ausstreckt um uns in die dunkle Finsternis der Ewigkeit ziehen zu können.
 

***
 

Manchmal braucht es nicht viele Worte um zu verstehen, dass man einander braucht. Worte, die einfach nicht ausreichen um auszudrücken was man für jemanden empfindet. Worte, die einen schönen Moment ruinieren könnten. Falsche Worte, die nur Unsicherheit, Hass, Wut und Misstrauen heraufbeschwören können. Und manchmal, wenn man dennoch vergisst sie zu benutzen, sie nicht einsetzt um diese Gefühle, die sich aufstauen, in jemandem aufkeimen und sich wie ein zartes Netz einer Spinne im Innersten ausbreiten, dann ist es vielleicht zu spät. Zu spät um den Moment zu retten. Zu spät um alles in Ordnung zu bringen. Wie abhängig wir doch von Wörtern sind. Wie ein Wort etwas Gutes auslösen kann und im nächsten Moment alles zerschlägt was man sich nach langer Zeit aufgebaut hat.

„Es ist ein Geschenk. Mein Geschenk für dichˮ, sage ich ihm.

Man züchtet eine Blume, sieht ihr beim Wachsen zu, gibt ihr das Nötigste damit sie stark wird und dann, wenn man vergisst sie zu gießen, ihr keine Aufmerksamkeit mehr schenkt, sich die Blätter verfärben, Schädlinge sie zerfressen, diese Blume vertrocknet und verkümmert, dann weiß man, dass man früher hätte eingreifen müssen.

„Das ist kein Geschenk. Es ist ein Fluch!ˮ, meint er verbittert und stößt mich von sich. Ich taumele zurück und sehe ihn überrascht an. Ich verstehe nicht wieso er mir das antut nachdem ich ihn so gut behandelt habe, ihm alles gab was er wollte. Er ist undankbar.

Zorn brodelt tief in meinem Inneren. Erst ist es eine kleine Flamme, noch versuche ich die Situation zu retten. Ihm das neue Leben schmackhaft zu machen. Ich führe ihn an der Hand durch die Dunkelheit, zeige ihm was ihm vorher alles entgangen ist. Er zeigt mir keine Dankbarkeit. Er verkümmert und vertrocknet jeden Tag mehr. Ich bin am Ende. Ich weiß nicht was ich tun soll. Nacht für Nacht gebe ich ihm Halt, rede auf ihn ein und immer wieder prallt alles an ihm ab. Er hat eine unsichtbare Mauer errichtet und lässt mich nicht mehr in sein Innerstes blicken.

Er will gehen. Zurück nach Amerika. Weg von mir. Er flüchtet vor meinem Geschenk. Vor dem was ich aus ihm gemacht habe.

Ich lasse ihn nicht gehen. Nicht solange da noch ein Funken Liebe in mir ist. Ein kleiner Funke Besessenheit von seiner liebenswerten Person und seinem attraktiven Äußeren. Noch immer suche ich nach dem Menschen in den ich mich einst verliebt habe. Viel zu spät begreife ich, dass er nicht mehr da ist, dass er schon lange gegangen ist und nur eine Leere Hülle hinterlassen hat.

Er hat das Geschenk, das ich ihm gemacht habe nicht akzeptiert, sein neues Ich mit Händen und Füßen von sich ferngehalten. Er gibt mir die Schuld. Mir allein. Er sieht nicht was ich damals sah. Er sieht keine Zukunft für uns beide. Kein gemeinsames Leben. Arik will nicht so sein wie ich. Er sieht nicht, dass ich es damals nicht freiwillig angenommen habe. Dass ich dem kleinen Mädchen nur helfen wollte. Sie machte mir ein Geschenk und ich war nicht fähig es abzulehnen. Sie hat das Böse in mir erweckt und es gedeihen lassen. Sie ließ mir keine Wahl, so wie ich sie ihm nicht ließ.
 

***
 

Ich trete in das Verließ unter meiner Wohnung, gehe vorbei durch die engen Grabstätten meiner Vorfahren und ignoriere die Gebeine zu beiden Seiten. Die Luft riecht abgestanden und muffig. Der Gang vergrößert sich zum Ende hin. Links und Rechts sind von oben bis unten Schädel aufgetürmt, die mich aus ihren hohlen Augen anstarren. Mir die Schuld an allem geben. Mich verachten und verhöhnen.

Ich trete gebückt durch das Loch in der Wand vor mir und halte die Taschenlampe fest in meiner Hand. Der Lichtschein tastet suchend die Wände ab, erleuchtet die feste Erde an den Wänden und den Körper der sich vor mir befindet.

Aus matten, seelenlosen Augen sieht er durch mich hindurch. Er hängt in Ketten an der Wand und ist dem Zerfall und der Verwesung zugeschrieben.

Lange bleibe ich abwesend vor ihm stehen und versuche mich an den Mann zu erinnern in den ich mich verliebt hatte. Der Mann, der nicht mehr hier ist.

Meine Hände ballen sich für Sekunden zu Fäusten. Ich trete nahe an ihn heran und hebe meine Hand. Seine Wange ist ganz kühl. Er zuckt kaum merklich unter meiner Berührung zusammen.

Meine Hände schlingen sich um seinen ausgemergelten Leib. Es ist mir egal wie abstoßend er mittlerweile aussehen mag. Ich liebe ihn noch immer.

„Du hast mich nie gefragt...ˮ, flüstert er kaum hörbar in mein Ohr ohne sich zu rühren. Wie könnte er auch.

Ich schließe die Augen und lächele. „Ich habe mir schon immer genommen was ich haben wollte.ˮ

Er wird hierbleiben. Bei mir. Für immer. Weil ich ein Egoist bin, weil ich ihn liebe, auf diese krankhafte und besitzergreifende Art, die seine eigenen Wünsche außer Acht lässt. Tief in mir verschließe ich den kleinen zweifelnden Keim, dass nicht er das abstrakte, hässliche Monster ist, sondern ich. Dass ich hier statt seiner in Ketten hängen müsste. Bis in alle Ewigkeit.



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Kommentare zu dieser Fanfic (50)
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Von:  CallistaTears
2019-11-14T14:03:04+00:00 14.11.2019 15:03
Wirklich tolle Geschichte...Daumen hoch ;)... würde mir wünschen wenn sie weiter geht...bitte
Von:  ellenorberlin
2015-04-22T07:41:08+00:00 22.04.2015 09:41
Ich würde so gerne weiter lesen T_T wann schreibst du weiter?
Antwort von:  Shunya
25.04.2015 11:30
Ich mache jetzt im April beim NaNoWriMo (National Novel Writing Month) mit und schreibe an einem anderen Projekt, habe ergo auch nicht gerade viel Zeit für andere Geschichten. Im Mai wird es wohl wieder weitergehen.^^
Von:  Arinya
2015-03-03T16:35:49+00:00 03.03.2015 17:35
hey es hies doch 1. 3. neue kapis wo sind die .....verwirrt in der gegent umherschau........
Von:  Aliria
2015-01-13T13:52:24+00:00 13.01.2015 14:52
@ Shunya jahaha Sabse steht für Sabine. Keine Ahnung wieso die alle so nennen xD Ich werde den aber wohl nicht umändern ich mag das Weib nämlich nicht besonders, lol^^
Antwort von:  Shunya
13.01.2015 17:07
Hahaha~ XD
Dann wird das ihre Strafe. Ihr Name lautet auf ewig Sabse. looool
Von:  Aliria
2015-01-13T11:24:15+00:00 13.01.2015 12:24
Oh je nun wird es für Andreas so richtig übel, nicht nur das er Dale verraten soll, nein nun sitzt er auch noch mit seinem Vorgänger im Verlies fest. Farik ist grausam und ich wünsche ihm echt nix gutes , sorry :D ( ich glaube ich hasse nun alle Gestallten mit diesem NAMEN xD).

Du hattest wegen Kritik gefragt, ich habe jedoch keine ^^ Nur eines vielleicht. Tausche das Wort "meckerte" etwas aus, das benützt du ein wenig oft :D Ansonsten ist alles super und ich bin echt gespannt wie es weitergeht.
Antwort von:  Shunya
13.01.2015 17:37
Haha~ so viele Fariks gibts ja zum Glück nicht. Hoffe ich mal. XD
Aye, werde ich mir merken. Ist mir gar nicht aufgefallen. *schnell notieren*
Wenn ich es schaffe, lade ich das nächste Kapitel am Wochenende hoch. =)
Von:  Aliria
2015-01-13T11:17:58+00:00 13.01.2015 12:17
Wäre ich Andreas würde ich schon nach Möglichkeiten suchen um diesen...diesen..args..diesen Hundesohn Farik ins Sonnenlicht zu stossen. ^^ Ich hasse diesen Typen. Meister? Der? Nee ^^
Hoffentlich stirbt Farik am Ende unter entsetzlichen Qualen *grins*
Antwort von:  Shunya
13.01.2015 17:04
Das ist ja das Schwierige. In dem Haus gibt es kein Sonnenlicht und nach draußen kommt er nicht. Es gibt ja nicht mal Fenster im Haus. Schöner Mist. XD
Für Farik habe ich noch was in petto. Muahahahaha~
Von:  Aliria
2015-01-13T11:14:51+00:00 13.01.2015 12:14
Hmpf da will er mit Dale und dann gibts nix, stattdessen fliegt er mit Farik weg. Andreas ist dein Gehirn weggeschmolzen? :D

So aber nun..FARIK du Aas, nimmt sich da einfach den armen und das ohne Vorbereitung. Die Schmerzen möchte ich mir gar nicht erst vorstellen die Andreas haben muss. Die Demütigung auch nicht, er tut mir leid. Farik hasse ich ja jetzt schon xD
Antwort von:  Shunya
13.01.2015 16:45
Bestimmt. Bei all den gutaussehenden Menschen in seiner Umgebung kann er wohl nicht mehr klar denken. XD *lach*
Gut, gut, das war auch der Sinn dahinter. Der Kerl soll sich nicht beliebt machen. =D
Obwohl ich als Autorin habe ihn trotzdem lieb. Ganz dolle. In Wirklichkeit ist er ein ganz Lieber. *u* Andreas: Man kanns sich auch schön reden...
Von:  Aliria
2015-01-13T11:12:03+00:00 13.01.2015 12:12
Kein Sex für Melanie aber immerhin zocken die beiden zusammen, lol :D Da musste ich dann doch etwas grinsen :) Ich glaube das wird auch nix mehr zwischen den zweien.

Böser Farik, macht er den armen einfach zum Vampir. Ich dachte ja immer die machen nur willige zum Vampir, sonst haben sie ja ein Leben lange ärger mit dem "Opfer". Da bin ich mal gespannt .
Antwort von:  Shunya
13.01.2015 16:23
Farik lernt nie dazu. Wird sich noch in den späteren Kapiteln zeigen. ;D
Von:  Aliria
2015-01-13T11:08:17+00:00 13.01.2015 12:08
Tzzz Andreas weiss echt nicht was er will :D Erst macht er da ziemlich wüst mit Dale rum und dann schickt er ihn in die Wüste. Männer :D Ich glaube er braucht einfach noch etwas Zeit damit er sich eingestehen kann das er auf jungs steht. Heisst ja nicht umsonst "Das Outcoming findet zuerst im Kopf statt" also dann ^^
Antwort von:  Shunya
13.01.2015 16:06
In der Hinsicht ist er wirklich stur. Na ja, irgendwann wird er es sich schon eingestehen können. XD
Von:  Aliria
2015-01-13T11:05:27+00:00 13.01.2015 12:05
Erst töten sie die Krankenschwester und dann legt sich dieser Farik auch noch zu dem armen Andreas auf die Pritsche. Eaw was will der Typ denn von ihm? ^^ Süß als er am Ende Dale wieder trifft und sich im Bett an ihn kuschelt :D
Antwort von:  Shunya
13.01.2015 15:47
Argh~ mir ist gerade ein Logikfehler im Text aufgefallen. XD *liest nebenbei noch mal die Fanfic durch*
Farik guckt in den Spiegel! Für ihn als Vampir eigentlich nicht möglich. lol
Muss ich beizeiten noch mal umschreiben. lalala~
Haha~ gute Frage. Auf Farik wird später noch näher eingegangen. Oh ja, die Stelle mit Dale und Andreas mag ich auch sehr. *u*


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