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One Shot Sammlung

[ZXN]
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Eine Fortsetzung vom letzten Kapitel und doch hat es einen anderen Namen ... Komplett anzeigen

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Jede dritte Frau

Aufregung. Ein flatterndes Herz.

Gänsehaut breitete sich aus, als sich ihre Augen auf ihren noch flachen Bauch richteten. Es war kaum größer, als ihr kleiner Finger, und doch hatte dieses kleine Wesen bereits einen beachtlichen Teil in ihrem Herzen eingenommen.
 

Die braunen Seelenspiegel richteten sich auf die Tür des Behandlungsraumes, durch welche gerade die Ärztin trat. Mit einem freundlichen Lächeln begrüßte diese ihre Patientin und nahm auf dem Drehstuhl Platz.

Mit geübten Griffen betätigte sie die Knöpfe, nahm das Ultraschallgerät und führte es ein, während sie Nami nach ihrem Befinden fragte.

Der Orangehaarigen entwich ein Seufzen, sie lächelte jedoch bei ihrer Antwort: „Ich habe den besten Grund, dass es mir zur Zeit nicht so gut geht. Die Übelkeit ist ziemlich heftig und ich bin ständig müde. Malou fordert mich derzeit ganz schön. Aber es ist genau so, wie es sein soll.“

Mit einem zustimmenden Nicken wandte sich die Ärztin ab und blickte auf ihren Bildschirm, versuchte eine gute Position zu erwischen.
 

„Das klingt nach völlig normalen Symptomen – und hier ist der Grund dafür.“

Nami war völlig fasziniert von dem Bild. Obwohl es gerade mal 2cm klein war, erkannte man bereits den kleinen Körper samt Kopf. Sie nahm gar nicht wahr, wie die Ärztin die Stirn runzelte und ihre Ausführungen unterbrach.
 

Es gab keinen Ton. Die Frequenzlinie zeigte keine Welle. Die Ärztin schluckte merklich und drehte sich langsam zu Nami.
 

Erst langsam realisierte die junge Frau, dass es ziemlich still im Behandlungsraum war.

Zu still. Zu erdrückend still.

Und dann fiel ihr Blick auf das kleine Organ. Das kleine Organ, was sich normalerweise bewegte.

Das Herz ihres Babys stand still.

Es gab keinen Herzschlag.
 

Es fällt mir schwer

Ohne dich zu leben

Jeden Tag zu jeder Zeit

Einfach alles zu geben

Ich denk so oft

Zurück an das was war

An jedem so geliebten

Vergangenen Tag
 

„Es tut mir leid, Ms. James. Ich kann keinen Herzschlag finden.“

Nami schüttelte den Kopf.

„Nein. Schauen Sie nochmal genau nach. Bitte!“, flehend schaute sie der Ärztin in die Augen. Diese wandte sich noch einmal um und kam dem Wunsch ihrer Patientin nach.

Die Orangehaarige hatte es zwar gesehen, aber das bedeutete nicht, dass sie diese Erkenntnis realisierte oder gar akzeptierte.

Sie krallte sich mit ihren Händen in die Lehnen des Stuhles, bis ihre Knöchel weiß hervortraten.

Ihre Augen brannten sich förmlich in den Bildschirm des Ultraschallgerätes ein.

Nichts.

Die Herztöne hallten nicht durch den Raum.

Es blieb still.

Und auch in Nami wurde es still.

Dumpf.
 

Ich stell mir vor

Dass du zu mir stehst

Und jeden meiner Wege

An meiner Seite gehst

Ich denke an so vieles seitdem du nicht mehr bist

Denn du hast mir gezeigt

Wie wertvoll das Leben ist


 

Die Ärztin beendete die Untersuchung, prüfte zur Sicherheit noch den HCG-Wert und bat die junge Frau zurück in das Sprechzimmer. Sie erklärte beruhigend und sensibel, welche drei Optionen zur Auswahl standen, aber Nami hörte kaum etwas. Es war einfach nur still. Nur eine einsame Träne verirrte sich und lief ihr über die Wange.

Die letzten Wochen zogen an ihr vorbei. Sie war so glücklich gewesen, trotz der Übelkeit, des Schwindels, der Müdigkeit. Ihr Körper konnte ihr das doch nicht vorgespielt haben.

Und Zorro erst. Er hatte sie jeden Morgen mit einem Kuss und einem Lächeln geweckt, hatte ihr beigestanden und ihre Haare gehalten, sie umsorgt, förmlich auf Händen getragen und abends, wenn er dachte, sie schlief, mit ihrem Baby geredet. Alltägliche Dinge erzählt, was es Spannendes bei ihnen zu erleben gab.

Es hatte sich angefühlt, als wäre aus ihrer dreiköpfigen Familie bereits eine vierköpfige geworden.
 

Ihre braunen Seelenspiegel richteten sich nach 10 Minuten das erste Mal wieder auf ihre Ärztin. Sie hatte gar nicht bemerkt, dass ihre Hand gehalten wurde.

Die Ärztin blickte sie gefasst an, gab ihr nicht das Gefühl, dass sie Mitleid mit ihr hatte, sondern, dass sie da war. An ihrer Seite. Und mit ihr gemeinsam den bevorstehenden Weg gehen würde. Sie war nicht allein.

Noch einmal erklärte die Frauenärztin die Optionen. Heute sollte nichts entschieden werden. Nami sollte nach Hause gehen und nachdenken, überlegen, was für sie in Frage käme.

Die Orangehaarige war immer gesprächig, plauderte munter drauf los. Doch nun öffnete sich ihr Mund, aber kein einziger Laut kam ihr über die Lippen. Sie blieb stumm.
 

Wir waren geboren um zu leben

Mit den Wundern jeder Zeit

Sich niemals zu vergessen

Bis in aller Ewigkeit

Wir waren geboren um zu leben

Für den einen Augenblick

Bei dem jeder von uns spürte

Wie wertvoll Leben ist
 

Mit einem tiefen Atemzug verließ die junge Frau das Behandlungszimmer, machte einen neuen Termin in wenigen Tagen aus und schritt durch die Praxistür. Das Gefühl, welches ihre Ärztin ihr gerade noch vermittelte, war wie weggeblasen. Die Tür fiel ins Schloss und sie war allein. Da war niemand, der ihr gerade helfen konnte.

Ihr Körper fühlte sich falsch an. Verräterisch. Als wäre alles normal. Jeder ging seiner Dinge nach. Die Menschen gingen an ihr vorbei, einkaufen, zur Arbeit. Als wäre alles wie immer. Aber für Nami hatte sich die Welt aufgehört zu drehen. Sie stand still.
 

Nur langsam lief sie zu ihrem Auto und setzte sich hinein. Die Geräusche der Außenwelt drangen nur dumpf zu ihr hindurch. Sie fühlte sich wie in einer Blase. Da war kein Schmerz, keine Wut oder Trauer. Als wäre sie eine leere Hülle. Der Weg nach Hause kam ihr endlos lang vor, in ihrem Kopf herrschte eine unangenehme Ruhe. Alles war grau.

Mit schnellen Handgriffen schloss die Orangehaarige die Wohnungstür auf und schritt hinein. Im Wohnzimmer fiel ihr Blick auf Malous neues Shirt, welches sie vor knapp 4 Wochen Zorro vor die Nase gehalten hatte – und dann brach der Damm.

Mit einem herzerschütternden Schluchzen sank sie mit dem Shirt in der Hand auf die Knie, Tränen rannen in Sturzbächen ihre Wangen hinab. Namis ganzer Körper zitterte von der Heftigkeit ihrer Reaktion.

Ihr Baby wurde ihr genommen. Ihre Schwangerschaft beendet, bevor sie richtig begonnen hatte.

Hatte sie versagt?
 

Es tut noch weh

Wieder neuen Platz zu schaffen

Mit gutem Gefühl

Etwas Neues zuzulassen

In diesem Augenblick

Bist du mir wieder nah

Wie an jedem so geliebten

Vergangenen Tag
 

Lautes Getrappel, Gelächter ertönte. Das Türschloss klackte und die Tür ging auf.

„Haha Papa! Wir waren viel schneller als du!“

„Genau Malou, dein Papa ist eine lahme Ente“, kicherte Ace, welcher Malou auf seinem Rücken trug und durch die Tür schritt.

Der Angesprochene verdrehte schmunzelnd die Augen und betrat nach ihnen die Wohnung. Nachdem er die Schuhe ausgezogen hatte, lief er ins Wohnzimmer vor, blieb aber bei dem Anblick, der sich ihm bot, wie angewurzelt stehen.

Da saß seine Freundin. Am Boden. Mit roten Augen und Tränenspuren im Gesicht.

Ace stieß aufgrund des abrupten Stehenbleiben Zorros gegen seinen Rücken und wollte schon meckern, als er die Lage vor sich realisierte.

Der Schwarzhaarige mochte sein, wie er war, aber diesmal bewies er Feingefühl und reagierte umgehend. Er hielt Malou fest und fragte, ob sie beide noch schnell ein Eis essen wöllten, was die Kleine mit Freude bestätigte. Sein grünhaariger Freund hörte nur mit halbem Ohr zu und eilte dann auf Nami zu.
 

„Nami, was ist los? Gehts dir gut?!“ Er streckte seine Arme nach ihr aus und die Frau vor ihm zuckte erschrocken zusammen, als sie angesprochen wurde. Ihre sonst so ausdrucksstarken Augen blickten ihn leer an.

So langsam bekam Zorro es mit der Angst zu tun. Er packte sie an den Schultern und versuchte, zu ihr durchzudringen.

„Nami? Was ist passiert?“

Obwohl die Orangehaarige dachte, dass alle Tränen versiegt waren, liefen wieder einige ungehalten über ihre Wangen.

„Es tut mir so leid“, schluchzte sie und vergrub sich in den Armen ihres Freundes. „Ich habe unser Baby verloren. Ich habe versagt.“

In diesem Moment brach Zorros Herz.

Er schlang beide Arme um Nami und zog sie auf seinen Schoß, wiegte sie sanft umher und streichelte ihr beruhigend über den Rücken.

Zorro war erschüttert von der Aussage der Orangehaarigen. Er verstand durchaus, was es bedeutete, jedoch wusste er nicht, wie er mit ihrer Einschätzung umgehen sollte. Nami hatte sicherlich keine Schuld, aber wie könnte er ihr das begreiflich machen?

Er schluckte. Dieser Moment kam ihm gerade vor, wie die größte Herausforderung in seinem Leben. Aber er war nicht bekannt dafür, aufzugeben, wenn es ausweglos schien.
 

Der Grünhaarige verharrte ruhig an ihrer Seite und wartete.

Nach schier endlosen Minuten verebbte das Schluchzen Namis und sie wischte sich über ihre roten Augen. Traurig schaute sie ihren aufmerksamen Freund an und erzählte, was sie bei der Frauenärztin erfahren hatte. In keiner Sekunde ließ er von ihr ab und wandte seinen Blick von ihr ab, hörte ihr zu und konnte sich nur im Ansatz vorstellen, wie sie sich allein in der Praxis gefühlt haben musste.
 

Wieso war er nur nicht an ihrer Seite?

So saßen sie zusammen und gaben sich gegenseitig den Halt, welchen sie dringend benötigten. Und auch wenn es erst passierte, sie hatten sich gegenseitig, sie hatten eine Tochter und sie würden sich nicht im Stich lassen.
 

Es ist mein Wunsch

Wieder Träume zu erlauben

Ohne Reue nach vorn

In eine Zukunft zu schauen

Ich sehe einen Sinn seitdem du nicht mehr bist

Denn du hast mir gezeigt

Wie wertvoll mein Leben ist
 

Ein paar Tage später hatte sich Nami mit Zorro über die Möglichkeiten unterhalten. Malou war in der Kita und sie beide betraten seit langer Zeit wieder eine Kirche. Es war niemand anwesend und so liefen sie nach vorn und zündeten eine kleine Kerze an.

Sie setzten sich auf die vorderste Bankreihe und betrachteten still die züngelnde Flamme.

Ihr zweites Kind sollte nicht vergessen werden, es wurde von Anfang an so herzlich geliebt. Und nun musste vor allem Nami wieder anfangen, sich selbst zu lieben, zu akzeptieren.

Ihre Trauer brauchte Zeit und Raum, Mut und Offenheit. Und diese gaben sich die beiden. Nami kam es vor, als hätte sie diese schwierige Zeit noch enger zusammengeschweißt, als sie es sowieso schon waren. Zum Großteil war dies Zorros Verdienst, er hatte sie regelrecht dazu gedrängt mit ihm zu sprechen, sich nicht abzuwenden. Dabei hatte sie sich so schuldig gefühlt, als wäre alles allein ihre Schuld. Sie wollte sich verkriechen, abkapseln, aber das hatte ihr Freund nicht zugelassen.

Er hatte vor zwei Tagen kurzerhand Vivi eingeweiht, welche in Jogginghosen und Lockenwickler mit jeder Menge Taschentücher und Süßkram bewaffnet vor der Tür stand. Dies war der erste Moment, welcher Nami ein winziges Lächeln entlockte.
 

Einzelne Tränen liefen ihre Wangen hinab und doch lächelte sie gen Himmel. Sie würde das Kleine niemals vergessen, aber sie durfte auch nicht ihre Tochter hier vergessen.

Ihr grünhaariger Freund wischte sich über die Augen, ihm war es stets unangenehm, vor Nami zu weinen, doch heute saß er mutig in der Kirche und ließ seinen Tränen freien Lauf. Natürlich konnte er sich nicht in die Lage seiner Freundin hineinversetzen, aber trotzdem hatte er dieses Kind von Anfang an ebenso fest geliebt. Und verloren.
 

Eine Tür knarrte und fiel wieder ins Schloss. Ace lief an den beiden vorbei und stellte ebenfalls eine kleine Kerze vorn auf, bevor er sich zu der Orangehaarigen setzte und ihr seinen Arm umlegte. Er drückte ihr einen kleinen Schutzengel in die Hand.

„Da ist jetzt jemand, der auf uns alle Acht gibt.“
 

Wir waren geboren um zu leben

Mit den Wundern jeder Zeit

Sich niemals zu vergessen

Bis in aller Ewigkeit

Wir waren geboren um zu Leben

Für den einen Augenblick

Bei dem jeder von uns spürte

Wie wertvoll Leben ist

Wie wertvoll Leben ist


Nachwort zu diesem Kapitel:
Diese Geschichte schrieb sich einerseits fast von selbst, fiel mir jedoch trotzdem enorm schwer. Werde ich dem Thema gerecht? Stelle ich nichts falsch dar? Trete ich wem damit zu nahe?

Der Inhalt ist mir persönlich sehr wichtig, da es in meinem Freundeskreis in letzter Zeit oft auftauchte.
Ganz ehrlich? Im ersten Moment ist man einfach sprachlos, wenn man so etwas von einer Freundin erfährt. Und dann rattert es, was man sagen kann/darf/sollte. Wichtig ist, dass man für sie da ist. Ihr zuhört und sie sich nicht abkapseln lässt.

Ich habe das Gefühl, dass dieses Thema in unserer Gesellschaft noch oft unter den Tisch fallen gelassen und tabuisiert wird. Und das sollte keinesfalls so sein.
Die Überschrift habe ich von einem Buchtitel übernommen, welches sich um das Thema dreht. Komplett anzeigen

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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von: Sunwings
2023-10-08T10:07:24+00:00 08.10.2023 12:07
Liebe Hupfdohle
wie unglaublich schön und berührend du diese Zeilen geschrieben hast. Ich hatte die ganze Zeit einen fetten Kloß im Hals und musste mich zusammen reißen, dass ich nicht auf der Stelle ein paar Tränen verdrücke. ♥
Du hast das Thema wirklich sehr gut rübergebracht. Es war bestimmt nicht einfach, die Gefühle und Gedanken richtig aufs Blatt Papier zu bringen - aber du hast es geschafft und dein Schreibstil ist so unglaublich gut ♥ Bitte schreib mehr - auch wenn ich eine gefühlte Ewigkeit brauche, um alles zu lesen - ich werde immer einer deiner größten Fans bleiben ;) ♥

bis bald
Sunwings
Antwort von:  Hupfdohle
14.10.2023 21:55
Naaaw :3
Meine Liebe, vielen Dank für deine Worte! Ich bin erstaunt, was für ein Zufall der Tag deines Kommentars war - genau da bin ich eine Freundin, welche den OS betroffen hat, besuchen gegangen, um ihren Nachwuchs zu begrüßen <3

Ich sprudle über vor Ideen, aber insbesondere emotionale Situationen aus dem Leben schaffen es schneller aufs Papier.
Vielleicht zauberst du auch bald mal wieder etwas *-*
Von:  AnniinaAgricola
2023-07-09T21:12:28+00:00 09.07.2023 23:12
Du hast das Thema wunderbar aufgegriffen und jedem deiner Freunde, denen dies passiert ist, wünsche ich Kraft und ein Licht im Dunkeln.

Ich selbst habe es zweimal durch, dass ich mich verabschieden musste...dieses Jahr wäre ich sogar fast nie über die Klinge gesprungen, aber wir haben beide überlebt. Und du hast recht, man darf sich nicht vergessen. Man soll trauern und sich auch fallen lassen dürfen, aber man sollte sich gewahr sein: die welt dreht sich trotzdem weiter, sie bleibt dafür nicht stehen. Ich weiß das meine zwei an meiner Seite sind und auf ihre Geschwister aufpassen. Und ich liebe sie bis an mein Ende.

Danke für deine Story...

Anniina
Antwort von:  Hupfdohle
11.07.2023 22:18
Liebe Anniina, vielen Dank für deinen Kommentar! Es tut weh, zu hören, dass du das bereits zwei mal mit erleben musstest, aber ich finde deinen Mut bemerkenswert, darüber zu schreiben und es offen zuzugeben. Danke dir für deine Ehrlichkeit und den Einblick in deine Gedanken, das berührt mich sehr.


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