Wind in den Haaren.
Blauer Himmel um mich herum.
Das Singen der Vögel in den Ohren.
Der Geschmack von beinahe reiner Luft.
Und der Geruch erst.
Es riecht nach Freiheit.
Ich habe das Fliegen in den letzten sechs Jahren wirklich zu schätzen gelernt.
In den sechs Jahren, in denen ich Chihiro nicht zu nahe kommen sollte.
Yubaba und Zeniba waren sich seltenerweise einig. Auch wenn ich beide unabhängig von einander gefragt habe. Ich solle keinen Kontakt aufnehmen bis sie 16 ist. Es könnte Ihrer Seele schaden, zu früh erinnert zu werden.
Dennoch habe ich über sie gewacht. Als Flussgott ohne Fluss hatte ich nicht viel anderes zu tun. Natürlich habe ich Kontakt zu den anderen Gottheiten aufgenommen. Aber niemand konnte mir eine genaue Auskunft geben. Auch das Badehaus von Yubaba habe ich aufgesucht. Aber nur bedingt als Gast. Ich habe mit Lin und allen anderen geredet. Lin, Kamaji und Bou vermissen sie. Zeniba und das Ohngesicht möchten sie auch sehr gerne wiedersehen... Ich habe versprochen Chihiro von ihnen allen zu grüßen. Sobald sie sich erinnert.
Morgen hat Chihiro Geburtstag.
Wie in jedem der letzten Jahre beobachte ich sie schon heute.
Und ich lasse das Geschenk auf ihrer Fensterbank liegen.
Jedes Jahr schenke ich ihr etwas aus Reikai.
Aber nur kleine Dinge wie eine Bademischung oder einen Talisman.
Morgen möchte ich ihr aber in Person gegenüberstehen.
Auch wenn sie sich vermutlich nicht erinnern wird.
Zeniba ist aber überzeugt, dass sie mich erkennen wird. Oder ich werde ihr zumindest bekannt vorkommen.
Ich hoffe drauf, dass sie mich erkennt.
Es ist soweit.
Chihiro ist 16.
Ab heute darf ich Kontakt suchen.
Ich denke, sie hat sich über mein Geschenk gefreut.
Ohrringe, die Zeniba mit einem Schutzzauber belegt hat.
Mir ist aufgefallen, dass Chihiro noch immer das Haarband von damals nutzt.
Ich glaube, dass ist ein gutes Zeichen.
Aber ich weiß immer noch nicht, wie ich mit ihr in Kontakt treten soll....
Ich folge ihr und ihren Freundinnen in Menschengestalt. Auch wenn ich dadurch komischerweise Aufsehen errege.
In der Untergrundbahn, einer dieser neuen Erfindungen, konnte ich neben ihr sitzen. Sie hat so getan als existierte ich nicht, aber das scheint das normale Verhalten der Menschen gegenüber Fremden zu sein.
Sie scheint gemerkt zu haben, dass ich ihr folge. Sie blickt sich immer wieder hektisch um.
Aber sie zeigt keine Angst. Ihre Freundinnen ziehen sie weiter und werfen mir böse Blicke zu.
Womöglich sollte ich verschwinden. Aber dann geht auch meine Chance hin, mit ihr zu reden. Ich weiß nicht, was ich tun soll.
„Freak!!“
„Lass uns in Ruhe!“
„Verschwinde!“
Ihre Freundinnen schreien mich an. Chihiro schweigt. Sie schaut irgendwie traurig.
„Lasst mich mit ihm reden. Er wird mir nichts tun.“
„Woher willst du das wissen?“
„Würde sich jemand der etwas plant so auffällig anziehen? Schau ihn dir doch an. Er trägt altmodische Klamotten. Eine Art formelle Kleidung, wie in alten Badehäusern.“
Ihr Blick wanderte in die Ferne.
„Wenn ich dich bitte, mich nicht mehr zu verfolgen, wirst du mir trotzdem weiter folgen, nicht wahr?“
„Da hast du Recht Chihiro.“
„Woher kennst du meinen Namen?“
„Das darf ich dir nicht sagen. Sie sagten du musst dich erinnern.“
Sie schaut mich verblüfft an. Aber ihre Freundinnen ziehen sie weg.
Es war so verdammt knapp. Sie hat sich glaube ich erinnert. Wenn auch nur ein bisschen.
Ich entferne mich. Ich muss in Drachengestalt weiter folgen. Sonst werde ich noch verhaftet.
Auch wenn ich eigentlich inexistent bin.
In meiner Drachengestalt nehmen mich meist nur Kinder war. So kann ich Chihiro unbemerkt folgen. Und das nicht mit großem Abstand.
Das Gespräch scheint sie verwirrt zu haben. Sie ist stiller als sonst.
Ihre Freundinnen reden auf sie ein. Sie solle mich anzeigen, aber sie scheint ihnen nicht zuzuhören.
Gegen Abend ist sie allein zu Hause. Sie sitzt in ihrem Zimmer und hat all die kleinen Geschenke der letzten Jahre vor sich ausgebreitet.
Ich habe mich entschlossen, ihr nochmals in Menschengestalt gegenüber zu treten.
Also läute ich an der Haustür. Anders würde ich zwar hineingelangen, aber sie würde mir wohl kaum zuhören.
Sie öffnet mir die Tür. Sie trägt fast die gleichen Klamotten wie damals.
„Du.“ In ihrer Stimme ist kein Vorwurf zu hören.
„Ich. Ich hoffe ich störe dich nicht.“
„Nein tust du nicht. Aber ins Haus werde ich dich nicht lassen. Ich weiß nicht, wer du bist und warum du mir bekannt vorkommst.“
„Verständlich. Ich kann probieren es dir zu erklären. Ob du mir glaubst, ist deine Sache.“
Im Vorgarten sitzend erzähle ich ihr von damals. Von Kamiki und seinen Rußmännchen. Von Lin und Bou. Vom Badehaus. Von Yubaba und Zeniba. Vom Ohngesicht und mir.
Ich wage es nicht ihr in die Augen zu schauen nachdem ich geendet habe.
Ich habe Angst das sie mir nicht glaubt.
Ich spüre ihr Hand auf meiner Schulter.
„Du hast mir nicht gesagt wie du heißt.“
Ich drehe mich zu ihr und schaue in ihr Augen. Sie haben sich nicht verändert seit damals.
„ Mein Name ist Nigihayami Kohaku Nushi. Aber die meisten nennen mich einfach nur Haku.“
„Haku“, Sie schaut mich genau an:„Ich kenne diesen Namen. Warte einen Augenblick.“
Chihiro springt auf und rennt ins Haus. Ich schaue ihr hinterher. Hat sie sich an mich erinnert?
Als sie wiederkommt, hält sie ein Papier in der Hand. Und ein paar der kleineren Geschenke.
Sie breitet die Dinge vor mir aus. Auf dem Papier ist eine Zeichnung meiner Drachengestalt. Und auf den Ohrringen und den Tüten der Bademischungen sind die Schriftzeichen meines Namens im Muster versteckt.
Ich muss lachen. „Diese beiden alten Kuppler.“
Chihiro schaut mich an. „Du hast mir diese Geschenke gemacht?“
„Ja habe ich. Ich habe dir damit einerseits eine Freude machen wollen, aber gleichzeitig wollte ich dir kleinere Dinge aus Reikai geben, um deine Erinnerungen zu festigen.“
Sie zieht mich in ihre Arme.
„Danke, Haku. Ich erinnere mich an dich. Du hast mir damals geholfen.“
Als ich sie anschaue, weint Chihiro.
„Wein doch nicht.“
„Keine Sorge, das sind Freudentränen. Versprichst du mir etwas?“
„Natürlich. Alles.“
„Verlass mich nie wieder für so lange!“
„Das Verspreche ich dir.“
Ich umarme Chihiro und sie tut es mir gleich.
Von einem Impuls getrieben, küsse ich sie. Und sie erwidert diesen Kuss.
„Ich liebe dich, Chihiro.“
„So wie ich dich, Haku.“
„Und ich verspreche dir, ich werde dich nie wieder allein lassen.“
„Das ist schön, aber ich bezweifle das meine Eltern das erlauben werden.“
Chihiro zieht mich auf die Beine.
„Lass uns rein gehen. Hier draußen erregen wir nur Aufmerksamkeit.“
Sie zieht mich ins Haus und als die Tür sich schließt, weiß ich, dass alles gut werden wird.