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Nach trüben Regentagen

... wird die Sonne einmal wieder scheinen
von

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Die unendliche Traurigkeit verwandelt sich in weißen Schnee.

Ich öffnete die Tür zu meiner Wohnung und betrat sie. Das weiße Licht der Wintersonne blendete mich durch die riesige Glasfassade, die sich über die komplette Ostseite der Wohnung zog. Die Augen zusammenkneifend schritt ich zu den langen weißgelben Vorhängen, um sie vor die Fenster zu ziehen. Dann ließ ich mich mit einem erschöpften Seufzen in meinen Sessel fallen. Obwohl ich bestimmt zehn Stunden geschlafen haben musste, fühlte ich mich noch immer schlapp und kraftlos. Weiterhin spürte ich den dumpfen Schmerz, der mit jedem Schlag von meinem Herzen ausging. Und damit das unerträglich Verlangen nach Nähe, nach Zuneigung. Der tiefe Wunsch nach Liebe, der wohl ewig unerfüllt bleiben würde.

Bestürzt bemerkte ich, dass ich mich immer mehr in meine Verzweiflung hineinsteigerte.

'Na, na, na, Kai. Jetzt beruhig' dich mal wieder. Du bist abserviert worden. Das war doch nicht das erste Mal.', sagte ich mir. 'Mal ganz abgesehen davon, dass das jetzt ganz und gar nicht der rechte Zeitpunkt ist, vor Verzweiflung zu stagnieren. Du hast einen Peace and Smile Carnival zu veranstalten!'

Das stimmte allerdings. Es gab noch einiges zu tun, bevor dieses Event mit all seiner Imposanz ordentlich stattfinden konnte. Unter anderem auch mein eigenes Schlagzeugspiel, an dem noch ein klein wenig gefeilt werden musste. Also beschloss ich, den Proberaum aufzusuchen, der nur wenige Minuten mit dem Bus oder Auto entfernt war. Doch als ich aus dem Aufzug stieg, überkam mich das Bedürfnis nach frischer Luft und ich entschied, zu Fuß zu gehen.

Winzige Schneeflocken fielen unablässig von Himmel und schmolzen sofort, nachdem sie auf dem Boden ankamen. Mitten auf dem Weg blieb ich stehen und blickte hinauf in den Himmel. Die umherwirbelnden Flocken wurden zu Abbildungen meiner schweifenden Gedanken. Aoi, wie er sich abwandte und los eilte. Sein schuldbewusster Blick, als er sich noch einmal umdrehte. Ich blinzelte, als eine Schneeflocke direkt in meinem Auge landete, dann spürte ich eine Träne an meiner Wange herunterkullern. Schnell wischte ich sie weg und setzte meinen Weg fort.

Nach drei Stunden Probe war ich komplett nassgeschwitzt und noch erschöpfter als zuvor, doch der Schmerz in meiner Brust wollte nicht nachlassen. Das Loch in meinem Herzen schrie voller Inbrunst danach, gefüllt zu werden. Schwer atmend saß ich hinter meinem Schlagzeug und fuhr mir über die patschnasse Stirn. Trotz des Erkältungsrisikos verließ ich den Proberaum und machte mich wieder auf den Heimweg. Die kalte Luft fuhr um mich herum und in meine Kleidung und ließ mich erschaudern. Doch ich spürte die Kälte nicht wirklich. Nur mein zitternder Körper und meine klappernden Zähne sprachen von der Eiseskälte.

Ohne mich an die bewusste Entscheidung zu erinnern, diesen Ort aufzusuchen, stand ich plötzlich vor seiner Eingangstür. Es musste mein einsames Herz gewesen sein, auf seiner verzweifelten Suche nach Liebe, das mich auf diesen Weg geführt hatte. Doch es war wahr, an diesem Ort würde ich Liebe erfahren. Ehrliche, unbedingte Liebe. Also trat ich an die Tür und läutete. Ein Surren ertönte und die Tür öffnete sich. Dann hörte ich schon eine wohlbekannte glockenhelle Stimme ertönen: „Kai! Was für eine Freude dich wiederzusehen! Wie geht es dir?“ Und Meis schwarzer Bobkopf tauchte hinter der Rezeption auf.

„Danke, Mei. Es freut mich auch, dich wiederzusehen. Mir geht es gut. Und dir?“ Schnell fiel mir auf, dass ich um der Überzeugungskraft meiner Worte willen ein Lächeln dazu setzen musste. Es kostete mich einiges an Kraft, um meine Mundwinkel zu heben. Doch es schien zu klappen. Mei antwortete ohne, dass sich ihre Augen sorgenvoll verengt hatten: „Das freut mich. Mir geht es ganz wunderbar! Aber nun geh geh schon. Man erwartet dich schon ganz sehnsüchtig.“

Dieser Aufforderung ging ich ohne zu zögern nach. Ich machte ein paar Schritte in den Gang hinein, dann machte ich die Tür auf. Sofort ertönte überglückliches Bellen und winselnd und tapsend kamen sie näher. Zuerst der Akitarüde Jo, der, obwohl ihm das linke hintere Bein fehlte, der schnellste der drei war. Er strich schwanzwedelnd um mich herum und kläffte zufrieden, als er sich neben mir niederließ. Dann kam Piccolo. Der Mops sprang voller Elan auf meinen Schoß und leckte mir hechelnd über die Nase. Zuletzt kam Hime angetrabt. Die altersschwache Border-Mischlingsdame guckte mir freudestrahlend aus ihren blinden Augen entgegen und schmiegte sich sanft an meine Seite.

„Ach meine Liebsten, ich habe euch auch vermisst.“, gebe ich lächelnd zu und kraule Piccolo hinter den Ohren. Schon stupst mich fordernd Jo an und ich streiche ihm brav den Rücken entlang. Dann aber verlangt schon Hime nach mir: Mit großen Augen liegt sie vor mir auf den Rücken und streckt mir ihren Bauch entgegen. Ich lege meine Hand in ihr dichtes Fell. „Sehr sogar.“

An einem einsamen Morgen, dem heutigen gar nicht so unähnlich, streifte ich ziellos durch die Straßen, bis mir Mei begegnete, die mit einer ganzen Meute Hunde unterwegs war. Sie war jedoch völlig überfordert. Ständig musste sie einen der Hunde wieder zurückrufen oder von dem nächsten Mülleimer oder Passanten fortziehen. Da ich nichts Besseres zu tun hatte, bot ihr meine Hilfe an, die sie dankbar annahm. Seit diesem Tag besuchte ich das Tierheim, sooft sich mir die Gelegenheit bot, führte ein paar Hunde aus, versorgte die Insassen und unterhielt mich mit den Mitarbeitern. Nach letzterem stand mir heute allerdings gar nicht der Sinn. Ich war nur der Tiere wegen hier. Ich spürte förmlich, wie mein Herz die Zuneigung der drei Hunde aufsog. Endlich hatte der Schmerz nachgelassen und die Schwere, die sich um mich gelegt hatte, schien ebenfalls zu schwinden.

„Waren sie heute schon draußen?“, erkundigte ich mich, als ich Mei an dem Zwinger vorbeigehen sah.

Sie schüttelte den Kopf. „Nein. Du kannst also gern mit ihnen gehen.“

Also erhob ich mich. „Na meine Liebsten, wie wäre es mit einem Spaziergang? Das Wetter ist traumhaft heute.“, bot ich an. Zustimmendes Kläffen ertönte und schwanzwedelnd folgten mir die drei nach draußen. Zusammen drehen wir eine kleine Runde, in gemütlichem Tempo. Jo humpelt glücklich vor uns her, Hime und Piccolo trotten geduldig neben mir. Vor ein paar Wochen noch waren Piccolo und Jo um die Wette gelaufen und der Kleine war fröhlich um mich herumgesprungen. Besorgt blicke ich zu dem Mops hinunter. Er war gerade einmal fünf Jahre alt und würde das sechste Lebensjahr wohl nicht mehr erreichen.

Ich brachte die drei wieder zurück in ihren Zwinger und verabschiedete mich von Mei.

„Du gehst schon wieder?“, fragte sie.

„Ja, ich habe noch einiges zu erledigen.“

„Schade. Viel Erfolg dir aber. Und bis bald, hoffentlich.“

„Ich bemühe mich, bald wiederzukommen. - Eine Sache noch. Es ist wegen Piccolo. Wie lange?“

Ein Schatten legt sich über das Gesicht der jungen Frau. „Noch etwa fünf Wochen sagen die Ärzte. Wir wollen ihm die schlimmsten Schmerzen ersparen, deshalb ...“ Der Satz hing unbeendet in der Luft, doch ich wusste, was sie sagen wollte.

„Okay.“ Damit ging ich. Piccolo war einer der ersten, die ich intensiver betreut hatte, und er war mir sehr ans Herz gewachsen. Der Gedanke daran, dass ich ihn bald nicht mehr besuchen würde können brach mir das Herz. Erneut. Bedrückt machte ich mich auf den Heimweg. Ein außerordentlich aggressives Krebsgeschwür hatte vor einigen Monaten begonnen, sich in dem Mops auszubreiten. Es zerstörte meinen Liebling von innen. Ich musste an Uruha denken. Auch er besaß eine gewisse Zerstörungskraft. So oft hatte er Aoi schon verletzt. Und er würde es wieder tun. Ich würde es nicht verhindern können. Meine Brust zog sich zusammen bei diesem Gedanken. Wenn ich ihn doch nur davor bewahren könnte. 'Doch er hat Uruha gewählt.', erinnerte ich mich. Er hatte den schmerzvollen Weg gewählt und das im vollen Bewusstsein des Unvermeidlichen.

Mit einem lauten Knurren erinnerte mein Magen mich daran, dass ich heute noch nichts gegessen hatte. Ich machte bei einem Schnellimbiss halt und nahm auf dem Heimweg das lieblos zubereitete Gericht ein. Daheim angekommen schob ich Hitchcocks 'Die Vögel' in den DVD-Player und ließ mich in meinen Sessel fallen.

Das aggressive Kreischen der Vögel und Melanies panische Schreie ließen mich aus meinem unruhigen Schlaf schrecken. Es war bereits dunkel geworden. 'Ich hasse den Winter.', dachte ich und warf blinzelnd ich einen Blick auf die Uhr. Es war kurz nach sechs. Nach dem Abspann griff ich erneut in mein DVD-Regal und zog 'Der Fremde im Zug' hervor. Schulterzuckend legte ich auch diesen in den Player. Ich verfolgte die ersten Minuten aufmerksam, wie es Hitchcock verdient hatte, doch da ich auch diesen Film bereits in- und auswendig kannte, konnte ich meine Augen nur bis zu Brunos groteskem Handel offen halten. Als ich das nächste mal aufwachte, war der Bildschirm meines Fernsehers bereits schwarz und wie alles andere um mich herum. Ich rutschte aus dem Sessel und tastete mich zum nächsten Lichtschalter. Schlürfend begab ich mich in mein Schlafzimmer, zog mir noch mein Oberteil über den Kopf und schmiss es in die Decke, dann legte ich mich in mein Bett.

Doch es war so still. So still und so kalt. Ich begann zu zittern und starrte an die Decke. Verzweifelt zog ich meine Decke an mich und presste meine Augen zusammen. 'Schlaf ein.' Ich rollte mich von einer Seite auf die nächste, schob die Decke wieder von mir, nur um sie im nächsten Moment wieder an mich zu drücken und zwang mich krampfhaft, nicht die Augen zu öffnen. Währenddessen kreisten meine Gedanken wie in einem Karussell. Diese unerträgliche Kälte, die mich so quälte, dieser wundervolle Aoi, der mich niemals lieben würde, diese grausamen Schmerzen, die einfach nicht aufhören wollten, diese unendliche Stille, die mir so gut deutlich machte, wie einsam ich war, dieser liebenswerte Aoi, der mich so verletzt hatte, dieser dämonische Uruha, der alles zerstörte, diese beißende Kälte, die in meine Glieder kroch, … dieser atemberaubende Aoi, …



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Beyond_Chan
2014-10-28T21:38:53+00:00 28.10.2014 22:38
Du bist so grausam ~ Das gefällt mir <3
Ich freu mich auf die nächsten Kapitel <3


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