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Doors of my Mind

Der Freund meiner Schwester
von

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Ein ehrliches Hindiwort befreit

Kapitel 25 Ein ehrliches Hindiwort befreit
 

Raphaels Worte hallen in meinem Kopf nach. Vor allem das leise Flüstern meines Namens. Es brennt. Doch auch der Rest folgt. Echot und hallt. Seine Worte treffen mich wieder und wieder, wie stechende Nadeln. Mit jedem Atemzug bohren sie sich tiefer. Verzweifelt halte ich die Luft an, doch es wird nicht besser. Unaufhörlich dringen sie tiefer. Ich bleibe auf dem Parkplatz der Schule stehen und sehe mich um. Hilflos. Verletzt. Ich verzweifele mit Raphaels Feigheit. Nicht, dass ich mich je zu der mutigen Sorte gezählt habe, aber die gnadenlose Gewissheit zieht mir den Boden unter den Füßen weg. Ich brauche Halt. Jemanden, der mich mit seiner bloßen Anwesenheit beruhigt und liebevoll wiegt.

Shari.

Ich denke nicht weiter darüber nach, steige in den Bus und stehe wenige Minuten später vor ihrem Haus. Es dämmert bereits. In jedem Fenster brennt Licht. Ich kann ihre Mutter durch das Fenster hindurch in der Küche stehen sehen. Ihre langen, schwarzen Haare sind lässig zusammengebunden und der rote Punkt auf ihrer Stirn leuchtet in ihrem freundlichen und gemütlichen Gesicht. Ihr lächelnder Mund ist der Inbegriff von Mütterlichkeit und mich durchströmt selbst hier draußen noch Wärme.
 

Wieder verspüre ich ein heftiges Stechen in meiner Brust als Raphaels Worte durch meinen Kopf hallen. Trotz des lähmenden Schmerzes atme ich tief ein und ziehe mit klammen Fingern mein Handy hervor. Ich lasse es klingeln und nach schier unendlichen Minuten geht Shari endlich ran.

„Namasté, mein Bester", kommt es wie gewohnt fröhlich. Für einen Augenblick zucken meine Mundwinkel. Doch ich kriege kein Wort heraus nur den Hauch eines Heys. Normalerweise erwidere ich mit meinen sonderbaren Begrüßungen, höre dann ihr Lachen oder ein fragendes Geräusch, doch diesmal ist mein Hals wie zugeschnürt.

„Mark? Alles okay?", fragt sie irritiert und fürsorglich, als ich nicht antworte. Ich atme ein und streiche mir mit zitternden Fingern über die Lippen.

„Ja. Nein, eigentlich nicht", gebe ich leise von mir und schließe die Augen.

„Ist etwas passiert?" Ihre weiche Stimme ist liebevoll und unendlich besorgt. Ich schweige, weil ich nur schwer meine Tränen zurückhalten kann. Dumpf dringt die Stimme ihres Vaters durchs Telefon, trotzdem scheint sie zu hallen. Shari antwortet etwas auf Hindi.

„Mark, du stehst vor dem Haus?", fragt sie verdutzt und ich höre ein Rascheln. Wahrscheinlich ist sie von ihrem Bett aufgestanden und im nächsten Moment geht auch schon die Haustür auf.

Ihr Vater wirkt noch größer als ich in meiner Erinnerung. Meine schleichende Angst formt ihn in meiner Fantasie noch monströser und furchteinflößender, als er wirklich ist. Sein Gesicht, ein Füllhorn an grimmiger Mimik und entsetzlicher Blicke. Mein Puls geht nach oben, als er seine Arme vor der gigantischen Brust verschränkt. Bilder aus meinen Träumen scheinen mit einmal unglaublich real und sehe mich schon im currygewürzten Sud meiner Eingeweide schmoren bis ich gar bin. Ich atme tief ein und mache einen Schritt auf ihn zu.
 

„Guten Abend, Mister Ambani." Meine Stimme zittert ungewöhnlich.
 

„Was willst du hier?" Sein Tonfall ist neutral, doch das leise Brummen im Untergrund wirkt irgendwie bedrohlich. Vielleicht auch nur, weil mein Nervenkleid gerade nicht das Stärkste ist. Mir fällt keine Erwiderung ein und bevor ich etwas antworte, steht Shari hinter ihm, zieht ihn zurück. Sie sagt etwas auf Hindi und es entbrennt eine hitzige Diskussion, bei der auch hin und wieder Worte fallen, die ich verstehe. Unruhestifter. Ärgerbringer. Mann. Ihr Vater ist wirklich kreativ. Mit einen lauten, tiefe Seufzen drückt sie an ihn vorbei und kommt auf mich zu. Ich sehe dabei zu, wie ihre langen schwarzen Haare hin und her wiegen. Ihre Lippen tragen ein sorgenvolles Lächeln.

„Mark, was ist los?" In ihren klaren, braunen Augen glitzert Besorgnis. Sie greift nach meiner Hand. Sie trägt keine Spur von Make up und sie ist wunderschön.

„Shari, komm wieder rein!"

„Gleich!", patzt sie zurück. Oje, ich bin tatsächlich Störer des Friedens.

„Ich dulde keinen fremden, männlichen Besuch in unserem Haus", sagt ihr Vater ernst und mit unmissverständlicher Präsenz.

„Er ist dir nicht fremd, Papa. Er ist mein bester Freund und ich werde mit ihm reden." Bestimmend und ebenso konsequent. Shari mustert mich, doch ich sehe weiterhin zu ihrem Vater, hinter welchem mit einem Mal Sharis Mutter auftaucht. Sie legt ihre schmale Hand auf seiner Schulter ab. Sie ist eine kleine, rundliche Frau mit sehr hübschen, sehr weichen Gesichtszügen. Geflüsterte Worte und ein Lächeln. Augenblicklich geht etwas seiner furchtvollen Statur verloren. Nun weiß ich, von wem Shari das bezaubernde Lächeln hat. Ich sehe meiner Freundin in die braunen Augen.

„Mister Ambani, ich versichere Ihnen, das sich keinen Ärger machen will. Shari ist meine beste Freundin und ich würde ihr niemals etwas Böses wollen. Außerdem...", unterbreche ich mich um tief einzuatmen.

„.. habe ich kein Interesse an Frauen." Ich habe das Gefühl auch aus den entferntesten Regionen meines Körpers meinen Mut ziehen zu müssen. Doch irgendwie ist es mir gerade auch egal, wer es erfährt. Ihr Vater versteht es nicht, doch ich sehe, wie Sharis Mutter nickt. Sie sagt etwas auf Hindi, von dem ich sicher bin, dass es meine Neigung erklärt und zieht ihren zeternden Mann zurück ins Haus. Erst als sich die Tür schließt, sehe ich zu Shari. Sie lächelt und ihr Blick ist weniger erstaunt, als ich vermutetet habe. Ich spüre den kalten Wind, der mich frösteln lässt und blicke an Shari hinab. Sie trägt nur eine dünne Bluse und eine schlichte graue Stoffhose. Trotzdem scheint sie von einer Aura der Innigkeit umgeben, die mich mit wohliger Wärme umfängt. Ihre warmen Finger umfassen meine Hände.

„Meinst du, sie lassen mich kurz rein? Ich will nicht, dass du hier draußen erfrierst." Shari blickt zum Haus und zieht mich nickend hinter sich her. Ohne zu zögern, geht es die Treppe hinauf, vorbei an den Kinderzimmern ihrer Brüder bis wir in ihrem kleinen Zimmer zum Stehen. Es ist bunt und fröhlich. Warme erdige Farben. Ein kleiner Hauch Orient findet sich überall und ich beginne unweigerlich zu lächeln. So habe ich es mir immer vorgestellt. Ich wende mich ihr zu, als sie die Tür nicht schließt, aber anlehnt. Schon jetzt spüre ich die herzenswarme Hand, die sich wie Balsam über meine geschundene Seele legt. Shari greift nach meinen Händen und sieht mich auffordernd an. In meinem Kopf beginnt es zu arbeiten.

„Was ist passiert?"

„Raphael."

„Raphael?"

„Ich hatte Streit mit Raphael." Meine Stimme ist leise. Normalerweise ist Streit zu haben, nichts besonders für mich und das weiß Shari auch.

„Worüber habt ihr gestritten?", erkundigt sie sich einfühlsam und versteht wahrscheinlich nicht, worüber ich mit Raphael streiten könnte. Ich konzentriere mich darauf, tief ein und wieder auszuatmen. Ich versuche die Gedanken in meinen Kopf zu ordnen, doch es gelingt mir nicht. Ich weiß einfach nicht, wo ich anfangen soll. Es ist als würden die Jahre des einsamen Schweigens auf mich einstürzen.

„Darüber, dass ich so dumm wahr zu glauben, dass ich ihm was bedeute." In ihren Augen spiegeln sich all die Fragen, die nun in ihrem Kopf aufploppen.

„Ich bin seit der 10. Klasse in ihn verliebt und... und er ist mit meiner Schwester zusammen."

„Oh Mark, das tut mir so leid", haucht sie bitter.

„ Es tut weh und ich hasse Maya dafür. Aber weißt du, er hat mich geküsst und wir streiten andauernd, weil er so feige ist. Ich ertrage es nicht, sie zusammen zu sehen. Er kann sich nicht entscheiden und jetzt wird er vielleicht nach Kalifornien gehen", brabbele ich drauf los. Tränen, sie verschleiern meinen Blick und das was ich sage, ist wenig logisch. Doch in diesem Augenblicke bekomme ich es nicht besser hin. Sharis warme Hände greifen meine fester und in ihren braunen Augen bildet sich langsam der Moment der Erkenntnis.

Ihre Hände legen sich meinen Wangen und sie streicht mir mit dem Daumen ein paar Tränen weg. Danach drückt sie mich an sich und legt ihre schmalen Arme um meinen Körper. Eine sanfte, beruhigende Geste, die meinen Tränenfluss nicht bricht, sondern für einen Moment verstärkt. Ihre Finger berühren meinen Nacken, fahren durch den Ansatz meiner Haare und irgendwann über meinen Rücken. Die sanften Berührungen einer wärmenden Freundschaft. Als ich mich wieder beruhige und mich ein wenige sammle, lässt sie mich los und sieht mich an.

„Okay, jetzt noch mal von vorn", sagt sie schmunzelnd. Ich gebe ein tränenersticktes Lachen von mir und verstehe, dass ich eben viel unverständliches Zeug von mir gegeben habe. Wir setzen uns auf ihr Bett und sie reicht mir eine Packung Taschentücher. Es ist eine sonderbare Szene. Ich dachte immer, dass irgendwann Shari so vor mir sitzen würde und nicht ich vor ihr.

„Von Anfang?", hake ich nach. Wenn ich jetzt vier Jahre wiedergeben muss, sitzen wir bis morgen früh hier. Je mehr ich darüber nachdenke, umso chaotischer werden meine Gedanken. Es ist alles so unwirklich. Ich schließe die Augen und habe das Gefühl, dass die letzten, ereignisvollen Wochen, wie ein Film vor mir ablaufen. Aufregend, aber unendlich schmerzhaft.

„Das ist schlechtes Karma, oder?"

„Was meinst du?"

„Das sich der Kerl, in den ich verliebt bin, ausgerechnet meine Schwester aussucht."

„Eher ein fieser Zufall, würde ich sagen", kommentiert sie genauso bitter, wie ich mich fühle.

„So lange schon. Wieso hast du mir nie etwas gesagt?", fragt sie berechtigter Weise und sieht mich an. Ich weiche ihrem Blick aus und versuche mir, eine plausible Erklärung zurecht zulegen, doch ich habe keine.

„Ich habe mit niemanden darüber geredet. Ich war so dumm zu glauben, dass es sich von allein löst." Ich schniefe und wische mir über die Nase.

„Ich meine gar nicht Maya und Raphael. Wieso hast du nie mit mir darüber geredet, dass du schwul bist." Ich ziehe mein linkes Knie nach oben und wende mich ihr so direkt zu. Meine Hände zerdrücken das Taschentuch und beginnen es langsam zu zerrupfen. Meine Schultern zucken nach oben und ich kann Shari keine wirkliche Antwort geben. Ich weiß nicht, wieso ich nie den Mut hatte, es ihr einfach zu sagen.

„Weiß denn überhaupt jemand, dass du auf Männer stehst?", hakt sie nach und nimmt mir das zerfledderte Taschentuch aus der Hand, um mir ein neues zugeben.

„Nein. Na ja. Vereinzelte."

„Du hättest mit mir reden können oder hattest du den Eindruck, dass ich das nicht verstehe?", fragt Shari und ich habe das Gefühl, dass sie enttäuscht ist.

„Ehrlich, du bist die Einzige, der ich es immer erzählen wollte, aber ich wollte dich nicht belasten."

„Belasten? Du Idiot, dafür sind Freund doch da. Sie nehmen dir etwas von der Last, weil sie einem hören und Halt geben. Und sie geben dir doofe, aber wahre Ratschläge und manchmal auch mehr oder weniger hilfreiche Kommentare." Das mit den Kommentaren ist eigentlich mein Metier. Sie seufzt, aber ihr Blick ist liebevoll. Sie ist nicht sauer und ich schäme mich. Ich beobachte meine Finger, wie sie sich ineinander verschränken und wieder lösen.

„Entschuldige", flüstere ich. Sie legt ihre schlanken Finger auf meine unruhigen Hände.

„Gut, dann kommen wir jetzt zu dem Teil mit den mehr oder weniger hilfreiche Kommentare und Ratschlägen." Sie setzt sich aufrecht hin. „Raphael und Maya. Deswegen deine komischen Reaktionen in der letzten Zeit." Shari streicht sich eine Strähne hinters Ohr und ich nicke nur. Kommentare und Ratschläge. Ratschläge wären vielleicht gar nicht schlecht.
 

„Seit die beiden zusammen sind, ist es so viel schwieriger geworden, damit zu Recht zu kommen. Vor allem, weil er ständig da ist", beginne ich," Er ist zu mir gekommen und wollte über Maya reden. Und dann..." Ich atme tief ein und schließe kurz meine Augen.

„Er hat mich an einem Abend mit Jake gesehen", flüstere ich.

„Marikas Bruder?" Verwundert. Ich schüttele den Kopf und sie wirft mir einen fragenden Blick zu.

„Cousin."

„Der von der Party?" Ich nicke. „Was genau hat er denn gesehen?", fragt sie beiläufig, aber für einen kurzen Augenblick glänzen ihre Augen mehr als neugierig.

„Einen Kuss und eine kleine Umarmung. Ganz harmlos, aber seither ist Raphael anders zu mir", erkläre ich und sehe, dass mich Shari aufmerksam mustert. „Weißt du, ich dachte, er würde mich meiden, wenn er es erfährt, aber stattdessen sind wir uns näher gekommen. Er hat meine Nähe gesucht." Der letzte Satz ist nur ein Flüstern. Ich sehe auf das Taschentuch in meinen Händen und beginne erneut es zu zerreißen, da mir bereits die Gedanken an Raphael einen Kloß in den Hals treiben. Shari atmet hörbar ein, doch sie drängelt nicht und lässt mich in meinem Tempo erzählen.

„Als hätte er ...als hätte sich etwas geändert, als er es erfuhr. Wir haben uns geküsst, weißt du. Mehr als einmal." Ich blicke zu ihr auf. Ich belasse es bei den Küssen und erzähle nicht von den anderen Dingen. In ihrem Blick schwimmt für einen kurzen Moment die Anklage des Betrugs. Sie denkt an Maya und sie hat Recht.

„Siehst du, deshalb das schlechte Karma. Ich bin ein furchtbarer Mensch und der Preis für den schlechtesten Bruder der Welt ist schon lange für mich reserviert. Aber es ist ja nicht so, dass Maya das nicht schon seit ihrer Geburt weiß. Ich meine, wir mögen uns einfach nicht und das ist schon immer so. Und verdammt noch mal es ist Raphael...Raphael.", rechtfertige ich mich plappernd. Die letzten Worte sind nur geflüstert. Als würde die Erwähnung seines Namens irgendetwas erklären. Für mich tut es das, denn für mich ist er seit Jahren derartig präsent, dass allein sein Name etwas in mir auslöst.

„Wenn ich in seiner Nähe bin, schaltet sich mein Kopf ab. Wirklich, einfach Klick und er ist runtergefahren", versuche ich zu erklären und spüre, wie sich das ewig schlechte Gewissen in mir ausbreitet. Ich verüble niemand eine negative Meinung zu dem Thema. Es ist nicht richtig und das weiß ich. Wir betrügen Maya. Oder eher, wir haben es. Denn es ist vorbei. Wieder schnürt sich mir der Hals zu. Ihre Hand greift nach meiner und drückt sie leicht. Verständnisvoll beruhigend. Ich sehe auf. Sharis Gesichtsausdruck ist weich und warmherzig.

„Und euer Streit?", erkundigt sie sich nun.

„Ich habe ihn zur Rede gestellt und wollte Klarheit. Die habe ich jetzt. Na ja, mehr oder weniger Er hat sich für sie entschieden. Eine Verirrung und einen Fehler hat er alles genannt und das er es nicht kann. Ich meine, was heißt das bitte? Er kann nicht", fahre ich fort. Der Gedanken an die Szene tobt, wie ein zerstörendes Gewitter aus Erinnerungen durch meinen Kopf. Es hinterlässt nichts weiter als Verwüstung und Leid. Meine Augen beginnen zu brennen und ein feiner Tränenschleier verwischt meinen Blick.

„Was kann er nicht? Ehrlichsein? Seinen Mann stehen? Was? Ein Fehler mehr bin ich nicht für ihn." Meine Stimme klingt hochgradig verzweifelt.

„Oh, Mark. Das tut mir leid. Und er hat gar nichts erklärt? Wieso er dich geküsst hat und warum er...?"

„Nein, keine Begründung. Nichts. Er hat nur ständig gesagt, dass er nicht kann und nicht weiß", äffe ich ihn nach und ringe mir ein unglaubhaftes, schräges Lächeln ab. Sharis warme Hand streicht über meinen Arm. Ich bekomme eine feine Gänsehaut, sehe einen Moment dabei zu, wie sich die Härchen auf meiner Haut aufrichten und sanft im Hauch der elektrisierenden Reibung zucken.

„Warum musste sie gerade ihn als Freund mit nach Hause bringen? Es gibt so viele oberflächliche Jungs in der Schule oder auf den Campus. Warum gerade er?", fragte ich rhetorisch in den Raum hinein, weil ich weiß, dass es dafür keine plausible Erklärung gibt. Mein ganzer Körper brennt.

„Ich wusste ja, dass es hoffnungslos ist. Ich meine, es hat mir gereicht, ihn aus der Ferne zu betrachten. Das habe ich Jahre lang so gemacht. Es hat niemand gestört. Niemand verletzt. Doch jetzt. Seine ständige Nähe und Anwesenheit machen mich verrückt. Zu wissen, dass er vielleicht..." Ich breche den Satz ab, als ich eine Bewegung an der Tür höre und sehe, wie Sharis Mutter im Türrahmen auftaucht. Der Türspalt öffnet sich. Sie trägt ein Tablett mit Tee und Gebäck vor sich her und lächelt. Sie sagt nichts. Shari steht auf und nimmt dankend das Tablett entgegen. Sie sehen sich unglaublich ähnlich. Ihr Teint gleicht dem zarten Karamell eines Schokoriegels. Doch vor allem ist es das sanfte, warme Lächeln, welches sie verbindet. Volle sinnliche Lippen, die an der Oberlippe perfekt geschwungene Rundungen ausbilden. Shari ist der Traum einer jeden Männerfantasie und sie weiß es noch nicht.
 

Shari reicht mit einen Becher Tee und erst jetzt merke ich, wie kalt meine Finger sind. Der Duft des Tees ist lieblich und frisch. Ich rieche Jasmin und eine andere fruchtige Note. Bestimmen, kann ich es nicht. Ich nehme einen Schluck und lasse die Wärme durch meinen Körper strömen. Draußen beginnt es zu nieseln. Ich höre das sachte, stetige Klopfen auf dem Fensterbrett. Es folgt ein Donnern. Das Gewitter ist noch weiter entfernt, aber ich sehe trotzdem auf die Uhr. Ich sollte längst zu Hause sein.
 

„Glaubst du, er hat Gefühle für dich?" Ich sehe von der klaren Flüssigkeit auf und in ihre schönen, braunen Augen.

„Ich weiß es nicht, aber normalerweise lassen sich brave heterosexuelle Jungs nicht einfach so von anderen Jungs küssen..." Oder oral befriedigen. Schon wieder eine sinnlose Veralberung. Aber sie helfen mir einfach.

„Doch, ich bin mir sicher, dass er Gefühle für mich hat und es sich nur nicht eingestehen will. Verschweigen und verdrängen ist wohl einfacher und es ist auch egal, denn er hat sich für Maya entschieden. So ist es einfacher Für mich sicher auch", ergänze ich ermattet. Es stimmt nicht. Eine weitere Lüge, die mich selbst schützen soll. Ich hoffe, dass ich sie irgendwann glaube. Doch bis dahin schwelen die Enttäuschung und der Schmerz in mir.

Shari setzt sich wieder aufs Bett und ich lasse meinen Blick über die Wände ihres Zimmers wandern. Auch sie hat einige Fotos, auf denen wir beide zu sehen sind. Gruppenbilder mit ihren Mädels und ihrer großen Familie.

Sie streicht mir eine Strähne von der Stirn und wir schweigen einen Moment. In meinem Kopf herrscht noch immer heilloses Durcheinander. Ich schließe erschöpft meine Lider.

„Ich glaube, ab jetzt darfst du öfter vorbeikommen." Ihre Stimme durchbricht die angenehme Stille. Ich öffne ein Auge, hebe eine Braue und verstehe, was sie meint. Shari lächelt und ich grinse schief.

„Wieso hat es dich nicht mehr überrascht?", frage ich sie. Als hätte sie es gewusst. Ich frage mich, ob ich jemals irgendetwas Verräterisches von mir gegeben habe? Im Grunde gehöre ich eher zu der weniger auffälligen Sorte. Ich sehe dabei zu, wie sie ihre schmalen Schultern hochzieht.

„Tja, ich habe mich immer gefragt, warum du keine Freundin hast, denn ich kenne genügend, die sich sofort an dich ran werfen würden. Außerdem warst du eigenartig schweigsam, was diese ganzen Liebesdinge angeht und wenn ich die anderen Kerle so betrachte, dann ist das eher ungewöhnlich. Deshalb habe ich dich letztens auch gefragt und jetzt weiß ich, dass du an dem Abend anscheinend doch mit jemanden zusammen warst." Jake. Sie bohrt mir ihren spitzen Finger in die Seite. Ich bin ihr damals ausgewichen und habe ihr Jake verheimlicht. Ich verkneife mir das dümmliche Grinsen nicht.

„Und du bist einfühlsamer als andere, aber das weiß nur ich. Den letzten klaren Hinweis lieferte dann mein Kommentar, dass du dich outen müsstest um meinen Vater zu besänftigen und du nicht sauer geworden bist."

„Das war also ein Test?", eruiere ich amüsiert.

„Nun ja, ...ja." Sie zieht eine niedliche Schnute.

„Ich hätte das auch als Finte machen können", gebe ich ihr zu bedenken und sie schüttelt schnell den Kopf.

„Nein, mein Vater kann Lügen riechen und dann hätte er dich garantiert gefressen." Sie lacht.

„Ah, lieber nicht. Ich träume schon oft genug, dass er mir das Fleisch von den Knochen nagt."

„Wirklich? Oh je." Sie kichert und tätschelt meinen Kopf.

„Ich habe es einfach irgendwie geahnt.", sagt sie ergänzend und ich nicke. Seltsam, aber mir geht es besser, nachdem sie es endlich weiß.

„Ich frage mich, aber warum dich deine Eltern noch nie gefragt haben, warum du keine Freundin mit nach Hause bringst?" Sie hebt eine ihrer feingeschwungenen Augenbrauen und ich denke einen Moment darüber nach. Sie habe mich tatsächlich noch nie nach einer Freundin gefragt. Nur Onkel Thomas bringt das in regelmäßigen Abständen fertig und ihn habe ich stets eine glaubhaften Ausreden parat. Er ist erstaunlich leicht abzuwimmeln.

„Ich bin sehr eigenbrötlerisch. Wahrscheinlich sind sie sehr dankbar, dass ich keine nervigen Gestalten mitbringe. Außerdem hält es mit mir eh niemand lange aus."

„Doch, ich!" Shari kichert mädchenhaft und fällt mir um den Hals.

„Du bist masochistisch veranlagt, ganz sicher", kommentiere ich überzeugt und ich schließe meine Arme fest um sie.

„Nur abgehärtet", kontert sie und drückt noch einmal fest. Danach lehnt sie sich wieder zurück.

„Sag, wer steht auf mich?", frage ich interessiert. Ich habe nichts dergleichen mitbekommen und bin nun wirklich neugierig. Shari schüttelt energisch ihren Kopf und presst ihre Lippen aufeinander. Ich stupse ihr mit dem Ellenbogen gegen die Seite. Shari sträubt sich dagegen, etwas zu sagen.

„Nein, das kann ich dir nicht erzählen. Das habe ich geschworen." Damit weiß ich, dass es jemand aus ihrer Clique sein muss. Shari lächelt verschmitzt und ich frage nicht weiter. Ich schließe kurz die Augen und genieße die angenehme Ruhe, die sich langsam in mir ausbreitet und meine Laune auf bedrückte bis erträgliche Stimmung hebt. Dank Shari. Das Gespräch und die Ehrlichkeit gegenüber Shari sind wie Balsam, der die Qualen für einen Moment lindert.

„Was wirst du jetzt tun?", fragt sie in die Stille hinein.

„Nichts. Er ist mit meiner Schwester zusammen und er wird es bleiben. Warum auch immer. Er ist nicht schwul, das hat er betont. Ich werde damit leben müssen und am Ende des Schuljahres einfach die Stadt verlassen", sage ich resigniert, mache eine davonfliegende Bewegung mit den Händen und sehe plötzlich Traurigkeit in Sharis Blick. Mir wird klar, dass meine Aussage gerade nicht sehr feinfühlig war. Auch sie will sich an der ansässigen Uni bewerben und nach unserem eigentlichen Plan, wären wir dann zusammen geblieben. Daran habe ich nicht mehr gedacht. Nun tut es mir leid. Ich greife nach ihrer Hand und drücke sie. Sie lächelt verständnisvoll und doch schwingt Kummer mit. Ich denke, dass sie es versteht. Ich trinke meinen Becher Tee aus und stehe auf.

„Ich muss nach Hause. Meine Eltern wundern sich bestimmt schon, wo ich wieder stecke", sage ich leise und würde am liebsten hier bleiben, aber ich möchte Familie Ambanis Geduld nicht überstrapazieren.

„Danke, Shari." Als sie ebenfalls auf steht, nehme ich sie liebevoll und dankend in den Arm. Es ist eine warme und schöne Umarmung.

„Wofür?", fragt sie leise in die Umarmung hinein. Ich rieche ihr sanftes, blumiges Parfüm und bin einfach unendlich dankbar, sie zu haben.

„Dafür, dass du einfach du bist, meine kleine Blume." Sie drückt mich fester.

„Melde dich, wenn du reden möchtest. Ich bin für dich da." Shari lächelt.

„Ich weiß. Danke."

Sie bringt mich zur Tür. Im Wohnzimmer sehe ich ihren Vater sitzen, der trotz allem einen warnenden Blick aufgesetzt hat. Ich verneige mich in seinem Blickfeld und er schaut weg. Shari kichert leicht und schiebt mich zur Tür.

„Lauf, Forest, lauf. Eher er den Kochlöffel rausholt", kichert sie und ich hebe schockiert meine Augenbraue. „Er wird sich schon beruhigen.", hängt sie noch beschwichtigend mit ran.

„Haha!", mache ich unlustig, „Ich hoffe, du bekommst keinen Ärger."

„Ich habe Mama auf meiner Seite. Das wird schon!" Ich gehe aus der Tür und drehe mich noch einmal um. Unsere sowieso schon enge Beziehung ist nun noch tiefer geworden. Ich lächele. Es tröpfelt etwas und ich höre ein erneutes Donnern.

„Shari? Dhanyavaad!" Danke ich, ihr auf Hindi.

„Vel kam", sagt sie zurück und ich verschwinde zum Bus. Nun hat auch Shari einiges zu verdauen. Ich habe sie mit vielen, neuen Informationen überschüttet und habe Trost und Zuspruch gefunden, aber der bohrende Schmerz in meiner Brust hält dennoch an.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  Onlyknow3
2014-10-03T20:27:24+00:00 03.10.2014 22:27
Das ist aber der erste Schritt das er Raphael los lassen kann. Dafür sollte er sich anderen Menschen zu wenden, nämlich denen, die es gut mit ihm meinen oder denen er am Herzen liegt. Mach weiter so, freue mich auf das nächste Kapitel.

LG
Onlyknow3
Von:  Kari06
2014-10-03T11:23:33+00:00 03.10.2014 13:23
Shari ist einfach eine Bomben-Freundin...so jemanden wünscht sich doch jeder :)

Bin ja mal gespannt wie es weiter geht...ob Shari vielleicht an Raphael herantritt und wie er dann darauf reagiert...oder sich einfach ihm gegenüber so verhält wie immer (obwohl ich mir das kaum vorstellen kann)

Bitte schnell weiter schreiben!!!


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