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Doors of my Mind

Der Freund meiner Schwester
von

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Ohne Punkt und Komma

Kapitel 11 Ohne Punkt und Komma
 

Als ich mich ins Bett lege, kann ich sie nebenan diskutieren hören. Ich verstehe kaum ein Wort, aber es ist ein zunächst kontinuierliches Geräusch. Ein gleichmäßiges. Doch es wird unruhiger. Lauter. Wahrscheinlich ist es nur Maya, die ihrem Unmut freien Lauf lässt. Doch auch hin und wieder kann ich die gedämpfte Stimme Raphaels hören. Mein Schuldempfinden wird immer stärker. Ich merke, wie ich mich spürbar anspanne und unruhig auf meinem Laken hin und her rutsche. Sie streiten, weil ich sie dazu getrieben habe.

Fast mit dem ersten Tag ihres Zusammenkommens habe ich damit begonnen die Beziehung der beiden lächerlich zu machen. Aus Selbstschutz, weil es, es leichter macht für mich. Doch mit jeder folgenden Woche, jedem folgenden Monat wurde es schwerer und schmerzhafter. Egal, wie sehr ich es von mir fort stieß. Dennoch habe ich Raphael keinen Ärger machen wollen.

Ich ziehe mir die Decke über den Kopf und schließe die Augen. Mitten in der Nacht kann ich die Türen hören. Meine Eltern sind zurück. Nehme ich jedenfalls an.

Am Sonntag schlafe ich aus, denn ich schlummere seit langem Mal wieder richtig gut. Es ist bereits mittags, als ich aufstehe. Meine Eltern arbeiten im Garten. Meine Mutter hockt in einem Beet, während mein Vater am Rasenmäher rumtüftelt. Ich ziehe mir eine Jacke über und gehe meiner Mutter beim Einsetzen von Pflanzen zur Hand. Sie liebt ihre Gartenarbeit, ihre Blumen und immer wenn sie ihre schmalen Finger in das kühle Erdreich gräbt, hat sie dieses Funkeln in den Augen und wirkt 10 Jahre jünger. Es ist schön mit anzusehen.

Ich blicke kurz nach oben und sehe Maya auf dem Balkon stehen. Ihr Gesicht ist versteinert und mit verschränkten Armen spaziert sie zurück in ihr Zimmer. Ich konnte die dunklen Gewitterwolken sehe, die sich um ihrem Kopf gebildet haben.

„Deine Schwester hat heute schlechte Laune“, bemerkt meine Mum und wischt sich mit den verschmutzten Fingern über die Stirn. Ich habe nicht mal gemerkt, dass sie aufgesehen hat. Vielleicht sind sie sich auch heute Morgen bereits begegnet.

„Ja, wir haben uns gestern Abend gezankt“, gebe ich kleinlaut zu und reiche meiner Mutter eine weitere Staude. Eine hübsche violette mit fransigen Blütenblättern.

„Oh, ich dachte sie hatte eine Auseinandersetzung mit Raphael. Er ist heute Morgen sehr früh aus dem Haus verschwunden“, gibt sie verwundert von sich und drückt sachte die Pflanze an. Es ist eine schöne Blume. Ich habe keine Ahnung, was es für eine ist. Für meine Mutter sind die Streitereien zwischen Maya und Raphael noch kein Grund zur Sorge. Ich habe nicht mitbekommen, dass Raphael so früh verschwunden ist und ich redete mir ein, dass es nicht an dem gestrigen Streit gelegen hat.

„Na ja, er hat viel um die Ohren. Seine Trainingsgruppe hat bald Turniere und das heißt Training. Training. Training“, erkläre ich geistesabwesend, wackele nebenher mit meinem Kopf rum und reiche meiner Mutter eine weitere Pflanze. Diesmal ist sie gelb.

„Wer hat angefangen?“, fragt sie. Ich sehe auf und frage mich gar nicht mehr, wie sie es immer wieder schafft mich einfach so zu durchschauen.

„Du oder Maya?“ Mit Nachdruck.

„Ich, glaube ich.“ Ich habe sie provoziert. Ich kann meiner Mutter schlecht erzählen, dass Maya mich wegen meines Fehlverhaltens anschwärzen wollte und es deshalb unfreundlich zwischen uns geworden ist.

„Hast du dich entschuldigt?“

„Nein, ich bin zu stur.“ Sie schnaubt wissend, da sie genau weiß, wie stur ich bin und ich halte ihr lächelnd eine Blume und die kleine Grabkelle hin. Es bringt sie zum Lachen. Entkommen werde ich dadurch, aber nicht.

„Mach das bitte, Mark“, sagt sie und duldet keine Widerworte. Sie weiß wie unausstehlich Maya mit schlechter Laune ist. Ich murmele eine lausige Erwiderung und bin immer noch zu stur, um mich bei ihr zu entschuldigen.
 

Der Nachmittag des Sonntags verläuft ruhig. Genauso wie der Anfang der folgenden Woche. Ich treffe mich wiederholt mit Shari und wir bekommen langsam wieder ein lockeres Gefühl füreinander. Sie ist nicht mehr sauer und ich bin heilfroh, dass sie mich nicht mehr nach meinem Liebesleben befragt.

Auch mit der Projektarbeit komme ich voran. Am Mittwochnachmittag können wir die Präsentation abschließen. Jetzt stehen nur noch die schriftliche Ausarbeitung an, dann ich bin den ermüdenden Teil des Schuljahres los. Der Rest ist nur Pipikram. Ein paar Tests. Ein paar kleine Diskussionen und Referate. Und die Abschlussarbeiten, pah! Das wird mit links. Ich sollte Motivator werden.

Als ich nach Hause komme, erklären mir meine Eltern, dass sie für den Abend Theaterkarten haben und sich mit Freunden treffen. Ich wünsche ihnen übertrieben theatralisch viel Spaß und tänzele auf mein Zimmer. Von unten kann ich meine Eltern lachen hören. Ich war schon immer der Clown der Familie.

Maya ist bei einer Freundin. Erst später merke ich, dass ich plötzlich allein zu Hause bin. Ich lehne mich zurück und lächele. Endlich allein. Endlich Ruhe. Endlich...verdammt, ich habe kein Internet. Mit dieser Tatsache im Kopf frustriert mich das Alleinsein eher, als das es mich erquickt. Hätte ich doch nur etwas mehr Fantasie.
 

Da meine Selbstbeschäftigung wegfällt, brauche ich etwas anderes. Ich gehe in die Küche. Ich starre eine Weile in den übervollen Kühlschrank und weiß dennoch nicht, was ich eigentlich will. Unentschlossen drehe ich ein paar Joghurts umher und entscheide mich letztendlich für einen herkömmlichen Apfel. Mit feuchten Fingern lehne ich mich gegen den Küchentresen und lausche der Ruhe, die sich in dem leeren Haus ausgebreitet hat. Es kommt selten vor, dass ich vollkommen allein zu Hause bin.

Der Apfel ist saftig und leicht sauer. Ich mag es und greife mir einen Zweiten, den ich mit nach oben neben will. Im Flur schrecke ich auf als die Türklingel die angenehme Stille zerreißt. Ich schaue auf die Uhr und wundere mich, wer um dieser Uhrzeit noch hier klingelt. In der Annahme, dass es ein Nachbar ist, öffne ich die Tür und sehe direkt in Raphaels tiefgrüne, aber total fahrige Augen. Er hält sich mit einer Hand am Mauerwerk fest und steht leicht gebeugt.

„Raphael?“, frage ich verdutzt.

„Ich will mit Maya sprechen“, gibt er lallend von sich und stolpert mehr als das er geht in den Türrahmen. Mir geht ein Licht auf. Die undeutliche Aussprache. Die Änderung seiner Haltung. Der träge Blick. Er ist total betrunken. Ich fange ihn ab und lasse ihn schrittweise reinkommen. Mit seiner Nähe kann ich den Alkohol sogar riechen.

„Maya ist nicht da. Ich dachte, du weißt das“, erkläre ich ihm. Raphael sieht mich irritiert an und scheint nur langsam zu verarbeiten, welche Bedeutung meine Worte für ihn haben. Auch seine Erinnerungen brauchen einen Augenblick.

„Oh, sie ist bei Nina. Hab ich vergessen“, fällt ihm mit einem Mal wieder ein. Ich zucke mit den Schultern. Diese Information ist für mich vollkommen nutzlos. Raphael blickt sich unentschlossen um und seufzt dann, während er langsam zu Boden sinkt. Ich passe auf, dass er sich nicht verletzt, setze ihn ordentlich hin und schließe die Haustür. Oh man. Ein betrunkener Raphael. Ein betrunkener Raphael willig in meinem Bett. Oh, ich würde ihn zum Betteln bringen. Okay, ich habe doch mehr Fantasie als mir in diesem Moment lieb ist. Wäre die Situation nur eine andere. Kurz blicke ich auf die beiden Äpfel in meiner Hand und stelle sie auf die Kommode. Mit in die Hüfte gestemmten Armen bleibe ich vor ihm stehen.

„Ich muss zu ihr. Ich ..Wir müssen reden…“, säuselt er leise vor sich hin und ich weiß nicht, was ich machen soll. Als er versucht wieder aufzustehen und dabei seine Autoschlüssel hervorholt, schreite ich schnellstmöglich ein. Oh. Oh. Ein betrunkener Raphael ist kein vernünftiger Raphael mehr.

„Hey, hey. Das wirst du schön lassen. Es ist schon schlimm genug, dass du in diesem Zustand hergekommen bist.“ Für einen Moment lang, sieht er mich an, wie ein grünäugiges Frettchen. Ich nehme ihm die Schlüssel aus der Hand, was einfacher ist als gedacht, weil seine Reflex wirklich grausam unter dem Alkoholeinfluss zu leiden scheinen und stecke sie mir in die Hosentasche. Raphaels Beschwerde kommt mit Verzögerung und der erste Versuch sie zurückzuholen, scheitert gnadenlos. Leider gibt er nicht auf. Er versucht es weiter und tastet dabei erst über die Rückseite meiner Jeans und dann über die Vorderseite. „Oh, keine gute Idee...lass das! Du kriegst ihn nicht zurück“, mahne ich ihn an und komme schwer gegen den betrunkenen Nebel in seinem Gehirn an. Ich halte seine Hände fest und er stolpert mir regelrecht entgegen.

„Aber ich muss zu Nina fahren...Mark, bitte...“, lallt er munter und schafft es eine Hand aus meinem Griff zu ziehen. Wieder trifft er meine Vorderseite. Diesmal leider etwas zu mittig. Mit einem zischenden Keuchen weiche ich zurück, lasse, aber sein Handgelenk nicht los.

„Hör auf“, fahre ich ihn an. Diesmal laut. Er hält inne. Seine grünen Augen blicken mir betrübt entgegen. Fast ernst. So sehr will er sie also sprechen. Anscheinend war ihr letzter Streit ernster, als ich dachte. Sein Mund öffnet sich leicht, doch kein einziges Wort dringt heraus. Dennoch starre ich auf seine Lippen und kann nur hoffe, dass Raphael morgen früh rein gar nichts mehr von dieser seltsamen Gesamtsituation weiß.

„Komm, ich hole dir ein Glas Wasser, ja?“, sage ich und lasse ihn los. Ich werfe nur einen kurzen Blick zurück und verschwinde in die Küche. Etwas kaltes Wasser wird ihm helfen. Ich nehme ein Glas aus dem Schrank, fülle es mit der kühlen Flüssigkeit und kehre zu dem anderen Mann zurück. Er hat sich kein Stück bewegt. Noch immer steht er mit leicht schiefem Rücken und hängenden Arme vor der Kommode rum. Nur seine Augen sind geschlossen. Okay, okay. Am besten bringe ich ihn in Mayas Zimmer. Dort kann er sich ausschlafen und morgen früh seinem Kater frönen.

„Hier, trink einen Schluck.“ Ich drücke Raphael das Glas in die Hand und sehe mit Zufriedenheit dabei zu, wie er langsam, aber artig ein paar Schlucke nimmt.

„Okay, was hältst du davon, wenn du dich hier erstmal ausschläfst und Morgen sprichst du nüchtern und in Ruhe mit Maya. Ist das ein Plan?“, rede ich fast schon beruhigend auf ihn an. Er sieht mich lange an und ich bin mir nicht sicher, ob er mich wirklich verstanden hat. Nur im Ansatz erkenne ich ein Nicken und nehme das als Anlass mit der Operation `Ins Bett bringen` fortzufahren. Der Titel ist zweideutig, aber ich spreche ihn ja nicht aus.

Ich nehme ihm das Glas ab und drehe ihn langsam zur Treppe. Gehen will er anscheinend nicht von allein. Er macht keine Anstalten. Gut. Neuer Plan. Ich lege mir Raphaels Arm um die Schultern und spiele den Steuermann. Endlich scheint er zu begreifen und setzt seine Gliedmaßen in Gang. Ich merke, wie das Gewicht auf meinen Schultern plötzlich noch etwas heftiger wird. Er ist schwerer als ich dachte. Wir schleppen uns jede einzelne Treppenstufe nach oben und bei der dritten scheint wieder Leben in ihm zu herrschen. Allerdings nur in seinem Sprachapparat.

„Morgen kann ich mit ihr reden...“, säuselt er schwerfällig. Ich bin mir nicht sicher, ob es eine Frage oder eine Feststellung war. „Weißt du, wann sie nach Hause kommt? Hast du Ninas Nummer?“, fährt er ohne eine Antwort zu erhalten fort.

„Sie soll wissen, was ich denke. Verstehst du? Sie versteht es nämlich nicht. Sie sagt immer nur nein und dann ist sie sauer. Und dann... ist vollkommen egal, was ich sage, verstehst du... Sie sagt ´Nein´ und dann muss ich das akzeptieren... Aber vielleicht will ich das gar nicht? Vielleicht will ich nicht dauernd bei allem nein hören. Wieso kann sie nicht einfach mal Jasagen, verstehst du?“ Ehrlich gesagt, verstehe ich es nicht wirklich. Ja, wobei? Sex? Ich will nicht drüber nachdenken. Ich nicke es höflich ab und will am liebsten nichts weiter davon hören. Dennoch lallt er ohne Punkt und Komma weiter. Mittlerweile sind wir in Mayas Zimmer angekommen. Ich sehe mich kurz um und muss feststellen, dass ich schon lange nicht mehr hier darin gewesen bin. Es ist nicht mehr rosa. Meine Verwunderung hält nicht lange, denn Raphaels Gewicht bereitet mir Probleme und ich bin froh, als ich ihm im Bett abladen kann. Er liegt diagonal und nicht richtig drauf, doch das ist mir gerade reichlich egal. Ich habe morgen sicher Muskelkater vom Schleppen und dann können wir gemeinsam in Katzenjammer ausbrechen.

„Woher kommt es, dass du so betrunken bist?“, frage ich, während ich seinen Oberkörper zurückstupse, als er sich erneut aufrichten will. Ich deute ihn mit dem Finger an, dass er das lassen soll und versuche ihm die Schuhe von den Füßen ziehen. Der linke Schuh ist kein Problem. Beim Rechten schaffe ich es nicht so leicht. Ich keuche vor Anstrengung und bin heil froh, als sich der Schuh endlich löst.

„War bei Marika... Sie hat ein paar Ehemalige eingeladen und wir haben über die alten Zeiten gequatscht.“ Herrje, er klingt, als wäre er ein Tattergreis. Ehemalige. Ihr Schulabschluss war letztes Jahr. Genaugenommen vor einem halben. Raphael lächelt ein seliges, fast grunddummes Lächeln und ich versteife mich als ich bei Marikas Erwähnung automatisch an Jake denken muss. Er faselt weiteres zusammenhangloses Zeug, doch ich höre kaum hin. Ich helfe ihm seine Jacke auszuziehen, als mir eine silberne Kette um seinem Hals auffällt. Ich habe sie noch nie an ihm gesehen. Aus Neugier, aber vor allem aus Angst, dass er sich damit erwürgt, nehme ich sie ihm ab. Es ist ein einfacher, länglicher Anhänger, auf dem ein Datum ohne Jahr steht. Wirklich eigenartig. Ich lege sie auf dem Nachttisch ab.

„Sie hat erzählt, dass du dort auf der Party warst. Samstag. Ich war auch eingeladen, aber ich musste lernen“, brabbelt er undeutlich. Seine Augen sind bereits geschlossen, doch seine Füße bewegen sich in einem gleichmäßigen Rhythmus hin und her. Nicht auszudenken, wenn Raphael auch auf der Party gewesen wäre. In meinem Magen beginnt es unwirsch zu kribbeln.

„Wieso hast du nicht erzählt, dass du dort warst?“, fragt er mich leise und ich zucke nur mit den Schultern. Ich beschließe, dass er ruhig mit den restlichen Klamotten schlafen kann und beuge mich über das Bett zum Fenster und öffne es. Erst nach einer Weile merke ich, dass Raphael nichts mehr sagt und ich blicke zu ihm hinab. Stille, nur seine Füße verursachen ein leises raschelndes Geräusch. Er wartet auf meine Antwort, doch ich gebe ihm keine.

„Ich wusste nicht mal, dass du Marika kennst. Woher kennst du sie?“, fährt er fort und ich ziehe ihm die Decke hoch. Ich klopfe ihm kurz die Falten über der Brust platt und hoffe, dass er endlich Ruhe gibt.

„Du solltest jetzt schlafen“, erkläre ich. Ich richte mich auf und werde plötzlich von ihm am Handgelenk gepackt. Ich bin so überrascht, dass ich das Gleichgewicht verliere und mich neben ihm auf dem Bett abstützen muss. Blut schießt mir in die Ohren und ich werde unweigerlich rot. Neben dem Alkohol kann ich Raphaels Duft wahrnehmen. Er ist dezenter als sonst, aber definitiv da. Genauso, wie eine feine Note von Zigarettenrauch. Es ist seltsam, aber ich mag das.

„Mark, ich weiß nicht, was ich falsch mache. Sie ist manchmal so unnahbar...stößt mich ohne Grund von sich. Sie hat gar kein Vertrauen zu mir“, murmelt er und wirkt gar nicht mehr betrunken. Sein Blick ist klar und traurig. Ich fühle mich nicht im Stande, irgendwas zu sagen und versinke stattdessen in diesen wunderschönen Augen. Mein Blick wandert über seine Wangenknochen, über die mit leichten Stoppeln versehenden Wangen. Ich möchte sie berühren. Seine Lippen schmecken. Ich schlucke und schaue auf mein Handgelenk, welches von seiner warmen Hand fest umschlossen ist. Ich versuche mich zu lösen, doch er lässt es nicht zu. Mir fällt kein sinnvoller Kommentar ein, deshalb schweige ich weiter.

„Wieso vertraut sie mir nicht? Ich möchte doch nur glücklich sein. Jemanden nahe sein, der mich versteht und bei dem ich mich wohlfühle. Das, was alle wollen, weiß du?“ Raphaels Stimme ist sanft und ein wenig resigniert. Ich verstehe ihn gut. Es geht mir ähnlich, doch ich werde nicht bekommen, wonach ich mich sehne.
 

Von Raphael geht eine wunderbare Wärme aus und ich spüre, wie sich mein Herzschlag beschleunigt. Ich versuche zu atmen. Ich versuche mich nicht zu verlieren.

„Du willst das auch, nicht wahr? Du würdest jede Minute auskosten und Nähe suchen, oder?“ Ein Flüstern und ich spüre, wie der Wunsch dem anderen näher zu sein mit jeder Sekunde wächst.

„Du solltest wirklich schlafen. Morgen sieht die Welt wieder ganz anders aus. Dann kannst du mit Maya reden und alles klären. Okay?“, sage ich wie automatisch. Ich will nicht noch mehr über seine Probleme mit meiner Schwester hören. Ich ertrage es einfach nicht. Ich will mich von ihm lösen, doch er hält meinen Arm weiterhin fest. Minimal zieht er mich runter und sieht mich eindringlich an.

„Was willst du von mir hören?“, flüstere ich zurück. Doch anstatt etwas darauf zu erwidern, schüttelt er den Kopf. Mein Herz schlägt so schnell, dass ich der Überzeugung bin, dass selbst Raphael es wummern hört. Sein Griff um mein Handgelenk lässt nach und sein Daumen streicht kurz über meinen Handballen. Ich spüre, wie mir die Hitze endgültig ins Gesicht schießt.

„Ich habe das Bild gesehen“, murmelt er und für einen kurzen Moment vergesse ich das Atmen und bekomme Gänsehaut, die sich wellenartig über meinen Körper bereitet. Er hat das Bild gesehen. Er war in meinem Zimmer gewesen. Ich denke an den Abend zurück und an seinen Gesichtsausdruck auf dem Balkon. Sofort rufe ich die verschiedensten Ausreden ab, welche das Bild erklären können. Keine davon ist wirklich glaubwürdig. Wiederholt streicht sein Daumen über meine Hand, doch danach löse ich sie aus seinem Griff und richte mich auf.

Wahrscheinlich müsste ich fragen, welches Bild er meint. Müsste es herunterspielen, als Nichtigkeit. Doch ich habe zu lange gezögert um es ihm glaubhaft zu verkaufen, dass ich nicht weiß, was er meint. Ich suche nach den richtigen Worten, aber es fällt mir schwer.

„Es war nur dieser kurze Moment. Trotzdem ist das Bild so genau und detailliert. Wie machst du das?“ Er muss es sich lange angesehen haben. Ich bin dankbar für die Dunkelheit, denn so kann Raphael nicht sehen, dass ich erröte.

„Ich bin ein guter Beobachter“, kommentiere ich platt und bewege mich nicht vom Fleck.

„Ja, das bist du schon immer gewesen. Auch damals in der Schule. Kannst du dich noch an diesen einen Herbst erinnern? Es war unglaublich warm. Und du hast draußen gestanden und Minutenlang dabei zugesehen, wie die Blätter vom Baum fielen. Alle sind an dir vorbei gelaufen, haben gelacht und geredet. Doch du standest einfach nur da. Du hattest einen so abwesenden Blick, dass ich mich gefragt habe, was in deinen Kopf vorgeht. Frage ich mich heute auch noch oft.“ Er tippt sich gegen die Stirn und schließt die Augen. Seine Worte lassen mich erzittern und ich spüre ein starkes Flattern in meiner Brust. Ich habe mich immer gefragt, wie er das Ganze in Erinnerung hat.

„Sei froh, dass du das nicht weißt“, sage ich leise und sehe, wie Raphael zu lächeln beginnt. Es ist ungewöhnlich und ich kann es nicht interpretieren. Er schließt die Augen und fährt sich mit der Hand durch die Haare.

„Du solltest jetzt wirklich schlafen“, sage ich diesmal mit Nachdruck und kann dennoch meinen Blick nicht von ihm abwenden. Seine dunklen Haare fallen zurück aufs Kissen. Das sanfte Heben seines Oberkörpers ist hypnotisierend. Die Stelle an meiner Hand, die er berührt hat, scheint zu brennen und ich wende mich ab. Ich höre, wie Raphael meinen Namen sagt, doch ich reagiere nicht. Stattdessen wünsche ich ihm flüsternd eine gute Nacht und verschwinde aus dem Zimmer meiner Schwester. Meine Finger umfassen mein Handgelenk und ich habe immer noch das Gefühl seine Berührung zu spüren. Hinter der geschlossenen Tür meines eigenen Zimmers bleibe ich stehen, rutsche langsam an dieser hinab und komme zum Sitzen. Ich schließe die Augen und lausche meinem temporeichen Puls, der in meinen Ohren rauscht und jegliches Geräusch von außen dämpft.

Was hat das nur zu bedeuten?

Ich bleibe eine Weile einfach nur sitzen und lasse das Geschehene Revue passieren. Raphaels Geruch haftet an mir. Ich führe mein Handgelenk zu meiner Nase und zergehen einen Moment, einen verbotenen Moment lang im Rausch. So nah bin ich ihm noch nie gewesen. Ich greife mir an den Hals und spüre ein Kribbeln in meinem Kehlkopf, welches sich langsam über meinen gesamten Körper ausbreitet.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  Onlyknow3
2014-09-02T18:55:32+00:00 02.09.2014 20:55
Was Raphael wohl denkt über das Bild und Mark. Ob er sich doch noch für Mark entscheidet? Super Kapitel mach weiter so.
Ich bin so was von neugierig auf die anderen Kapitel.

LG
Onlyknow3
Von:  Morphia
2014-07-21T22:44:23+00:00 22.07.2014 00:44
Schönstes Kapitel bis jetzt. *o*

Oh Gott, er hat das Bild gesehen. >///<
Antwort von:  Karo_del_Green
22.07.2014 21:26
Danke Schön!!! ^////^

Freut mich sehr, dass es dir gefallen hat!

Lieben Gruß,
del


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