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Doors of my Mind

Der Freund meiner Schwester
von

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Ein Inder in der Küche

Kapitel 5 Ein Inder in der Küche
 

Die Fahrt zur Schule dauert nur wenige Minuten und doch komme ich erst nach Shari an. Sie steht mit unruhigen Beinen unter einer Eiche und reibt ihre schmalen Finger an der Jacke. Sie lächelt als sie mich sieht.

„Namasté“, ruft sie und kommt geschwind auf mich zu. Ihre locker zusammengebundenen Haare schwingen im Takt ihrer Schritte hin und her.

„Dobrui wetscher“ Das Russisch perlt gut von meinen Lippen und ich genieße den rüden Klang. Im Gegensatz zu dem weich gehauchten ´Namasté´ von Shari klingt es hart und unbarmherzig. Ich mag es.

„Uh, du solltest Bösewichte synchronisieren.“ Scherz oder Wahrheit. Ihr Lächeln hält sich bombenfest und ich kann es wirklich nicht sagen.

„Ich werde lieber zu einem“, sage ich mit tiefer und fast böser Stimme. Sie lacht und nimmt es mir nicht ab. Ich auch nicht.

„Oh, deine Braue hat ja gestern auch etwas abbekommen“, bemerkt sie erstaunt. Sie streckt ihre Hand, zieht sie dann wieder zurück, bevor sie die böse Aua-Stelle berühren kann.

„Ich hab überlegt, ob ich sie mir piercen lasse. So als Kontrast zu dem Regenbogen, der sich da bald bildet.“ Ich scherze, doch sie blickt mich für einen kurzen Augenblick verständnislos an.

„War ein Spaß. Steig endlich ins Auto bevor wir zu spät kommen.“ Shari klatscht in die Hände. Ich verdrehe theatralisch die Augen und schiebe sie zum Auto.
 

Als wir bei Marikas Wohnhaus ankommen, ist schon einiges los. Einige bekannte Gesichter stehen vor dem Eingang, rauchen und trinken. Ich fahre eine Querstraße weiter und stelle in sicherer Entfernung zur Party das Auto ab.

„Wieso bist du eigentlich mit dem Auto? Trinkst du nichts?“, fragt Shari und zerrt an ihrer Kleidung herum. Sie trägt eine beige Stoffhose und ein schöne, nicht zu tief ausgeschnittene Bluse mit kleinen zarten Blümchen. Sie sieht umwerfend aus. Niedlich, aber irgendwie auch ein bisschen sexy. Ich sollte sowas nicht denken. Schon gar nicht nach der Sache mit Danny.

„Nee, sowas wird vollkommen überbewertet. Man muss nicht trinken um Spaß auf einer Party zu haben“, kommentiere ich und klinge erstaunlich glaubwürdig. Ich habe den Abend für mich sowieso schon abgeschrieben. Erneut wirft sie mir diesen seltsamen Blick und ich ignoriere ihn gekonnt.

„Nein, Shari, ich trinke nicht. Ich bin nur hier um dich nachher heil nach Hause zu bringen, mehr nicht.“ Die Antwort gefällt ihr noch weniger.

„Ich will dir aber keine Last und keine Bürde sein.“, erwidert sie und dreht sich verärgert von mir weg. Ich halte sie zurück.

„Entschuldige, so sollte es nicht klingen. Ich mache mir nur Sorgen...“

„Um deine Nerven?“

„Nein...“

„Um deinen Kopf?“, fragt sie unschuldig.

„Was?“

„Na, wenn ihn dir mein Vater abreißt?“ Nun lächelt sie. Mir entgleisen die Gesichtszüge. Ihr Vater. Oh man. Shari zieht mich lachend zur Party, während ich ihr versichere, dass es nicht mal ansatzweise lustig ist.
 

Im Haus ist es stickig. Bereits im Treppenhaus kommen uns rauchende und grölende Gäste entgegen. Sie sind bereits stark angeheitert. Shari begrüßt jeden freudig und beginnt sofort ein angeregtes Gespräch mit einer dunkelhaarigen Mitschülerin, die ich nur vom Sehen kenne.

Ich halte mich im Hintergrund und schaue mich neugierig um. Ich bin schon mehrmals in der großen WG-Wohnung gewesen. Marika war wie Raphael einen Jahrgang über mir und bewohnt mit zwei weiteren Studentinnen eine 4-Zimmerwohnung. Hier steigen oft Partys. Sie haben das Glück in einem reinen Studentenwohnhaus zu leben, so dass es niemanden stört, wenn die halbe Nacht laute Musik gespielt wird. Im Gegenteil. Alle Bewohner feiern einfach mit. Jemand klopft mir auf die Schulter und ich schaue in das Gesicht eines meiner Klassenkameraden.

„Hey, ich hätte ja nicht gedacht, dass du so zuschlagen kannst, Dima.“ Wieder mein Nachname. Ich hasse das, aber es ist unter den sportlichen, männlichen Schüler die beliebteste Anrede.

„Ja, ja“, antworte ich ihm genervt. Es scheint ihn nicht zu stören, denn sein Grinsen wird nur noch etwas breiter und der Schlag gegen meinen Oberarm noch etwas härter. Er drückt mir ein Bier in die Hand und geht weiter. Es ist noch geschlossen und für einen Augenblick überlege ich es zu öffnen. Mit einen Seufzen stelle ich es zur Seite. Ich hab mir festgenommen nicht zu trinken und ich werde es einhalten. Unwillkürlich wandert mein Blick suchend durch die Menge und ich bin erleichtert, als ich im Flur den schwarzen Haarschopf meiner Freundin entdecke, die sich angehalten mit einer Blondine unterhält. Die kenne ich nicht. Die kleine Inderin anscheinend schon.

Die Musik ist abwechslungsreich und die meisten Lieder kenne ich sogar. Ich hindere mich nur mit großer Mühe daran nicht dauernd mitzusingen. In der Küche besorge ich mir etwas Cola und frage auch Shari, ob sie irgendwas möchte. Sie verneint. Ich bitte sie darum nur geschlossene Getränke zu trinken und lasse mich auf der Lehne des Sessels nieder. Shari weiterhin im Blick. Selbst, wenn ich es wollen würde, würde ich mich nicht amüsieren können. Hin und wieder erreichen mich ein paar Bemerkungen über die Prügelei, doch ich ignoriere sie gekonnt. Bis Danny selbst vor mir steht. Sein linker Naseflügel ist geschwollen und auch der Wangenknochen leuchtet rötlich. Im Gegensatz zu mir sieht er damit nicht vollkommen lächerlich aus.

„Ich hab wohl doch mehr Treffer gelandet, als ich dachte“, sagt er und deutet auf meine Augenbraue. Ich winke ab.

„Das ist jetzt voll im Trend, hab ich gehört.“

„Ist das so?“ Danny lacht.

„Wenigstens lag das Überraschungsmoment bei mir“, witzele ich weiter. Danny lacht schallend.

„Was machst du hier? Du warst schon ewig nicht mehr auf unseren Feten“, bemerkt er und nimmt einen großen Schluck aus seinem Glas. Ich kann nicht erkennen, was es ist, was er trinkt, aber es riecht stark alkoholisch. Er entdeckt Shari in einer Gruppe von Mädchen und blickt direkt wieder zu mir.

„Ah, jetzt verstehe ich deine Anwesenheit.“ Ich folge seinem Blick, grinse schief und nicke. Schulterzuckend nippe ich an der Cola Dose.

„Keine Sorge, ich halte mich von ihr fern. Sonst brichst du mir nachher noch die Nase. Seid ihr eigentlich ein Paar?“ Ich verschlucke mich an meinem Getränk und schüttele den Kopf, nachdem ich wieder Luft bekomme.

„Nein. Nein. Nein. Und niemand von uns wird je an ihrem Vater vorbeikommen“, sage ich ohne weitere Erklärung und hoffe damit von weiteren Fragen ablenken zu können. Shari ist meine Freundin, meine beste und wird nie etwas anderes sein. Das ist für mich sehr viel wert. Danny lacht noch immer über den Scherz mit ihrem Vater und zum zweiten Mal an diesem Abend bekomme ich ein Bier in die Hand gedrückt.

„Doch, du bist cool.“ Er klopft mir auf den Rücken mit einer solchen Wucht, dass ich mich noch mal verschlucke. Ich komme nicht dazu noch etwas zu erwidern, denn er geht schon weiter.

„Oh man“, murmele ich leise und fahre mir durch die Haare. Unvermittelt setzt sich Marika neben mich. Ich erkenne sie an ihren leuchtend roten Haaren und lächele.

„Hey Mark, schön dich mal wiederzusehen.“ Kurz umarmt sie mich und schaut sich danach kritisch die Verletzungen in meinem Gesicht an. Sie fragt nicht, sondern schüttelt nur den Kopf. Ich danke ihr schweigend. Wir haben uns vor einem Jahr auf einer ihrer Feiern kennengelernt. Damals waren die Partys noch etwas kleiner und man konnte mit anderen Leuten ins Gespräch kommen.

„Eure Feiern werden immer gigantischer“, bemerke ich. Sie nickt eifrig. Etwas Sinnvolleres fällt mir nicht ein, doch Marika lacht.

„Ja, wir planen schon eine Wohnungs- und Etagenübergreifende Party. Jede Etage mit eigener Musikrichtung. Dann bleibt uns das Kuddelmuddel erspart. Du bist herzlich eingeladen.“ Nun lache auch ich und schüttele, warum auch immer, den Kopf.

„Komm mal mit.“ Sie packt mich an der Hand und zerrt mich durch die halbe Wohnung in eines der Schlafzimmer. Auch hier stehen überall Menschen und die Luft ist schlecht.

Marika bleibt bei einer großen Silhouette stehen, die sich mit einer Gruppe Mädchen unterhält. Marika tippt ihm energisch auf die Schulter und als er sich umdreht, erkenne ich sofort die braunen Augen und das sanfte Lächeln. Jake. Er ist Marikas Cousin und ich habe ihn bei einer der ersten Partys kennengelernt. Er ist ein paar Jahre älter, als Marika und somit auch einiges älter als ich. Wir haben uns gut verstanden, zu gut. Er schaut erst verwundert, dann aber erfreut. Anscheinend erkennt er mich und ich frage mich, wie viel er noch weiß. Marika textet ihn einen Moment lang zu, beugt sich zu ihm und verschwindet dann blitzschnell nach unten. Nun richtet Jake seine ganze Aufmerksamkeit auf mich.

„Mark, es ist schön dich zusehen. Es ist ja schon ewig her.“

„Fast ein Jahr.“ Es ist mir tatsächlich ein wenig unangenehm, jetzt plötzlich mit ihm allein zu sein. Kurz sehe ich mich nach Marika um, auch wenn es ein hilfloses Unterfangen ist. Ich spüre Jakes Blick auf mir und es wird noch einen Zacken peinlicher. Vor allem als mir einfällt, wie ich zurzeit aussehe.

„Ich hab von der Prügelei gehört, aber, dass du der Mark bist, der daran teilgenommen hat, war mir nicht bewusst“, erzählt er und ich schließe nun sogar sichtbar peinlich berührt die Augen.

„Wenn ich für jede Erwähnung heute einen Drink bekommen hätte, dass läge ich jetzt schon im Krankenhaus. Dass darüber so intensiv geredet wird, ist mir langsam echt peinlich.“ Ich bereue es umso mehr, denn das was ich am Wenigsten wollte, war Aufmerksamkeit. Das Gerede und Getratsche nervt mich und auch das Image, welches die Leute damit in Verbindung bringen. Wenigstens weiß niemand, dass es bei dem Streit um Shari ging, denn niemand spricht mich darauf an oder sie. Apropos hübsche kleine Inderin. Ich habe sie nicht mehr im Blick. Unruhig sehe ich mich um. In den Moment, in dem ich mich langsam wieder aus dem Zimmer stehlen will, hält mich Jake zurück. Seine warmen Finger jagen eine bestimmte Erinnerung durch meinen Kopf und ich schlucke. Ein Kuss. Ein wirklich guter.

„Weißt du, ich habe wirklich gehofft, dich auf einer der anderen Feiern wiederzusehen, aber...“, setzt er an und ich unterbreche ihn.

„Ja, entschuldige, ich hab mich rar gemacht. So hält man das Interesse aufrecht“, witzele ich, „Jake, ich muss wieder runter. Ich hab da so eine...kleine naive... Sache...“

„Wie bitte?“, fragt er irritiert und ich bin nicht gewillt es weiter auszuführen.

„Du, sei mir nicht böse, aber ich muss wirklich runter...“, rufe ich noch im Gehen und winde mich geschwind die Treppe hinunter. Unten bahne ich mir einen Weg durch die Massen und sehe Shari noch immer in der Gruppe Mädchen stehen. Erst jetzt fällt mir ein, dass wir nicht darüber gesprochen haben, wann sie zu Hause sein muss. Ich stelle mich hinter sie und versuche ihre Aufmerksamkeit zu bekommen. Ich murmele mehrmals ihren Namen. Nichts. Irgendwann grolle ich ihn, wie in einem Horrorfilm. Weiterhin nichts.

„Entschuldigt“, werfe ich nun laut in die Runde und fünf Augenpaare sehen mich an. Vier davon sind mir bekannt. Ich ziehe Shari aus der Gruppe und entschuldige mich ein weiteres Mal bei den Mädchen.

„Hey, wie gefällt es dir?“, frage ich ganz neutral.

„Bisher gut. Es ist ziemlich laut und es wird gar nicht getanzt, aber ich finde es gut.“ Sie hält eine Dose Cola in der Hand und ich nicke zufrieden.

„Irgendwann, wenn genug getrunken wurde, wird auch getanzt. Muss man nicht unbedingt miterleben. Wann sollst du zu Hause sein?“, frage ich hinterrücks. Shari schaut auf die Uhr und lächelt.

„Um 12 Uhr. Ein bisschen können wir noch bleiben. Du bist ja mit dem Auto, also geht es schneller.“ Sie nickt bestimmt und ich überlasse sie wieder ihrer Tratschgruppe. Ich hole mir aus der Küche eine weitere Cola und gerate erneut in die Fängen von Marika und einer ihrer Mitbewohnerin. Auch diese kenne ich vom letzten Jahr. Nun bleibt mir eine genauere Beschreibung über die Ursache meiner Blessuren nicht erspart und genervt käue ich den Ablauf wieder. Natürlich lasse ich die unsittlichen Beweggründe weg.
 

Es ist zehn vor 12 Uhr, als ich den Kopf hebe und sehe, wie ein großer, älterer Inder durch die Küchentür spaziert. Sharis Vater sieht sich um und fokussiert fast sofort mich. Er überragt alle und steht mitten in der Küche. Ich schlucke und bahne mir behutsam und zurückhaltend einen Weg zu ihm.

„Namasté, Mister Ambani.“ Ich verneige mich respektvoll, blicke hektisch auf die Uhr und suche nach Shari. Sie hat sich nicht weg bewegt, sondern steht noch immer mit denselben Mädchen im Wohnzimmer.

„Mark.“ Nur ein Brummen. „Wo ist sie?“, fragt er hinterher. Ich deute ihn an mir zu folgen und erreiche Shari bevor er bei ihr ankommt. Schnell flüstere ich ihr zu, dass ihr Vater da ist und sehe den erschrockenen Blick. Ohne weitere Worte schiebt er sie durch die Menge. Ich folge ihnen bis ich wortlos an der Haustür stehengelassen werde. Ich flüstere ein ´Da swidanija´ und hoffe, dass sie keinen Ärger bekommt. Ich bleibe einen Moment an der frischen Luft stehen und ignoriere die fragenden Blicke der Partygäste, die an der Tür vorbeikommen. Ignorieren kann ich gut. Erst Jakes Stimme reißt mich aus den Gedanken.

„Kleine naive Sache, ja?“, fragt er verstehend, „Alles okay?“ Ich sehe ihn nicht an, sondern starre weiter in die Nacht.

„Denke schon...“, murmele ich. Bin mir nur nicht sicher. Jake bleibt neben mir stehen und ich merke, wie er mir sachte an die Schulter stupst.

„Habt ihr sie heimlich aus dem Haus geschmuggelt?“, fragt er und ich kann mir ein leichtes Lachen nicht verkneifen. Was für ein dämliches Klischee.

„Nein, aber es war sozusagen das erste Mal, dass sie auf eine Party durfte und eigentlich war abgemacht, dass ich sie um 12 Uhr zu Hause absetze, aber... wie man unschwer an dem großen Mann erkennen konnte, hat das nicht geklappt.“

„Wohl wahr“, sagt er leise lachend. Ich mache mir Vorwürfe, weil ich nicht früher daran gedacht habe sie wegzubringen. Anscheinend sehe ich dementsprechend angeknackst aus, denn ich spüre seine warme Hand an meiner Schulter. Nahe meines Halses. Nun sehe ich ihn an. Sein Lächeln ist sanft und aufmunternd. Ich merke, wie sich ein warmes Gefühl in mir ausbreitet und augenblicklich die Erinnerungen zurückkommen.

„Mach dir keine Vorwürfe, bei solchen Eltern ist es schwer alles richtig zu machen. Wahrscheinlich saßen sie schon nach ihrem Fortgehen auf heißen Kohlen.“ Jake hat vermutlich Recht, aber mein schlechtes Gefühl bleibt und mischt sich nun mit der eigenartigen Aufregung, die seine Anwesenheit auslöst.

„Hey, tut mir leid, dass ich vorhin so schnell abgerauscht bin“, plappere ich unüberlegt.

„Schon gut...Bleibst du noch ein bisschen?“, fragt er hoffnungsvoll. In meinem Inneren setzt sich etwas in Bewegung. Ein Kribbeln. Es ist voller Aufregung. Ich nicke nach kurzem Überlegen. Jetzt kann im Grunde nichts mehr schiefgehen. Jake lächelt, schiebt mich zurück auf die Party und drückt mir als Dritter ein Bier in die Hand. Diesmal öffne ich es, denn ich kann mein Versprechen nicht mehr einhalten und muss es auch nicht. Der erste Schluck ist bitter und ich wünsche mir den Wein vom vorigen Abend zurück. Marika taucht wieder auf und fragt nach Shari. Auch das käue ich wenig enthusiastisch wieder. Sie nickt verständnisvoll und versichert mir ebenfalls, dass sie hofft, Shari würde keinen Ärger bekommen.

„Hey, da fällt mir gerade ein, was ich dich noch Fragen wollte...“ Die Spannung steigt. „Ist Rapha wirklich mit deiner Schwester zusammen?“ Sie kichert nur bei der Vorstellung. Meine Stimmung schwindet augenblicklich dahin. Auch mein Herz rutscht ins Bodenlose.

„Ich kann es gar nicht glauben“, quasselt sie weiter und merkt gar nicht, dass ich keine Antworten gebe.

„Sie ist ja wirklich ein hübsches Ding, aber erst 17 Jahre, oder? Was will er denn mit so jungem Gemüse?“ Nun blickt sie mich an und ich fühle mich gezwungen zustimmend zu nicken. Ich leere das Bier mit einem letzten langen Zug und nehme mir ein neues, während Marika weiter herum philosophiert, was Raphael an meiner Schwester finden konnte. Jedes ihrer Worte drückt sich schmerzhaft in meinen Brustkorb. Mein Kopf wird schwer. Nur noch halb höre ich ihr zu und bin irgendwann bei meinem vierten Bier in kurzer Zeit angekommen. Ich sehe zu Jake, der sich bisher weitestgehend aus Marikas Monolog herausgehalten hat und nur hin und wieder ein paar Kleinigkeiten von sich gibt. Er hat seine Arme vor der Brust verschränkt und streicht sich mit den Händen immer wieder über die freiliegende Haut seines Oberarms. Mein Blick haftet sich auf die kleinen Härchen, die sich durch mein alkoholisiertes Gehirn sanft auf und ab bewegen. Wie es sich wohl anfühlt? Weich? Kribbelig. Ist weich ein Gefühl?

Ich erinnere mich an den Abend vor einem Jahr zurück. Er hat sich kaum verändert. Seine dunkelbraunen Haare sind etwas kürzer und er trägt einen leichten Bart. Es sind gute Erinnerungen an Jake, die etwas in meiner Brust flattern lassen. Ein Kuss, der intensiv und gut gewesen war. Und dennoch habe ich ihn nicht angerufen oder mich irgendwie anders bei ihm gemeldet. Aber der Kuss. Küssen. Mein Gehirn driftet immer weiter ab bis ich sanfte grüne Augen vor mir sehen. Liebevoll funkelnd. Und seine Lippen. Seine Lippen kann man bestimmt ganz besonders gut küssen.

„Entschuldigt mich“, sage ich abgelenkt und schiebe mich an den beiden vorbei zum Klo. Doch es ist besetzt. Ich lasse mich die Wand hinabgleiten und bleibe davor sitzen. Jedes Mal, wenn ich meine Augen schließe, sehe ich Raphael vor mir. Doch in meinen jetzigen Zustand sehe ich nicht die harmlosen Augenblicke, sondern genau die mit meiner Schwester. Wie sie sich Küssen, sich anfassen, sich etwas zu flüstern und diese Blicke. Sie sind das Schlimmste. Der Alkohol verstärkt die unschönen Gefühle in meiner Magengegend. Die Wut. Die Verzweiflung und doch pocht das Verlangen nach menschlicher Nähe in mir. Vielleicht gerade deswegen. Ich seufze fahrig. Einige Fußpaare tänzeln über meine Beine hinweg, während ich darauf warte, dass sich das Badezimmer leert. Doch es passiert nichts. Langsam ziehe ich mich an der Tür nach oben und klopfe wild dagegen. Ich höre darin ein Geräusch, doch die Tür öffnet sich nicht. Wieder fasst mir jemand sachte an die Schulter und zieht mich zurück, so dass ich nicht mehr an die Tür heranreiche. Es ist Jake. Er deutet mir an, dass ich ihm folgen soll und wir erklimmen über die Treppe die nächste Etage. Er öffnet die Tür und ich folge ihm in die dunkle Wohnung.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Onlyknow3
2014-09-02T07:12:01+00:00 02.09.2014 09:12
Was wird jetzt aus den Gefühlen für Raphael, sie zerbrechen Mark langsam und das ist nicht gut.
Er sollte sich ablenken dann wird es nicht so schwer für ihn sie zu Unterdrücken.
Weiter so, super Kapitel.

LG
Onlyknow3


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