Das Rascheln von Stoff war das einzige Geräusch, das man in den gefliesten Gängen hören konnte. Darauf folgten schnelle Schritte und eine Stimme, die leise seufzte. Eine Frau mit hüftlangen, weißem Haar und gelblichen Augen flog durch die Kellergänge des Krankenhauses, hinab zu ihrem Arbeitsplatz: der Pathologie. An ihrem Kittel baumelte ein kleines Namensschildchen, was, wie sie fand, total überflüssig war, da Tote nicht lesen konnten. Darauf stand: „Pathologin Dr. Shiro Tenshi“. Ein schöner Name, worauf die Frau auch sehr stolz war. Noch eine Ecke und sie kam auf den Gang, welcher ihr Ziel war. Sie fummelte ein Schlüsselbund aus der Hosentasche und schloss direkt mit dem richtigen Schlüssel die Doppeltür auf, knipste das Licht an und schnippte den Schlüsselbund auf ihren Platz. Sie arbeitete hier unten mir ihren Assistenten Tobi und Mizumi zusammen, die aber erst gegen sieben hier aufkreuzen würden. Shiro beschloss, einfach mal zur Rezeption zu gehen und dort mit Hana zu quatschen. Also drehte sie auf den Hacken um und lief durch die Flügeltür aus undurchsichtigem Glas, dessen Aufschrift „Pathologie“ lautete. Am Aufzug drückte sie auf den Pfeil nach oben, der gleich blau aufleutete. Als der Aufzug endlich ankam und sich öffnete huschte die zierliche Frau in den kleinen Raum und drückte auf „E“. Die Tür schloss sich und der Aufzug setzte sich mit einem sachten Ruck in Bewegung. Im Erdgeschoss angekommen holte sie sich erst einmal einen Kaffee, den sie mit reichlich Zucker versüßte und schlückchenweise trank. Auf den Weg zu Hana kamen ihr schon die ersten bekannten Gesichter in Kitteln oder verschiedenfarbigen Kluften entgegen, die sie alle mit einem „Morgen“ begrüßte. Auch ein paar Besucher und Kranke kamen ihr entgegen, doch sie ignorierte diese Leute so gut es eben ging. Nur einmal krachte sie in einen Mann, der sie argwöhnisch musterte. Sie lief geschwind durch die Gänge.
»Gott sei Dank habe ich nicht meine Pumps angezogen«, dachte sie sich, kurz auf ihre schwarzen Chucks lächelnd.
Sie kam auch an vielen Fenstern vorbei, wo die ersten Sonnenstrahlen auf das Krankenhaus herabschienen. Es war kurz nach sechs. Endlich kam Shiro bei der kleinen Empfangstheke an, wo sich schon so manch' ein Anderer tummelte. Ihre Augen fanden den braunen Lockenschopf von Hana, die Heute lachsfarbene Krankenschwesterklamotten trug. Sie redete gerade mit einem älteren Herren. Wartend lehnte sich Shiro an die Säule neben der Theke und schlürfte ihren Kaffee. Es war, wie jeder Morgen eben war, irgendwie eintönig. Hoffentlich änderte sich das, denn Langeweile konnte die gelernte Gerichtsmedizinerin nicht vertragen. Das Pony fiel ihr leicht ins Gesicht und zwei Strähnen lagen ruhig auf dem weißen, geöffneten Kittel, der Rest fand sich hoch oben am Kopf in einer schwarzen Schleife wieder.
»Guten Morgen Shiro!«, erklang die warme und freundliche Stimme von Hana.
Mit einem Lächeln im Gesicht stellte sich die Medizinerin auf und schlenderte die paar Schritte zu ihrer Freundin vor.
»Morgen Hana«, lächelte sie, immer wenn sie lächelte, wurden ihre Augen zu Schlitzen, wo das gelbgold hinausstrahlte.
»Was machst du denn hier oben? Aber ehrlich: Wie hältst du es da unten ohne Tageslicht eigentlich aus?«, fragte die Brünette ihre Freundin aus Schulzeiten.
»Man gewöhnt sich dran. Gibt es etwas Neues, was ich wissen müsste?«
»Oh, ja! Wir haben – endlich! - einen neuen Chirurgen bekommen! Gott, der ist zum niederknien', sagt zumindest Shika! Sie macht heute Visite mit ihm und als sie vorhins schnell vorbeigeschneit ist war sie ganz außer sich«, erzählte Hana den neuesten Klatsch.
Shiro verdrehte nur leicht die Augen. Ihre Cousine Shika, die als Krankenschwester hier arbeitete, neigte oft zum übertreiben. Außerdem war Shiro noch nie ein Freund von Klatsch und Tratsch gewesen, ebenso wenig, Männern hinterher zu träumen. Aus dem Alter war sie heraus, mit 23 kümmerte man sich um seinen Job und nicht um anderes Zeug. Hana war 25 und damit älter als sie, aber da sie mit 5 eingeschult und eine Klasse übersprungen hatte, war das verständlich. Ihre Cousine war „schon“ 26 und damit die Älteste von ihnen, was die Drei aber nicht sehr störte.
~Ihre Sicht~
»Neue Tote?«, fragte ich nun aus der Kalten heraus.
Über meinen Emotionswandel wurden die Anderen wohl nie schlau, zumindest machte Hana ein verwundertes Gesicht und zeigte erst ganze drei Sekunden später eine Reaktion und übergab mir die Totenakten, die ich, an der Rezeption lehnend, schnell überflog. Und da geschah es. In meinem Dusel stand ich nur auf einem Bein da, beachtete aber nicht, das ein etwas gestresster Mann um die Ecke kam und voll in mich reinrauschte, so fiel ich natürlich zu Boden. Wäre zu Boden geflogen, wenn der Roudy mich nicht aufgefangen hätte.
»Immer schön langsam mit den jungen Pferden«, ließ ich schon den Spruch ab, den ich immer an die Praktikanten und andere abgab, wenn sie mich anrempelten oder ihnen sonstige Ungeschicklichkeiten passierten.
Aber in dem Falle passte es überhaupt nicht.
»Wohl eher Hengst«, lachte eine dunkle Stimme neckend und zog mich nach oben.
Ich sah in ein etwas gebräuntes Gesicht mit schwarzem Haar und grauen Augen, die belustigt funkelten.
»Sorry«, brachte ich nur raus, starrte ihn aber weiter an.
Das Gesicht konnte ich nicht zuordnen. Erst als Shika hinter den breiten Schultern auftauchte, zählte ich eins und eins zusammen. Man sah förmlich die Glühbirne über meinem weißem Haupt, als ich ausprach:
»Willkommen im Kenkō-hosupitaru Krankenhaus, Dr. Trafalgar.«
Er grinste auf mich herab und schüttelte meine Hand.
»Vielen Dank. Und wie ich sehe, haben Sie den Weg zur Kaffeemaschine schon gefunden, könnten Sie mir vielleicht sagen, wo ich diese finden kann? Meine Nerven liegen schon so früh blank!«, meinte er.
Ungewollt musste ich mitgrinsen. Stimmt, auf der Theke stand noch mein halbvoller Kaffeebecher.
»Shika kann den Ihnen doch sicherlich zeigen«, meinte ich dann kleinlaut.
Als würde ihm jetzt erst wieder einfallen, dass die Krankenschwester in hellblau hinter ihm stand, drehte er sich um.
»Ach, Sie sind ja auch noch da...«, murmelte er dann etwas geistesabwärtig.
Hana, die das Spektakel kichernd von ihrem Dresen aus beobachtet hatte und aufgefallen war, das Shika doch nicht so begeistert von dem Neuen zu sein schien, sah es nun als ihre Aufgabe an, sie durch mich auszutauschen.
»Krankenschwester Shika hat jetzt Besuch in der Kinderstation und bei Dr. Tenshi kommt erst ab 9Uhr die Verstärkung und eher fängt sie eh nie an also von daher ... «, lachte sie fröhlich und schob Shika sachte zum Lift, nachdem sie hinter der Rezeption hervor kam.
»Na wenn das so ist«, grinste Dr. Trafalgar erneut, oh Gott, das Lächeln ist schöner als das der Promis.
Er nahm sich die Akten, die er in der Zwischenzeit von einer anderen Krankenschwester zugeschoben bekommen hatte und sah mich erwartungsvoll an. Ich schaltete, nahm meinen Kaffee, die Akten in die andere Hand an meine Brust gedrückt und ging los. Nach kurzer Zeit liefen wir nebeneinander her und redeten ein bisschen.
»Und Sie sind auch Ärztin?«, fing er mit Smalltalk an.
»Nein, ich leite die Pathologie«, gab ich stolz von mir und reckte das Kinn etwas in die Höhe.
Der Doktor sah mich etwas von der Seite an.
»Sie sehen aber schon jünger aus als die anderen Ärzte und Schwestern hier ... «, murmelte er nachdenklich.
»Passiert.«, gab ich knapp von mir.
Wir schwiegen eine Weile.
»Na, schon etwas eingelebt in die Klinik?«, fragte ich ihn dann, als wir erneut um eine Ecke bogen.
»Ich lebe mich nicht an meinem Arbeitsplatz ein«, kam es unerwartet kühl von Herrn Trafalgar.
Ich merkte, dass ich die Grenzen überschritten hatte.
»Tut mir Leid, manchmal bin ich auch zu neugierig...«, entschuldigte ich mich.
Oh super, keine drei Minuten alleine mit einem neuen Tier im Rudel und schon verkackt...
»Sie brauchen sich nicht zu entschuldigen«, lächelte der Mann neben mir.
Schweigend blieb ich bei der Kaffeemaschine stehen und wartete grundlos, bis er fertig war. Er drehte sich zu mir um und meinte dann ungewohnt freundlich:
»Ich bin Law«, und hielt mir die Hand erneut hin.
Etwas perplex starrte ich den doch schon recht großen Mann an, bis ich Reaktion zeigte.
»Shiro«, lächelte ich und schüttelte fest und entschlossen seine Hand.
Ein kurzer Blick auf die Uhr ließ mich wie vom Blitz getroffen zusammen fahren.
»Oh, ich muss mal runter, Pflicht ruft. Viel Spaß hier oben, wenn was ist, ganz runter, Gang hinter, links Gang entlang und dann durch die große Tür«, lachte ich und machte mich vom Acker.