Zum Inhalt der Seite

Iramon - Die Katze des Königs

Eine Pokemon Geschichte von Kanto
von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Kapitel 2

>>>Nerina<<<

"Ja! Super, Texomon! Und jetzt die Aquaknarre!", rief Nerina begeistert ihrem kleinen Dracheniramon zu und Texomon raffte all seine letzten Kräfte zusammen und spurtete ein weiteres Mal über den feinen, weißen Sand davon, bis er ihren symbolischen Gegner, einen großen, glatten, weißen Felsen erreichte und noch aus vollem Lauf eine vergleichsweise riesige Wassersäule heraufbeschwor, die, da war Nerina sich ganz sicher, ein weiteres Loch in den weichen Kalkstein spülte. "K.O.", sagte Texomon, wobei jedoch nicht ganz offensichtlich war, ob er nun den Stein oder sich selbst meinte, denn kaum hatte er die Attacke zuende geführt, als er sich auch schon der Länge lang in den warmen Sand fallen ließ, die Klauenhände unter dem Kopf verschränkte und den Schwanz lässig über seinen Bauch schlug. Als Nerina schliddernd neben ihm zum Halten kam, blinzelte er nur träge zu ihr auf. "Meinst du, das reicht für morgen?", fragte er hoffnungsvoll und Nerina musste zugeben, dass sie es heute möglicherweise mit dem Training übertrieben hatte. Noch nie hatte sie ihr vor Energie sprühendes Texomon so erschöpft gesehen und tröstend streichelte sie ihm den gelben Bauch. "Du hast sehr viel gelernt und gute Arbeit geleistet", sagte sie stolz, "Schlaf jetzt ein bisschen, damit du morgen früh fit bist!" "Okay", sagte Texomon nur ergeben, machte einen kraftlosen Versuch, sich zusammenzurollen und begnügte sich schließlich damit, den Kopf auf Nerinas Schoß zu betten und die Augen zu schließen, ehe er einschlief. Stolz streichelte Nerina seinen schuppigen Kopf. Zehn Tage war es nun schon her, seit sie ihr wildes Dracheniramon zum ersten Mal gesehen hatte - und wie sehr hatte sich Texomon in dieser Zeit entwickelt? War er am Anfang ihrer Reise noch ungestüm, tollpatschig und unwissend gewesen, begann er nun immer mehr, aus seinem eigenen Spieltrieb zu lernen und seinen Kopf einzusetzen und auch, wenn es mit seiner Geduld oft noch gründlich haperte, war er doch um einiges vernünftiger geworden und hatte die wesentlichen Lektionen seines Grundtrainings mit Bravur bestanden. Sie hatten rennen und springen, ausweichen und balancieren geübt, waren an den unmöglichsten Steilhängen herumgeklettert und einmal hatten sie sogar das Radschlagen geübt - nicht, weil Nerina es wirklich gebraucht hätte, sondern eher, weil sie in einem Steinbruch eine Herde Donfan beobachtet hatten, die sich mit leidenschaftlicher Freude den Berg hinunterrollen ließen. Ein anderes Mal hatte Nerina ein verlassenes Nest eines Porentas am Flussufer gefunden und Texomon ein Ei nach dem anderen auf den Kopf gelegt, bis er gelernt hatte, vorsichtiger zu gehen und nicht bei jeder Gelegenheit wild davonzuhüpfen. Aus praktisch jedem Baum, Felsen oder See hatten sie ein neues Spiel und ein neues Training gemacht und so waren die letzten Tage ihrer Wanderung ein einziger, bunter Traum aus Spiel, Spaß und duftenden Sommerblumen gewesen. So hatten sie gar nicht gemerkt, wie sie langsam, Stück für Stück, das Gebirge überquert hatten und dann war gestern Abend ganz plötzlich das Meer vor ihnen aufgetaucht. Sie waren hoch oben auf einem felsigen Grat gestanden, den lichten, wispernden Wald im Rücken, die glitzernden Wellen zu ihren Füßen. "Das ist aber ein großer See!", hatte Texomon gerufen und Nerina musste ihn an seinem Horn festhalten, um ihn davon abzuhalten, einfach die etwa hundert Meter tiefe Felswand hinabzukraxeln. Evoli hatte erschrocken die Halskrause gestellt und ihr Schweif war so buschig geworden, wie eine Flaschenbürste. "Müssen wir da etwa rüberschwimmen?", hatte sie entsetzt gefragt. Auch Neru hatte viel Zeit mit Evolis Training verbracht und dabei eine verantwortungsvolle Art entwickelt, die Nerina noch nie an ihrem Bruder gesehen hatte. Geduldig hatte ihr wasserscheuer Zwilling stundenlang in eisigen Gebirgsseen ausgeharrt, um Evoli mehr Vertrauen im Bezug auf das nasse Element zu geben und manchmal hatten sich die beiden auch ihren eigenen, verrückten Spielen angeschlossen, auch wenn die meisten für Evoli eher Zeitverschwendung schienen. Wo Texomon mühsam an einem Ast entlanghangelte, stolzierte sie hoch erhobenen Hauptes über einen dünneren, wo Texomon Räder schlug, rollte sie sich zusammen und kullerte wie eine pelzige Kugel davon. Bei anderen Dingen verwandte sie wesentlich mehr Zeit aufs Detail. Wenn Texomon sich einen Felsen schnappte, um ihn einige Meter über die Wiese zu tragen, konnte Evoli minutenlang davor sitzen, den Schwerpunkt des Felsen herausfinden und ihn dann mit ihrem neu gelernten Ruckzuckhieb davonschliddern lassen und wenn Texomon mit seinen scharfen Klauen mühelos Kokosnüsse knackte, schleppte Evoli sie vorsichtig auf einen Baumwipfel und schleuderte sie zielsicher auf einen Felsen. Doch trotz ihrer Verschiedenheiten hatten die beiden Iramon eine Art sportlicher Freundschaft entwickelt und stritten und eiferten nicht mehr um Lob oder Aufmerksamkeit, was heute morgen jedoch weder Texomon davon abgehalten hatte, seine beiden Menschen und Evoli schon vor Sonnenaufgang aus ihren Swags zu quengeln und den sandigen Pfad zum Strand hinabzustürmen, noch Evoli, darüber die kleine Nase zu rümpfen. "So viel Wasser", hatte sie missmutig gebrummt, "und das ganz ohne Frühstück!" Die Zwillinge hatten ihr seufzend zugestimmt, doch Texomon war nicht mehr zu halten gewesen. Rutschend und schliddernd war er zum Strand hinabgestürmt und kurz darauf hatten er und Nerina auch schon in der Brandung geplanscht, hatten einander in die höchsten Wellen geworfen, sich überschlagen und umherwerfen lassen. Bald schon hatte sich auch Neru zu ihnen gesellt, doch Evoli war nicht dazu zu bewegen gewesen, sich diesen Monstern aus schäumender Gischt zu nähern, sodass die beiden Zwillinge beschlossen hatten, das weitere Training getrennt voneinander abzuhalten. So hatte Neru sich ein Kanu geliehen und war mit Evoli ein Stückchen hinaus aufs Meer gefahren, wo sie in Ruhe ein bisschen Schwimmen und auf dem schwankenden Boot balancieren konnte. Nerina und Texomon waren derweil am Strand geblieben und Nerina hatte ihr Iramon etliche Male über den Sand rennen lassen, der, wie sie ganz genau wusste, an den Füßen sog und das Gehen ungemein schwieriger machte. Sie hatten sich gegenseitig mit Sand beworfen und Burgen gebaut, dann waren sie auf ein paar große Steine geklettert, um dort ihr Picknick zu essen, bevor Texomon erneut in den Felsspalten herumzuklettern, ins Wasser zu springen und in den engen Höhlen unter den Steinen zu tauchen begann, wodurch sein blauer Kopf an den unmöglichsten Stellen aufgetaucht war. Irgendwann musste er damit wohl ein Schiggy aufgeschreckt haben, denn es kam heraus, um den Eindringling zu vertreiben, was jedoch bald in einer furiosen Wasser-Felsen-Verfolgungsjagd endete, die einer Mischung auf Fangen und Verstecken ähnelte und Texomon noch einige Male zu seiner neu erlernten Aquaknarre genötigt hatte. Hier am Meer schien sie besser zu funktionieren als noch im Wald, vermutlich, dachte Nerina, weil die Luft feuchter war und er so mehr Wasser aus seiner Umgebung aufnehmen konnte, um die Wassersäule zu formen. Schiggy hatte sich unbeeindruckt gezeigt und einen sich drehenden Wasserball geblasen, woraufhin Texomon sich an einer Spirale, Schiggy an einem Kringel, Texomon an einem Pilz und schließlich an einem Weihnachtsbaum versuchte - Schiggy hatte mit einem Regenbogen gekontert und war dann zurück in seine Höhle geschwommen, während Texomon und Nerina noch ein Weilchen in der Brandung gespielt und schließlich einen finalen Hürdenlauf um ihre eigenen Burgen veranstaltet hatten. Es war also nur allzu gut zu verstehen, dass Texomon müde war. Nerina ging es kaum besser und gähnend beobachtete sie, wie Neru und Evoli von der kleinen Halbinsel zurückkehrten, auf der sie hoffentlich etwas zu Essen gekauft hatten, jedenfalls balancierte Evoli eine riesige Box auf dem Rücken, während Neru zwei Pizzakartons und eine Wassermelone schleppte. Lächelnd bemerkte sie, wie gesund und prächtig Evolis Fell in der Abendsonne glänzte, wie flüssiges Gold. Stolz und mühelos schritt sie über den Sand, ihre kleinen Pfoten hinterließen tiefe Abdrücke, doch sie wirkte kaum erschöpft. 'Er muss eine Menge an ihrer Ausdauer gearbeitet haben', dachte Nerina anerkennend, 'Nur wann? Das würde ich ja mal allzu gerne wissen.' Neru jedenfalls sah ordentlich verschwitzt aus, als er sich neben sie auf die Strandmatte fallen ließ. "Ist ein ordentlicher Weg bis da vor", sagte er und wischte sich den Schweiß von der Stirn, "Aber Evoli hat super durchgehalten und wir sind heute auch schon ordentlich weit geschwommen!" "Und sogar getaucht!", ergänzte Evoli stolz und stupste vorsichtig das schlafende Texomon an. "Aufstehen!", rief sie, "Abendessen!" Doch Texomon rollte sich nur brummend auf die andere Seite und Nerina zuckte mit den Schultern. "Lass ihn schlafen", sagte sie sanft, "Er hat sich heute ziemlich verausgabt. Ich glaube, er macht sich große Sorgen um Azuria." "Ich finde nicht, dass Texomon so aussieht, als würde er sich jemals Sorgen machen", erwiderte Neru gut gelaunt und reichte ihr ein Stück Pizza. "Außerdem kann er doch schwimmen!", ergänzte Evoli ratlos, "Und die Aquaknarre kann er auch! Ich werde da mehr Probleme kriegen..." "Du bist ein guter Springer und kannst vom Rand aus kämpfen", sagte Neru tröstlich, "Und dein Ruckzuckhieb ist mittlerweile ziemlich stark! Zusammen mit deinem Tackle solltest du so ein Sterndu schon versenken können!"

Sie schlugen ihr Lager in dieser Nacht am Strand auf, dicht in den Windschatten der Felsen gedrängt. Der weiche Sand war gemütlich und noch warm von der Hitze des Tages und Nerina hatte kaum die Leinen ihres Swags zwischen den Felsen gesichert, da kletterte sie auch schon hinein und die Augen fielen ihr zu. Als sie sie wieder öffnete, stand ein bleicher, voller Mond am dunklen Himmel und einige Sterne zwinkerten ihr zu. Es musste bereits nach Mitternacht sein. Einige Minuten lag sie ganz still, sah hinauf in das bleiche Mondgesicht und genoss den sanften, salzigen Wind auf ihrem Gesicht. Sie wusste nicht, was genau sie geweckt hatte, denn bis auf das gleichmäßige Rauschen der Wellen war die Nacht absolut still. Leise seufzend drehte sie sich auf die andere Seite und stellte fest, dass Texomon nicht wie üblich an ihren Füßen schlief. Sie hatte ihn zwar gestern Abend beim Feuer liegen lassen, doch normalerweise war er nicht zu schüchtern, auch noch nachträglich in ihr Swag zu kriechen, wenn er hochschreckte und sich alleine vorfand. Ob er immernoch dort schlief? Ob er sich wohl Sorgen machte, wegen morgen? Nerina selbst fieberte dem Arenakampf aus vollem Herzen entgegen. Texomon war für ein unentwickeltes Starterpokemon recht groß und stark und er schwamm geschickt genug, es mit den meisten Wasserpokemon aufzunehmen, doch hatte er bei seinem letzten offiziellen Trainerkampf gegen das Pikachu verloren und diese Niederlage setzte ihm immernoch ordentlich zu. Eine kleine Weile lang wälzte Nerina sich noch hin und her, dann stand sie schließlich auf, tappte auf nackten Füßen an Nerus Swag vorbei, aus dem nur friedliches Atmen zu hören war. Offenbar schliefen er und Evoli friedlich dem nächsten Tag entgegen... "Texomon!", wisperte Nerina leise, als sie um die Felsen schlich, "Texomon, bist du hier?" Doch Texomon gab keine Antwort und als Nerina schließlich den Platz erreichte, an dem er geschlafen hatte, fand sie nur noch einen eiligst aufgeschlitzten und leergegessenen Pizzakarton vor - Texomon musste schrecklich hungrig aufgewacht und wie ein Tyracroc über die letzten Pizzastücke hergefallen sein - aber wo war er? Ein leises Plätschern mischte sich plötzlich in das Geräusch der Wellen und als Nerina den Blick hob, sah sie Texomon still und friedlich in der Brandung stehen, wie eine Statue. Kurz zögerte sie - sie trug nur ihren Schlafanzug und wollte nicht nass werden - aber dann rannte sie doch hinab zu ihm. "Texomon!", rief sie leise, "Ist alles in Ordnung?" "Ich wollte nur noch einmal hinausschwimmen, ehe ich schlafen gehe", sagte er mit einer seltsamen Ruhe, "Das Wasser gibt mir Kraft und Mut, weißt du?" "Gut", erwiderte Nerina leise, "Willst du alleine gehen?" "Oh, komm doch mit", erwiderte Texomon eifrig, "Die Nacht ist klar und warm und ich kann dich vor allem beschützen, was dort herumschwimmen mag!" Also zog Nerina kurzerhand ihren Schlafanzug aus, breitete ihn über einem Felsen aus und watete ins Meer. Er hatte recht: Die Nacht war warm und sumpfig und das kühle Wasser fühlte sich gut an auf der Haut. Eine kleine Weile schwammen sie schweigend nebeneinander her, folgten der fernen Linie des Strandes, dann sagte Texomon plötzlich: "Wenn du dich an mir festhältst, können wir weiter raus!" und mit wenigen, kräftigen Schlägen seiner breiten Füße und seines mächtigen Schwanzes schossen sie nahezu durch das stille, schwarze Wasser dahin. Nerina jubelte, während sie sich fest an seinen breiten Rücken klammerte. "Du brauchst die Wasserarena nicht zu fürchten", sagte sie ernst, als sie endlich wieder in der Brandung am Strand standen und drückte seine Pfote, "Es ist dein Element und du bist stark und ausdauernd! Aber sei wie das Wasser, Texomon! Stark und geduldig. Die Macht des Wasser liegt in seiner Ausdauer." "Ich weiß", sagte Texomon ein wenig kleinlaut, "Aber ich habe zu viel von der Feuerseite in mir. Manchmal kann ich mich einfach nicht dagegen wehren." "Du bist besser darin geworden", tröstete Nerina ihn voller Überzeugung, "und auch die Feuerseite kann ein guter Verbündeter sein! Aber Feuer gilt es, zu kontrollieren. Pass also schön auf deine Flammen auf und die Arena wird ein Kinderspiel!" "Ich werde es versuchen", erwiderte Texomon ernst, dann kehrten sie in stummem Einverständnis zu ihrem Lager zurück. Der morgige Tag würde bald anbrechen.
 

>>>Neru<<<
 

"Nervös?", fragte Neru sein kleines Iramon. Evoli schaute ihn mit großen Augen an und sagte trotzig: "Evo." 'Schon ein bisschen', klang es in seinem Kopf und er konnte Evoli gut verstehen. Auch Nerus Herz klopfte heftig. Sie waren schon früh heute morgen in Azuria City angekommen, keiner konnte länger schlafen, oder sich noch mal gemütlich auf die Seite drehen, wenn ein so wichtiger Kampf bevorstand. Immerhin würde heute der erste Arenakampf für die beiden Iramon und ihre Trainer beginnen. Sinnend dachte Neru zurück an all die harten Trainings, an all die Zeit, die er zusammen mit Evoli verbracht hatte, und nun war der Augenblick gekommen, an dem sie beweisen wollten, dass sie gut genug waren, ihre erste Evotation zu erhalten. Zitternd standen sie vor den Flügeln der großen Eichentore, die in die Arena führten. Die Gedanken von Texomon, Nerina, Evoli und auch ihm selbst, Neru, waren auf die Horden von Wasserpokemon gerichtet, die sich im Inneren der Arena tummeln mochten. "Es hilft nichts, wenn wir nur rumstehen", meinte Nerina und mit einem entschlossenen Schritt trat sie nach vorn und stieß die großen Torflügel zu der Arena weit auf. Die Arena war ein riesiges Gebäude mit einer Glaskuppel, das in Blautönen angemalt und mit Wellenmustern verziert worden war. Kleine Bilder von Wasserpokemon waren auf der Außenseite zu sehen und man konnte klar Sterndus und Starmies, Schiggys und Turtoks erkennen, die sich im Wasser jagten, spielten oder angriffen. Was würde Neru und Evoli wohl erwarten, wenn sie hinter Texomon und Nerina durch das Portal schritten? Auch Evoli schien gespannt, sah ihn mit einem fragenden Blick an und er zuckte die Achseln und auch sie traten ein in die große Arena.

Zwei große Brunnen entsprangen direkt hinter dem Eingang und ließen das Wasser in kleinen Kaskaden rechts und links neben dem Weg fließen, bevor sie an ihrem tiefsten Punkt in ein großes, rechteckiges Becken mündeten. Das Becken war annähernd so groß, wie ein Fußballfeld und drei große Holzplatten schwammen in dem Wasser, dessen Tiefe nicht abzuschätzen war. Evoli schauderte und betrachtete sich die Brunnen näher. Es waren gemeißelte Figuren von Lahmus, die einen langen Wasserstrahl in das erste Becken schickten, von wo aus sich die Kaskade bis zu dem Becken fortsetzte. Das Licht, das durch die große Glaskuppel fiel, erhellte die Arena hell und angenehm, auch wenn Neru einen blauen Stich in dem Glas über ihm erkennen konnte, sodass alle Farben leicht ins Bläuliche verzerrt waren und die Dampf- und Dunstschwaden, die neben den Becken aufwallten, wurden durch das Licht in einen blauen Schimmer gehüllt, sodass es Neru schien, sie wären selbst unter Wasser. Als sie unten bei den Becken ankamen, meinte Evoli: "Das Wasser sieht irgendwie gefährlich aus!", während sich ihr Fell sträubte. Er nickte seiner Begleiterin nur vielsagend zu, während er zusammen mit ihr, Nerina und Texomon hinüber ans andere Ende der Halle spähten, wo ein Schemen im Wasserdampf auszumachen war. "Was wollt ihr hier, in der Wasserpokemon Arena von Azuria City?", schallte es mit kräftiger aber weiblicher Stimme vom anderen Ende der Halle herüber. Neru versuchte, durch den Schleier aus Wassertropfen mehr zu erkennen. Die Stimme war eindeutig weiblich gewesen, dennoch konnte er die Urheberin der Worte nicht deutlich genug erkennen, um näheres auszumachen. Neru konnte nur einen rötlichen Schimmer am Kopf des unbekannten ausmachen. Nerina ließ sich von der kräftigen Stimme nicht einschüchtern und Texomons Wangenknochen traten angespannt hervor, als er einen Schritt nach vorne trat und Nerina mit fester Stimme, die ihre Unsicherheit perfekt versteckte, laut entgegnete: "Wir sind hier, um den Arenaleiter von Azuria City herauszufordern." "Na dann los!", meinte die Frauenstimme und ein plötzlicher Wind erfasste die Nebelschwaden und ließ sie der Decke entgegentreiben und entschwinden. Vor ihnen stand ein Mädchen mit flammendroten Haaren und einem abenteuerlustigen Ausdruck in den Augen. "Ich bin Misty, die Arenaleiterin der Wasserpokemon! Wer von euch will anfangen?" Texomon trat noch einen Schritt vor und machte: "Texo!" "Ich!", sagte Nerina immer noch gefasst. Neru zog sich zusammen mit Evoli an den Rand des Rings zurück. Kleine Bänke waren an den Seiten des Beckens mit den Holzplatten eingelassen, sodass Zuschauer das Spektakel eines Arenakampfes genießen konnten. Auch er und Evoli ließen sich nun auf den Bänken nieder, nur waren sie nicht halb so entspannt, wie die normalen Besucher es sein könnten. Angespannt und aufgeregt beobachteten sie, wie Texomon übermütig ins Wasser sprang und auf die erste der drei breiten Holzplatten kletterte. Die Platte neigte sich sichtbar unter seinem Gewicht, doch Texomon gelang es problemlos, das Gleichgewicht zu halten und er warf Nerina einen Blick zu. Auch Misty auf der anderen Seite des Beckens war nicht untätig gewesen. Sie hatte Nerina einer eingehenden Musterung unterzogen. "Du trittst mit nur einem Pokemon an?", fragte sie und Nerina bestätigte. "Dann bist du dran, Starmie!", rief Misty und warf einen ihrer sechs Pokebälle, die sie am Gürtel trug. Mit einer flammenden Entladung schleuderte der Pokeball, seiner selbst von Misty in das Becken geworfen, einen annähernd anderthalb Meter großen Seestern mit violetter Mitte in den Ring. Der Seestern begann sofort, in atemberaubender Geschwindigkeit in dem Becken auf und ab zu kreiseln, hob sich für einen Augenblick kurz komplett aus dem Wasser und wackelte dann arrogant mit seinen Zacken, so, als wollte er sagen: "Komm doch, wenn du dich traust." Texomon seinerseits hatte seit ihrem letzten Kampf gegen Pikachu viel dazugelernt und ging nun nicht so schnell auf die Drohgebärden seines Gegenübers ein, sondern bedachte diesen nur mit einem kühlen und abschätzenden Blick. "Das wird ein schönes Duell geben", meinte nun Evoli, "Wasser gegen Wasser." "Ja!" Neru nickte, "Das wird für beide Seiten nicht leicht werden. Wasser ist nunmal nicht effektiv gegen Wasser." Evoli sah ihn fragend an und er musste die unterschiedlichen Elementklassen erklären, während sich die beiden Kontrahenten in der Arena Mühe gaben, möglichst nicht beeindruckt voneinander zu sein.

Der Kampf begann, nachdem die Regeln, ein K.O. entscheidet, Verlassen der Arena disqualifiziert und noch einige weitere Banalitäten über Zerlegung des Aterieurs, mit der ersten Attacke von Misty, die ihrem Starmie eine Aquaknarre befahl. Eine wahre Wand aus Wasser flog auf Texomon zu und Neru hielt im Stillen die Luft an. Eine solche Aquaknarre hatte er noch nie gesehen. Es schien so, als hätte das gesamte Wasser der Arena beschlossen, sich in einer großen Fontäne zu sammeln und Texomon ins Gesicht zu fliegen. Noch bevor Neru die Augen zusammenkneifen konnte, um das Auftreffen der Flutwelle auf Texomon nicht mit ansehen zu müssen, riss Texomon die Arme empor und formte den Trichter mit seinen Händen, den Neru schon häufiger bei ihm gesehen hatte. Texomon konterte mit gleicher Münze und die beiden Attacken trafen sich auf halbem Weg über die Arena, keiner der beiden gewaltigen und kräftezehrenden Attacken war es möglich, auch nur einen Zentimeter mehr Boden zu gewinnen und so fauchte die enorme wucht der Attacke durch die Arena und bespritzte, Neru, Evoli und einen guten Teil der Stühle mit einem leichten Sprühregen, während das Wasser zwischen den beiden Kontrahenten eine runde Wand zu bilden schien und mit einem lauten Tosen in das Becken stürzte. Neru war zutiefst beeindruckt und auch Evoli schwenkte anerkennend ihre Ohren, wobei das auch dem Zweck dienen könnte, das lästige Wasser abzuschütteln. Nerina schien mit ihrem blauen Freund gut trainiert zu haben, jedenfalls hatte Neru die Attacke bedeutend schwächer in Erinnerung. Misty legte verblüfft den Kopf schief und maß Texomon mit einem prüfenden Blick. Doch dann schien ihr ein neuer Gedanke gekommen zu sein. Sie rief ihrem Starmie etwas zu, das Neru über das Getöse des Wassers nicht verstehen konnte und Starmie gab ihre Attacke auf und tauchte unter der immensen Aquaknarre von Texomon davon, unterwasser. 'Was hat sie jetzt wieder vor?', fragte Evoli in Nerus Kopf, doch Neru schüttelte nur den selbigen. "Ich hab keine Ahnung", erwiderte er. Auch Texomon starrte abwartend in die Wellen, die Starmies Abgang ausgelöst hatte. Die Wellen kräuselten sich ungewöhnlich und schienen zu wachsen. Auch begann sich Texomons Brett ganz langsam zu senken. Neru starrte verblüfft auf Texomons Rand. Das Wasser unter ihm schien sich einfach aufzulösen. Ein wenig unsicher tänzelte Texomon auf seinem Brett auf und ab. Auf der anderen Seite des Beckens war der gegenteilige Effekt zu sehen. Das andere Brett stieg in den Fluten empor und eine gigantische Welle schien sich nun auf Starmies Seite zu erheben. Eine Flutwelle, die, falls sie losbrechen sollte, einen Tsunami in den Schatten stellen konnte. Starmie hatte nahezu alles Wasser auf seine Seite gebracht. Evoli ließ die Ohren hängen. 'Das sieht böse aus', erklärte sie geknickt, 'Wie soll ich bloß gegen solche Mengen an Wasser ankämpfen?' Neru streichelte ihr beruhigend den Rücken, doch hatte auch er keine Idee, was sein kleines Iramon im Falle einer solchen Attacke unternehmen sollte. 'Könnte man sich nicht auf dem Brett festkrallen?', fragte sie, doch Neru wollte gerade antworten, als die Flutwelle über Texomon hereinbrach. Texomons Brett hatte auf dem Boden aufgesetzt und das kleine Dracheniramon war von Nerinas Kratzer-Befehl angetrieben, wie ein wahnsinniger nach vorne gestürzt, geradewegs auf die Welle zu, die sich als großer, steiler Berg vor ihm erhob. Evoli klappte ihre Ohren nach vorne und bedeckte ihre Augen damit, um nicht dabei zusehen zu müssen, wie Texomon von der Welle zerquetscht wurde. Texomon schien genau zu wissen, was er tat. Mit einem eleganten Kopfsprung sprang er in die sich auf ihn zubewegenden Wand aus Wasser und war dann verschwunden. Tosend brach die Welle in ihr Becken zurück. Ein Getöse wie von einem Bombeneinschlag ertönte, als die Wassermassen gegen die gegenüberliegende Wand schlugen, nun war das Wasser auf Starmies Seite komplett verdrängt, doch sowohl von Texomon, als auch von Starmie konnte man sowohl auf dem Boden, als auch im Wasser nichts entdecken. Die beiden Kontrahenten mussten sich irgendwo inmitten der brutalen Welle aufhalten. Selbst, als das Wasser wieder auf beiden Beckenseiten den selben Pegel angenommen hatte, blieben die beiden verschwunden. 'Das Wasser hat sie beide gefressen!', erklärte Evoli zutiefst erschüttert. Doch auf Neru hatte diese Aussage keine Wirkung. "War das Wasser vorhin nicht noch blau?", fragte er zurück und Evoli legte den Kopf schief. 'Doch', ertönte es nun in seinem Kopf. "Dann..." setzte Neru an, doch sollte er den Satz nie vollenden. Prustend und schnaubend tauchte Texomons Kopf an der Wasseroberfläche auf, dicht gefolgt von Starmies Zacken. Wellenschlagend, schreiend, fauchend und prustend schlugen sich die beiden Kontrahenten im Wasser. Nachdem Texomon Starmie einen finalen Tritt verpasst hatte, der das Wasserpokemon erneut auf Abstand gebracht hatte, kletterte er, sichtlich erschöpft auf das Brett in der Mitte. Sofort begann Starmie wild entschlossen, das Brett zu umkreisen und auf den hitzigen Befehl von Misty hin, leuchtete das Wasserpokemon rund um seine Mitte hin gelb auf und ein riesiger Blitz schoss aus dem leuchtend, roten Stein im Zentrum des Seesterns auf Texomon zu. Nur mit Mühe konnte Texomon ausweichen. Das Brett schwankte sichtlich unter seinem Gewicht und die Enden sprangen ab und an sogar aus dem Wasser. Nach drei weiteren gleißendhellen und rasch abgefeuerten Blitzen und einem verblüffend schnellen Texomon, der noch immer auf dem Brett stand, tauchte Starmie auf einen Zuruf von Misty hin ab. Die Wellen glätteten sich. "Wo ist es hin?", quietschte Evoli auf, die sichtlich vom Kampf mitgenommen schien. Neru warf ihr einen überraschten Blick zu, sie hatte seit sie die Arena betreten hatten nicht mehr richtig gesprochen. Doch zu sehr mit dem Kampf beschäftigt, um sich lange um Evolis Versehen zu kümmern, antwortete er: "Keine Ahnung. Vielleicht..." 'Da ist es', rief Evoli nun wieder in seinen Gedanken, 'Dort unter dem Brett!' und tatsächlich konnte Neru erkennen, das sich dort die kleine, lilane Zacke eines bekannten Seesterns aus dem Wasser zog. Doch auch Nerina und Texomon hatten sie gesehen. "Kratzer!", befahl Nerina, doch Texomon lief erst einmal in die entgegengesetzte Richtung und das Starmie tauchte weiter auf. Dann sprang Texomon in die Höhe, und der Spalt der gerade noch unter dem Brett gewesen war, und in dessen Schatten sich starmie versteckt hatte, wurde vom Schlag des Holzes getroffen. Taumelnd und vom Schlag und dem vorherigen Kampf anscheinend mächtig mitgenommen, kam Starmie darunter hervor und Texomon nutzte die Gelegenheit zu einer extrem brutalen, aber nichts desto trotz eleganten Kombination aus Kopfsprung und Kratzer-Attacke, die Starmie auf den Grund des Beckens beförderte und somit den Kampf beendete.
 

>>>Nerina<<<
 

"Das habt ihr sehr gut gemacht", sagte Misty lächelnd, als sie zum ersten Mal um das große Becken herumlief, um Nerina die Hand zu schütteln. Ihre Wangen waren gerötet von der Hitze des Gefechts und neugierig blickte sie auf Texomon hinunter, der müde neben Nerina am Boden saß und sich schwer gegen ihr Bein lehnte, Nerinas Hand auf seiner warmen Stirn. "Ihr habt bewiesen, dass ihr mit dem Element Wasser umgehen könnt und auch mit dessen größtem Feind, dem Donner. Darum werde ich euch den Quellorden verleihen." Förmlich nahm sie eine Schatulle aus der Tasche ihres Kimonos, öffnete den Deckel und nahm eine kleine, glitzernde Brosche heraus. Grob war sie wie ein großer Tropfen geformt, doch war das blaue Glas so geschliffen, dass sich das Sonnenlicht darin brach und immer andere Schattierungen von Blau auf seiner Oberfläche spielten, als sei er tatsächlich aus eingefangenem Wasser. "Wau! Der ist aber schön!", rief Nerina begeistert aus, als sie ihn im Licht hin und herdrehte und dann dem neugierig zu ihr hinaufblinzelndem Texomon in die Klauenpfoten legte. Misty lächelte. "Ihr habt ihn verdient", sagte sie fest, dann ging sie in die Hocke und musterte Texomon eingehender. "Darf ihr fragen, was für ein Pokemon das ist? Es ist mir nämlich noch nie untergekommen!" Rasch verstärkte Nerina den Griff um Texomons Kopf um ihn davon abzuhalten, eifrig loszuplappern, während sie selbst ratlos auf ihn hinabstarrte. Dann entsann sie sich der Ausrede, die sie sich zurechtgelegt hatte, als sie Texomon in dem Pokemon-Center in Vertania abgeliefert hatte. "Es heißt Texomon und ist ein Drachenpokemon aus Eden", erklärte sie so überzeugt wie möglich, "Mein Vater ist Pokemon-Forscher und hat es mir von dort mitgebracht." "Oh, das ist ja spannend", sagte Misty ehrlich beeindruckt, "Also ein Drachen-Typ. Na das erklärt, warum es Starmies Aquaknarre standhalten konnte. Ein Wasserpokemon auf seinem Level hätte mehr Schwierigkeiten gehabt." "Auf welchem Level ist es denn?", fragte Nerina verdutzt. Misty zuckte die Schultern. "Das sagt dir der Pokedex, wenn du es in seinen Pokeball nimmst und den scannen lässt. Aber ich würde schätzen, es ist auf Level zehn. Etwa am Kipppunkt von Karnimani zu Tyracroc. Nun gut, dann wollen wir uns doch mal um deinen Begleiter kümmern. Hast du nur Evoli?", fragte sie Neru unvermittelt, der inzwischen nähergetreten war. Nerina konnte ihm ansehen, dass die Frage ihn schlucken ließ. "Ja", erwiderte er dann aber tapfer, "Aber es kann gut schwimmen!" Mistys Gesicht war anzusehen, dass sie nicht eben überzeugt war, doch sie zuckte mit den Schultern. "Wenn es das Element Wasser meistert", sagte sie schulterzuckend, "Dann kann es von mir aus auch ein Sandan sein. Allerdings hat Starmies Tintenstrahl das Wasser ziemlich verdreckt. Ich werde es erst rasch reinigen müssen. Bitte wartet solange noch einmal hier." Damit lief sie mit großen Schritten davon, umrundete erneut das Becken und verschwand in einer schmalen Tür auf der anderen Seite. "Herzlichen Glückwunsch ihr beiden!" Glücklich aber auch ein wenig nervös schubste Neru seine Schwester gegen die Rippen und klopfte Texomon anerkennend auf die Schulter, "Denen hast du's aber gegeben!" "Das sah echt toll aus", bestätigte Evoli etwas widerwillig, "Du... bist ja tatsächlich noch ein guter Kämpfer geworden!" "Nun, man tut, was man kann", erwiderte Texomon mit der selben hochnäsigen Arroganz, für die Evoli eigentlich nach gewonnenen Schlachten bekannt war und ließ stolz seinen Quellorden vor ihrer Nase baumeln, "Damit werde ich jetzt bestimmt ein Turtok oder ein Lahmus oder ein ein... Mantax!" "Jedenfalls nichts mit Schale", sagte Evoli spitz, "da drinnen würdest du eingehen vor Langeweile... Sag mal, Texomon, wie sind diese Platten, kann man da gut drauf rennen und landen?" Während die beiden Iramon in wilde Taktikhantiererei verfielen, zupfte Neru Nerina am Ärmel. "Du musst nur darauf achten, Texomon mehr Befehle zu geben", sagte er leise, "Auch wenn er dir schon gesagt hat, was er vorhat." Nerina sah ihn verständnislos an. "Was meinst du?", fragte sie verwundert, "Texomon ist sehr selbstständig. Er macht das einfach, ohne zu fragen und ich glaube immer, ihn mehr zu verwirren, wenn ich zu viel rede." "Dann spricht er nicht zu dir, während er kämpft?", fragte Neru ebenso erstaunt, "Evoli tut das sehr oft." "Nein", erwiderte Nerina mit gesenktem Blick, "Nein, um genau zu sein habe ich ihn noch sogut wie nie in meinem Kopf reden hören, nur damals beim Pokemon-Center einmal, als es ihm wirklich schlecht ging. Vielleicht vertraut er mir noch nicht genug..." Sie seufzte und Neru drückte tröstend ihre Hand. "Bestimmt will er dich nur beeindrucken, damit, dass er so selbstständig ist", sagte er tröstend, "Evoli ist da, denke ich, eher auf Anhänglichkeit aus, aber Texomon ist..." Kurz rang er nach Worten und Nerina ergänzte grinsend: "eben ein echter Mann. Gibt an allen Ecken und Enden an." "Er will dich beeindrucken", wiederholte Neru fest, "und beschützen... Ich hoffe nur, Evoli hat eine Chance da drinnen..." Nun war es an Nerina, ihm tröstend die Hände zu drücken. "Sie ist selbstbewusst und kennt ihre Fehler", sagte sie fest, "ich bin mir sicher, sie wird nicht zu eitel sein, auszuweichen und ihre Vorteile zu nutzen - und wer weiß - vielleicht funktioniert der Sandwirbel ja auch auf dem Wasser." "Auf jedenfall darf sie nicht hineinfallen", brummte Neru durch zusammengebissene Zähne, "Sonst ist gut' Nacht um sieben." In diesem Augenblick schwang die Tür auf der anderen Seite geräuschvoll auf und Misty erschien mit wehendem, flammendrotem Haar, einen Eimer Pulver in den Händen, das sie ins Wasser schüttete und das es augenblicklich wieder klar werden ließ. "Ich bin bereit", rief sie Neru zu, "Du auch?" "Bereiter!", erwiderte Neru und trat hoch erhobenen Hauptes vor, Evoli an seiner Seite. Misty warf einen Pokeball und der Kampf begann.

Mit dem wohlbekannten Lichtblitz gab der Ball ein Krabby frei, das erst ein wenig verwirrt um sich blickte, sich dann aber auf der gegenüberliegenden Plattform in Position brachte, halb auf seine vier hinteren Beine aufgerichtet, wippten seine Scheren angriffslustig vor und zurück. Während Evoli sich duckte und dann mit einem gezielten Sprung auf ihre eigene Plattform setzte, ließen Nerina und Texomon Neru mit einem letzten, aufmunternden Blick allein und ließen sich schweigend auf den Sitzen nieder, von wo aus Neru auch ihren Kampf beobachtet hatte. "Ah, sie setzt ein Krabby ein", sagte Nerina halblaut, "Warum sie das wohl macht?" Ihr kurzes Gespräch mit Neru hatte sie nachdenklich gemacht und nun versuchte sie, Texomon aus der Reserve zu locken, doch ein paar Gedanken mit ihr zu teilen, doch Texomon sah sie nur schulterzuckend an und sagte gedehnt: "Te-Xo!" "Ja, ich glaube auch, dass sie es macht, weil Krabby schnell und beweglich ist und auch an Land gehen kann", brummte Nerina verstimmt und wandte sich wieder dem Ring zu, wo Krabby derweil ins Wasser geglitten war und langsam um Evolis Plattform herumschwamm, doch immer, wenn es seinem Kontrahenten nahe genug zu kommen schien, um Evoli zu packen und mit sich in die Tiefe zu reißen, langte Evoli mit seinem neu erlernten Ruckzuckhieb aus und drückte es zurück unter Wasser. Einige Male tänzelten sie auf diese Weise am Rand der Plattform entlang, dann schien es Misty zu bunt zu werden. "Krabby", rief sie, "Setz Blubber ein, damit es nicht sieht, wo du bist!" Krabby gehorchte und alsbald wogte ein schäumender Blasenteppich an der wasserwärts gelegenen Kante der Plattform. Verwirrt starrte Evoli in das aufgeschäumte Nass, bis Krabby daraus hervorschoss. Seine Scheren schnappten klickend zu und Evoli schrie leise auf, als sie ein gutes Bündel Haare einbüßte. Sie war der Giliutine um Haaresbreite entkommen, doch dafür hockte Krabby nun auf der Plattform und begann, sie auf dem kleinen Floß zu verfolgen. "Pack es!", rief Misty, "Und setz umklammerer ein!" Panisch hüpfte Evoli um Krabby herum, wich seinen Scheren aus, tauchte unter seinen Fühlern hindurch und entkam zweimal nur knapp Krabbys peitschendem Schwanz. Doch nach einigen Minuten wurde auch das Misty zu viel. "Krabby - Stampfer!", befahl sie und Krabby stampfte so heftig auf die Platte auf, dass Evoli in hohem Bogen davongeschleudert wurde und mit einem verzweifelten "Evooooo-liiii!" mitten im Schwimmbecken landete. Verzweifelt begann sie zu paddeln, doch Krabby setzte elegant hinterher. Mit nur zwei Schlägen seiner Schwanzflosse hatte er das zappelnde Evoli eingeholt. "Ruckzuckhieb!", rief Neru und der Rückstoß der Attacke ließ Evoli zur mittleren der beiden Plattformen treiben, die sie erklimmen konnte, ehe Krabby sie erneut eingeholt hatte. "Dann eben nochmal", brummte Misty seufzend, "Krabby, Blubber!" "Evoli! Setz Sandwirbel ein, sodass Krabby nicht sieht, wo sein Blubber aufhört!", rief Neru hitzig. Seine Wangen hatten zu glühen begonnen und mit wilden Gesten bedeutete er Evoli, was er meinte. Evoli verstand. Kaum hatte Krabby den Blasenteppich geblasen, als sie rasch den Schweif hindurchzog und die Blasen in alle Richtungen verteilte. Krabby, der auf den Rand der schäumenden Fläche gezielt hatte, sprang in nutzlosem Angriff zwei Meter zu weit rechts aus dem Becken und schlug erfolglos zurück ins Wasser. Auf Mistys Gesicht begann sich Ungeduld abzuzeichnen. "Na fein", rief sie, "Dann eben anders! Krabby! Setz Surfer ein!" Nerina spürte, wie ihr das Blut in den Adern gefror, als Krabby alles Wasser des Beckens auf Mistys Seite pumpte und zu einer gigantischen Flutwelle formierte. Donnernd rauschten die Wassermassen auf Evoli zu, das zitternd auf seiner Platte hockte und ihnen wie hypnotisiert entgegenstarrte. "Evoli! Schnell!", brüllte Neru, "Du musst darunter durchtauchen, wie Texomon!" Doch Evoli reagierte nicht. Zitternd wich sie an den hintersten Rand der Plattform zurück. Sie zögerte einen Augenblick zu lange. Die Welle erfasste das kleine Floß und trug es in die Höhe. Kurz thronte Evolis kleine Gestalt auf dem Kamm der Welle, hoch aufgerichtet und mit wehendem Schweif. Wie in Zeitlupe sah Nerina sie niederkauern ... springen. Wie ein kleiner, pelziger Ball flog Evoli über die Welle hinweg, landete auf dem steinernen Boden des Beckens hinter der tosenden Wasserwand sicher auf allen vier Pfoten und rannte... rannte zu Krabby, das verdutzt seinem Gegner entgegensah und nagelte es mit einem Tackle auf den Beton. "Krabby!", rief es überrascht und Misty erwiderte aufgebracht: "Schnell! Umklammerer!" Diesmal wich Evoli den ausgestreckten Armen des Wasserpokemon nicht aus, nein, sie rannte sogar darauf zu, presste sich an Krabbys Bauch und machte sich ganz klein. Im nächsten Augenblick brach Krabbys Welle in sich zusammen und die Wucht des zurückströmenden Wassers schleuderte die beiden mit panzerzerbrechender Wucht an den jenseitigen Beckenrand. Mit einem schmerzvollen Ächzen krümmte Krabby sich zusammen und ließ damit Evoli los, das seinen Körper wohlweislich als Schutzschild benutzt hatte und kaum zu Schaden gekommen war. Mit einem letzten Tackle verwies sie das feindliche Krabby endgültig auf den Grund des Beckens und richtete sich mit stolz aufgeplustertem Schweif über ihrem besiegten Kontrahenten auf. "Evoli!", stieß sie stolz hervor, dann kroch sie zu Neru, sprang in seine Arme und blinzelte müde auf den Pokeball Mistys, der ihr Krabby gerade zurück in Sicherheit holte.

"Ich bin wirklich schwer beeindruckt von euch beiden!" Anerkennend schüttelte Misty Neru die Hand und Evoli die kleine, nasse Pfote. "Ich hätte ehrlich gesagt nicht gedacht, dass die Wasserarena mit einem Evoli zu schaffen ist. Nunja, so lernt man täglich dazu. Hier ist euer Quellorden!" Neru nahm den kleinen, glitzernden Tropfen entgegen und legte ihn stolz in Evolis Pfoten. "Das hast du klasse gemacht", flüsterte er, offenbar selbst noch am meisten beeindruckt von Evolis Leistung und streichelte bewundernd ihr glänzendes Fell. "Evo...", seufzte Evoli schläfrig und schloss die Augen, noch ehe auch Nerina Zeit gefunden hätte, ihr zu ihrem Sieg zu gratulieren. "Jetzt, wo wir den Quellorden haben", wandte sie sich stattdessen an Misty, nachdem sie ihrem Bruder stolz auf die Schulter geklopft hatte, "Könnten wir dann wohl mit dem Vorsitzenden der Wasserarena sprechen?" Misty sah verwundert zu ihr hinüber. Plötzlich spielte ein etwas nervöser Ausdruck um ihre Mundwinkel. "Mit Vater...? Ja, sicher... Worum geht es denn?" "Oh, wir haben eine Nachricht für ihn von Professor Eich dabei", erklärte Nerina offenbar freimütig, "Aber wir sollen ihm den Brief selber geben." Kurz zögerte Misty, dann zuckte sie mit den Schultern. "Ihr habt den Quellorden erhalten und somit zu allen Ressourcen der Arena Zugriff", sagte sie scheinbar, ohne der Sache viel Bedeutung zumessen zu wollen, "Und Vater ist wohl auch so eine Art Ressource. Kommt mit, ich bringe euch zu ihm..."
 

>>>Neru<<<
 

"Hier entlang", sagte Misty und führte Nerina, hinter der ein stolzes Texomon hertrabte, und Neru, der sein immer noch schlafendes Evoli auf der Hand trug, durch die Gänge der Arena. Die Gänge der Pokemonarena von Azuria City, schlängelten sich viel höher und weiter, als es Neru erwartet hätte. Er hatte eigentlich gedacht, dass in der Arena hauptsächlich das Becken enthalten war, doch da sollte er sich irren. Viele Türen zweigten von den Gängen ab, wo laut Misty Forscher wohnten, die die Wasserpokemon näher untersuchen wollten. Misty warf ihnen, während sie die Gänge entlang liefen, immer wieder misstrauische Blicke zu. "Was sie wohl hat?", raunte Neru Nerina in einem unbeobachteten Augenblick zu, doch Nerina zuckte nur mit den Schultern, doch auch sie hatte die merkwürdigen Blicke Mistys bemerkt. Ganz im Gegensatz zu Texomon und Evoli, beide zeigten sich mehr mit ihrer Situation beschäftigt als sich Gedanken über irgendetwas machen zu wollen. In Evolis Fall war das auch noch gut verständlich. Immerhin schlief sie, wie ein Stein in Nerus Armen, während Texomon völlig mit seinem ruhmreichen Sieg beschäftigt war. Neru gratulierte dem kleinen, blauen Drachen im Stillen. Er hatte eine unglaubliche Leistung abgeliefert und das Starmie in jeder Disziplin geschlagen. Stolz ließ er seinen Blick auf Evoli sinken. Auch sie hatte hervorragend gekämpft und es war immer noch überraschend, dass sie die Wasserarena auf Anhieb geschafft hatte, trotz der Tatsache, dass Evoli nicht sonderlich gut schwimmen konnte. Jetzt mussten sie nur noch diese Prüfung bestehen, oder besser gesagt, vielleicht würde ihnen der Kampf ja als Prüfung angerechnet werden. Was könnte der Meister der Wasserpokemon denn noch von ihnen verlangen, als das, was sie bereits geleistet hatten? "Hier sind wir", erklärte Misty und klopfte an eine Tür. Im nächsten Augenblick erklang auch schon die Stimme eines älteren Mannes. "Herein." Wie auf ein Kommando traten Nerina und Neru gemeinsam vor und traten ein, während Misty draußen zurückblieb, ihnen immernoch fragende Blicke zuwerfend. Sie betraten einen offenen und hellen Raum, in dem es wenig außer einem Schreibtisch und einem großen Aquarium gab. Kleine Wasserpokemon und Fische schwammen in diesem auf und ab, und gaben zusammen mit den bunten Steinen, die auf dem Grund dieses Aquariums auslagen, ein sehr schönes Bild ab, das bei schnellen Bewegungen der Pokemon schon fast zu einem Feuerwerk werden konnte. "Na, was haben wir denn da?", gluckste der Mann, der etwa in dem Alter von Vater war, als Nerina ihm den Brief von Professor Eich in die Hände drückte. "Dann hat der alte Professor es tatsächlich geschafft", meinte er und unterzog Nerina und Neru einer eingehenderen Musterung. Neru war sich nicht ganz sicher, ob er den Meister der Wasserpokemon leiden konnte. "Aber entschuldigt", meinte er nun und stand hinter dem Schreibtisch, hinter dem er die ganze Zeit gesessen hatte, auf, "Mein Name ist Dew." "Ich bin Nerina", antwortete Nerina zufrieden und auch Neru stellte sich vor. Dann besah sich Dew die Iramon genauer. "Und wer seid ihr?", fragte er sie dann lächelnd, doch Texomon ließ sich nicht so leicht ködern, sondern antwortete nur gereizt: "Texo, Texo!" und Evoli erwiderte gar nichts, sondern ließ nur einen langen Schnarcher hören. Mit einem misstrauischen Blick besah er sich Evoli. "Eure Poke-, nein, Iramon sind erschöpft", meinte er dann, "Und heute ist es für die Prüfung ohnehin schon viel zu spät. Ich würde sagen, ihr lasst euch im Pokemoncenter erst mal richtig aufpäppeln und dann sehen wir weiter. Sagen wir, wir treffen uns morgen vor der Arena, so gegen acht?"

Als Nerina und Neru die Arena verließen, sprach Neru ein Thema an, was ihm schon seit der Erwähnung des Pokemoncenters im Kopf herumspukte. "Du, Nerina, wir haben das Ei vergessen." "Ich hab’s nicht vergessen", erwiderte sie spitz, "Ich wollte es nur absichtlich nach der Arena abgeben." "Klar", lachte Neru und boxte sie in die Seite, "Und Evoli wird noch zum Tauross." Fröhlich lachend und sich gegenseitig zu ihrem Sieg gratulierend machten sich die beiden auf den Weg zum Pokemoncenter, den ebenso glücklichen Texomon im Schlepptau. Im Pokemoncenter bekam Texomon erstmal eine große Portion Pokemon-Kraftfutter und Evoli, die bei dem Geruch ihrer Lieblingsriegel wieder aufgewacht war, eine große Portion frisches Obst und natürlich ihre Riegel. Auch war das Team des Pokemoncenters überglücklich darüber, das Ei in Empfang zu nehmen und war dafür nur zu gerne bereit, das Quartet zu bewirten und ihnen ein großes Zimmer für die Übernachtungen bereit zu stellen. Die Bezahlung bestand aus ein paar Heiltränken und Beeren. Von der großzügigen Bezahlung war hier nicht mehr so viel zu hören, wie noch in Vertania City. Dennoch bezogen die Zwillinge glücklich ihr Zimmer und Evoli freute sich überglücklich über ihren errungenen Orden. Nachdem Texomon und Evoli schon früh eingeschlafen waren, diskutierten Nerina und Neru noch eine kurze Weile über die morgen anstehende Prüfung und Nerina vertraute Neru an, dass Texomon so gut wie nie mit ihr in Gedanken sprach. Sie hatte so etwas auch schon mal in der Arena angesprochen, doch jetzt war endlich die Zeit und Ruhe, es ausführlich zu besprechen. "Ich glaube nicht, dass es an Vertrauen liegt", meinte Neru nachdenklich, "Ich glaube eher, er will dich beeindrucken, er will zeigen, wie unnahbar er ist. Oder er will etwas anderes vor dir verbergen." "Aber ist das dann nicht mangelndes Vertrauen?", hakte Nerina nach und Neru musste sich geschlagen geben. "Irgendwie schon, aber..." Er zuckte mit den Schultern. "Ich kann es mir nur bei ihm nicht vorstellen. So, wie ihr euch behandelt, kann er dir doch nur vertrauen, oder?" Nerina schwieg und auch Neru hielt inne, um die Sache zu überdenken. Warum redete Texomon nicht mit ihr? Was hatte das kleine, blaue Drachenpokemon zu verbergen? Oder hatte es überhaupt nichts zu verbergen und wollte nur besonders cool erscheinen? Neru wusste es nicht. Doch konnte er sich nicht vorstellen, dass Texomon Nerina nicht vertraute. Das blaue, übermütige Pokemon war ganz vernarrt in seine Trainerin, warum also sollte er etwas vor ihr verbergen? Andererseits hatte Nerina schon recht. Sie beide wussten nicht viel über die Geschichte von Texomon. Evoli hatte ihm zwar ein wenig erzählt, doch dabei war es dann geblieben und auch, als er, Neru, einmal nachgehakt hatte, hatte Texomon nichts weiter von sich preis geben wollen. "Ich bin mir sicher, dass Texomon dich sehr gerne hat", meinte er nun, "Ich würde ihm nicht misstrauen, nur weil er dir keinen Einblick in seine Gedanken gibt." Nerina schaute ihn unentschlossen an. "Er vertraut dir, sonst könntest du ihn zu den ganzen Spielen nicht überreden", erklärte Neru, "Und ich finde, du kannst auch ihm vertrauen. Immerhin tun die Iramon all das Kämpfen nur, um uns zu helfen." Nerina nickte und Neru löschte die Lichter. Der morgige Tag würde noch anstrengender werden, als der heutige. Sonst hätte Dew sie nicht nochmal zum ausruhen geschickt.
 


 

>>>Nerina<<<
 

"Und wir sollen jetzt einfach nur da durch?", fragte Texomon ein wenig ratlos. Nerina seufzte tief und ließ sich resigniert auf einen der schroffen Felsen sinken. "'Nur' ist gut", erwiderte sie und sah ratlos um sich, doch das Tal, in dem sie sich befanden, hätte trostloser nicht sein können. Rund herum umstanden es hohe Berge, die keine Lücke oder Pass erkennen ließen und so steil aufragten, wie die Wände eines Vulkankraters. Pflanzen gab es kaum, dafür war es hier oben zu kalt. Stattdessen hingen gewaltige Eiszapfen an den schroffen Klippen und Eis überzog die meisten der brusthohen Findlinge, die überall in der kiesigen Wüste der Talsohle herumlagen. Nur an einer einzigen Stelle fehlte das Eis, dort nämlich, wo der dünne Strahl einer heißen Quelle gute zehn Meter über dem Boden aus einer Felsspalte in der Wand austrat und hinab in ein kleines Becken stürzte, wo das Wasser wild um die eigene Achse wirbelte und dann auf mysteriöse Art und Weise zwischen den Felsen des Talbodens versickerte. "Die Wand hinter der heißen Quelle", hatte Dew ihnen erklärt, nachdem er sie mit seinem Mantax hier abgeliefert hatte, "Versperrt einen unterirdischen Gang, der euch durch den Berg und bis hinunter zur Jurob-Halbinsel führen wird. Dort werden wir auf euch warten." Im Prinzip hatte die Aufgabe recht simpel geklungen, doch die Wand war hart wie Beton und zeigte nicht den winzigsten Spalt. Eine geschlagene Stunde lang waren sie nun schon davor herumgeklettert, hatten Finger und Klauen in jede noch so kleine Ritze gesteckt, gedrückt und gezogen, Steinchen wie Knöpfe oder Hebel zu benutzen versucht oder wenigstens den Mechanismus gesucht, der die Wand bewegen sollte, doch es gab ihn nicht. Die Wand war schlichtweg eine Wand, nicht mehr und nicht weniger. Texomon knurrte unwillig und trat wütend mit dem Fuß dagegen. "Wir sollen eine Steinwand aufknacken!", brummte er verdrießlich, "Und das soll nun eine Wasseraufgabe sein?" "Vielleicht geht sie ja mit deiner Aquaknarre kaputt?", fragte Nerina ungläubig. Texomon versuchte es, doch seine Attacke prallte in einer meterhohen Fontaine nutzlos an dem Granit ab und spritzte in alle Richtungen. Einige Tropfen fielen außerhalb des wärmenden Einzugsgebietes der Quelle auf einen Felsen und gefroren sofort zu kleinen Eiskristallen. Verzweiflung begann in Nerina aufzusteigen. Wenn uns nicht bald etwas einfällt, werden wir schlichtweg erfrieren! Es ist so furchtbar kalt hier!, dachte sie und kroch noch ein Stückchen näher an den heißen Tümpel heran. Texomon kam mit hängenden Schultern zu ihr herüber. "Ich bin nicht stark genug", sagte er traurig, ließ sich neben ihr zu Boden fallen und sie kuschelten sich eng aneinander, teils, um der nagenden Kälte zu entgehen, teils, um sich gegenseitig Mut zu machen. müde kraulte Nerina ihn hinter den herabhängenden Ohren. "Und dabei hast du in der Wasserarena so tapfer gekämpft..." Texomon zuckte mit dem Schwanz. "Trotzdem ist meine Aquaknarre nicht stark genug... Oder nein, eigentlich ist die verdammte Wand nur zu glatt. Hätte sie nur einen einzigen Sprung..." Mit neuem Mut sprang er auf, nahm einen faustgroßen Stein vom Boden und begann damit, auf die Wand einzuhacken. Rasch sprang Nerina ihm zur Seite und verzweifelt hackten und hämmerten sie auf den Stein ein, bis ihre Hände bluteten, doch alles war vergebens. Bis auf einen winzigen Riss hatten sie nichts erreicht und der war zu klein, um Texomons Aquaknarre eine Angriffsfläche zu bieten. Mutlos hockten sie sich wieder an den Rand des Tümpels, schwer atmend und mit hängenden Köpfen. Dews Aufgabe schien nahezu unlösbar. Traurig starrte Nerina vor sich hin, beobachtete das Sonnenlicht, das sich in den Eiskristallen brach und sie schimmern ließen wie Diamanten. Texomon hatte recht. Was sollte diese Aufgabe nur mit Wasser zu tun haben? Sie hätte eher in die Felsenarena gepasst - oder war das Wasser etwa der Schlüssel zu dem Geheimnis? "Ihr habt bewiesen, dass ihr mit dem Element Wasser umgehen könnt", hatte Misty gestern noch stolz verkündet. Ob die ganze Angelegenheit womöglich nicht ihre Kräfte, sondern ihr Verständnis des Elementes Wasser prüfen sollte? Nerina blinzelte nachdenklich und betrachtete die funkelnden Eiskristalle nun mit neuen Augen. Sie strahlten wie Diamant und sie konnten auch ebenso hart sein! Im Fernsehen hatte sie einmal verfolgt, wie Wasser in einem Schlagloch auf der Straße gefror und das Eis den ganzen Beton aufgesprengt hatte. Viel würde es nicht sein, was sie dadurch freisprengen konnten, aber vielleicht würde es ja ausreichen... "Texomon?", fragte sie betont langsam, um ihn nicht zu sehr zu begeistern, "Meinst du, wir könnten das heiße Wasser umleiten?" "Warum soll das gut sein?", fragte Texomon überrascht, "Sie stört uns doch nicht weiter." "Vielleicht schon", entgegnete Nerina nachdenklich und musterte die Wand ein weiteres Mal aufmerksam. In etwa fünf Metern Höhe war ein kleiner Felssims zu erkennen, etwa einen Meter breit und vom Wasser zu einer sauberen Rille geformt, durch die es ablaufen konnte. Wenn sie es schaffen würden, diese Rille zu verstopfen... "Wie meinst du?", fragte Texomon ungeduldig, als Nerina bereits gedankenverloren aufstand und das Tal nach einem geeigneten Werkzeug abzusuchen begann, folgte ihr dann aber ratlos. Tatsächlich brauchten sie nicht lange zu suchen. Hinter dem Felsen mit dem Diamanteneis entdeckte Nerina eine große, beinahe bogenförmig ausgehöhlte Steinplatte. Probehalber hob sie sie auf und stellte fest, dass sie aus leichtem Lavastein bestand, einfach zu tragen also. "Texomon", wandte sie sich an ihren Begleiter, "Meinst du, du kannst damit auf den Felssims klettern und versuchen, die Platte so festzuklemmen, dass sie den Wasserstrahl umlenkt?" "Ich kann es versuchen", entgegnete Texomon eifrig, nahm Nerina die Platte aus den Händen und begann, zu klettern. Einige Male schleiften seine Klauen mit markerschütterndem Kreischen über den Granit, aber endlich stand er breitbeinig und mit zur Siegerpose erhobenen Händen auf dem schmalen Grat und schaute sich neugierig um. "Hey! Du hast recht!", rief er verblüfft zu der atemlos wartenden Nerina hinunter, "Man kann sie hier wirklich in eine Felsspalte einklemmen! Wie dafür gemacht! Ha! Schau!" Und mit einem mächtigen Knirschen schob er die Platte unter den Wasserstrahl. Kurz wackelte sie bedenklich unter dem Ansturm, doch dann schien sie auf eine eigenartige Weise einzurasten und das Wasser perlte nun nicht mehr nur über den Felsvorsprung hinweg, sondern floss an ihm entlang, um etliche Meter weiter links in eine Felsspalte zu stürzen. Neugierig beobachtete Nerina die noch nasse Wand dahinter. Nur langsam kühlte der Stein aus und sie befürchtete schon, dass nicht mehr genug Wasser darin sein würde, um den Granit zu sprengen, doch Texomons Aquaknarre hatte das Wasser wohl auch in die entlegensten Ritzchen gepumpt und kaum hatte Texomon zum dritten Mal "und... jetzt?" gefragt, als beinahe ein Quadratmeter Granit knirschend von dem Eis auseinandergesprengt wurde und viele, kleine Steinsplitter zu Boden stürzten. Das Loch war nicht besonders tief, doch als nerina jubelnd hinlief, um nachzusehen, entdeckte sie tatsächlich eine fingerbreite Öffnung in eine dunkle Höhle. "Oh! Wir haben ihn, Texomon!", rief sie glücklich und tanzte begeistert durch die Splitter, "Das Eis hat den Stein für uns gesprengt! Jetzt müssen wir ihn nur noch restlos freilegen!" "Vielleicht kann das auch das Wasser für uns tun!", entgegnete Texomon, der vor lauter Begeisterung beinahe von seinem Sims gestürzt wäre, "Schau mal, Nerina! Dort liegt noch so eine Platte, am Boden des Tümpels, wo die ganze Zeit das Wasser draufgelaufen ist. Wenn du die zwischen die beiden Steine da klemmst, fällt das Wasser genau darauf und prallt ab, wie vorhin meine Aquaknarre. Dann spritzt es genau auf das Loch und kann es für uns Freiräumen!" "Beim dicksten Relaxo! Du hast recht!" Eifrig rannte Nerina zu dem nun verwaisten Steinbecken, nahm die Lavaplatte heraus und klemmte sie schräg in eine Felsspalte ein. Gleichzeitig löste Texomon seine Platte oben aus ihrer Verankerung und das Wasser stürzte hinab auf Nerinas Platte, die es wie ein schräger Spiegel gegen die Wand schleuderte. Sie konnten förmlich zusehen, wie das Wasser den zerbröselten, weißlichen Felsen aufzulösen schien und als Nerina neugierig hinlief und einen Finger darüber gleiten ließ, schmeckte er salzig. "Salzstein!", rief sie Texomon zu, der gerade mit seiner Platte zu ihr hinabkletterte, "Hinter der Granitschicht war Salzstein! Schau! Das Wasser löst ihn auf! Wir haben es geschafft!" Glücklich fassten sie sich an den Händen und tanzten im warmen Sprühregen des Wasserstrahls herum, bis die Quelle den Eingang komplett freigelegt hatte und nun in einem schmalen, etwa knietiefen Strom hindurch ins Innere des Berges strömte. "Jetzt müssen wir nur noch dem Wasser folgen", sagte Texomon und drückte stolz ihre Hand, "Denn die Jurob-Halbinsel liegt so weit unten, wie das Meer und wir sind furchtbar weit oben. Das Wasser wird den schnellsten Weg durch den Berg finden, da bin ich mir sicher!" Entschlossen schulterte er seine Lavaplatte und stapfte los, geradewegs hinein in die Dunkelheit...

Sie folgten dem schmalen Bächlein eine zeitlang stetig bergab. Der Gang war eng und niedrig, doch sein Boden eben und das Gehen fiel ihnen leicht. Außerdem tat die Wärme des heißen Wassers und sein Dampf ihren ausgekühlten Gliedern gut und ehe sie sichs versahen trafen sie auf einen breiten Seitengang, der ebenfalls Wasser führte. Die beiden Bäche vereinigten sich zu einem größeren Strom, angenehm warm und tief genug, darin zu schwimmen. Mit einem entspannten Seufzen legte Texomon sich rücklings auf die merkwürdige Lavaplatte, die leicht genug schien, auf dem Wasser zu schwimmen und Nerina hielt sich an seinen ausgestreckten Füßen fest, machte sich ganz lang und sie ließen sich gemütlich vom warmen Wasser in die Tiefe tragen. Von Zeit zu Zeit gesellten sich andere Ströme zu dem ihrigen, bis sie schließlich in einer art Labyrinth landeten. Das Gelände schien hier weniger abschüssig, dafür verzweigte sich der Gang dauernd in kleinere oder größere Seitenarme, die manchmal im Kreis herum und wieder zurück führten, manchmal in stillen Tümpeln und Seen landeten. "Hoffentlich verirren wir uns hier nicht", gab Nerina zu bedenken, während Texomon munter Abzweigung um Abzweigung wählte, sich lachend hier und dorthin treiben oder von einem Strudel im Kreis drehen ließ. "Hee! immer mit der Ruhe, Nerina!", erklärte er lachend, "Wir können uns gar nicht verirren! Schau! Alles Wasser will strömen. Wenn ein Arm keine Strömung hat, ist er eine Sackgasse. Wenn ein Arm strömt, dann strömt er immer nach unten. Solange wir uns treiben lassen, kommen wir irgendwo am Meer heraus und das ist alles, was zählt. Genieß also die Fahrt!" Sein Argument leuchtete ein und so begann auch Nerina, erst verhalten, dann immer ausgelassener, durch das lustige Labyrinth zu toben, sich von den Wasserströmen hierhin und dorthin reißen zu lassen, sich mit voller Fahrt durch Stalaktitenwälder zu schlängeln oder unter herabhängenden Felsen hindurchzutauchen. Lachend überkugelten sie sich an solchen Plätzen, wo das Wasser von vielen Richtungen zusammenlief und Strudel bildete und schossen im Slalom in links und rechts abgehende Gänge. Nerina wusste nicht, wie lange sie so im Herzen des Berges herumgetobt hatten, bis plötzlich ein leises Dröhnen an ihre Ohren drang. Erschrocken hielt sie inne. "Was ist das?", rief sie Texomon zu, der munter auf seinem Wellenbrett vornewegschoss. Das Dracheniramon hielt inne, steckte die Schwanzspitze ins Wasser und schien die Strömungen zu fühlen. "Ein großer Strudel", sagte er dann, "Vermutlich eine Art Trichter..." Kurz zögerte er, dann fügte er hinzu: "Halt dich kurz an den Steinen hier fest. Ich will ihn mir ansehen." Noch ehe sie protestieren konnte war er vorneweggeschossen und verschwand alsbald in der dämmrigen Ferne. Als er zurückkam, sah sein Gesicht nachdenklich aus. "Er ist recht tief", sagte er, "und ich kann nicht sehen, wo er endet, aber viel Wasser stürzt hinunter und ich bin mir ziemlich sicher, dass er nicht gefährlich ist. Wahrscheinlich landet man in einer Art See. Trotzdem solltest du dich an meinem Rücken festhalten." "Aber Texomon...", widersprach Nerina ängstlich, doch Texomon hatte sich bereits ihre Arme um den Hals gelegt, sein Wellenbrett davongestoßen und war losgepaddelt, dem dröhnenden Strudel entgegen. "Ich werde dir wehtun", protestierte Nerina, doch Texomon schüttelte den Kopf. "Ich bin ein Iramon und halte viel aus", sagte er tapfer, "In der Arena werde ich mit Felsen beworfen, mit Flammen massakriert und von Rasiermessern zerlegt. Ich kann den Sturz problemlos wegstecken und du bist da oben sicherer als irgendwo sonst." "Aber wenn wir nun gar nicht dort hinunter sollen?", fragte Nerina verzweifelt. Sie befanden sich nun keine zehn Meter mehr entfernt von dem furchtbaren Strudel, der durch ein drei Meter breites Loch in die Tiefe sauste, schäumend und wirbelnd in ein Schwarzes Nichts. Ächzend schlang Texomon den Schwanz um eine Stalakmite, sodass sie stillstanden. Das Wasser zerrte mit einer Gewalt an Nerinas Körper, die ihr beinahe die Sinne raubte. Nur schleierhaft nahm sie Texomons Gesicht wahr, als er sich zu ihr umwandte. "Ich suche uns auch einen anderen Weg, wenn du willst", sagte er sanft, "Aber ich bin mir fast sicher, dass es keinen gibt. Alles Wasser findet früher oder später zum tiefsten Punkt des Labyrinthes - und der ist nunmal hier." Kurz zögerte er und als Nerina nicht antwortete, fragte er: "Nerina, vertraust du mir?" Kurz rangen Furcht und Entschlossenheit in Nerinas Brust, dann biss sie die Zähne zusammen und nickte. "Ja, Texomon, ich vertraue dir." "Gut", erwiderte der kleine Drache, ließ seinen Stalagmiten los und mit einem gemeinsamen Aufschrei rasten sie hinab in die Tiefe. Alles in allem war das Gefühl weniger schlimm als erwartet. Zwar drehte sie das Wasser um und um, während sie stürzten, doch ehe Nerina auch nur Zeit fand, sich zu fürchten, war es auch schon vorbei und auf einer eiligen, aber nicht gerade furchteinflösenden Wasserrutsche glitten sie erneut in die Tiefe. Nun mündeten keine anderen Gänge mehr in den ihren ein und die Wände waren glatt und gerade. Sie mussten die Zielgerade erreicht haben. Von hier führte der Fluss sie unentwegt auf sein Ende zu, tiefer und immer tiefer hinab. Durch Risse in der Decke schimmerte goldenes Sonnenlicht und das immernoch leicht warme Wasser umfing angenehm ihre Körper. Keiner von ihnen sprach ein Wort, während sie so in die Tiefe glitten, doch Nerina sah, dass Texomon strahlte.

Hinterher vermochten sie nicht zu sagen, wie lange der Fluss sie mit sich getragen hatte, bis der Gang sich plötzlich zu einer gewaltigen, kuppelförmigen und annähernd runden Höhle öffnete. Das Wasser überflutete ihren Boden etwa brusthoch, ehe es auf der anderen Seite durch ein engmaschiges Metallgitter abfloss. Ratlos musterten sie den versperrten Durchgang. "Er sieht von Menschen gemacht aus", sagte Nerina in die plätschernde Stille, "Also sind wir entweder am Ziel oder in einer Sackgasse..." "Oder man muss es öffnen", beharrte Texomon und wollte schon die Klauen hineinschlagen, als Nerina aufgeregt nach oben deutete. "Dort! Texomon! Sieh mal!" Durch ein kleines, kreisrundes Loch an der höchsten Stelle der Kuppel fiel Sonnenlicht zu ihnen herunter und das Geräusch von Wellen drang leise an ihre Ohren. "Das muss der Ausgang sein!", frohlockte Texomon glücklich, "Ein Blow-Hole! Aber wie kommen wir da hinauf? Die Wände sehen zu steil zum klettern aus..." "Mithilfe des Wassers", entgegnete Nerina fest, paddelte zu Texomons Wellenbrett hinüber, das ihnen notgedrungen durch den Strudel gefolgt war und schob es vor sich her zu dem Gitter. Mit einem leichten Druck stellte sie es quer, sodass es nicht länger platt auf dem Wasser lag, sondern vielmehr darin zu schweben begann. Sofort erfasste es die Strömung und presste es wie einen Korken auf das Gitter. Es passte perfekt und augenblicklich begann das Wasser, zu steigen. "Hoffen wir, dass es hält", bemerkte Nerina, während sie und Texomon bereits wie zwei kleine Korken auf der steigenden Oberfläche der Höhlendecke zustrebten, "Wenn nicht wird der Wasserdruck uns an das Gitter nageln." Doch das merkwürdige Wellenbrett hielt tapfer stand, sodass Nerina schon bald Kopf voran aus dem Blowhole getragen wurde, sich rasch aus dem ihr folgenden Sturzbach abrollte und auf warmem, flachen Felsen zu liegen kam. Die Wellen des Meeres brandeten gute dreißig Meter unter ihr an die sanft auslaufenden Klippen der Jurob-Halbinsel.

"Herzlichen Glückwunsch!", sagte Dew und stand von dem Felsen auf, auf dem er offensichtlich die ganze Zeit gewartet hatte, "Ihr hattet eure Startschwierigkeiten, aber das Labyrinth habt ihr mit Bravur gelöst. Ihr beiden habt nicht nur gelernt gegen das Wasser zu kämpfen, ihr habt es in all seinen Facetten verstanden. Streng genommen qualifiziert dich das zu einer Arenaleiterin der Wasserarena, Nerina... Aber ich glaube, euch ist das hier lieber..." Lächelnd streckte er Nerina einen funkelnden Saphir entgegen. Mit zitternden Fingern nahm sie ihn aus Dews großer Hand und schob ihn in die noch leere Blumenbrosche, die sie seit ihrem allerersten Treffen mit Texomon an ihrer Brust trug. Mit einem leisen Klicken rastete der Stein in den vorgesehenen Platz ein und augenblicklich begann Texomon, blau zu leuchten. "Was... Was geschieht mit mir!", rief er erschrocken aus, ehe er sich erinnerte, dass er in Gegenwart anderer zu Schweigen hatte, doch Dew lächelte nur. "Das kann man nie so genau sagen", sagte er nur, "Lass deine Gedanken treiben, Texomon, wie du vorhin durch das Labyrinth getrieben bist. Das Wasser wird dich führen..." "In Ordnung...", entgegnete Texomon und schloss konzentriert die Augen. Im nächsten Augenblick schien sein Körper in einen blauen Vorhang aus perlendem Licht gehüllt und als dieser sich lichtete, lag ein großes, blaues Seedraking mit hoch erhobenem Kopf vor ihnen auf den Steinen. Das Sonnenlicht schimmerte leuchtendblau auf seinen großen, glatten Schuppen und stolz warf es den Kopf zurück. "Und? Was bin ich?", fragte es mit einer Stimme, die eindeutig an die von Texomon erinnerte, dabei jedoch viel tiefer und mächtiger klang. Endlich löste sich Nerina aus ihrer Starre, rannte zu ihm und schlang die Arme um seinen Hals. "Wunderschön!", rief sie.

Auch Dew staunte nicht schlecht über Texomons Entwicklung. Angetan ging er um Seedraking herum, betrachtete es von allen Seiten und wandte sich dann wieder an Nerina. "Wenn es euch beiden nichts ausmacht, würde ich Seedraking ja allzu gerne einmal schwimmen und ein paar Attacken ausprobieren sehen", sagte er eifrig, "Ich habe noch nicht besonders oft überhaupt eines gesehen und noch nie eines auf einem so niedrigen Level! Das wäre ein bedeutender Schritt in meiner Forschungsarbeit über Seeper." "Kein Problem", donnerte Texomons ungewohnte Drachenstimme, "Soll ich gleich loslegen?" Dew hob lachend die Hände. "Morgen in der Arena, wo ich meine Messinstrumente habe", erwiderte er rasch, "Außerdem müssen wir ja jetzt noch deinen Bruder versorgen, Nerina... Könntet ihr beiden mir da einen anderen Gefallen tun?" Ohne eine Antwort abzuwarten, zog er einen kleinen, goldenen Schlüssel aus der Brusttasche seines Jacketts und reichte ihn Nerina. "Er öffnet das Gitter, das ihr vorhin blockiert habt", erklärte er weiter, "Ihr müsstet nur hinuntertauchen und die Lavaplatte entfernen, sodass das Wasser abfließen kann. Danach kannst du Seedraking damit das Gitter aufschließen, dass er hinaus ins offene Meer schwimmen kann. Mach das Gitter grade von außen zu, dann schwimmt um die Halbinsel herum, bis zu dem kleinen Strand dort hinten. Von dort aus geht ein Fußweg wieder hier herauf, sofern ihr mit mir zusammen Nerus Prüfung am Bildschirm verfolgen wollt. Er hat schon eingewilligt, dass ihr das dürft, wenn ihr wollt." "Au ja!", röhrte Seedraking begeistert und schlug so heftig mit dem Schwanz auf, dass einige faustgroße Steine sich von der Klippe lösten und hinab ins Wasser fielen, "Das wird lustig! Komm, Nerina!" und mit einem übermütigen Drachenruf stürzte er sich kopfüber durch das Blow-Hole zurück ins Innere der Höhle. Kurz zögerte Nerina, ehe sie sich kräftig abstieß und so weit wie möglich in die Tiefe tauchte. Sofort begann das Wasser, sie wieder nach oben zu tragen, doch dann spürte sie Seedrakings mächtigen Körper neben sich, schwang sich rittlings auf seinen Nacken, kurz vor seinen Flügelchen und schlang einen Arm um seinen Hals, um sich festzuhalten. Hoffnungsvoll schielte sie an seinem Drachenkamm vorbei nach oben, denn schon jetzt fühlten sich ihre Lungen so an, als wollten sie wieder Atem schöpfen, doch Seedraking stieß mit mächtigen Schlangenbewegungen seines Körpers abwärts, bis es den versperrten Ausgang erreicht hatte und die Platte mühelos mit seinem Schwanz fortwischte. 'Niemand hat gesagt, dass wir sie behalten sollen, oder?' Nerina fuhr zusammen, als sie zum ersten Mal seit Vertania wieder Texomons Stimme in ihrem Kopf vernahm. Stolz und Freude durchflutete sie und, unfähig in Worten zu antworten, presste sie ihre Wange an seinen glatten Hinterkopf, ehe sie gemeinsam von der Wucht des Wassers gegen die Felswand getragen wurden. Nerina konnte gerade noch so ihr Bein einziehen, ehe Seedrakings schwerer Körper sich mit knochenbrechender Gewalt an den Felsen schmiegte. Das Wasser zerrte schrecklich an ihr, presste ihr auch nach das letzte bisschen Luft aus den Lungen und verzweifelt begann sie, zu zappeln. 'Oh, tut dir was weh?', fragte Seedraking besorgt und rollte seinen Körper schützend um sie zusammen, doch da war es auch schon wieder vorbei und Nerinas Kopf kam endlich über Wasser. Mit gewaltigen Atemzügen pumpte sie Luft in ihre Lungen. Seedrakings Augen glommen meergrün in der Dunkelheit, als er sich ihr besorgt zuwandte. "Stimmt ja", bemerkte er bestürzt, "Ich kann ja jetzt unter Wasser atmen..." "Aber du hast mit mir gesprochen", rief Nerina begeistert, sobald sie wieder zu Atem gekommen war. Seedraking legte den Kopf schief. "Warum verwundert dich das?", fragte er überrascht, "Das tue ich doch oft, nur hörst du mir nie richtig zu..."

Seine Worte hatten Nerina sehr nachdenklich gemacht und lange grübelte sie darüber nach, während sie die Höhle verließen und Nerina ihr Seeungeheuer von einem Seepferdchen durch die schäumende Gischt ritt. Zu ihrer Verwunderung schwamm Seedraking gleichmäßig und sanft und machte kaum übermütige Sprünge oder Tauchausflüge. Am Strand angekommen rätselten sie eine gute Viertelstunde an dem Problem herum, wie Seedraking nun wieder zu Texomon werden würde, bis dieser endlich genug Willenskraft aufbrachte, die Augen zu schließen und sich ganz fest vorzustellen, wieder in Texomons Körper zu stecken. Erneut hüllte sein Körper sich in blaues Licht, dann hockte Texomon mit müdem Gesicht vor ihr im flachen Wasser. "Meine Güte, strengt das an", ächzte er, als Nerina ihm auf die Füße half, "Aber Spaß macht die Form schon! Ich hatte das Gefühl, ewig schwimmen zu können! Aber Laufen ist durchaus auch eine feine Sache..." Damit machten sie sich müde auf den kurzen aber steilen Fußmarsch zurück auf den Felsen, auf dem Dew sie erwarten wollte. Wie sich herausstellte, entsprach eben dies nicht den Tatsachen. Dew war verschwunden und an seiner statt wartete eine mit dem Logo der Wasserarena bestickte Picknickdecke, ein großer Picknickkorb mit Sandwichs, Obst, Süßigkeiten und jeder Menge Pokemonmüsli, Biskuits und Riegeln und ein großer, flacher Bildschirm auf sie, auf dem gerade Misty zu sehen war, die eine neue, identisch geformte Lavaplatte hinter dem Stein versteckte, hinter dem auch Nerina sie gefunden hatte. Die heiße Quelle gurgelte wieder unverändert in ihr Felsbecken und die Granitwand sah so unbeschädigt aus wie eh und je. Kurz betrachtete Misty zufrieden ihr Werk, dann entließ sie ein großes Mantax aus einem Pokeball und flog davon. Keine zwei Sandwiches später tauchte erneut ein Mantax im Tal auf, diesmal trug es Dew, Neru und Evoli auf dem Rücken. Mit leiser, mikrofonverzerrter Stimme begann er, Neru seine Instruktionen zu geben. Texomon kicherte und rollte sich wohlig schnurrend auf den Rücken, als Neru und Evoli ebenso ratlos aus der Wäsche guckten, wie sie selbst. Kaum, dass Dew verschwunden war, begannen sie, wie schon zuvor Nerina und Texomon, die Wand abzusuchen, pressten Finger und Pfoten in alle Spalten und Risse und stellten fest, dass sie keine Chance hatten. "Man müsste sie einreißen!", brummte Neru nach einer Weile ärgerlich, "Aber wie? Wir können ja schließlich kein Erdbeben machen!" "Der Ruckzuckhieb reicht dafür kaum", ergänzte Evoli seufzend, dann richtete sie begeistert die Ohren auf. "Aber die Aufgabe muss schließlich lösbar sein! Komm, Neru, wir sehen uns mal um! Vielleicht gibt es ja eine Brechstange oder ein bisschen Dyna-Dings hier irgendwo..." "Oder eine Spielanleitung", seufzte Neru ironisch, folgte seinem kleinen Iramon aber dann doch hinaus in die Steinwüste. Er hatte Mühe zu folgen, denn das schlanke und geschickte Iramon schlängelte sich durch jede Ritze, sprang behände auf und über Felsen und lugte in jede noch so kleine Höhle. Die Lavaplatte fand sie schnell, schnupperte daran und ging weiter, was Texomon mit einem "ooouufff" kommentierte. Die Zeit, die Nerina und er damit verbracht hatten, die Wand mit bloßen Händen zu malträtieren, verwendeten Neru und Evoli aufs Herumwandern und Suchen, bis Evoli sich schließlich in einem Schneehaufen zusammenrollte. Neru verdrehte die Augen. "Warum können wir nicht irgendwo Pause machen, wo es warm ist?", fragte er resigniert, die Tatsache ihres Misserfolgs schien ihn ebenso zu verärgern, wie zuvor seine Schwester, "Hier frieren wir uns nur die Ohren ab!" "Mir macht der Schnee nichts aus", entgegnete Evoli unbeeindruckt, "Trotzdem komisch, dass er da ist... Mitten im Sommer... Sag mal, Neru?", fragte sie, während sie sich wieder aufsetzte, "Kannst du nicht mal in deinem Pokedex schauen, was gegen Gestein effektiv ist?" "Wenn du meinst, dass das was hilft..." Er überprüfte es, dann machte er seinen Zuschauern große, runde Augen. "Eis!", rief er, "Eis, Pflanze und Wasser... Zwei davon haben wir!" Im folgenden brauchten sie nicht mehr lange rätseln. Auch Neru hatte den Film der Eissprengung gesehen und Evoli erinnerte sich an die Felsplatte zum Wasserumlenken. Sie knoteten sie an ein altes Hanfseil, das Evoli in einer Felsritze gefunden hatte und Evoli kletterte mit dem anderen Ende auf den Felssims, legte das Seil um einen Felsvorsprung und warf das Ende zurück zu Neru, der so die Platte hinauf zu Evoli ziehen konnte. Im Handumdrehen hatten sie das erste Loch in die Wand gesprengt und Nerina musste lächeln, als sie sah, wie Neru strahlte und sein kleines Evoli in die Arme nahm, ehe auch sie die zweite Platte entdeckten und das Wasser den Weg freiräumen ließen. Allerdings entfernten sie die Platte wieder, als Evoli anmerkte, sie wolle nur ungern im Wasser laufen, das ihr immerhin bis knapp unter die Schnauze stand. "Ob das einen Unterschied macht?", fragte Texomon schulterzuckend, während sie den beiden mit Kameraaugen hinab in den Felsen folgten. Nerina machte ein unwilliges Geräusch. "Irgendwie schon", sagte sie gequält, "Immerhin sind sie nicht auf die Idee gekommen, den Strömungen zu folgen. Ich hoffe, darauf kommen sie noch, sonst haben sie in dem Labyrinth ihren Spaß..." Bald gesellten sich die kalten Nebenbäche zum Hauptgang und Neru musste Evoli aufheben und in den Armen tragen, je höher das Wasser stieg. Er schwamm nicht, wie Nerina, sondern watete den immer tiefer gefluteten Gang hinunter, bis das Wasser ihm bis über die Hüften reichte. "Die Strömung zerrt immer heftiger und außerdem ist es schrecklich kalt", verkündete er müde, "Und der Gang verzweigt sich dauernd. Wir müssen schauen, dass wir uns nicht verirren." "Wir könnten immer die linke Abzweigung gehen", schlug Evoli vor, doch Neru schüttelte den Kopf. "Damit gehen wir höchstwahrscheinlich im Kreis", sagte er nachdenklich, "Wir sollten immer einmal links und einmal rechts gehen..." Sie versuchten es, kämpften sich durch Strömung und an den Stalakmitenwäldern vorbei und gerieten alsbald an einen Strudel, in den gleich vier Gänge einmündeten. Ratlos wählten sie den aller linkesten, kletterten durch schroffe Steine und landeten schließlich in einem großen, dunklen See. Neru seufzte. "Wie sollen wir aus diesem Labyrinth wieder rauskommen, ohne Karte und Kompass?", fragte er verzweifelt, "Und ohne die Sonne! Ich hab gar keine Ahnung mehr, wo wir sind! Oh, vielleicht..." Rasch fingerte er wieder den Pokedex hervor und hielt ihn flach vor sich. Evoli lachte begeistert. "Ein Kompass!", rief sie, "Na dann müssen wir uns ja immer nur Richtung Osten halten, denn im Osten liegt das Meer." "Die machen es sich aber auch kompliziert", kommentierte Texomon, als Neru und Evoli sich erneut gehend und mühsam durch das Labyrinth zu schlagen begannen. "Warum schwimmt er nicht?" Nerina zuckte mit den Schultern. Sie wusste nur allzu gut, dass ihr Bruder es hasste, sich inspirieren, mitreißen oder eben treiben zu lassen. Er wollte immer die Kontrolle darüber haben, was geschah, wollte einen Plan, eine mathematische Lehrbuchlösung. Improvisieren, spielen, ausprobieren war immer eher ihr Ressort gewesen. "Er traut dem Wasser nicht", sagte Texomon, als Nerina nicht antwortete und es klang, wie als sei dies ein persönlicher Angriff. Das Wasser stieg höher und höher, bis Neru schließlich kaum noch gegen den Strom ankämpfen konnte und als er endlich erschöpft nachgab und dem Wasser folgte, den Kommentar: "Vielleicht landen wir wenigstens irgendwo, wo man die Sonne sieht" auf den Lippen, stand besagter Himmelskörper bereits im Westen über dem hohen Gipfel seines Berges. Texomon rollte sich auf der Picknickdecke zusammen, legte den Kopf auf Nerinas Schoß und murmelte schlaftrunken: "Na, jetzt sollte es ja schnell gehen..." Doch weit gefehlt. Kaum hatten Evolis scharfe Augen den reißenden Strudel ausgemacht und sie einen spitzen Alarmschrei ausgestoßen, als Neru sich schon sofort an eine Stalaktite klammerte. "Da können wir nie im Leben runter!", rief sie panisch, "Wer weiß, wo wir da landen!" Neru teilte ihre Meinung und mit der Kraft der Verzweiflung kämpfte er sich zurück, den Strom hinauf, um einen anderen Weg zu suchen. Es tat förmlich weh, sein entkräftetes, blaugefrorenes und immer verzweifelteres Gesicht zu sehen, während sie Stunde um Stunde durch den Berg krochen. Die Sonne war bereits im Untergehen begriffen, als Neru schließlich entkräftet in die Knie brach und sich zitternd an einer Stalaktite festhielt. "Ich kann nicht mehr, Evoli", stieß er seufzend aus, "Wir müssen das Notrufsignal senden, sonst..." Er führte den Satz nicht zu Ende. Das Wasser riss ihn von den Füßen und willenlos vor Ermüdung ließ er sich entlangtreiben. Manchmal griff er noch nach einem Stein oder einer Säule, doch seine Finger glitten kraftlos daran ab. Evoli paddelte panisch neben seinem Kopf her, versuchte, ihm Mut zu machen. Als der Strudel kam, krallte sie sich an der Wand fest, versuchte, Neru zu halten, doch sein viel größeres Gewicht riss sie beide los und mit einem Aufschrei schossen sie voran, in den wirbelnden Strudel. Kurz wurde der Bildschirm dunkel, als das Programm die Kameras wechselte, dann erschien Nerus prustender Kopf in einer Fontaine aus Wasser, das klitschnasse Evoli auf der Schulter. "Wo sind wir?", fragte er verdutzt, stand auf und nahm den Pokedex hervor, "Oh wau! Der Gang führt direkt nach Osten! Wir könnten..." Auch diesen Gang legte er akribischerweise zu Fuß zurück, doch wenigstens trug ihn das Wasser in die richtige Richtung bis sie endlich den Kuppelsaal und den See erreichten. Die letzten Strahlen der Abendsonne fielen in das Blowhole und Evoli stieß einen verzückten Ruf aus. "Oh! Dort, Neru! Dort ist der Ausgang! Wir haben es geschafft!" "Aber wie sollen wir da hochkommen?", fragte Neru müde und auch Nerina fiel nun mit Schrecken auf, dass sie die Lavaplatte nicht mitgebracht hatten. Eine Weile beobachtete sie mit wachsender Verzweiflung, wie sie die Höhle absuchten, bis schließlich am Bildschirmrand ein kleiner Schriftzug: "Aktiviere Holzbrett" erschien und nur wenige Sekunden später ein solches in die Höhle geschwemmt wurde. Der Rest war ein Heimspiel für Neru. Mit einem einzigen Griff packte er es und versperrte das Gitter mit den Worten: "Was für ein Glück!" Wenige Minuten später erschien sein hochroter Kopf in dem Blow-Hole keine zehn Meter entfernt. "Ach du liebes Bisschen!", stieß er aus, als er sah, dass es dämmerte. Dann fiel sein Blick auf seine Schwester, die Popcorn knabbernd vor dem Bildschirm saß und seine Augen verengten sich zu frustrierten Schlitzen. "Das ist doch nicht fair!", brummte er, ehe Dew von seinem Wachposten aufstand und ihm die Hand reichte. "Du hast bewiesen, dass du im Element Wasser zurechtkommst", sagte er lächelnd und Nerina hielt Texomon die Schnauze zu, sodass er nicht damit herausplatzen konnte, was Dew zu ihnen gesagt hatte. "Dafür verdient ihr den Saphir des Wassers!" "Gut...", sagte Neru nur völlig ausgelaugt, "Danke..." "Wollt ihr ihn nicht gleich ausprobieren?", fragte Nerina überrascht, als Neru den Stein einsteckte, doch dieser schüttelte den Kopf. "Wir sind beide total müde und ich hab gelesen, dass es nicht gut ist, die erste Evotation mit wenig Energie zu vollführen", erklärte er, "Evoli soll erst was essen und ein wenig schlafen. Morgen früh wird das ganze einfacher sein." "Also, ich versteh dich nicht", sagte Texomon zu Evoli, die sich gleich komplett in den Picknickkorb fallen ließ, "Bist du nicht neugierig, was du wirst?" "Mit hoher Wahrscheinlichkeit Aquana", entgegnete Evoli, zu müde, um spitz zu klingen, "Und wie das sich anfühlt, möchte ich lieber wissen, wenn ich nicht nur an Pokeriegel und weiche, trockene Betten denken kann."
 

>>>Neru<<<
 

Mitten in der Nacht wachte Neru schweißgebadet auf. Noch schlaftrunken sah er sich um. Alles war so, wie er es noch von vor dem schlafengehen kannte. Das kleine Zimmer, das ihnen in der Wasserarena zum Schlafen gegeben worden war, war in der Tat ziemlich klein, doch es reichte für sie aus. Es gab sogar neben den zwei klappbaren Feldbetten einen Schreibtisch mit einem Stuhl davor. Gedankenverloren sah Neru zu, wie der silbrige Schein des Mondes auf die Papiere auf dem Schreibtisch fiel und wie das silbrige Licht den Schatten des Stuhles an die Wand hinter ihm warf. Was war heute eigentlich geschehen?, dachte er bei sich. Er und Nerina hatten heute ihre Wasserprüfungen absolviert, doch warum konnte er damit nur nicht zufrieden sein? Weil ihr versagt habt, zwitscherte eine süße, kleine Stimme in seinem Kopf, Nerina und Texomon haben auf voller Linie abgeräumt und den Parcour in nur drei Stunden bewältigt, während du mit Evoli fast sieben Stunden in dem Labyrinth herumgeirrt bist. Ja von dieser Seite aus betrachtet konnte man in der Tat nicht wirklich zufrieden sein. Aber auf der anderen Seite hatten sie immerhin bestanden. Ja, aber gerade so, mischte sich seine innere Stimme wieder ein. Neru seufzte und sah auf sein kleines Evoli hinunter. Warum hatte er nicht auch so einen großen und starken Begleiter wie Texomon? Texomon hatte sich in der Prüfung nicht beirren lassen. Er war, zusammen mit Nerina, wie ein Team vorgegangen und hatte die Prüfung, wie Neru mittlerweile wusste, mit Bravour bestanden. Nerina war damit sogar zur Wasserarenaleiterin befördert worden. Während er, Neru, gerade so mit Ach und Krach die Prüfung bestanden hatte. Wieder hallten in ihm die Worte wieder: Ihr habt bewiesen, dass ihr im Element Wasser klarkommt. Das war wohl das geringste, was möglich war. Texomon war so viel stärker als Evoli. Neru sah hinüber zu dem kleinen Drachen und dann wieder auf seinen eigenen, plüschigen Begleiter und Zweifel begannen, sich in ihm zu regen. War es fair, so von Evoli zu denken? Hatte sie nicht auch in der Wasserarena alles für ihn gegeben? Hatte sie nicht das Unmögliche möglich gemacht, um den Quellorden zu erringen? Wasser war nicht Evolis Element und, dass sie dieses Element nicht in seinen Grundfesten verstand, war wohl nur zu verständlich. Hatte nicht er bei der Aufgabe versagt und nicht sein Begleiter? Neru holte tief Luft und setzte sich vollends auf. Mit Schlaf, das spürte er, war es für den Moment erstmal vorbei. Langsam und vorsichtig, um niemanden, ganz besonders nicht Evoli, zu wecken, ging er hinüber zum Schreibtisch und setzte sich auf den, von Mondlicht umtränkten Stuhl. Dann sah er aus dem Fenster hinaus auf das Wasser des Meeres, dessen Wellen ruhig und sanft schaukelten und das Mondlicht in immer neuen Mustern zu ihm zurückwarfen. Eine solche Stärke ging von ihm aus, dass Neru für einen Moment glaubte, wieder in den Strudeln von heute zu versinken, drohte, wieder im Wasser die Kraft zu verlieren und einfach unterzugehen. Doch dieser Moment verschwand wieder und Neru konnte wieder einfach nur die Wellen vor sich schaukeln sehen. Er dachte zurück an vor zwei Tagen, als er zusammen mit Evoli auf dem Kajak die Wellen durchbrochen hatte. Hatte er sich dabei Zeit genommen, das Wasser zu verstehen, oder wollte er einfach nur Evoli schwimmen beibringen? Eigentlich war das keine Frage. Er hatte nur an das Training gedacht, anstatt die wirkliche Botschaft, das wirklich Lernenswerte am Wasser zu verstehen. Wie unüberwindlich hatte das Wasser auf Evoli gewirkt und wie Recht hatte sie doch gehabt. Neru erinnerte sich zurück an eine Dokumentation, in der er gesehen hatte, wie das Meer im Laufe der Zeit Felsen aushöhlen und Inseln zerbrechen lassen konnte. Zerbrechen und Aushöhlen, so wie das Wasser heute auch ihn gebrochen hatte. Er hatte das kleine Kajak den Wellen zum Trotz durch die Brandung gefahren, ohne die Unüberwindlichkeit des Wassers zu sehen, ohne auch nur einen Moment darüber nachzudenken, was Evoli wohl dabei empfand. War er nicht rücksichtslos voran gegangen, um Evoli zu helfen? Zu helfen für ihn Siege zu erringen, wie ihn seine Stimme erneut erinnerte. War er rücksichtslos? Irgendwie schon, aber irgendwie auch nicht. Sie musste ja kämpfen, um Gringo zu besiegen. Aber möglicherweise hatte er es mit dem Training übertrieben. All sein Denken war auf diesen Kampf ausgerichtet, das wurde ihm nun mit einem Schlag klar. Gab es denn nichts mehr anderes als das Kämpfen? Früher hatte er noch ab und an gerne gelacht, aber jetzt war er gefangen in den Routinen des Trainings und auch mit seiner Zwillingsschwester, mit der er früher so viel Spaß gehabt hatte, sprach er kaum noch. Warum eigentlich nicht? Allmählich begann sich Ärger in ihm anzustauen. Nicht die Art Ärger oder Verzweiflung, den er noch auf Evoli gehabt hatte, sondern ein Ärger über ihn selbst. Was hatte er sich eigentlich dabei gedacht, mit Evoli allein hinaus aufs Meer zu fahren? Hätte er nicht mit Texomon und Nerina zusammen trainieren können? Hätte er nicht mit beiden großen Spaß haben können und dann mit ihnen zusammen rausfahren und schwimmen können? Er ärgerte sich immer mehr über sich. Warum hatte er es denn dann gemacht? Weil er eifersüchtig auf Texomons Aquaknarre und seinen Erfolg gewesen war. Eifersüchtig darauf, dass Texomon so viel besser als Evoli war. Deswegen hatte er auch allein mit ihr trainieren wollen, ohne Nerina.

Man konnte eben keinen Blumentopf bei den Pokemon gewinnen, wenn man sie anging, wie Schulaufgaben, die gelöst gehörten. Es tat ihm selbst weh, so über sich zu denken, gleichzeitig steigerte es allerdings auch seinen Ärger. Er war komisch geworden, doch würde er das ändern. Man konnte auch mit Spaß siegen, das hatten Nerina und Texomon heute bewiesen, im Gegenteil! Man war damit sogar viel erfolgreicher. Neru spürte die Sehnsucht nach den alten Tagen und nach dem alten Neru in sich und er spürte, dass in ihm eine Barriere gefallen war, eine Barriere, die er sich zukünftig Mühe geben wollte, nie wieder zu errichten. Und was das mit der Stärke von Evoli an ging: Er schämte sich, so von seinem Begleiter gedacht zu haben und das, obwohl er allein für die Fehler verantwortlich war. Er kannte sich doch viel besser mit Wasser aus als das kleine Iramon. Nicht das kleine Evoli war dafür zu verurteilen, sondern er selbst. Zweifelnd sah er den Wasserstein an, der ihm für Evoli gegeben worden war. Wollte er jetzt überhaupt noch von Evoli verlangen, größer und stärker zu werden? War sie nicht genau so, wie sie war, richtig? Er würde sie nicht unter Druck setzen. Wenn sie die Verwandlung nicht wollte oder auch nur geringste Zweifel hatte, würde sie sich nie zu Aquana verwandeln müssen. Das stand nun für Neru fest. Sollten sich Eich und Konsorten doch auf den Kopf stellen und mit den Beinen wackeln. Wenn es sein musste, würden sie Gringo auch so besiegen, ohne Evolutionen und ohne, dass Evoli sich verwandeln müssen würde. Er würde Evoli nicht mal an den Stein erinnern. Entschlossen öffnete er die Schublade des Schreibtischs und legte den Wasserstein hinein. Er hatte diese Auszeichnung ohnehin nicht verdient und er würde es nicht noch schlimmer machen, in dem er Evoli in eine Verwandlung zwang, die sie gar nicht wollte. Entschlossen, das Thema nie von sich aus an Evoli gewandt anzusprechen, schob er die Schreibtischschublade zu und legte sich wieder zurück zu seinem so schönen und warmen Begleiter und nahm sich vor, nie wieder schlecht von einem so wunderbaren Wesen wie seinem Evoli zu denken. Mit diesem Gedanken und der Zuversicht der gefallenen Barriere des Trainingswahns schlief er ein.

Nerus Vorsätze wurden schon früh am nächsten Morgen auf eine harte Probe gestellt. Evoli weckte ihn zum allmorgendlichen Training, so wie sie es immer gemacht hatte. Zuerst wollte er aufstehen, doch dann hielt er inne und dachte an die letzte Nacht zurück. Er besah sich nun, da sich sein Blick langsam klärte, Evoli genauer und konnte erkennen, dass auch sie müde war. "Du bist müde", flüsterte er ihr feststellend zu. "Bin ich immer", flüsterte sie zurück. "Dann lass uns uns noch mal hinlegen", meinte Neru und hielt die Decke hoch, sodass sie drunter schlüpfen konnte. Evoli legte den Kopf schief. "Ist das nun ein Trick?" "Nein, keine Spur", lachte er, "Lass uns ausschlafen und dann mit ganzer Kraft den Tag beginnen." Er benutzte absichtlich das Wort 'Trainieren', das ihm auf der Zunge lag, nicht und wedelte auffordernd mit der Bettdecke. Evoli war ganz hin und weg, normalerweise lag sie immer auf der Decke, doch heute kuschelte sie sich in die Wärme darunter, ein leiser, schnurrender Laut war zu hören, als Neru die Bettdecke über ihrer Schulter ablegte und seine Arme um die pelzige Brust schloss. "Bis später", nuschelte Evoli noch, dann war sie eingeschlafen und er kuschelte sich ebenfalls wieder zurück in seine Kissen und bevor er auch nur darüber nachdenken konnte, wie schön er diesen Morgen fand, war auch er schon weg hinabgeglitten in das Land der Träume.

Als er und Evoli wieder aus dem Schlaf hochschreckten, waren Nerina und Texomon schon verschwunden. Wie von der Tarantel gestochen sprangen die beiden aus dem Bett. Mit einem verschwitzten Grinsen und der Bemerkung: "Wir haben verpennt!" schlüpfte Neru in seine Klamotten, während Evoli, seinem Beispiel folgend, versuchte, ihr Fell glattzulecken. Als sie kurz darauf in die eigentliche Arena stürmten, mussten sie feststellen, dass das Frühstück ohne sie stattgefunden hatte und, dass Nerina schon mit ihrem neuen Seedraking in der Arena herumtobte. Aus dem Frühstückskorb nahmen sich Neru und Evoli ihr Frühstück mit, dann setzten sie sich auf die Tribüne, um Texomons neue Form zu bewundern und seine unheimliche Kraft zu bestaunen. Die Aquaknarren, die er nun in die Luft schleuderte, schlugen all das, was sie noch am Vortag von Starmie und Texomon gesehen hatten. Dew hatte ein Turtok gegen ihn eingesetzt, das den Attacken zwar noch mühelos standhalten konnte, aber dennoch war es erstaunlich, was für Attacken Texomon in Form von Seedraking da losließ. Nicht nur Nerina schien erstaunt darüber zu sein, auch Dew fing nach jeder Attacke eifrig an zu kritzeln und bestaunte seine Messgeräte, die er überall rund um das Becken aufgebaut hatten. "Wozu dienen die alle?", fragte Evoli und Neru schüttelte den Kopf. "Wir können runtergehen und uns die Geräte anschauen, wenn du magst!" Mit leicht schlechtem Gewissen musste Neru feststellen, wie sehr Evoli sich freute. Warum hatte er die ganze Zeit so wenig auf seine Partnerin geachtet? Aber er war immernoch fest entschlossen, etwas zu ändern und so stieg er mit Evoli hinab, um die vielen Geräte in Augenschein zu nehmen und die vielen bunten Lichter und die Kurven, die die Geräte zeichneten, in Augenschein zu nehmen. Nachdem Texomon seine letzte Attacke abgefeuert und die letzte Welle hinaufgeglitten war, ohne auch nur in irgendeiner Form verletzt worden zu sein, befand Dew, dass er nun alle Daten gesammelt hatte. Nerina lief sogleich zu ihrem Bruder. Er konnte ihr schon, während sie auf ihn zulief, ansehen, wie stolz sie war. "Texomons Wasserform ist klasse!", rief sie ihm zu und Neru nickte nur ehrlich beeindruckt. "Er ist unglaublich", bestätigte er, "Er kann die Surferattacken einfach emporschwimmen." "Ja, und seine Aquaknarre! Habt ihr die gesehen?", fragte Nerina, immer noch ganz happy über ihre neue Entwicklung. Neru konnte nicht anders, als sich mit ihr zu freuen. Warum sollte er auch eifersüchtig sein? Texomon war ein Wasserwesen, nur verständlich, dass seine Wasserform so stark war. Auch Dew bestätigte diesen Eindruck. "Wir hatten noch nie ein Seedraking auf so einem niedrigen Level hier. Du bist beeindruckend!", erklärte er dem hinter ihm im Becken treibenden Seedraking, "Deine Attackenstärke übertrifft meine Erwartungen bei weitem. Gut gemacht." Man konnte sehen, dass sich die Farbe von Seedraking von dem kräftigen Blau in ein leichtes Violett veränderte, doch er fragte nur rund heraus und mit einer tiefen und ehrwürdigen Stimme: "Welches Level bin ich denn?" "Nun, ich würde sagen, so zwischen zwölf und dreizehn. Genaueres kann der Pokemonanalyser sagen, wenn du in deinem Pokeball bist." "Och, zwölf bis dreizehn reicht mir. Lern ich da dann was neues?", fragte Seedraking an Nerina gewandt. Irgendwie war es komisch, der neuen Stimme von Texomon zuzuhören, sie klang so erwachsen und so ungewohnt. Aber sie passte perfekt zu dem Aussehen des ehemals kleinen Drachenpokemon. Evoli indessen beschnupperte skeptisch das Wasser. "Ich glaub, ich will meine Form jetzt auch mal ausprobieren." Neru sah sie skeptisch an. "Wenn du das wirklich willst, dann machen wir das." Evoli sah ihn mit großen Augen an, so als wollte sie sagen: "Was beschäftigt dich noch?", doch dann sagte sie: "Ja, ich will." "Dann komm!", meinte Neru und geleitete sein Iramon wieder hinauf in ihren Raum, wo, wie er wusste, der blaue Kristall in der Schreibtischschublade auf sie wartete. Eigentlich hatte Neru Evoli noch sagen wollen, dass sie sich nicht entwickeln musste, wenn sie nicht wollte, doch irgendwie hörten sich alle Sätze, die er in seinem Kopf ausprobierte, komisch an und so, als wolle er selbst nicht, dass Evoli sich entwickelte. Außerdem hatte sie selbst diese Entscheidung gefällt. Als sie in ihrem Zimmer angekommen waren, holte Neru den Kristall aus dem Schreibtisch und hielt ihn neben das Amulett, in das er eingesetzt werden musste. "Willst du das wirklich tun?", fragte er Evoli nun mit einem feierlichen Ton, als er und sein kleiner Begleiter mit dem Stein wieder in der Arena waren und Evoli nickte begeistert. "Ich bin gespannt, ob das Wasser dann anders riecht." Neru hob die Augenbrauen, erstaunt über diese Gedanken, doch dann gab er sich einen Ruck und setzte den blauen Kristall in die Brosche ein. "Seht! Es beginnt zu leuchten!", rief Seedraking mit seiner tiefen Bassstimme, "Hab ich das auch gemacht?" Nerina nickte und Dew zeigte überhaupt keine Regung, sondern hatte seinen Blick gebannt auf Evoli geheftet. Immer heller und immer greller glühte das Blau auf. "Du musst dich treiben lassen", sagte Dew, "Lass dich treiben, so, wie du dich im Wasser treiben lassen würdest. Du findest von alleine zu deiner Entwicklung." Doch das Glühen verstärkte sich nur noch kaum merklich und zog sich in die Länge. "Es könnte gefährlich werden, wenn sie zu lange braucht", zischte Dew ihm zu. "Können wir den Stein...?", fragte Neru, doch Dews Gesicht verzerrte sich. "Bloß nicht, wer weiß, was dann von Evoli übrig bleiben würde. Sie steckt mitten in der Evolution." Zwar hatte Evoli die Augen konzentriert verschlossen, doch gelang es ihr nicht, sich zu entspannen, wie Neru auffiel. Was konnten sie nur tun, um es ihr leichter zu machen? Doch dann hatte er eine Idee. Rasch zog er einen Pokeriegel aus der Tasche und hielt ihn Evoli unter die Nase. Das gab den Ausschlag. Beim Geruch des Pokeriegels entspannte sich Evolis Fell und auch ihr angespannter Körper gab langsam der Entspannung nach. Das Glühen verstärkte sich und blendete sie alle. Dann stand plötzlich ein viel größeres, blaues Evoli mit langen Ohren und komplett blauer Haut vor ihnen. Der Schwanz war lang, dick und kräftig geworden und wurde am Ende von einer Flosse gekrönt. Aus Evoli war ein großes und wunderschönes Aquana geworden. Neru konnte nicht anders. Mit Tränen in den Augen umarmte er das hüfthohe Tier und bestaunte es in aller Ausgiebigkeit. Evoli ließ sich davon anstecken und bewunderte sich selbst ebenso ausgiebig. "Ihr seid alle geschrumpft", stellte sie fest und die ganze Runde musste herzhaft lachen, während Evoli zum Wasser ging und skeptisch daran roch. "Es riecht noch genau so, wie vorher, nur... jetzt mag ich den Geruch!", erklärte sie und dann ließ sie sich kopfüber in das nasse Element gleiten und jetzt schien es so, als wäre sie tatsächlich in diesem Element Zuhause.
 

>>>Nerina<<<
 

Lächelnd beobachtete Nerina, wie Nerus frisch gebackenes Aquana vorsichtig ihre ersten Schwimmzüge durch das große Becken vollführte. Wie auch Texomon schien sie instinktiv zu wissen, wofür ihre mächtige Schwanzflosse und die Schwimmhäute zwischen ihren Zehen gut waren, aber dennoch brauchte sie einige Minuten, bis sie sich an die neue Länge ihrer Gliedmaßen gewöhnt hatte und ihre Bewegungen weniger schlaksig und eleganter aussahen. "Wau! Sie ist sehr schön!", lobte sie leise ihren Bruder, doch Neru schien hin und hergerissen zwischen dem offensichtlichen Stolz und einer anderen Emotion, die sich immer wieder wie ein flüchtiger Schatten über seine Züge legte. Ohne eine Antwort wandte er sich an Dew. "Sie hat keine Halskrause", sagte er besorgt, "Ich meine, nicht, dass es mir etwas ausmachen würde, aber..." Dew kniff nachdenklich die Augen zusammen und studierte die beiden Iramon erneut gründlich, die mittlerweile begonnen hatten, im Becken zu spielen, indem Seedraking das kleinere Aquana immer wieder mit der Nase unter Wasser drückte oder diese auf seinen Rücken kletterte, um seinen Kopf als Sprungbrett zu missbrauchen. Lachend bäumte Seedraking sich auf und sein aufpeitschender Schwanz ließ Aquana einige Meter durch die Luft segeln, ehe sie kopfvoran zurück ins Wasser glitt und keinen Herzschlag später wieder auf seinem Rücken saß. Dew nickte geistesabwesend zu ihrem Spiel, dann sagte er leise: "Ich fürchte, die Evotation und ihr Ergebnis richtet sich nach der Liebe des Iramon für das jeweilige Element. Als ich vorgestern Abend mit Eich telefoniert habe, hat er die Vermutung geäußert, dass Texomon zu Impergator werden würde, denn schließlich ist es eine Kreuzung aus Glumanda und Karnimani und Eich vermutete, dass die natürliche Entwicklung ihm am leichtesten fallen würde. Aber Texomon liebt das Wasser so sehr, dass es über Impergator hinaus evotiert ist. Evoli hingegen kann sich mit dem Wasser arrangieren, daher war die natürliche Entwicklung zu Aquana möglich, auch wenn sie schwierig war. Möglich, dass Aquana dadurch auch ihre Halskrause und ihren Seehundkopf eingebüßt hat. Sieh nur ihr Gesicht!" Er hatte recht, wie Nerina zugeben musste: Aquanas Gesicht ähnelte immernoch eher dem eines Evolis mit langer Schnauze. Rasch trat sie neben Neru und legte ihm eine Hand auf den Arm. Doch statt sie wie sonst abzuschütteln, nahm er sie in die seine und lächelte nur. "Das ist gut so", sagte er an Dew gewandt, "Sie ist genauso hübsch, wie sie ist! Ich wollte nur sichergehen, dass ihr nichts fehlt."

Dew gab ihnen die Erlaubnis, die beiden Iramon noch so lange in der Arena spielen zu lassen, bis der erste Herausforderer anklopfte und so setzten sie sich auf die Zuschauerränge und sahen den beiden energiegeladenen Schwimmern eine Weile lang zu, bis Neru leise sagte: "Einerseits freue ich mich ja, dass sie evotiert ist, aber andererseits habe ich auch irgendwie ein schlechtes Gewissen." Verwundert hob Nerina den Blick und sah ihn an. "Warum das denn?", fragte sie überrascht, "Komm! Evoli ist aus dem gröbsten raus! Mit dieser neuen Gestalt kann sie Boden, Gestein und Feuer mühelos besiegen und braucht sich nie wieder so viele Sorgen zu machen! Der Wasserkampf, den sie da hingelegt hat, war erste Sahne, aber ich glaub schon, dass sie jetzt sehr froh ist, nicht mehr auf diese Weise kämpfen zu müssen!" Neru nickte abwehrend. "Ja, sicher! Von dem Standpunkt aus hast du recht! Es ist nur... Ich habe sie immer so hart trainieren lassen und hab immer nur an diesen Kampf gedacht und... ich will sie einfach nie wieder zu etwas zwingen." "Aber Neru!", rief Nerina erschrocken aus, "Was redest du da? Sie ist ein intelligentes Wesen, das bei dir bleibt, weil es dich mag. Glaubst du ernsthaft, sie würde für dich kämpfen, wenn sie nicht wollte? Iramon mögen den Kampf, egal, was sie manchmal sagen. Unten im Strudel hat Texomon mir sowas in der Art erzählt und sie wollen stärker werden. Euer Training war vielleicht ein bisschen steif und freudlos, aber das heißt nicht, dass du Evoli zu irgendetwas gezwungen hättest!" Neru starrte sie eine Weile lang stumm an, dann boxte er ihr den Ellenbogen in die Seite. "Woher weißt du sowas eigentlich immer?", fragte er zähneknirschend, "Das ist ja nicht zum Aushalten!" Nerina lachte und drehte ihm eine lange Nase. "Ich hab mich sowieso schon oft gefragt, warum ihr nicht mit uns trainiert", sagte sie, "Ich bin mir sicher, das wäre lustig! Und du, hör auf, dich dauernd in deinen Pokedex zu vergraben! Das macht einen nämlich wahnsinnig!" Ärgerlich schnappte sie ihm das Gerät aus den Händen, mit dem er die ganze Zeit über herumgespielt hatte. Neru verdrehte genervt die Augen. "Es war aus!" "War dein Computer daheim auch immer!", entgegnete Nerina ironisch und Neru schnitt ihr eine Grimasse. "Dann musst du aber aufhören, dauernd in die Sterne oder ins Feuer oder Wasser zu starren, von Bäumen oder aus Fenstern zu fallen, alles besser zu wissen und Leute zu nerven!" "Das ist aber 'n hoher Preis!", erwiderte Nerina gespielt beleidigt, streckte in alter Gewohnheit die Hände aus und kitzelte seinen Bauch. "Ah! Du sollst aufhören, zu nerven!", schrie Neru auf, sprang auf die Füße und wandte sich zur Flucht. Lachend rannten sie einige Male um die Sitzreihen, dann um den Beckenrand, bis Nerina ihn schließlich zu fassen kriegte, sie beide den Halt verloren und mit einem gemeinsamen Aufschrei und lautem Platschen ins Wasser stürzten. "Alles klar?", rief Seedraking besorgt, während Aquana schon den Kopf neben ihnen aus dem Wasser streckte. "Ich hab mal geguckt, ob dein Trainer noch lachen kann!", erwiderte Nerina ausgelassen, "Der Knopf klemmt ein bisschen, aber mit etwas Nachdruck..." Dann schlang sie Aquana rasch die Arme um den Leib und dieses flitzte mit ihr im Schlepptau davon, bevor Neru Gelegenheit fand, ihre kitzeligen Füße zu erreichen. "Hee! Du Fremdschwimmer!", meckerte er Aquana an, doch die schwamm nur noch schneller. Aus dem Augenwinkel sah Nerina, wie Seedraking neben ihm den Kopf aus dem Wasser streckte. "Komm!", donnerte seine Drachenstimme Neru zu, "Kletter auf meinen Rücken. Wir Männer müssen doch schließlich zusammenhalten!" Zuerst wirkte Neru etwas unsicher auf Seedrakings kräftigen Schultern, doch bald schon schoss das Monsterseepferd wie eh und je durchs Wasser und Aquana geriet außer Puste. Besorgt beugte Nerina sich an ihr Ohr. "Er ist ganz schlecht mit plötzlichem Abtauchen!", flüsterte sie, "Im Zweifelsfall tauchst du einfach unter seinen Bauch." "Hee! Das ist gemein! Keine Kriegsgeheimnisse ausplaudern!", dröhnte Seedraking, als Aquana schon zum dritten Mal munter auf ihn zuschwamm, unter seiner Brust verschwand und Nerina seinen empfindlichen Bauch kitzelte, bis sein Beben beinahe Neru von seinem Rücken warf. "Na warte!", rief der, packte Aquana am Schwanz und Seedraking tauchte soweit ab, dass er das Iramon quer über seinen Schos legen konnte. Triumphierend richtete Seedraking sich wieder auf und Aquanas Schwanz und Pfoten spritzten nur noch nutzlos Wasser auf. "Gefangen!", dröhnte er, doch Aquana lachte nur. "Von wegen!", rief sie, schloss die Augen - und glitt als kleines, braunes Evoli durch Nerus Hände zurück ins Wasser, um dort sofort wieder zu Aquana zu werden und davonzuschießen. "Hey!", rief Seedraking erschrocken, "Das ist Hexerei! Hilfe!" und rasch pustete er einen riesigen Blubberblasenteppich um sich herum. Neru zuckte nur mit den Schultern. "Versuch mal 'nen Pudding an die Wand zu nageln", seufzte er. In diesem Moment klingelte ein winziges Glöckchen im Dach der Arena und jemand rief: "Hallo! Wir suchen nach dem Arenaleiter!" "Ich gehe Dew bescheid sagen!", rief Nerina rasch, kletterte aus dem Wasser und lief den schmalen Gang zu seinem Büro hinunter, Evoli auf den Fersen. Im Laufen sah sie verwundert zu Nerina auf. "Was hast du mit ihm gemacht?", fragte sie, "Er ist so... anders heute!" "Auch mein Bruder ist lernfähig", seufzte Nerina erleichtert, "Aber er macht sich viele Gedanken um dich." Evoli antwortete nicht, dafür stürmte Misty ihnen entgegen. "Ist jemand da?", fragte sie atemlos. Nerina nickte und gemeinsam hasteten sie in die Arena zurück, wo Neru tropfnass am Beckenrand stand und mit zwei wohlbekannten Jungen diskutierte, einer hatte ein Bisasam, der andere ein Endivie bei sich. "Hee!", rief Nerina überrascht dazwischen und fühlte sich mit Schrecken an Texomons Zügellosigkeit erinnert, "Euch kenne ich doch! Ihr seid doch gleichzeitig mit uns gestartet! Wo habt ihr denn eure beiden Mädchen gelassen?" "Die sind noch bei der Felsenarena", antwortete der Blondschopf mit seinem Bisasam hochmütig, "Aber wir wollten schonmal vor, damit's endlich interessant wird. Gestein und Wasser sind nicht weiter anstrengend für Bisasam und Endivie..." Misty verdrehte genervt die Augen. "Ihr könnt ja gegen Nerina kämpfen, wenn ich euch nicht gut genug bin", fauchte sie und deutete vielsagend auf Seedraking, das immernoch friedlich im Becken dümpelte, mit sich und der Welt zufrieden. Der rothaarige Endivienbesitzer schluckte, stieß seinen Freund an und flüsterte etwas, das wie: "Wo hat die denn jetzt ein Seedraking her?", doch der andere zuckte nur abfällig die Schultern, sein Erfolg war ihm offenbar zu Kopf gestiegen. "Wir möchten schon gerne auch einen Orden bekommen", sagte er hochnäsig. Nun war es an Nerina, hochmütig mit den Schultern zu zucken. "Um genau zu sein", sagte sie so gelangweilt sie konnte, "Bin ich seit gestern Arenaleiterin hier, aber für zwei aufgeblasene Heringe braucht Seedraking nicht seine Kraft verschwenden, stimmt´s?" Lächelnd legte sie Seedraking eine Hand auf den Kopf und er ließ sein gefährlichstes Grollen hören. Dann warf sie zum ersten Mal einen Pokeball nach ihm, machte auf dem Absatz kehrt und lief hinauf in ihr Zimmer, ehe sie Texomon wieder herausließ. "Na die tragen die Nase aber hoch in den Wolken", brummte sie, ließ sich auf ihr Bett fallen und streckte Texomon den Arm hin, sodass er sich hineinkuscheln konnte. "Du, Nerina?", fragte er zögernd, "Ich hab da was nicht verstanden... Als du gegangen warst, um Misty zu holen, da sagte Neru was sehr komisches..." "Was denn?", fragte Nerina verblüfft und alarmiert, doch Texomon schüttelte rasch den Kopf. "Nichts schlimmes", sagte er zögernd, "Nur er... er hat sich entschuldigt und als ich fragte, wofür, da sagte er, dafür, dass er nie mit uns gespielt hat, und dass er mich nie für die Aquaknarre gelobt hat... Aber was hat er damit gemeint?" Kurz dachte Nerina über seine Worte nach, dann erwiderte sie lächelnd: "Ich glaube, er war zwischendurch ein bisschen neidisch auf deine Kraft, aber er hat kapiert, dass das nicht richtig war." Texomon sah sie mit großen Augen an. "Ach so ist das!", rief er belustigt, "Und ich dachte dauernd, auf Evoli aufpassen zu müssen, weil sie doch so klein und schwach ist! Vielleicht sollten wir sie auch mal vorpreschen lassen! Ich meine, im Notfall kann ich sie ja immernoch retten..." "Du bist aber auch nicht wenig eingebildet!", tadelte Nerina lachend, doch in diesem Augenblick gab der gestohlene Pokedex in ihrer Brusttasche ein gequältes Summen von sich und rasch fingerte sie ihn zu Tage. Es dauerte eine Weile, bis sie die Email anzeigen lassen konnte und reumütig stellte sie fest, dass sie sich kaum mit diesem elektronischen Dingsbums beschäftigt hatte. Als der Text endlich auf dem Bildschirm erschien, vergaß sie allerdings alle Selbstvorwürfe...

"Lieber Neru, Liebe Nerina", stand da mit großen, fetten, roten Buchstaben geschrieben, "Von Dew habe ich erfahren, dass ihr klugerweise in der Wasserarena begonnen und überragende Resultate errungen habt. Dafür gratulieren Professor Lind und ich euch herzlichst! Leider gibt es aber auch schlechte Nachrichten. Gringo hat in seinem nächsten Schritt der Limitierung die Unlichtarena unter Beobachtung gestellt und die Feuerarena geschlossen. Ella teilte mir mit, dass sie so schnell wie möglich zur Unlichtarena aufbrechen werden, damit muss ich euch bitten, den Feuerstein zu retten, ehe es zu spät ist. Nach Auflösung der Arena wurde Blaze, der oberste des Feuerordens, verhaftet und in der Schwarzen Zitadelle festgesetzt (Karte im Anhang). Nur er weiß, wo ihr den Stein finden und wie ihr ihn bekommen könnt. Ihr müsst ihn erreichen, ehe er in dunkle Kanäle verschwindet! Eile ist also das Gebot der Stunde. Findet Blaze und rettet den Feuerstein! Wir zählen auf euch! Professor Eich." Nerinas Herz schlug ihr bis zum Hals, als sie den Pokedex fortlegte und Texomon schmiegte sich ganz nah an sie, auch seine Brust bebte. "Das ist nicht gut, nicht wahr?", fragte er leise und Nerina nickte düster. "Nein", murmelte sie, "Gar nicht gut..." Dann drückte sie Texomon noch einmal an sich und sprang auf, um Neru zu suchen. Sie würden so bald als möglich aufbrechen müssen.
 


 

>>>Neru<<<
 

"So sieht man sich wieder", meinte Natho und sah Neru mit einem spöttischen Gesichtsausdruck an. "In der Tat", erwiderte Neru und versuchte, einen ebenso spöttischen Blick zurückzuwerfen. "Wie es scheint warst du erfolgreich?", fragte Neru und zeigte auf den Quellorden, den Natho, wie die größte Trophäe in der Hand hielt. "Tja, ich hab noch nie verloren", erwiderte er immernoch mit spöttischem Blick. 'Na, dem Großmaul zeigen wir´s!', hörte Neru die vertraute Stimme von Evoli in seinem Kopf schallen. Er nickte mit einem lächeln. "Ich will für dein Ego hoffen, dass es so bleibt", lächelte er Natho zu und Natho griff zu seinem Pokeball. "Eins gegen eins", meinte Neru mit einem Blick auf seinen Gürtel und Nathos Hand zögerte, griff dann jedoch bestimmt nach dem ersten Ball. Evoli spannte ihre Muskeln an und trat einen Schritt nach vorn. "Oh, du wählst Evoli wieder?", fragte Natho, "Hast du aus dem letzten Mal nichts gelernt?" 'Na warte', meinte Evoli schweigend. "Ich glaube, dass man aus alten Fehlern lernen kann", erwiderte Neru. "Bisasam! Benutz deine Egelsamen!", rief Natho und Neru konterte mit: "Ausweichen, Evoli und dann Sandwirbel." Aus Bisasams Samen auf seinem Rücken kamen kleine, grüne Dinger, die eine Art grünen Staub hinter sich her zogen. Wo sie den Boden berührten, fingen sofort kleine und höchst giftig aussehende Pflanzen an zu sprießen. Neru wollte schon seinen Pokedex zu diesem Thema befragen, doch er war nicht in seiner Tasche. Nerina musste ihn immer noch bei sich haben. Wo war sie überhaupt? Nun ja egal. Evoli war den Samen weit ausgewichen und schleuderte nun einen wahren Sandsturm in Bisasams Gesicht. Das Pflanzenpokemon war davon nicht besonders angetan und rieb sich die Augen. "Ruckzuckhieb!", ließ Neru vernehmen und noch bevor sich der Sandsturm vollkommen gelichtet hatte, ließ der Schlag, den Evoli flink und zielsicher in Bisasams Gesicht gelenkt hatte, das Pflanzenpokemon einen Schritt nach hinten machen. "Bisasam, Wickel!" Als hätte das Pflanzenpokemon nur darauf gewartet, schnellten seitlich von seinem Samen lange Tentakel hervor. Evoli konnte nur dem Ersten der beiden ausweichen, die zweite der Ranken umschloss fest ihren Körper und umwickelte sie ein paar Mal. Die zweite Tentakel verstärkte diesen Griff. 'Boah! Dieser Typ erdrückt mich noch. Immer noch der selbe Brutalo!', echote Evoli in Nerus Kopf und Neru musste trotz der schwierigen Situation grinsen. Evoli konnte sich nicht mehr rühren und langsam zog Bisasam sie auf sich zu. Evoli wartete auf den richtigen Moment. Bisasam war zu schwach, um Evoli auf diese Entfernung hochzuheben, also zog er sie näher heran, um sie dann anzugreifen, für den Angriff jedoch musste Bisasam die Ranken lockern und das war ihre Chance. In knappen Worten versuchte Neru, Evoli davon zu überzeugen, nicht zu kämpfen, sondern abzuwarten und obwohl ihn Evoli verstehen ließ, dass sie keine Ahnung hatte, warum, verharrte sie und ließ sich von dem großen Pflanzenpokemon über den Boden schleifen. "Neru!", rief Nerina über den Kampfplatz vor der Arena hinweg und Neru sah auf, "Neru! Ich hab Neuigkeiten." "Sehr schön", antwortete Neru, "Ich hab hier noch was zu erledigen." Nerina erkannte erst jetzt, dass sich ihr Bruder in einem Kampf befand. Noch während sie bestürzt auf Evoli sah, wurde auch sie schon von dem anderen Jungen herausgefordert. Neru hatte keine Zeit, auf die beiden zu achten. Der kritische Moment kam jetzt. "Evoli, du kannst deinen Schwanz immer noch bewegen!", rief er ihr zu, als sie Bisasam schon ganz nah gekommen war, "Sandwirbel!" und Evoli schlug ihren Schweif auf den Boden und wedelte so schnell sie konnte. Der Sandwirbel war nicht so groß wie ihr letzter, doch trafen die Sandkörner wieder Bisasams Gesicht. Der Sicht beraubt taumelte Bisasam zurück und rieb sich mit den Vorderbeinen die Augen, lockerte allerdings auch seinen Wickel um Evoli. Mit einem entschlossenen Satz befreite sich Evoli aus den Ranken und wich einem weiteren Rankenhieb aus, der nun Bisasam befohlen wurde. 'Der Kerl ist immernoch derselbe Brutalo', meinte sie, 'Wie gehen wir weiter vor? Ich will nicht wieder von ihm begraben werden.' Neru versuchte, seiner Partnerin einen beruhigenden Blick zuzuwerfen und damit zu sagen: Keine Angst. Doch er konnte leider nicht in Gedanken sprechen. Es war wirklich zu schade, dass diese Verbindung nur in die eine Richtung funktionierte. So konnte er nur versuchen, möglichst zuversichtlich auszusehen, um seiner Partnerin Mut zu machen. Bisasam war indessen nicht untätig gewesen. Er ließ einen weiteren Hagel aus Rankenhieben auf Evoli sausen, sodass das kleine Iramon nur noch ausweichen, aber nicht mehr selbst in die Position zu einem Angriff kommen konnte. Mit rasender Geschwindigkeit flogen die Ranken und Evoli förmlich über den Boden und Neru stellte mit Erschrecken fest, dass die Attackenserie Bisasam bedeutend weniger auspowerte wie Evoli. Schon hing dem kleinen, fuchsähnlichen Iramon die Zunge aus dem Maul und sie hechelte. 'Ich kann bald nicht mehr', ließ sie in seinem Kopf vernehmen und ihre Stimme wurde immer verzweifelter, 'Lass dir was einfallen! Ich will nicht wieder gegen diesen Samen verlieren.' "Gleich haben wir sie!", rief Natho und tatsächlich wurde Evoli von einem Rankenhieb getroffen und über den Kampfplatz geschleudert. Neru wusste nicht, was er tun sollte. Alles war so ideal verlaufen, doch dann hatte sich das Blatt gewendet. Nerus Kopf fühlte sich seltsam leer an und er war unfähig, irgendeinen Befehl zu erteilen. Bisasam ging zu einem finalen Bodycheck über, doch Evoli kam wieder auf die Beine und sprang hoch in die Luft. Wie bei ihrem ersten Kampf landete Evoli nun auf dem großen, grünen Samen des Bisasam. In Neru begann sich ein echtes Dejavue abzuzeichnen. Es war genau wie das erste Mal, nur dauerte es viel länger. In seinem Geist begann Evoli wieder den Samen zu attackieren und das Bisasam legte sich daraufhin auf den Rücken, um Evoli zu zerquetschen. Diesmal durfte das nicht passieren. "Pass auf, Evoli!", rief Neru ihr zu, doch Evoli schien bereits einen Plan zu haben. Elegant ließ sie einen machtvollen Ruckzuckhieb auf den Samen krachen und wurde von ihrer eigenen Attacke durch die Luft geschleudert. Bisasam drehte sich, wie das erste Mal, auf den Rücken, doch Evoli war von der Gewalt ihres eigenen Schlages über Bisasams Kopf geflogen und als Evoli einen weiteren Ruckzuckhieb, diesmal auf seinen Bauch gezielt, vollendet hatte, brach das Bisasam zusammen und Evoli stand mit zitternden Beinen über ihrem Erzrivalen. Beiläufig schnippte sie mit der Hinterpfote ein wenig Sand in Richtung des Bisasam und Neru konnte hören: 'Das ist für dich, du Brutalo!' und lief dann langsam und ehrwürdig zu Neru zurück, das erschöpfte Bisasam und einen sprachlosen Natho hinter sich zurücklassend. Neru wollte noch eine spöttische Bemerkung gegenüber Nathos Statistik loslassen, als eine große Flammenzunge ihm die Worte im Mund stecken bleiben ließ. Erschrocken sahen sowohl Natho als auch Neru und Evoli sich um und entdeckten Texomon in mitten des Feuers, ein ziemlich verbrannt und schwarz aussehendes Endivie gegenüber. "Wir haben keine Zeit für so was!", ließ Nerina vernehmen und schob ihrem Bruder, der immernoch sprachlos Texomon anstarrte und auch die Reaktion, nämlich das Umfallen von Endivie beobachtete, den Pokedex unter die Nase. Die E-Mail, die von Eich gekommen war, hatte nur wenige Zeilen. Trotzdem musste Neru sie mehrmals durchlesen, dann hielt er den Pokedex Evoli hin, während er noch Gedanken sortierte. Im nächsten Augenblick waren sie auch schon unterwegs zu Dew. Noch auf dem Weg suchte Neru in dem Pokedex die schwarze Zitadelle aus den Karten heraus, und zeigte Nerina, wo der entsprechende Ort zu finden war. Texomon und Evoli rannten hinter den beiden her, obwohl Evoli noch nicht recht verstand, was passiert war. Er hörte eine Frage nach der andere in seinen Gedanken aufkeimen, doch er hatte keine Zeit, darauf einzugehen. "Wir sollten uns noch schnell verabschieden", meinte er, "und dann nichts wie runter zum Bahnhof. Papa hat uns einen Bonus für die Fahrkarten überwiesen. Das Wassertaxi nach Anemonia wäre natürlich bequemer, aber wie es scheint, fährt das bis Ende der Woche nicht. Die haben Garados-Alarm." "Was ist denn ein Zug?", fragte Texomon, doch auch Nerina achtete nicht auf ihn. Jetzt wurde es den beiden Iramon zu bunt. Entschlossen überholten sie das eingespielte Team aus Neru und Nerina und bauten sich in der nächsten Biegung der Wasserarena auf. Neru stolperte über Evolis Rücken, während Texomon Nerina an einem Arm festhielt, sodass sie im Kreis um ihn herumgeschleudert wurde. "Was ist passiert?", fragte Evoli. "Und was ist ein Zug?", fragte Texomon und Neru und Nerina gaben lachend die Auskünfte. Neru hatte sich wieder wie früher gefühlt. Es war nicht nötig gewesen, ihr weiteres Handeln abzustimmen. Sie verstanden sich auch ohne Worte. Das hatten sie in all den Schul-Coups, die sie schon bestritten hatten, gelernt. "Die Feuerarena wurde geschlossen", erklärte Nerina, "und der oberste Meister des Feuers wurde gefangengenommen. Wir müssen so schnell wie möglich versuchen, mit ihm zu sprechen, sonst ist der Feuerstein verloren." "Etwas Ähnliches passiert auch bei der Unlichtarena, Ella und Sipho sind auf dem Weg dorthin", erklärte Neru, "Wir wollen jetzt so schnell wie möglich zum Bahnhof, um einen Zug, das ist ein sehr schnelles Transportmittel", erklärte sie auf Texomons Seitenblick hin, "zu erreichen." "Wir werden mindestens fünf Stunden fahren müssen", fügte Neru hinzu, "Da können wir uns dann alles weitere überlegen." Trotz des vorherigen Sturms betraten sie Dews Arbeitszimmer langsam und der Arenaleiter sah auf. "Wollt ihr weiterziehen?", fragte er sie nach einem forschenden Blick in ihre Gesichter. "Ja", erwiderte Neru, "Wir müssen zur Feuerarena." Dew nickte und sah dann Nerina an. "Mein Angebot gilt noch! Ich würde mich über eine baldige Entscheidung freuen." "Entscheidung?", fragte Nerina verständnislos. "Ob du Wasserarenaleiterin werden möchtest", erinnerte sie Dew, "Ich erwarte innerhalb der nächsten Woche eine Mail von dir auf diese Adresse." Damit steckte er Nerina ein Kärtchen zu und sie verabschiedeten sich so schnell sie konnten, ohne unhöflich zu sein. Nerina starrte dabei unentwegt die Karte an. Kurze Zeit später hatten sie den Bahnhof mit all ihrem Gepäck erreicht und Neru löste zwei Karten. "Der Zug geht in fünf Minuten", erklärte er, "Wir sollten uns beeilen."



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (0)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.

Noch keine Kommentare



Zurück