Anokata
Kapitel 10:
ANOKATA
Anokata
Wortlos starrte Conan den Boss dieser zwielichtigen Organisation an. Dieser Mann war also der Drahtzieher dieser ganzen Bande. Es war ein seltsames Gefühl, ihm nun direkt gegenüberzustehen. Bizarr, dass ›Anokata‹ nun auch ein richtiges Gesicht hatte. Eigentlich hatte er ihn sich ganz anders vorgestellt. Vor allem aber nicht so jung.
Doch dafür verschwendete er keinen weiteren Gedanken. Erstens war es ihm im Grunde genommen egal und zweitens gab es wichtigere Dinge. Zum Beispiel zu überlegen, wie er Ran hier heil rausholen konnte.
Der eiskalte Blick Anokatas traf schließlich seinen. Die Spannung zwischen ihnen war förmlich zum Greifen nah. »Der Meisterdetektiv Shinichi Kudo. Endlich stehen wir uns mal persönlich gegenüber. Dürfte ich mich vorstellen: Mein Name ist Anokata. Ich habe schon … viel von dir gehört.«
Er trat auf ihn zu und kam dem kleinen Jungen gefährlich nahe. Conan wich jedoch nicht zurück. Er hatte keine Angst vor ihm.
»Wer hätte gedacht, dass uns ein kleiner Oberschüler mal in solche Schwierigkeiten bringen könnte?«
Nun stand er direkt vor ihm und beugte sich zu ihm runter. Der Geruch seines starken Parfüms drang Conan penetrant in die Nase. »Und wer hätte gedacht, dass das Apoptoxin 4869 ein Mittel für die Unsterblichkeit werden könnte. Da haben die Miyanos ja gute Arbeit geleistet.«
Conan biss seine Zähne zusammen und starrte ihn nur mit unverhohlener Abscheu an.
Zwar sah er überirdisch gut aus, doch das war alles nur eine Fassade. Genau wie bei Vermouth. Äußerlich perfekt, doch innerlich waren beide bereits total verrottet und verdorben.
Plötzlich kam ihm ein kurzer Gedankenblitz: Ob der Boss sich wohl ebenfalls diesem Gift bedient hatte, um so jung auszusehen? Und Vermouth ebenso?
Er konnte sich nämlich nur schwer vorstellen, dass so ein Jüngling der Kopf solch einer Organisation sein konnte. Diese Organisation existierte doch schon viel zu lange. Es war aber genauso gut auch möglich, dass er vielleicht der Sohn des früheren Bosses war und seine Nachfolge angetreten hatte.
»Es tut mir leid, dir das sagen zu müssen, aber niemand stellt sich uns in den Weg, ohne dafür die gerechte Strafe von uns zu erhalten.«
Der geschrumpfte Detektiv ging sofort in Verteidigungsposition, bereit, einen Schlag oder ähnliches abzuwehren, doch zu seiner Verwunderung kam … nichts.
Anokata hatte sich ihm bereits wieder abgewendet und schlug eine andere Richtung ein. Conans Nackenhaare stellten sich auf, als er sah, in welche Richtung er schlenderte.
»Lassen Sie die Finger von ihr!«, rief er erbost und rannte ihm hinterher, wurde jedoch prompt von Wodka gepackt, der ihn auf einen Stuhl zerrte und ihn daran fesselte. Mist, er war einfach nicht vorsichtig genug und hatte nicht bemerkt, wie sich Wodka hinter ihn geschlichen hatte.
Er konnte sich wehren, wie er wollte: Er hatte nicht die geringste Chance gegen den Mann mit der schwarzen Sonnenbrille. Er war einfach zu schwach und klein.
Wie er diesen Zustand doch hasste.
»Ich habe mir in der letzten Zeit mal eine Strafe für dich ausgedacht und kam nicht umhin, zu dem Ergebnis zu kommen, dass die allerschlimmste Strafe für dich wohl wäre, tatenlos zusehen zu müssen, wie deine große Liebe vor deinen Augen qualvoll stirbt.
Oder gäbe es noch etwas Schlimmeres für dich? Ich bin für jeden Vorschlag offen.«
Conan war inzwischen kalkweiß geworden. Er spürte seinen eigenen Herzschlag nicht mehr. Fast schon flehend sah er ihn durch seine blauen Augen an, die jedoch jeglichen faszinierenden Glanz verloren hatten. Ehre, Stolz – nichts mehr war davon in seinen Augen zu erkennen. Sie hatten ihn gebrochen. Endgültig.
»Bitte tun Sie das nicht. Ich mache, was Sie wollen, egal was. Aber bitte tun Sie Ran nichts an. Bitte lassen Sie sie gehen …« Seine Stimme war nur noch ein Winseln. Mehr brachte er nicht raus. Mehr wollte seine Kehle nicht verlassen.
»Jetzt auf einmal? Vorhin hattest du doch noch eine ziemlich vorlaute Klappe gehabt. Wo hast du sie denn gelassen? Ist sie mit deinem erbärmlichen Stolz erstickt?«
Das wahre Gesicht Anokatas kam nun zum Vorschein, als er ihn abschätzend angrinste und seine Augen nur so vor Mordlust funkelten. Dann wandte er sich wieder Ran zu, packte ihr Kinn mit Daumen und Zeigefinger und sah ihr ins bewusstlose Gesicht. »Die Kleine ist echt süß. Ein Jammer, dass sie ausgerechnet an dir geraten musste.« Höhnisch lachend drehte er sich zu seinem gefesselten Widersacher um, der ihn nur hilflos und bettelnd fixierte. »Stell dir vor, ich habe heute meinen großzügigen Tag und bin wirklich so gnädig und überlasse dir die Entscheidung, wie sie sterben soll. Soll Sie durch eine Überdosis unseres Nervengiftes abtreten oder doch lieber klassisch durch einen hinrichtenden Kopfschuss? Da wäre sie zumindest sofort tot und müsste nicht mal mehr leiden. Ich glaube, ich bevorzuge die zweite Option; weil sie einfach so verdammt süß ist.«
Conans Pupillen wurden nach jedem Wort immer kleiner. Was sollte er nur tun? Was? So durfte das alles doch nicht enden!
In diesem Augenblick lenkte ein leises Stöhnen jede Aufmerksamkeit auf sich. Ran war wieder zu sich gekommen, öffnete quälend langsam ihre Augen und zuckte kurz vor Schmerz zusammen. Nach und nach erkundete sie die Umgebung. Ihr fiel wieder ein, dass sie entführt und fast bis zu Tode gefoltert worden war. Es war leider kein Traum.
Doch in dem Moment, wo sie glaubte, dass es sie schlimmer gar nicht mehr hätte treffen können, fand ihr Blick Conan, der gefesselt auf einem Stuhl saß. Sie wurde noch bleicher, wenn das überhaupt noch möglich war.
Was für eine ausweglose Situation.
»Sh– Shinichi! W– Was machst du denn hier? Ich habe dir doch gesagt, dass du dich von hier fernhalten sollst!«, wollte sie ihm entgegenrufen, doch ihre Stimme war nicht mehr als ein heiseres Raunen.
»Wie rührend. Mir kommen gleich die Tränen.«
Erschrocken sah sie zu dem Mann, der etwas abseits von ihr stand. Ihn hatte sie zuvor noch nie gesehen, also war er wohl erst vor Kurzem dazugestoßen.
»Na ja, aber wenigstens erwachst du pünktlich zum großen Finale!«, kam es von dem groß gewachsenen Mann, als er einen Revolver aus seiner Hosentasche herausfischte und lässig mit der rechten Hand auf sie zielte.
Mit aller Kraft versuchte Conan sich aus den Fesseln zu befreien. Er spürte, wie sich die Fesseln in seine Haut einschnitten, warme Flüssigkeit aus seinen Wunden austrat und den dazugehörigen stechenden Schmerz. Doch es war ihm egal. Sowas von egal!
So eine verdammte Scheiße!
Mit einer Lässigkeit, die ihnen das Blut in den Adern gefrieren ließ, sprach er: »Noch ein paar letzte Worte, bevor wir dich ins Jenseits schicken?«
Ran schluckte schwer. Tränen benetzten ihr Gesicht. So hatte sie sich die letzten Sekunden ihres Lebens sicher nicht vorgestellt. Sie war ja schon einmal der festen Überzeugung gewesen, zu sterben. Damals konnte sie aber wenigstens noch glauben, in seinen Armen zu sterben. Doch hier und jetzt … würde sie vor seinen Augen erschossen werden.
Aber was ihr viel wichtiger war: Was würde danach aus ihm werden? Was hatten sie mit ihm vor? Würden Sie wenigstens ihn gehen lassen?
Aus großen Augen sah sie zu ihrem zukünftigen Mörder hoch. »B– Bitte. Bitte verschonen Sie ihn. Ich flehe Sie an!«, weinte sie erbitterte Tränen.
Doch Anokata schienen diese Tränen in keinster Weise zu berühren. »So leid es mir auch tut: Diesen letzten Wunsch kann ich dir leider nicht erfüllen. Aber sieh‘ es doch positiv: Dein Freund wird dir bald in die Hölle folgen!« Mit einem eiskalten Blick sah er zu Conan. Das war der Blick … eines Psychopathen. »Sieh genau zu, wie ich deiner Freundin einen sauberen Kopfschuss verpasse und sie in die ewigen Jagdgründe schicke. Sieh zu, wie das Leben aus ihren Augen erlischt!«, höhnte er wahnsinnig und drückte ab.
Conan schrie. Er schrie, wie er noch nie in seinem Leben geschrien hatte. Ihm wurde heiß und kalt. Mit aller Kraft wollte er sich aus dem Stuhl befreien, aufstehen und sich vor sie schmeißen. Doch er schaffte es nicht. Es war zu spät. Er würde es nicht rechtzeitig zu ihr schaffen, selbst wenn er sich von den Fesseln lösen könnte. Unmöglich.
»NEIN!«