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Kampf gegen die Ewigkeit

von

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Vorbereitungen

Vorbereitungen
 

Universität von Amsterdam, 2.2.1895
 

Die kühle morgendliche Winterluft von Amsterdam rüttelte Katherine vollends wach. Sie gähnte noch ein letztes Mal, und richtete sich von der Sitzbank auf. Die Sonne schien ihr beinahe direkt ins Gesicht, worauf sie sich schnell abwandte. Ihre Wangen wurden schon ziemlich rosig von den Temperaturen her, weshalb sie ihre Winterjacke ein wenig enger um sich zog. Nachdem sie sich ihre schulterlangen, braunen Haare gerichtet hatte machte sie sich auf den Weg.

Eine leichte Morgenbriese wehte durch die Straßen, und es herrschte reges Treiben. Katherine ließ sich gerne mit den Menschenmassen treiben. Es erfüllte sie einfach mit Glück, und gab ihr das Gefühl dazuzugehören. Doch im Inneren wusste sie, dass es niemals wirklich so sein würde.

Die Universität konnte nicht weit entfernt sein. Er hatte sie ihr ausdrücklich beschrieben. Den Brief hatte sie immer noch dabei. Einfach um sich sicherzugehen, ob sie richtig war, kramte sie ihn heraus. In recht eleganter Schrift, stand dort geschrieben:
 

Liebe Katherine,
 

Ich weiß, es ist recht lange her, seit ich dich das letzte Mal kontaktiert habe, doch es gab einfach keine rechten Neuigkeiten. Bis jetzt. Die Vampirfürsten haben endlich Schwäche gezeigt. Sie haben einen Fehler gemacht, den wir uns zunutze machen sollten. Dies ist eine einmalige Gelegenheit, die dir und mir nützen würde. Warum ich ausgerechnet dir schreibe? Nun, deine Familie ist schon recht lange im Orden, und du bist eine der fähigsten die wir haben. Außerdem ist es doch eine Chance für dich, dich zu rächen und Vergeltung zu üben, für das was war. Ich erwarte dich in genau drei Tagen in der Universität von Amsterdam, du kannst sie nicht verfehlen. Sie befindet sich in der Spui 21, glaube mir. Du kannst es nicht verfehlen. Ich werde vor der Tür auf dich warten.
 

Erwartungsvoll auf deine Ankunft hoffend,
 

Gabriel Van Helsing
 

Obwohl sie es für so einfach gehalten hatte, dauerte es noch eine gute halbe Stunde, bis sie das Gebäude fand. Und sie konnte kein niederländisch. Van Helsing hatte recht gehabt. Man konnte das Ding nicht verfehlen. Ein riesiges, graues, gotisches Gebäude zwischen kleineren normalen Häusern. Es sah fast genauso aus wie die alten Universitäten in ihrem Heimatland England. Sie war beeindruckt. Doch sie hatte keine Zeit, das Gebäude lange zu betrachten.

"Katherine!" rief eine Stimme vom großen Tor her. Katherine sah schnell hin, und tatsächlich, da stand er, wie versprochen.

Gabriel Van Helsing trug wie immer seine lange Lederjacke und seinen Hut. Er war einfach das Bild, das man sich unter Vampirjäger vorstellte. Seine langen braunen Haare wehten im Wind. Als Katherine schnell näher kam, lächelte er ihr zu.

"So, wie du aussiehst, könnte man glatt meinen, dir wäre heiß und nicht kalt." Sie errötete noch mehr; "Und? Wie lange hast du hierher gebraucht?"

"Lange genug", sagte sie. Van Helsing lächelte.

"Es ist schön zu sehen, dass es dir den Umständen entsprechend gut geht", sagte er; "Aber was rede ich da? Komm doch herein. Ich habe einiges mit dir zu besprechen." Dankend nickte Katherine. Draußen wurde es allmählich doch etwas zu kalt für ihren Geschmack. Sie folgte Van Helsing hinein in die große Universität.

Offenbar war der Professor hier sehr beliebt, denn immer wieder grüßten ihn einige Studenten, die hastig an ihnen vorbeiliefen. Er war auch einer der eher jüngeren Professoren. Nur hastig nahm sie die Gänge, Flure, Zimmer und Bilder des großen Gebäudes wahr, denn sie war ziemlich tief in Gedanken versunken.

Konnte es wirklich wahr sein, dass die Vampire endlich einen Fehler gemacht hatten? Konnte es sein, dass dieser Fehler entscheidend war, und unbedingt als Chance genutzt werden musste? Sie konnte sich das wirklich nur hoffen. Denn sie wollte Vergeltung, einfach nur Vergeltung.

Schneller als gedacht hatten sie das Büro Van Helsings erreicht. Drinnen sah es überhaupt nicht aus, wie das Zimmer des Anführers des Ordens. Es sah aus wie ein gewöhnliches Büro. Bücher, Schränke, ein Fenster und ein riesiger Tisch mit Stühlen.

"Leg doch deine Jacke dort hinten ab", sagte Van Helsing und deutete auf einen Kleiderhaken, wo er nun auch seinen Hut und seine Lederjacke anhängte. Katherine tat wie geheißen. Es fühlte sich gut an, nicht mehr von dieser dicken Jacke umhüllt zu sein. Sie raufte sich einmal durch das Haar und sah wieder zu Van Helsing.

"Nimm doch bitte Platz, es gibt einiges, was ich mit dir besprechen muss." Er wies auf einen der Stühle vor seinem Schreibtisch, und nahm selber hinter demselben Platz. Katherine folgte ungeduldig der Anweisung. Sie wollte endlich wissen, was er ihr zu sagen hatte. Sie hasste es, im Dunkeln gelassen zu werden.

"Also, erst einmal, ich habe im Brief nicht gelogen", sagte Van Helsing; "Die Vampire haben tatsächlich einen Fehler gemacht."

"Tatsächlich?" fragte Katherine interessiert.

"Ja, und zwar einen recht fatalen. Aber, lies einfach selbst." Er zog einen recht zerknüllten Umschlag aus dem Schreibtisch, und reichte ihn hinüber. Sofort ergriff Katherine diesen und begann zu lesen.
 

Lieber Gabriel,
 

Du wirst es kaum glauben, aber ich habe das Unmögliche vollbracht: Ich habe es geschafft, mit meinem Assistenten in das Schloss des Vampirfürsten Graf von Krolock einzudringen, und es lebend hinauszuschaffen. Wir haben gesehen, was sie dort drinnen alles machen. Ich Wir mussten uns sogar unter sie mischen. Wir haben sie von ganz nah beobachten können. Ich habe mir selbstverständlich alles im Notizbuch aufgeschrieben. Gabriel, alle Theorien, die wir aufgestellt haben, haben sich bewahrheitet! Das ist ein Fortschritt, wie es ihn seit langem nicht mehr gegeben hat. Das ist unsere Chance der Welt endlich die Augen zu öffnen, und sie auf diese Bedrohung aufmerksam zu machen. Es gibt nur ein kleines Problem. Ich kann jetzt leider nicht zu dir stoßen, da wir in diesem Dorf praktisch eingekerkert sind. Es toben Schneestürme, es schleichen Wölfe durch die Straßen, und ich muss mich um ein Beinaheopfer kümmern. Ich hoffe inständig auf deine Hilfe.
 

In aufgeregter Erwartung,
 

Walter Abronsius
 

Je mehr sie las, desto aufgeregter wurde Katherine. Als sie fertig gelesen hatte, hielt sie es kaum mehr auf ihrem Platz aus.

"Wie du jetzt verstehen kannst, ist es wirklich DIE Chance", sagte Van Helsing; "Wir müssen sie ergreifen. Es gibt Überlebende, das ist entscheidend. Wenn Walter wirklich recht hat, dann dürfen wir keine Zeit verlieren." Katherine fiel etwas ein.

"Wenn es Überlebende gibt, dann bedeutet das doch, dass Krolock keine Sekunde Zeit verlieren wird, um sie zu beseitigen."

"Das ist es ja gerade. Und da sie dort eingekerkert sind, bleibt uns nichts anderes übrig, als zu gehen und sie zu holen."

"Ich bin dabei! Sie können auf mich zählen", sagte Katherine entschlossen und richtete sich auf. Van Helsing hob abwehrend die Hände.

"Nicht so stürmisch, junger Wirbelwind. Bevor wir das tun, müssen wir uns vorbereiten, und zwar richtig." Katherine beruhigte sich ein wenig.

"Sie haben recht", sagte sie. Doch ihre rehbraunen Augen zuckten ungeduldig hin und her.

"Zuerst einmal: Ich werde dich nicht begleiten können."

"Was? Aber warum nicht?"

"Ich habe etwas anderes zu tun", sagte Van Helsing; "Ich muss neues über Dracula erfahren. Wie ich höre, wird er in letzter Zeit etwas aktiver als sonst. Irgendetwas hat er vor. Da bin ich mir sogar sicher."

"Falls ich es schaffe, Abronsius und seinen Assistenten dort hinauszuholen, werden die Vampire noch härter vorgehen", sagte sie. Van Helsing blickte auf.

"Ich weiß, worauf du hinaus willst."

"Das wird die anderen Clans auf den Plan rufen, und möglicherweise auch SIE."

"Katherine, beruhige dich. Ich versichere dir: Du wirst deine Chance bekommen." Sie nickte schnell, und versuchte nicht angespannt zu wirken, was ihr überhaupt nicht gelang.

"Es braucht alles seine Ruhe und Vorbereitung", sagte Van Helsing; "Ach, und in einem Punkt liegst du falsch."

"In welchem?"

"Du wirst nicht alleine gehen."
 

***
 

Burg Cachtice, 3.2.1895
 

Düster und drohend lag die dunkle Burg Cachtice in den nächtlichen Hügeln Ungarns. Die dunklen schwarzen Wolken, die den gesamten Himmel bedeckten verliehen dem ganzen eine noch düstere Atmosphäre. Die vielen Türme ragten drohend und majestätisch in den Himmel empor. Aus den unzähligen Fenstern schien kein einziger Lichtstrahl. Ein Mensch würde diese Burg als verlassen bezeichnen. Seit dem Tod der Gräfin war hier niemand mehr gewesen. Das Schloss wurde einfach seinem Schicksal überlassen.

Die Burg mochte verlassen wirken, sie war aber keineswegs leer. Die Menschen in den umliegenden Dörfern erzählten sich von Schatten in der Nacht, die aus diesen Gemäuern zu kommen schienen. In so mancher Nacht hatte man auch über riesige Scharen von Fledermäusen geredet, die sich alle in einer riesigen Formation über den Zinnen versammelte und wie eine dunkle Wolke des Todes in die umliegenden Täler schwebte, und immer gab es Vorfälle.

Eine einzelne, schwarze Fledermaus glitt elegant durch die Luft und ließ sich vom Wind treiben. Ihre Augen glommen in einem dunklen Rot, und doch würde sie in dieser Nacht kein Unheil mehr anrichten, das hatte sie nämlich schon. Hin und wieder schlug das Tier mit den Flügeln und steuerte immer weiter auf die Burg zu. Wenige Augenblicke später flog das Tier bereits über die Dächer und Zinnen, und steuerte auf einen kleineren Turm zu. Ein kleines Fenster ganz oben stand offen, und genau darauf steuerte das Tier nun zu.

Drinnen angekommen, ohne vom starken Winterwind beeinträchtigt worden zu sein, richtete sich das Tier in der Mitte des kleinen Raumes kerzengerade auf. Ein schriller Schrei ertönte, und plötzlich begann das Tier zu wachsen. Es wuchs immer mehr und mehr, die Körperkonturen veränderten sich. Nach einem Augenblick nahm das Tier menschliche Züge an. Das Fell ging zurück, die Flügel wurden zu Armen, und die Haut wurde viel bleicher. In Sekundenschnelle stand anstatt der Fledermaus ein hochgewachsener Mann im Raum. Er hatte etwas lange rotbraune Haare, braungrüne Augen, die immer wieder durchdringend aufleuchteten, wie bei einem Raubvogel, und seine Haut war die eines Toten.

Pál Báthory leckte sich über die Lippen. Heute Nacht hatte er einen besonders guten Fang gemacht. Dieses wehrlose Mädchen aus dem Dorf hatte ihm doch einfach aus der Hand gefressen. Natürlich, so unwiderstehlich wie er war, war das auch kein Wunder. Welche Frau konnte schon ihm nein sagen? Noch immer spürte er das warme, frische Blut auf seinen Lippen. Immer, wenn er der Gier erlag, versetzte es ihn in eine derartige Ekstase, dass er es mit Freuden geschehen ließ. Wer würde ihn dafür schelten?

Zu seiner vollen Größe aufgerichtet stolzierte er die schwarze, dunkle Treppe hinunter. Dass es hier kein Licht gab, war ihm reichlich egal. Er als Vampir konnte so gut im Dunkeln sehen, wie ein Mensch es bei Tag konnte. Auf dem Weg in die Gänge des Schlosses begegnete ihm kein einziger Vampir. Gut so, diese niederen Wesen interessierten ihn reichlich wenig, außer, wenn einer von ihnen ihn belästigte.

Er verließ das dunkle Stiegenhaus, und betrat den Gang. Jeder Mensch wäre hier schon vor Angst weich geworden, für ihn aber war es ein wundervolles Zuhause. Er konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, im Schloss eines der anderen Vampirfürsten zu quartieren. Diese Burg war einfach nur perfekt. Wenn seine Mutter mal nicht daheim war, hatte er die Kontrolle hier, und er nutzte jede Sekunde davon aus. Vor einer Nacht war es so gewesen. Seine Mutter, die Vampirfürstin Erzsébet Báthory, war auf einem Treffen der großen Drei gewesen.

Wenn es etwas gab, was er hasste, dann war es Geheimnistuerei. Und genau das passierte bei solchen Treffen. Nur die Drei wussten, was dort vor sich ging, und keiner mehr, es sei denn, sie würden freiwillig reden. Doch das machte seine Mutter nie. Was das anging, so bekam er manchmal sehr die Weißglut. Was ging an diesen Treffen nur vor? Jahrelang hatte er schon versucht, es herauszufinden, doch nie gelang es ihm. Entweder seine Methode funktionierte nicht, oder seine Mutter erwischte ihn, und das war die weitaus schlimmere Variante.

Seine Mutter setzte ihn zwar nicht den Bestrafungen aus, mit denen sie die anderen Mitglieder des Clans zurechtstutzte, doch den letzten Strahlen des Dämmerlichtes ausgesetzt zu sein brachte auch den einen oder anderen Schmerz mit sich. Ungern erinnerte er sich an das letzte Mal, als seine Haut eine ziemlich verkrustete Form angenommen hatte.

Ob das letzte Treffen wohl von dem fehlgeschlagenen Mitternachtsball handelte? Er wusste alleine davon, weil Herbert ihm einen Brief geschrieben hatte, in dem er angab, endlich seine große Liebe gefunden zu haben, die jedoch davongelaufen sei, bevor er zuschlagen konnte. Er hatte dabei nur die Augen gedreht. Doch die Tatsache, dass jemand dem Ball entkommen war, also wirklich lebend, war überaus beunruhigend. Er wusste nur zu gut von den Vampirjägern, die mit den richtigen Informationen eine ernste Bedrohung darstellen konnten. Allen voran war dieser Gabriel Van Helsing, der wirklich alles daran setzte, sie aufzuspüren. Das war doch nicht mehr normal.

Pál, komm zu mir. Ich muss mit dir sprechen. Er zuckte zusammen. Und immer noch, nach all diesen Jahrhunderten, konnte er sich immer noch nicht an diese Nachrichten gewöhnen.

"Warum sprichst du nicht mal persönlich zu mir, anstatt mir diese Nachrichten zu zu zwitschern?" knirschte er, machte sich aber sogleich auf den Weg. Sein Weg führte ihn durch unzählige Gänge und Korridore. Hin und wieder kam er an einem Vampir vorbei, der vor ihm eine unterwürfige Verbeugung machte. Er beachtete sie nicht einmal, da er sowieso wusste, dass sie ihn respektierten und fast genauso fürchteten, wie seine Mutter.

Seine Mutter, die große Vampirfürstin Erzsébet Báthory, auch bekannt als die Blutgräfin. Manchmal stieg ihm das ganze zu Kopf. Wie viele Jahrhunderte war das schon her? Auf jeden Fall so einige, aber das war nicht das wesentliche. Er hatte nur für kurze Zeit das Erbe antreten können, und selbst da musste er es mit seinem vermaledeitem Schwager teilen (der dieser Ehre gar nicht würdig war). Doch seine Mutter war nicht tot, wie alle angenommen hatten, nein, sie war verwandelt worden, zu einem Nosferatu. Legenden besagten, dass Luzifer höchstpersönlich dahinter steckte. Er wusste nicht, was er davon halten sollte. Er erinnerte sich noch gut daran, wie er selbst verwandelt wurde.

Er hatte angenommen, seine Mutter läge im Sterben, nachdem sie eingemauert wurde. Natürlich, keiner konnte lange so überleben, aber sie hatte sich erstaunlich lange gehalten. Er wusste nur noch, dass ein unmenschlicher Drang ihn dazu zwang, sich gewaltsam Zutritt zu ihren Gemächern zu verschaffen. Furchtbar hatte sie ausgesehen. Es schien so, als wäre sie um fünf Jahrzehnte gealtert. Er hatte sich neben sie gesetzt, und sie hatte angefangen, vom Erbe zu sprechen. Natürlich war er ganz hellhörig gewesen. Im Dunkeln der Nacht hatte sie immer leiser gesprochen. Sie schien immer schwächer zu werden. Und dann, plötzlich, hatte sie ihm gesagt, er solle näher kommen.

"Jetzt, mein Sohn, ist es an der Zeit, dass ich dir das Erbe anvertraue", sagte sie leise; "Komm näher zu mir. Ich kann nicht mehr laut sprechen." Neugierig war er näher zu ihr gerückt, und hatte sich gefragt, was sie ihm alles sagen würde.

"Was ist es?" hatte er gefragt. Doch als er ganz nah an ihrem Gesicht war, hatte sie ihn plötzlich gepackt, und mit einer Stärke, die ihm noch nie bei seiner Mutter aufgefallen war, zu sich gepresst. Mit großem Schrecken hatte er mit ansehen müssen, wie ihre Augen plötzlich rot glühten, und seine Seele zu durchbohren schienen. Dann öffnete sie ihren Mund, und zwei lange, nadelspitze Zähne waren zum Vorschein gekommen.

"Das wichtigste, das ich dir zu vererben habe", hatte sie gesagt, und im nächsten Moment hatte sie schon zugebissen. Er konnte sich nur vage an den Schmerz erinnern, doch er musste schrecklich gewesen sein. Seine Mutter hatte nicht gelogen. Sie hatte ihm etwas vererbt, und zwar den Vampirismus.

Das war schon so lange her, und immer noch herrschte sie über die Vampire. Er war, genauso wie Herbert, der ewige Zweite. Nie würde er sein Erbe antreten können, denn Vampire starben nicht oft. Er wusste schon längst, tief in seinem Inneren wollte er endlich der erste sein, und nicht immer nur der zweite. Naja, vielleicht eines Tages.

Nun stand er vor der großen, schwarzen Tür, die in die Gemächer seiner Mutter führte. Diese lagen im höchsten und größten Turm von Burg Cachtice. Von dort aus hatte sie einen guten Ausblick, und konnte auch ihre Fähigkeit am besten nutzen. Vampirfürsten und ihre Fähigkeiten, wie sehr Pál sie darum beneidete.

Noch bevor er anklopfen konnte, schwang die Tür von alleine auf. Er rollte mit den Augen. Das war doch pure Angeberei. Doch er verhielt sich, wie es sich gehörte, und trat ein. Die Tür schlug hinter ihm zu. Sofort veränderte sich die Atmosphäre drastisch. War sie in der Burg schon dunkel, so war sie hier einfach nur dämonisch. Ein leichtes Zittern konnte er sich nicht verkneifen, wie sehr er es auch versuchte.

Seine Mutter stand in einigen Metern Entfernung vor ihm, und blickte aus ihrem Fenster in die Täler. Draußen hatte es mittlerweile angefangen zu schneien. Und es würde offenbar ein Schneesturm werden, da war er sich sicher. Er liebte Schneestürme. Sie hatten so etwas wildes, ungestümes an sich, dem man einfach nicht widerstehen konnte, genau wie er.

"Schnell da, wie immer", sagte seine Mutter, ohne ihn anzusehen. Ihre Stimme war eiskalt, wie immer. Kein Hauch von Menschlichkeit war mehr in ihr zu spüren.

"Du wolltest mich sehen?" fragte Pál respektvoll. Sie drehte sich um. Ihr blutrotes Kleid, das sie meistens trug, kombiniert mit schwarzen Verzierungen ließ sie wahrlich wie eine Fürstin der Finsternis aussehen. Auch das schwarze Diadem mit dem roten Rubin trug zu der Erscheinung bei. Ihre rotbraunen, glatten Haare waren gepflegt nach hinten gekämmt. Ihre schwarzen, kalten Augen durchbohrten Pál immer aufs neue.

"In der Tat, das wollte ich", sagte sie, und trat einige Schritte auf ihn zu. Die Kälte, die von ihr ausging war fast sogar schon für einen Vampir unerträglich.

"Ich habe mich neulich, wie du sicherlich weißt, mit den anderen zwei ältesten getroffen."

"Das weiß ich sehr wohl, Mutter."

"Und ich nehme an, so neugierig wie du bist, möchtest du sicher wissen, um was es da ging." Er traute seinen Ohren nicht. Meinte sie das wirklich ernst?

"Nun, du hast Glück, denn heute bin ich geneigt, es dir zu sagen. Denn es betrifft uns alle."

"Was ist es?"

"Der letzte Mitternachtsball auf Schloss Krolock ist schrecklich fehlgeschlagen. Und mit schrecklich meine ich das auch." Pál horchte auf. Also doch.

"Stell dir vor, mein Sohn: Es ist nicht nur ein sterblicher, sondern gleich drei entflohen."

"Gleich drei?"

"Ja. Ich muss dir nicht sagen, was das bedeutet, nicht wahr?" Pál schüttelte den Kopf. Er wusste nur zu gut, was das bedeutete. Es bedeutete, dass die Vampirjäger endlich ihre ach so erwünschten und wichtigen Zeugen hatten, die alles über sie wussten und zu berichten vermochten. Da würde Van Helsing sich aber freuen.

"Du kannst es dir also vorstellen", fuhr seine Mutter fort; "Nun, ich habe dich aus einem ganz bestimmten Grund hierher geholt."

"Und der wäre?"

"Du musst etwas vorbereiten."



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