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1945

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I - Weiland


 

Kapitel I - Weiland

"... Und in seinen Augen leuchtet das Licht und die Forderung der Stunde die keine Sentimentalität mehr kennt. Die alles fordert aber nichts verspricht als Sieg. Auch wenn wir sterben!"
 

Stille lag über dem Land. Das schmutzige grau-weiß des durchweg bedeckten Himmels blutete in das darunterliegende weiß der Schneedecke hinein, nur durchbrochen von den gen Himmel strebenden Nadelbäumen.
 

Der alte Militärtransporter kam zu einem Halt, dunkelgraue Abgasschwaden in die Luft spuckend.
 

Die Beifahrertür öffnete sich, und Ivan trat heraus. Er nahm die bis auf den Filter heruntergerauchte Zigarette aus seinem Mundwinkel und warf sie achtlos in den Schnee, seine Augen den Horizont absuchend. Er zog ein Fernglas aus seiner Manteltasche und nahm es sogleich zu Hilfe - obwohl die Landschaft so karg war, war es anstrengend längere Zeit in das allumgebende Weiß zu starren. Besonders lange verweilte sein Blick um den schmalen Ausläufer des Waldes, der dicht mit Tannen bewachsen war. Sie standen wie Wächter, stumm und dem Schnee stets unnachgiebig.
 

Ivan hatte das Gefühl, genau dort fünig zu werden. Er steckte das Fernglas wieder ein und griff stattdessen nach dem Flachmann in seiner Mantelinnentasche.
 

"Wartet hier." ,sagte er knapp zu zu der Hand voll Soldaten die ihn begleiteten und machte los in Richtung der Bäume. Ivan nahm einen großzügigen Schluck Vodka aus seinem Flachmann als er sich nährte. Er spürte, wie er nervös wurde - eine gewisse Anspannung machte sich in ihm breit, doch es war anders als die Monate, Jahre, die er in Gräben ausgeharrt hatte während ihm Kugeln um die Ohren geflogen waren. Nein ... Ivan entfuhr ein Kichern - es flatterte in seiner Brust, und er spürte deutlich wie sich seine Mundwinkel so weit nach oben zogen wie er es lange nicht mehr erlebt hatte.
 

"Komm' raus, komm' raus ... wo immer du steckst ...", sang er leise, der Schnee unter seinen Füßen das einzige Geräusch weit und breit. Er legte einige Meter zurück, und die Bäume standen nun immer dichter beieinander, wodurch das Gelände zunehmend unübersichtlicher wurde. Doch Ivan blieb unbeirrt - als würde ein innerer Kompass ihn leiten.
 

Und schließlich erblickte er, was er gesucht hatte. An einen Baum gelehnt, im Schnee sitzend.
 

Ein freudig-überraschter Ausruf entfuhr dem Russen - hätte er sich selbst sehen können wäre er wohl verwundert gewesen dass er so strahlen konnte, gerade so kurz nach Beendigung eines Krieges der ihn mehr gekostet hatte als jeden anderen. Und doch konnte Ivan es ganz klar benennen, dieses Gefühl - Freude. Er hatte es schon lange nicht mehr so deutlich gespürt.
 

"Mein kleiner Deutscher ...", kicherte Ivan und setzte hastig zum Sprint durch den kniehohen Schnee an - ein letzter Kraftakt. Er kniete sich, um das leichenblasse Gesicht vor ihm besser begutachten zu können - keine Frage, wer das war. Der Körper war schon großzügig mit Schnee bedeckt - kein Wunder, gemessen an der Zeit die er schon hier sein musste ...
 

Ivan konnte schlichtweg nicht aufhören, zu grinsen - er bemerkte dass er ein wenig zitterte, obwohl er im Moment nicht fror - oder es nicht merkte. Die hellen Wimpern des Deutschen waren mit Frost besetzt, ebenso sein Haar und seine blau schimmernden Lippen. Die Augen geschlossen, sah er aus wie eine friedlich schlafende, gut präservierte Leiche im Eis. Wäre da nicht ...
 

Er machte sich daran, Gilberts Mantel aufzuknöpfen, ebenso die Uniformjacke darunter. Vielleicht hatte er versucht, doch noch zu fliehen, wohin auch immer. Ivan fragte sich geistesabwesend ob Gilbert ihm je erzählen würde, wie lange er noch bei Bewusstsein gewesen war und wie er sich gefühlt hatte - vorrausgesetzt er hätte noch Erinnerungen an '43. Ivan schluckte und staunte nicht schlecht - Gilberts Brust war heil, in einem Stück - wenn auch mit einer riesigen, unförmigen Narbe auf der Mitte-linken Seite versehen die bedeutete, dass der Heilungsprozess nur dürftig von Statten gegangen war. Die Haut schimmerte in einem hellen, verletzlich-wirkenden weiß.  Ein Blick in Gilberts Gesicht konnte nicht recht bestätigen, ob er noch atmete oder nicht - es bildeten sich keine Kondenswölkchen um seinen Mund, doch Ivan meinte zu sehen dass sich sein Brustkorb leicht hebte und senkte.
 

Sachte kniete Ivan sich in den Schnee und beugte sich so weit herunter dass seine Wange ganz nah an Gilberts Mund war. Und da, tatsächlich, fühlte er, wie ein zarter Lufthauch über seine Wange strich. Er atmete noch, nur war die Luft schlichtweg viel zu kalt um nach außen sichtbare Spuren zu zeigen. In Gilberts Lunge musste es folglich ähnlich kalt sein wie in der Umgebung. Es war schlichtweg faszinierend, und Ivan war sich nicht ganz sicher ob je einer von "Ihnen" so etwas schon einmal durchlebt hatte - und danach noch fähig war, davon zu erzählen. Ivan hob seine Augenlider jeweils mit dem Daumen an um in Gilberts Augen zu schauen - die Pupille seines linken Auges war starr und nur Stecknadelgroß, sein rechtes Auge war, wie erwartet, milchig-weiß, vermutlich vollkommen blind.
 

"Ich nehme dich mit nach Hause, moy malen'kiy zaychik.", murmelte Ivan, immer noch lächelnd, ließ sein Augenlid wieder zufallen und knöpfte Gilberts Kleidung die bereits völlig steif vom Dauerfrost war auf. Es würde zu lange dauern, bis Jacke und Mantel völlig trocken wäre. Den wehrlosen, passiven Körper zu entkleiden gestaltete sich langwierig, und Ivan merke deutlich dass es ihn anstrengte den steifen Körper des Deutschen hin- und her zu zerren. Endlich war er bis auf seine Unterhose entkleidet, so griff Ivan in seine Manteltasche und zog eine feingliedrige goldene Kette heraus, mit einem filligranen Anhänger - Hammer und Sichel.
 

Bedächtig legt er die Kette um Gilberts Hals und verschloss sie mit ein wenig Mühe - die Kälte hatte seine Finger bereits taub werden lassen. Sich leicht vorlehnend presste Ivan seine Lippen gegen den Anhänger, und flüsterte;
 

"Ich nehme mich deiner an, Gilbert Beilschmidt."
 

Eine Weile blickte Ivan konzentriert auf Gilberts Gesicht, abwartend ob er eine Veränderung würde feststellen können nachdem er die Worte sagte. Doch nicht einmal eine Wimper des Preußen zitterte als Antwort. Ivan beschloss, für den Moment einfach auf die Wirkung zu vertrauen und warf sich das starre Gewicht des Anderen über seine rechte Schulter und zog schwerem Schrittes mit ihm von dannen.
 

-*-
 

Keiner der Soldaten die Ivan begleiteten wagte es, zu lange auf den fast nackten Körper des Preußen zu schauen. Einer der jüngsten, so vermutete Ivan, hatte ihm wortlos eine Decke aus der Reservenkiste geholt die Ivan eng um die nun recht schmale Form Gilberts schlang. Einen von Motten bereits arg mitgenommenen Mantel hüllte er zusätzlich um ihn, sodass Gilbert, in einen einigermaßen wärmenden Kokon auf Ivans Schoß saß. Der Russe hielt ihn in fest um ihn verschränkten Armen aufrecht, und drückte ihn so eng es ging an sich selbst. Sollte dies alles befremdlich auf Ivans Kameraden wirken, so ließen sie es sich nicht anmerken. Sie unterhielten sich leise und ließen während der Fahrt zurück nach Moskau eine Flasche billigen Fusels zwischen sich hin- und her wandern.
 

Ivan bemerkte, dass einer der Soldaten etwas in der Hand hielt, was unter ihnen für reges Interesse sorgte - der junge Mann erzählte etwas von "Sammlerstück", "verkaufen" und "echt antik". Als er es einem Anderen zum begutachten gab, bestätigte sich Ivans verdacht um was es sich bei dem Objekt handelte.
 

"Sag, Genosse, wo hast du das her?", fragte Ivan leise, aber laut genug dass jeder im Fahrzeug augenblicklich verstummte.
 

Der junge Soldat war verunsichert - er antwortete, zögerlich; "Es ist eine Trophäe."
 

"Ach. Also hast du sie im Kampf gewonnen?", fragte Ivan in seinem gewohnt kindlich-unschuldigen Ton, dem nun allerdings eine stumme Drohung innezuwohnen schien.
 

Der andere kam in stocken - und schwieg.
 

Ivan fuhr unbeirrt fort; "Du hast es gerade eben gefunden, nicht wahr? Im Schnee?"
 

"Ich ... ", begann der junge Mann, wusste aber nicht so recht wie er sich aus der Situation herausreden sollte - oder könnte.
 

"Gib' es mir mal."
 

Ivan streckte ihm seine hand hin, mit der Handfläche nach oben. Der Motor des alten Gefährts dröhnte, der Wind pfiff, doch ansonsten war es totenstill. Die anderen schauten angespannt von Ivan zu dem jungen Soldaten der wohl noch so jung und naiv war, Ivans Forderungen nicht sofort nachzugeben. Der junge schluckte. Und schaute Ivan ins Gesicht, Augen nervös und unbeständig in ihrem Blick.
 

"Ich habe Familie. Ich- ich brauche ..."
 

Augenblicklich schien die Temperatur um weitere -20 Grad zu fallen - Ivan spürte wie ihm ein kalter Schauer überkam der sich um sein Innerstes zu legen schien. Das alte Gefühl der Wut kroch in ihm hoch und ließ seine Stimme zu Eis gefrieren.
 

"Du weisst wohl nicht, was du da gerade versuchst zu tun."
 

Stille.
 

"Entweder du gibst es mir jetzt, oder ich nehme es mir."
 

Der Soldat schien zu beben, immer noch das Eiserne Kreuz umklammernd - einer seiner Kameraden gab ihm einen Stoß mit dem Ellebogen und murmelte etwas, worauf er endlich, zitternd, das Kreuz in Ivans Hand legte. Sofort löste sich die angespannt Atmosphäre wieder, und Ivans Lächeln wurde breiter, wenn auch nicht weniger angsteinflößend.
 

"Kluge Entscheidung.", sprach Ivan besänftigt, mit einem Lächeln.

Ivan begutachtete das schwere Abzeichen und erkannte es sofort wieder - es gehörte dem Preußen, kein Zweifel. Er selbst hatte es ihm damals vom Hals gerissen und achtlos in den Schnee geworfen. Er steckte es sich kurzerhand in die eigene Manteltasche, nicht ohne den jungen Soldaten abschließend noch einmal wie beiläufig zu fragen;
 

"Sag', Genosse, wie war nochmal dein Name?"
 

Der junge Soldat hielt inne, und brach in Schweiss aus. Und blieb stumm - er schien zu ahnen, was das bedeutete.
 

"Nun ... ?", Ivan hob eine Augenbraue.
 

"N-Nikolaj."
 

Ivan wartete.
 

" ... P- ... Pokrovskij."
 

Ivan nickte, lächelnd, und merkte sich diesen Namen. Er merkte sich ihn gut.
 


Nachwort zu diesem Kapitel:
"moy malen'kiy zaychik" = "mein kleiner Hase"

Nun, das war das erste Kapitel meiner Fanfiction! Ich hoffe es hat euch gefallen - selbst wenn nicht, hinterlasst mir doch bitte einen Kommentar, denn an konstruktiver Kritik kann ich nur wachsen! ;> Die nächsten Kapitel habe ich teilweise bereits geschrieben, aber zumindest alle schon ausgeplant.
Da ich auch Fanart zeichne die in das "Universum" dieser Fanfic gehört, könnt ihr auch gerne meinen DeviantArt Account besuchen und euch Bilder zu dieser Geschichte ansehen - heartisbreaking.deviantart.com
Bis zum nächsten Mal! Komplett anzeigen

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