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Blood-red Diamond

- Blutrote Seele -
von

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Entschlossenheit

Ich musste zugeben, ich war ein wenig beeindruckt von mir selbst. Ich hatte tatsächlich den gesuchten Ausgang gefunden und mich dabei nur zweimal verlaufen. Ich vermutete, dass das ganze Adrenalin, welches gerade durch meinen Körper gepumpt wurde, sowohl positive als auch negative Auswirkungen hatte. Aber immerhin hatte es meinen Orientierungssinn angeschmissen und mir geholfen dorthin zu kommen, wo ich hin wollte.

 

Doch es dauerte nicht lange, ehe sich Ernüchterung in mir breit machte. Was sollte ich nun machen? In wenigen Schritten würde ich das Bergwerk verlassen und nur noch das verfallene Firmengelände vor mir haben. Ich war schon einmal ungesehen über den Hof gelangt – wobei ich da nur vermute, dass mich niemand gesehen hatte, oder ich war einfach zu schnell gerannt, als dass mich jemand hätte abfangen können - und würde das auch diesmal irgendwie schaffen, aber was dann? Wo sollte ich hingehen? Ich hatte nicht die geringste Ahnung, wo sie ihn gefangen hielten! Wo also sollte ich nach ihm suchen?

Direkt vor der nach draußen führenden Eisentür blieb ich stehen. Eine kleine Öllampe hing über ihr und war damit die einzige Lichtquelle weit und breit. Durch die Ritzen zwischen dem Metall drang bereits die lauwarme Luft des bald heranbrechenden Morgens. Zögerlich streckte ich meine Hand nach der dreckverkrusteten Klinke aus und versuchte mich selbst zu beruhigen. Erst mal musste ich von hier verschwinden, dann würde ich weitersehen.

Doch noch bevor ich das Metall berühren konnte, kam mir plötzlich etwas anderes zuvor. Ich sprang erschrocken zurück und stieß einen kleinen Schreckenslaut aus. Was war das? Eine Schlange?

Aber als ich zur Seite blickte, sah ich einen leicht angeschlagenen Adelio neben mir stehen, dessen Finger auf seiner blutigen Lippe lag, um mir zu zeigen, dass ich still sein sollte. Verwundert musterte ich ihn. Auf seiner einen Wange zeichnete sich bereits ein größerer, blauer Fleck ab und zahlreiche Kratzer zierten seine Haut. Seine noch nassen Haare waren nach hinten gekämmt und nur langsam kräuselten sie sich in ihre ursprüngliche, lockige Form. Er trug eine dunkle Stoffhose und eine ebenfalls schwarze Jacke, die ihn beinahe mit der Dunkelheit verschmelzen ließen. Was machte er hier?

 

„Zwei Dumme, ein Gedanke, stimmt’s?“ Ein kleines Lächeln lag auf seinen Lippen und ich verstand, dass er aus demselben Grund hier stand, wie ich.

„Wir müssen es einfach versuchen!“, flüsterte ich unnötigerweise ebenso leise zurück, doch ich sah bereits an seinem Blick, dass er zu diesem Entschluss schon selbst gelangt war. Er nickte entschlossen.

„Ich denke, ich werde dich nicht davon abbringen können zu gehen, darum spare ich mir das Theater lieber gleich. Aber zumindest weiß ich ungefähr wo wir anfangen können zu suchen.“

„Und ich weiß genau, wo wir hingehen müssen.“ Wir zuckten beide beim Klang einer weiteren Stimme zusammen, bevor wir herum wirbelten und eine Gestalt aus der Dunkelheit treten sahen. Ihre blonden Haare leuchteten selbst in diesem Moment wie Gold.

„Was machst du denn hier?“, zischte Adelio, der sich nicht sonderlich über den Neuankömmling zu freuen schien.

„Du glaubst doch wohl nicht, dass ich nur hier sitzen und Däumchen drehen werde! Ich kenne Jaden jetzt schon seit Jahren und ich werde nicht zulassen, dass die was weiß ich was mit ihm anstellen!“ Aurelia verschränkte ihre Arme vor der Brust, sodass der Stoff ihrer Sweatjacke raschelte, und warf Adelio einen entschlossenen Blick zu. Es sah nicht so aus, als wäre sie von ihrem Vorhaben abzubringen. Ich sah im schwachen Licht der Lampe, wie der Braunhaarige die Augen rollte. Seufzend gab er sich geschlagen.

„Okay, okay. Mach hier jetzt bloß keine Show, Blondie. Also, wo ist er?“ Sichtlich stolz auf ihren Sieg erhellte sich Aurelias Gesicht sofort.

„Ich habe ein wenig rumgeschnüffelt, als die ganze Sache hier losging und mir niemand was sagen wollte. Aufgrund der neuen Erkenntnisse konnten wir ihre Spuren zu einem alten Krankenhauskomplex zurückverfolgen.“

„Bitte? Ein Krankenhaus? Verdienen die sich jetzt ihr Geld mit Doktorspielchen?“

„Keinem richtigen Krankenhaus.“ Sie schüttelte seufzend ihren Kopf. „Das Gebäude steht schon seit mindestens 25 Jahren leer und niemand kümmert sich um das Gelände. Es ist ähnlich wie mit unserem Bergwerk. Der Betreiber hat die Klinik, die vor bereits 150 Jahren erbaut wurde, in die Pleite gewirtschaftet und nach zahlreichen versuchen mit dem Gebäude noch etwas anzustellen, wurde es irgendwann aufgegeben und zerfällt gerade langsam zu Staub.“ Ich stutzte. Ein verlassenes Gebäude? Dann war deren Versteck gar nicht so anders als unseres. „Nun nutzen sie es als ein Lager, aber für was genau wissen wir nicht. Aber weil deren Stützpunkt nur gut acht Kilometer von hier entfernt ist, bekamen die alten Herren Panik und schickten die Truppe viel zu übereilt los. Die ganze Sache war zu unüberlegt gewesen und dafür musste Jaden jetzt bezahlen. Er war sowieso von Anfang an dagegen.“

„Aber wieso? Wieso kommen die plötzlich alle hier nach Summer Hills? Die ganzen letzten Jahre hat sich hier nie jemand blicken lassen! Da stimmt doch was nicht. Irgendwas ist hier im Busch. Ob die wissen, dass wir hier sind?“ Adelio rieb sich mit der Hand über die Schläfen. So, als hätte er wahnsinnige Kopfschmerzen und versuchte, diese weg zu massieren.

„Ich weiß es nicht. Aber wir können nicht länger tatenlos rumsitzen! Irgendwas geht da vor sich und wenn wir nicht aufpassen, gucken wir uns bald alle die Radieschen von unten an!“

 

Ich erschauderte. Ein Gefühl, als ob hunderte Spinnen über meine Haut liefen, kroch in Zeitlupe in jede noch so kleine Ecke meines Körpers. Bis vor ein paar Tagen hatte ich noch überhaupt keine Ahnung gehabt, was hier vor wirklich sich ging. Da hätte ich mir das alles noch gar nicht in meinen schlimmsten Albträumen überhaupt vorstellen können! Und nur, weil ich bei der Geburt aus irgendeinem Grund diesen seltenen Edelstein bekommen hatte, hatte ich überhaupt von alldem erfahren.

Ganz von selbst wanderte meine Hand an die Stelle, an der mein roter Diamant ruhte. Eine kleine, sehr gut versteckte Innentasche der Jacke. Ich hatte es nicht über das Herz gebracht, ihn zurückzulassen, auch wenn es wohl das Beste gewesen wäre. Doch ich konnte es nicht. Er gehörte zu mir, also musste ich nun hoffen, dass niemand einen Grund (und die Gelegenheit) haben würde, in meiner Jacke rumzuwühlen.

 

Das plötzliche Klirren von Metall ließ uns drei herum fahren. Obwohl es noch einige Meter weit weg sein musste, war das kleine Licht am Ende des Fahrzeugtunnels schon gut zu sehen. Irgendjemand kam da ziemlich schnell in unsere Richtung.

„Erwartest du noch wen?“, fragte Adelio scherzhaft, doch seine Stimme klang gepresst. So, als wüsste er die Antwort bereits.

„Laber keinen Müll. Los kommt!“ Schon bevor ich mich umgedreht hatte, war Aurelia bereits wieder in den Schatten verschwunden. Schnell – und so leise wie möglich - folgte ich ihr in die Richtung, in der ich sie vermutete. Das kaum hörbare Quietschen einer Tür erklang seitlich neben mir und eine Hand zog mich mit einem Ruck hinterher.

Das Quietschen ertönte wieder und ich bemerkte, dass sich die Geräusche unserer Schritte plötzlich anders anhörten. Wir hatten wohl einen kleinen Nebenraum betreten. Als der schwache Lichtstrahl der dort immer noch hängenden Öllampe durch den winzigen Spalt der Tür schien und dabei auf einen alten Mopp fiel, wusste ich auch genau, was für ein Raum das hier war. Schnell drückte ich mich zwischen dem Mopp und einem alten, verstaubten Regal voller Putzmittelflaschen an die Wand.

Draußen knirschten Schritte und ein leises Pfeifen hallte durch den Gang bis in unser Versteck. Da ich nicht sehen konnte, was da vor sich ging, lauschte ich auf jedes Geräusch. Ein schwerer Gegenstand, der auf dem Boden abgestellt wurde. Das Öffnen der Tür, gefolgt von den nächtlichen Geräuschen des umliegenden Waldes. Ein leises Fluchen, als etwas zu Boden fiel. Das Rascheln von Plastik, ehe die Tür wieder in ihre Angeln fiel. Der Mann war weg.

 

„Louis.“ Selbst flüsternd, klang Adelios Stimme laut in meinen rauschenden Ohren. Er hatte uns nicht gesehen. „Gut, dass er sich wieder einmal verbotenerweise im Dienst mit seinem Handy beschäftigt hat. Glück für uns.“

„Mal sehen, wie lange die Glückssträhne noch anhält. Los jetzt, bevor uns noch mehr vor die Füße latschen!“

 

Jetzt ging alles ganz schnell. Adelio übernahm die Führung, gefolgt von mir und Aurelia bildete das Schlusslicht. Möglichst geräuschlos schlüpften wir durch die Tür. Das schwache Licht des Mondes umhüllte uns, sobald wir einen Schritt aus dem Gebäude taten. Ich fühlte mich beinahe wie auf dem Präsentierteller. Mitten im Scheinwerferlicht.

Ich hielt die Luft an, als wir uns in Richtung des Zauns bewegten, der das Gelände umgab. Ich traute kaum mich umzusehen, aus Angst, jemanden zu entdecken. Oder besser, dass uns jemand entdeckte. Nur Schemen waren zu erkennen. Ein kurzer Blick in den dunklen Himmel verriet mir, dass einige Wolken aufgezogen waren und nun den Mond und die Sterne zum großen Teil verdeckten. Nur hin und wieder trafen fleckige Lichtstrahlen auf den Boden, die wie Glühwürmchen im Dunkeln tanzten, und gaben uns eine ungefähre Ahnung, wo wir langgehen mussten. Doch selbst das erwies sich als schwierig, weil ständig überall Müll, Trümmer und alte Werkzeuge verstreut herum lagen, die bei der kleinsten Berührung ein unglaubliches Getöse machten. Für einen kurzen, blöden Moment fühlte ich mich stark an das Märchen von Hänsel und Gretel erinnert, die aus dem Lebkuchenhaus flohen, um von der Hexe nicht verspeist zu werden. Ich schüttelte meinen Kopf, um die Gedanken zu vertreiben.

Ich konzentrierte mich wieder voll und ganz auf den Braunhaarigen vor mir. Hinter mir hörte ich das leise, zitternde Atmen von Aurelia, die versuchte mit uns Schritt zu halten. Ständig ertönten von überall her irgendwelche Geräusche und ich rechnete jede Sekunde damit, Schreie zu hören. Das Signal, dass wir entdeckt wurden.

Und als wir ruckartig hinter einigen verbeulten Metallfässern in Deckung gehen mussten, weil zwei Männer nur Zentimeter von uns entfernt Patrouille liefen, blieb mir beinahe das Herz stehen. All der Mut, den ich eben noch in mir verspürt hatte, war wie weggeblasen. Am allerliebsten wäre ich umgekehrt und hätte mich unter der grünen Bettwäsche verkrochen. Doch das wäre feige gewesen. Einfach nicht richtig. Ich wusste, weshalb ich das hier auf mich nahm und das war es mir wert. Ich war es ihm schuldig.

 

Als uns das dichte Blätterdach der nahen Bäume empfing, atmeten wir alle drei erst mal ganz tief durch. Das war schon kein kleiner Stein mehr, der mir in diesem Augenblick vom Herzen fiel …

Doch wir hielten keine Sekunde lang inne. Sofort gingen wir tiefer in den Wald, um möglichst schnell möglichst viel Raum zwischen uns und das Bergwerk zu bringen. Die Angst entdeckt zu werden, ließ uns auch nicht mehr los, als wir alle drei vor Entkräftung eine Pause machen mussten.

Erschöpft lehnte ich meine Arme gegen einen nahestehenden Baum und ließ den Kopf ebenfalls dagegen sinken. Der Geruch von nasser Baumrinde kitzelte in meiner Nase. Die Jacke schütze meine Haut davor, von der scharfen Rinde aufgescheuert zu werden. Meine Hände zitterten so stark, dass ich die Finger zu Fäusten zusammenballen musste, um mich wieder auf das Luftholen konzentrieren zu können. Meine Brust schmerzte und mein Atem ging flach. Ich hörte das Blut ohrenbetäubend laut in meinem Kopf rauschen.

 

„So, nun sind wir hier irgendwo in der Walachei und haben keine Ahnung, wie wir jetzt weitermachen sollen, hab ich Recht?“ Ich blickte noch immer auf die Rinde des Baumes vor mir und konnte deshalb ihr Gesicht nicht sehen, doch ihre Stimme verriet mir genug, um ihre Stimmung einschätzen zu können. Auch sie rang immer noch nach Atem.

„Du meintest wir müssen zu diesem alten Krankenhaus. Das liegt doch in der Nähe von Lobingen, oder? Dann gehen wir eben dahin.“ Adelio räusperte sich. Wahrscheinlich war sein Mund auch so trocken wie meiner. Wir hätten etwas zu trinken mitnehmen sollen.

„Gehen? Sollen wir uns echt acht Kilometer durch den Wald schlagen? Was denkst du, wie lange das dauert? Wir haben keine Zeit für einen Spaziergang!“

„Ach, das gefällt dir nicht, Blondie? Jammer schade, dass mein persönlicher Hubschrauber grade in der Wartung ist!“

„Nenn mich nicht immer Blondie, du Muttersöhnchen! Ich habe keine Lust mehr mich von dir beleidigen zu lassen! Als ob du der größte Held von allen wärst! Pah! Dabei machst du dir doch selber gerade vor Angst in die Hose, stimmt’s?“

„Du wagst es wirklich …!“

 

„Hört auf, es reicht!“ Ihre Stimmen verstummten, als mein kratziger Schrei ihr Gespräch unterbrach und ich mich langsam zu ihnen umdrehte. Ihre Köpfe waren in meine Richtung gewandt, doch ich konnte alles nur unscharf erkennen. Ich hatte gar nicht bemerkt, dass ich angefangen hatte zu weinen, doch nun ließen die Tränen meinen Blick verschwimmen. Schnell fuhr ich mit dem Handrücken über die Augen, um das Nass daraus zu vertreiben. „Hört gefälligst auf damit! Wir haben grade keine Zeit für so was, verdammt noch Mal! Jaden ist schon seit Stunden in der Gewalt von Mördern und ihr verplempert die kostbare Zeit mit kindischen Streitereien!“

Ein leises Schluchzen drang aus meiner Kehle und ich spürte erneut eine Flüssigkeit auf meiner Wange. Haltsuchend umklammerte ich meine Oberarme.

„Wir haben doch keine Zeit … Wir müssen ihn finden. Wir müssen Jaden finden, bevor er … Bevor …“ Ich kämpfte gegen den Gedanken an und versuchte mich zu beruhigen. Ich durfte jetzt nicht die Nerven verlieren. Nicht jetzt!

 

„Amelina …“ Ich bemerkte Adelio ernst, als sich seine Hand auf meine Schulter legte. Ich blickte auf und sah ihn durch meinen Tränenschleier an. „Entschuldige. Du hast natürlich Recht. Wir werden keine Sekunde mehr verschwenden und werden ihn finden, versprochen.“ Der wütende Unterton war wieder komplett aus seiner Stimme verschwunden und seine sanfte Seite hatte erneut die Oberhand gewonnen. Ich nickte ihm zu und vertrieb nun die letzten Tränen aus meinen Augen.

„Und was machen wir jetzt?“ Aurelia hatte sich keinen Millimeter von der Stelle bewegt und sah mit einem starren Blick zu uns hinüber. Beinahe erschrak ich vor dem leeren Ausdruck in ihren Augen. So … kalt hatte ich diese noch nie gesehen.

„Laufen dauert zu lange, also müssen wir fahren. Und mir fällt grade ein, wie wir das machen können. Los, kommt.“ Seine Hand verschwand von meiner Schulter und er übernahm erneut die Führung unserer kleinen Gruppe. Aurelia folgte ihm sofort ohne ein weiteres Wort und ich zwang meine tauben Beine es ihr gleich zu tun.

 

Der Weg durch den Wald war beschwerlich. Obwohl wir uns beeilten, verhinderten umgekippte Bäume, Pflanzen und dichtes Geäst ein schnelleres Vorankommen. Ich hatte das Gefühl, als kämen wir überhaupt nicht vorwärts. Mein Herz begann zu rasen, als sich ein Gedanke in meinem Kopf einnistete und wie Säure mein Gehirn zerfraß. Was, wenn wir nicht rechtzeitig ankamen? Wenn der Weg einfach zu weit war? Wer weiß, wie viel Zeit ihm noch blieb? Was sollten wir bloß tun, wenn Jaden schon … Wenn es bereits zu spät war?

Ich umfasste mit meinen Händen einen Teil meiner Haare und zog so kräftig daran, dass es schmerzte. Nein, daran durfte ich nicht denken. Es war nicht zu spät, das wusste ich genau. Wir waren auf dem Weg zu ihm und wir würden ihn retten. Uns blieb keine andere Wahl. Ohne Jaden waren wir alle verloren.

 

Ein lautes Brummen mischte sich unter unsere regelmäßigen Atemzüge und ein helles Licht blitzte zwischen den Bäumen auf. Obwohl der Morgen sich bereits ankündigte, hing noch immer die tiefe Nacht über dem Wald. Darum erschreckte mich das Licht umso mehr. Waren das Taschenlampen? Waren die Männer der letzten Nacht zurückgekommen? Sofort setzte mein Herz für ein paar Sekunden aus und ich musste es zwingen seinen Dienst wieder aufzunehmen. Nein, das war viel zu hell gewesen für eine Taschenlampe. Das musste etwas deutlich Größeres gewesen sein.

 

Ein paar Schritte später merkte ich, wie sich plötzlich der Boden unter mir veränderte. Der weiche Waldboden ebnete sich mehr und mehr und an seine Stelle traten Kieselsteine, die das Laufen deutlich erleichterten. Einen Moment später lichteten sich die Bäume und eine breite Schneise verlief mitten durch den Wald. Der graue Steifen, der den Boden nun überzog, ließ mir kurz den Atem stocken. Eine Straße! Doch weit und breit war kein Auto zu sehen. Was hatte Adelio vor?

„Ich glaube, ich weiß, wo wir sind. Wir müssen nur noch ein paar Meter die Straße rauf. Also los. Keine Müdigkeit vorschützen!“ Sofort machte der Braunhaarige sich wieder auf den Weg und folgte der geraden Straße auf dem Seitenstreifen entlang.

 

Der Himmel begann langsam seine dunkle Farbe abzulegen und ein intensives Orange schwebte dicht über dem Horizont. Die hellen Wolken, die sanft über uns hinweg zogen, zeigten kein Anzeichen von baldigem Regen. Es war wohl nur eine Frage der Zeit, bis die sommerlichen Temperaturen wieder zu spüren wären. Ich bemerkte jetzt schon, dass die Schweißtropfen auf meiner Stirn nicht alle vom Laufen kommen konnten.

Es dauerte nicht lange, ehe wir auf eine Kreuzung stießen und ich endlich das entdeckte, was Adelio zu suchen schien. Schlagartig dämmerte mir seine Idee und ein kleiner Funken Hoffnung in mir vertrieb die schlechten Gedanken. Wir konnten es immer noch schaffen!

„Eine Bushaltestelle?“ In Aurelias Stimme klang sowohl eine gewisse Skepsis, als auch etwas, was ich als Bewunderung beschreiben würde, mit. „Woher wusstest du, dass hier eine ist?“ Ein wissendes Lächeln trat auf das Gesicht des jungen Mannes.

„Wenn du dich nicht immer im Bergwerk verschanzt hättest und Mal mit uns rausgegangen wärst, wüsstest du von dieser Bushaltestelle, Aurelia.“ Er zwinkerte mir zu. „Und wenn ich richtig liege, müsste es in ein paar Minuten weitergehen“, meinte er und ging die letzten Schritte hinüber zur Haltestelle. Sein Blick fiel auf einen in einem Schaukasten ausgestellten Zettel, den ich als Fahrplan identifizierte. Er warf einen kurzen Blick auf seine Armbanduhr, die bis eben verborgen unter seiner Jacke geruht hatte, und ein breites Grinsen erschien auf seinem Gesicht. „Perfekt! In sechs Minuten kommt der Fünf-Uhr-Bus! Und der fährt auch noch in die richtige Richtung! Zum Glück habe ich mein Portemonnaie noch schnell eingesteckt.“

Ich zuckte kurz zusammen. Ich hätte mich in diesem Moment innerlich ohrfeigen können! An so etwas Banales wie Geld hatte ich nicht eine Sekunde lang gedacht! Ich war wirklich absolut unfähig alleine zurechtzukommen …

 

Als ob plötzlich sämtliche Muskeln aus meinen Beinen verschwunden wären, sackte ich auf der Metallbank zusammen. Dass diese nass war und damit meine Hose durchweichte, war mir in diesem Moment völlig egal. Hauptsache sitzen. Ein seltsames Kribbeln meldete sich in meinen Oberschenkeln und ich rieb mit den Händen darüber, um meine Beine wieder zu beruhigen. Ich hätte mich doch nicht immer vor dem Sport drücken sollen.

Wir warteten schweigend, bis tatsächlich ein Bus in der Ferne zu sehen war und dieser direkt auf uns zusteuerte. Beinahe mühsam richtete ich mich auf und stellte mich zu Adelio und Aurelia an die Stelle, an der der Busfahrer anhielt.

Während Adelio uns Fahrkarten besorgte, liefen Aurelia und ich durch den menschenleeren Bus. Außer uns und dem Fahrer war niemand zu sehen. Auf den Plätzen hinten im Bus ließen wir uns nieder. Der Wagen fuhr an, noch ehe der Braunhaarige sich zu uns setzen konnte. Abwesend blickte ich aus dem Fenster, ohne wirklich etwas zu sehen.

 

Auch die Fahrt über sagte niemand ein Wort. Wir alle waren stumm in Gedanken versunken. Wahrscheinlich dachte jeder darüber nach, wie er in einem Stück aus der Sache wieder rauskommen konnte. Auch in meinem Kopf spukten diverse Fragen herum, die ich alle nicht beantworten konnte.

Ich war nicht allein. Das war ein größerer Trost, als ich gedacht hatte. Doch waren wir drei wirklich in der Lage es mit einer gefährlichen Bande von Dieben und Mördern aufzunehmen? Was konnten wir ihnen schon entgegensetzen?

Doch zwischen all den Fragen und Zweifeln gab es immer dieses eine Bild. Dieses Bild, was mich von innen her zerriss. Leere Augen. Ein See aus Blut, in dem die kupferroten Haare wie auf Wasser schwebten. Eine riesige Wunde. Das durfte nicht passieren! Nein. Nein, er durfte nicht …

 

Als sich Adelios Hand kurz auf meine Schulter legte, schreckte ich auf. Die beiden waren bereits zur hinteren Tür gegangen und ein kleines Licht auf der Anzeige verriet mir, dass jemand den Halteknopf betätigt hatte und wir an der nächsten Station aussteigen wollten.

Schnell schob ich mich über die Sitze und in genau dem Moment begann der Fahrer abzubremsen. Meine Hände umklammerten das kalte Metall einer Haltestange, damit ich das Gleichgewicht besser halten konnte. Erst als die Tür aufschwang ließ ich diese los und verließ nach den beiden den Bus.

Inzwischen hatte sich die Dunkelheit komplett verzogen und ein vorwiegend hellblauer Himmel machte es möglich die Umgebung zu erkennen. Ich bemerkte, dass auch die Luft sich seit unserem Aufbruch deutlich erwärmt hatte. Ich ahnte, dass unsere Jacken sehr bald lästig werden könnten. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite streckten sich zahlreiche Felder bis zum Horizont. Nur eine kleine Straße trennte diese und führte scheinbar geradewegs zu einem kleinen Dorf, dessen Häuser in neblige Schwaden getaucht waren.

Auf dieser Seite erstreckte sich erneut ein großer Wald, der ebenfalls von einer breiten Straße durchzogen war. Das Ende des Weges war nicht zu sehen, da ein Hügel die Sicht versperrte, doch ein altes, großes Schild bewies uns, dass wir auf der richtigen Spur waren.

„‘Schwarzhügel Klinik‘? Sieht nicht besonders einladend aus“, meinte Aurelia skeptisch.

„Kein Wunder, dass es die nicht mehr gibt. Erholung suchte man hier wohl vergeblich“ Adelio legte den Kopf schief. Seine Lippen waren zu einem engen Strich zusammengepresst. „Aber uns bleibt keine andere Wahl. Wir sollten endlich von dieser Straße runter, bevor wir noch von den falschen Personen entdeckt werden.“

 

 Schnell huschten wir ins Unterholz und begannen wieder uns einen Weg durch die trockene Vegetation zu schlagen. Tannennadeln und abgebrochene Äste säumten den rissigen Boden. Die Kronen der Bäume und Tannen schützen uns zumindest etwas von der gleißenden Hitze des Sommers. Mein Herz schlug bei jedem Schritt heftig gegen meinen Brustkorb und ich bildete mir ein überall Geräusche und Stimmen zu hören. Sie durften uns nicht finden! Das wäre unser Todesurteil …

Wir eilten etliche Minuten durch den Wald, bis sich zwischen den zahllosen Bäumen graue Gebäude abzeichneten. Ehe wir die letzten Pflanzen hinter uns ließen, erkundeten wir aus unserem Versteck heraus die Umgebung.

 

Sofort übermannte mich ein eiskalter Schauer. War ich abergläubisch? Glaubte ich an Übernatürliches? Bisher hätte ich definitiv ‚nein‘ gesagt, aber der Anblick, der sich uns in diesem Moment bot, ließ die Vermutung, dass es so etwas wie Geister wirklich gab, gar nicht mehr so abwegig klingen.

Wie ein dunkler Koloss aus Holz, Pflastersteinen und Beton ragte das Gebäude vor uns auf. Die ehemals graue Außenfassade, war übersät von Flecken, Wasser und Dreck, sodass von der eigentlichen Farbe kaum noch etwas zu erkennen war. Die abgerundeten, roten Fenster, die einstmals die Zimmer und Flure mit Licht versorgt und von den Wetterbedingungen der Außenwelt beschützt hatten, waren nun entweder zerschlagen oder gänzlich mit Brettern vernagelt. Wie ein dunkler Schlund kam mir das Schwarz hinter den gesprungenen Scheiben vor. So, als ob hinter ihnen eine andere Dimension läge.

Der zerfallene Eingang, der einmal eine von vier Säulen getragene Überdachung besaß, erweckte nun keinen einladenden Eindruck mehr. Moos und Pflanzen hatten die ehemals gepflegten Rasenflächen vor dem Gebäude zurückerobert und auch die Straße war ihnen zum Opfer gefallen.

Die wenigen Bäume, die den Naturgewalten bisher trotzen konnten, ragten wie die Finger des Teufels in den Himmel. Als ein Windstoß durch die ehemalige Klinik pfiff, bildete ich mir ein Menschen schreien zu hören. Mein Atem stockte.

Nur der Maschendrahtzaun, der, ähnlich wie bei unserem Bergwerk, das Gelände umschloss, trennte uns noch von dem unheimlichen Ort. Mein Körper schrie mir innerlich zu, diese letzte, sichere Grenze nie zu überschreiten, obwohl er wusste, dass ich es doch tun musste.

 

Was mich jedoch noch mehr beunruhigte, als der Anblick dieses Jahrhunderte alten Gebäudes, war die hier herrschende Stille. Kein Geräusch schien bis hierher vorzudringen. Kein Brummen von auf der Landstraße fahrenden Autos, kein Zwitschern eines Vogels und erst recht kein Anzeichen von menschlichem Leben.

Wo waren die schwarzen Männer? Waren sie da wirklich drin? Wenn ja, wo? Hatten sie uns schon entdeckt? War unsere Rettungsmission bereits gescheitert, bevor sie richtig begonnen hatte?

Ich richtete meinen Blick auf Adelio, der nur einen Schritt von mir entfernt um einen Baum herum lugte. Sein Gesicht war vor Anstrengung verzerrt und er schien tief in Gedanken zu sein. Auch in Aurelias Zügen konnte ich die Anspannung deutlich sehen. Ich selbst sah wahrscheinlich nicht viel besser aus. Vom Gefühl her war nicht ein Tropfen Blut mehr in meinem Gesicht. Ich musste aussehen wie eine Leiche.

 

Ich spürte Adelios Blick auf mir und wandte mich ihm zu. Ohne ein Wort zu sagen bedeutete er uns, ihm zu folgen. Wenn mein Herz bis eben noch nicht gänzlich in meine Füße gerutscht war, dann war es das spätestens jetzt. Ich zwang meine Beine sich in Bewegung zu setzen und folgte dem Braunhaarigen am Rand des Waldes entlang. Eine Weile liefen wir parallel zum Zaun und folgten einem seitlich zum Haupthaus verlaufenden Trakt, ehe wir endlich das entdeckten, was wir suchten: Ein Loch im Zaun.

Zum Glück war die Stelle durch Büsche und Bäume soweit von eventuellen Blicken abgeschottet, dass wir es wagten uns durchzuschlängeln. Auf der anderen Seite angekommen, huschten wir so schnell und leise wie möglich zu dem Gebäude hinüber und pressten uns gegen die Wand. Um nicht gesehen zu werden, duckten wir uns und suchten einen Weg hinein.

Ich hatte den Atem angehalten, sodass mein Blick langsam verschwamm. Doch ich wagte es nicht, den dringend benötigten Sauerstoff in meine Lungen zu lassen, aus Angst, man könnte es hören und uns entdecken.

 

Als wir hinter zahlreichen Büschen eine Treppe entdeckten, die sich in die Erde grub, musste ich mich stark zusammenreißen, um nicht sofort dahin zu hechten. Schnell verschwanden wir zwischen den Betonmauern, möglichst ohne das völlig durchgerostete Geländer zu berühren. Rote Rostflusen stoben von den moosbedeckten Stufen auf, als wir diese hinunter eilten. So wie es aussah, war diese Treppe schon seit Ewigkeiten nicht mehr benutzt worden.

Am unteren Ende erwartete uns eine ehemals dunkelgraue Metalltür, die sich beinahe unsichtbar in die ebenfalls graue Wand schmiegte. Ein widerlicher Gestank von verschimmeltem Laub und verwesenden Tieren drang aus dem im Beton eingelassenen Abfluss. Ich gab mir große Mühe, meine letzte Mahlzeit in meinem Körper zu behalten.

Vorsichtig streckte Adelio die Hand nach der Klinke aus und drückte diese herunter. Keiner von uns schien wirklich überrascht darüber, dass die Tür nicht sofort aufschwang. Doch davon ließ sich niemand abschrecken. Mit einem kleinen Metallstück, das vom Geländer stammen musste, stocherte der Braunhaarige einige Zeit in dem alten Schloss herum und diesmal waren wir tatsächlich verwundert, als ein leises, schon fast zaghaftes, Klicken ertönte und das Metall uns Einlass gewährte.

Vor uns herrschte absolute Dunkelheit. Nur durch das Öffnen der Tür war es möglich zu erkennen, dass sich ein langer Gang vor uns erstreckte. Sobald diese jedoch wieder geschlossen sein würde, wäre die Hand nicht mehr vorm Auge zu erkennen. Etwas, was mir so gar nicht behagte. Eine Welle aus furchtbar heißer und stickiger Luft raubte mir beim Betreten kurz den Atem.

 

Doch wir durften nicht trödeln, also betraten wir drei das alte Gebäude, ehe die Tür hinter uns leise ins Schloss fiel. Tatsächlich war es stockdunkel und ich ging so weit an den Rand des Flurs, dass ich mich an der Wand entlangtasten konnte.

Staub und Dreck knirschten bei jedem meiner Schritte. Unser aufgeregtes Atmen erklang zischend in der Dunkelheit und verriet mir so ungefähr den Aufenthaltsort meiner Begleiter. Schritt für Schritt wagten wir uns tiefer hinein, ohne zu wissen, was auf uns zukommen würde.

Ich weiß nicht, wie lange wir in diesem schier endlosen Gang herum irrten und uns tastender Weise um Ecken und Abbiegungen herum schlängelten, bis ein dumpfes Licht unscharfe Umrisse zeichnete. In wenigen Metern schien dieser pechschwarze Gang endlich ein Ende zu nehmen. Die Schemen von rostigen Türen und zerfallenen Schränken zeichneten sich im Licht einiger weniger Fenster und Lampen ab und ich seufzte erleichtert auf. Es würde uns bestimmt ein wenig helfen, wenn wir wenigstens die Hand vor Augen sehen konnten. Doch leider würden uns so auch andere Leute einfacher entdecken können …

 

Etwas, das sich wie eine Schraubzwinge um meinen Oberarm schloss, zog mich urplötzlich zur Seite. So schnell, dass ich die Umrisse um mich herum nicht mehr klar sehen konnte. Ich sah nur einen Wirbel aus gedämpften Farben, ehe ich so schwungvoll gegen eine Betonwand knallte, dass mir die Luft aus den Lungen gepresst wurde. Erschrocken keuchte ich auf.

Im Licht einer bereits flackernden Glühbirne, die einige Meter entfernt leuchtete, lag ihr Gesicht in verzerrten Schatten. Das Blitzen in ihren grünen Augen war mir trotzdem nicht entgangen. Doch dieses Funkeln hatte keine Freude, kein Glück in sich. Nein. Es erinnerte mich eher an das Aufblitzen eines tödlichen Messers.

 

„Hör zu, Kleine.“ Aurelia stand nun direkt vor mir. Mit ihren Händen hatte sie meine Handgelenke umschlossen und drückte diese nun neben meinem Kopf gegen die Mauer. Ich war nicht in der Lage mich zu bewegen. Selbst, wenn ich nicht durch die panische Angst in meinem Inneren wie gelähmt gewesen wäre. Ich hatte noch nie so viel Hass in einer menschlichen Stimme gehört. „Ich weiß nicht, was du hier für eine Show abziehst …“, fuhr sie im Flüsterton fort. Doch jedes Wort stach auf mich ein wie die Klinge eines Messers. „Aber es reicht mir wirklich. Du bist nur eine unbedeutende Nervensäge, die Jaden aus purem Verantwortungsbewusstsein gerettet hat, und mehr nicht, kapiert? Seit du hier aufgetaucht bist, ist alles völlig aus dem Ruder gelaufen! Das kleine, süße, unschuldige Mädchen muss doch beschützt werden!“ Sie spie mir die Worte wie Säure ins Gesicht. „Du bist einfach widerlich. Spielst hier die große Heldin! Aber lass dir eins gesagt sein … Jaden gehört mir, ist das klar? Ich kenne ihn schon deutlich länger als du und bin schon eine gefühlte Ewigkeit mit ihm zusammen! Ich liebe ihn! Er gehört mir! Also hör auf weiterhin diese Nummer abzuziehen! So ein kleines, verwöhntes Gör wie dich hat so jemanden wie Jaden überhaupt nicht verdient!“ Ich spürte ihren erhitzten Atem auf meiner schweißnassen Haut, doch mir war, als würde ich innerlich erfrieren. Meine Augen waren so weit aufgerissen, dass es bereits wehtat. „Ich dulde dich nur, um ihn zu finden und weil ihm anscheinend wirklich etwas an dir liegt. Blöder Beschützerinstinkt. Wenn er wieder da ist, kannst du von mir aus zur Hölle fahren!“

 

Ich keuchte. So, als hätte sie eben wirklich auf mich eingestochen. Ein Wimmern, wie das eines kleinen Kindes, entfleuchte meiner Kehle und meine Knie zitterten so stark, dass ich glaubte, ich wäre zusammengebrochen, wenn Aurelia mich nicht an die Wand genagelt hätte.

„Verstanden?“, zischte sie und ich konnte nur unmerklich nicken. „Gut.“ Der Druck an meinen Gelenken verschwand, und ich spürte nur, wie meine Arme wie nasse Säcke an beiden Seiten herunterfielen. Sie schienen gar nicht mehr zu meinem Körper zu gehören. Wenn die Wand in meinem Rücken mich nicht gestützt hätte, hätten meine Beine wahrscheinlich ebenfalls nachgegeben. „Das will ich dir auch geraten haben.“

 

„Amelina? Aurelia? Wo seid ihr?“ Obwohl Adelio nur flüsterte, erschrak ich bei seinen Worten fürchterlich. Unsere Aufmerksamkeit richtete sich auf den jungen Mann, dessen Blick wieder in den Gang gerichtet war, in dem wir noch standen. Er hatte von unserem … Gespräch anscheinend überhaupt nichts mitbekommen. Ich wollte ihm antworten, doch brachte kein Wort zustande. Was sollte ich ihm auch sagen?

„Wir kommen sofort. Wir haben uns nur kurz ausgeruht. Hast du schon etwas entdeckt?“ Bei den letzten Worten hatte sie sich bereits in Bewegung gesetzt, ohne mich eines weiteren Blickes zu würdigen. Ich bekam keine Luft. Es war, als würde sie noch immer vor mir stehen und mich gegen die Wand drücken. Mein Körper war so wahnsinnig schwer. Der Kloß in meinem Hals ließ mich würgen.

Ich hatte es gewusst, ich war ja nicht blind. Ich wusste, was er ihr bedeutete. Aber hatte ich mich wirklich so sehr in ihr getäuscht? Ich hatte wirklich geglaubt, dass sie eigentlich ganz nett sein konnte. Doch jetzt hatte ich es begriffen. Sie war gefährlich …

„Lina? Kommst du? Wir müssen uns beeilen!“ Einen kurzen Moment wusste ich nicht, was ich tun sollte. Sollte ich ihm erzählen, was gerade passiert war? Oder würde dadurch alles nur noch schlimmer werden? Konnte ich es überhaupt richtig machen?

 

Ich schaltete meinen Kopf ab. Das war alles, was ich tun konnte. Ich stieß mich von der Wand ab und schüttelte kurz die Hände aus, während ich meinen Atem zwang, sich wieder zu normalisieren. Mit wenigen Schritten ging ich auf Adelio zu und lief langsam an ihm vorbei, ohne ihm ins Gesicht zu sehen.

„Entschuldige. Ich war wohl wirklich etwas erschöpft. Geht aber schon wieder.“ Meine Stimme war leise aber fest. Ich konnte mich von Aurelia nicht davon abbringen lassen, weshalb ich hierhergekommen war. Egal was sie für ihn empfand und egal, was er über sie dachte. Ich war es ihm schuldig ihn hier rauszuholen und nicht ihr. „Lasst uns weiter und das hier schnell hinter uns bringen.“ Der Blonden, die an der nächsten Tür bereits ungeduldig auf uns wartete, schenkte ich keine Beachtung. Wenn sie mich nicht leiden konnte, schön! Dann eben nicht! Denn ich konnte sie ebenfalls noch nie leiden!

 

Und wie sagt man so schön? Wer braucht schon Feinde, wenn er solche Freunde hat?


Nachwort zu diesem Kapitel:
Kapitel 16 - "Feinde" kommt wie immer in zwei Wochen! :D (24.-26. Oktober)

PS.: BrD ist zwar gerade erst beendet, aber ich sitze trotzdem schon wieder an einer neuen Geschichte xD
Okay, bin noch in der Ideenfindungsphase, aber das war ich habe, gefällt mir jetzt schon recht gut xD
Man darf gespannt sein! :D
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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Von:  Saph_ira
2015-09-26T17:05:00+00:00 26.09.2015 19:05
Huhu, nun komme ich wieder mal dazu deine FF zu lesen und kommentieren - tut mir leid, dass es etwas länger gedauert hat als beabsichtigt. ^^ Es ist sehr interessant und spannend, wie deine Figuren von Kapitel zu Kapitel sich entwickeln. ;-) Ein großes Lob dafür - man weiß gar nicht mehr, wem man da vertrauen sollte, aber genau das macht deine Geschichte umso mehr fasziniernder. XD Besonders bei deiner Hauptfigur Amelina spürt man die charakterliche Veränderungen deutlich - auch wenn sie noch Angst hat und Tränen laufen läßt, was völlig verständlich in ihrer Situation ist, entwickelt sie Schritt für Schritt weiter und wirkt stärkter, selbstbewusster als zu Beginn. :-) Ich werde auf jeden Fall weiter lesen, so bald ich wieder die Zeit dafür finde. :-)

PS.: Jaden und seine undurchschaubare Persönlichkeit gefällt mir immer noch am meisten. XD Ich hoffe, ihm ist nichts Schlimmes passiert - das wäre ja jammerschade, denn troz ich aus seinem Charakter und Handel nicht schlau werde, und er mir in manchen Szenen suspekt ist, hab ich ihn irgendwie doch noch ins Herz geschlossen. ^^

Liebe Grüße
Saph_ira
Von:  RhapsodosGenesis
2014-10-10T17:41:38+00:00 10.10.2014 19:41
Nervenkitzel, Kumpel, Nervenkitzel ... Das ist weder Fantasy noch Krimi - sowas nennt man Horror-Thriller ... Ohhhh, Mann, so erkennt man, wie schoen es ist, in einer heilen Welt zu leben - danke! Wo einem keine Freunde in den Ruecken fallen, ohne leere Geisterbusse, ohme gruselige Waldwege, dunkle Hoehlen und vor allem: ohne verlassene Krankenhaeuser (die haben mich aber auf eine revolutionaere Idee gebracht! Die Schwarzen Maenner koennten Hebammen werden und den Babies den Stein klauen >) ... Ja! Echt super, aber in Anbetracht dessen, dass hier gerade echt was Schlimmes abgeht, muss ich trotzdem ein Lob an Lina aussprechen: Sie ist toll. Sie ist hundertprozentig glaubwuerdig und ein sehr toller Charakter - vor allem, wenn man sie als Held betrachtet. Sis weiss nichts, bekommt nichts alleine hin, wird vom Unglueck verfolgt und faengt bei jeder Gelegenheit zu weinen an (wobei man bei Letzterem zugeben muss, dass es such hierbei staendig um Extremsituationen handelt. Und sie war 18 Jahre lang ein normales "verwoehntes" Maedchen, dem es einfach rundum gut ging [Sache mit Bruder ausgenommen] ... Es ist selbstverstaendlich, dass sie das nicht schafft! Beziehungsweise: nicht schaffen sollte.
Sie erinnert mich vom Charakter her schon ziemlich an mich selbst, aber der gravierendste Unterschied ist, dass sie stark ist, durchhaelt. Auch wenn sie sich gruslige Stimmen einbildet und wenn sie sich davor fuerchtet , jemanden zu entdecken, der sie entdecken koennte - allein dadurch, dass sie das alles auf sich nimmt, um eine Schuld zu begleichen, zeugt von Heldenmut. Jaden koennte doch tot sein, bis sie ihn erreicht. Die Wahrscheinlichkeit, dass sie alle sterben werden, ist sooooooooo himmelhoch!! Und dennoch wagt sie es, geht bis zum Ende. Sie haette es sich ja auch bloss vornehmen und dann abbrechen koennen. Jeder andere haette das getan, waere mit Polizei und Armee ausgerueckt ... aber sie versucht es so!! Unx darum mag ich sie so sehr *-*b
Also: Super Charakter, ich kann es nur wiederholen.

Adelio ist echt super xD Er hat alles dabei!! Geld, Uhr .. und irgendwo vielleicht drei Waffen, das waere auch noch schoen. Dass er in solchen Situationen noch so berechnend und vernuenftig sein kann, obwohl seine Nerven - am Weg zur Hoelle - genauso blank liegen wie die der anderen!! Der unnoetige Streit - wo Lina so unglaublich toll war, wo sie so perfekt gehandelt hat - beweist das nur (falks das mit Linas Reaktion sarkastisch klingen sollte: Ist es nicht. Echt nicht! Das ist meine Lieblingsszene im Kapitel *-*) ...

Und dann noch der kleine Sonderfall. Dass Aurelia nyr oberflaechlich nett ist, hat man ja schon mitbekommen - sie auch die eine oder andere Eifersuchtsattacke. Aber das hier geht echt zu weit!
Alleine waere Aurelia nicht in der Lage gewesen, da hin zu kommen. Sie sollte ihre Begleitung schaetzen, wie es Lina getan hatte - und nicht bedrohen!! Hallo? Ihr kaempft vermutlich gleich gegen bewaffnete Irre! Da braucht man Rueckendeckunf und nicht ... Misstrauen. Ich rieche da schon ihren ausgewieften Plan, den sie an der Bushaltestelle entwickelt hat :P Oh, freu ich mich schon darauf :/ Aber hoffentlich irre ich mich úù
Dass sie fuer ihre Liebe, die wohl nicht mal eine Segenssteinliebe ist (Oder geht das mit zwei unterschiedlichen Leuten?), alles riskiert, aber auch alles versucht, ist bewundernswert. Nur bin ich kein Fan von ihrer Methode ... :( Mal sehen, was uns von der Richtung noch trifft ><

Dann muss ich einmal mehr deinen horrormaessigen Schreibstil loben! Wie man mit Lina mitfuehlen kann, wie man sich in sie hineinversetzen und mit ihr fuehlen kann, ist einfacb unglaublich!! Vor allem die Angst!! Also: riesiges Lob!

Aber diesmal sind noch recht viele Fehler (auch Satzstellungs- und Wortfehler) drinnen ... Die schlimmsten werden beim ReRead auffallen, die anderen darf man ignorieren ;)

Also: Es war wieder super, die zwei Wochen waren viel zu schnell um und ich freue mich schon riesig aufs naechste Kapitel!! Weiter so, es bleibt spannend!!

PS: Worum geht es in der neuen Geschichte? :)
Antwort von:  MarySae
10.10.2014 21:54
Vieeeeeelen, vielen Dank für das tolle Kommentar! <3
Ich freu mich echt gleich mehrere Schnitzel! <3 <3 (Auch wenn der untere Teil mit den vielen Satzfehlern mir ein Schnitzel wieder weg nimmt... Hab das doch so oft gelesen! Ach, verdammich...)

Aber gut. Nichts desto trotz freue ich mich wahnsinnig, dass Lina dir so gut gefällt! <3
Sie ist mir beim Schreiben echt ans Herz gewachsen ^^ Umso toller, wenn sie beim Leser gut ankommt! :D
Und vorallem, dass sie trotz der ganzen Fiction noch... real ist <3 Nargh, ich freu mich! <3

Adelio ist super vorbereitet (so gut es eben ging), Aurelia eine riesen Zicke und Amelina die möchtegern Starke, die nur heult. Perfektes Team xD
ahhh, die nächsten zwei Kapitel sind meine Lieblingskapitel! <3 Würde sie am allerliebsten gleich sofort hochladen, weil ich echt sau gespannt bin, wie die ankommen xD
Aber ich muss mich zusammenreißen, auch wenn es mir wahnsinnig schwer fällt! T^T Zwei Wochen... Geht bloß schnell rum! *drohend mit der Faust schüttel*

Äh, okay, ja. Ich schweife ab ^^
Also noch Mal ein super großes Danke für deinen Kommentar! <3
Kann es immer kaum abwarten ein neues Kapitel hochzuladen und deinen Kommi zu lesen xD
Danke <3

PS: Wird noch nicht verraten! :D Idee steckt noch in den Babyschuhen! ;) Wenn ich was neues habe, erfährt Animexx es als erstes! xD
Von:  Nott
2014-10-09T19:01:32+00:00 09.10.2014 21:01
Irgendwie wusste ich gleich, aus wem dieser kleine Trupp da bestehen würde :D Wuhu, auf gehts!
Und schon wieder weint die Gute, seufz. Wirklich starke nerven hat die wirklich nicht xD
Finds ja auch sehr mutig, einfach in deren Häuschen einzubrechen, ohne irgendwie bewaffnet zu sein, nen Plan zu haben oder sonst sowas unnötiges xD
Aurelias Stimmungswandel ist auch wieder seeehr plötzlich O: Blöde Zicke. Wenn auch ein bisschen klischeehaft, dass sie gleich so extrem unsympathisch sein muss, aber warum nicht ^^ Dabei wissen wir doch alle schon, dass ihr Segensstein zu ihr gesprochen hat, als sie Jaden das erste Mal getroffen hat >: Auch wenn sie das nicht so gedeutet, verdrängt oder was auch immer hat xD

Antwort von:  MarySae
10.10.2014 06:03
Ja, die Gute weint wirklich des Öfteren. Würde ich aber wahrscheinlich auch machen xD
Ist schwer zu sagen, wie sich ein Mensch in so einer Situation verhalten würde, aber fröhlich wäre wohl niemand. :/

Tja, sie hatten wohl keine Wahl um irgendwas zu planen.
Aber wer weiß, was sie sich in ihrem Kopf schon zurecht gelegt hatten? Vielleicht gab es ja doch einen "Plan"? Man weiß es nicht xD

Jap, der kam plötzlich und genau das wollte ich auch :D
Bis dato war sie nur ein bisschen... seltsam, aber jetzt ist sie eine richtige Zicke geworden ^^ Manchmal bricht der wahre Charakter einfach explosionsartig durch ;)

Jedenfalls, Danke für dein Kommentar! <3


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