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Creepypasta Extra 3: Last Judgement

Die Thule-Verschwörung
von

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Ezra und Cedric

Nachdem alle Wachen erledigt waren, öffneten sie mehrere Zellentüren und sowohl Nathaniel als auch Anthony bot sich ein entsetzlicher Anblick: Unzählige abgemagerte kahl geschorene Gestalten, darunter auch Kinder, waren auf engsten Raum zusammengepfercht worden und sie sahen entsetzlich aus. Viele von ihnen waren verletzt, offenbar Spuren von Folterungen. Anthony hatte nur ein Mal so schlimm zugerichtete Menschen gesehen und das war während des Holocausts. „Mein Gott“, brachte er fassungslos hervor. „Ich glaub das nicht.“ Harveys oder besser gesagt Cedrics Blick wurde zunehmend trauriger. Er ging in die Zellen und sprach tröstend mit den anderen. Schließlich erklärte er „Das ist Pristines Vorstellung von einer vollkommen reinen Welt: Elend, Angst, Terror und Massenabschlachtung. Wir haben alle zu ihr aufgesehen, weil sie das Licht unserer Welt war… unsere Hoffnung. Sie war wie Gott für uns und Gott hat uns alle verraten und begonnen, uns zu jagen, zu foltern und dann hinzurichten, weil wir nirgendwo hingehören. Ezra und ich haben dabei unsere Familie verloren und so eine Tragödie wollen wir und Johnny verhindern.“

„Aber was hat er mit dem Buch und den vier Schlüsseln vor? Wieso hat er das Buch hier gelassen und es Pristine in die Hände gespielt?“

„Weil das Buch wertlos ist, selbst mit den vier Schlüsseln. Das Buch selbst hat Johnny nicht wirklich gut versteckt und das war sein Trick. Überlegt mal gut: Nur das Lamm ist in der Lage, das Buch mit den sieben Siegeln zu öffnen und die Apokalypse zu entfesseln. Was glaubt ihr, bedeutet das?“ Anthony verstand nicht, worauf Cedric hinaus wollte und verstand erst mal nur Bahnhof, auch Nathaniel konnte nicht wirklich begreifen, was das bedeuten sollte. Dann aber kam ihm ein Gedanke und ein verrückter noch obendrein: Cedric sagte, dass die Mitglieder des alten Kultes Pristine für sie wie Gott war. Johnny war ihr Sohn und damit quasi der Sohn Gottes. Und das Lamm symbolisierte Jesus Christus, den Sohn Gottes. Jetzt dämmerte es ihm endlich. „Johnny ist dieses Lamm?“

„Ganz richtig“, bestätigte Cedric und holte nun die Gefangenen aus den Zellen. „Zwar habe ich keine Erinnerungen an damals, aber ich weiß von Johnny so viel: als er die Schlüssel versteckte, war ihm klar, dass ein Buch irgendwann gefunden werden kann. Entweder durch Zufall, oder durch gezieltes Suchen. Also absorbierte er die versiegelte Kraft, sodass das Buch selbst nicht mehr als bloße Dekoration ist. Weder Pristine noch ihre Schwester, oder sonst irgendjemand weiß davon und damit konnte Johnny seine Mutter täuschen und von sich ablenken. Und da er die Kraft des Buches in sich aufgenommen hat, kann nur er die sieben Siegel öffnen.“ Dann waren sie also umsonst hergekommen… Johnny hatte eiskalt berechnet, dass sie nach dem Buch suchen würden, um ihn aufzuhalten und das hatte er für sich genutzt. Indem er vorausberechnen konnte, dass ein paar aus Anthonys Gruppe hierherkommen würden, konnte er Cedric einschleusen, um die Gefangenen zu befreien. Irgendwie war es schon unheimlich, wie gut Johnny vorausplanen konnte. Aber andererseits schien es in seinem Interesse zu sein, diese Mischlinge vor der Vergasung zu retten und das musste ihm zugute kommen. Also beschloss Anthony, Cedric zu helfen, die Gefangenen rauszubringen. Aber nur unter der Bedingung, dass er wieder aus Harveys Körper verschwand. „Keine Sorge“, sagte Cedric schließlich. „Ich hab gesagt, dass ich ihn mir nur ausborgen werde. Wenn die Gefangenen frei sind, verschwinde ich wieder.“ Nathaniel ging zu einem kleinen Jungen hin, dem ein Auge entfernt worden war und der bitterlich weinte und tröstete ihn. Und tatsächlich gelang es Nathaniel mit seiner unglaublich positiven Ausstrahlung, den kleinen Jungen, aber auch die anderen Gefangenen zu beruhigen. Nachdem sie sichergegangen waren, dass auch alle befreit waren, machten sie sich auf den Weg, Cedric führte den Trupp an. In den oberen Etagen hörten sie einen lauten Knall und eine leichte Vibration ging durch den Boden. Offenbar ging Sally richtig zur Sache. Hoffentlich schafften sie es rechtzeitig, bevor noch die ganze Anlage zerstört wurde. Aber eines beschäftigte Anthony immer noch: seit wann wusste Johnny davon, dass das Buch selbst im Grunde wertlos war, wenn er doch seine eigenen Erinnerungen entfernt hatte? Konnte es etwa sein, dass er sie sich quasi wieder aneignete, als er die von Chris entfernt hatte? Das würde zumindest Sinn machen, nur würde ihn auch interessieren, wie weit Johnny das hier alles geplant hatte. Und was hatte er selbst vor? Wieso spielte er dieses Spiel eigentlich? „Was genau hat Johnny mit den Schlüsseln und dem Buch vor und wieso schlägt er seine Freunde zusammen und droht ihnen, sie umzubringen?“

„Keine Ahnung. Johnny ist eben Johnny und er lässt sich von niemandem in die Karten gucken.“

„Und du vertraust ihm einfach so?“

„Natürlich. Er hat schon einmal den Genozid verhindert und uns alle gerettet und deshalb glaube ich an ihn.“ Nachdem sie wieder oben waren, kam ihnen Sally entgegen. Sie sah etwas gehetzt aus und war verwirrt, als sie die vielen Leute sah. Und vor allem, als sie diese fremdartige Energie spürte, die von Harvey ausging. „Was… was geht hier vor sich?“

„Ein Typ namens Cedric ist in Harveys Körper eingedrungen und will die Gefangenen hier befreien. Er ist ein Freund von Johnny. Und? Wie kommst du voran?“

„Alle erledigt, wo ist das Buch?“ Anthony schüttelte den Kopf und musste gestehen, dass sie umsonst hergekommen waren. Tatsächlich war die Enttäuschung bei Sally nicht zu übersehen, aber sie begnügte sich damit, dass sie nicht ganz umsonst hergekommen waren. Aber eine Sache wollte Anthony dennoch wissen. „Hätte Pristine denn nicht gemerkt, dass das Buch keine Macht mehr besitzt?“

„Witzigerweise nein. Da das Buch ja durch sieben Siegel verschlossen gehalten wird, dringt nichts von seiner Kraft nach draußen. Nun gut, es strömt eine unverkennbare Aura aus, aber auch das hat Johnny bei seinem Plan berücksichtigt. Indem er dem Buch die Aura selbst gelassen hat, war Pristine irrtümlich davon ausgegangen, dass es noch seine Kraft besäße und hat die Schlüssel eingesetzt, um die Siegel zu öffnen. In dem Moment hat Christine sie angegriffen und Johnny hat sich mit Buch und Schlüsseln aus dem Staub gemacht. Bis heute hat Pristine diesen Trick nicht durchschaut und glaubt immer noch, das Buch wäre noch zu gebrauchen.“ Eines musste man Johnny lassen. Obwohl er einen miesen Charakter hatte, war er cleverer, als er aussah und erschien. Aber gleichzeitig war er auch ziemlich abgebrüht und hinterhältig. Es fiel Anthony nicht gerade einfach, ihm und seinen Plänen überhaupt ansatzweise zu vertrauen, doch jene, die ihn länger kannten, schienen von seinen guten Absichten überzeugt zu sein. Plötzlich blieb Sally stehen und ergriff Anthonys Arm. Ihr Blick verriet mehr als Worte. Jemand mit einer starken unmenschlichen Aura war aufgetaucht. „Wer ist es?“

„Johnny“, erklärte sie und sah zu Nathaniel, der den kleinen einäugigen Jungen an die Hand genommen hatte. „Er ist draußen und scheint zu warten.“

„Na super… das wird ja immer besser.“ Da es keinen Sinn machte, sich im Gebäude zu verstecken, blieb ihnen keine andere Wahl, als direkt auf Konfrontation mit Johnny zu gehen. Kaum, dass sie draußen waren, kehrte Leben in die Gefangenen zurück und sie liefen in alle Richtungen davon. Diejenigen, die zu schwach oder zu verletzt zum Laufen waren, wurden getragen. Es war wirklich das gleiche schreckliche Bild wie damals vor fast 70 Jahren und Anthonys Brust schnürte sich zusammen, wenn er an diesen entsetzlichen Terror von damals dachte, den Thule und die Nazis damals über die Welt gebracht hatten. Ebenso wie Stalin und seine Diktatur. Johnny stand breit grinsend da und nahm Cedric in Empfang. „Hey super, die Befreiungsaktion hat ja gut geklappt wie ich sehe. Und? Hast du das Buch?“ Aus seiner Tasche holte Cedric ein dickes Buch, welches mit sieben Schlössern gesichert war. Anthony war verwirrt und konnte sich gar nicht erinnern, dass Harvey oder Cedric dieses Buch irgendwann mitgenommen hätten. Offenbar war dieser auch ein äußerst geschickter Dieb wie es schien. Johnny nahm es an sich und wandte sich Anthony, Nathaniel und Sally zu. „Vielen Dank für eure nette Hilfe die Damen. Und schön, dass du dich auch mal vor die Tür traust, Nathy.“

„Was hast du mit dem Buch vor?“

„Na was wohl? Ich werde meine Mutter schön aufs Kreuz legen, bevor es richtig zur Sache geht. Das ist doch meine Spezialität. Also dann, wenn ihr mich entschuldigt… ich hab noch ein Date mit meiner anderen Alten und euren Freunden. Cedric, wir sehen uns später.“ Und damit verschwand Johnny von einer Sekunde auf die andere und kaum, dass er verschwunden war, wich auch diese andere unmenschliche Aura in Harvey und auch seine Gehirnströme waren wieder die alten. Verwirrt sah er sich um und war erst einmal völlig orientierungslos. „Was… was ist passiert und wieso sind wir wieder draußen? Habe ich irgendetwas verpasst?“ Offenbar war Cedric tatsächlich aus seinem Körper verschwunden und da Harvey nicht bei Sinnen gewesen war, erinnerte er sich an gar nichts. Nathaniel erklärte es ihm in seiner etwas kindlichen Art und bedächtig nickte der Schauspieler. „Aber ich hab doch hoffentlich nichts Schlimmes getan, während ich weggetreten war.“

„Nein, keine Sorge. Wir sollten uns aber schnell auf den Weg zu den anderen machen und ihnen Bescheid geben, was passiert ist.“ Wie verabredet kam ihnen Amara entgegen und öffnete mit ihrem Regenschirm einen Zugang, durch welchen sie ohne Umwege direkt zum Hauptsitz kamen, zu welchem die anderen aufgebrochen waren. Hoffentlich hatten sie in der Zwischenzeit mehr Erfolg gehabt…
 

Christine ließ ungeduldig ihre Fingerknöchel knacken und sah zu ihren Begleitern, die ebenfalls unruhig waren, wenn auch aus verschiedenen Gründen. Vincent fürchtete sich ein klein wenig vor der Konfrontation mit Pristine und Thomas wollte einfach so schnell wie möglich die Sache beenden und fertig aus. Sie waren in einer Art großer unterirdischer Halle rausgekommen, in welcher unzählige hochmoderne Gerätschaften standen, von denen keiner so wirklich wusste, wozu sie da waren. Die Wissenschaftler und Söldner zu überwältigen, die sich in der Halle befunden hatten, war kein sonderliches Problem für sie gewesen. Aber etwas beschäftigte Christine. Sie konnte die unsagbar starke Aura ihrer jüngeren Zwillingsschwester deutlich spüren, ohne Frage. Aber da war noch eine andere Aura. Sie hatte etwas von einem Menschen und wiederum auch nicht und sie war stark, wenn auch nicht stark genug, um für sie selbst eine ernsthafte Bedrohung darzustellen. Für sie ließ das nur einen Schluss zu: Ein Mischling hatte sich Zutritt verschafft, oder aber er wurde gefangen gehalten. Nein warte, es waren eigentlich zwei gewesen, aber eine war von der einen Sekunde auf die andere verschwunden. Irgendetwas war merkwürdig hier. Hatte Johnny etwa seine Finger im Spiel und sich Unterstützung geholt? Aber wozu? Es gab nur einen Weg, das herauszufinden. Sie machten sich gemeinsam auf den Weg und wer sie aufzuhalten versuchte, dem wurde die Hölle heiß gemacht. Christine war richtig in Fahrt gekommen und ihre Faustschläge waren so verheerend, dass sie einem Menschen regelrecht den Schädel zerschmettern konnten. Vincent nutzte seine Fähigkeiten, um die Söldner dazu zu bringen, sich gegenseitig zu erschießen, während Thomas mit seinem Schwert kurzen Prozess machte. Sie bogen schließlich um die Ecke und da sahen sie das Unfassbare: Mehrere Soldaten lagen tot auf dem Boden. Mindestens 15. Thomas sah sich das Genauer an und stellte fest, dass sie alle durch einen Schnitt in den Nacken getötet worden waren. Auch Vincent und Christine begutachteten neugierig die Verletzungen. „Da hat jemand einen Teil des Nackens mit einem keilförmigen Schnitt herausgetrennt. Was hat das zu bedeuten?“

„Ich bin mir nicht sicher“, murmelte Thomas und sah sich den Rest der Leiche an. „Ich gehe davon aus, dass der Mörder zwei Klingen verwendet, wahrscheinlich Macheten oder Kurzschwerter. Er scheint zudem sehr schnell und wendig zu sein, wenn er seine Gegner stets an der gleichen Stelle von hinten angreift.“

„Ob das dieser Mischling war?“ Christine zuckte unsicher mit den Achseln, denn sie konnte sich an niemanden von früher erinnern, der eine derart seltsame Tötungstechnik anwandte. Aber dann spürte sie, dass diese halbmenschliche Aura dicht hinter ihr war und blitzartig drehte sie sich um. Keine Sekunde zu früh, denn da verfehlte sie knapp der Schlag einer Klinge, die tatsächlich von einer Machete herkam. Sofort holte sie zum Gegenschlag aus, aber ihr Angreifer wich geschickt aus und zeigte dabei eine unglaubliche Wendigkeit, die man nicht erwartet hätte. Vor ihnen stand ein Junge, vielleicht ein paar Jahre älter als Johnny. Er trug einen graublauen Kapuzenpullover, darunter einen weiteren dunkelroten Rollkragenpullover und khakifarbene Hosen. Sein dunkelbrünettes Haar war lang, was ihm etwas Androgynes verlieh, aber das Besondere an ihm waren seine Augen: Das rechte war blau, das andere braun. Er hielt seine beiden Macheten bereit zum Angriff. Christine starrte ihn verdutzt an und fragte „Du?“

„Kennst du ihn?“ fragte Vincent unsicher und ging ein paar Schritte zurück, um Thomas und Christine das Feld zu überlassen. „Das will ich mal meinen“, antwortete Christine und verschränkte die Arme. „Er hat früher zusammen mit mir und Johnny die Widerstandstruppe gegen Pristine angeführt. Unter anderem wollte er seinen kleinen Bruder und die anderen Mischlinge vor der Hinrichtung retten.“

„Das stimmt, aber inzwischen lebe ich unter dem Namen Ezra Trigger mit meinem kleinen Bruder zusammen und unterstütze ihn bei seiner Arbeit. Aber nun haben wir andere wichtige Dinge zu klären, nämlich die Befreiung der Mischlinge aus den Instituten und dafür zu sorgen, dass Johnny seine Pläne durchführen kann. Und deshalb kann ich euch nicht zu ihm lassen.“

„Warum? Was hat er vor?“

„Keine Ahnung.“

„Und wieso sollst du verhindern, dass wir zu Johnny und Pristine kommen?“

„Keine Ahnung.“ Dieser Ezra hatte irgendetwas von Thomas, das merkte Vincent sofort. Er besaß ein ähnlich kühles Wesen, allerdings schien er nicht ganz so ein Arsch zu sein, sondern eher etwas verschlossen. Aber was sie irritierte war die Tatsache, dass dieser Ezra offenbar überhaupt keine Ahnung hatte, was Johnny genau vorhatte und warum er damit beauftragt wurde, niemandem zu ihm zu lassen. „Willst du uns für dumm verkaufen?“

„Nein. Ich hinterfrag meine Aufträge nicht, ich führe sie nur aus.“ Das genügte Thomas schon und er griff an. Mischling hin oder her, er betrachtete jeden als Feind, der ihn aufhalten wollte und das mit Gewalt. Schnell musste er aber erkennen, dass Ezra unglaublich gelenkig war. Er wich jedem Angriff blitzschnell aus und wenn er selbst angriff, wirbelte er mit seinen Klingen herum, als würde er tanzen. Thomas konnte kaum Schritt halten, obwohl er durchaus in der Lage war, sämtliche Angriffe zu blocken. Aber Ezra war unfassbar schnell. Schließlich aber stoppte der Mischling, ging ein paar Schritte zurück und starrte Thomas mit einem seltsamen Blick an. „Wie gesagt, keiner von euch kommt hier vorbei. Das war eine Warnung.“ Sie hörten Schritte und eine Tür hinter Ezra öffnete sich. Ein junger Mann mit langem schwarzem Haar, himmelblauen Augen und einer androgynen Figur kam zu ihnen. Vincent glaubte nicht richtig zu sehen und rief „Das… das kann doch nicht sein.“ Ezra drehte sich um und lächelte zufrieden. „Du hast es also doch rechtzeitig geschafft. Und? Hast du die anderen befreit?“

„Jep. Die vier restlichen der Gruppe dürften auch jeden Moment hier auftauchen. Es läuft alles nach Plan, wir müssen Johnny nur noch genügend Zeit verschaffen.“ Die Augen des Neuankömmlings wanderten zu Vincent, dem das Entsetzen deutlich anzusehen war. „Alles in Ordnung bei dir, Junge?“

„Was hat das zu bedeuten und warum siehst du aus wie Harveys toter Freund Chris?“ Allmählich schien er zu verstehen und lächelte herzlich. „Das ist nicht mein richtiger Körper, ich hab ihn mir bloß ausgeborgt. Dieser Körper hier ist ein von Thule geschaffener Klon, weil man sich erhofft hat, irgendwie doch noch an Erinnerungen zum Buch zu kommen. Es ist ein Körper ohne Geist und Seele. Und da ich Seelen vertauschen oder in andere Körper transferieren kann, hab ich gleich meine Seele auf die Reise geschickt und mir den Klonkörper ausgeborgt. Mein Name ist übrigens Cedric Raven, ich bin Ezras jüngerer Bruder.“ Er nickte jedem zur Begrüßung zu und wandte sich schließlich an seinen älteren Bruder. „Also ich schlage vor, dass du… äh… Ezra, was ist mit dir? Hey Ezra!“ Doch dieser hörte gar nicht zu, sondern starrte die ganze Zeit Thomas an. Seine Wangen erröteten leicht und sein Blick nahm irgendwie etwas Schwärmerisches an. Dann schließlich seufzte er leise und murmelte „Heichou…“ Zuerst konnte niemand damit etwas anfangen, aber dann begann Ezra erneut zu seufzen und sagte „Er sieht genauso aus wie Levi-heichou… Der gleiche düstere Blick, der gleiche Ernst und fast das gleiche Aussehen. Ich glaub, ich bin verliebt…“ Cedric stöhnte auf und verdrehte genervt die Augen. „Verdammt Ezra, hör endlich mit deinem bescheuerten Animewahn auf und konzentrier dich endlich.“ Und kurz darauf schien sich Ezra wieder zu fangen. Stattdessen machte er sich wieder bereit zum Angriff. „Also gut, ich werde sie solange aufhalten, du bleibst hinter mir. Hier, die habe ich dir mitgebracht.“ Ezra holte eine kleine Tasche hervor und reichte sie seinem Bruder, in welchem sich mehrere Wurfmesser befanden. Dankend nahm Cedric sie entgegen, nahm eines heraus und hielt es bereit zum Werfen. Thomas ahnte, dass dieser Cedric offenbar die gleiche Kunst wie Johnny beherrschte. Womöglich hatte er sich das von ihm abgeschaut. Ezra griff an und schlug mit beiden Macheten auf Thomas’ Schwert ein. Durch die Wucht konnte er sich genug Zeit verschaffen, um über den Ex-Stasi drüberzuspringen, ihm eine Achillessehne durchzuschneiden und sich dann auf Vincent zu stürzen, doch da stellte sich Christine in den Weg. Mit ihrem Schlagring konterte sie den Angriff, hatte aber selbst ein klein wenig Schwierigkeiten, mit Ezras Wendigkeit mitzuhalten. Sie bemerkten schnell, dass er eine absolut perfekte Körperbeherrschung hatte und akrobatisch sehr begabt war. Gerade wollte Christine zurückschlagen, da durchbohrte eines der Messer ihre Stirn. „Verdammt, sind wir hier in einer Zirkusshow?“

„Nun, ich war tatsächlich bis vor kurzem auch als Artist in einem Zirkus“, antwortete Ezra mit einem gleichgültigen Achselzucken und griff erneut an. Wieder verdrehte Cedric genervt die Augen. „Das interessiert aber niemanden, Ezra!“ Thomas erwischte den Angreifer mit dem Schwert am Rücken und schnitt eine tiefe Wunde. Zwar zuckte dieser kurz, aber er ließ sich nicht beirren und griff weiterhin an. Vincent wusste, dass er irgendetwas tun musste und richtete seine Waffe auf Cedric, aber er brachte es nicht fertig, auf ihn zu schießen. Er hatte Harveys Erinnerungen während der Hypnose gesehen und wusste, dass Chris ein äußerst wichtiger Mensch in seinem Leben war. Er konnte doch nicht so auf ihn schießen und das schien dieser Cedric wohl zu wissen. „Was für ein hinterhältiges Spiel treibt ihr beide eigentlich? Du benutzt den Körper eines toten Freundes als Geisel und…“

„Moment mal“, unterbrach Cedric ruhig und hielt die nächsten Messer bereit. „Ich habe niemanden als Geisel genommen. Wir gehören nicht zu den Bösen, damit das klar ist! Alles, was wir wollen ist, Thule aufzuhalten und Johnny bei seinem Plan zu helfen, damit es nie wieder zu einer Katastrophe wie damals kommt.“

„Was hat er vor?“ Cedric schwieg und presste unmerklich die Lippen zusammen, so als würde er es gerne sagen, aber er durfte es nicht. Gerade wollte Christine etwas deutlicher werden, da spürte sie die Aura von Johnny und Sally. Offenbar waren die anderen auch eingetroffen und kamen direkt zu ihnen. Das traf sich schon mal gut. Tatsächlich kamen Sally und die anderen direkt um die Ecke geeilt und Harvey fielen fast die Augen aus dem Kopf, als er Cedric sah oder besser gesagt den Körper, in welchem er steckte. Er verlor mit einem Schlag seine Gesichtsfarbe und musste sich an Anthony festhalten. „Was zum Teufel hat das zu bedeuten? Chris, was hat das zu bedeuten und warum sehe ich dich plötzlich in leibhaftiger Gestalt vor mir?“

„Das kann ich gerne erklären. Ich bin Cedric, wir hatten ja schon mal das Vergnügen. Die Thule-Gesellschaft ließ einen Klon von Chris herstellen um zu testen, ob es möglich ist, dass er erneut mit den Erinnerungen bezüglich des Buches „geboren“ wird. Aber es blieb eine seelenlose Hülle ohne eigenes Leben oder Bewusstsein, weil du Chris in dir trägst. Und da Johnny mich gebeten hat, den Körper in Sicherheit zu bringen, hab ich kurzerhand meine Seele hineintransferiert.“

„Johnny wusste davon?“

„Ja. Er hatte einen Deal mit Pristine. Er überlässt ihr das Buch und die Schlüssel und im Gegenzug bekommt er diesen Körper. Und während er das Buch übergibt, war es meine Aufgabe, schnellstmöglich mit Ezra den Körper von hier wegzuschaffen, bevor seine Mutter den Schwindel bemerkt. Denn wenn er gezwungen wird, die sieben Siegel des Buches zu öffnen, wird sich herausstellen, dass das Buch selbst keine Macht mehr besitzt. Die hat Johnny in sich selbst aufgenommen. Deshalb musste er schnell handeln, bevor die Aktion nach hinten losgeht. Es stand auch zur Befürchtung, dass sie dann die ganzen Gefangenen hinrichten lässt.“ Das sah Johnny nun doch wieder ähnlich, dass er nicht nur seine Freunde, sondern auch seine leibliche Mutter hinters Licht führte. Dieser Kerl war doch wirklich mit allen Wassern gewaschen. Er hatte wirklich jeden in seinem Umfeld belogen und betrogen und sogar verletzt, nur um andere zu retten und sogar eine Möglichkeit zu finden, Chris wieder zurückzuholen. Christine schüttelte den Kopf und konnte es gar nicht fassen. „Aber warum diese ganze Aktion? Wieso hat Johnny Harvey zusammengeschlagen und uns angegriffen? Wieso hat er nicht mit mir gesprochen, ich hätte ihm doch helfen können.“

„Johnny wollte es alleine tun, weil er wusste, dass ihr ihn aufhalten würdet, wenn ihr von seinen Plänen erfahrt.“

„Sagt schon endlich, was er vorhat!“

„Johnny will nicht nur die Mischlinge und diese Welt retten, sondern auch seine leibliche Mutter. Und dazu will er sich töten lassen und sowohl die Kraft des Buches als auch die vier Schlüssel mit in den Tod nehmen. Das ist die einzige sichere Möglichkeit, diese gefährlichen Waffen für immer aus dieser Welt zu verbannen, damit sie keinen Schaden mehr anrichten.“ Stille trat ein. Sie waren allesamt geschockt und glaubten, nicht recht zu hören. Nathaniels Augen weiteten sich und in ihnen sammelten sich Tränen. „Johnny wird sterben?“ Cedric nickte und erzählte weiter. „Zuerst hatte er vorgehabt, Pristine ganz einfach zu töten, aber er konnte es nicht tun.“

„Und warum nicht?“

„Weil ich ebenfalls sterben würde“, antwortete Christine und senkte den Blick. „Erinnert ihr euch noch an meine Worte als ich sagte, Pristine und ich verkörpern das erste und höchste Gesetz? Für alles gibt es ein äquivalentes Gegengewicht und ohne das eine kann das andere nicht existieren. Heißt also: Wenn eine von uns stirbt, kann die andere nicht überleben. Ich hab es Johnny niemals erzählt, aber er scheint es trotzdem herausgefunden zu haben. Deswegen schafft er es nicht, seine leibliche Mutter zu töten.“

„Stattdessen hat er einen anderen Plan: er will sie so weit in die Ecke drängen, dass er es schafft, seine Kraft einzusetzen, um sie zur Vernunft zu bringen und von diesen kranken Plänen abzulassen, bevor er stirbt. Obwohl Johnny es niemals zugeben würde, liebt er dich wirklich sehr, Christine. Aber er empfindet auch Liebe für Pristine, obwohl sie ihn immer töten wollte. Und er hat nie die Hoffnung aufgegeben, irgendwann eine Möglichkeit zu finden, sie zur Besinnung zu bringen, damit sie wieder das Licht der Hoffnung werden kann.“

„Aber wenn Pristine ihre Ansichten ändert, wird Christine zur Gefahr werden“, entgegnete Thomas schließlich und ließ nun sein Schwert sinken, da er gemerkt hatte, dass Cedric und Ezra tatsächlich keine Feinde waren. „Solange beide Seiten sich im Extremen bewegen, stimmt das. Aber Johnny glaubt, dass es eine Möglichkeit gibt, beides in Einklang zu bringen. Wir Mischlinge sind der beste Beweis, dass es auch einen Mittelweg geben kann. Wir leben zwischen zwei Welten, gehören nirgendwo wirklich dazu, aber wir schaffen es, zwei Gegensätze zusammenzuführen. Wenn Pristine und Christine beide sich auf eine Art Kompromiss einlassen und den Mittelweg gehen, nämlich unseren Weg, ist es ihnen möglich, diese unzähligen Kriege und Anfeindungen zu beenden und ein Miteinander zu finden.“ „Dieser verdammte kleine Scheißkerl“, rief Christine und schlug mit der Faust gegen die Wand, woraufhin sie ein gewaltiges Loch in den Beton riss. Sie zitterte am ganzen Körper und zum ersten Mal sahen Thomas, Harvey, Anthony und die anderen so etwas wie Angst in ihrem Blick. Und sogar Tränen sammelten sich in ihren Augen. „Spielt einfach so Jesus 2.0. und benimmt sich dabei wie das allerletzte Arschloch. Das ist mal wieder so typisch für Johnny!“ Harvey, dem das alles langsam zu viel wurde, sank zusammen und ihm war anzusehen, dass es ihm nicht gut ging. Anthony und Nathaniel gingen zu ihm und halfen ihm, während Christine und die anderen sich weiterhin auf die beiden Mischlinge konzentrierten. „Jedenfalls hat Johnny uns den Auftrag gegeben, die Gefangenen zu befreien, den Körper von Chris in Sicherheit zu bringen und euch so lange es geht aufzuhalten, damit er freie Bahn hat. Er wird das schon schaffen.“

„Sagt mal, seid ihr völlig bescheuert, oder was?“ rief Christine und sah zunächst danach aus, als wollte sie den beiden eine reinhauen, aber sie beherrschte sich. „Ihr wisst doch, wie wir kämpfen und dass Johnny wegen seines Handicaps kaum Chancen gegen Pristine hat. Selbst mit diesen verdammten Schlüsseln!!!“

„Wieso nicht?“ fragte Thomas stirnrunzelnd. Christine musste sich zusammenreißen, um nicht völlig die Beherrschung zu verlieren. „Wir kämpfen anders als Menschen. Bei euch heißt es, dass ihr bis zum Tod kämpft, aber höhere Wesen sind nicht so einfach totzukriegen und wir müssen uns an strenge Gesetze halten. Deshalb kämpfen wir viel länger, grausamer und brutaler und das so lange, bis der andere vor Schmerz oder Erschöpfung zusammenbricht und nicht weiterkämpfen kann. Und Johnny kann mit der Schwachstelle an seinem Rücken nicht so lange durchhalten wie seine Mutter und ich. Selbst Pristine ist viel stärker als ich!“ Als die anderen das hörten, tauschten sie Blicke aus und überlegten. Schließlich sagte Cedric nach einer Weile „Wenn das so ist und Johnny könnte es nicht schaffen, dann ändern wir die Strategie. Ezra, du wirst mit mir mitkommen und die Klonanlage zerstören, während die anderen sich auf den Weg zu Pristine machen. Ich werde Eneos benachrichtigen, dass er herkommen soll. Die anderen werden sich um die restlichen Institute kümmern.“

„Wie? Es gibt noch mehr von euch?“ fragte Vincent verwirrt und sah abwechselnd zu Ezra und Cedric. Letzterer nickte und erklärte „Wir sind eine Gruppe von Mischlingen, die genauso wie ihr gegen Thules Machenschaften kämpft und Johnny unterstützt. Es sind auch Träumer, also Experimente des alten DDR-Projektes dabei. Aber nun sollten wir uns wirklich beeilen. Ihr geht schon mal vor, Ezra und ich werden nachher zu euch stoßen und euch helfen.“ Und damit gingen die beiden einfach. Zögernd sahen die anderen ihnen noch hinterher und waren sich nicht sicher, was das bedeuten sollte. Gerade eben noch hatte Ezra versucht, sie mit allen Mitteln zurückzuhalten und ganz plötzlich hieß es, sie würden helfen. Die beiden änderten offenbar schnell ihre Meinung. Aber wenn sie tatsächlich bereit waren, ihnen und vor allem Johnny zu helfen, dann wäre es doch verrückt, ihre Hilfe nicht anzunehmen. Denn sie ahnten, dass das noch ein sehr harter Kampf werden würde.



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