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Creepypasta Extra 3: Last Judgement

Die Thule-Verschwörung
von

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Nathaniel Helmstedter

Nachdem die kleine Nekromantin tief durchgeatmet und sich wieder beruhigt hatte, begann sie zu überlegen, was sie jetzt machen sollten. Fakt war, dass da eine Person nichtmenschlichen Ursprungs war und die andere besaß eine Kraft, die Sally ebenbürtig war. Einfach so auf Konfrontation zu gehen war glatter Selbstmord, sie mussten sich etwas überlegen. Ein Gedanke kam Harvey schließlich. „Kann es sein, dass diese gewaltige Kraft von einem Schlüsselträger kommt? Immerhin besitzen Christine und Sally allein schon eine enorme Kraft.“

„Möglich wäre es“, sagte Christine und verschränkte die Arme. „Aber garantieren kann ich für nichts.“ Harvey ging langsam auf und ab, während er nachdachte. Auch Anthony und Thomas überlegten, wie sie vorgehen sollten. Problem war außerdem, dass nicht feststand, ob die nichtmenschliche Aura nun Johnny gehörte, oder nicht. Es konnte genauso gut ein Feind sein, der Nathaniel Helmstedter beschützen sollte. Zumindest war es kein Nekromant, das hätte Sally sofort gespürt. Schließlich aber wandte sich Vincent an die anderen. „Also gut. Es macht keinen Sinn, sich hier auf dem Dachboden zu verstecken. Deshalb schlage ich Folgendes vor: Wir werden uns aus dem Hinterhalt anschleichen. Solange wir nicht wissen, wem diese starke Aura gehört, müssen wir mit allem rechnen. Das Haus scheint sehr weitläufig zu sein, das verschafft uns einen Vorteil. Wir könnten diese Person so lange umgehen, bis wir wissen, wie gefährlich sie in Wirklichkeit ist. Das erscheint zwar etwas feige, ist aber immerhin besser, als einfach blindlings von vorne anzugreifen oder hier zu sitzen und sich den Kopf zu zerbrechen.“ Dem stimmten auch die anderen zu. So ging Sally als Erste die Treppen hinunter, Christine blieb dicht hinter ihr. Nach und nach folgten die anderen und fanden sich schließlich im Flur des oberen Stockwerks wieder. Alles wirkte auf Hochglanz poliert und das Haus machte einen vornehmen Eindruck. Es erinnerte ein wenig an Anthonys Anwesen, nur standen hier nicht so viele Antiquitäten herum, aber dafür mehr Kunstgegenstände und Designermöbel, gefertigt aus allerlei Dingen. Da war eine Stehlampe, gefertigt aus Eisstielen und Spiegelscherben waren in Form einer Sonne an die Wand geklebt worden. Neugierig sah Harvey sich einen Sessel an, der vollständig aus Korken gefertigt worden war. Schließlich nickte er und sagte „Ja stimmt, du hast Recht. So etwas hab ich mir auch schon irgendwie gedacht.“

„Was hat Chris gesagt?“

„Das hier ist Recycling-Design. In der Künstlerbranche ist so etwas momentan wirklich gefragt. Hier ist jemand, der aus Müll Möbel anfertigt, oder aber er sammelt solche Dinge.“ Wie es schien, war Harvey nicht nur ein Schauspieler aus Leidenschaft, sondern auch ein kleiner Kunstliebhaber. Anthony hingegen war ein wenig unruhig und sah sich immer wieder um, da er befürchtete, sie könnten gleich überrascht werden. Schließlich winkte Sally ihnen zu, um ihnen zu signalisieren, dass sie weitergehen sollten. „Da kommt jemand auf uns zu.“ Sie folgten Sally und versteckten sich um eine Ecke. Langsame Schritte waren zu hören und kurz darauf spürte Thomas etwas an seinem Bein und als er heruntersah, entdeckte er eine schwarze Katze. Sie trug eine rote Schleife mit einem Glöckchen und hatte an ihrer linken Vorderpfote drei goldene Ringe. Für ein paar Sekunden ruhten die Augen der schwarzen Katze auf Thomas, dann lief sie davon und verschwand schließlich, als sie die Treppe hinunter in den ersten Stock eilte. „Komisch“, murmelte Sally und wandte sich an die anderen. „Die Aura ist ganz plötzlich verschwunden, als hätte sich derjenige in Luft aufgelöst.“ Sie schloss wieder die Augen und konzentrierte sich. „Oh verdammt, die andere Aura kommt direkt in unsere Richtung.“ Sie hörten Stimmen von unten her und als sie sich aus der Ecke hervorwagten und über das Geländer lugten, sahen sie jemanden die Treppe hinaufeilen. Und er war schnell. Sofort machten sich Christine, Sally und Thomas bereit, sofort zu reagieren, wenn die Person sie erreicht hatte. Anthony stellte sich schützend vor Harvey und Vincent und entsicherte seine Pistole. Thomas hielt sein Schwert bereit zum Angriff, während Christine eher gelassen blieb und ihre Fingerknöchel knacken ließ. Die Nekromantin sah beunruhigt aus und hielt sich instinktiv an Christine fest, so als suche sie Schutz, weil sie selbst Angst hatte. Diese legte aufmunternd eine Hand auf die Schulter des Mädchens. Schließlich trat der Besitzer dieser gewaltigen Aura am unteren Ende der Treppe zum Vorschein und alle waren gleichermaßen überrascht als sie sahen, dass es ein Junge war. Er hatte langes blondes Haar, graue Augen und sah nicht älter als 15 Jahre aus. Zuerst war er selbst überrascht, aber dann strahlte er übers ganze Gesicht und kam direkt auf sie zugerannt. Und schnell war klar, dass es Anthony war, den er ins Auge gefasst hatte. Er war vollkommen unbewaffnet und sah auch nicht danach aus, als wolle er angreifen. Nein, er rannte an Sally vorbei und warf sich direkt auf Anthony. Dieser als auch die anderen waren viel zu überrascht, als dass sie hätten reagieren können, besonders als der Junge Anthony auch noch umarmte. „Oh wie schön, endlich besucht mich mal jemand. Und dann auch noch Menschen! Ach ich freue mich, dich endlich mal kennen lernen zu können, Anthony.“ Irgendetwas war seltsam mit diesem Jungen, das stand schon mal fest. Sofort drückte der Konstrukteur ihn von sich weg und hielt ihn auf Abstand. Woher zum Teufel kannte er seinen Namen und war er tatsächlich derjenige mit dieser unfassbar starken Aura, von der Sally gesprochen hatte? Ihr Blick zumindest verriet, dass sie ebenfalls völlig verwirrt war. Christine hingegen schien sich über diese Szene zu amüsieren und grinste. „Moment mal“, rief Anthony und ging von dem Jungen auf Abstand. „Wer bist du eigentlich und woher kennst du meinen Namen?“

„Na du bist doch Hinrichs kleiner Bruder Anthony, richtig?“

„Du kennst Hinrich Helmstedter?“

„Na klar, er ist doch mein großer Bruder.“ Nun war auch Thomas verblufft, auch wenn er es sich nicht anmerken ließ. Harvey schien schon die Sache durchschaut zu haben und verschränkte die Arme. „Dann bist du also tatsächlich…“

„Ich heiße Nathaniel. Schön euch kennen zu lernen.“ Das gibt es doch wohl nicht, dachte Anthony und hoffte zuerst, dass das bloß so etwas wie versteckte Kamera war. Sein älterer Halbbruder war ein Kind? Das war eigentlich völlig unmöglich es sei denn, Nathaniel war ebenfalls ein Konstrukteur. Und wenn er tatsächlich der gleiche Nathaniel aus Hinrichs Aufzeichnungen war, dann musste er doch mindestens 96 Jahre alt sein. Aber davon war überhaupt nichts zu sehen, der benahm sich wie ein Kind. Was zum Teufel wurde hier bloß gespielt und was hatte das zu bedeuten? Schließlich ergriff Nathaniel Anthonys Hand und zog ihn mit sich. „Kommt schon, wir gehen in den Salon, da ist es viel gemütlicher. Amducias hat auch schon Kaffee und Tee vorbereitet.“ Doch Anthony riss sich los und zielte mit der Pistole auf Nathaniel. Dieser war völlig verwirrt und verstand die Reaktion nicht. „Wa-warum machst du das, Bruderherz? Bist du etwa böse auf mich?“

„Erklär mir lieber was das zu bedeuten hat. Was spielst du für ein Spiel mit uns überhaupt? Erzähl mir lieber, was du mit Hinrich zu schaffen hast und warum du uns hier jetzt den naiven kleinen Jungen vorspielst!“ Nathaniels Unterlippe begann zu zittern und in seinen Augen sammelten sich Tränen. Vincent bekam Mitleid mit dem Jungen, Sally war das alles immer noch nicht geheuer, ebenso wie Thomas, nur Harvey und war rein gar nichts anzumerken. Nein, er sah Nathaniel prüfend an, so als wollte er aus seinen Bewegungen schließen, was es mit diesem Verhalten auf sich hatte. „Warum sagst du so gemeine Sachen? Ich hab doch nichts Böses getan. Ich wollte dich doch bloß kennen lernen!“ Er begann sich nun die Tränen wegzuwischen und sank zusammen. „Da bekomme ich zum ersten Mal Besuch von dir und du bist so gemein, obwohl ich doch gar nichts getan habe. Ich will doch nur, dass du mein Bruder bist!“ Als er das rief, packte er Anthonys Hand und in dem Moment war etwas deutlich zu spüren. Irgendeine gewaltige Kraft strömte aus und war selbst für die anderen zu fühlen. Es war, als würde eine fremde Energie ihren Körper durchdringen und sie sofort wieder verlassen. Zuerst geschah nichts, aber dann ließ Anthony die Waffe fallen und fasste sich mit einer Hand an die Brust. Er stöhnte vor Schmerz auf und rang nach Luft. Vincent und Sally waren sofort bei ihm und versuchten ihm zu helfen, waren aber selbst überfragt, was mit ihm los war. Ein unsagbarer Schmerz durchfuhr Anthonys Körper und er brach zusammen, während unzählige Krämpfe seinen Körper durchzuckten. Für Thomas stand fest, dass dies ein gefährlicher Angriff auf Anthony war und mit dem Schwert bewaffnet ging er auf Nathaniel zu, der langsam vor ihm zurückwich. „Was hast du mit Anthony gemacht?“

„Ich… ich…“ Nathaniel bekam kein Wort heraus und wieder flossen Tränen. Schließlich drehte er sich um und ergriff die Flucht. Während Sally und Christine bei Anthony blieben, eilten die anderen dem Flüchtigen hinterher, um ihn einzufangen. Zwar wussten sie nicht, was mit Anthony passiert war, aber offenbar hatte Nathaniel irgendeine Kraft angewandt, die ihm unsagbare Schmerzen bereitete. Während Vincent und Thomas loseilten, um Nathaniel aufzuhalten, zögerte Harvey einen Moment, bevor er ebenfalls hinterher lief. Schließlich erreichte er die beiden, die offenbar die Spur verloren hatten, da Nathaniel wohl zu schnell gewesen war. Vincent wandte sich an Thomas. „Ich werde zur Haustür gehen und ihn dort abfangen. Du suchst ihn im Erdgeschoss.“ So teilten sich beide auf, aber Harvey blieb stehen und dachte nach. Die beiden reagierten völlig falsch. Sie hatten es nicht mit einem hinterhältigen Psychopathen zu tun, der nur vorgab, ein Kind zu sein. Nein, Nathaniel war ein Kind. Aus irgendwelchen Gründen hielt er sich für ein kleines Kind und benahm sich dementsprechend auch so. Es konnte eine geistige Behinderung, selbstverursacht oder das Werk von Hinrich Helmstedter sein. Also war es völlig falsch, bewaffnet hinter ihm herzurennen und zu versuchen, ihn in die Mangel zu nehmen. Und so wie Harvey die Sache einschätzte, würde Nathaniel gar nicht versuchen, das Haus zu verlassen. Nein, er versteckte sich sicherlich. Also ging er los und suchte die Räume ab. Er war sich sicher, dass Nathaniel sich irgendwo versteckte, wo man ihn nicht so schnell finden würde. Nachdem die Durchsuchung des ersten Stockwerks nichts gebracht hatte, ging er ins Erdgeschoss. Von Thomas und Vincent war nichts zu sehen. Dafür aber traf er jemand anderen. Einen Jungen, der ungefähr Johnnys Alter hatte und eine ebenso unmenschliche Ausstrahlung hatte. Er trug einen Anzug ohne Jackett, trug am linken Handgelenk drei goldene Ringe und an seiner Weste eine Art goldene Brosche mit seltsamen Symbolen darauf. Ob das dieser Amducias war, von dem Nathaniel gesprochen hatte? „Entschuldigung, haben Sie vielleicht Nathaniel gesehen? Ich möchte mit ihm reden.“

„Mit Sicherheit befindet er sich im Keller. Dort versteckt er sich immer, wenn er sich fürchtet.“ Er führte Harvey zu einer versteckt liegenden Treppe, die hinunter in den Keller führte. Diese ging er alleine hinunter, öffnete die Tür und betrat einen Gang, der schließlich zu einem kleinen Raum führte. Der Keller war fensterlos, besaß ein rostiges altes Bett mit einer fleckigen Matratze und es befanden sich dort auch ein Waschbecken und eine Toilette. Dieser Raum sah aus wie eine Gefängniszelle. Unter dem Bett kauerte Nathaniel und er schien völlig verängstigt zu sein. Harvey kniete sich hin und sah in seine staubgrauen Augen, die denen von Anthony so ähnlich waren. „Hey, es ist alles in Ordnung. Du brauchst keine Angst zu haben, ich tu dir nichts.“

„Ich wollte das nicht, wirklich nicht! Ich weiß doch selbst nicht, was da gerade passiert ist. Das ist die Wahrheit!“ Der Junge log nicht, das sah Harvey sofort. Wenn er tatsächlich der Besitzer dieser mächtigen Aura war, musste er ähnlich wie Sally übersinnliche Fähigkeiten besitzen und hatte sie unbewusst eingesetzt. Offenbar wurde diese Kraft durch starke Emotionen freigesetzt. Harvey hielt es für vernünftig, ihn erst einmal zu beruhigen, bevor noch ein Unglück geschah. „Ich glaube dir! Aber sag mal, warum versteckst du dich hier im Keller?“

„Weil ich mich hier am sichersten fühle. Ich hab Angst, dass die anderen mich hassen und mir schlimme Dinge antun wollen.“

„Keine Sorge, das werden sie nicht. Wie wäre es, wenn du unter dem Bett hervorkommst? Ich verspreche dir hoch und heilig, dass ich dir nichts tun werde. Aber erst mal möchte ich mich vorstellen: Ich bin Harvey und es freut mich, dich kennen zu lernen, Nathaniel.“ Langsam kam er unter dem Bett hervor und reichte Harvey eine Hand, welche er ergriff, damit er den Jungen auf die Beine helfen konnte. „Ich mache dir einen Vorschlag: Ich rede mit den anderen und sorge dafür, dass dir nichts passiert, okay? Dafür verlässt du mit mir den Keller.“ Nathaniel schien einer von der zutraulichen Sorte zu sein, da er sich bereit erklärte, mit Harvey zu gehen. Er hielt aber seine Hand fest und ließ sie nicht los. „Die anderen sind eigentlich gar nicht böse. Sie haben sich nur sehr erschrocken, als das mit Anthony passiert ist und wussten nicht, was passiert war.“ Schließlich erreichten sie wieder das Erdgeschoss und wollten wieder nach oben gehen, da kam Thomas auf sie zu und hatte immer noch sein Schwert bereit. Harvey wollte schon reagieren und ihm signalisieren, er solle die Waffe wieder einstecken, da geriet Nathaniel in Panik und rief „Nein! Bleib weg!“ Und Thomas blieb stehen. Er ließ sein Schwert fallen und bewegte sich keinen Zentimeter. Harvey ahnte, dass da etwas nicht stimmte. „Thomas, alles in Ordnung?“

„Ich kann mich nicht bewegen…“ Offenbar besaß Nathaniel tatsächlich die Fähigkeiten eines Konstrukteurs und diese war so stark, dass er sogar andere Konstrukteure beeinflussen konnte, obwohl sich diese gegen solche Angriffe abschirmten. Die einzige Lösung bestand also darin, Nathaniel zu beruhigen. „Keine Angst Nathaniel, Thomas wollte dir nichts tun. Er ist eigentlich ganz nett, wenn man ihn besser kennt. Also beruhige dich.“ Und Harveys beruhigende Worte schienen tatsächlich zu wirken. Nathaniels Angst wich und tatsächlich konnte sich Thomas wieder bewegen. Harvey wandte sich ihm zu, während er den Jungen tröstete. „Steck dein Schwert weg. Wir dürfen Nathaniel nicht so sehr emotional aufwühlen. Ich erkläre es dir später, aber lass uns erst einmal wieder zurück zu den anderen. Vielleicht können wir Anthony helfen.“ Thomas merkte wohl, dass Harvey die Sache durchschaut hatte und hielt es für das Vernünftigste, wenn er seine Waffe wieder einsteckte. Schließlich kam auch Vincent wieder, dem ebenfalls nahe gelegt wurde, Nathaniel nicht so zu erschrecken und zusammen gingen sie wieder ins zweite Stockwerk hinauf, wo die anderen noch bei Anthony waren, der das Bewusstsein verloren hatte. Vincent kniete sich neben ihm hin und betrachtete ihn besorgt. „Wie geht es ihm?“

„Er ist einfach ohnmächtig geworden, aber er lebt noch. Aber sagt mal, was war das vorhin?“

„Nathaniel besitzt die Fähigkeiten eines Konstrukteurs so wie es aussieht. Und seine sind bei weitem stärker als die von Anthony, Thomas und Vincent.“ Nathaniel nahm schließlich Anthonys Hand und senkte traurig den Kopf. „Ich wollte das wirklich nicht, ehrlich nicht. Es tut mir wirklich Leid.“ Langsam kam Anthony wieder zu sich und presste eine Hand gegen seinen Kopf. Die Erleichterung bei den anderen war groß und sofort gingen sie zu ihm hin. Nathaniel, der mit diesem Gedränge überfordert war, ging auf Abstand und Harvey blieb bei ihm. Vincent half seinem besten Freund hoch und fragte besorgt „Alles in Ordnung bei dir, Anthony? Hast du irgendwelche Schmerzen?“

„N-nein, überraschenderweise gar nicht.“ Um zu prüfen, ob auch wirklich alles mit ihm in Ordnung war, nahm Vincent ihm die Sonnenbrille ab und sah ihn genauer an. Anthony kniff die Augen zusammen, da das Licht ihn blendete und er wirkte ein wenig blass, wobei er eigentlich schon immer einen sehr blassen Hautton hatte. „Vincent lass das, das Licht…“ Anthony versuchte sein Gesicht vor dem Licht zu schützen, da es ihm furchtbare Schmerzen bereitete, aber dann hielt er inne und öffnete langsam die Augen. „Was zum…“ Er sprach den Satz nicht zu Ende, sondern nahm seine Kapuze ab und riskierte damit, dass das Licht von den Fenstern direkt sein Gesicht traf. „Sag schon, was ist los?“ fragte der einäugige Vincent ungeduldig und sah zu Harvey, Christine und Nathaniel, als hätte er diese Frage ihnen gewidmet, aber keiner sagte etwas. Dann aber erklärte Anthony „Das tut gar nicht weh…“ Nun zog er seine Jacke aus und ließ sich die Sonnenstrahlen direkt auf seine Arme scheinen. „Aus irgendeinem Grund schmerzt das Licht gar nicht und ich sehe auch keinen Ausschlag. Nathaniel, was hast du mit mir gemacht?“ Doch der war selbst verwirrt und verstand nicht, was mit Anthony los war. Er wusste nicht, dass er eine genetisch bedingte Lichtallergie hatte und er deswegen zu einem Leben in Dunkelheit verdammt war. Und jetzt war diese Allergie plötzlich weg, als hätte sie niemals existiert. Keiner konnte sich das wirklich erklären, aber Christines Augen verrieten, dass sie die Antwort zu ahnen schien. „Der erste Schlüssel befindet sich im Besitz eines Engels“, sagte sie schließlich. „Und der Name Nathaniel steht für den ersten Engel, den Gott erschuf und als Erzengel ist er der Wächter des Feuers. Ich schätze mal, wir haben den ersten Schlüsselträger und damit das erste Kind der Apokalypse gefunden, welches die Pest und die Seuche ins Haus bringt. Mich wundert aber, dass er in der Lage ist, diese Fähigkeiten einfach so umzukehren. Es muss wohl an seiner extrem starken positiven Energie liegen.“ Damit sie in Ruhe miteinander reden und auch von Nathaniel vernünftige Informationen bekommen konnten, schlug Harvey vor, dass sie andere Räumlichkeiten aufsuchen sollten, um in Ruhe miteinander zu reden. Auf Nathaniels Vorschlag hin gingen sie in den Salon, wo bereits für sie alle der Tisch gedeckt war. Nathaniel bediente sich am Süßgebäck und schien sich deutlich zu entspannen. Harvey hatte Anthony geraten, bei seinem älteren Halbbruder zu sitzen, da dieser offenbar Sympathien für ihn zu hegen schien und Harvey nahm ihm gegenüber Platz, um ihn besser sehen zu können. Außerdem hatte er dafür gesorgt, dass Thomas sich etwas weiter weg von Nathaniel befand, da dieser das Talent besaß, wirklich jedem Menschen mit seinem finsteren Blick Angst einzujagen. „Also Nathaniel, erzähl doch mal, warum du hier ganz alleine lebst.“ Unsicher zuckte er mit den Achseln und wich Harveys Blick aus. „Ich hab schon immer allein gelebt in diesem Haus. Alleine mit meinem Bruder Hinrich.“

„Das kann aber nicht sein“, warf Anthony ein und schüttelte den Kopf. „Ich hab doch mit meiner Familie auch hier gelebt, aber da war das hier noch keine Villa. Und mir hat niemand etwas gesagt.“

„Hast du im Keller gewohnt?“ fragte Harvey, ohne Anthonys Worten Beachtung zu schenken und er bekam ein Nicken zur Bestätigung. „Seit ich denken kann, habe ich im Keller gelebt und keinen anderen Menschen außer Hinrich gesehen. Ich wusste nicht einmal, dass es auch etwas anderes außer dem Keller gibt.“

„Dann heißt das also“, sagte Sally schließlich und sie sah schockiert aus. „Du hast den Keller niemals verlassen?“ „Erst als Johnny mich rausgeholt hat. Er sagte, dass Hinrich verschwunden sei und ich nun ganz alleine bin. Aus eigener Kraft konnte ich den Keller nicht verlassen, also hat Johnny mir geholfen.“

„Wann war das?“ Nathaniel begann an den Fingern abzuzählen, da ihm das Rechnen im Kopf wohl schwer fiel. „Vor sechs Jahren, glaub ich.“ Nun waren alle fassungslos, denn das hieß ja, dass Nathaniel knapp 90 Jahre in einem fensterlosen Keller verbracht hat und in der Zeit niemals einen anderen Menschen zu Gesicht bekam als Hinrich. Aber das würde zumindest erklären, warum er sagte, dass er Besuch von Menschen bekam. Johnny war ja kein Mensch und dieser Amducias offensichtlich auch nicht. Harvey stellte schließlich die nächste Frage „Warst du überhaupt schon mal draußen?“ Ein Kopfschütteln war die Antwort und Nathaniel erklärte „Ich wollte zwar immer raus, aber ich hatte Angst. Mein Keller war so klein, aber ich kannte jedes Versteck und das Haus hier ist schon riesig. Jedes Mal, wenn ich das Haus verlassen will, krieg ich Panik und kann nicht mehr atmen. Deshalb bleibe ich lieber hier drin und bastle tolle Sachen. Ich nähe Stofftiere, repariere Spielzeug und aus den Sachen, die Amducias bringt, mache ich Neues.“ Mit einem kindlichen Stolz zeigte Nathaniel auf eine Sitzgruppe nicht weit weg. Die Stühle waren aus Autositzen und anderem Zubehör gemacht und der Tisch bestand unter anderem aus einer Motorhaube. Harvey war tief beeindruckt. „Das alles machst du?“

„Ja, Johnny und Amducias haben mir gezeigt wie das geht und ich hab großen Spaß daran. In anderen Dingen bin ich da eher ziemlich ungeschickt. Die meisten Sachen verkauft Amducias, aber die Lieblingsstücke behalte ich.“ Nathaniels ganzer Charakter schien etwas Warmherziges, Fröhliches und Unbeschwertes zu haben. Er wirkte tatsächlich wie ein Kind, das nicht älter als acht oder neun Jahre alt sein konnte. Aber warum war er so? Was war die Ursache gewesen? Sie mussten wohl auf Harveys Urteil warten. Als dieser schließlich Fragen zu Hinrich stellte, da verschwand das strahlende Gesicht und Nathaniel schrumpfte in sich zusammen. Mit dem Namen schien er schlimme Erinnerungen zu verbinden. Harvey ging ganz vorsichtig vor und fragte „Hat er dir mal wehgetan?“ Ein stummes Nicken, Nathaniel senkte den Kopf so weit, dass man sein Gesicht nicht sehen konnte. „Er hat mir sehr oft wehgetan und nicht aufgehört, als ich gesagt habe, dass ich das nicht will.“

„Was genau hat er denn getan?“ Aber Nathaniel antwortete nicht, sondern begann leise zu schluchzen. An dieser Stelle unterbrach Harvey und wies Anthony, Vincent und Thomas an, mit ihm zu kommen. Christine und Sally sollten bei dem Jungen bleiben. Harveys Gesichtsausdruck war zu entnehmen, dass er schon ungefähr eine Ahnung hatte, was mit Nathaniel passiert war und wieso er sich so seltsam benahm.



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