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Mesh Of Lies

DoflamingoxCrocodile (AU)
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
So, ihr Lieben :)
Ich fürchte, ihr musstet leider wieder länger warten als versprochen. Ich hoffe, dass es sich wenigstens für euch lohnt ;)
In diesem Kapitel gibt es endlich die große Auflösung des Lügennetzes, das Crocodile gesponnen hat. Viel Spaß beim Lesen!

bye
sb Komplett anzeigen

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Kapitel 15 (zensiert)

Seit drei Wochen war Crocodile ein verheirateter Mann.

Und um ganz ehrlich zu sein, hatte sich bisher nur sehr wenig für ihn verändert. Er fuhr jeden Morgen mit seinem Mercedes C 216 zu Tom's Workers und kehrte jeden Nachmittag nach Hause zurück, um gemeinsam mit Doflamingo zu essen. Am Wochenende wurde er hin und wieder zu einem Disko- oder Kino-Besuch genötigt, doch auch das war nicht außergewöhnlich.

Einmal passierte es ihm bei der Arbeit, dass er einen wichtigen Vertrag mit Sir Crocodile statt Donquixote Crocodile unterschrieb, doch dieses Problem war schnell beseitigt, indem er die entsprechende Seite ein zweites Mal ausdruckte. Dieser Fehler passierte ihm nur einmal, auch wenn der Name auf dem Papier noch immer einen seltsam fremden Eindruck auf ihn machte.

Sein Leben wäre perfekt, würde nicht immer wieder die Angst an seinen Eingeweiden nagen. Crocodile hatte den Entschluss, den er auf seiner Hochzeitsfeier gefasst hatte, nicht vergessen. Doch umgesetzt hatte er ihn auch noch nicht.

Immer wieder ging er im Kopf die verschiedenen Szenarien durch: Doflamingo, der vor Wut schäumte und ihn aus der Villa warf. Doflamingo, der kaum fassen konnte, was er da hörte, und darauf wartete, dass Crocodile „April April!“ rief. Und sogar Doflamingo, der in Tränen ausbrach und ihm mit verzweifelter Stimme vorwarf ein Lügner und Betrüger zu sein. Doch er konnte seinen Partner nicht ewig belügen. Irgendwann würden alle Unwahrheiten in sich zusammenfallen wie ein Kartenhaus. Crocodile wusste, dass es besser war, wenn er selbst auf Doflamingo zuging und ihm die Wahrheit erzählte. Wenn es doch nur nicht so viel Überwindung kosten würde...
 

*
 

Er stand gerade unter der Dusche, shampoonierte sein dunkles Haar ein und sinnierte darüber, wie er Doflamingo möglichst behutsam an die Wahrheit heranführen könnte, als ebenjener auf einmal hektisch an die Badezimmertüre klopfte.

„Crocodile? Crocodile! Hörst du mich?“ Unweigerlich spürte Crocodile, wie sich ein unangenehmes Gefühl in seiner Magengegend ausbreitete. Sein Ehemann sprach ihn nur dann mit seinem richtigen Namen an, wenn es um eine ernste Sache ging.

„Ja“, gab er zurück und bemühte sich um einen selbstsicher klingenden Tonfall. „Was ist denn?“

„Beeil dich!“, erwiderte Doflamingo wie aus der Pistole geschossen. „Mihawk hat mich gerade angerufen. Bei Hancock haben Wehen eingesetzt! Wir müssen sofort ins Krankenhaus!“

Crocodile unterdrückte ein erleichtertes Aufseufzen. Dass seine jüngere Schwester ihr Baby zur Welt brachte, sah er persönlich nicht unbedingt als Grund an, um sich uso schnell wiemöglich das Shampoo aus den Haaren zu waschen und sich unverzüglich auf den Weg zu machen. Doch er war sich sicher, dass sein Partner eine ganz andere Ansicht vertrat.

„Nun mach schon!“, herrschte Doflamingo, als Crocodile nichts weiter sagte. „Ich will los!“

„Warum hast du es so eilig?“, gab er zurück.

„Warum ich es so eilig habe?“, wiederholte sein Ehemann mit ungläubiger Stimme. „Oh, ich weiß nicht: Vielleicht weil meine Schwägerin jetzt gerade ihr Baby auf die Welt bringt?! Verdammt nochmal, Croco, jetzt steig endlich aus der Dusche und zieh dich an!“

„Wir dürfen doch wahrscheinlich sowieso überhaupt nicht mit in den Kreißsaal. Ganz abgesehen davon, dass Hancock das vielleicht auch gar nicht möchte. Es nützt also nichts, wenn wir jetzt schon ins Krankenhaus fahren.“

Jedenfalls konnte Crocodile sich gut vorstellen, dass es angenehmere Dinge gab, als von drei Männern beobachtet zu werden, während man unter schrecklichen Schmerzen ein Kind aus seinem Unterleib herauspresste. In der neunten Klasse hatte er sich im Biologie-Unterricht einmal ein Geburts-Video ansehen müssen. Und auch wenn dies nun schon etwa zwanzig Jahre her war, erinnerte er sich noch überraschend genau an einige Details. (Dieser Tag war der erste, aber bei weitem nicht letzte gewesen, an dem er Gott dafür dankte, ihn nicht zu einer Frau gemacht zu haben.)

„Hancock freut sich bestimmt, wenn wir kommen“, versuchte Doflamingo unbeirrt auf ihn einzureden. „Sie hat doch keinen außer uns. Es wird sie aufmuntern, wenn wir ihr beistehen.“

„Ist ja gut“, gab Crocodile klein bei. Er wusste aus Erfahrung, dass es am Ende nichts bringen würde, seinem Ehemann zu widersprechen. Wenn Doflamingo sich einmal etwas in den Kopf gesetzt hatte, gab es kein Entrinnen mehr. „Aber gib mir wenigstens zehn Minuten, um mir die Haare zu föhnen. Ich möchte nicht mit nassen Haaren losfahren.“

„Von mir aus“, hörte er Doflamingo unwillig sagen. „Aber beeil dich, ja?! Nicht dass wir dort auftauchen und das Kind ist längst schon auf der Welt!“

Augenrollend wusch Crocodile das Shampoo aus. Man könnte glatt meinen, dachte er teils belustigt, teils genervt, dass Doflamingo derjenige wäre, der ein Kind bekam.
 

Es stellte sich heraus, dass Hancock noch nicht im Kreißsaal lag. Stattdessen war sie in einem Zweibett-Zimmer untergebracht, das im Moment allerdings sie allein belegte. Sie lächelte, als Crocodile und sein Ehemann hereinkamen. Mihawk saß auf einem Stuhl an ihrem Bett.

Wie es nicht anders zu erwarten gewesen war, stürzte Doflamingo sich sofort breit lächelnd auf seine Schwägerin. „Hancock, wie geht es dir?“, fragte er sie aufgeregt und ergriff ungefragt ihre Hand.

„Ich bin okay“, antwortete sie und erwiderte sein Lächeln. Crocodile bemerkte, dass ihre Stirn feucht glänzte. „Die Wehen kommen in Abständen von ein paar Minuten. Hoffentlich läuft nachher alles gut.“

„Mit Sicherheit“, sagte Doflamingo sofort und drückte aufmunternd ihre Hand. „Ist das Baby denn schon in der richtigen Position?“

„Es bringt sich gerade noch in die Schädellage“, erklärte Hancock. „Eine Hebamme hat das eben überprüft.“

„Sehr schön“, trällerte Doflamingo, ohne Hancock loszulassen.

Crocodile, der nur Bahnhof verstand, wandte sich derweil an seinen Bruder. „Gehst du nachher mit Hancock in den Kreißsaal? Oder möchte sie das Baby ohne Publikum auf die Welt bringen?“, fragte er ihn. Sie hatten vorher noch nicht über dieses Thema gesprochen gehabt.

„Sie hat mir gesagt, dass sie gerne dich dabei haben möchte“, sagte Mihawk mit ruhiger Stimme und ohne seinem Blick auszuweichen.

Crocodiles blieb der Atem weg. Seine Brust fühlte sich an als hätte jemand mit voller Wucht dagegen getreten. „Mich?“, japste er panisch. „Aber... Ich... das geht nicht! Ich kenne mich doch gar nicht aus mit... mit Babies bekommen... Doflamingo ist derjenige, der zig Bücher zu diesem Thema verschlungen hat!“ Hilfesuchend blickte er zu seinem Ehemann hinüber, der sich noch immer mit Hancock unterhielt.

Mihawk zuckte mit den Schultern. „Da musst du Hancock fragen, nicht mich“, sagte er schließlich.

Sofort stürzte Crocodile zu seiner hochschwangeren Schwester hinüber. Sie verzog gerade schmerzerfüllt das Gesicht (eine Wehe?), als Crocodile unvermittelt zu ihr meinte: „Willst du wirklich, dass ich mit in den Kreißsaal komme? Ich weiß nicht, ob das so eine gute Idee ist! Vielleicht sollten lieber Mihawk oder Doflamingo mit dir gehen!“

Die Wehe schien abzuflauen. Hancocks Gesichtszüge entspannten sich wieder. „Möchtest du nicht dabei sein?“, fragte sie ihn mit verwunderter Stimme.

„Naja“, gab Crocodile verunsichert zurück. „Ich weiß nicht, ob ich der richtige Mann dafür bin. Ich kenne mich überhaupt nicht aus mit... mit Wehen... und dem Pressen... der richtigen Atmung... und, naja, mit allem eben. Bestimmt ist es besser, wenn Doflamingo bei dir ist. Er weiß viel mehr als ich über diese Dinge!“

Plötzlich brach Hancock in Gelächter aus. „Keine Sorge“, meinte sie. Ihr Atem ging schwerer als üblich. „Ich bin diejenige von uns, die die Wehen ertragen und das Baby herauspressen muss. Du sollst nur danebenstehen. Also gibt es keinen Grund, um in Panik auszubrechen, ja?“

„Aber warum soll denn ausgerechnet ich dabei sein? Warum nicht Doflamingo? Oder Mihawk?“

„Am liebsten hätte ich euch alle im Kreißsaal mit dabei, aber die Hebamme meinte, das wäre nicht möglich“, erklärte Hancock ihm. „Normalerweise ist nämlich nur eine Begleitperson erlaubt.“

„Das ist kein Problem“, schaltete sich plötzlich Doflamingo ein. „Ich kann mit der Stationsleitung sprechen. Dann werden wir auch zu dritt in den Kreißsaal gelassen.“

„Möchtest du die Leute hier etwa bestechen?“, fragte Crocodile und kreuzte die Arme vor der Brust. Er wusste nicht so recht, was er von diesem Vorschlag halten sollte.

Doch sein Ehemann schüttelte den Kopf. „Nicht nötig“, meinte er und präsentierte breit grinsend seine weißen Zähne. „Zufälligerweise gehört mir die Miracle-Sakura-Klinik. Ich bin mir sicher, dass man mir hier keinem Wunsch abschlagen wird.“

„Das hatte ich ganz vergessen“, gab Crocodile perplex zu und beobachtete, wie Doflamingo rasch das Zimmer verließ, um die Stationsleitung ausfindig zu machen. Crocodile hielt ihn nicht auf. Wenn er ehrlich war, dann beruhigte ihn die Vorstellung, dass er seiner Schwester nicht ganz allein würde beistehen müssen.
 

Es dauerte Stunden. Stunden, ehe Hancock in den Kreißsaal verlegt wurde. Und weitere Stunden, in denen sie presste. Es war neunzehn Uhr gewesen, als Doflamingo und Crocodile im Krankenhaus angekommen waren. Inzwischen zeigte die Uhr fast halb zwei nachts an und noch immer war seine Nichte nicht auf der Welt. Crocodile fragte sich, ob es normal war, dass eine Geburt so unfassbar lange dauerte. Doch als er die Hebamme darauf ansprach, erklärte diese ihm freundlich, dass die erste Geburt einer Frau durchschnittlich dreizehn Stunden lang dauerte. Crocodile, der sich in spätestens sechseinhalb Stunden auf den Weg zur Arbeit machen musste, hoffte, dass Hancock sich nicht ganz so viel Zeit lassen würde.

Es war kurz vor drei in der Früh, als seine Schwester es endlich geschafft hatte. Ein knallrotes, mit Schleim und Blut überzogenes Kind kam laut schreiend auf die Welt. Crocodile schlich vorsorglich hinüber zu dem Mülleimer, der in der Ecke neben der Tür stand. Sein Magen fühlte sich schrecklich flau an. Wer hatte noch einmal behauptet die Geburt eines Menschen sei wunderschön? Crocodile jedenfalls war sich sicher, dass derjenige niemals bei einer echten Geburt mit dabei gewesen war.

Leider kam Crocodile nicht so leicht davon wie er es sich gewünscht hätte. Die Hebamme, die Hancock ihre neugeborene Tochter auf die Brust gelegt hatte, hielt ihm auffordernd eine Schere hin. Crocodile brauchte einen Augenblick, um eins und eins zusammenzuzählen. „I-ich soll die Nabelschnur durchschneiden?“, fragte er verdattert nach, doch nahm nichtsdestotrotz die Schere entgegen.

Zögerlich schritt Crocodile zu Hancock und seiner Nichte hinüber. Die Hebamme hatte mit einem weichen Tuch den größten Teil des Bluts und des Schleims abgewischt. Trotzdem musste er sich ernsthaft zusammenreißen, damit sich ihm beim Anblick des Säuglings nicht der Magen umdrehte. Die Nabelschnur, die dick und bläulich am Bauch des kleinen Mädchens klebte, schaute nicht sonderlich appetitlich aus. Weil alle Blicke auf ihn gerichtet waren, gab Crocodile sich einen Ruck und schnitt rasch die Nabelschnur durch.

Anschließend klippte die Hebamme an den kleinen Rest, der am Bauch kleben blieb, einer Klemme, mit der man seiner Ansicht nach genausogut auch eine angebrochene Corneflakes-Packungen hätte wiederverschließen können.

„Hast du dir schon einen Namen überlegt?“, fragte Mihawk leise.

Hancock, die völlig erschöpft wirkte und ihre Augen nicht von ihrer neugeborenen Tochter lassen konnte, schüttelte langsam den Kopf. „Ich hab mich noch nicht entschieden“, antwortete sie mit ungewohnt kratziger Stimme.
 

Weil er gemeinsam mit Mihawk und Doflamingo noch bis frühmorgens bei seiner Schwester und seiner neugeborenen Nichte im Krankenhaus blieb, fühlte Crocodile sich im Büro ziemlich gerädert. Offenbar merkte man ihm an, dass er nicht sonderlich viel geschlafen hatte, denn Kiwi und Mozz fragten ihn kichernd, ob er die Nacht in einer Diskothek verbracht hätte.

Crocodile schnaubte. Er war ein sehr verantwortungsbewusster, fleißiger Mitarbeiter und ging nie feiern, wenn er wusste, dass er am nächsten Morgen zur Arbeit musste. Doch wahrscheinlich waren sich die beiden Sekretärinnen dessen bewusst und wollten ihn bloß necken.

„Ich bin gestern Nacht das erste Mal Onkel geworden“, erklärte er nichtsdestotrotz.

„Oh? Wirklich?“, kreischte Kiwi sofort begeistert.

„Davon hast du uns ja gar nichts erzählt!“, fügte Mozz in einem anklagenden Tonfall hinzu.

„Nun ja, ich bin nur Onkel geworden, nicht Vater“, verteidigte Crocodile sich. Er hatte nicht damit gerechnet, dass die beiden Sekretärinnen ein solch großes Interesse an seinem Privatleben zeigen würden. Ihn persönlich juckte es stets herzlich wenig, wenn irgendein Arbeitskollege Urlaub in den USA machte, eine neue Frau kennengelernt hatte oder sich einen Hund zulegte. Klatsch und Tratsch waren nie seine Stärken gewesen.

„Junge oder Mädchen?“, fragte Kiwi sofort.

„Mädchen.“

„Hat sie schon einen Namen?“

„Nein, noch nicht.“

„Hauptsache die kleine Maus ist gesund! Wie sind denn Größe und Gewicht?“

„Ähm, das habe ich mir nicht gemerkt“, gestand Crocodile, der sich ein wenig überfordert fühlte. Warum wollten denn die beiden Sekretärinnen so viel über ein Baby wissen, das sie überhaupt nicht kannten? War dies eine der Sachen, die man nur verstand, wenn man selbst eine Frau war?

Mozz gab einen entrüsteten Pfeiflaut von sich und stemmte beide Hände in die Hüfte. „Crocodile!“, schimpfte sie mit ihm, „so etwas weiß man doch, wenn man bei einer Geburt mit dabei gewesen ist!“

„Beruhige dich, Mozz“, versuchte ihre Zwillingsschwester die Wogen wieder zu glätten. „Das Wichtigste ist doch, dass das Baby gesund und munter ist. Möchtest du uns nicht ein Foto von ihr zeigen, Crocodile? Neugeborene haben immer so zerknautschte Gesichter, total niedlich!“

„Ich... naja... ich habe auch kein Foto gemacht. Aber...“ Crocodile schluckte, als er Mozz' entsetzten Gesichtsausdruck bemerkte. „Aber bestimmt hat Doflamingo mir sowieso welche geschickt.“

Als Crocodile auf sein Handy blickte (der Display war noch immer zersplittert), stellte er erleichtert fest, dass sein Ehemann ihm tatsächlich einige Schnappschüsse zugesendet hatte. Rasch hielt er seinen beiden neugierigen Arbeitskolleginnen ein Foto unter die Nase, auf dem seine Nichte gekleidet in einen rosafarbenen Strampelanzug zu sehen war.

Crocodile konnte die begeisterten „Aww!“-Laute von Kiwi und Mozz nicht so recht nachvollziehen (seiner Meinung nach hatte seine Nichte auf dem Bild gewisse Ähnlichkeit mit einem hellen Laib Brot oder einer gekochten Kartoffel), doch zumindest wurde er den restlichen Arbeitstag über von den beiden in Ruhe gelassen.
 

Es wunderte Crocodile nicht, dass Doflamingo am liebsten jede freie Minute mit ihrer kleinen Nichte verbringen wollte. Mehrmals pro Woche überredete er ihn zu einem Besuch bei Hancock. Dann machten sie alle zusammen einen kleinen Kaffeeklatsch, erledigten den Haushalt und hielten das kleine Baby, das noch immer keinen Namen hatte, abwechselnd im Arm.

Zu Beginn war Crocodile noch sehr ängstlich im Umgang mit seiner Nichte gewesen. Sie war absolut winzig und wirkte zerbrechlich wie trockenes Laub. Er musste sich ernstlich zusammenreißen, um nicht nervös loszubrabbeln, als seine Schwester ihm das kleine Baby zum ersten Mal in den Arm legte. Als irgendwann zu ihm durchdrang, dass Kinder doch robuster waren als zuerst gedacht, wurde er sicherer bei allem, was mit der Kleinen zutun hatte.

„Hast du dich endlich für einen Namen entschieden?“, fragte Crocodile, während er seiner Nichte sanft über den von einem dünnen Pflaum Haare bedeckten Kopf streichelte. Sie trug heute einen der zahlreichen Strampelanzüge, die Doflamingo und er ihr bei der Schwangerschafts-Party geschenkt hatten. Es war ein furchtbar hässliches Modell (Altrosa mit aufgenähten Rüschen). Um ehrlich zu sein, war Crocodile sich sicher, dass Hancock ihr dieses furchtbare Ding bloß angezogen hatte, um Doflamingo eine Freude zu machen.

„Noch nicht“, erklärte seine Schwester, die unruhig an ihrer Tasse Tee nippte. Ihre Augen waren bläulich umschattet und ihre ansonsten makellose Haut wirkte ein wenig blasser als üblich. Offensichtlich raubte ihre Tochter ihr viel Schlaf.

„Aber muss man denn den Babies keine Namen geben, bevor man sie mit nach Hause nimmt?“

„Im Krankenhaus wurde mir gesagt, dass ich mir ruhig noch ein bisschen Zeit lassen könnte.“

Crocodile wendete sich wieder dem Säugling in seinem Schoß zu. Allmählich ähnelte das kleine Mädchen immer weniger einem zerknautschten Lederball. Er erwischte sich dabei wie er hoffte, dass sie später mehr wie Hancock und weniger wie Luffy aussehen würde.

„Es gibt einige Namen, die in der engeren Auswahl sind“, fuhr Hancock mit leiser Stimme fort. „Aber es ist nicht leicht sich zu entscheiden.“

„Welche denn?“ hakte Doflamingo sofort nach. Er machte eine Geste, die bedeutete, dass Crocodile ihre Nichte an ihn weitergeben sollte.

„Nun ja, ich denke, Aiko wäre ein ganz guter Name. Oder Kazumi. Ruri klingt auch nett.“

„Wie wäre es mit Nozomi?“, schlug Crocodile vor, während er das kleine Mädchen behutsam in den Schoß seines Ehemanns legte. „Das bedeutet Hoffnung.“

„Nozomi...“, wiederholte Hancock bedächtig. „Das ist ein wirklich schöner Name. Gut, dann heißt sie nun Nozomi.“

Crocodile hatte nicht damit gerechnet, dass seine Schwester den Namensvorschlag so schnell und widerstandslos annehmen würde, doch widersprach nicht. Er wusste selbst zwar nicht, wie er so plötzlich auf diesen Namen gekommen war, doch er fand, dass er gut passte.

Es dauerte nicht lange, ehe Nozomi zu schreien begann. Mit einem rücksichtsvollen Lächeln gab Doflamingo sie an ihre Mutter zurück. „Das war nur eine Frage der Zeit“, meinte Hancock leise seufzend. „Immerhin hat sie drei Stunden am Stück geschlafen. Ich glaube, das ist ein neuer Rekord.“
 

*
 

„Ich habe eine Überraschung für dich“, kündigte Doflamingo mit absolut freudestrahlendem Gesicht an.

Crocodile, der gerade erst von der Arbeit heimgekommen war und eigentlich bloß seine Ruhe haben wollte, unterdrückte ein genervtes Seufzen, ehe er erwiderte: „Danke, aber ist das dringend? Weiß du, ich hatte heute wirklich sehr viel zu tun und würde gern duschen...“

„Papperlerpapp“, unterbrach ihn sein Ehemann und machte eine wegwerfende Handbewegung. Noch immer zierte ein breites Grinsen seine Lippen.

„Wenn ich geduscht habe...“

Doch Doflamingo ließ keine Ausrede durchgehen. Aufgeregt ergriff er Crocodile rechte Hand und lotste diesen in einen Gang, der rechts vom Foyer abzweigte. Hierher verschlug es sie beide eher selten. (Zu Beginn hatte Crocodile es ziemlich seltsam gefunden, dass es Orte innerhalb der Villa gab, an denen sowohl Doflamingo als auch er sich nicht oft aufhielten. Doch irgendwann hatte er sich an diesen Umstand gewöhnt. Wirklich regelmäßig nutzten sie eigentlich nur ihr Wohn-, Schlaf- und Esszimmer sowie Crocodiles Raum. Und natürlich das große Badezimmer, das an das Schlafzimmer angrenzte.)

Vor einer recht unscheinbar wirkenden Türe blieben sie stehen. Crocodile, der sich immer mehr nach einer entspannenden Dusche sehnte, ließ seinen irritierten Blick zwischen seinem Partner und der Holztüre hin- und herschweifen.

„Mach deine Augen zu“, befahl Doflamingo mit sanfter Stimme. Crocodile erlaubte sich einen ungeduldigen Seufzer, doch tat wie ihm geheißen. Anschließend öffnete Doflamingo die Türe und führte ihn bedächtig hindurch.

Als er seine Augen wieder öffnen durfte, erblickte Crocodile etwas, womit er unter keinen Umständen gerechnet hätte: Er befand sich in einer (zugegebenermaßen sehr hübschen) Küche. Mit hochgezogener Augenbraue schaute er sich um. Die Fronten der Schränke waren hell lackiert; es gab einen Gasherd und eine Spülmaschine; der Kühlschrank war zweitürig.

„Und?“, hörte er seinen Ehemann aufgeregt fragen. Er schien eine begeisterte Reaktion zu erwarten. „Gefällt dir die Küche?“

„Sie ist hübsch“, antwortete Crocodile wahrheitsgemäß. Um ehrlich zu sein, begriff er nicht so recht, worauf Doflamingo hinauswollte. Er hatte ihm diese (offenbar komplett neue) Küche gezeigt. Und nun? Was wollten sie beide hier überhaupt?

„Mir ist nicht entgangen, wie gern du kochst, wenn wir bei Hancock zu Besuch sind“, erklärte sein Partner ihm. „Und früher, als du noch in deiner Loft-Wohnung gelebt hast, hast du dein Essen auch immer so gern selbst zubereitet. Deswegen dachte ich mir, dass du dich über eine eigene Küche freuen würdest!“

„Du... du willst mir diese Küche schenken?“, hakte Crocodile verdattert nach. „Einfach so?“

Doflamingo nickte begeistert. „Ich habe sie nur für dich einbauen lassen“, erklärte er ihm mit fröhlicher Stimme. „Ich meine: Klar, wir haben eine Küche. Dort kochen ja unsere Angestellten für uns. Aber das ist so eine Großküche wie im Restaurant. Ich habe mir überlegt, dass du dich über eine kleinere und, nun ja, einfach heimeligere Küche eher freuen würdest.“

„Das... das wäre doch nicht nötig gewesen!“, meinte Crocodile, der nicht so recht wusste, was er sonst sagen könnte. Mit entgeisterter Miene ließ er seinen Blick über die edle Arbeitsplatte aus Marmor gleiten.

Doflamingo, der seine Reaktion misszuverstehen schien, grinste breit. „Aber ich mache dir gerne eine Freude“, erwiderte er. „Erinnerst du dich noch an die Küche in deiner alten Wohnung? Ich weiß noch, wie ich dich das erste Mal Zuhause besucht habe und du mich bekocht hast.“

Crocodile nickte langsam. Er fühlte sich völlig überrollt. „Ich habe Spaghetti mit Tomaten, Feta-Käse und Oliven gemacht.“

„Dein Leibgericht“, fügte Doflamingo hinzu. „Einmal habe ich auch Lebensmittel mitgebracht und wir haben zusammen gekocht. Wirklich unfassbar, wie schnell die Zeit vergeht. Es kommt mir vor wie gestern, dass wir vor dem Ofen gehockt und dem Lammfleisch beim Brutzeln zugeschaut haben.“

„Hast du dir nicht sogar in den Finger geschnitten?“ Crocodile erinnerte sich vage.

„Beim Zwiebel hacken“, gab sein Ehemann ihm Recht und lachte laut über sich selbst. „Ich bin in der Küche nicht halb so geschickt wie du.“

„Wahrscheinlich hast du einfach nie gelernt zu kochen“, spielte er das Kompliment hinunter. „Du wirst doch seit frühester Kindheit von Bediensteten bekocht, oder?“

„Warum bringst du mir das Kochen nicht bei?“, bat Doflamingo ihn. „Wir könnten gleich heute anfangen. Wie wär's, wenn wir dasgleiche Gericht zubereiten wie damals: Lamm mit Gemüse und Reis?“

„Also gut, von mir aus“, ließ Crocodile sich erweichen. „Aber zuerst möchte ich duschen.“
 

Zusammen zu kochen machte genauso viel Spaß wie damals. Das lag vor allem daran, dass Doflamingo sich immer noch ganz genauso talentlos gab. Um eine einzige Zwiebel zu hacken, benötigte er fast zehn Minuten; das kleine Schneidemesser hielt er so unsicher in der Hand wie ein Kindergartenkind die Bastelschere.

Doch es machte Crocodile nichts aus, dass die Zubereitung des Essens doppelt so lang dauerte wie sonst. Es war schön gemeinsam mit seinem Ehemann in der Küche zu stehen. Sie machten viele Scherze und unterhielten sich zwischendurch über irgendwelche Belanglosigkeiten.

„Vielleicht können wir auch mal ein paar Gäste zu uns einladen“, schlug Doflamingo vor, während er die Auflaufform vorsichtig in den Ofen schob. „Ich habe noch nie für jemand Anderen gekocht; das wäre echte Premiere. Bestimmt würden sich Law und Kid oder deine Geschwister freuen.“

„Klar, warum nicht“, gab Crocodile zurück.

„Ich finde den Namen, den du für das Baby ausgesucht hast, übrigens sehr schön. Das habe ich dir noch gar nicht gesagt, glaube ich. Wie bist du auf Nozomi gekommen?“

Crocodile zuckte mit den Schultern. „Ehrlich gesagt, weiß ich das gar nicht so genau. Ich fand einfach, dass der Name sich gut anhört.“

Doflamingo schmunzelte. „Es war wirklich lustig, wie aufgeregt du im Kreißsaal gewesen bist. Man hat gemerkt, dass du total überfordert warst.“

„Nun ja, ich habe auch absolut nicht damit gerechnet gehabt, dass ich dabei sein würde“, verteidigte Crocodile sich. „Davon hatte Hancock vorher nie ein Wort gesagt!“

„Ich vermute, dass es eine Art Wiedergutmachung sein sollte“, sagte sein Ehemann. „Du weißt schon, wegen eures großen Streits. Sie hat sich wirklich schlecht gefühlt deswegen.“

Crocodile rollte mit den Augen. „Diese Sache ist doch längst vergessen“, meinte er. „Ich habe ihr vergeben und fertig. Es wäre wirklich nicht notwendig gewesen, mich die Nabelschnur durchschneiden zu lassen.“

„Weiß du, das ist eine Sache, die ich sehr gern an dir mag: Du bist nicht nachtragend. Du kannst zwar wirklich wütend werden, aber wenn du jemandem vergeben hast, dann meinst du das auch ernst. Ich kann nämlich Menschen nicht ausstehen, die nach vorne hin so tun als wäre alles in Ordnung, aber hintenrum dann immer noch böse Worte fallen lassen.“

„Bist du denn nachtragend?“, fragte Crocodile mit leiser Stimme.

Doflamingo hielt für einen Moment inne, ehe er mit den Schultern zuckte. „Nun ja“, meinte er mit unsicherer Stimme, „es kommt natürlich drauf an, worum es geht. Ich kann es zum Beispiel gar nicht leiden, wenn mich jemand anlügt.“ Bei dieser Aussage bildete sich automatisch ein schmerzhafter Knoten in Crocodiles Magen. „Oder wenn Leute heuchlerisch sind. Ich musste in meinem Leben leider schon sehr viele Menschen kennenlernen, die nur meines Geldes wegen mit mir befreundet sein wollten. Eine Exfreundin von mir hat mich sogar einmal bestohlen. Es ist nicht leicht mit solchen Dingen umzugehen.“

„Menschen machen Fehler“, wandte Crocodile ein. „Niemand ist perfekt. Auch wir beide nicht. Wenn derjenige bereut, was er getan hat, versuche ich immer ihm zu vergeben. Schließlich möchte ich auch, dass man mit mir nachsichtig ist, wenn ich etwas falsch gemacht habe.“

Vergib uns unsere Schuld wie auch wir vergeben unseren Schuldigern“, neckte ihn Doflamingo. „Ich dachte immer, du seist nicht religiös, Croco.“

„Bin ich auch nicht“, erwiderte Crocodile pikiert. „Für mich hat das auch nichts mit Christlichkeit zu tun, sondern einfach mit Menschlichkeit. Wir... wir alle machen Fehler. Tun Dinge, die wir hinterher bereuen. Deswegen sollten wir versuchen Nachsicht zu üben, wenn Andere sich entschuldigen.“

„Wahrscheinlich hast du Recht“, meinte Doflamingo. „Aber nur, wenn es den Leuten auch wirklich leid tut! Diese Exfreundin, die mich beklaut hat, hatte absolut kein schlechtes Gewissen. Sie hat sich nur geärgert, weil ich sie erwischt habe.“

„Und wenn es anders gewesen wäre?“, hakte Crocodile nach. „Du besitzt so viele wertvolle Gegenstände... Stell dir einmal vor, dir wäre gar nicht aufgefallen, dass sie etwas gestohlen hat. Eine deiner vielen Armbanduhren zum Beispiel. Später gesteht sie dir dann, dass sie die Uhr geklaut hat und bringt sie wieder zurück. Würde ihre Reue für dich einen Unterschied machen? Oder zählt für dich nur der Diebstahl?“

„Das ist eine schwierige Frage“, sagte sein Ehemann. „Wie kommst du darauf?“

Crocodile zuckte unbeholfen mit den Schultern. „Du hast doch mit diesem Thema angefangen, oder nicht?“, meinte er schließlich.

„Wenn mir meine Exfreundin etwas bedeutet hätte, dann hätte ihre Reue für mich wohl einen Unterschied gemacht“, sagte Doflamingo zum Schluss.
 

*
 

Weil sie wussten, dass Hancock sich darüber freuen würde, organisierten ihre beiden älteren Brüder eine Überraschungsparty zu ihrem einunddreißigsten Geburtstag. Es sollte keine große Feier werden (das wäre allein schon wegen der erst wenige Wochen alten Nozomi schwierig gewesen), doch sie machten sich wenigstens die Mühe einige Freunde einzuladen, das Haus zu dekorieren und eine schöne Geburtstagstorte zu besorgen. Hancock, die als Vorwand von ihrer besten Freundin Sondersonia zum Kaffetrinken fortgelockt wurde, war absolut begeistert, als sie zurückkehrte und die geheime Partygesellschaft vorfand.

Crocodile war zwar kein sonderlich großer Freund von kitschigen Feiern, doch er freute sich für seine Schwester und gönnte ihr diesen Abend. Weil er sie in letzter Zeit sehr häufig besuchte, wusste er aus erster Hand wie nervenaufreibend die Pflege eines Neugeborenen sein konnte. Ständig musste Nozomi gefüttert, gewickelt oder getröstet werden. Er war sich sicher, dass Hancock seit der Geburt ihrer Tochter nie länger als vier Stunden am Stück geschlafen hatte.

Es wäre ein schöner Abend geworden, hätte sein Bruder Mihawk nicht wieder einmal ungefragt Gecko Moria eingeladen. Normalerweise machte Crocodile keinen Hehl aus seiner Abscheu, doch um Hancocks Willen bemühte er sich darum sich anständig zu verhalten und sich Morias gehässigen Sticheleien nicht zu Herzen zu nehmen.

Leider spürte Crocodile, dass sein Geduldsfaden immer dünner wurde, je länger die kleine Feier andauerte. Moria, der sich nur dann gut fühlte, wenn er andere Menschen erniedrigen konnte, machte sich einen Spaß daraus Crocodile auf den Kieker zu nehmen.

„Schickes Hemd“, meinte er und stopfte sich genüsslich eine mit Torte beladene Gabel in den Mund, „hat dein Ehemann dir das gekauft?“

„Nein, hat er nicht“, erwiderte Crocodile kühl und nahm einen Schluck Wasser. Zu seinen Ungunsten hatte Gecko Moria ein echtes Talent dafür, die Schwächen seiner Mitmenschen ausfindig zu machen, ganz gleich wie gut man sie zu verbergen versuchte. Natürlich war ihm bewusst, dass Crocodiles es nicht ausstehen konnte, wenn Doflamingo ihn einlud oder ihm teure Geschenke machte.

„Und freust du dich über die Geburt deiner Nichte? Ich habe gehört, du hättest im Kreißsaal beinahe gekotzt.“ Moria lachte spöttisch und schob sich ein weiteres Stück der Geburtstagstorte in den Mund.

„Es war ein wunderschöner Moment.“ Lass dich nicht provozieren, redete er sich selbst gut zu. Unauffällig blickte er zu seiner Schwester hinüber, die sich mit ihren Freundinnen Sondersonia und Ran unterhielt und dabei fröhlich lächelte. Verdirb Hancock nicht die Feier.

„Wirklich ein hübsches Kind, genauso schön wie die Mutter“, fuhr Moria fort. „ Hoffentlich bereit die kleine Nozomi ihrer Familie nicht so viel Kummer und Sorgen wie du deiner.“

Nun hatte Crocodile endgültig genug. Er zwang sich mit aller Kraft dazu Moria keinen bösen Blick zuzuwerfen (damit hätte er bloß bewiesen, dass seine Worte ihn trafen) und stand von seinem Platz auf. Ohne ein weiteres Wort zu verlieren ging er hinüber ins Badezimmer und schloss die Türe hinter sich.

Crocodile schloss für eine Weile seine Augen und bemühte sich darum Morias grausame Bemerkung einfach abzutun. Doch je länger er versuchte sich einzureden, dass ihm die Meinung dieses gemeinen Fettwanstes egal sein konnte, desto stärker wurden seine Wut und seine Frustration.

Stimmte es, dass er seiner Familie oft Kummer und Sorgen bereitet hatte? Moria hat nicht Unrecht, gestand Crocodile sich schließlich ein und öffnete seine Augen wieder. Sein Blick schweifte eine Weile im feminin eingerichteten Badezimmer umher, ehe er am mit Stoff überzogenen Toilettendeckel hängenblieb.

Seine Eltern hassten ihn und ignorierten seine Existenz, seitdem er sich vor ihnen geoutet hatte. Seine beiden Geschwister hatten sich furchtbare Sorgen um ihn gemacht, während es ihm einfach nicht gelingen wollte, sich aus seiner gewalttäigen Beziehung mit Enel zu befreien. Seinem Bruder Mihawk hatte er ein halbes Jahr praktisch auf der Tasche gelegen; ganz abgesehen davon, dass ihn Crocodiles fataler Motorradunfall und die Tatsache, dass es ihm so schwer gefallen war sich an ein Leben mit nur einer Hand zu gewöhnen, sehr belastet hatte. Und sein Ehemann... Wie würde Doflamingo reagieren, wenn er von seinen Lügen erzählte?

Crocodile wandte den Blick vom Toilettendeckel ab und betrachtete stattdessen sein eigenes Spiegelbild. Zwei hellbraune (Doflamingo sagte immer bernsteinfarbene) Augen schauten ihn aus einem bleichem Gesicht heraus an. Mit seinem Armstumpf fuhr Crocodile bedächtig über die schmale Narbe, die quer über seine Nase verlief. Er hatte sich so sehr an diesen Anblick gewöhnt, dass er oft vergaß, dass er anders ausschaute als die meisten Menschen.

Hoffentlich wird es Nozomi im Leben anders ergehen, dachte er und unterdrückte ein Seufzen. Er hatte seine kleine Nichte schneller ins sein Herz geschlossen als er es je für möglich gehalten hätte.
 

Eines abends taten sie tatsächlich, was Doflamingo vorgeschlagen hatte: Sie luden ein paar Freunde ein und bekochten sie.

Law, Kid, Kuma, Bellamy, Cirkies und Dellinger wirkten ziemlich argwöhnisch, als Doflamingo ihnen verkündete, dass er höchstpersönlich in der Küche stehen würde. (Crocodile konnte es ihnen nicht verübeln, denn immerhin hatten sich die Kochkünste seines Ehemannes nicht signifikant verbessert). Mihawk und Daz, die es durchaus gewöhnt waren von Crocodile bekocht zu werden und das Ergebnis für gewöhnlich als gut befanden, freuten sich auf leckeres Abendessen in einer geselligen Runde. Hancock, die ursprünglich ebenfalls eingeladen gewesen war, hatte kurzfristig absagen müssen, weil Nozomi Fieber bekommen hatte.

„Ich bin wirklich gespannt wie das Essen wird“, neckte sie Bellamy. „Hoffentlich müsst ihr keinen Krankenwagen für mich rufen.“

„Crocodile kann ausgezeichnet kochen“, nahm Daz ihn in Schutz und nippte an seinem Wasserglas. „Als wir beide noch Studenten waren, hat sich praktisch die ganze Nachbarschaft um eine Essenseinladung gerissen.“

„Übertreib bitte nicht“, ermahnte Crocodile seinen alten Freund peinlich berührt. Gemeinsam mit seinem Mann hatte er ein recht simples Gericht zubereitet; deshalb wollte er die Erwartungen nicht zu weit nach oben schrauben.

Es gab Rumpsteak-Rouladen mit grüner Pfeffersauce und diversen Beilagen. Crocodile war zwar der Meinung, dass Doflamingo den Knoblauch ein wenig feiner hätte hacken können, doch ihren Gästen schien es zum Glück trotzdem zu schmecken.

„Angesichts der Tatsache, dass Doflamingo mitgeholfen hat, hätte ich es nie für möglich gehalten“, meinte Law, der gerade eine kleine Scheibe Baguette in die Pfeffersauce tauchte, „aber das schmeckt wirklich fantastisch. Ich wusste gar nicht, dass du so gut kochen kannst, Crocodile. Davon hat Doflamingo nie etwas erzählt. Und normalerweise kann er gar nicht aufhören von dir zu reden.“

Diese Aussage brachte alle Anwesenden zum Schmunzeln. Crocodile, der sich zwar über das Kompliment freute, doch gleichzeitig auch unwohl zu fühlen begann, erwiderte: „Nun ja, ich bin in letzter Zeit nicht sonderlich häufig dazu gekommen selbst zu kochen. Meistens übernehmen das Doflamingos Angestellten.“

„Ich weiß noch, wie ich früher immer von der Arbeit heimkam und du mich jeden Tag mit einem frisch gekochten Abendessen erwartet hast“, seufzte Mihawk wehmütig. „Manchmal vermisse ich diese Zeiten.“

„Vielleicht solltest du dir auch endlich mal einen Partner suchen“, sagte Doflamingo grinsend und stupste seinen Schwager mit dem Ellenbogen an.

„Das sagst du so leicht“, gab Mihawk zurück. „Aber bisher habe ich noch keinen Menschen getroffen, mit dem ich mir ein dauerhaftes Zusammenleben vorstellen kann. Letzte Woche erst hatte ich eine Verabredung mit einer Frau, die anfangs einen sehr sympathischen Eindruck erweckte. Leider hat sich das Ganze hinterher als totaler Reinfall herausgestellt. Aber nun ja, so ist eben das Leben.“

„Irgendwann wirst du die Richtige finden“, versuchte Doflamingo ihn aufzumuntern.

Mihawk zuckte mit den Schultern. „Vielleicht“, sagte er schließlich. „Vielleicht auch nicht. Es geht im Leben -zumindest in meinem Leben- nicht nur darum eine Frau zu finden. Ich habe eine wunderbare Familie und eine Arbeit, die mir Spaß macht. Das ist auch einiges wert.“

„Wohl war“, stimmte Kuma, der (soweit Crocodile wusste) ebefalls single war, ihm zu.
 

*
 

Es war Samstagabend. Und es war das erste Mal seit über zehn Jahren, dass Crocodile Eustass Kids kleine Wohnung in der Nähe der Gold-Roger-Brücke betrat. Verwundert stellte er fest, dass sich nur wenig verändert hatte. Im Flur stand sogar noch dieselbe Kommode wie früher.

Sie hatten geplant gemeinsam mit ein paar Freunden in Shakkys Bar zu gehen. Weil Kids Wohnung nicht weit entfernt war, warteten Crocodile und Doflamingo dort gemeinsam mit ihm auf Law, der noch bis zweiundzwanzig Uhr Dienst im Krankenhaus hatte und nachkommen wollte.

„Möchtet ihr etwas trinken?“, fragte Kid, nachdem sie auf dem alten, gemütlichen Sofa im Wohnzimmer Platz genommen hatten. Im Fernsehen lief irgendein Musiksender, den Crocodile nicht kannte.

„Ein Wasser, bitte.“

„Und für mich ein Bier!“

Während Kid kurz in der Küche verschwand, blickte Crocodile sich neugierig um. Hätte man ihm nur ein Bild dieses Wohnzimmers gezeigt und gefragt Welchen Beruf übt der Bewohner aus?, dann hätte er vermutlich ein verrückter Künstler geantwortet. Überall lagen eng beschriftete Skizzenpapiere, Stifte, Pinsel, Fläschchen mit bunter Farbe, dickes Papier und allerlei andere Dinge herum. Sogar die Tapeten waren an einigen Stellen als Leinwände zweckentfremdet worden. Unweigerlich kam Crocodile in den Sinn, wie Kid nachts aus dem Schlaf gerissen wurde, hektisch aufstand und auf dem Weg ins Wohnzimmer nach irgendwelchen Stiften oder Pinseln griff, um schnellstmöglich seine neueste Idee zu Papier zu bringen. Oder eben zur Tapete, falls kein Papier schnell genug zur Hand war. Es fiel Crocodile nicht schwer nachzuvollziehen, welchen Reiz der exzentrische Tätowierer auf Trafalger Law ausübte.

„Danke“, sagte er, als Kid ihm ein Glas kühles Mineralwasser reichte. Gierig trank er es ihn zwei Zügen leer.

„Law hat mir eben eine Nachricht geschrieben“, meinte Kid, während er für sich und Doflamingo zwei Bierflaschen öffnete. „Offenbar kann er sich etwas früher loseisen.“

„Großartig“, erwiderte Doflamingo gut gelaunt und stieß mit seinem Gastgeber an.

Sie plauderten ein wenig über dieses und jenes, ehe schließlich Law ihr Quartett vervollständigte. Angesichts des chaotischen Zustands des Wohnzimmers warf er seinem Freund einen tadelnden Blick zu. „Du hättest ein wenig Ordnung schaffen sollen“, sagte er anstelle einer Begrüßung. „Immerhin wusstest du, dass wir Gäste erwarten.“

„Ordnung braucht nur der Dumme“, gab Kid keck zurück und schenkte Law ein warmes Lächeln, „das Genie beherrscht das Chaos.“

Daraufhin gab Law bloß einen Brummlaut von sich, ehe er hinüber in die Küche ging, um sich ebenfalls ein Bier zu besorgen.

„Mir gefällt's hier“, versicherte Crocodile ihm, als Law zurückkehrte und sich neben ihm auf dem alten Sofa niederließ. „Diese Wohnung hat Charme.“

„Ich weiß, was du meinst“, sagte er seufzend und nippte an seiner Flasche. „Als ich Kid das erste Mal Zuhause besuchte, war ich total überwältigt. Vorher bin ich eigentlich bloß mit irgendwelchen langweiligen Medizinern oder Juristen ausgegangen. Aber Kid ist ganz anders. Viel interessanter. Ich erinnere mich noch daran, wie er mir bei seinem ersten Besuch eines seiner alten Skizzen-Alben zeigte. Das hier ist es gewesen, glaube ich.“

Law stand kurz auf, um ein abgegriffenes, ledergebundenes Album aus dem Wohnzimmerschrank hervorzuholen. Als er es aufschlug, warf Crocodile gleich neugierig einen Blick hinein. Die meisten Skizzen waren äußerst detailliert, doch unfertig. Alle schauten wahnsinnig interessant aus. Obwohl Crocodile nicht gerade über eine künstlerische Ader verfügte, konnte er sich gar nicht satt sehen.

„Wenn Kid ein Bild vor Augen hat, dann wird er zum Teufel“, erklärte Law ihm mit leister Stimme. „Dann muss er einfach zu Stift und Papier greifen und aufzeichnen, was er im Kopf hat. Er kann gar nicht anders. Einmal habe ich ihn gefragt, wozu er das macht. Irgendwelche Skizzen aufmalen, nicht fertigstellen und dann diese Seite im Album nie wieder anrühren. Er meinte bloß zu mir: Weil es mich quält, wenn ich es nicht tue. Ich bin mir nie sicher, ob er Erinnerungen aufmalt oder Träume. Vielleicht auch beides. Ich habe noch keinen Menschen wie ihn getroffen.“

Crocodile nickte bedächtig. Er konnte sich ganz genau vorstellen, was Law meinte. Während Law sich eine zweite Flasche Bier besorgte, nahm Crocodile das ledergebundene Album auf den Schoß und blätterte umsichtig durch die vergilbten Seiten.

Und dann fand er sie: Die Skizze eines verunglückten Motorradfahrers, dessen linke Hand zwischen einem steilen Hang und dem Heck eines Volvo eingequetscht worden war. Crocodile stockte der Atem. Mit großen Augen begutachtete er die Situation. Es war das erste Mal, dass er seinen verheerenden Unfall aus einer anderen Perspektive sah. Neugierig ließ er den Blick über sein verdreht da liegendes Bein, seine zerrissene Motorradbekleidung schweifen. Sogar das Nummernschild seiner CBR 650 F hatte Kid richtig in Erinnerung behalten.

Crocodile empfand weder Schmerz noch Kummer, als er diese Skizze begutachtete. Er hatte schon vor vielen Jahren seinen Frieden mit diesem schlimmen Unfall geschlossen gehabt. Um ehrlich zu sein, konnte er sich kaum noch vorstellen wie es war, einen Bericht für die Arbeit mit zehn Fingern statt nur fünf abzutippen.

Plötzlich hörte er, wie Kid scharf die Luft zwischen den Zähnen einsaugte. Er sprang von seinem Platz auf und hetzte zu Crocodile hinüber. Offenbar hatte er bemerkt, welches Album dieser in der Hand hielt. „Tut mir leid“, sagte Kid in einem Tonfall, den Crocodile noch nie zuvor bei ihm gehört hatte. „Ich... Tut mir leid! Ich weiß nicht,was ich sagen soll...Ich... Es tut mir so leid! Du solltest das nicht sehen!“

„Ist schon gut“, gab Crocodile zurück, der Kids Panik überhaupt nicht nachvollziehen konnte. Es ging doch bloß um eine Zeichnung. Noch dazu eine Zeichnung, die zehn Jahre alt war.

„Nein, ist es nicht!“, meinte Kid und versuchte ihm das Album abzunehmen. „Ich... Das...Ich... Das ist respektlos! Es tut mir leid!“

„Beruhige dich“, redete Crocodile, der noch immer vollkommen gelassen war, ihm gut zu.

Längst hatten auch Doflamingo und Law ihre Aufmerksamkeit auf die Skizze im Buch gerichtet. Natürlich zählten sie sofort eins uns eins zusammen.

„Oh- oh nein“, meinte Law und schlug entsetzt die Hände vor dem Mund zusammen. „Bist du das etwa, Crocodile!?“

„Es tut mir leid“, wiederholte Kid zum x-ten Mal.

„Es gibt nichts, was dir leidtun müsste“, gab Crocodile gelassen zurück.

Nun schien Kid endgültig die Nerven zu verlieren. „Ich habe dich gezeichnet!“, heulte er mit verzweifelter Stimme auf und startete einen erneuten Versuch, ihm das Album abzunehmen. „Du lagst dort auf dem Boden, schwerverletzt, hattest Schmerzen und Todesangst! Und ich habe diesen Augenblick auf Papier festgehalten. Das hätte ich nicht tun sollen. So etwas ist respektlos. Ich... ich wollte nie, dass du diese Zeichnung siehst, Crocodile. Bitte ich... ich sollte sie wohl am besten verbrennen.“

„Verbrennen?“ Irritiert zog Crocodile eine Augenbraue hoch. „Wieso das denn?“

Seine pure Gelassenheit schien Kid noch weiter in den Wahnsinn zu treiben. „Was ist bloß los mit dir?“, brüllte er. „Du solltest wütend sein. Aufgebracht. Traurig. Empört. Wie kannst du in dieser Situation bloß so ruhig bleiben?!“

Crocodile zuckte mit den Schultern. „Ich habe mich mit diesem Unfall schon lange abgefunden“, sagte er schließlich in Ermangelung einer besseren Antwort. „Und ich finde deine Zeichnung überhaupt nicht respektlos. Ganz im Gegenteil: Es ist interessant, diese Sache mal aus einer anderen Perspektive zu sehen. Die Details sind wirklich unglaublich. Sogar an mein kaputtes Handy hast du gedacht.“

Erschöpft ließ Kid sich zurück auf seinen Platz sinken. Den Versuch, an das Album zu kommen, schien er inzwischen aufgegeben zu haben.

„Ich habe diese Skizze nicht angefertigt, um dich bloßzustellen“, erklärte er mit matter Stimme. „Sondern... ich... ich konnte nicht aufhören an diesen Unfall zu denken. Immer wieder habe ich mich gefragt, ob ich nicht mehr hätte tun können. Ob ich nicht schneller hätte reagieren müssen. Als ich hörte, dass die Ärzte deine Hand amputieren mussten, haben mich lange Zeit Schuldgefühle geplagt.“

„Aber dieser Unfall ist doch überhaupt nicht deine Schuld gewesen“, hielt Crocodile dagegen. Er hatte nie gewusst, wie sehr Kid sich durch diese Sache belastet fühlte. Das war ihm in über zehn Jahren niemals in den Sinn gekommen. „Ganz im Gegenteil: Du warst mein Retter. Hättest du mich nicht gefunden und die Ambulanz alarmiert, wäre ich wahrscheinlich gestorben. Ich habe für dich niemals etwas Anderes als Dankbarkeit empfunden.“

Kid senkte den Blick. „Ich... Als ich dich dort liegen sah... Ich konnte mich gar nicht rühren. Wertvolle Sekunden verstrichen, in denen ich bloß wie ein Trottel da stand. Ich... ich hätte sofort den Notarzt anrufen müssen. Aber ich stand bloß da. Und dann hab ich mir auf die Füße gekotzt. Ich... Wie du da lagst... Mit der eingequetschten Hand und dem weggeknickten Bein... Dieses Bild hat mich in meinen Träumen verfolgt. Ich... Ich musste es einfach irgendwo lassen. Damit ich wieder schlafen konnte. Kannst du das verstehen?“

Crocodile nickte verständnisvoll. „Mir macht diese Zeichnung nichts aus“, sagte er. „Irgendwie gefällt sie mir sogar.“ Er warf einen letzten Blick auf die Seite, ehe er das Skizzen-Album zuschlug und an Law zurückgab. „Wollen wir dann jetzt los zu Shakky's Bar?“, fragte er mit gelassener Stimme in die Runde.
 

Crocodile hatte seine Schulden inzwischen auf 85.000 Berry reduziert. Das war in Ordnung. Franky war von der Arbeit, die er leistete, noch immer hellauf begeistert und er verdiente gutes, sicheres Geld. Die dringendsten Schulden hatte er längst bezahlt. Und es würde nicht mehr lange dauern, bis er endlich wieder schwarze Zahlen schreiben konnte.

Allmählich fühlte Crocodile sich besser. Die schwere Last auf seinen Schultern schien weniger zu werden. Er war dazu in der Lage sein Leben etwas mehr zu genießen: Sein Normalgewicht hatte er vor einigen Wochen bereits erreicht. Er lachte öfter und neckte gern seinen Ehemann. Zurzeit gingen sie fast jedes Wochenende aus; manchmal mit Freunden, manchmal nur zu zweit. Nozomi lernte zu krabbeln und das letzte Mal, als er seine Nichte besuchte, erkannte sie sein Gesicht wieder und lachte freudig.

Es war beinahe zu schön, um wahr zu sein. Ich würde alles kaputt machen, wenn ich Doflamingo erzähle, dass ich ihn seit über einem Jahr anlüge, dachte Crocodile resigniert. Und wenn er ihm nur die halbe Wahrheit erzählte? Er könnte Doflamingo auftischen, dass er bei der Bank gekündigt habe, weil er mit Sengoku nicht mehr zurechtkam, und nun stattdessen bei Tom's Workers arbeitete. Dann müsste er nicht mehr so penibel genau darauf achten bloß keine verräterischen Einzelheiten von sich zu geben, wenn sein Ehemann ihn fragte, wie es heute bei der Arbeit gelaufen war. Auf der anderen Seite würde er damit das Netz aus Lügen, das er so mühevoll aufgebaut hatte, noch stärker verkomplizieren. Crocodile war hin- und hergerissen.
 

*
 

Es war Mittwochnachmittag und Crocodile war gerade erst von der Arbeit heimgekommen, als Doflamingo ihn unsanft am linken Unterarm packte und hastig in Richtung Tiefgarage schleifte. „Was ist denn los?“, fragte Crocodile teils irritiert, teils verärgert und versuchte sich aus dem Griff herauszuwinden. Er war vollkommen überrumpelt und verstand gar nicht, was überhaupt Sache war. Doch Doflamingo ließ nicht von ihm ab.

„Kid hat mich gerade eben angerufen“, sagte sein Partner mit ernster Stimme und ohne innezuhalten. Er ging zügigen Schrittes zu dem Fahrzeug, das am nächsten stand, und bedeutete Crocodile sich auf dem Beifahrersitz niederzulassen. „Law hatte auf dem Weg zur Arbeit einen Unfall mit seinem Motorrad. Wir müssen sofort ins Krankenhaus.“

Noch während er sprach, ließ Doflamingo den Motor des Wagens an. Weil er viel zu unkonzentriert war, touchierte er beim Ausparken zwei andere Fahrzeuge (unter Anderem Crocodiles Mercedes C 213),doch darauf verschwendete keiner von ihnen beiden einen Gedanken.

„Law hatte einen Verkehrsunfall?“, wiederholte Crocodile mit entsetzter Stimme. Er konnte überhaupt nicht fassen, was sein Ehemann ihm gerade eben mitgeteilt hatte.

Doflamingo nickte stumm. Mit zitternden Fingern klammerte er sich an das Lenkrad des BMW M6 Coupe. Auch er wirkte völlig fassungslos.

„Was hat Kid noch gesagt?“, wollte Crocodile wissen. „Ist Law schwerverletzt? Schwebt er in Lebensgefahr?“

„Ich weiß es nicht“, erwiderte sein Ehemann mit tonloser Stimme und fuhr über zwei rote Ampeln hintereinander. „Er hatte auch gerade erst davon erfahren und ist selbst auf dem Weg zum Krankenhaus.“

Danach sagte keiner von ihnen mehr ein Wort. Stattdessen breitete sich im Inneren des BMW M6 ein schrecklich banges Schweigen aus. Crocodile wollte schlucken, doch sein Mund war zu trocken. Er versuchte etwas Speichel unter seiner Zunge hervorzukramen, doch er konnte keinen finden. Beklommen griff er mit seiner rechten Hand nach dem Armstumpf auf der anderen Seite und umfasste ihn sanft. Er hoffte innig, dass Law nicht schwerverletzt oder gar tot war.
 

Im Foyer des Krankenhauses traten sie auf Kid, der mit seinen feuerroten Haaren und dem dunklen Lippenstift in jeder Menchenmenge sofort hervorstach. „Zimmer 204“, brüllte er ihnen mit aufgewühlter Stimme entgegen. „Er kommt gerade aus der Notaufnahme.“ Zu dritt machten sie sich so schnell sie nur konnten auf den Weg in den zweiten Stock.

Kid stolperte beinahe über seine eigenen Beinen, als er die Türe zu Zimmer 204 aufstieß. Es war ein Zweibettzimmer. Auf dem Bett am Fenster saß Trafalgar Law - er trug einen dicken Gipsverband um den linken Unterarm und hatte einen missmutigen Gesichtsausdruck aufgesetzt.

Erleichtert atmete Crocodile auf. Offenbar hatten sie sich völlig umsonst so große Sorgen gemacht: Law schien zum Glück nur leicht verletzt zu sein.

Sofort stürzte Kid auf seinen Freund zu und schloss diesen in die Arme. „Law! Um Himmels Willen! Ich hatte schon mit dem Schlimmsten gerechnet! Zum Glück geht es dir gut!“ Er sprach ihnen allen aus der Seele.

Law seufzte leise und erwiderte die Umarmung seines völlig überwältigten Freundes halbherzig. „Gut ist anders“, maulte er und deutete mit einer Kopfbewegung auf seinen eingegipsten Arm. „Mehrfach gebrochen. Ich werde monatelang nicht arbeiten können.“

„Aber das wird wieder heilen, oder nicht?“, fragte Crocodile mit vorsichtiger Stimme. Er war so frei und ließ sich auf dem leeren, gegenüberliegenden Krankenhausbett nieder. Law arbeitete als Chirug. Wenn sein Arm nicht wieder vollständig hergesellt werden konnte, bedeutet dies das Ende seiner Karriere.

„Bleibende Schäden sind auszuschließen“, erwiderte er.

Im Zimmer war ein kollektives Aufatmen zu hören.

„Aber wie ist das passiert?“, wollte Doflamingo wissen, der sich neben Crocodile niederließ. „Du hattest doch noch nie einen Unfall.“

„Keine Ahnung, ich hab einfach die Kontrolle über mein Motorrad verloren“, gestand Law mit gesenktem Blick. „Die Straße war nass und ich war unkonzentriert...“

„Vielleicht ist es gar nicht so schlecht, wenn du mal ein paar Monate nicht arbeiten musst“, meinte Kid angesichts dieser dubios klingenden Aussage. „Du hast dir eine Auszeit verdient.“

Law rollte mit den Augen. „Ich freue mich darüber ganz und gar nicht“, meinte er missgelaunt. „Wegen meines gebrochenen Arms mussten zig Operationen verschoben werden. Außer mir haben nicht viele Gehirnchirugen Dienst.“

„Irgendwie werden sie schon ohne dich auskommen. Wenigstens für ein paar Monate.“

„Das müssen sie“, meinte Law und presste die Lippen aufeinander. „Eine Wahl haben sie nicht.“
 

Man merkte Law sehr deutlich an, dass er mit seiner derzeitigen Lebenssituation alles andere als zufrieden war. Anstatt sich über sein überraschend gewonnenes Mehr an Freizeit zu freuen und sich ein wenig zu erhohlen, nervte er alle um sich herum pausenlos mit seinem Gejammere.

An diesem Abend hatten sie sich gemeinsam mit ein paar weiteren Freunden bei Kid Zuhause getroffen. Später wollten sie sich noch ins Nachtleben stürzen und ein paar Diskotheken besuchen.

Ursprünglich war Crocodile mit recht guter Laune erschienen. Er hatte den gesamten Nachmittag gemeinsam mit Doflamingo im Schlafzimmer verbracht. Zwei Orgasmen und ein reichhaltiges Abendessen, das sie nackt im Bett zu sich genommen hatten, später war von seinem Frohsinn allerdings nicht mehr viel übrig. Law badete ohne Unterlass in Selbstmitleid.

Crocodile, der dem Abend wenigstens eine faire Chance geben wollte, versuchte ihn ein wenig aufzumuntern. „Mir gefällt deine Hose“, meinte er und deutete mit seinem Armstumpf auf besagtes Kleidungsstück.

„Danke. Ich brauche zurzeit dreimal solange wie sonst, um hineinzuschlüpfen“, maulte Law, der links neben ihm saß, und nippte mit einem miesepetrigen Gesichtsausdruck an seinem Bier.

„Wo wollen wir nachher eigentlich hin?“, fragte Bellamy in die Runde, um das Thema zu wechseln und die Stimmung etwas anzuheben.

„Wie wäre es mit dem Mariejois?“, schlug Doflamingo vor.

„Klingt super“, pflichtete Bellamy seinem Cousin bei.

„Ich will nicht ins Mariejois“, jammerte Law. „Das ist ein total snobbiger Laden. Da laufen nur aufgeblasene Affen herum.“

„Wo würdest du denn gerne hin?“, fragte Crocodile mit freundlicher Stimme; zum Einen, weil er es Law gerne recht machen würde und zum Anderen, weil ihm die Getränkepreise im Mariejois die Haare zu Berge stehen ließen. Law hatte nicht Unrecht: Es handelte sich tatsächlich um einen „snobbigen Laden“, in dem sich die Oberklasse traf, um Champagner aus Kristallgläsern zu trinken.

„Keine Ahnung“, murmelte Law abweisend. „Aber nicht ins Mariejois.“

„Wie wäre es mit Shakky's Bar?“, schlug Crocodile als Alternative vor. Die Preise dort waren deutlich moderater.

„Finde ich auch gut“, meinte Bellamy grinsend. „Erinnert ihr euch noch an dieses dumme Mädchen, das wir dort mal getroffen haben? Wie hieß sie noch gleich? Porsche? Die glaubte, dass Crocodile mit seiner Schwester zusammen wäre?“

Der Gedanke an die lustige Situation, die damals in Shakky's Bar zustande gekommen war, sorgte für allgemeines Gelächter. Ausgenommen einer Person natürlich.

„Ich will auch nicht in Shakky's Bar...“

Allmählich riss Crocodile der Geduldsfaden. Er kam mit Menschen, die durchgehend schlecht drauf waren, nur sehr schwer zurecht. Nicht umsonst war er mit einem Mann, der vor allem wegen seines ständig präsenten Lächelns auffiel, zusammen. Außerdem grauste es ihm bei dem Gedanken, dass sich ihre Gruppe doch noch für einen Ausflug ins Mariejois entscheiden würde. Er konnte gut und gerne darauf verzichten 30 Berry für ein stinknormales Bier zu bezahlen.

„Sag mal, was ist denn nur los mit dir?“, meinte er an Law gewandt. Ungeduldig zog er die Augenbrauen zusammen.

„Das kann man sich ja wohl denken, oder nicht?“, gab Law nicht minder verärgert zurück. „Mein Arm ist gebrochen!“

„Das ist doch noch lange kein Grund, um durchgehend schlechte Stimmung zu verbreiten“, gab Crocodile pikiert zurück.

Diese Aussage schien das Fass zum überlaufen gebracht zu haben. Wütend richtete sich Law auf und spie ihm mit giftiger Stimme entgegen: „Du verstehst einfach nicht, wo das Problem liegt! Ich kann meinen linken Arm nicht benutzen! Hast du eigentlich auch nur den Hauch einer Ahnung wie schwierig dadurch mein Alltag geworden ist?! Ich brauche jeden Morgen allein eine halbe Stunde, um mich anzuziehen! Ich kann kein Steak essen, ohne dass es vorher jemand für mich klein schneidet! Um eine Email zu schreiben, brauche ich doppelt so lange wie sonst! Einfach alles ist mühselig und frustrierend geworden! Du kannst dir überhaupt nicht vorstellen, wie ich mich fühle!“

Im ersten Moment wusste Crocodile überhaupt nicht, wie er darauf reagieren sollte. Schließlich hob er beide Arme hoch, sodass Law sowohl die Hand auf der rechten als auch den Armstumpf auf der linken Seite sehen konnte, und erwiderte spöttisch: „Ach nein? Kann ich nicht?“

Nun schien auch Law seinen Gedankenfehler einzusehen. Betreten senkte er den Blick. „Tut mir leid“, sagte er und fuhr sich mit der rechten Hand über den Mund. „Ich... das war dumm von mir.“

„Ist schon gut“, erwiderte Crocodile. „Nur hör bitte endlich auf so schrecklich zu jammern. Das geht mir gehörig auf den Zeiger! Sei einfach dankbar dafür, dass diese Verletzung wieder heilen wird und du bald in dein normales Leben zurückkehren kannst, okay? Wo waren wir stehen geblieben? Shakky's Bar, oder nicht?“
 

Tatsächlich verbrachten sie dann den ersten Teil dieser Nacht gemeinsam in Shakky's Bar.

Die Stimmung in ihrer Gruppe hatte sich wieder gebessert. Law jammerte nicht mehr fortwährend nur herum, sondern schien sich ehrlich Mühe zu geben wenigstens etwas Spaß zu haben. Er ging gerade hinüber zur Theke, um die Bardame Shakky nach seinem Lieblings-Cocktail zu fragen, als Doflamingo mit erleichterter Stimme sagte: „Ich bin wirklich froh, dass er sich wieder eingekriegt hat.“

„Ich auch“, stimmte Kid ihm prompt zu. Er trank den doppelten Whiskey, den er sich bestellt hatte, in einem Zug leer und fügte hinzu: „Um ganz ehrlich zu sein, ist mir sein Selbstmitleid mit der Zeit extrem auf die Nerven gegangen. Zum Glück konntest du ihn zur Besinnung bringen, Crocodile.“

„Naja“, meinte Crocodile, dem dieses Thema etwas unangenehm war, recht ausweichend, „ich kann ihn auch ein Stück weit verstehen. Es ist wirklich nicht leicht seinen Alltag mit nur einer Hand zu bewerkstelligen. Ich hatte damals auch so meine Probleme damit. Manchmal ist es wirklich sehr frustrierend.“

„Das Problem ist gar nicht seine Hand“, winkte Kid ab und ließ seinen Blick zu Law, der an der Theke auf seinen bestellten Spezial-Cocktail wartete, hinüber schweifen. „Sondern dass er nichts mit sich anzufangen weiß. Normalerweise arbeitet er sehr viel. Er hat oft Vierundzwanzig-Stunden-Dienste im Krankenhaus und solche Geschichten. Und jetzt, da er plötzlich arbeitsunfähig ist und deswegen ein paar Monate frei hat, weiß er nicht, was er tun soll. Er fängt schnell an sich zu langweilen und jammert dann herum.“

„Das glaube ich dir gern“, erwiderte Doflamingo. „Law bräuchte wirklich ein Hobby. Aber es ist schwer ihn für etwas zu begeistern, das nichts mit Medizin zu tun hat.“

„Definitiv“, brummte Kid.

„Er fährt aber doch Motorrad, oder nicht?“, warf Crocodile ein, weil er das Bedürfnis verspürte Law ein wenig in Schutz zu nehmen. Wenn man ganz ehrlich war, dann sah es bei ihm selbst auch nicht besser aus: Seine Arbeit war sein größtes Hobby. Er hielt das nicht für verwerflich.

„Eigentlich schon“, gestand Kid ihm zu, „aber wegen der gebrochenen Hand fällt das im Moment auch aus.“

„Wie wäre es, wenn ihr euch gemeinsam ein Hobby sucht?“, schlug Doflamingo mit freundlicher Stimme vor. „Crocodile und ich kochen zum Beispiel in letzter Zeit gern zusammen.“

„Crocodile kocht“, erwiderte Kid, der inzwischen oft genug von ihnen bekocht worden war, „du hackst dir beim dem Versuch eine Zwiebel zu schälen fast selbst die Finger ab.“

„Dass ich mir aus Versehen in den Daumen geschnitten habe, ist nur zweimal passiert“, verteidigte sich Doflamingo pikiert.

„Worüber redet ihr?“, fragte Law, der sich mit seinem Cocktail zurück an ihren Tisch setzte.

„Über unsere Hobbies“, sagte Crocodile schnell, ehe sein Ehemann oder Kid die Gelegenheit dazu bekamen sich zu verplappern.

„Ich würde gerne mal wieder ins Fitness-Studio“, sagte Law und saugte am Strohhalm seines Cocktails. „Ich glaube, ich bin etwas aus der Form geraten.“

„Keine schlechte Idee“, meinte Kid sofort begeistert, woraufhin Law seinem Freund einen bösen Blick zuwarf. „Also, ich... so war das nicht gemeint... Ich dachte nur daran, dass ich ja auch trainiere... Wir könnten also zusammen gehen.“

„Klappt das denn trotz deiner Verletzung?“, warf Crocodile ein. Noch immer war Laws linke Hand dick bandagiert.

„Cardio-Training dürfte kein Problem sein“, meinte Law schulterzuckend. „Und beim Krafttraining fokussiere ich mich dann eben erstmal auf die Beine und den Bauch.“

Plötzlich fragte Crocodile sich, was Doflamingo davon halte würde, wenn er selbst ebenfalls ins Fitness-Studio gehen würde. Mit Anfang zwanzig hatte er seinen Studienfreund Daz, der sehr gerne Kraftsport machte, ab und an mal zum Training begleitet. Doch das vor langer Zeit. Sein letzter Fitness-Studio-Besuch war über zehn Jahre her. Um ganz ehrlich zu sein, hatte er den Kraftsport nie sonderlich vermisst. Es hatte damals Spaß gemacht mit Daz zu trainieren, aber in dieser Hinsicht hatte ihn der Ehrgeiz nie so wirklich gepackt. Stattdessen versuchte er durch eine ausgewogene Ernährung auf eine gute Figur zu achten. Bisher hatte sich nie einer seiner Partner darüber beschwert. (Nicht einmal Enel, der beinahe täglich ins Fitness-Studio gegangen war.) Doch Doflamingo fände es bestimmt nicht schlecht, wenn er sich fit hielt. Niemand mochte es gern, wenn sein Partner sich nach der Heirat gehen ließ.

„Vielleicht könnten wir mal zusammen ins Fitness-Studio gehen“, schlug Crocodile also vor. „Früher bin ich immer ganz gerne zum Training gegangen.“

„Naja“, warf Doflamingo mit unwilliger Stimme ein, „ich weiß nicht, ob das so eine gute Idee ist. Law und Kid wohnen doch in einem ganz anderen Stadtteil als wir. Du müsstest also jedes Mal lange Auto fahren, um in dasselbe Fitness-Studio zu gehen wie die beiden.“

„Warum trainierst du nicht mal zusammen mit Doflamingo, wenn du Lust hast?“, sagte Law.

„Ich trainiere meistens mittags“, erwiderte Doflamingo sofort. „Da ist Crocodile noch bei seiner Arbeit. Das passt also nicht.“

„Aber du hast doch auch Zuhause einen Trainingsraum! Wir könnten uns alle abends bei euch Zuhause treffen und gemeinsam trainieren. Was hältst du davon?“

„Trainingsraum?“, wiederholte Crocodile irritiert und warf seinem Ehemann einen ungläubigen Blick zu. „Seit wann haben wir denn einen Trainingsraum?“

„Schon immer“, antwortete Doflamingo und winkte ab.

„Davon weiß ich gar nichts! Warum hast du mir nie erzählt, dass wir einen Trainingsraum Zuhause haben?“

„Weil du bis gerade eben nie auch nur im allermindesten angedeutet hast, dass du Lust hättest Sport zu treiben“, erwiderte Doflamingo mit angesäuerter Stimme. „Außerdem benutze ich ihn selbst auch nur selten. Normalerweise trainiere ich in meiner Mittagspause auf der Arbeit.“

„Früher haben wir öfter mal bei Doflamingo Zuhause trainiert“, erklärte ihm Law. „Also Bellamy, Cirkies, Vergo, Diamante, Pica, Violet und... und die Anderen halt. Das hat wirklich Spaß gemacht. Aber irgendwann haben wir das dann wieder schleifen lassen. Es ist nicht leicht einen Termin zu finden, an dem mehrere Leute Zeit haben.“

„Das wird dieses Mal nicht anders sein“, warf Doflamingo ein. „Du musst zwar wegen deiner Verletzung im Moment nicht arbeiten, aber Croco, Kid und ich sind beruflich voll eingespannt. Dazu kommt, dass Kid oft auch nachmittags und am Wochenende arbeiten muss.“

„Wir können auch einfach zu zweit bei mir im Fitness-Studio um die Ecke trainieren“, sagte Kid an Law gewandt. „Dienstag habe ich frei. Ich kann gleich morgen dort anrufen und fragen, wie es mit einem Probe-Training aussieht, wenn du möchtest.“

„Klar, gerne“, erwiderte Law sofort begeistert. „Ich freue mich schon drauf. Immer nur Zuhause rumzusitzen, macht mich wahnsinnig.“
 

Als Crocodile früh am Morgen des nächsten Tages leicht angetrunken ins Bett fiel, fragte er sich immer noch, was Doflamingo so vehement dagegen einzuwenden hatte, dass er ein wenig Kraftsport trieb. Mit müdem Blick verfolgte er die Bewegungen seines Ehemanns, der sich im Schlafzimmer entkleidete. Nicht übermäßig muskulöse, aber gut trainierte Oberarme, feste Brustmuskeln und ein flacher Bauch mit Sixpack-Ansatz kamen zum Vorschein. Crocodile musste sich eingestehen, dass sein Partner einen wirklich sexy Körper hatte.

Auch Enel war oft im Fitness-Studio gewesen, doch dessen mit Muskeln vollkommen überladener Körper hatte Crocodile irgendwann nicht mehr gefallen. Er hätte es niemals gewagt die Lebensweise seines Exfreunds zu kritisieren, doch als die Arme viel zu dick wurden und man jede Vene am Körper sehen konnte, war ihm die Lust vergangen. Es war eine körperliche Veränderung, die auf natürlichem Wege nicht zu erreichen gewesen wäre.

Aber Doflamingo sah anders aus. Athletisch, fit, muskulös, aber nicht aufgeblasen. Er gefiel Crocodile viel besser als Enel, Smoker oder einer seiner anderen Exfreunde. Um ehrlich zu sein, war er etwas neidisch. Er selbst war zwar alles andere als unförmig, aber vom tollen Adonis-Körper seines Ehemanns weit entfernt.

Unweigerlich fragte er sich, wie oft Doflamingo pro Woche Sport trieb. Er hatte überhaupt gar nicht gewusst, dass dieser in seiner Mittagspause bei der Arbeit trainierte. Eigentlich macht es Sinn, dachte Crocodile, während er Doflamingo dabei zusah, wie dieser schwankend (er hatte sich beim Alkoholkonsum nicht unbedingt zurückgehalten) aus seiner Hose schlüpfte. Immerhin hatte er Doflamingo nie sagen hören Wani, ich fahre ins Fitness-Studio oder Croco, ich verziehe mich ein bisschen in unseren Trainingsraum.

Noch immer konnte Crocodile es nicht ganz fassen, dass sie Zuhause über einen voll ausgestatten Trainingsraum verfügten. Sein Ehemann hatte nie zuvor davon gesprochen. Und in der weitläufigen Villa war er nie zufällig darüber gestolpert.

„Esch tud mit l...leid“, nuschelte Doflamingo plötzlich. Inzwischen trug er nur noch seine Boxershorts. „Isch bin su bedrunken für Sex.“

„Ich habe doch gar nicht gefragt“, erwiderte Crocodile verwundert. Daran hatte er tatsächlich gar nicht gedacht gehabt.

„Aber du hasch mich so angesehen“, gab Doflamingo zurück. Um die drei Schritte bis zum Bett zu sicher überwinden, brauchte er doppelt so lange wie sonst.

„Ist schon gut“, sagte Crocodile und fuhr mit der rechten Hand sanft durch Doflamingos kurzes, blondes Haar. Es fühlte sich unfassbar weich an. „Wir haben beide Alkohol getrunken und sollten uns erstmal ordentlich ausschlafen.“

Noch ehe er zu Ende gesprochen hatte, war ein leises Schnarchen von der anderen Seite des Bettes zu hören.
 

Nachdem Crocodile am nächsten Morgen gefrühstückt, die Zeitung gelesen und sich eine Zigarre gegönnt hatte, lag Doflamingo immer noch im Bett und schlief seinen Rausch auf. Crocodile beschloss seinen Ehemann nicht aufzuwecken und machte sich stattdessen auf den Weg zu dem Trainingsraum, den Law gestern Abend erwähnt hatte.

Auch wenn er ein Dienstmädchen nach dem Weg fragte, brauchte er mehrere Anläufe, bis er endlich die Türe fand, die zu besagtem Raum führte. Wobei das Wort Raum eine deutliche Untertreibung darstellte, wie Crocodile feststellte, kaum hatte er die weitläufige Anlage betreten. Er hatte nicht viel erwartet. Vielleicht eine Hantelbank, eine Multistation und ein paar Cardio-Geräte. Doch zu seiner Überraschung befand sich in den Kellerräumen seines Zuhauses ein komplett ausgestattetes Fitness-Studio. Crocodile war sich sicher, dass hier unten mehr Geräte zu finden waren als in dem Studio, das er früher mit Daz besucht hatte.

Der Anblick überwältigte ihn wie eine Welle, die ihn von den Füßen riss. Ungläubig ließ Crocodile den Blick durch den Fitness-Raum schweifen. Es gab mehrere Laufbänder, Crosstrainer, Stepper, Fahrräder und Rudergeräte. Dazu eine Freihantelbank, einen Lang- und Kurzhantelständer, eine Kabelzugstation, eine Beinpresse, Klimmzugbügel, sogar einen Boxsack... Er konnte sich gar nicht sattsehen.

Einige Sekunden vergingen, ehe Crocodile sich weiter in den Raum hineinwagte. Es kam ihm komisch vor, dass sich dieses modern und vielseitig ausgestatte Fitness-Studio bei ihm Zuhause befand. Obwohl Doflamingo behauptet hatte, er wäre lange nicht mehr hier gewesen, lag nirgendwo auch nur ein Körnchen Staub. Offenbar wurde der Raum vom Personal weiterhin regelmäßig gesäubert.

Unweigerlich fragte Crocodile sich, wie viele Orte es noch in der Villa gab, von deren Existenz er nichts wusste. Obwohl ihr Zuhause über mehrere tausend Quadratmeter Wohnfläche verfügte, nutzen Doflamingo und er nur wenige Räume. Wirklich häufig hielten sie sich eigentlich bloß im Schlafzimmer, im angrenzenden Bad, Wohnzimmer, Esszimmer und der neuen Küche auf, die sein Ehemann ihm vor kurzem geschenkt hatte. Und Crocodile zog sich ab und an in sein Zimmer, das ihm als Rückzugsort diente, zurück. Eigentlich würde uns eine geräumige Vier-Zimmer-Wohnung mit Balkon vollkommen reichen, schoss es ihm durch den Kopf.

Weil er nicht so recht wusste, wo er beginnen sollte, versuchte Crocodile sich als Erstes an dem Laufband. Er startete mit einer langsamen Geschwindigkeit, begann dann bald zu traben und ehe er sich versah joggte er ein wenig. Eigentlich tat es ganz gut sich zu bewegen. Ihm kam der Gedanke, dass er seiner Gesundheit sicher auch keinen Gefallen damit tat, dass er die meiste Zeit des Tages sitzend verbrachte.

Der Display am Laufband zeigte ihm an, dass er seit einer halben Stunde joggte und 210 Kilokalorien verbrannt hatte, als sich plötzlich die Tür des Fitness-Raums öffnete und sein Ehemann hereinkam. Offenbar war Doflamingo gerade erst aus dem Bett gestiegen. Er hatte sich lose das Hemd, das er auch gestern Abend getragen hatte, über die Schultern geworfen. Eine Hose trug er nicht und auch seine charakteristische Sonnenbrille hatte er nicht aufgesetzt.

Crocodile schaltete das Laufband ab und wandte sich seinem Partner zu, der mit einem untypisch mürrischem Gesichtsausdruck auf ihn zukam. „Guten Morgen, Doffy“, begrüßte er ihn und gab ihm einen Kuss. „Wie geht es dir?“

„Ziemlich beschissen, um ehrlich zu sein“, erwiderte Doflamingo und fuhr sich mit der Hand durch sein kurzes, blondes Haar. „So einen schlimmen Kater hatte ich lange nicht mehr.“

„Tja, du wirst halt einfach alt“, witzelte Crocodile und vermied es die muskulöse Brust und den straffen Bauch seines Ehemanns zu lange zu mustern. In seinem angeschlagenen Zustand hatte Doflamingo sicher keine Lust auf Sex.

„Ich glaube, seit ich die Dreißig erreicht habe, lasse ich wirklich etwas nach“, gab er schwach zurück. „Früher habe ich mich jedes Wochenende in Bars und Nachtclubs herumgetrieben. Aber einen Kater hatte ich nur selten.“

„Du hast gestern wirklich viel getrunken.“

Doflamingo nickte langsam. „Und was ist mit dir? Du bist auch nicht abstinent geblieben. Und jetzt treibst du plötzlich Sport?“

Crocodile zuckte mit den Schultern. „Ich fühle mich gut. Und, naja, ich wollte mir mal diesen Raum hier anschauen. Die Vorstellung, dass wir Zuhause ein eigenes Fitness-Studio haben, das ich noch nie betreten habe, hat mich irgendwie nicht losgelassen.“ Spaßhaft fügte er hinzu: „Gibt es noch irgendetwas, wovon ich wissen sollte? Einen geheimen Darkroom oder so etwas in der Art?“

Diese Aussage zauberte seinem verkaterten Ehemann ein Grinsen auf die Lippen. „Da muss ich dich leider enttäuschen“, gab er schmunzelnd zurück. „Ich kann nur einen geheimen BDSM-Keller anbieten.“

„Ist der auch so gut ausgestattet?“, gab Crocodile lachend zurück und ließ seinen Blick erneut über die vielen Fitness-Geräte wandern.

„Noch viel besser“, griff Doflamingo den Witz auf. „Es gibt eine riesige Auswahl an Lederpeitschen. Von den Mundknebeln und Fesseln will ich gar nicht erst anfangen.“

„Klingt nach einer guten Möglichkeit, um dich mal zum schweigen zu kriegen“, meinte Crocodile lachend und stupste seinem Ehemann spaßhaft gegen den Bauch. Die gebräunte Haut fühlte sich warm und weich an.

„Hast du schon gefrühstückt?“, fragte er Doflamingo. Vielleicht bekam sein Ehemann Lust auf etwas Zweisamkeit, nachdem er ein wenig gegessen und getrunken hatte. Wenigstens ein Glas Wasser. Er hatte sich gestern alles andere als zögerlich verhalten und ein alkoholisches Getränk nach dem nächsten bestellt. Dunkle Schatten lagen unter seinen funkelnden, grünen Augen.

Anstatt seine Frage zu beantworten, beugte sein Ehemann sich zu ihm hinunter und versiegelte ihre Lippen miteinander. Crocodile ließ sich sowohl den Kuss als auch die Hände, die sich gierig um seine Hüften legten, gefallen.

„Wir könnten zusammen im Bett frühstücken“, schlug Crocodile vor, „und … nun ja... dann noch eine Weile im Bett liegen bleiben.“ Crocodile, der ein sehr prüden Menschen war, hoffte, dass sein Partner diese Andeutung verstehen würde. Er konnte es nicht über sich bringen, noch deutlicher auszudrücken, dass er Lust auf Sex hatte. Also musste er darauf setzen, dass Doflamingo zwischen den Zeilen lesen würde.

„Warum denn den weiten Weg ins Schlafzimmer zurücklegen?“, meinte Doflamingo mit leiser, lüsterner Stimme. Er hatte Crocodile noch immer nicht losgelassen und ließ seine beiden Hände ungeniert unter das Shirt seines Partners schlüpfen. Rücksichtslos streichelten sie seine warme, verschwitzte Haut.

„Ich würde gerne duschen“, erklärte Crocodile, der sich hin- und hergerissen fühlte. Auf der einen Seite erregten ihn die Berührungen seines Partners, doch gleichzeitig begann er sich unwohl zu fülen. Bei Crocodile handelte es sich um einen sehr reinlichen Menschen. Er duschte mindestens einmal täglich, verfügte über ein ganzes Arsenal von Herren-Kosmetik und ließ niemals zu, dass seine Schamhaare länger als einen halben Zentimeter wuchsen. Der Gedanke, verschwitzt nach dem Sport Sex mit seinem Partner zu haben, war für ihn ein Graus. Zumindest theoretisch. Wären da nicht diese beiden sanften Hände, die sich inzwischen weiter nach oben vorgearbeitet hätten. Zwei Daumen streiften seine Brustwarzen und Crocodile spürte wie sich, fast gegen seinen Willen, die Männlichkeit in seiner Hose aufrichtete. Doflamingo saugte verführerisch an seinem Hals, während er die Brustwarzen seines Ehemanns zwischen Daumen und Zeigefinger nahm und rieb.

„Nur... nur ganz kurz duschen“, keuchte Crocodile und versuchte sich (zugegebenermaßen recht halbherzig) aus dem Griff zu lösen. „Ich muss mir auch nicht die Haare waschen. Ich will nur ganz schnell den Schweiß abspülen.“

„Entspann dich“, gurrte Doflamingo, als er für einen kurzen Moment von Crocodiles Hals abließ. Seine Hände wanderten wieder nach unten in Richtung Hosenbund.
 

[zensiert]
 

Aufgeschreckt löste er sich von seinem Ehemann und brachte einen kleinen Abstand zwischen sie beide. „Was ist los?“, fragte Doflamingo und musterte ihn zärtlich. Wie immer, wenn er seine Sonnenbrille nicht trug, kam es Crocodile so vor als würde er geröntgt werden. Auf unangenehme Weise wurde ihm bewusst, dass sich vorne auf seinem Shirt ein kleiner Schweißfleck gebildet hatte. Es wäre ihm lieber gewesen, wenn Doflamingo seine Brille aufgesetzt hätte, so wie er es normalerweise jeden Morgen tat.

„Ich möchte duschen“, wiederholte Crocodile erneut. „Nur ganz kurz. Ich bin sofort wieder für dich da. Bestimmt gibt es auch hier unten eine Dusche, oder?“

„Wozu denn?“, gab Doflamingo irritiert zurück. „Wenn ich dich vögle, brichst du sowieso gleich wieder in Schweiß aus. Also spar dir die Dusche lieber für hinterher auf.“

„Ich fühle mich eklig... Schau dir nur mein Shirt an! Vorne ist es ganz nassgeschwitzt!“

„Dann zieh es eben aus.“ Und ohne weiter Zeit zu vergeuden, griff Doflamingo nach dem Saum des Shirts und zog es seinem Partner über den Kopf.

Kalte Luft traf auf seine warme, verschwitzte Haut. Doflamingo presste seine rechte Hand auf die Brust seines Partners und schubste diesen mit sanfter Gewalt nach hinten. Crocodile hatte gar nicht gemerkt, dass gleich hinter ihm eine Hantelbank stand, auf der er prompt landete.
 

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„Wovon hattest du eben gesprochen? Eine Dusche und anschließend Frühstück im Bett? Ich bin dabei, Crocobaby.“
 

Sie gönnten sich ein reichhaltiges Frühstück. Crocodile, der heute ausnahmsweise einmal Lust auf etwas Süßes und Fettiges hatte, tunkte eine Seite seines Croissants in ein kleines Schälchen Marmelade, ehe er genüsslich abbiss. Er fühlte sich so gut wie schon seit Tagen nicht mehr.

Vor allem die warme und gründliche Dusche hatte ihm gutgetan. Doflamingo hatte sich kurzerhand angeschlossen und dabei geholfen seinen mit Sperma befleckten Rücken zu reinigen. Wer hätte geglaubt, dass so überaus simple Dinge wie eine halbe Stunde auf dem Laufband, zwei Orgasmen, eine Dusche und ein Frühstück im Bett sich so unwahrscheinlich gut anfühlen könnten?

Doflamingo war zu Beginn ungewohnt still. Ohne viel zu sprechen verdrückte er in kürzester Zeit zwei Körnerbrötchen und etwas Rührei mit Speck. Dazu trank er ein großes Glas Wasser und eine Tasse Kaffee.

„Du hättest gestern Abend nicht so viel trinken sollen“, sagte Crocodile, der sich einen schnippigen Kommentar nicht ganz verkneifen konnte.

Doflamingo zuckte mit den Schultern. „So etwas muss ab und zu mal sein. Ich bin heute Morgen zwar nicht so fleißig gewesen wie du, aber dafür hole ich meinen Sport ein anderes Mal nach.“

„Wir könnten morgen zusammen trainieren“, schlug Crocodile mit freundlicher Stimme vor. Die halbe Stunde auf dem Laufband hatte ihm überraschend viel Spaß gemacht. Eine Weile lang konnte er einfach nur ganz entspannt seinen Gedanken nachhängen.

Doflamingo zögerte. Schließlich meinte er: „Wie kommt es, dass du auf einmal so viel Interesse an Sport zeigst? Wir sind jetzt seit fast eineinhalb Jahren ein Paar und ich habe noch nie erlebt, dass du Sport treibst. Nicht mal Golf oder eine andere Schnösel-Sportart.“

„Schnösel-Sportart?“, wiederholte Crocodile lachend und tunkte sein Croissant erneut in die Marmelade. Sie schmeckte gut. Fruchtig, aber nicht überzuckert.

„Naja“, meinte Doflamingo und brachte sogar ein Grinsen zustande, „wenn überhaupt Sport, dann hätte ich bei dir an eine totale Schnösel-Sportart gedacht. Golf, Tennis, Kricket, solche Sachen eben. Weil du ein kleiner Snob bist.“

„Wie soll ich denn mit nur einer Hand Golf, Tennis oder Kricket spielen?“, gab Crocodile verwundert zurück.

„Oh... oh“, machte Doflamingo und senkte betreten den Blick. „Daran hatte ich gar nicht gedacht.“

„Du scheinst oft zu vergessen, dass ich nur eine Hand habe“, warf Crocodile schmunzelnd ein. Er war ziemlich hungrig und griff nach einem halben Brötchen, das er ebenfalls mit der leckeren Marmelade bestrich.

„Naja, du kommst im Alltag gut zurecht“, vertedigte sein Partner sich. „Zu Beginn unserer Beziehung habe ich sehr oft daran denken müssen, was diese Einschränkung für dich bedeutet. Aber inzwischen habe ich mich einfach daran gewöhnt.“

Nur zu gut erinnerte Crocodile sich daran, wie sehr ihn Doflamingo am Anfang mit seiner übertriebenen Hilfsbereitschaft und Fürsorge genervt hatte. Er hatte sich förmlich erdrückt gefühlt. Ihm war klar, dass sein Freund es nur gut gemeint hatte, aber meistens hatten dessen Gesten ihn eher behindert als geholfen. Er war durchaus dazu in der Lage selbst eine Autotüre zu öffnen, eine SMS zu schreiben oder sein Hemd zuzuknöpfen.

„Die erste Zeit nach dem Motorrad-Unfall war nicht leicht“, gab Crocodile schließlich zu. „Ich musste mich in vielerlei Hinsicht umgewöhnen. Dinge, die ich früher in wenigen Sekunden geschafft habe, stellten plötzlich eine riesige Herausforderung dar. Allein um mein Hemd mit nur einer Hand zu knöpfen brauchte ich mehrere Minuten. Oft ist es wirklich sehr frustrierend gewesen. Aber inzwischen komme ich gut klar. Es gibt wenige Dinge, die mir immer noch schwerfallen. Oder die ich gar nicht machen kann.“

„Zum Beispiel?“, hakte Doflamingo neugierig nach.

„Golf, Tennis oder Kricket spielen“, gab Crocodile glucksend zurück.

Sein Ehemann verzog den Mund. „Sei nicht so gemein zu mir. Niemand kann immer an alles denken.“

„Ich kann kein Fleisch schneiden. Keine Schuhe binden. Keinen Staub vom Boden auffegen“, zählte er schließlich unbekümmert auf. „Keine Gitarre spielen. Nozomi nicht wickeln.“

„Und kein Motorrad fahren“, fügte Doflamingo mit bitterer Stimme hinzu.

Crocodile winkte ab. „Das macht nichts“, sagte er.

„Aber du bist doch früher gern Motorrad gefahren, oder nicht?“, wandte sein Partner ein. „Du hast mir erzählt, dass du oft tagelange Touren gemacht hast. Fehlt dir dein Hobby nicht manchmal?“

Diese Frage war Crocodile ein wenig unangenehm. „Ich habe mich seit meinem Unfall nicht mehr auf ein Motorrad gesetzt“, erklärte er seinem Partner. „Auch nicht als Beifahrer. Ich interessiere mich immer noch ein bisschen dafür. Aber ich möchte nie wieder auf einer Maschine sitzen, glaube ich.“

„Also hast du so etwas wie eine Motorrad-Phobie entwickelt“, schlussfolgerte sein Ehemann.

Crocodile zuckte mit den Schultern. „Nenn es wie du möchtest. Jedenfalls komme ich auch ohne ein Motorrad ganz gut zurecht. Es gibt ja auch noch andere Dinge, die man in seiner Freizeit tun kann.“

„Ins Fitness-Studio gehen zum Beispiel?“, erwiderte Doflamingo mit einem sauren Gesichtsausdruck.

„Warum missfällt es dir so sehr, dass ich vielleicht Lust hätte etwas mehr Sport zu treiben?“, fragte Crocodile und zog eine Augenbraue hoch. Ihm fiel kein vernünftiges Argument ein. Sport war gesund. Sport machte Spaß. Sport half dabei nicht aus der Form zu geraten.

„Naja“, druckste sein Partner herum. Er schien sich ein wenig unwohl zu fühlen. Schließlich gestand er: „Um ehrlich zu sein, stehe ich nicht so sonderlich auf muskulöse Typen.“

Diese Aussage verwunderte Crocodile. „Aber du bist doch selbst muskulös“, warf er ein.

„Ich habe auch kurze, blonde Haare. Grüne Augen. Gebräunte Haut“, erwiderte Doflamingo augenrollend. „Trotzdem bin ich mit einem Kerl zusammen, der blass ist und lange, dunkle Haare hat. Und bernsteinfarbene Augen. Nur weil ich bestimmte Eigenschaften bei meinem Partner attraktiv finde, muss ich sie ja nicht zwingend selbst verkörpern, oder?“

„Okay, da hast du nicht Unrecht“, gab Crocodile sich geschlagen. „Übrigens habe ich hellbraune Augen, keine bernsteinfarbenen.“

„Ich habe noch nie zuvor einen Menschen mit einer solchen Augenfarbe gesehen“, sagte sein Ehemann mit zärtlicher Stimme. „Als ich das erste Mal in deiner Gegenwart meine Sonnenbrille abgenommen und dir in die Augen geschaut habe, lief mir ein warmer Schauer über den Rücken. Daran erinnere ich mich noch ganz genau. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass du so eine besondere Augenfarbe haben würdest.“

Plötzlich wurde Crocodile klar, dass sein Ehemann die Welt immer durch einen violetten Filter sah. Seine Sonnenbrille, die zusammen mit seinem hässlichen Federmantel sozusagen zu seinem Markenzeichen gehörte, nahm er normalerweise nur zu drei Gelegenheiten ab: beim Schlafen, beim Duschen und beim Sex. Vielleicht war Doflamingo deswegen meistens so gut drauf, mutmaßte Crocodile. Es war sicher schwer ernst zu bleiben, wenn man alles in der rosa-roten Variante sah.

„Ich glaube nicht, dass ich sonderlich muskulös werde, auch wenn ich Sport treibe.“

„Wie kommst du darauf?“, wollte Doflamingo wissen.

„Erstens bin ich ein echter Hardgainer“, erklärte Crocodile. „Daz ist früher an mir verzweifelt. Obwohl wir oft zusammen ins Fitness-Studio gegangen sind, habe ich einfach viel weniger Masse aufgebaut als er.“

„Das lag bestimmt an einer falschen Ernährung“, unterbrach sein Partner ihn mit einer ziemlich besserwisserisch klingenden Stimme. „Du hast sicher zu wenig Proteine zu dir genommen. Denk nur einmal an dein Lieblingsgericht, Spaghetti mit Feta-Käse, Tomaten und Oliven: viele Kohlenhydrate, kaum Proteine. Und dein liebster Zwischensnack sind Cracker. Da ist die Eiweißzufuhr gleich null.“

„Wie auch immer“, meinte Crocodile und rollte mit den Augen. „Außerdem müssen beim Krafttraining viele Geräte mit beiden Händen bedient werden, damit kein Ungleichgewicht entsteht. Dasgleiche gilt natürlich für die Benutzung von Freihanteln. Also müsste ich eine Hand-Prothese tragen.“

„Und?“ Doflamingo legte den Kopf schief. „Was wäre dann an einer Prothese so schlimm?“

„Ich mag das nicht“, erklärte Crocodile unwillig. „Ich habe es probiert eine Hand-Prothese zu tragen, aber kam damit nicht so gut zurecht. Ist einfach nichts für mich.“

„Shanks hat mir erzählt, dass er manchmal eine Prothese trägt.“

„Shanks hatte nach dem Verlust seines Arms auch mit Phantomschmerzen zu kämpfen. In so einem Fall ist das Tragen einer Prothese zur Schmerztherapie sinnvoll. Zum Glück bin ich aber davon verschont geblieben.“ Um zum eigentlichen Gesprächsthema zurückzukehren, fügte Crocodile hinzu: „Jedenfalls würde ich hauptsächlich Cardio-Training machen. Das ist gut für den Kreislauf. Vielleicht manchmal noch die Beinpresse dazunehmen oder etwas für meinen Rücken tun. Ist bestimmt nicht gesund, die Hälfte des Tages sitzend zu verbringen.“

„Meistens sitzt doch sowieso Robin auf deinem Stuhl, oder nicht?“, witzelte sein Partner.

Dieser Kommentar versetzte Crocodile einen Stich ins Herz. Doflamingo wusste immer noch nicht, dass er schon seit Monaten nicht mehr mit seiner ehemaligen Sekretärin Robin zusammenarbeitete. Kiwi und Moz kannte er überhaupt nicht.

„Ich hab das sehr niedlich an euch gefunden. Ich weiß noch, dass ich früher, bevor wir ein Paar wurden, oft an deiner offenen Bürotüre vorbeigegangen bin. Meistens saß Robin auf deinem Chefsessel, während du gestanden hast. Wie geht es Robin eigentlich? Ich habe lange nichts mehr von ihr gehört.“

„Sie hat jetzt einen neuen Freund“, erklärte Crocodile. „Ein Typ namens Cutty Franky. Er soll wohl ein ganz hohes Tier bei Tom's Workers sein. Du weißt schon, die jedes Jahr diese große Elektonik-Messe organisieren. Dort musste ich auch hin. Erinnerst du dich?“

Doflamingo nickte. „Eine Beziehung tut ihr sicher gut“, meinte er. „Sie wirkt oft ein bisschen unterkühlt.“

„So ist sie eben.“ Ganz anders als die quierligen Schwestern Kiwi und Moz, fügte Crocodile in Gedanken hinzu.
 

*
 

Crocodile hielt sich allein in seinem Zimmer auf. Er sichtete seine Finanzlage: Mit klopfendem Herzen kramte er Kontoauszüge hervor, überflog Mahnungen, kontrollierte seine Kreditkartenabrechnungen. Als er zu dem Schluss kam, dass sich sein aktueller Schuldenberg auf 23.450 Berry belief, konnte er nicht verhindern, dass sich Enttäuschung in seiner Brust ausbreitete.

Er hatte darauf gehofft, endlich wieder schwarze Zahlen schreiben zu können. Dass immer noch ein - zugegebenermaßen für seine Verhältnisse kleiner - Rest überblieb, wurmte ihn.

„Dreiundzwanzigtausendvierhundertfünfzig Berry.“ Crocodile nahm sich die Freiheit heraus, die Summe laut auszusprechen. Diese Zahl wumte ihn, doch sie trieb ihn nicht in die Verzweiflung, wie ihre Vorgängerinnen es getan hatten. Diese Forderung konnte er in ein oder zwei Monaten vollständig beglichen; je nachdem, wie groß das finanzielle Polster für seine Privatausgaben sein sollte.

Eigentlich war es ein gutes Gefühl. 23.450 Berry waren okay. Damit konnte er leben. Das war nicht allzu viel Geld. Nicht nur für Doflamingo, sondern selbst für Crocodile nicht.

Vielleicht konnte er es sich sogar leisten, seinen Ehemann mit einer Einladung ins Baratie zu überraschen?
 

*
 

Zusammen Sport zu treiben, wurde für Doflamingo und Crocodile zu einem gemeinsamen Hobby. Zwei- bis dreimal pro Woche verzogen sie sich für eine oder zwei Stunden in den Fitness-Raum in ihrer Villa.

Während Doflamingo sich nur zum Aufwärmen auf den Crosstrainer schwang und sich ansonsten hauptsächlich um sein Krafttraining kümmerte, stellte Crocodile fest, dass das Ausdauertraining ihm großen Spaß zu machen begann. Vor allen Dingen das Laufband hatte es ihm angetan: Es war auf seine ganz eigene Art entspannend nach einem langen Arbeitstag für ein Stündchen zu joggen und einfach nur seinen Gedanken nachzuhängen. Er hörte dabei auch gerne Musik. Ab und an machte er gemeinsam mit seinem Ehemann ein paar Crunches oder benutzte die Beinpresse.

Natürlich war Doflamingo, der schon viel länger Sport trieb als er, kräftiger und konnte deutlich höhere Gewichte stemmen, doch daraus machte Crocodile sich nichts. Es ging ihm nicht darum, sich mit seinem Partner zu messen. Da konnte er nur verlieren, allein schon, weil er immer noch keine Prothese tragen wollte und deshalb einige Übungen für ihn überhaupt nicht machbar waren.

Trotzdem merkte er, dass der Sport ihm guttat. Nach dem Training aß er gemeinsam mit Doflamingo zu Abend. Er hatte wieder mehr Appetit. Lachte öfter. Schlief nachts besser.
 

„Hast du Lust heute Nachmittag mit mir einkaufen zu gehen?“, fragte Crocodile seinen Ehemann beim Frühstück. Crocodile aß ungewürztes Rührei mit Tomaten, während Doflamingo Naturjoghurt mit frischen Früchten löffelte. „Ich dachte mir, dass wir ein paar Sportklamotten für mich kaufen könnten. Wenigstens ein Paar gute Laufschuhe wären nicht schlecht.“

Doflamingo setzte einen überraschten Gesichtsausdruck auf. „Du möchtest freiwillig shoppen gehen?“, meinte er mit erstaunter Stimme. „Wer bist du? Ein Alien, das meinen Mann entführt hat?“

Diese Aussage brachte Crocodile zum schmunzeln. „Du hast mich durchschaut“, erwiderte er unbekümmert und kratzte auf seinem Teller den letzten Bissen Rührei zusammen. „Ich fordere einhunderttausend Berry Lösegeld. Wenn du nicht zahlst, wirst du deinen Ehemann nie wiedersehen.“

„Du bist viel mehr Wert als hunderttausend Berry“, sagte Doflamingo lachend. Er schwieg für einen kurzen Moment, ehe er hinzufügte: „Ich finde es gut, dass du wieder besser drauf bist. Ich... Also... In den letzten Monaten... Ich hatte das Gefühl, dass du oft deprimiert warst. Aber jetzt lachst du wieder. Ist also alles in Ordnung?“

Diese unerwartete Aussage versetzte Crocodile einen schmerzhaften Stich ins Herz. Dass Doflamingo sich zwischenzeitlich große Sorgen um ihn gemacht hatte, bereitete ihm ein schlechtes Gewissen. Er hasste es, wenn Andere sich um ihn sorgten oder ihn bemitleideten. Er kam allein gut zurecht.

„Ich glaube, das lag hauptsächlich an meiner Arbeit“, log er Doflamingo an. „Die Arbeit in der Bank hat mir in letzter Zeit keinen Spaß mehr gemacht. Ständig werde ich von Sengoku schikaniert und mit Aufgaben gequält, die weit unter meiner Kompetenz liegen. Ich... Um ehrlich zu sein, habe ich mich schon nach etwas Anderem umgeschaut. Letzte Woche hatte ich ein Bewerbungsgespräch bei Tom's Workers. Robin hat mich empfohlen. Sie ist ja jetzt mit Cutty Franky zusammen, erinnerst du dich? Ich hoffe, dass ich dorthin wechseln kann.“

„Du hattest ein Bewerbungsgespräch und hast mir nichts davon erzählt?“

„Ich wollte nicht gleich Hoffnungen bei dir wecken“, erwiderte Crocodile rasch. „Es ist nur ein Gespräch gewesen, keine Jobzusage.“

„Wäre wirklich toll, wenn du die Stelle dort kriegen würdest“, meinte Doflamingo lächelnd. „Ich glaube, das ist viel näher, oder? Dann müsstest du nicht mehr jeden Tag eine Stunde zur Arbeit fahren.“

Crocodile nickte.

„Wenn du möchtest, dann kann ich versuchen ein paar Verbindungen spielen lassen“, fuhr sein Ehemann, noch immer lächelnd, fort. „Um deine Chancen zu erhöhen.“

„Nein!“, erwiderte Crocodile hektisch und viel zu schnell. „Nein... Ich... Das will ich nicht. Das würde gegen meinen Stolz gehen. Ich will das allein schaffen. Aber... Ich glaube, ich habe ganz gute Karten. Die Bank hat mich ja auf die Messe geschickt, weißt du noch? Dort bin ich bereits mit Cutty Franky ins Gespräch gekommen. Ich denke, dass meine Chancen gutstehen.“

„Ich drücke dir die Daumen.“

„Du scheinst das ja echt gelassen zu nehmen“, sagte Crocodile mit erstaunter Stimme.

„Naja, warum denn auch nicht?“, gab Doflamingo schulterzuckend zurück. „Was sollte ich dagegen haben?“

„Ein Jobwechsel ist eine ziemlich große Sache“, gab Crocodile zu bedenken. „Ich... Ich bin mir auch nicht sicher, ob ich dort genausoviel verdienen werde wie in der Bank...“

Sein Ehemann machte eine wegwerfende Handbewegung. „Du hast einen reichen Mann geheiratet“, meinte er schmunzelnd. „Darum brauchst du dir also keine Gedanken zu machen.“

„Ich will mich nicht auf deinem Geld ausruhen“, gab Crocodile pikiert zurück. „Mir ist es wichtig, mein eigenes Gehalt zu haben. Hoffentlich muss ich bei Tom's Workers nicht allzu große Abstriche machen.“

„Selbst wenn...“, sagte Doflamingo. „Ich finde es gut, dass du dich nach einer anderen Arbeit umschaust. Was nützt dir ein gutes Gehalt, wenn du an deinem Arbeitsplatz nur schikanierst wirst? Du hast in letzter Zeit kaum noch von deiner Arbeit geredet. Hast immer ausweichend reagiert, wenn ich dich gefragt habe, was du heute gemacht hast. Du warst so oft niedergeschlagen und schlecht gelaunt. Ich möchte dich lachen sehen, Crocodile. Und wenn dir ein Jobwechsel dabei hilft, dann werde ich dich unterstützen, wo ich nur kann!“

„Danke“, sagte Crocodile. „Das ist sehr lieb von dir.“ Die Worte seines Partners versetzten ihm einen zweiten Stich. Es war so unfassbar dumm von ihm gewesen, Doflamingo nicht gleich von seiner Kündigung erzählen. Er wusste nun, dass er sich nicht abgewendet hätte. Stattdessen hätte er ihn getröstet, ihn unterstützt und bei der Suche nach einer neuen Arbeit mit allen Mitteln unterstützt. Das war Crocodile nun klar. Doch diese Erkenntnis kam zu spät.
 

*
 

Nozomi war vier Monate alt, als Hancock ihnen ihre Tochter zum ersten Mal für eine Übernachtung überließ.

Crocodile wurde ein bisschen flau im Magen bei dem Gedanken, sich ohne die Unterstützung seiner Schwester um sie zu kümmern, doch er gönnte Hancock auch einen Abend mit Freundinnen. Das hatte sie sich nach den schweren Zeit, die sie durchlebt hatte, wirklich verdient.

Doflamingo unterdessen freute sich sehr darauf seine Nichte zu betreuen. Tatsächlich musste Crocodile ihm die Idee, im Babyfachgeschäft eine komplette Kinderzimmerausstattung zu kaufen, ausreden. Doch zumindest von einem völlig überteuerten Babybett, das sie in ihr Schlafzimmer gestellt hatten, und einer Wickelkommode ließ sein Ehemann sich nicht abbringen.

„Ich bin per Handy immer erreichbar“, erklärte ihnen Hancock, während Doflamingo die Babyschale, in welcher die kleine Nozomi saß, auf der Rückbank ihres Autos sicher befestigte. „Wenn ihr mit ihr nicht zurechtkommen solltet, dann scheut euch bitte nicht mich anzurufen.“

Doflamingo machte eine wegwerfende Handbewegung. „Mach dir keine Sorgen“, versuchte er seine Schwägerin zu beruhigen. „Wir haben ja schließlich über alles Wichtige gesprochen. Und ich habe Erfahrungen im Umgang mit Babies. Früher habe ich mich oft um Sugar, Monets kleine Schwester, gekümmert.“

„Und du hast dir wirklich einen Abend für dich verdient“, fügte Crocodile hinzu. „Jeder braucht mal eine Auszeit. Selbst eine Mutter. Man kann nicht rund um die Uhr einhundert Prozent geben.“

„Ich freue mich wirklich darauf, endlich mal wieder mit Ran und Sondersonia in eine Cocktail-Bar zu gehen“, gestand Hancock ihnen. „Ich habe das Gefühl, dass meine Freundschaften ein wenig leiden, seitdem Nozomi auf der Welt ist. Manche Dinge sind mit Baby nicht so leicht möglich.“

„Dafür sind ja Onkels da“, erwiderte Doflamingo strahlend und packte eine riesengroße Tasche in den Kofferraum. (Crocodile fragte sich, was alles darin war. Sie nahmen Nozomi doch nur für eine Nacht? Da brauchte man doch nicht viel mehr als ein paar Windeln und Fläschchen, oder?)

„Danke euch“, sagte Hancock lächelnd. Sie gab ihrer Tochter einen Kuss auf die Stirn und ehe Crocodile sich versah, waren er und sein Partner allein mit dem wenige Monate alten Säugling.

Er warf Doflamingo einen verwunderten Blick zu, als er feststellte, dass dieser sich nach hinten auf die Rückbank zu Nozomi setzte. Sein Verlobter, der seinen pikierten Gesichtsausdruck bemerkte, erklärte rasch: „Ich bleibe während der Autofahrt lieber bei Nozomi. Du weißt schon, falls sie anfangen sollte zu weinen oder so etwas in der Art.“

Unwillig setzte Crocodile sich allein nach vorne und startete den Motor. Selbstverständlich verhielt seine Nichte sich während der gesamten Autofahrt ruhig und friedlich.
 

Zuhause angekommen, hatte Doflamingo nur Augen für Nozomi. Begeistert lauschte er jedem Gebrabbel, das die Kleine von sich gab, und kitzelte voller Wonne ihre winzigen Füße. Crocodile, der es gewohnt war stets die volle Aufmerksamkeit seines Partners zu genießen, kam nicht umhin ein bitteres Stechen in seinem Brustkorb wahrzunehmen. Er schämte sich selbst dafür, doch er konnte nicht verhindern, dass er ein wenig eifersüchtig auf seine kleine Nichte wurde.

„Ist sie nicht süß?“, meinte Doflamingo mit freudestrahlender Stimme, während er Nozomi zärtlich über ihren zarten Pflaum Haare streichelte. Sie saßen gemeinsam auf dem Sofa im Wohnzimmer. Doflamingo hatte einen Kindersender eingeschaltet; das fand Crocodile zwar unsinnig, weil Nozomi noch viel zu jung war, um die Sendung zu verstehen, doch er behielt seine Meinung lieber für sich.

„Sie sieht Hancock sehr ähnlich. Darüber bin ich ziemlich froh, wenn ich ehrlich bin. Ich hoffe, dass Nozomi nicht nach ihrem Vater kommen wird.“

„Ja, das wäre schön“, erwiderte sein Ehemann. „Ich fasse es immer noch nicht, dass Luffy einfach abgehauen ist und seine schwangere Freundin im Stich gelassen hat. So hätte ich ihn gar nicht eingeschätzt.“

Crocodile zuckte mit den Schultern. „Mich hat das alles in allem nicht sonderlich überrascht. Luffy ist noch sehr jung. Siebzehnjährige Jungen haben andere Dinge im Kopf als sich um Babies zu kümmern. Es ist sehr leichtsinnig von Hancock gewesen, sich auf ihn einzulassen.“

„Ich finde es nicht gut, dass du ihn so in Schutz nimmst“, meinte Doflamingo und wippte Nozomi, deren gute Laune sich allmählich zu verflüchtigen schien, sanft hin und her. „Wenn man ein Kind in die Welt setzt, muss man sich darum kümmern. Es ist nicht richtig sich ans andere Ende der Welt zu verziehen und sein Kind allein zu lassen.“

„Natürlich ist es nicht richtig“, lenkte Crocodile ein. „Ich möchte Luffy auch gar nicht verteidigen. Aber... nun ja... Ich meine, man hätte mit so etwas rechnen müssen. Manche Dinge sind einfach vorhersehbar. Er hatte doch noch nicht einmal einen Schulabschluss. Wie hätte er Hancock denn unterstützen sollen, selbst wenn er es gewollt häte? Sie war blind vor Liebe und hat eine unüberlegte Entscheidung getroffen. Das hätte ich nicht von ihr erwartet. Eigentlich ist Hancock eine sehr kluge Frau.“

„Jeder macht mal einen Fehler. Auch der klügste Mensch auf Erden. Und gerade, wenn man frisch verliebt ist, neigt man dazu nur die positiven Dinge zu sehen. Du weißt schon, rosarote Brille und so.“

„Keine Ahnung“, gab Crocodile lahm zurück. „Mich hat meine Vernunft glücklicherweise nie verlassen, auch wenn ich frisch verliebt war. Ich kann nicht nachvollziehen, wie sich jemand Intelligentes plötzlich in einen naiven und leichtsinnigen Menschen verwandeln kann.“

Angesichts dieser Aussage begann Doflamingo zu kichern. „Genau so jemand bin ich“, gab er fröhlich grinsend zu. „Weißt du noch, dass ich den Verlobungsring für dich schon nach drei Monaten Beziehung gekauft hatte?“

„Sei froh, dass du keinen Fehltritt gelandet bist“, gab Crocodile zu bedenken. „Viele Andere hätten deine Gefühle schamlos für ihre Zwecke ausgenutzt. Hätten dich geheiratet, gleich nach der Hochzeit die Scheidung eingereicht und wären mit der Hälfte deines Vermögens verschwunden.“

„Da habe ich ja Glück, dass du nicht zu dieser Sorte gehörst“, warf Doflamingo noch immer kichernd ein. „Auch wenn es mich manchmal tierisch genervt hast, wenn du dich nicht von mir einladen lassen wolltest. Ich bin froh, dass du in dieser Hinsicht endlich etwas lockerer wirst. Erinnerst du dich noch an den Mantel, den ich dir geschenkt hatte? Du hast unbedingt darauf bestanden, mir das Geld daür wiederzugeben. Das hat mich wirklich geärgert.“

„Mir sind solche Geschenke immer etwas unangenehm“, sagte Crocodile. „Ich möchte nicht den Eindruck erwecken, dass ich käuflich sei. Sicher denken viele Leute, dass ich nur deines Geldes wegen mit dir in einer Beziehung bin.“

„Ich fand es unfassbar schön, wie sehr du dich über den Mantel gefreut hattest“, seufzte Doflamingo. „Dass du mir unbedingt das Geld wiedergeben wolltest, hat den ganzen Moment kaputt gemacht.“

„Es ist ein hübscher Mantel. Ich trage ihn gerne. Aber ich lasse mich eben nicht gerne beschenken. Stell dir nur einmal vor, in der Bank hätte mich jemand gefragt woher ich den neuen Mantel habe, und ich hätte sagen müssen, dass mein Freund ihn mir geschenkt hat. Das wäre furchtbar gewesen.“

„Wieso das denn?“ Seine Ehemann verzog den Mund. „Es ist doch normal, dass man Geschenke von seinem Freund bekommt.“

„Ja. Zu Weihnachten, zum Gebuststag, am Valentienstag und so weiter. Aber doch nicht einfach so zwischendurch.“

„Du schenkst mir manchmal Blumen ohne Anlass“, warf Doflamingo ein.

„Blumen... Aber keinen Nerzmantel für über zwanzigtausend Berry. Solche teuren Geschenke erwecken den Eindruck du seist mein Sugardaddy. Das kann ich überhaupt nicht leiden. Ich finde es furchtbar, wenn Menschen sich von ihren Lebenspartnern aushalten lassen.“

„Das hat doch damit nichts zu tun“, widersprach ihm Doflamingo. „Ich liebe dich, Wani. Und Leuten, die man liebt, macht man gerne Geschenke. Das ist doch ein völlig normales Verhalten. Ich möchte einfach, dass es meinem Liebsten gutgeht. Und mir keine Vorwürfe anhören müssen, ich würde dich schlecht behandeln.“

Ihr Gespräch wurde von Nozomi, die plötzlich zu weinen anfing, unterbrochen. Verwundert blickte Crocodile zu seiner kleinen Nichte hinüber. „Was hat sie denn auf einmal?“, fragte er seinen Ehemann.

„Ich glaube, ihre Windel muss gewechselt werden“, erklärte Doflamingo und erhob sich vom Sofa. Der Wickeltisch, den er extra für Hancocks Tochter gekauft hatte, stand in ihrem Haupt-Badezimmer.

„Ruf doch eines der Dienstmädchen“, schlug Crocodile vor. „Dann musst du dich nicht selbst drum kümmern.“

Doch sein Ehemann winkte ab. „Ach Quatsch, ich wickle sie eben schnell. Da ist doch nichts dabei.“

„Und wenn sie... du weißt schon... groß gemacht hat? Das stinkt doch zum Himmel!“

„Mir macht das nichts aus“, gab Doflamingo, der sich prompt auf den Weg ins Badezimmer machte, mit gelassener Stimme zurück. „Ich habe schon öfters Babies gewickelt.“

„Ich verstehe nicht, warum du das freiwillig machst...“, murmelte Crocodile, der nichtsdestotrotz seinem Partner folgte.

Doflamingo zuckte mit den Schultern. „Man gewöhnt sich dran. Außerdem muss ich das auch machen, wenn ich selbst mal Vater bin. Da ist es nicht schlecht, wenn ich schon etwas Übung habe.“

Crocodile, der aufgrund seiner fehlenden Hand Schwierigkeiten beim Wickeln hatte, machte es überhaupt nichts aus, seinem Partner in dieser Hinsicht den Vortritt zu gewähren. Es handelte sich bei ihm um eine sehr reinliche Person, die Schwierigkeiten mit fast allen Arten von fremden Körpersekreten hatte. Er konnte sogar spüren, wie sich die Übelkeit seinen Hals hochkroch, während Doflamingo die Windeln ihrer kleinen Nichte wechselte.

„Wenn wir irgendwann mal Kinder haben sollten, will ich mit diesem Part nichts zu tun haben!“, sagte Crocodile sofort und sah erst dann wieder hin, als sein Ehemann Nozomis Strampler zuknöpfte.

„Da habe ich nichts gegen“, gluckste Doflamingo ohne seinen Blick von dem Baby in seinem Arm abzuwenden.
 

Am Abend lagen sie zu dritt gemütlich im Bett. Links Crocodile, rechts Doflamingo, in die Mitte hatten sie Nozomi genommen. Es war ein sehr angenehmes Gefühl so entspannt dazuliegen und nichts zu tun außer Nozomos kleinen Körper und die Wärme, die sein Ehemann ausstrahlte, zu spüren. Crocodile merkte, dass er mit jeder Minute, die verging, ruhiger wurde. Erinnerungen an seine frühe Kindheit überfluteten ihn wie eine seichte Welle. Er dachte daran zurück, wie in der Nacht manchmal Hancock, mit der er sein Zimmer geteilt hatte, in sein Bett gestiegen war und sie beide dicht aneinander gekuschelt geschlafen hatten. Oder wie Mihawk ihm abends aus einem Buch vorlas. Das waren schöne Zeiten gewesen.

Crocodile schreckte auf, als er spürte, wie eine winzige Hand seinen Daumen umklammerte. Dies war einer der ganz wenigen Momente in seinem Leben, in denen er sich dachte, dass es vielleicht gar nicht so schlecht wäre mit einem Kind zusammenzuleben.

Plötzlich kam ihm der Gedanke, dass Doflamingo seinen jüngeren Bruder Corazon sehr vermissen musste. Sicher war auch er als Kind ab und an in das Bett seines älteren Bruders gekrabbelt. Es war nicht leicht, wenn man sein einziges Geschwisterkind so früh verlor. Crocodile konnte nachvollziehen, wieso sein Partner sich so sehr nach einem behüteten Familienleben mit Ehemann, Schwager, Schwägerin, Nichte und am besten noch ein paar eigenen Kindern sehnte.

Behutsam veränderte Crocodile seine Liegeposition, sodass sein Kopf nah an Doflamingos Brust lag. Er konnte sein Herz in einem gleichmäßigen Rhythmus schlagen hören. Ein beruhigendes Geräusch.

„Ich liebe dich.“ Erst als die Worte bereits ausgesprochen waren, realisierte Crocodile, dass sie von ihm stammten.

„Ich liebe dich auch“, erwiderte Doflamingo mit sanfter Stimme und küsste zärtlich sein Haar.

„Wenn ich dir etwas verrate, versprichst du dann, nicht wütend zu werden?“ Erneut überraschte es Crocodile, dass diese Worte von ihm selbst gesprochen worden waren. Es war als hätte seine Zunge sich verselbstständigt.

„Klar“, antwortete sein Ehemann ohne auch nur den Bruchteil einer Sekunde zu zögern. Seine Stimme klang ernst, aber nicht hart. Crocodile spürte, wie Doflamingos nackte Zehen seine in Socken eingehüllten Füße streiften. Es war eine winzige Berührung, aber sie spendete mehr Trost als jedes Wort es je vermocht hätte.

„Ich arbeitete schon seit einer Weile nicht mehr bei der Bank“, sagte Crocodile, „sondern bei Tom's Workers.“ Während er sprach, blickte er Doflamingo nicht in die Augen, sondern fixierte Nozomis friedliches Baby-Gesicht.

Im Geiste hatte Crocodile sich zig verschiedene Reaktionen seines Partners ausgemalt. Einen wütenden Doflamingo, der ihn beschimpfte. Einen enttäuschten Doflamingo, der sich betrogen vorkam. Ein ungläubiger Doflamingo, der ihm vorwarf ihn auf den Arm nehmen zu wollen. Womit er nicht gerechnet hatte, war, dass sein Ehemann schwieg. Er schwieg einfach, sagte kein Wort, blickte ihm auch nicht ins Gesicht, sondern fuhr mit seinen Zehen über Crocodiles Unterschenkel.

„Du arbeitest nicht mehr bei der Bank? Was soll das heißen?“, fragte Doflamingo schließlich. Seine Stimme klang aufgewühlt, aber nicht wütend.

„Mir ist ganz plötzlich gekündigt worden“, gestand Crocodile. Ein bitterer Geschmack legte sich auf seine Lippen, während er sprach. „Sengoku hat mich mehr oder weniger einfach rausgeschmissen. Keine Ahnung wieso. Jetzt arbeite ich stattdessen bei Tom's Workers.“

„Einfach rausgeschmissen?“, wiederholte Doflamingo. Obwohl Crocodile nicht hinsah, wusste er, dass sein Partner eine Augenbraue hochzog.

Crocodile nickte. „Ich hab einen Fehler bei der Arbeit gemacht“, gestand er schließlich. „Die Bank hat Geld verloren und ein paar Leute mussten entlassen werden. Ich hätte das Problem lösen können. Aber dazu bekam ich keine Gelegenheit mehr. Stattdessen hat Sengoku mir gekündigt. Ich bin mir sicher, dass er nur darauf gewartet hat, dass mir so etwas passiert. Er konnte mich nie leiden.“

„Oh, ich... Crocodile...“ Es war eine der wenigen Momente in Doflamingos Leben, in denen er keine passenden Worte zu finden schien. „Das... das tut mir so leid für dich...!“ Dann schwieg er für eine Weile.

Sie lagen da, zu dritt, mit der kleinen Nozomi zwischen ihnen beiden. Crocodile spürte überdeutlich die winzigen Fingerchen, die seinen Daumen umschlossen. Doflamingos Herzschlag tönte laut in seinem Ohr.

Weil sein Partner das Wort nicht ergriff, tat es schließlich Crocodile. „Aber ich habe ja eine neue Arbeit. Meine Sekretärin Robin hat mich Franky, dem Geschäftsführer von Tom's Workers vorgestellt. Ich... ähm... ich verdiene dort zwar etwas weniger als zu meinen Zeiten bei der Bank... aber ich fühle mich dort sehr wohl. Franky ist nett und die anderen Kollegen auch. Und...“

„Warum hast du mich angelogen?“ Doflamingos Stimme war leise, doch seine Worte versetzten Crocodile einen Stich ins Herz. Er spürte, dass sein Ehemann ein Stück von ihm und Nozomi abrückte. Als Crocodile es noch immer vermied die Blicke zu kreuzen, umfasste Doflamingo mit der rechten Hand seinen Unterkiefer und zwang ihn dazu aufzublicken. Es war kein harter Griff, doch Crocodile kam diese Berührung übergriffig, fast schon gewaltsam vor. Es kostete ihn extrem viel Überwindung in die grünen Iridien seines Partners zu blicken. Wie immer, wenn Doflamingo seine Sonnenbrille nicht trug, überkam Crocodile das Gefühl geröntgt zu werden. „Du hast mir erzählt, dass du vor zwei Wochen ein Bewerbungsgespräch bei Tom's Workers hattest. Dass du in der Bank schikaniert wirst und deswegen wechseln möchtest. Wieso hast du mir nicht von Anfang an die Wahrheit erzählt? Crocodile!“

„Ich... ich wollte nicht, dass du davon erfährst...“ Wieder kamen ihm die Worte über die Lippen, ohne dass er es verhindern konnte. „Ich dachte, ich könnte meine Probleme allein lösen. So wie immer... Ich... ich wollte mich nicht vor dir blamieren.“

Doflamingos Finger ließen sein Kinn los, streichelte stattdessen über seine Wange. „Du brauchst dich nicht dafür zu schämen, dass du gefeuert wurdest“, sagte sein Ehemann mit sanfter Stimme. Der zärtliche Ton war wie Balsam für Crocodiles Seele. „Ich hätte Verständnis für dich aufgebracht... versucht dir zu helfen. Es tut weh, zu wissen, dass du mir so wenig Vertrauen entgegenbringst, Crocodile. Immerhin sind wir beide verheiratet.“

„Ich weiß“, erwiderte er. Seine Zunge fühlte sich schwer an und in seinem Hals steckte ein dicker Kloß. „Das ist mir selbst auch klar geworden. Ich wollte es dir sagen... Aber irgendwie hat sich die Situation nicht ergeben. Und die Zeit ging ins Land und... und da konnte ich es dir nicht mehr sagen.“

Doflamingo ließ von seiner Wange ab, runzelte die Stirn, warf ihm einen abschätzenden Blick zu, der mehr schmerzte als jeder Fausthieb es getan hätte. Schließlich wollte er wissen: „Von was für einem Zeitraum sprechen wir hier, Crocodile? Wie lange hast du mich angelogen?“

Als Crocodile nicht antwortete, griff er nach seinem rechten Arm und schüttelte diesen. „Wie lange?! Crocodile! Sag es mir!“ Nozomis Hand rutschte von Crocodiles Daumen und seine Nichte fing angesichts der plötzlich gekippten Stimmung zu weinen an. Als Doflamingos Blick auf das brüllende Kind fiel, ließ er den Arm seines Partners wieder los.

„Das Ganze ist vor etwas mehr als einem Jahr passiert.“

Seine Worte schlugen ein wie eine Bombe. Das pure Entsetzen, das in Doflamingos grünen Augen lag, war schlimmer als jede Reaktion, auf die Crocodile sich eingestellt hatte. Er nahm es selbst gar nicht wahr als Tränen auf der Bettdecke in seinem Schoß landeten.

„Du... du hast mich ein Jahr lang angelogen?“ Doflamingos Stimme war wie Säure.

„Du hast versprochen, dass du nicht wütend wirst...“ Seine Worte wurden vom lauten Weinen seiner Nichte beinahe übertönt.

„Wie, bitteschön, soll ich denn sonst reagieren?!“, schleuderte Doflamingo ihm geradezu vor Wut schäumend entgegen. „Mein Ehemann hat mich ein Jahr lang angelogen! Jedes Mal, wenn ich dich gefragt habe wie heute die Arbeit war, hast du gelogen! Jeden Tag bist du zu einem komplett anderen Arbeitsplatz gefahren als du mir weißgemacht hast! Und warum? Darum! Es gibt keinen vernünftigen Grund für deine Lügen!“

„Ich habe mich geschämt!“ Nun brüllte auch Crocodile. Er fühlte sich von seinem Partner in die Ecke gedrängt. „Sag mir: Wie hätte ich meinem Freund, der ein erfolgreicher Multimillionär ist, erklären sollen, dass mein monatlichen Einkommen von einem Moment auf den nächsten auf null gesunken ist?!“

„Dein verdammtes Geld ist mir scheißegal“, schrie Doflamingo. Eine Ader pulsierte an seiner Stirn. „Ich brauche das Geld meines Freundes nicht. Ich habe selbst mehr als ich in zehn Leben ausgeben könnte. Aber... aber dass du mir so wenig Vertrauen entgegenbringst... dass du mir so erst ein Jahr später erzählst... Ich... das kann ich nicht verstehen!“ Nun flossen auch Doflamingo Tränen über das Gesicht. Ob aus Wut oder Trauer vermochte Crocodile nicht zu sagen.

„Wann hätte ich es dir denn erzählen sollen?“ Nun ging Crocodile in die Defensive. Er fühlte sich von seinem Ehemann ungerecht behandelt. „Als du mich gefragt hast, ob ich bei dir einziehen möchte? Als du mir einen Antrag gemacht hast? Als wir geheiratet haben? Oh, das sind alles wirklich tolle Gelegenheiten gewesen. Ach übrigens, Doffy, ich hab meine Arbeit verloren. Keine Ahnung, wie ich meine Designer-Wohnzimmermöbel bezahlen soll, die ich gekauft habe. Oh, und klar, gerne: Der Stein in meinem Ehering soll grüner Musgravite sein. Wow! Das klingt wirklich nach einem ganz wunderbaren Gespräch!“

„Was glaubst du denn wie ich reagiert hätte?“ Doflamingo war leiser geworden, doch beruhigt hatte er sich keineswegs. „Meinst du, ich hätte dich verachtet? Dich ausgelacht?“

„Keine Ahnung...“ Crocodile schluckte. Verzweifelt ließ er sein Blick zwischen seinem Ehemann und seiner weinenden Nichte hin- und herschweifen. „Ich... ich wollte es dir sagen. Das wollte ich wirklich! Mir war schon lange klar, dass du mich deswegen nicht abwerten würdest. Aber irgendwie... es wurde alles so viel. Ich hatte dann erfahren, dass du noch viel reicher bist als ich ursprünglich gedacht hatte... Dass du eigene Privat-Jets und Yachten besitzt... und... ich fühlte mich neben dir wie ein wertloser Versager. Und jedes Mal, wenn ich dir erzählen wollte, was los war, wurde es schlimmer. Also habe ich mich immer weiter in meinen Lügen verstrickt. Irgendwann wusste ich einfach nicht mehr, wie ich mich aus diesem Netz aus Lügen befreien könnte.“

„Wani...“ Seinen Kosenamen zu hören war ein wundervolles Gefühl. Mit der rechten Hand griff Doflamingo nach der seinen, mit der linken versuchte er die noch immer brüllende Nozomi ein wenig zu beruhigen. „Du bist kein Versager. Ich begreife nicht, wie du jemals zulassen konntest, dass sich diese Gedanken in deinem Kopf ausbreiten. Du bist ein wundervoller Mensch. Ich liebe dich. Und mir ist es egal, ob du viel oder wenig Geld hast.“

„Es ist nur...“ Crocodile windete sich aus der Berührung seines Partners, um sich mit der rechten Hand über sein tränennasses Gesicht zu fahren. „Wie wirkt das denn auch, wenn die Leute plötzlich erfahren hätten, dass ich kein Geld mehr habe? Kluger Junge, er nutzt die Gefühle seines reichen Lovers aus, um an sein Vermögen zu kommen und solche Dinge würden sie sagen. Ich... das wollte ich nicht.“

„Niemand außer Gecko Moria sagt solche Dinge“, versuchte Doflamingo ihn zu trösten. „Und auf Gecko Moria gebe ich einen Scheißdreck.“

„Ich wollte nie, dass es soweit kommt“, sagte Crocodile und senkte den Blick. „Ich... Am Anfang, da waren wir beide gerade erst sechs Monate zusammen, da wollte ich es dir nicht sagen. Das Vertrauen war noch nicht groß genug. Später, als wir beide verlobt und dann verheiratet waren, habe ich bereut, dass ich nicht von Anfang an ehrlich zu dir war, Doffy. Es war nie meine Absicht... Ohne dass ich es wollte, führte eine Lüge zur anderen...Wie ein Netz, das mich nach und nach erstickte... Ich... Es tut mir leid, Doffy! Es... tut mir leid!“

Und ehe Crocodile sich versah, lag er in Doflamingos Armen. Er konnte gerade noch verhindern, dass er mit dem Knie gegen Nozomi, die immer noch zwischen ihnen auf dem Bett lag, stieß. Er weinte, schluchzte und schniefte bitterlich, doch für nichts in der Welt wollte er das Gefühl von Doflamingos Armen, die seinen Oberkörper umklammerten, aufgeben.

Sie lösten sich erst dann wieder voneinander, als Nozomis Weinen so bitterlich wurde, dass man es nicht mehr länger unbeachtet lassen konnte. Behutsam hob Crocodile seine kleine Nichte hoch und versuchte sie zu beruhigen, indem er sie langsam hin- und herwiegte.

Doflamingo warf nur einen kurzen Blick auf Nozomi, ehe er erneut in das Gesicht seines Partners schaute. Crocodile, der Doflamingos unangenehmen Röntgtenblick nie lang standhalten konnte, runzelte die Stirn. „Was ist?“, fragte er mit schwacher Stimme.

„Ist das alles gewesen?“

„Was meinst du damit?“

„Dass Sengoku dich rausgeworfen hat... das ist alles gewesen?“

„Wenn du es so ausdrückst, klingt es fast wie eine Bagatelle“, erwiderte Crocodile. „Es... Ich... Sicher habe ich dir erzählt, dass ich erst eineinhalb Jahre, bevor ich dich kennenlernte, in meine Loft-Wohnung gezogen war. Es gab einige Dinge, die ich noch nicht bezahlt hatte. Designer-Möbel und andere Sachen... Die Forderungen saßen mir natürlich die ganze Zeit über im Nacken.“

„Und ich habe dich dazu gedrängt bei mir einzuziehen und all deine Möbel zurückzulassen...“

„Es waren nicht nur Möbel“, versuchte Crocodile seinen Ehemann angesichts seiner Gewissensbisse zu trösten.

„Sondern?“, hakte Doflamingo sogleich hastig nach.

„Sondern was?“, gab Crocodile irritiert zurück.

„Das... das ist alles?“ Doflamingo sah ihm tief in die Augen. Selbst Nozomi, die sich wieder einigermaßen beruhigt zu haben schien, schien von diesem intensiven Blick wieder aufgewühlt zu werden. „Das, was du mir eben erzählt hast, ist alles gewesen, was dich belastet? Nichts weiter?“

„Nein, nichts weiter“, sagte Crocodile.

Und da fing sein Ehemann plötzlich laustark zu lachen an. Doflamingo hielt sich beide Hände vor den Mund, als wollte er das Lachen daran hindern zu entkommen, doch es gelang ihm nicht. Wie ein Verrückter lachte er aus vollem Halse. Crocodile, der bei seinen exzentrischen Partner schon die eine oder andere seltsame Eigenart hatte beobachten können, wusste überhaupt nicht wie er dieses Verhalten einordnen sollte. Mit besorgtem Gesichtsausdruck musterte er Doflamingo, dessen lautes Gelächter sich inzwischen in ein verrücktes Kichern verwandelt hatte.

Irgendwann beruhigte Doflamingo sich wieder. Zumindest einigermaßen. Er warf Crocodile das breiteste Lächeln zu, das dieser jemals gesehen hatte. „Ich freue mich so sehr“, sagte er und klang tatsächlich als wäre ihm soeben ein schwerer Stein vom Herzen gefallen.

„Und wieso?“ Crocodile konnte beim besten Willen kein Grund zur Freude erkennen. Doflamingo hatte erfahren, dass er ihn ein Jahr lang angelogen hatte. Und Nozomi würden sie wahrscheinlich mit einem schweren Traumata an Hancock zurückgeben müssen. Insgesamt waren das alles andere als Anlässe, um laut zu lachen.

„Ich bin froh, dass es nur um Geld ging“, meinte Doflamingo, der noch immer selig lächelte. „Um Geld brauche ich mir keine Sorgen zu machen.“

„Was meinst du damit?“, wollte Crocodile wissen. Für ihn sprach sein Ehemann in Rätseln.

„Nun...“ Doflamingo senkte den Kopf ein klein wenig. Sein Stimme wurde leise und sein Blick wurde weich. Er erweckte einen eigenartig melancholischen Eindruck. „Ich habe natürlich gemerkt, dass mit dir etwas nicht stimmt. Um ehrlich zu sein, habe ich mir schreckliche Sorgen gemacht. Du.. du hattest in letzter Zeit so oft Magenschmerzen... und so viel Gewicht verloren... Ich hatte die Befürchtung, dass du vielleicht krank bist. Weißt du, ich habe mit Law gesprochen und er sagte mir, dass es ganz schön viele schlimme Erkrankungen gibt, die mit dem Magen zusammenhängen können...“

„Du hast geglaubt, dass ich schwer krank sei...?“

Doflamingo zuckte mit den Schultern. „Es war nur eine Vermutung... Du hast auch die eine oder andere Andeutung in dieser Richtung fallengelassen... Oder zumindest habe ich mir eingebildet, dass du das getan hättest...“

„Es geht mir gut!“ Crocodiles Stimme hatte lauter geklungen als beabsichtigt. Er schreckte selbst zusammen. „Ich... Ich bin nicht krank. Ich meine... früher oder später wird mich das Rauchen wahrscheinlich ins Grab bringen, aber... ansonsten, nein, mir geht es gut.“ Und ohne dass er es verhindern konnte, brachen erneut die Tränen aus ihm hervor und liefen über sein Gesicht.



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