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Blow me away

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Blow me away

Es gibt diese Momente, in denen einfach alles perfekt ist. Man genießt die Sonne, lehnt sich zurück und tut gar nichts. Dies hier wäre für mich ein solcher Moment. Ich spüre, wie die Sonne meinen Oberkörper wärmt, wie sie die Haut am Rand unter meiner Sonnenbrille verbrennt, fühle sogar, wie sie meine Haare bleicht. Dennoch ist es kein solcher Moment. Denn ein perfekter Moment liegt immer viel zu dicht an einem anderen Moment.

Jener Moment, in dem alles nur perfekt scheint. In dem man zum Handy greift und der ganzen Welt twittert, wie relaxed und vollkommen eins man mit sich selbst ist. Immerhin führt man ein perfektes Leben. Man muss sich nicht um Geld kümmern und man hat die Freiheit die Neujahrswende in Mexiko zu feiern. – Und »man« bedeutet in diesem Fall natürlich: »Ich« – Wer wäre da nicht neidisch? Shannon und Tomo sind nicht neidisch. Und das ist der ausschlaggebende Punkt, der den Moment zu einem Fake-Moment macht. Der krumme Gedanken, durch den man von einer Sekunde auf die andere vollkommen abstürzt.

Ich habe mein Handy noch in der Hand, als ich merke, wie ich falle. Mein Herz rast und Panik durchflutet meinen Körper. Das Handy in meiner Hand zittert, ehe es meinem Griff entgleitet und mit einem dumpfen Schlag zu Boden fällt. Natürlich tut es das. Es ist ein iPhone und es ist kaputt, wenn es hinfällt. Das habe ich schon mal mitgemacht. Und jetzt ist es wieder so weit. Ich habe keine Möglichkeit, der Welt zu versichern, wie gut es mir geht. Auch wenn es das nicht tut. Es geht mir nicht gut. Mein verdammtes Handy hat mich verlassen und irgendwas drückt mir die Luft ab. Etwas macht mich unruhig und hat diese Panik in mir ausgelöst. Ich presse die Lippen zusammen und taste nach der Sonnenbrille auf meiner Nase. Mein Pokerface. Niemand wird sehen, wie es in mir aussieht. Nur Shannon ist fähig, durch Sonnenbrillen zu sehen. Zurück zum Hotelzimmer werde ich es schaffen, ohne zusammenzubrechen.

Ich stehe von der Liege auf und schnappe nach Luft. Die unsichtbare Hand um meine Kehle packt kräftiger zu. Meine Finger krallen sich haltsuchend in das Holz des Tisches neben mir, damit ich nicht einfach umfalle und ersticke.

»Oh man, was ist mit deinem Handy? Ist es kaputt?« Ich höre Terrys Stimme und sehe aus dem Augenwinkel, wie er sich nach meinem Handy bückt. Von meiner Stimmung bemerkt er nichts. Das tut er nie, egal wie es mir geht. Obwohl ich manchmal den Eindruck habe, Terry ignoriert meine Stimmung, weil er ein Profi ist. Ich mag Profis und genau deshalb bezahle ich ihn, dass er mit mir hierhin kommt, um zu dokumentieren, wie gut es mir geht. Ebenso wie Jamie. Meine beiden Freunde, die hier mit mir den Jahreswechsel einläuten und die ich gleichzeitig dafür bezahle, dass sie genau das tun. Nicht mal Emma ist hier. Emma gibt mir wenigstens manchmal den Gedanken, sie wäre auch da, wenn ich sie nicht bezahlen würde. Und ich bezahle sie gerade nicht. Genau deshalb ist sie in Australien bei ihrer Familie. Weil man den Jahreswechsel mit der Familie verbringt, sagt sie. Und Shannon sagt das auch.

Ich röchle kraftlos, gebe Terry einen schwachen Wink mit der Hand und hoffe das es ausreicht, damit er mich in Ruhe lässt.

Ich schwanke durch die Eingangshalle des Hotels, aber niemand hält mich auf. Keiner, der fragt, ob es mir nicht gut geht oder ob man einen Arzt rufen sollte. Ich hätte ohnehin abgelehnt, aber der Gedanke, dass sie mich alle einfach nur für betrunken halten, schmerzt. Der Knoten um meinen Hals löst sich ein ganz kleines Stück, als ich den Aufzug erreiche und die Türen zufallen. Ich keuche auf, lasse mich gegen die Wand fallen und gehe kraftlos in die Knie.

Shannons Worte hallen als dumpfes Echo in meinem Kopf wider. All die Dinge, die er gesagt hat … Ich bin mir sicher, er hält mich nicht für selbstzerstörerisch. Ich glaube auch nicht, dass er mich für narzisstisch oder egoistisch hält. Er glaubt auch nicht, dass Colin recht hatte, sich von mir zu trennen und seine Flucht nach Irland am besten war. Wahrscheinlich ist die Flucht ohnehin nur von kurzer Dauer. Solange wie ich auch brauche, um vor all dem davonzulaufen, was sie zu mir gesagt haben. Colin, der einfach nur gesagt hat, dass er nicht mehr zurechtkommt. Dass er sich das anders vorgestellt hat. Und Shannon, der mir knallhart all die Gründe für Colins Trennung ins Gesicht geworfen hat, nachdem er so wütend darüber war, dass ich Silvester nicht in Los Angeles verbringe.

Ich bin nicht narzisstisch. Und wenn ich Shannon jetzt anrufe, wird er sich für alles bei mir entschuldigen. Ich sinke zu Boden und schlinge die Arme fest um meinen Oberkörper. Ich hoffe es. Er hat gesagt, ich bin nicht mehr derselbe. Ich bin nur noch darauf aus, vor der Presse gut dazustehen.

Ich weiß, dass ich nicht mehr der bin, der ich vor zehn Jahren war. Aber mein Leben hat sich auf so viele Arten geändert. Wie könnte ich jetzt noch derselbe sein? Nach zehn Jahren hat sich jeder Mensch auf irgendeine Art und Weise verändert. Sogar Colin hat das; er trinkt nicht mehr. Also muss nicht jede Änderung schlecht sein. Warum sollte meine Änderung schlecht sein? Nur, weil ich ein bisschen professioneller geworden bin und viele Sachen selbstständig angehe, ohne mich von anderen Menschen von A nach B schicken zu lassen? Ich trage nun Verantwortung für die Menschen, die für mich arbeiten und irgendjemand, muss ihnen sagen, was sie zu tun haben.

Die Tür des Aufzugs schwingt auf und eröffnet den knallroten dicken Teppich des Hotelflurs. Ich stöhne auf, krabble aus dem Fahrstuhl und habe nicht einmal mehr den Anstand zu hoffen, dass mich keiner beobachtet. Es ist mir egal. Ich will einfach nur auf mein Zimmer. Ich will einfach nur mein Bett erreichen. Und ein Telefon. Ich werde Shannon anrufen und mich entschuldigen. Eine unsichtbare Hand krampft sich um mein Herz, als ich um die Ecke krieche. Ächzend halte ich inne und lehne mich an die Wand. Ich werde Shannon sagen, er muss zu mir kommen. Er muss mich abholen. Ich schaffe es nicht alleine.

Ich kann Colin anrufen und ihm sagen, dass ich mich ändern werde. Ich werde auch nach Irland kommen, wenn er sich das wünscht. Ich kann mich nach ihm richten. Ich muss nicht immer nur arbeiten. Ich krieche langsam weiter vorwärts. Die Sonnenbrille rutscht mir auf die Nasenspitze und Tränen sammeln sich in meinen Augen. Ich will nicht heulen und ich werde auch nicht heulen!

Ich schnappe wieder nach Luft und ziehe mich an der Türklinke nach oben.

Sie sind alle selbst schuld. Ich habe niemanden gezwungen, mich zu verlassen. Ich hoffe, Colin geht es schlecht. Ich hoffe er verreckt daran, dass er mich gehen gelassen hat. Ich ziehe die Karte durch den Schlitz und die Lampe am Türgriff leuchtet grün und entriegelt das Schloss.

Die Tür schwingt von selbst hinter mir zu, also ich durch den Flur direkt ins Badezimmer stürze und das Wasser in der Dusche aufdrehe. Ich mache mir gar nicht erst die Mühe, mich auszuziehen, sondern setze mich so, wie ich bin, in kurzer Hose und Schuhen gegen die Wand. Eiskalt prasselt das Wasser über mich und meine nassen Haare fallen wie ein schwerer Vorhang vor mein Gesicht. Eine dichte Gänsehaut zieht sich über meine Arme.

»Ich bin nicht einsam! Ich bin nicht narzisstisch! Der Jahreswechsel ist mir völlig egal«, wiederhole ich immer und immer wieder. Ich habe mir nie viel daraus gemacht, warum sollte sich das dieses Mal ändern? Nur weil Colin mich nicht mehr will und Shannon schlecht auf mich zu sprechen ist, macht das mein Leben nicht gleich einsam. Ich mag die Ruhe.

Andererseits sollte ich wenigstens Shannon anrufen. Vielleicht hat er mich schon angerufen und ich konnte nicht rangehen, weil mein Handy noch unten liegt und es nun kaputt ist. Ich weiß nicht, warum ich es schaffe, mich an diese kleine Hoffnung zu klammern. Aber es ist etwas, was mir kurzzeitig die Kraft verleiht, aufzustehen und aus der Dusche zu treten. Ein Schwall Wasser ergießt sich von meiner Hose auf den Boden, aber ich ignoriere es genau wie die bittere Kälte, meine blauen Fingerspitzen und meine zitternden Knie. Meine Schuhe schmatzen, als ich aus dem Bad hinüber zu meinem Bett trete. Ich sinke auf die Matratze und greife nach dem Telefon. Shannon ist zuhause. Das weiß ich. Er wollte zuhause feiern. Meine Haare tropfen auf den Display des Telefons, als ich die Nummer wähle. Ich lausche dem Freizeichen mit angehaltenem Atem. Einmal … Zweimal … Dreimal … Ich schließe die Augen und atme kontrolliert ein und wieder aus, während sich die Bandansage einschaltet. Er ist spazieren. Oder sonstwo. Ich werde einfach wieder auflegen und probiere es später noch mal. Ich werde mir irgendeinen Film im Fernsehen ansehen und es wird mir gutgehen.

»Shannon …«, krächze ich. »Ich … Du hast vielleicht recht mit allem. Ich bin manchmal egoistisch. Vielleicht habe ich Colin auch vergrault. Vielleicht ist es richtig, dass sie sich alle von mir abwenden. Ich merke … dass mir alles, was ich mir vornehme, mehr und mehr entgleitet und ich komme einfach nicht dagegen an. Ich dachte, ich bin auf dem richtigen Weg, aber ich hab mich irgendwo verlaufen und ich glaube, ich schaffe es nicht mehr. Ich hätte auf dich hören sollen und jetzt, wo alles zu spät ist, merke ich erst, dass etwas nicht stimmt. Ich hasse es, alleine hier zu sitzen. Ich hasse Terry mit seiner scheiß Brille und ich hasse es, wie er mich ansieht, als würde er mich auf die Straße schicken wollen, um mich für ihn zu prostituieren.« Ich atme tief durch und reibe mir über die Augen. Das hat hier nichts zu suchen. Ich sollte Terry nicht schlecht machen, nur weil es mir nicht gut geht. Shannon kann solche Dinge sehr ernst nehmen. »Entschuldige. Ich wollte nur … Kennst du diese Momente, in denen man frei von allem ist? Man fühlt sich frei und dann plötzlich kommt ein Gedanke, man geht in seinen Schrank und hängt sich auf. Ich bin so dumm Shannon. Erinnerst du dich an Moms Nachbarn, der in der Badewanne ertrunken ist? Ich glaube, dass war Absicht, weil seine Freundin ihn verlassen hat. Ich habe ihn noch nie so gut verstanden, wie heute.« Ich halte inne und schlucke schwer. Ich werde wieder aufstehen. Ich stehe immer wieder auf. Das ist das Gute an mir. Ich schaffe es immer, egal wie tief am Boden ich bin. Shannons Worte waren hart und ich hatte nicht die Möglichkeit ihn zu stoppen und ihm zu sagen, dass er mich verletzt hat. Er hat mich nicht einfach nur verletzt. Er hat mich in Grund und Boden gestampft und jetzt … »Ich krieg das nicht hin, Shannon. Ich lasse los.« Jetzt kann ich nicht mehr aufstehen. Ich lege auf und wische mir mit dem Handrücken die Augen. Ich werde nicht weinen. Auf gar keinen Fall. Meine Füße tragen mich zurück ins Badezimmer, ich drehe das Wasser in der Dusche ab und öffne den Hahn in der Badewanne.

Meine Hände zittern und noch immer brennen meine Augen verräterisch, doch ich blinzle jegliche aufsteigenden Tränen einfach weg. Ich bin am Ende. Die Erkenntnis rührt so tief in mir, dass ich fühle, wie etwas zerreißt. Ich werde nicht mehr aufstehen. Ich kann es nicht mehr.
 

»Jared!« Starke Arme greifen meinen Nacken und ziehen mich hoch. Ich schlage erschrocken um mich, als ein Schwall Wasser in mein Gesicht spritzt. »Gott sei Dank. Er lebt!«

Ich blinzle, sehe Shannons gerötetes Gesicht vor mir, seine zitternden Lippen und das erleichterte Strahlen, dass die dunklen Ringe unter seinen Augen nicht verbergen kann. Ich blinzle abermals, versuche zu begreifen, was hier vor sich geht. Erst jetzt merke ich, dass Shannon mitsamt Hose und Schuhen über mir im Wasser kniet und meinen Nacken so fest krallt, als könnte ich herunterrutschen und in der Badewanne ertrinken.

Mein Blick wandert nach links, wo Tomo im Türrahmen steht. Im Gegensatz zu Shannon sieht er blass aus.

»Scheiße, Jared. Mach das nicht wieder. Bitte schwör mir, dass du das nicht nochmal machst!« Shannon zieht mich so fest an sich, dass ich wieder mit den Armen rudere und mich dann haltsuchend am Rand der Badewanne festkralle.

»Was?«, keuche ich gegen seine Schulter.

»Ich will nicht, dass du dir etwas antust. So war das nie gemeint, ich wollte dir nie das Gefühl vermitteln, dass du nicht auf mich zählen kannst.« Er lockert seinen Griff und ich rutsche ein Stück weit von ihm ab. Die Badewanne ist zu klein für zwei Leute. »Ich habe deine Nachricht abgehört und ich hab sofort versucht zurückzurufen. Aber dein Handy war aus und niemand sonst geht an sein verficktes Telefon und ich hatte überhaupt keine Ahnung, in welchem Hotel du überhaupt bist. Ich habe zwanzig Hotels angerufen und dann waren wir schon hier und … du lebst noch. Ich hatte solche Panik, dass ich zu spät bin!«

»Du dachtest … ich wollte mich …«, wiederhole ich die Bruchstücke und starre ihn erschrocken an. »Ich würde das niemals tun, Shannon. Ich hab gar nicht die Eier dazu!«

Ich sehe sein verräterisches Blinzeln, ehe er schnell den Kopf schüttelt.

»Wieso redest du dann sowas? Hast du eine Ahnung, was du mir alles aufs Band gesprochen hast? Du hast davon gesprochen, dich im Schrank aufzuhängen und dann hast du von irgendeinem Nachbar erzählt, der Selbstmord begangen hat. Was glaubst du wohl, was ich denke, wenn du sagst, du lässt los?! Und dann komme ich her und du liegst reglos in der Badewanne, ich bin in den letzten Stunden tausend Tode gestorben!«

Ich erinnere mich an alles, was ich gesagt habe. Und auch daran, wie ich es gemeint habe. Ein dicker Kloß steckt in meinem Hals, als ich Shannon vor mir betrachte. Ich sehe die Angst in seinem Gesicht, die Erleichterung und die immer wieder von Neuem aufsteigenden Tränen in seinen Augen. Ich fühle seinen Schmerz so tief, als würde mir jemand einen Pfeil genau in die Brust rammen. Wieder habe ich nur an mich gedacht und nicht einen Moment daran, wie Shannon das alles auffassen könnte.

»Ich wollte nicht …«, beginne ich, aber mir versagt die Stimme. »Das waren nur Gedanke über Momente. Ich hatte nie die Absicht, mir etwas anzutun. Ich wollte dir sagen, dass ich das Steuer loslasse. Ich will nicht mehr führen.«

»Das hast du verdammt unglücklich ausgedrückt«, erklärt Shannon, aber er scheint mehr erleichtert, als wütend zu sein. Er steigt aus dem Wasser und greift nach dem Bademantel neben ihm an der Wand. »Komm raus, deine Lippen sind ganz blau und du zitterst. Wie lange liegst du schon da drin.«

Ich betrachte meine verschrumpelten Finger und zucke mit den Schultern, ehe ich mich schwerfällig aus dem Wasser ziehe.

»Ich bin eingeschlafen. Ich weiß nicht mehr.« Er legt mir den Bademantel um die Schultern, als ich aussteige und ich kuschle mich tief in den weichen Stoff. Shannon wendet sich von mir ab und ich greife hastig nach seiner Hand, aus Angst, er würde wieder gehen und mich alleine lassen.

»Ich will nicht mehr führen«, sage ich noch einmal. Shannon sieht zu mir und kaut nachdenklich auf seiner Unterlippe.

»Ich weiß nicht genau, was du …«

»Ich hab alles falsch gemacht, weil ich dachte, ich schaffe das alles. Aber ich schaffe es nicht. Ich kriege das alleine nicht hin. Hilf mir, Shannon!«

Er starrt mich einen ewig langen Moment lang an, als wüsste er nicht, was er dazu sagen sollte. Doch dann ganz langsam schleicht sich ein Lächeln in sein Gesicht.

»Wow« sagt er leise. »Genau das habe ich vermisst.«

Er zieht mich fest an sich heran und ich spüre die Wärme auf meiner Haut, sie durchflutet meinen Körper und endlich platzt der Knoten um meinen Hals. Mit einem einzigen Schlag fällt alles von mir ab und ich vergrabe das Gesicht fest an seiner Brust. Es ist wie früher, als ich noch nicht vergessen hatte, wie sehr ich ihn an meiner Seite brauche. Als alles noch neu war und er der Einzige, der mir die Sicherheit gegeben hat, dass ich den richtigen Weg nehme.

»Oh … Okay. Ich will nicht stören … Aber ich will auch Letoknuddeln!« Ich lache schluchzend auf, als Tomo sich an unsere Seite drängt und ebenfalls die Arme fest um uns schließt.

»Dir hat nie jemand gesagt, dass Letos ansteckend sind? Du bist schon sehr lange selbst ein Leto«, erklärt Shannon und ich spüre die Vibration seiner Stimme an seiner Brust.

»Mich schockiert die Tatsache, dass ich darüber rein gar nicht schockiert bin«, stellt Tomo erstaunlich nüchtern fest.

»Und bevor die Situation peinlich und unangenehm wird, wird Jared sich was anziehen, Tomo wird uns was zu trinken besorgen, damit wir Silvester feiern können und ich werde Terry verprügeln!« Shannon lässt mich los und klopft mir noch einmal auf die Schulter, ehe er sich von mir abwendet und zur Tür geht.

»Was?! Nein! Wieso?!«

»Weil er dich prostituieren wollte, oder?«

Meine Wangen brennen vor Hitze, als mir einfällt, was ich Shannon noch alles aufs Band gesprochen habe. Und ich habe genau gewusst, dass es Probleme geben wird.

»Nein, nein, nein!«, rufe ich schnell und eile ihm hinterher aus dem Bad. »Das ist nicht so! Ich habe nur geredet. Er ist Fotograf! Das weißt du doch.«

»Nein, Jared. Ich bin Fotograf und ich finde, ich sollte solche Bilder von dir im Hotelzimmer machen, nicht ein alter widerlicher Sack, der dich anstarrt, als würde er dich am liebsten vergewaltigen!«

Ich schnappe nach Luft, bleibe jedoch an der Tür meines Hotelzimmers stehen, weil ich nichts als einen Bademantel trage. »Shannon! Hör auf sowas zu sagen. Das ist nicht wahr! Komm sofort zurück … Shannon!« Shannon hebt im Weitergehen die Hand.

»Ist mir egal, ich mag ihn trotzdem nicht!« Fassungslos sehe ich zu, wie er um die Ecke verschwindet. Er kann Terry nicht grundlos verprügeln! Ich bin drauf und dran, ihm doch im Bademantel zu folgen, sehe mich unsicher um und mein Blick fällt auf Tomo.

»Mach was! Du musst ihn davon abhalten, das gibt Ärger.«

Tomo seufzt bedauerlich und legt mir eine Hand auf die Schulter.

»Das liegt nicht mehr in meiner Macht.«

Ich blinzle verwirrt und starre ihn fassungslos an.

»Was?! Oh Gott, ihr habt schon getrunken oder? Scheiße!« Ich fluche vor mich hin, werfe den Bademantel von mir und suche das Zimmer nach meinen Klamotten ab.

»Jared!«, seufzt Tomo, aber ich beachte ihn nicht. »Jared, Terry ist am Pool, der liegt direkt vor deinem Fenster. Warum ziehst du dir nicht einfach wieder den Bademantel an und zur Not kannst du ja eine Flasche rauswerfen.«

»Ich werfe doch keine Flasche nach meinem Bruder!«, schnaube ich empört, gehe aber tatsächlich zum Fenster, weil ich von da aus wesentlich mehr erreichen kann, als würde ich Shannon hinterher laufen. »Ich verstehe nicht, warum dich das so ruhig lässt?«

»Die Flasche oder Terry? Und vielleicht nimmst du ein Bettlaken, wenn dir der Bademantel nicht gefällt. Es ist mir schon etwas unangenehm.«

Ich werfe ihm einen düsteren Blick zu und reiße die Gardine zur Seite.

»Ich meine Terry.«

»Jared, um Himmels willen zieh dir was an, hier sieht dich jeder!«, ruft er nun ungeduldig aus.

»Ach ja …«, gehetzt greife ich ein Bettlaken und wickel es mir um die Hüfte, ehe ich wieder zum Fenster stürme.

»Und wenn du wirklich wissen willst, warum ich so ruhig bin, solltest du mal die Augen aufmachen. Ich kann Terry auch nicht leiden.«

»Ihn nicht leiden zu können, ist kein Grund ihn zu verprügeln!«, fauche ich und suche die vielen Menschen draußen nach Shannon ab. Terry habe ich schnell entdeckt. Ich schlucke schwer, als ich sehe, was Tomo meint. Terry steht am Pool, mit der Kamera in der Hand, mit der er mich auch gestern fotografiert hat. Platt von oben betrachtet sieht es nicht in Ordnung aus, wie er die Mädchen fotografiert. Die, die nicht wissen, dass sie fotografiert werden. Aber ich weiß, dass es Terry nur um die Kunst geht. Er macht nichts mit den Bildern, ebenso, wie er meine Bilder nicht …

»Shannon!«, rufe ich laut, als ich ihn hinter Terry entdecke. Terry dreht sich nach meiner Stimme um, im selben Moment, als Shannon ausholt und ihn mit einem kräftigen Stoß in den Pool schubst. Mitsamt seiner Kamera. Grinsend dreht Shannon sich zu uns um und winkt.

»Er hat ihn nicht verprügelt«, seufze ich, gleichzeitig erleichtert und dennoch ein wenig enttäuscht.

»Natürlich nicht. Ich sage ja, du sollst die Augen aufmachen. Shannon verprügelt niemanden, wenn so viele Frauen dabei stehen, bei denen er noch Eindruck machen will.« Ich schüttle den Kopf und wende mich wieder vom Fenster ab, um mich kraftlos aufs Bett fallen zu lassen.

»Aber er hatte vor, ihn zu verprügeln?«, frage ich müde und schiele zu Tomo hoch. Er zuckt lediglich mit den Schultern.

»Er ist dein Bruder. Du solltest wissen, wozu er fähig ist. Und ich hole jetzt was zu trinken, damit wir feiern können!« Er grinst mir zu und ich schließe meine Augen wieder. Ich höre, wie seine Schritte sich entfernen und sie plötzlich abrupt verklingen. »Uhm … Jared?«

Tomo steht an der Tür meines Hotelzimmers und sieht unsicher zu mir rüber.

»Ich glaube ehrlich gesagt, dir ist manchmal nicht bewusst, was du Shannon bedeutest. Du hast nicht vorhin mit ihm im Flugzeug gesessen und du hast nicht gesehen, was dein Anruf bei ihm angerichtet hat. Weißt du, er ist stark und er hat da irgendwie dieses Beschützerding drin, aber wenn er glaubt, er hat versagt und wenn es dabei um dich geht …« Tomo hebt die Schultern und schüttelt den Kopf. »Es ist nicht schön, ihn brechen zu sehen.«

Ich presse die Lippen zusammen und lehne mich auf die Ellenbogen, um Tomo ansehen zu können. Mir ist klar, was ich Shannon angetan habe und ich würde es gerne rückgängig machen. Es war keine Absicht und ich habe gesehen, wie sehr er gelitten hat.

»Sagst du das, weil du glaubst, ich könnte mir wirklich etwas antun?«

Tomo schüttelt den Kopf.

»Ich rede davon, dass du tagelang vor dich hinvegetierst, weil Colin dich verlassen hat und du verkündest, du feierst alleine in Mexiko. Das hat Shannon verletzt. Und zwar nicht, weil du ohne ihn feiern wolltest, sondern in der Hauptsache, weil du keinen Ton von Colin verloren hast. Du hast ihn erst miteinbezogen, als Colin lange weg war und du den Entschluss gefasst hattest zu flüchten.«

»Ich hatte Angst, dass er Colin Recht geben könnte. Und das hat er, ohne, dass ich Colins Gründe kenne.«

»Das hätte er nicht getan, wenn du wie früher mit ihm darüber gesprochen hättest.« Ich befeuchte meine Unterlippe. Was Tomo sagt, mag nicht dumm sein. Das ist die Veränderung, von der Shannon gesprochen hat. Ich habe nicht mehr mit ihm geredet. Ich habe ihn nicht mehr mit einbezogen. Aber das werde ich jetzt wieder tun. Ich will nicht mehr der alleinige Führer sein. Shannon wird mir helfen, ich werde mich nicht mehr nur auf mich selbst verlassen müssen. Ich werde nie wieder alleine irgendwo hinfahren und Shannon einfach ausschließen. Deshalb war ich früher ein so viel leichterer Mensch, als ich es in den letzten Wochen, Monaten oder gar Jahren war. Ich brauchte nur viel zu lange, um es festzustellen.



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