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Tod des Schmetterlings

[Reita x Ruki, Uruha x Ruki, Aoi x Uruha]
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Hi ihr Süßen, willkommen zu Kapitel 2. :)
Ich freue mich, dass ich bereits zum ersten so liebe Kommentare bekommen habe, danke dafür. ♥
Natürlich hoffe ich, dass euch die Geschichte weiterhin gefällt, auch wenn sie sicher nicht jedermanns Geschmack ist. Komplett anzeigen

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STILL MISSING!

‭08. Januar 2012
 

‭Es war schon wieder ein Jahr vorüber vergangen, ein Jahr, dass so viel hinterlassen und gleichzeitig so viel mitgenommen hatte. Der erste Schultag...

Ruki betrachtete sich im Spiegel des Badezimmers und erkannte sich mit brünetten Haaren immer noch nicht wirklich. Doch mit der Blondierung hatte er im Sommer aufgehört. Reita hatte ihm immer die Haare blondiert. Rukis Haare waren seither deutlich länger geworden, verdeckten sein halbes Gesicht. Es sollte ihm recht sein. Da er eigentlich viel zu viel abgenommen hatte, war sein Gesicht zu eingefallen, um es der Welt zu offenbaren. Seine Augen schminkte er nun noch stärker als früher mit schwarzem Lidschatten und Eyeliner, damit seine Augenränder niemand sah. “Du bist so hübsch, mein Junge.” Seine Mutter lächelte ihn aufbauend durch die offen stehende Tür. “Und du schaffst das heute. Das neue Jahr wird besser für dich werden.” Ruki bemühte sich ihr Lächeln zu erwidern. “Nicht schon am frühen Morgen, ja?” murmelte er dennoch, worauf seine Mutter beschämt und mitleidig zugleich nickte.

Seit dieser Nacht hatte sich das Verhalten der meisten Menschen Ruki gegenüber verändert. Jeder auf der Straße sah ihn an und das nicht, wie es früher war, wegen seines Kleidungsstils, sondern weil sie wussten, dass er der beste Freund des verschwundenen Jungens war.

‭Nach dieser Nacht war alles anders geworden, alles fühlte sich falsch an und er spürte, wie ein Teil von ihm seither fehlte. Sein Leben fühlte sich nicht mehr an wie sein Leben, als würde er jemanden dabei beobachten, der ein anderes falsches Leben für ihn fortsetzte.

‭Auch an diesem Morgen füllte er sich nur einen Becher schwarzen Kaffee ein, denn wie immer bekam er keinen Bissen runter. Früher hatte er relativ viel gegessen, Reita hatte ihm auch nicht selten verschiedene Lieblings-Gerichte von ihm mit in die Schule gebracht. Es war Ruki vorgekommen, als sei er in Gedanken stets bei ihm gewesen. “Du musst was essen.” Seine Mutter betrachtete ihn vom Küchentisch aus an der Arbeitsfläche lehnen, die Hände um seinen Kaffeebecher geschlungen. “Ich möchte nicht, dass du krank wirst...”

“Mir ist übel...” sagte Ruki leise und das war nicht mal gelogen. “Ich kann nicht...”

“ Dir ist seit Monaten übel.” erwiderte seine Mutter seufzend. “Vielleicht solltest du wieder zur Therapie, du scheinst nicht...”

“Ich komme zu spät.” Schlagartig stellte Ruki seinen noch zur Hälfte gefüllten Kaffeebecher ab, huschte zu seiner Mutter und küsste sie auf die Stirn. “Ich hab dich lieb.” Mit einem gequälten Lächeln drehte er ihr den Rücken zu. Seine Lippen schienen sich zu weigern, wann immer er versuchte, sie nach oben zu bewegen.

Schnell bemühte er sich, zur Tür zu gelangen und ließ seiner Mutter kaum Gelegenheit, ihren Gedanken weiter zu äußern.
 

‭Der Schulweg war auch so fremd geworden. Normalerweise hatte er Reita auf der Hälfte des Weges getroffen. “Lass uns die Schule schwänzen...” So hatte sein Freund ihn einmal begrüßt. “Ich würde jetzt viel lieber mit dir im Bett sein...” Reita hatte sich nie Mühe gegeben, seine Bedürfnisse auch nur annähernd zu verheimlichen. Auf dem Weg zur Schule hatten sie sich so oft wie es ging heimlich geküsst, denn in der Schule selbst war das nie möglich gewesen. Während Reita sich nämlich oft seiner Homosexualität hingab, war es für Ruki bis zum Schluss nie möglich gewesen. Bis zum Schluss...?

Er kam an einem riesigen Gebäude entlang, wie jeden Morgen. Und immer noch war es mit Reitas verschleiertem Gesicht verziert. Er lächelte ihn von etlichen Plakaten an, als wolle er sagen: “Ruki-chan, nun lächle doch, ich bin immer noch da.” Aber dann sah Ruki über Reitas Foto in feuerroten Buchstaben “STILL MISSING!” stehen. In englischen Buchstaben, damit es jeder verstand. Er wurde vermisst. Im wahrsten Sinne des Wortes... Ruki vermisste ihn schrecklich.
 

Unter seinem Foto war die Bitte vermerkt sich mit möglichen Informationen an die Polizei zu wenden. Das hatten viele getan, doch es waren ausschließlich Spuren gewesen, die sich im Sand verlaufen hatten... Irgendwelche Personen, die behaupteten ihn gesehen zu haben. Schon aus der Entfernung hatte Ruki Yumiko gesehen. Ein junges hübsches Mädchen aus seiner Schule, die ehemals beste Freundin von Reita. Sie stand vor dieser Wand aus Plakaten und starrte sie reglos an. Dabei liefen ihr unzählige Tränen die Wangen hinunter. Ruki konnte nicht anders, als wortlos den Arm um sie zu legen, als bei ihr ankam. “Ruki...” schluchzte sie und erwiderte seine Umarmung für eine Weile. “Es tut mir leid... Du vermisst ihn genauso sehr wie ich, ich weiß. Ihr standet euch so nah... Du hast ihn als Letztes gesehen.”

“Es ist okay.” Ruki nickte ihr zu. Wie gerne würde er sagen, es würde alles gut werden. Er wollte ihr Mut machen, doch den hatte er selbst eigentlich längst verloren. “Wie kann das sein?” fragte Yumiko traurig und ihre dunklen Augen glitzerten leicht. “Er ist weg, aber er ist trotzdem überall...”
 

“Ich habe eine Antwort gesucht, immer und immer wieder.” murmelte Ruki leise und starrte mit ihr die Plakate an. “Ich wollte diese Nacht so sehr verstehen, aber es hat mich nur noch wahnsinniger gemacht. Die ganzen Monate...” Er pausierte und sah zu Boden, da er Reitas Lächeln nicht länger ansehen konnte. “... habe ich auf ein Zeichen von ihm gewartet, eine Nachricht, dass er noch lebt und vielleicht wieder kommt.” Und, dass er sagt, dass er mich liebt, und, dass ich dahin kommen soll, wo er ist, damit wir wieder zusammen sein können, fügte er in Gedanken noch hinzu. Natürlich wäre Ruki sofort aufgebrochen, hätte sich Reita bei ihm gemeldet und gesagt: Ich bin hier, komm zu mir. Für ihn... Immer. Aber das war nicht passiert. Und nach über einem halben Jahr würde es wohl auch nicht mehr passieren. “Reita war der treuste Mensch, den ich kannte. Er wäre nicht einfach abgehauen, das hätte er uns nicht angetan.” Yumiko sah Ruki todernst an. “Er hat uns geliebt. Dich, Aoi und auch mich. Wir waren doch alles für ihn.”

“Seine Familie...” flüsterte Ruki daraufhin unbewusst, wobei er spürte, wie ihm wieder schlecht wurde. Wie oft er sich die letzten Monate übergeben hatte, konnte er mittlerweile nicht mehr zählen...
 

‭Den Rest ihres gemeinsamen Weges schwiegen sie sich an. Allerdings hielt Ruki sie weiter tröstend im Arm, bis sie in der Schule ankamen und getrennte Wege gingen. Dankbar lächelte Yumiko ihn an, bevor sie mit gesenktem Kopf die Treppe empor huschte. Zwar hatten sie sich immer gut verstanden, doch das bindende Glied war Reita gewesen, so war es auch mit Aoi gewesen. Er war in Rukis Klasse, seit er denken konnte, kennengelernt hatte er ihn aber nur durch Reita. Man konnte sagen, Reita war der Mittelpunkt dieser kleinen Clique gewesen.

‭Nun ohne ihn existierte sie nicht mehr und auch in der Schule fühlte sich alles fremd an. Das große weiße Gebäude mit seinen Gängen und Räumen, seinen 3000 Schülern und all den Treppen war wie leer gefegt.

“Ruki, guten Morgen.” Hinter ihm hatte sich Aoi angeschlichen und gesellte sich an seine Seite. Seine schwarzen Haare mit der dicken pinken Strähne im Pony standen wie üblich stark toupiert in alle Himmelsrichtungen ab. Der Ring in seiner Lippe drehte sich etwas bei seinem Grinsen. Als er allerdings Rukis Gesciht sah, verblasste es sofort wieder. “Oh je, du siehst immer noch so fertig aus. Ich dachte, die Ferien würden dir gut tun.”

“Weißt du, ich versuche es wirklich.” erwiderte Ruki und schüttelte den Kopf. “Ich will nicht immer aussehen, als wäre ich depressiv, aber...”
 

“Du musst keinem etwas vormachen, man.” Aoi klopfte ihm verständnisvoll auf die Schulter. “Natüerlich will dich jeder wieder lachen sehen. Aber wenn du noch nicht soweit bist, dann sollst du deine Zeit bekommen.” Er war so bewundernswert stark. Mit seiner lockeren Art erinnerte er Ruki oft an Reita, dann war es fast, als wäre er wieder da. “Wie schaffst du das?” fragte er Aoi ernst mit kratziger Stimme.

“Diese Stärke zu behalten?” Darauf schüttelte dieser ratlos den Kopf und ächzte tief. “Ich weiß es nicht.”
 

Für einen Moment sah Ruki die Fassade seines Freundes bröckeln. Sein Grinsen verschwand und das Glänzen in seinen Augen erlosch, seine aufrechte Körpersprache sackte ein. Plötzlich starrte re zu Boden. So sahen Aois Gefühle wohl wirklich aus. Natürlich vermisste er seinen besten Freund, egal, wie sehr er es tarnen wollte und wie gut ihm dies gelang. “Wir sollten nach der Schule etwas zusammen machen. Wie früher.” Nanu? Was hatte Ruki da gerade so unbewusst aber bestimmt gesagt? Zunächst war auch Aoi äußerst verwundert, denn für seien spontane Art zögerte er ungewöhnlich lange. Dann zierte allerdings doch noch ein Lächeln sein Gesicht.
 

“Gern.” sagte er schließlich. “Irgendwie muss wieder Normalität einkehren. Soweit das halt ohne Reita möglich ist.” Ruki nickte langsam. Seinen Namen aus dem Mund von anderen zu hören, war immer komisch, da er selbst es so sehr vermied, ihn auszusprechen. Oder überhaupt über ihn zu reden, obwohl er ihn so sehr geliebt hatte. Nein, er liebte ihn immer noch. Nur weil er fort war, hatten sich seine Gefühle für ihn nicht geändert.
 

‭Im Nachhinein fragte sich Ruki, warum er sich so plötzlich mit Aoi hatte verabreden wollen. Aber es absagen wollte er nun auch nicht mehr. Die paar Stunden würde er überleben, sonst hätte er wahrscheinlich eh geschlafen, damit er dann nachts aus dem Fenster starren konnte. Seit Monaten hatte sich sein Schlafrhythmus so verschoben. Ein normaler Alltag war einfach nicht mehr möglich. Umso besser war dieses Treffen vielleicht.

Aoi lächelte Ruki im Klassenraum angelangt noch einmal zu, als er sich auf seinen Platz in der letzten Reihe einfand, während sich Ruki auf den in der ersten setzte. Seine Tasche setzte er ab und starrte die noch geöffnete Tür hinaus. Seine Mitschüler kamen in kleineren Gruppen langsam in den Raum geschlichen, viele von ihnen sahen kurz möglichst unauffällig zu Ruki hinüber. Die ganze Clique war natürlich ins Visier aller Menschen in Tokyo, wenn nicht sogar in ganz Japan geraten. Die Clique um den verschwundenen, halb vermummten, homosexuellen Jungen. Doch Ruki wurde noch mehr taxiert als Yumiko und Aoi, denn er hatte ihn dieser Nacht, in der er verschwand, das letzte Mal gesehen. Die meisten starrten einfach nur, teilweise fragten sie ihn, wie es ihm ging, scheinheilige Bemitleidigungen. Und dann gab es die, die ihm doch tatsächlich sagten, wie gut aussehend, heiß, sexy und sonstiges Reita doch gewesen war. Es gab wirklich Menschen, die nicht den Hauch von Anstand besaßen.

Vor seinem inneren Auge sah er Reita den Gang entlang laufen, ihm durch die offene Tür zu winkend. Es schüttelte ihn und wieder kam ihm diese Frage des Warum. Warum war das alles passiert? Ruki würde nie sein Lächeln vergessen können. So klar er ihn auch in seinen Erinnerungen sah, es reichte einfach nicht, um seinen Sehnsucht nach ihm zu stillen... Dass ein Lehrer den Raum betrat, realisierte er nicht einmal. Ebenso wenig wie, dass alle seine Mitschüler zur Begrüßung aufstanden. Gedankenverloren starrte er auf die Tischplatte, bis die weißfarbene Oberfläche dieser sich plötzlich unter einem Schatten grau färbte. Irritiert sah er langsam auf und blickte fragend in ein ihm fremdes Männergesicht. Vielleicht war der Unbekannte mitte 30, seine dunklen Haare hatte er fast komplett abrasiert, dafür zierte ein angedeuteter Bartwuchs sein markantes Gesicht. Es dauerte eine Weile, bis Ruki verstand, dass es sich bei diesem Mann tatsächlich um seinen neuen Lehrer handelte.

Perplex sprang er auf und verbeugte sich tief. “Entschuldigen sie, sensai.” Dabei spürte die ganzen Blicke seiner Mitschüler in seinem Rücken kleben. Sein Lehrer zeigte aber erst überhaupt keine Reaktion.
 

“Am frühen Morgen schon unaufmerksam, hm? So wird man also in seiner neuen Klasse begrüßt.” Er trat von dem Tisch seines Schülers zurück, ging zum Lehrertisch und schlug das Klassenbuch auf. Ruki war wie festgefroren in seiner Haltung und behielt ihn genau im Auge. Was für ein mieserabler Start... Wenige Lehrer seiner Schule hatten nach ein paar Wochen noch Verständnis für die Clique um Reita gehabt. Yumiko, Aoi, Ruki selbst... Sie alle hatten schulisch abgebaut und vor allem Aoi hatte wirklich unterirdische Noten erhalten. Zwar konnten die Lehrer ein riesiges Foto von Reita unten ausstellen, aber wirklich Rücksicht nahmen sie nicht. Eigentlich war Ruki immer ein guter Schüler gewesen, seine Eltern hatten ihn ja auch gut in diese Richtung getreten, aber jetzt... Und gerade als er es wirklich ändern wollte, musste er es sich gleich mit dem neuen Lehrer verscherzen. “Dein Name?” fragte dieser trocken.
 

“Matsumoto Takanori.” presste er gehemmt hervor. Seine Stimme klang so anders, wenn er sprach, das merkte er immer wieder. Früher hatte er so viel geredet...

Perplex sah der Lehrer nun wieder auf und musterte Ruki mit weit aufgerissenen Augen. Angespannt hielt er die Luft, da er nicht wusste und auch nicht einschätzen konnte, was jetzt passieren würde. “Entschuldigung.” füsterte er schließlich und schloss das Klassenbuch. “Ich wollte dich nicht so bloßstellen.”

“Haben... Sie nicht.” stotterte Ruki perplex über den schlagartigen Stimmungsumschwung des neuen Lehrers.

“Es tut mir Leid.” Etwas in ihm sagte Ruki, dass er damit nicht seinen herben Tonfall wegen seiner Unachtsamkeit meinte. Seit der Nennung seines Namnes verhielt er sich so. Wahrscheinlich hatte er diesen im Zusammenhang mit Reitas Verschwinden in einem der etlichen Zeitungsartikel gelesen. “Wann hört dieser Schwachsinn um diesen Suzuki endlich auf?” tönte es auf einmal aus der letzten Reihe und entsetzt fuhr auch Ruki wie alle seine Mitschüler herum, um den Jungen, der nur drei Plätze von Aoi entfernt saß und diesen unmöglichen Spruch gebrüllt hatte, anzustarren. Ruki war nur froh, dass Yumiko nicht in seiner Klasse war. Womöglich hätte sie wieder geweint und den Anblick hätte er nicht noch einmal an einem Tag ertragen. “Warum regen sich alle wegen dem so auf und fassen seine Freunde mit Samthandschuhen an?” fragte der Junge weiter. Da merkte Ruki zum ersten Mal, dass er nicht einmal wusste, wie er hieß. Viel Interesse hatte er nie für seine Klassenkameraden gehabt.
 

“Die arrogante Schwuchtel ist eh mit irgendeinem Kerl durchgebrannt. Daran erkennt man, wie egal ihm seine Freunde doch waren. Als wenn dem wirklich etwas Schlimmes zugestoßen wäre.” Im nächsten Moment war Aoi wie vom Blitz getroffen aufgesprungen und brüllte in einer Rage, in der Ruki ihn noch nie gesehen hatte los: “Wage es nicht, so über Reita zu sprechen oder ich schwöre dir, ich mach dich kalt.”
 

“Aoi!” warf Ruki lautstark ein und merkte, wie seinen alte Art plötzlich aus ihm hervorbrach. “Der ist es gar nicht wert.”
 

“Mich kalt machen? Versuch’s, Schwanzlutscher!” provozierte ihr Mitschüler Aoi weiter, dessen Gesicht mittlerweile die Farbe seiner pinken Strähnen erreicht hatte. Er zitterte unter seiner Wut und die ganze Klasse fuhr zusammen, als er wirklich einen raschen Schritt auf ihn zu machte. Aber da schaltete sich der vor Schock erstarrte und jetzt wieder erwachte Lehrer ein: “Sofort aufhören!” schrie er noch lauter als Aoi heraus. “Was sind das für Zustände in dieser Klasse? Respektlosigkeit und Homophobie sind zwei der Dinge, die ich auf den Tod nicht ausstehen kann. Glückwunsch. Eure Namen bitte, ihr sitzt beide nach, denn Morddrohungen und Geschrei in meinem Klassenraum toleriere ich genauso wenig.”
 

Den letzten Teil richtete er bewusst gegen Aoi, der immer noch unter seinem Zorn bebte, sich jetzt aber wieder auf seinem Platz niederließ. Sodann drehte sich der Lehrer um und wandte ihnen den Rücken zu, als er wieder zu seinem Pult vor der Tafel schritt. Es war Ruki unmöglich, nicht zu Aoi zu starren. Denn während er seine Arme verschränkte, sammelten sich Tränen in seinen Augen. Es tat Ruki ähnlich weh, wenn jemand so über den Jungen redete, den er so geliebt hatte. Aber Aoi ging anders mit seinem Schmerz um. So war es seine Art aggressiv zu werden oder seine lachende Maske aufzusetzen. Ruki dagegen verschloss sich und hungerte völlig unbewusst. “Zu verschwinden macht niemanden heilig.” murmelte ihr Mitschüler unnachgiebig erbost. “Erst recht nicht, wenn man jeden, dessen Gesicht einem nicht gepasst hat, tyrannisiert hat.”
 

“Der Name!” donnerte der neue Lehrer. “Takanawa Hitoshi.” erwiderte der Junge und würdigte niemanden mehr eines Blickes. Stur wanderten seine verengten Augen zum Fenster hinaus, aber Aoi ließ nicht davon ab, ihn zu taxieren. Der Hass schrie ihm aus dem Gesicht. Er wollte immer noch zu Takanawa hinüber stürzen. Nur kurz sah er zu Ruki, als er dessen Blick auf sich spürte. Bedacht schüttelte Ruki den Kopf, um Aoi zu bedeuten diese Gedanken ruhen zu lassen. Genauso gut wusste er aber, dass das für seinen Freund gerade nun mal ein Ding der Unmöglichkeit war. Dennoch lächelte Aoi ihn an, was fast wie ein Reflex wirkte. Als könne er nicht anders, als Ruki anzulächeln.
 

‭Da nickte der Lehrer in seine Richtung. Mittlerweile hatte er sich an seinen Tisch gesetzt und notierte die Namen der Übeltäter in dem Klassenbuch. “Deiner?” fragte er schlicht und seine Wut auf seine Schüler schwang in seiner Stimme deutlich mit. “S‬hiroyama Yuu.” Anteilnahmelos ratterte Aoi seinen richtigen Namen hinunter, biss sich dabei auf sein Piercing. “Ihr kommt nach der letzten Stunde zu mir, dann werden wir uns noch einmal genauer über diese Situation unterhalten. Für sein junges Alter schien der Lehrer zu wissen, wie man einen bleibenden Eindruck hinterließ. Selten war die Klasse so ruhig gewesen. Ein letzter Blick des Lehrers ging in Rukis Richtung, dieser war jedoch nicht mehr streng oder gar wütend. Er war wieder traurig und bemitleidend. Ein komisches Gefühl kroch in Ruki hoch, das jedoch sogleich wieder verschwand, da der Lehrer sich erneut aus seiner sitzenden Position erhob. “Entschuldigt bitte, dass euer erster Schultag so anfangen und wir uns so kennenlernen mussten.” Plötzlich hatte seine Stimme eine ganz andere Klangfarbe. Mit einem Mal wirkte er wie ein Gleichaltriger, ein Freund.
 

“Mein Name ist Takashima und ich bin euer neuer Klassenlehrer. Wie ich leider feststellen musste, gibt es in dieser Klasse einige Differenzen...” Er pausierte, da er sich zur Tafel drehte und seinen Namen niederschrieb. “Ich sehe es als meine Pflicht an, mich um diese zu kümmern, vor allem bei den Ursprüngen dieser Differenzen...” Wieder folgte eine kurze Pause, in der allerdings lediglich bedrückt seufzte.

“Ich weiß, dass der Junge, der letzten Frühling verschwand, auf diese Schule ging und einigen Personen hier sehr nahe stand. Ich kann nicht beurteilen, was für ein Mensch er war und das möchte ich auch nicht. Nur eines kann ich sagen: Seine Familie und seine Freunde vermissen ihn sicherlich jeden Tag und werden von der Ungewissheit bestimmt fast erdrückt. Ich für meinen Teil hoffe, dass er gesund wieder auftaucht. Schon allein für die Menschen, die ihn lieben.” Ein Kloß bildete sich in Rukis Hals, der immer dicker wurde und ihm beinahe die Luft zum Atmen nahm. Es kostete ihn sämtliche Körperkraft, nicht in Tränen auszubrechen. Hilfesuchend drehte er sich zu Aoi um. Dieser schien seine Fassung ebenfalls nicht lange mehr wahren zu können. Seine Unterlippe zitterte, er blinzelte immer schneller, damit seine Tränen nicht den Weg aus seinen Augen fanden.

Wann würde dieser Schmerz endlich vorbei sein? Für sie alle... Wann würde diese Einsamkeit endlich aufhören?
 

Es war bereits die dritte Zigarette, die Ruki sich während seiner Wartezeit auf Aoi anzündete. Früher wäre Rauchen auf dem Schulgelände für ihn nie in Frage gekommen, besser gesagt, hätte er generell nie geraucht. Durch Reita hatte sich viel verändert. Als die graue Asche langsam in den Schnee fiel, wünschte er sich, Reita würde ihm plötzlich einfach die Hand auf die Schulter legen und sich entschuldigen, dafür, dass er so lange fort war. Jetzt, nach der eigentlich letzten Stunde war keine Menschenseele mehr auf diesem Schulhof, kamen ihm so traurige und unrealistische Gedanken. Die Müdigkeit tat ihr übriges.
 

Wenn Ruki genau darüber nachdachte, hatte sich durch Reita nicht alles zum Positiven entwickelt. Seine Noten waren schlechter geworden, er hatte begonnen zu rauchen und dazu noch unglaublich oft Streit mit seinen überambitionierten Eltern. Aber die Liebe zu ihm hatte diese ganzen kleinen negativen Punkte überschattet. Durch Reita hatte er sich zum ersten Mal richtig lebendig gefühlt und nun, wo er fort war, war dieses Gefühl ebenfalls fort.

Als Aoi endlich auf einmal vor ihm stand, war er völlig aus seiner Gedankenwelt gerissen. Die Mimik seines Freundes war nicht zuzuordnen. Es war unmöglich zu sagen, wie er sich fühlte.
 

“Alles in Ordnung?” fragte Ruki seine Zigarette ausdrückend.
 

“In Ordnung wäre zu viel gesagt... Danke, dass du auf mich gewartet hast auf jeden Fall.” Aoi ächzte. “Das hättest du bei der Kälte echt nicht gemusst.”
 

“Wir wollten zusammen was machen.” erwiderte Ruki schlicht. “Außerdem brauchst du doch sicher auch mal jemanden zum Reden... oder?” Er war sich in seiner Aussage sicher gewesen. Wenn er Aois Gesicht jetzt aber so betrachtete... Womöglich wollte er gar nicht reden. “Dieser neue Lehrer geht mir jetzt schon auf die Eier!” fluchte er wie vom Blitz getroffen los.

“Da macht er einen auf verständnisvoll, quatscht diesen Takanawa und mich dicht und will den Psychologen spielen... Als könnte er nur annähernd nachvollziehen oder beurteilen, wie es uns geht. Ich...” Hektisch rang er nach Luft, nachdem diese Worte aus ihm herausgeplatzt waren. “Hast du eine Zigarette für mich übrig?”
 

“Wolltest du nicht aufhören?” Skeptisch zog Ruki die Augenbrauen hoch.

“Das waren ganz andere Bedingungen.” wehrte Aoi entschieden ab. “Wenn ich jetzt kein Nikotin bekomme, schlag ich ein Loch in die Wand der Schule.”
 

Obgleich Ruki sich nicht sonderlich wohl dabei fühlte, nickte er und reichte seinem Freund stillschweigend eine Zigarette aus seiner Marlboro-Schachtel. Unter diesen äußeren Einflüssen, könnte er auch nie aufhören. Waren seine Zigaretten die letzten Monate über seine treusten Begleiter gewesen.
 

“Es war so schmerzvoll, wie abwertend Takanawa über Reita geredet hat.” setzte Aoi wieder bitter klingend an. “Wir vermissen ihn und er stellt ihn da, als sei er der letzte Unmensch.”

“Es war widerlich...” flüsterte Ruki zustimmend. “... und respektlos, wie Takashima-sensei schon richtig gesagt hat.” Da tat sich ein Schmunzeln auf Aois Lippen auf. “Reita hatte natürlich Schattenseiten. Er konnte ein Biest sein, aber er war...”

“Immer da.” beendete Ruki für Aoi den Satz und sie mussten beide unwillkürlich lächeln.
 

Der Anblick eines essenden Aoi glich immer einer grotesken Vorstellung. Man könnte denken, er sei gerade erst wieder in der Zivilisation und würde zum ersten Mal seit Jahren einen Burger essen. Ruki musste einfach immer, wenn er ihn Essen sah, lachen und heute war es nicht anders, auch wenn er sich unwohl fühlte in diesem überfüllten Laden mit zu vielen lauten Menschen. Er hatte seine Hände um seinen Pappbecher mit Wasser gelegt. Das war das Einzige gewesen, was er bestellt hatte. “Vor letztem Frühling waren wir echt oft hier...” merkte Aoi plötzlich an. “Das stimmt, wegen dir.” erwiderte Ruki nickend und musste wieder kichern. “Reita hat einfach jedes Mal einen Aufstand gemacht und Yumiko hat sich geweigert auch nur irgendwas zu bestellen. Sie dachte, selbst das Wasser hier würde dick machen.” Aoi lachte laut auf und ließ dabei beinahe seinen Burger fallen. “Aber du hast mir beim Essen Gesellschaft geleistet.”

“Ich hätte mich schuldig gefühlt, wenn nicht.” zuckte Ruki mit den Schultern, setzte den Becher an, um etwas Wasser durch den Strohhalm in seinen Mund zu ziehen. “Reita konnte so bestimmend sein, es war ein Wunder, dass wir überhaupt hierher gekommen sind.” meinte Aoi plötzlich, klang dabei auf einmal ganz anders als zuvor. Er senkte seinen Kopf sogar etwas. “Ich hatte immer das Gefühl, Reita sei das Zentrum unserer Clique, weißt du?” Natürlich wusste Ruki sofort, worauf er anspielte. “Er war der Kopf, das kann man schon so sagen. Deswegen haben wir uns auch die letzten Monate so auseinander gelebt. Er war das bindende Glied.”
 

“Aber schon komisch... Ich dachte immer, alles würde sich um Reita drehen...” Aoi sah wieder auf und blickte Ruki ernst an. Dennoch lag etwas liebvolles in seinem Blick. “Und bei Reita selbst drehte sich alles nur um dich.”

Da spürte Ruki regelrecht, wie sich seine Augen weiteten und er knallrot anlief. “W-Was?!”
 

“Früher gab es keine Party, auf der Reita sich nicht mindestens einen Kerl klar gemacht hat. Aber als du in unsere Clique kamst, hörte das schlagartig auf. Er hatte nur noch Augen für dich. So hatte ich ihn noch nie zuvor erlebt.” seufzte Aoi. Bildete sich Ruki das ein oder klang er dabei unglaublich traurig? “Ich mein... Ich kann es verstehen.” setzte er wieder an und streckte seinen Arm plötzlich nach Ruki aus. Vorsichtig nahm er seine Hand und Ruki wusste erst einmal nicht, was er tun sollte.

“Du... bist wunderschön.” Kaum hatte Aoi diese Worte ausgesprochen, zog Ruki seine Hand aus Aois. Auch wenn ihm das blamierte und auch enttäuschte Gesicht seines Freundes unendlich leidtat. “Aoi, ich muss dir was sagen...” begann Ruki stotternd. “Keiner wusste es, okay? Also fühl dich dadurch nicht persönlich angegriffen.” Natürlich war sich Ruki darüber im Klaren gewesen, dass dieser Tag kommen würde, aber er hatte gedacht, dass Reita bei ihm sein würde, wenn er es zum ersten Mal aussprach.
 

“Reita und ich... Wir waren nicht nur Freunde.” presste er schließlich hervor, nachdem er eine halbe Ewigkeit unter Aois verwundertem Blick geschwiegen hatte. “Wir waren ein Paar, die ganze Zeit über... Es war mein Wunsch, es geheimzuhalten. Ich war überfordert mit allem.” Warum war er so nervös? Er erzählte es doch nur einem seiner besten Freunde, der selbst schwul war. Aoi starrte ihn wortlos an und fand erst langsam eine Reaktion auf die gebeichteten Worte.

“Wow, das erklärt so einiges...” sagte er dann langsam. “Warum Reita immer so ausgeflippt ist, wenn es um dich ging... Aber zu uns hättest du doch ehrlich sein können, Ruki. Wovor hattest du Angst?”
 

“Vor allem.” Ruki schüttelte sich, als wäre ihm ein kalter Windstoß in den Nacken gefahren. “Ich hatte noch nie so viel für einen Menschen empfunden. Reita war alles für mich und dann lern ich dank ihm auch noch euch kennen. Zum ersten Mal hatte ich richtige Freunde und jemanden, der mich liebt, so wie ich bin. Ich dachte, wenn ich es laut ausspreche, geht alles kaputt.”

“Es tut mir Leid...” seufzte Aoi schließlich, nachdem er die Worte auf sich hatte wirken lassen. “Die letzten Monate müssen die Hölle für dich gewesen sein. Ich wünschte, ich wäre mehr für dich da gewesen. Du musst Reita schrecklich vermissen.” Es klang mitfühlend, wie Aoi diese Worte aussprach, so mitfühlend, dass Ruki tatsächlich mit den Tränen kämpfen musste.
 

“Weißt du, nur weil er weg ist, kann ich meine Gefühle für ihn nicht abstellen.” schluchzte er überrumpelt. Es fiel ihm schwer zu fassen, dass er nach all der stummen Zeit ausgerechnet hier in der Öffentlichkeit so einen Gefühlsausbruch hatte. “Ich liebe ihn und ich weiß nicht, wie ich weitermachen soll. Ich ertrage diese Ungewissheit nicht mehr...”
 

Wieder nahm Aoi seine Hand, doch dieses Mal zog Ruki seine eigene nicht weg, sondern versuchte die tröstende Wirkung in sich aufzunehmen. “Ich hoffe, dass es leichter wird für dich.” flüsterte Aoi leise und streichelte währenddessen sanft Rukis Hand. “Ich würde dich so gerne wieder lachen sehen. Du warst dann immer noch schöner...” Ruki schluckte hart und wischte sich mit der freien Hand die Tränen unter seinen Augen weg. In dem Moment, der wohl der unpassendste überhaupt war, knurrte auf einmal Rukis Magen in einer unerwarteten Lautstärke, woraufhin Ruki als auch Aoi regelrecht erschraken. Aoi konnte sich ein kleines Kichern einfach nicht unterdrücken, was auf Ruki überraschenderweise irgendwie ansteckend wirkte.
 

“Hier!” sagte Aoi entschieden und reichte Ruki seine kleine mit Pommes gefüllte Tüte. “Die hast du nötiger als ich.” Ohne zu zögern nahm Ruki sich dankbar lächelnd eine Pommes und biss auch sogleich ab. “Aber vorsicht, nicht das du noch dicker wirst.” zog Aoi auf, wohl wissend, wie dünn Ruki geworden war, auf. Da riss dieser seine Hand aus Aois und verpasste ihm einen Schlag auf den Unterarm. “An mir ist kein Gramm Fett zu viel, klar?” zickte Ruki sofort los, was Aoi noch mehr zum Lachen brachte. “Schön zu wissen, dass die kleine Diva immer noch da ist.”

Da hatte er Recht. Für einen Moment war es wirklich wieder so wie vor dem letzten Frühling.
 

“Es war angenehm, den Nachmittag nicht allein in meinem abgedunkelten Zimmer zu verbringen. Danke dafür.” sagte Ruki leise auf ihrem Weg nach Hause. Aoi wollte Ruki unbedingt bis zu dem Haus seiner Eltern bringen, auch wenn dies für ihn einen immensen Umweg bedeutete. “Es war wirklich schön.” nickte dieser. “Wer weiß, vielleicht kann wirklich wieder irgendwann halbwegs Normalität einkehren...”

Es war bereits stockdunkel geworden, der Schnee knirschte unter ihren Schuhen und für Rukis Geschmack war es einfach viel zu kalt. Sie sahen lediglich in den Lichkegeln der Straßenlaternen den Schnee funkeln. Neben ihnen verlief der Fluß, der auch in der Nähe von Reitas Wohnung entlang lief. Auf dessen Brücke Ruki seinen Verband gefunden hatte. Dieses Band wurde ihm leider von der Polizei abgenommen. Es war ein Beweismitel in einem Vermisstenfall. “Hast du dein ganzes letztes halbes Jahr so verbracht?” fragte Aoi schließlich. “Allein in deinem Zimmer?”
 

“Ich wollte nichts sehen und nichts hören. Die Schule war oftmals unerträglich.” antwortete Ruki ehrlich. “Meine Eltern dachten, ich verliere den Verstand. Aber na ja, das haben sie schon vorher gedacht.” Wenn sie schwiegen, war das Einzige, was man im ganzen Umkreis hören konnte, das Rauschen des Flusses. Was für ein grausiges Geräusch. Es erinnerte Ruki an diese Nacht, in der Reita verschwand. Oft hatte er das Gefühl gehabt, der Fluss hatte ihm Reita weggenommen, so bescheuert ihm dieser Gedanke auch vorkam.
 

“Sie hatten einfach Angst um dich. Besser gesagt, haben sie die immer noch. Du hast dich so sehr verändert und siehst krankhaft abgemagert aus. Sie denken, du machst dich kaputt.” versuchte Aoi Ruki klar zu machen.

“Vielleicht...” erwiderte der schlicht. Wenn er über eins nicht reden wollte, dann über seine Eltern. Bald war er Zuhause und dann musste er sich früh genug mit ihnen auseinander setzen. Seine Mutter würde ihn durchlöchern, wo er denn den ganzen Tag über gewesen war und sein Vater würde ihn anherrschen, doch endlich etwas für die Schule zu tun. “Was ist da vorne los? Polizei?” vernahm er Aois verwunderte Stimme und er sah vom Boden auf. Einige Meter vor ihnen standen sehr nahe am Fluss etliche Autos der Polizei, schaulustige Leute hatten sich bereits um dieses Aufgebot versammelt und machten es unmöglich zu erahnen, was dort vor sich ging. Auch ein Krankenwagen ragte aus der Gruppe hervor. Zeitgleich blieben Ruki und Aoi stehen, tauschten fragende Blicke aus. In der Entfernung konnten sie die Menschenmenge aufgeregt tuscheln hören, nur richtige Worte verstanden sie nicht.
 

Unter ihnen erkannte Ruki eine Nachbarin, mit der seine Mutter sich über die Jahre hinweg gut angefreundet hatte. Hin und wieder hatte sie auch auf ihn aufgepasst, wenn seine Eltern in ihrer vollausgelasteten Zeit als Anwälte keine Zeit für ihn gehabt hatten. Man konnte also sagen, er hatte eine doch relativ enge Bindung zu dieser Frau, die mitlerweile auch stark auf die 50 zu ging. Auch sie schien ihn gerade bemerkt zu haben. In ihrer Miene lag Fassungslosigkeit, zu der sich sogar etwas Verzweiflung mischte, als sie Ruki erkannte. Sofort kam sie zu ihm und Aoi gehetzt. Ihre Reaktion machte Ruki noch mehr Angst und er spürte, wie sich sein Magen verkrampfte. “Takanori-san!” rief sie und nahm ihn sofort in den Arm, als sie bei ihm angelangt war. Zunächst erfolgte keine Reaktion seitens Ruki. Auch Aoi starrte nur verwirrt zu den beiden rüber. “Was ist hier los?” fragte Ruki nach einem Moment atemlos, ohne sie anzusehen. Sein Blick hing weiterhin auf dem Szenario aus blau leuchtenden Polizeiwagen. “Es tut mir Leid...” wisperte sie den Kopf schüttelnd. “Sie haben ihn gefunden.”
 

Aois Augen weiteten sich. “Meinen Sie Reita?!” Rukis Nachbarin nickte und es schien, als funkelten Tränen in ihren Augen auf. “Er ist...” Sie schien den Satz nicht beenden zu können, aber das musste sie auch gar nicht. “Es ist wohl in der Nacht passiert, in der er verschwunden ist. Die ganze Zeit über... Ertrunken.” Das waren die weiteren Fetzen, die sie versuchte, in Sätze zu verwandeln. Aoi schnappte nach Luft, sah direkt zu Ruki. Doch dessen Miene war wie erfroren... Als stünde er absolut unter Schock. Seine Unterlippe zitterte leicht und seine sowieso schon helle Haut schimmerte noch bleicher. Hatten die Worte seiner Nachbarin ihn überhaupt erreicht? “Wir müssen ihn hier weg bringen!” forderte Aoi diese jetzt im hektischen Ton auf. “Er... ist völlig weggetreten.” Gerade als die Angesprochene nickte, trat ein älterer Mann an sie heran. Niemand hatte mitbekommen, dass er sich von dem Tumult aus dem Polizeiaufgebot abgekapselt hatte. So stand er unerwartet vor ihnen. “Matsumoto Takanori?” Regungslos sah der Angesprochene den Mann an. Sein Name war Ishiguro. Er hatte ihn schon letztes Jahr zu Reitas Verschwinden befragt. Nie würde er dieses Verhör vergessen. “Fast hätte ich Sie nicht erkannt, aber es ist gut, dass sie hier sind. Wir hätten sie so oder so kontaktiert.” setzte er an. “Ich denke, sie haben es bereits gehört... Mein Beileid.”
 

“Woher wollen sie es wissen?” wollte Aoi schallend wissen, seine Stimme überschlug sich, vibrierte und bebte. “Dass es unser Freund ist?” Ohne zu realisieren, dass er es tat, griff Ruki nach Aois Arm, als suche er Halt. Sofort schloss sein mittlerweile mit den Tränen kämpfender Freund ihn in seine Arme und drückte Rukis Kopf gegen seine Brust. Diese Berührungen spürte er kaum, auch wenn er merkte, wie ihm wenigstens etwas wärmer wurde. Doch dieses Gefühl von Taubheit blieb. “Matsumoto, ich muss Sie leider bitten mitzukommen.” sagte Ishiguro ernst, ohne auf Aoi einzugehen. “Wir müssen Sie leider noch einmal befragen.”

“Sehen Sie nicht, dass der arme Junge unter Schock steht?” schaltete sich nun die Nachbarin entsetzt ein und streichelte über Rukis Schulter. “Er ist doch erst 17 und hat gerade erfahren, dass sein Freund nicht mehr lebt. Er bekommt doch kein Wort raus, wie Sie sehen.”

“Es ist äußerst wichtig.” beharrte Ishiguro. “Ruki hat doch bereits ausgesagt und zwar nach der Nacht des Verschwindens. Was soll er denn jetzt noch sagen? Lassen Sie ihn doch in Frieden!” regte Aoi sich auf und drückte den sich immer noch nicht regenden Ruki enger an sich, als wolle er ihn auf gar keinen Fall gehen lassen. Ishiguro rückte seine Brille zurecht und fixierte sich auf Ruki. “Aus einem Vermisstenfall ist gerade ein Mordfall geworden. Wir brauchen jede Hilfe.” sagte er schlicht. “Mord?!” Der Schreck in der Stimme der Nachbarin war unüberhörbar. “Welches Monster tötet denn einen unschuldigen Jungen?”
 

Langsam streifte Ruki mit einer leichten Bewegung die Hand von Aoi ab und sah kurz zu ihm rüber. “Ich gehe mit.” murmelte er dann entschlosssen und wandte sogleich den Blick zu Ishiguro, der ihm zunickte.

“Aber...” Aoi wirkte perplex ebenso wie die Nachbarin. Ohne weiter zu warten, setzte sich Ruki in Bewegung. Seine Beine führten die wackeligen Schritte einfach aus, Kontrolle über seinen Körper hatte er keine mehr. Wie angewurzelt blieb Aoi stehen und starrte seinem Freund nach, der von dem Inspektor in Richtung eines der nächsten Polizeiautos begleitet wurde. Warum tat er sich das an? Warum musste er diese Nacht denn jetzt unbedingt noch einmal aufrollen?
 

Ishiguro öffnete für Ruki eine der hinteren Türen des Autos. “Setz dich.” wies er ihn an und Ruki nickte lediglich und tat wie ihm befohlen. Wortlos ließ er sich auf den Sitz sinken, nahm das Klappen der von Ishiguro zugeschmissenen Tür kaum wahr. Vor seinem inneren Auge sah er Reita sich immer weiter von sich entfernen. Es war ihm, als verließe er ihn zweites Mal. Doch dieses Mal hatte es etwas endgültiges. Der Motor heulte auf, der Polizeiwagen kam ins Rollen. Ruki fixierte die Ferne. Er brachte es nicht übers Herz Aoi jetzt anzusehen.
 

“Wir werden es kurz machen.” hörte er Ishiguros Stimme sprechen. Auch daraufhin blieb er stumm. Genau in diesem Augenblick begann es wieder zu schneien.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  Ashanti
2014-03-06T00:14:37+00:00 06.03.2014 01:14
Hallo, ich habe deine FF gerade gefunden und finde sie sehr interessant, ich hoffe du bleibst an ihr dran, es gibt mittlerweile so wenig lesenswerte Fanfictions, die beendet werden. (u_u)
Ich bin auf jeden Fall gespannt und habe sie auf die Favos gepackt.

Ich mag irgendwie wie du Ruki dagestellt hast, er ist so niedlich, aber auch nicht zu verweichlicht, das finde ich super, und auch Uruha als Lehrer hat mich total gepackt, fand ich supertoll! <3
Aoi finde ich auch wirklich klasse, sein Charakter passt wirklich gut, und auch dort hast du nicht übertrieben. Er wirkt gleich sehr sympathisch und alles drum und dran, ich möchte wirklich wissen, was jetzt noch alles auf die drei zukommt, und was mit Reita passiet ist, Ruki kann einem wirklich Leid tun.
Mach bitte bald weiter, liebe Grüße~
Von:  Icegirl
2014-02-25T18:19:28+00:00 25.02.2014 19:19
Hallöle,

eine sehr packende Geschichte. gefällt mir sehr gut bisher. Freu mich wenns weiter geht =)


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