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OS Sammlung

Verschiedene Kurzgeschichten
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Informationen: Reiko Kitamori wird in YGO R gezeigt und ist somit kein eigener Charakter von mir. Dieser Oneshot deutet einseitiges Yuugi/Rebecca an und geht davon aus, dass Kaiba sanfter geworden ist. Mokuba und Anzu hatten Kontakt zueinander. Diese Geschichte ist eine Mischung aus dem YuGiOh! Anime und Manga © Kazuki Takahashi und setzt Grundkenntnisse des Mangas YuGiOh! R © Akira Itō voraus. Komplett anzeigen

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Weiße Rosen (Kaiba/Anzu)

Du hattest mich nie wirklich interessiert und doch stand ich hier. Vor deinem Grab. Der Regen fiel sanft zu Boden und mein Mantel klebte unangenehm an mir. Ich konnte mich nicht daran erinnern, dich je richtig kennen gelernt zu haben. Weiße Lilien und weiße Rosen lagen vor mir und ein Grabstein. Rosen standen dir. Nur einmal hatte ich dich mit einer weißen Rose gesehen und das war am unseren Abschlussball. Das war der Moment, an dem ich dir näher gekommen war, ohne es wirklich verhindern zu können. Du saßt einsam auf deinem Platz und nipptest frustriert an deinem Drink. Deine Freunde waren alle auf der Tanzfläche, aber du hattest niemanden. An diesem Abend hattest du mir leid getan. Nichts weiter als Mitleid, hatte ich mir gesagt. Und doch...
 

„Mazaki? Warum sitzt du hier alleine? Solltest du nicht mit deinen Freunden tanzen?“, fragte ich sie und blickte sie unsicher an.
 

Nur langsam hob sie ihren Kopf und beäugte mich misstrauisch. Ihre Wangen wurden rot und sie stotterte leicht. Sie hatte keinen Tanzpartner und ich glaubte, dass sie sich in diesem Moment sehr allein gelassen fühlte. Sie wollte ihre Freunde nicht stören, da jeder von ihnen mit einer Begleitung gekommen war. Jounouchi war mit einem brünetten Mädchen namens Kitamori Reiko gekommen. Sie gehörte zu den besten weiblichen Duellanten an der Spitze. Honda hatte Kawai Shizuka. Yuugi hatte Hopkins Rebecca an seiner Seite. Otogi und Bakura wie immer umzingelt von kreischenden Fangirls. Sie lächelte gequält und ich nickte vorsichtig.
 

„So ist das also“, entgegnete ich ihr und setzte mich, zu ihren Erstaunen, neben sie. Auch mich verwunderte mein Verhalten, aber dies war der letzte Tag an dem ich sie alle sehen würde. In wenigen Monaten würde ich für lange Zeit nach Amerika reisen und vielleicht wollte sich mein Herz einfach auf diese Weise von ihr verabschieden. Mokuba hatte mich tagelang belästigt. Immer wieder hatte er erwähnt, dass man nur einen einzigen Schulabschluss in seinem Leben hatte und dass ich mich wenigstens einmal wie ein „normaler“ Mensch verhalten sollte, weil es sich um eine Erinnerung handeln würde, die ich niemals wieder nachholen könnte. Jeden Tag wiederholte er diese Worte. Irgendwann hatte ich einfach aufgegeben und ihm versprochen wenigstens ein paar Stunden hinzugehen.
 

Und nun war ich hier. Genervt. Fehl am Platze. Die ganzen Mädchen aus meiner Klasse – nein aus dem ganzen Jahrgang – folgten mir wie aufgescheuchte Hühner. Zeitweise hatte ich das Gefühl, dass ihre Augen kleine Herzen formten, doch dies war sicherlich nur Einbildung. Ihre überschwänglichen Stimmen und ihre endloses Geschleime nervte mich unheimlich. Jede einzelne von diesen Mädchen, mit denen ich nie viel zu tun hatte, war plötzlich interessiert an mir und bezeichnete mich als ihren „Freund“. Sie waren oberflächlich und ich spürte instinktiv, dass sie das große Geld rochen. Als ich sie endlich abgeschüttelt hatte, hatten sie bereits neue Opfer gefunden.
 

Auch der weißhaarige Freund von Yuugi hatte es ziemlich schwer. Ich hatte nie viel mit ihm zu tun gehabt, wusste aber, dass sein Name Bakura war. Ständig liefen ihm die Damen hinterher und ihre Augen glitzerten wie Sterne am Himmel. Abscheulich. Ekelerregend. Mehr dachte ich bei diesem Anblick nicht. Sie alle interessierten sich nicht für ihn, sondern für sein gutes Aussehen. Er erinnerte an einen Bishie aus dem Fernsehen, vielleicht sogar ein J-Pop Künstler. Sein weißes Haar fiel ihm über die Schultern, als er den Kopf verlegen zur Seite wandte. Ein Glück liefen diese aufgescheuchten Hühner nun ihm hinterher. So hatte ich etwas Ruhe.
 

Mein Blick wanderte zu Anzu, die ihren Kopf sanft zur Musik wippte. Nach außen wirkte sie ruhig. Doch ich wurde das Gefühl nicht los, dass sie in Wirklichkeit vor Wut schäumte. Es war ungewöhnlich dieses Mädchen so aufgebracht zu sehen. Sie stand sonst immer neben dem König der Spiele oder feuerte ihn und den drittklassigen Duellanten Jounouchi während ihrer Duelle an. Ich kannte sie als die Cheerleaderin, die wie Gepäck hinterher geschleppt wurde und keinen bleibenden Eindruck hinterließ. Trotzdem war sie beliebt. Sie war bis zum Ende unsere Klassensprecherin. Beliebt bei den Jungen, den Mädchen und sogar dem Lehrpersonal. Die Mädchen sahen alle zu ihr auf und kamen mit ihren Problemen zu ihr.
 

Sie war immer umringt von lachenden Gesichtern, doch heute war es anders. Aus dem Augenwinkel erkannte ich Mutou Yuugi, meinen größten Rivalen in Duel Monsters und auch ein anerkannter Gamer. Er löste jedes Rätsel und war weltweit berühmt für seine Fähigkeit kein einziges Spiel zu verlieren. Auch ich wünschte mir nichts mehr als ihn fair in einem Duell zu schlagen. Der Andere Yuugi – mein wahrer Rivale – war nicht mehr hier und so hatte ich mich an den Gedanken gewöhnen müssen, dass nicht mehr Atem, sondern Yuugi mein Rivale sein würde.
 

Ich hörte eine quietschende Stimme. Diese schrille Stimme musste dem blonden Mädchen an seiner Seite gehören. Immer wieder nahm sie das Wort „Darling“ in den Mund und dann hängte sie sich ungefragt an seinen Arm, schmiegte ihr Gesicht an ihn. Yuugis Privatleben ging mich nichts an. Trotzdem war ich der Ansicht, dass dieses Mädchen ihre Gefühle zu sehr nach außen zeigte und dass dies an Yuugis Ansehen und seinem Ruf als ernstzunehmender Profiduellant kratzte. Doch das ging mich nun wirklich nichts an. Ich warf einen kurzen Blick auf die Brünette, die nervös auf ihrer Unterlippe herum knabberte. Ich beobachtete abwechselnd sie und dann ihre Freunde. Dann wieder meine ehemaligen Klassenkameraden, die allesamt Fremde für mich waren.
 

Wie kam Mokuba nur auf die Idee, dass ich diese Erfahrung – diesen Abend – vermissen würde? Ich hatte nie in diese Gemeinschaft gepasst und ich war viel zu selten im Unterricht dabei gewesen, um mir auch nur ein Gesicht dieser Menschen zu merken. Ich kannte Yuugi. Zwangsweise dessen Freunde. Alle andere Menschen in diesem Raum waren Fremde. NPCs hätte ich sie bezeichnet, wenn es sich hier um ein Spiel gehandelt hätte. So sehr ich mich auch darum bemühte, ich konnte kein Interesse für diese Personen aufbringen. Trotzdem achtete ich sehr auf meine Haltung und versuchte weiterhin der seriöse Geschäftsmann zu spielen, den ich verkörpern wollte.
 

Einige der Jungs warfen Anzu lüsterne Blicke zu. Ekelhaftes Pack. Ich hatte nie verstanden, wie man ein Mädchen so begaffen konnte. Vielleicht lag es auch nur daran, dass ich nicht häufig mit Mädchen sprach und generell kein Interesse an Beziehungen hatte. Anzu war hübsch. Beliebt. Sie wurde bewundert und auch jetzt wurde sie immer wieder angesprochen. Jeder, der an diesen Tisch kam und sie zum Tanz aufforderte, wurde jedoch weggeschickt. Ich fragte mich, wieso sie sich weigerte mit diesen Jungs zu tanzen. Ob sie diese Leute auch nur als Fremde betrachtete?
 

Anzu seufzte. Wir saßen noch lange nebeneinander, aber ich sagte nichts mehr. Aber auch sie äußerte sich nicht, bestellte sich einen Drink nach dem nächsten und ich spürte, dass sie mit jedem Schluck immer heiterer und offener wurde. So langsam machte ich mir Sorgen um sie. Zu viel Alkohol war nicht gut. Als ich erklärte, dass sie nicht so viel trinken sollte, wurde sie leicht zickig.
 

„Ich weiß was ich tue, Kaiba-kun. Also belehre mich nicht.“
 

Ihre Stimme war leicht beschwipst. Mein Blick wanderte im Saal umher, aber ich konnte ihre Freunde nicht mehr sehen. Waren sie einfach gegangen? Hatten sie sie wirklich hier gelassen? Verärgert zog ich meine Augenbrauen herunter. Das hier war Yuugis Verantwortung. Nicht meine. Es ärgerte mich, dass sie das fast betrunkene Mädchen hier zurückließen. Es war ausgeschlossen, dass ich sie hier zurückließ. Selbst für einen skrupellosen Geschäftsmann wie mich stand es außer Frage, ein hilfloses Mädchen sich selbst zu überlassen. So viel Moral und Anstand besaß ich gerade noch. Also blieb mir nichts anderes übrig, als mich weiterhin mit ihr zu befassen und einen Weg zu finden, sie unbeschadet nach Hause zu bringen.
 

„Weißt du, Kaiba-kun?“, sagte sie mit lauter Stimme, sodass ich leicht erschrak und sie aufmerksam betrachtete. Plötzlich wirkte sie wie ausgewechselt. Aufgeregt. Ihre Augen strahlten und ihre Wangen waren leicht gerötet, während der rosa Lipgloss auf ihren Lippen leicht im Licht schimmerte und ihre feminine Seite betonte.
 

„Eigentlich bist du ja total nett! Netter als dieser doofe Yuugi... ob du es glaubst oder nicht“, lallte sie und schnappte nach ihrem Glas und leerte es mit einem Schluck, setzte sofort wieder an.
 

„Ich hab ihm gesagt, dass ich mit ihm tanzen möchte am unserem Abschluss! Dann kam diese blöde Kuh Rebecca und hat dazwischen gefunkt und jetzt bin ich wieder das fünfte Rad am Wagen. Weißt du, was ich meine? Weißt du, was ich meine?!“
 

Sie wiederholte sich und sah mich traurig an. Dann wechselte ihr Gesichtsausdruck wieder. Sie wirkte verärgert, aber vor allem enttäuscht. Ich kannte Rebecca nur vom Sehen und wusste, dass sie eine geborene Hackerin war und zumindest aufgrund ihrer Fähigkeiten meinen Respekt verdiente. Trotzdem hatte ich keinen Anlass gesehen, mich mehr mit ihr zu befassen. Sie war ungefähr so groß wie Yuugi. Aus dem Augenwinkel hatte ich bemerkt, dass sie sich Yuugi an den Hals geworfen hatte. Sie war sehr forsch und machte keinen Hehl aus ihren Gefühlen. Es interessierte mich auch nicht sonderlich, was Yuugi in seiner Freizeit tat. Wir waren immerhin nur Rivalen.
 

Was sollte ich ihr also antworten? Bisher hatten wir nie so wirklich miteinander zu tun gehabt, aber solche Situationen lagen mir einfach nicht. Selbst jetzt noch fragte ich mich, was mich dazu geritten hatte, mich zu ihr zu setzen. Hatte ich Mitleid mit ihr? Ja. Oder hatte ich einfach nur nach einer Ablenkung gesucht? Sie wirkte sonst wie der Fels in der Brandung, der diese buntgemischte Truppe zusammenhielt. Dass ausgerechnet sie jetzt hier alleine saß, während ihre Freunde in Gesprächen vertieft waren oder auf der Tanzfläche waren, fühlte sich selbst für mich falsch an. Doch es war auch nicht ihre Art, sich zurückzuhalten. Eigenartigerweise konnte ich sie gut einschätzen und ich hatte nie das Gefühl gehabt, dass sie sonderlich schüchtern gewesen wäre. Sie sagte selbst einem reichen Firmenchef wie mir ihre Meinung direkt ins Gesicht und ließ sich nicht herumschubsen.
 

Auf jeden Fall war sie anders als ihre gleichaltrigen, oberflächlichen Klassenkameradinnen, die bei jedem gutaussehenden und vor allem reichen Kerl anfingen zu sabbern und sich eine schöne Zukunft ausmalten. Ich war mir sicher, dass jedes Mädchen, das heute an mich herangetreten war, nur mit dem Hintergedanken zu mir kam, dass sie mit mir an ihrer Seite für den Rest ihres Lebens ausgesorgt hätten.
 

Viele Mädchen träumten vom leicht verdienten Geld. Vermutlich lag es daran, dass Japan als Ganzes noch sehr traditionell und vor allem konservativ war und man den jungen Frauen von Kindheitsalter einprägte, wie sie zu denken, zu sprechen, handeln und sich zu bewegen hatten, um den hohen Ansprüchen der Gesellschaft gerecht zu werden. Vielleicht war mir deshalb Rebecca aufgefallen. Nicht nur ihr blondes Haar deutete daraufhin, dass sie Ausländerin war, sondern auch ihr ganzes Wesen. Sie schämte sich nicht, ihre Gefühle zu zeigen und warf sich fröhlich an den Mann, den sie mochte. Die Menschen im Westen waren generell viel offener und dieser Kulturunterschied wurde hier deutlich. Doch auch Anzu war alles andere als typisch. Sie legte nicht viel Wert auf die typische Etikette einer japanischen Dame. Sie sagte geradeheraus, wenn sie etwas störte. Sie stotterte nicht und sie wurde auch nicht rot, sobald sie mit einem Mann sprach. Zumindest mir gegenüber nicht.
 

Ich hatte Anzu als mutiges Mädchen in Erinnerung. Aber andererseits war ich einfach nicht der Richtige, um sie einzuschätzen. Mädchen – nein, eigentlich war sie ja schon eine Frau – waren in der Hinsicht immer kompliziert. Gefühle waren wichtiger als Rationalität, also handelte es sich hierbei um ein Problem, bei dem ich ihr nicht wirklich helfen konnte. Ich suchte nach den richtigen Worten. Es wäre einfach, sie zu verletzen, sie mit Worten aufzuziehen und zu provozieren, aber ich tat es bewusst nicht. Frauen gegenüber fand ich ein solches Verhalten unpassend. Als Firmenchef war ich auch ein Gentleman und wusste, wie ich mich Frauen gegenüber zu verhalten hatte. Auch diese Art der Etikette war ein großer Bestandteil meiner Ausbildung zum Nachfolger der KC gewesen.
 

„Dann“, fing ich an und merkte, dass sie plötzlich aufstand. So langsam bekam ich das Gefühl, dass sie selbst nicht mehr mitbekam, was sie da tat. Auf einmal trat sie näher an mich heran, zog mich auf die Beine und forderte mich dazu auf mit ihr zu tanzen. Ich lehnte höflich ab, doch sie blieb hartnäckig und als ich die Tränen in ihren Augenwinkeln sah, konnte ich einfach nicht anders. Sie tat mir leid. Vielleicht konnte ich auch einfach nicht ertragen, dass sie so verzweifelt wirkte und sich sogar an mich wandte, wobei wir nie viel miteinander zu tun hatten.
 

Mazaki Anzu.
 

Eine Frau, die immer lachende Gesichter um sich hatte. Eine Frau, zu der jeder hochsah. Beliebt und geschätzt. Eine stolze, mutige Frau, die immer ihren Willen durchsetzte. Doch im Moment sehnte sie sich nach einer Erinnerung, die sie auch Jahre später noch zum Lächeln bringen würde. Mokuba hatte Recht. So ein Abend war etwas Besonderes. Nicht für mich. Aber für sie und auch wenn es mir widerstrebte mit ihr zu tanzen, so hatte wenigstens sie eine schöne Erinnerung an diesen Abend, auch wenn sie sich einen anderen Tanzpartner gewünscht hätte.
 

Ich tanzte mit ihr, führte sie und sie floss in meine Bewegungen mit ein. Obwohl sie leicht betrunken war und sich anders benahm als sonst, spürte ich, dass es ihr besser ging. Sie lächelte wieder. Der Frust darüber von ihrem besten Freund versetzt worden zu sein, verblasste mehr und mehr und sie wirkte wieder fröhlich. Die Eifersucht, dass ein anderes Mädchen wichtiger für Yuugi war als sie, löste sich langsam und ich sah ihren verträumten Gesichtsausdruck. Es war eigenartig. War sie so glücklich, weil ich mit ihr tanzte? Die Musik änderte sich. Ein Walzer. Rhythmisch führte ich sie zu den verzaubernden Klängen.
 

„Ich hätte im Leben nicht damit gerechnet, dass du so ein guter Tänzer bist, Kaiba-kun.“
 

„Nun, ich bin ein Firmenleiter. Als solcher bin ich häufiger bei ähnlichen Veranstaltungen zu Gast. Es wäre doch peinlich, wenn ein Mann meines Formats eine Aufforderung zum Tanz ablehnen müsste, weil er zwei linke Füße hat.“
 

Sie kicherte amüsiert und schenkte mir ein warmes Lächeln.
 

„Ich hatte noch nie einen Tanzpartner, der mich geführt hat. Sonst ist es immer andersherum.“
 

„Es ist die Aufgabe des Mannes beim Walzer zu führen“, entgegnete ich ihr ernst.
 

„Yuugi und auch die anderen Jungs wären mir nur über die Füße gestolpert“, murmelte sie und senkte wieder ihren Blick.
 

Sie war es nicht gewohnt, mit einem Tanzpartner zu tanzen. Sie lachte leise. Es klang erzwungen.
 

„Du kannst gut tanzen und gibst dabei eine gute Figur ab. Nicht so gut wie ich, versteht sich“, sagte ich mit einem kleinen Grinsen und zog amüsiert die Augenbrauen hoch.
 

„Eigenlob stinkt, mein Guter“, sagte sie und neigte ihren Kopf leicht zur Seite. Erst jetzt bemerkte ich, dass sie sich fein heraus geputzt hatte. Ihre Haare waren mit schönen, glitzernden Spangen hoch gesteckt und ihr Gesicht wurde von ihrem brünetten Haar eingerahmt. Während wir uns über die Tanzfläche bewegten, tanzte auch ihr Haar in unseren Bewegungen hin und her und schenkten ihr eine ganz besondere Grazie.
 

„Es stimmt aber.“
 

„Zumindest hast du mehr drauf als Yuugi“, sagte sie dann. Ich drehte mich mit ihr.
 

„Schade, dass Tanzen nicht als Spiel zählt“, grummelte ich. Sie kicherte wieder. Irgendwie fand ich ihre Stimme und ihr leises Lachen angenehm.
 

„Aber immerhin hast du etwas gefunden, das du besser kannst als er. Es gibt bestimmt irgendein Spiel, das du besser beherrscht als er. Wie wäre es mit Schach?“
 

Ich verzog die Miene und schüttelte den Kopf. Ich war der Weltmeister in Schach und sicher hätte ich Yuugi in diesem Brettspiel besiegen können, doch ich verband unangenehme Erinnerungen damit und wollte nach Möglichkeit nie wieder das Muster eines Schachbretts sehen.
 

„Nein. Schach nicht“, antwortete ich zurückhaltend. Sie musste nicht mehr erfahren als nötig. So gut kannte ich sie nicht. Schach hatte mein Leben verändert. Sowohl zum Guten als auch zum Schlechten.
 

„Dann wird irgendwann der Tag kommen, wo du Yuugi ehrlich in einem Duell besiegst“, sagte sie aufmunternd, als hätte sie gespürt, dass ich nicht weiter darüber sprechen wollte. Ich hatte meine Gesichtsmuskeln stets unter Kontrolle und bemühte mich sehr darum, nicht zu viel von meinen wahren Gefühlen durchscheinen zu lassen und dennoch konnte ich das Gefühl nicht abschütteln, dass sie mich durchschaut hatte und das Thema wechselte, um mir einen Gefallen zu tun. Sie war wirklich anders als die meisten Frauen.
 

Wir tanzten so lange, bis die Musik ausgeschaltet wurde. Außer uns beiden war niemand mehr im Raum und ich entschloss sie in meiner Limousine nach Hause zu bringen. Mehrmals brachte sie Argumente hervor und wollte mich davon abbringen, sie mitzunehmen, doch es war einfach unverantwortlich sie so gehen zu lassen. Noch immer waren ihre Schritte unsicher. Heute zeigte ich mich von meiner besten Seite und obwohl sie mir immer wieder nahe war, konnte ich mir ihr gegenüber nicht öffnen.
 

Ein kleiner Teil in mir war sogar schadenfroh, denn bisher hatte ich die perfekte Mazaki Anzu nicht so erlebt. Und doch schien sich mein Herz nach all der Zeit so geändert zu haben, dass ich an diesem Abend keinen einzigen zynischen Kommentar über meine Lippen brachte.
 

Dieser eine Abend war anders, man konnte sagen, dass er mich geprägt hatte und dass du mir sympathischer geworden warst. Ich zwang mich zu einem Lächeln, während ich den Namen auf dem Grabstein betrachtete. Du hattest mich immer als Freund angesehen und ich wollte es nie wahrhaben. Du warst mir nachgelaufen und hieltest zu mir, obwohl ich dich abgewiesen hatte. Wenn ich dir sagte, dass du mich nervtest, hattest du trotzdem ein liebevolles Lächeln für mich übrig und kamst am nächsten Tag wieder an. Ich beschimpfte dich und du lachtest bloß, nahmst meine Worte nicht ernst. Entweder warst du einfach nur dumm oder zu gut für diese Welt. Du warst immer freundlich, opfertest dich für deine Freunde auf. Sogar für Menschen, denen du egal warst.
 

Damals hätte ich das als absolut krank und idiotisch bezeichnet, doch heute sah ich dieses Verhalten mit anderen Augen. Vielleicht lag es daran, dass ich älter geworden war? Dass ich gelernt hatte mich zu öffnen? Vor allem mein Bruder Mokuba mag den neuen Kaiba Seto, denn dieser lächelt öfter und lacht ehrlich. Für ihn hatte ich mich geändert und ich war nun glücklicher als zuvor. Mein Bruder bedeutete mir alles. Mehr als meine Firma. Mehr als mein eigenes Leben, denn er war alles, was ich noch hatte.
 

Ich hatte bereits meinen wahren Rivalen verloren. Bis heute trauerte ich über seinen Verlust. Atem hatte mein Leben ohne ein Wort des Abschieds verlassen und ich hatte nie wirklich die Chance auf eine letzte Revanche. Es ging mir auch nicht wirklich um den Titel. Viel mehr wollte ich einfach nur mit ihm spielen und sein triumphierendes Grinsen sehen oder seine Stimme, sein arrogantes Lachen, das er mir schenkte, wenn er sich in einer guten Position wägte. Als Atem ging, blieb mir nichts anderes übrig, als mich damit abzufinden, ihn nie wieder zu sehen. Vielleicht war sein Verlust und mein Unvermögen über meine wahren Gefühle zu reden, auch der Anlass gewesen, warum ich diesen Abend widerwillig mit dir verbracht hatte. Vielleicht hatte ich in Wirklichkeit Trost und Ablenkung gesucht. Weg von diesen niederschmetternden Gedanken, eine geliebte Person verloren zu haben.
 

Ich wollte die Trauer tief in meinem Herzen einschließen und sie mit niemanden teilen, während ich verzweifelt nach einer neuen Bestimmung suchte. Yuugi war ein großartiger Duellant und er wurde seinem Titel als König der Spiele durchaus gerecht, dennoch fehlte mir etwas. Yuugi war eben nicht Atem. Er hatte nicht dieselbe charismatische Ausstrahlung. Der Schulabschluss markierte für mich und auch für euch einen neuen Lebensabschnitt und ich hatte geglaubt, dass ich alles hinter mir lassen könnte. Dieser Abend sollte der Schlussstrich sein. Vorbei mit all den negativen Gedanken. Endlich Schluss damit über andere nachzudenken. Ich wollte mich nur noch auf meine Arbeit konzentrieren und etwas für die Ewigkeit schaffen.
 

Mit meinem Hologrammsystem und dem neuen, ausgearbeiteten Konzept des Kaiba Parks hatte ich schließlich alle Hände voll zu tun. Und trotzdem stand ich nun hier und dachte über diese Frau nach. Über diesen Abend. Über diesen einen Moment, der mein Leben entscheidend veränderte. Diese Sekunde, die mich wachrüttelte und mir etwas klarmachte, das ich all die Zeit nicht wahrhaben wollte, obwohl mein Bruder es mir so oft gesagt hatte. Auf ihn hatte ich nicht gehört. Er war jünger und ich fühlte mich für Mokuba verantwortlich. Und trotzdem hatte ich das Gefühl, dass er auf mich Acht gab und nicht andersherum. Immer und immer wieder lag er mir in den Ohren, von wegen, ich sollte öfter unter Menschen gehen und mit Yuugi spielen. Nicht nur um den Titel. Sondern aus Spaß. Mit ihm sprechen. Freunde fürs Leben finden.
 

Zunächst empfand ich seine Belehrungen als kindisch. Absolut lächerlich. Doch kurz nachdem wir nach Amerika gezogen waren und unsere Firma weiter ausbauten – die Kaiba Corp plante immerhin seit Jahren eine Expansion ins Ausland – musste ich feststellen, dass mein kleiner Bruder kein Kind mehr war. Einmal mehr hatte ich das Gefühl jemanden verloren zu haben. Denn er verbrachte seine Freizeit nicht mehr mit mir. Plötzlich waren seine Kumpels in seiner Altersklasse interessanter als sein älterer Bruder. Auf einmal sprach er über Mädchen und mir wurde mit jeder seiner Erzählungen bewusst, dass wir nicht für immer zusammenbleiben konnten. Ich dachte über dich nach. Über das Mädchen, das mir mehr als einmal die Stirn geboten hatte und mir offen seine Meinung sagte und über das, was du mir gesagt hattest. Über deine Vorstellung von Freundschaft.
 

Ich hatte ein Alter erreicht, wo man über seine Zukunft nachdachte. Heirat. Kinder. Das Zahnrad der Zeit drehte sich weiter. Nur für dich nicht. Deines war stehen geblieben. Der Sand in deiner Uhr war vollständig durchgelaufen. Nicht weil deine Zeit gekommen war, sondern weil man dir dein Leben entrissen hatte. Schmerzhaft wurde mir erneut bewusst, wie schnell Menschen sterben konnten und was für ein Glück ich gehabt hatte, dass ich an diesem einen Abend mit dir gesprochen hatte. Es waren deine Worte, die mich zum Nachdenken gebracht hatten.
 

„Mazaki, hör auf zu hibbeln! Du benimmst dich wie ein kleines Kind!“, schimpfte ich laut und drückte sie mit beiden Händen zurück auf den Sitz, ließ sie nicht entkommen. Sie kicherte amüsiert. Sie hatte sehr offensichtlich den ein oder anderen Cocktail zu viel gehabt.
 

„Danke, Kaiba-kun“, hauchte sie, ehe ihr Gesicht mir gefährlich nahe kam.
 

Ihre Hochsteckfrisur hatte sich bereits verabschiedet und einige Strähnen hingen schlaff herunter, wirkten fehl am Platze. Ihre Haare kitzelten mich und ich setzte mich wieder hin, rieb mir angestrengt das Nasenbein. Mit höchster Wahrscheinlichkeit würde ich es später bereuen mich ihrer angenommen zu haben, vermutlich würde sie mir noch meinen teuren Anzug vollkotzen. Ich linste zu ihr, endlich war sie ruhiger geworden und saß einfach nur da. Ihren Blick richtete sie stur aus dem Fenster, es schien als würde sie die hellen Lichter der Stadt beobachten. Diese bunten Lichter hatten sie vollends in ihren Bann gezogen.
 

„Ich habe dir nur Umstände heute gemacht“, sagte sie dann und faltete ihre Hände, senkte letztendlich den Blick.
 

Auf ihrem Schoß lag eine weiße Rose. Jeder von uns hatte eine bekommen, jedoch hatte ich meine gleich entsorgt. Ich brauchte keine Blumen. Für mich war dieser Abend nur ein Schlussstrich. In einer Woche würde ich in meinem Privatjet in Richtung Amerika fliegen und meinen Traum erfüllen. Das hier war lediglich eine Ablenkung.
 

„Allerdings“, war meine knappe Antwort und ich verschränkte die Arme. Sie schuldete mir etwas, das stand schon mal fest. Aber es war nicht so, dass es irgendetwas gab, das ich von ihr erwarten würde. Nein, es gab keine Gegenleistung, die dieser Zumutung heute auch nur ansatzweise ebenbürtig war. Auf einmal lehnte sie sich zu mir und küsste mich auf die Wange. War sie nun komplett von Sinnen? Wütend schob ich sie von mir.
 

„Was soll das?!“, schrie ich ihr entgegen, noch nie hatte mich jemand geküsst und wenn ich ehrlich war, war ich nicht gerade glücklich über dieses Ereignis.
 

„Tut mir leid... ich weiß auch nicht, was das sollte“, flüsterte sie und wurde puterrot.
 

Wir sahen uns die ganze Fahrt über nicht an, wechselten kein Wort miteinander. Ich musste verdauen, dass sie mir einen Kuss gegeben hatte. Gut. Es war nur ein Wangenkuss. Aber es war weitaus mehr Intimität, die ich jemals zulassen wollte. Mir wurde mulmig bei dem Gedanken, dass sie sich mir aufgedrängt hatte. Sie hätte wissen müssen, dass ich der letzte Mensch auf der Welt war, der für solche Sentimentalitäten zugängig war. Ich hatte kein Interesse an anderen Menschen, vor allem nicht an Beziehungen. Ich brauchte keine Freunde. Oder gar eine Frau, die sich brav wie ein Püppchen an meine Seite stellte, damit ich sie den Medien präsentieren konnte. Was nur hatte sie dazu geritten, meine Nähe zu suchen? Hatte sie geglaubt, dass ich ihr nun überschwänglich meine Gefühle mitteilte? Ihr gar einen leidenschaftlichen Kuss gab? Das war nun wirklich nicht meine Art.
 

Ich erklärte mir ihr Verhalten so, dass es am Alkohol liegen musste. Wahrscheinlich würde sie am nächsten Tag, nachdem sie ihren Rausch ausgeschlafen hatte, aufwachen und sich in Grund und Boden schämen, weil sie einen dummen Fehler gemacht hatte. Nahm ich ihr den Kuss übel? Nicht wirklich. Es war unwichtig und lag bereits jetzt in der Vergangenheit. Ich vermied es, sie anzusehen. An einer Kreuzung jedoch brach sie die Stille.
 

„Ich weiß auch nicht, was mit mir los ist. Nach all den Jahren bist du mir einfach wichtig geworden“, erklärte sie ruhig und ihre Lippen bogen sich zu einem kleinen Lächeln.
 

„Schon gut, lassen wir das Thema.“ Meine Stimme war angesäuert und sie spürte die Wut, die ich nun in mir hatte. War ich wütend? Nicht wirklich. Überfordert. Smalltalk lag mir nun wirklich nicht. Während meiner Ausbildung zum Nachkommen der KaibaCorp hatte man mich auch diesem Fach unterrichtet, doch es war etwas komplett anderes ob man mit einer Frau sprach oder mit einem zukünftigen Geschäftspartner, den man von sich überzeugen musste. Außerdem war sie ja nur eine flüchtige Bekanntschaft. Mehr oder weniger.
 

„Du warst in den Pausen immer alleine, ich bin immer zu dir gekommen, wollte, dass du dich mit uns anfreundest. Aber du bist wirklich... stur. Aber das mag ich an dir, du bist konsequent und ehrlich, auf deine eigene besondere Art und Weise.“
 

„Soll ich das als Kompliment sehen?“, fragte ich sie und sah sie herablassend an.
 

„Nein. Es ist anmaßend von mir, aber du solltest wirklich etwas ändern, Kaiba-kun. So wirst du niemals glücklich werden.“
 

„Mazaki Anzu“, sagte ich bedrohlich und atmete tief ein.
 

„Mein Privatleben geht dich nichts an. Du kannst dir deine lächerliche Freundschaftsnummer und dein gespieltes Interesse sparen. Ab heute gehen wir getrennte Wege und ich bin wirklich froh, dass mich niemand mehr stört, nur um mich zu fragen, was ich denn am Vorabend gemacht habe.“
 

„War es so schlimm für dich? Dass ich mit dir befreundet sein wollte? Dass ich Interesse an dir hatte? Nichts davon war gespielt. Auch jetzt wäre ich gern mit dir befreundet und ich bin mir sicher, dass wir uns eines Tages wiedersehen und du dich vielleicht sogar darüber freust, wenn ich dich frage, wie es dir geht.“
 

„Unwahrscheinlich.“
 

„Bist du dir sicher? Bist du dir sicher, dass du für den Rest deines Lebens jeden von dir stoßen willst? Selbst jene, die dich gernhaben?“
 

„Süß“, sagte ich spöttisch und grinste. „Du hast mich also gern? Wann genau habe ich dir Anlass gegeben, mich zu mögen oder gar zu glauben, dass wir befreundet wären?“
 

Sie legte den Kopf schief und schien nachzudenken.
 

„Jetzt. In diesem Moment. Und auch vorher schon. Du hättest mich anschreien und beleidigen können, damit ich dich in Ruhe lasse. Du hättest über mich lachen können. Aber das hast du nicht gemacht, weil du im Grunde deines Herzens gar nicht so böse und fies bist, wie du anderen Glauben machen willst.“
 

Sie lächelte und nahm ihre Rose in die Hand, drehte sie nervös in ihren Händen hin und her.
 

„Ich bin mir sicher, dass du in Wirklichkeit froh darüber bist, dass Yuugi und auch ich immer hinter dir stehen. Ganz egal, wie oft du uns von dir stößt. Das wird auch in Zukunft so sein. Nicht alle Menschen sind so hinterhältig wie du denkst und wenn ich sage, dass ich dich mag, dann meine ich es auch so. Ansonsten wäre ich dir nie hinterher gelaufen. Ich möchte, dass du weißt, dass ich dich als Freund ansehe, auch wenn du das nicht so siehst.“
 

„Du bist komplett bescheuert. Du. Und auch Yuugi. Ich brauche euer Mitleid nicht. Ich bin niemand, den man bemitleiden muss.“
 

„Das ist doch kein Mitleid. Eines Tages wirst du es sicher verstehen, dass Menschen Bindungen zueinander aufbauen können, die über die Logik und Verstand hinausgehen. Diese Bindungen kann man nicht wie eine Gleichung auflösen und auch nicht mithilfe von großen Computern analysieren.“
 

„Ich glaube, ich verliere den Verstand, wenn ich deinem irrsinnigen Geplapper weiter zuhören muss. Diese Bindungen, die Stärke, die du in deiner Macht der Freundschaft siehst, kann genauso hinderlich sein und lässt sich nicht rational erklären. Es gibt nach wie vor keinen Grund zur Annahme für dich, mich als deinen Freund zu sehen oder mich zu mögen.“
 

„Es gibt auch keine logische Erklärung dafür, warum Mokuba es mit dir aushält. Auch wenn du es ungern hörst: irgendwann kommt der Zeitpunkt in deinem Leben, wo du deine Entscheidung, alles und jeden von dich zu stoßen, bereuen wirst. Mokuba steht immer hinter dir, doch er ist auch nur ein Mensch. Lass nicht zu, dass du diejenigen, die dich mögen und für dich da sein wollen, durch deinen falschen Stolz gekränkt werden.“
 

„Ich wiederhole mich ungern, mein Privatleben geht dich nichts an.“
 

„Ich weiß. Ich wünsche dir trotzdem alles Gute für die Zukunft und hoffe, dass du und Mokuba eurer Projekt durchzieht. Er hat mir davon erzählt, dass ihr nach Amerika expandiert. Das ist großartig. Ich freue mich für euch“, meinte sie mit einem matten Lächeln und drückte die Rose an ihre Brust.
 

Ein einzelnes Blütenblatt löste sich. Es war Zeit für den Abschied. Wir hatten ihr Haus erreicht. Einerseits wollte ich ihr sagen, dass ich froh wäre, sie nie wieder sehen zu müssen, doch andererseits brachte ich es nicht übers Herz. Ihr Lächeln. Ihr aufbauenden Worte. Die Art, wie sie versuchte, mir Mut zu machen und sich immer in mein Leben einmischte, würde mir vielleicht doch fehlen. Zumindest ein wenig. Aufgrund meiner Arbeit als Firmenleiter ging ich nie so oft zur Schule, wie ich sollte. Höchstens zu den Prüfungen kam ich vorbei, doch immer kam sie auf mich zu und fragte mich, wie es mir ging. Erst hatte es mich gestört, doch es steckte ein Funken Wahrheit in ihren Worten. Eigentlich hatte ich mich gefreut, dass sie zu mir kam. Nicht nur sie. Auch Yuugi.
 

Irgendwie war diese Art der Verbindung zwischen uns etwas, das ich nicht missen wollte und der Gedanke, erneut etwas zu verlieren, was mir viel bedeutete, machte mir bewusst, wie verletzlich ich war. Ich fürchtete, sie zu verlieren. Ihre Freundlichkeit. Deshalb stieß ich sie von mir, um mich selbst von meiner Stärke und meiner Unabhängigkeit zu überzeugen. Sie hatte das durchschaut. So auch Yuugi, den ich als meinen Rivalen anerkannt hatte.
 

Als der Wagen hielt, stieg sie aus, freundlich wie immer verabschiedete sie sich und wankte zu ihrer Haustür. Mein Chauffeur fuhr weiter und ich war mit meinen Gedanken allein. Was bildete sie sich ein? Was ging es sie an wie ich mich verhielt? Ich hatte solche Gefühle für sie nicht, für mich war sie einfach nur ein Mädchen, das zufällig mit meinen ärgsten Rivalen befreundet war. Wir diskutierten oft und kamen nie zu einem Schluss. Aber mehr war da nie. Sie nervte mich nach den Prüfungen und lobte meine gute Ergebnisse. Immerhin war ich die Nummer Eins unseres Jahrgangs und ich war sehr stolz auf meine guten Noten und insgeheim freute ich mich über diese Art der Anerkennung.
 

Anzu und Yuugi waren beide viel zu nett.
 

Ich konnte nicht glauben, dass du nicht mehr am Leben warst. Wie grausam das Leben sein konnte. Ein junger Mensch, gegen seinen Willen aus seinem Leben gerissen.
 

Seit wir in Amerika lebten, um den KaibaPark hier zu etablieren, hatten Mokuba und ich aneinander vorbei gelebt. Er hatte seine neuen Freunde von der Universität. Er interessierte sich für Mädchen und blieb abends länger weg. Manchmal kam er erst am nächsten Morgen wieder.
 

Mokuba war äußerst beliebt bei seinen Klassenkameraden und wenn er abends nach Hause kam, erzählte er viel von all den Leuten, die er kennengelernt hatte. Als Firmenleiter war ich beschäftigt mit der Planung und Ausführung des KaibaParks und war den Großteil meiner Freizeit damit beschäftigt, das Hologrammsystem für Duel Monsters aufzuwerten und mir neue Strategien für meine bevorstehende Revanche gegen Yuugi zurechtzulegen. Es war nicht so, dass wir gar nicht mehr miteinander sprachen, doch ich spürte, dass Mokuba langsam erwachsen wurde und sich nach Kontakten außerhalb seiner Familie sehnte.
 

Ich respektierte seine Entscheidung. Doch in Wirklichkeit ärgerte ich mich darüber, dass er nun andere Menschen hatte, mit denen er nun lieber Zeit verbrachte. Es gab immerhin niemand anderen in meinem Leben, dem ich so sehr vertraute und mit dem ich sprechen konnte. Ich fühlte mich ein bisschen allein gelassen. Natürlich sprach ich diese Gedanken nie an. Es war kindisch und egoistisch von mir so zu denken. Also baute ich Interesse für ihn auf und versuchte den Abstand, der sich zwischen uns ergab, aufzuholen, indem ich von mir aus nach ihm fragte und mich nach seinen Freunden erkundigte.
 

In den letzten Jahren hatte ich auch weitaus mehr Kontakt zu Yuugi, der als König der Spiele häufiger unterwegs war und auch in Amerika Interviews hielt und Galaabenden als Gast besuchte. Bei diesen Veranstaltungen standen wir meist nebeneinander und sprachen über unwichtige Dinge. Nun, eigentlich sprach Yuugi über sich und seine Freunde. Über seine Wünsche und Pläne für die Zukunft und wenn er nach mir fragte, antwortete ich ihm wahrheitsgemäß. Yuugi erzählte viel und irgendwie hatte ich es im Laufe der Zeit als angenehm empfunden, ihn als „Verbündeten“ an meiner Seite zu haben.
 

Diese Veranstaltungen, wo Duellanten aus der ganzen Welt aufeinandertrafen und sich gezwungenermaßen von ihrer besten Seite zeigten, empfand ich als Zeitverschwendung. Das künstliche Lächeln. Das gespielte Interesse. Die nervigen Frauen, die nach einem Autogramm fragten und doch in Wirklichkeit nur Hintergedanken hegten. Ekelhaft. Doch es ging um meinen guten Ruf als Duellant und als Vorzeigeschild der KaibaCorp, weshalb ich diesen Veranstaltungen nicht einfach fernbleiben konnte. Ich konnte ich mir keine Fehler erlauben und den guten Namen meiner Firma gefährden. Also akzeptierte ich diese Einladungen und war froh, wenn ich ein bekanntes Gesicht sah.
 

Mit jedem Jahr kamen neue Duellanten dazu. Immer mehr neue Gesichter, während viele andere Duellanten einfach verschwanden und man nie wieder von ihnen hörte. Insector Haga war als japanischer Champion bekannt geworden, doch nachdem er mehrmals gegen Yuugi verloren hatte, hatten auch seine treusten Fans das Interesse an ihm verloren und vermutlich hatte er irgendwann aufgegeben, erneut Berühmtheit als Duellant zu erlangen. Kajiki Ryouta. Esper Roba. So viele Duellanten, die in der Bedeutungslosigkeit verloren gingen und von denen man nie wieder hörte. Nicht jeder war dem Druck gewachsen. Nicht jeder war in der Lage sich anzupassen, denn auch Duel Monsters entwickelte sich stets weiter und wer als Duellant sich nicht weiterentwickeln konnte, wurde schnell abgehängt und vergessen.
 

Nur die wenigsten konnten lange in dieser Branche bestehen und das Interesse der Massen wecken. Jounouchi Katsuya, Mutou Yuugi, Kujaku Mai und meine Wenigkeit waren auch nach zehn Jahren immer noch gern gesehen und in aller Munde. Ha. Wir waren die Legenden. Legendäre Duellanten, die mit allen Wassern gewaschen und einfach nicht auszurotten waren. Yuugi, mein größter Rivale, hatte nicht nur meinen Respekt verdient, sondern meine Anerkennung. Irgendwie fühlte ich mich verbunden zu ihm und war froh, dass ich ihn kennengelernt hatte. Dass Atem nicht mehr hier war, war weniger schmerzhaft, weil ich Yuugi unbemerkt als Rivalen akzeptiert hatte und ihn nicht mehr als Ersatz sah, sondern als eine Hürde, die ich unbedingt überwinden wollte.
 

Yuugi war mir wichtig geworden und ich glaubte, dass er das auch wusste. Immer schenkte er mit ein Lächeln und erkundigte sich nach mir und nach Mokuba, wenn wir uns bei diesen Veranstaltungen sahen. Ich selbst hatte nie den Mut gefunden, ihn privat zu kontaktieren, obwohl ich durchaus die Möglichkeit gehabt hätte. Einerseits bereute ich es, andererseits fürchtete ich mich einfach zu sehr vor Ablehnung und fand es besser, wir blieben auf Abstand. Ich wollte Yuugi keine Schwäche offenbaren, freute mich dennoch darüber, wenn er meine Herausforderungen annahm und wir uns in der Duell Arena gegenüberstanden und unsere Karten das aussprachen, was wir im Herzen trugen.
 

Mokuba hatte den Kontakt zu Yuugi und dessen Freunden auch nie abgebrochen. Einmal hatte er sogar von Mazaki Anzu gesprochen. Sie würde sich in Amerika aufhalten. Mein Atem hatte gestockt. Sie befand sich hier in Amerika? Unweigerlich musste ich an ihre Worte denken. An ihre letzte Lektion. Sie hatte mich davor gewarnt, all die Menschen, die mir etwas bedeuteten, von mir zu stoßen. Sie hatte mir gesagt, ich sollte mir Freunde neben Mokuba suchen und heute verstand ich, was sie mir sagen wollte. Sie wollte mich vor der Einsamkeit bewahren. Ich hatte sie für diesen „Rat“ ausgelacht und ihre Worte nicht ernst genommen. Sie wollte mir helfen und indirekt war es dieser Abend, der mich dazu angestachelt hatte, mehr Interesse an Mokuba zu zeigen und nicht zuzulassen, dass wir uns auseinanderlebten.
 

Sie studierte in Amerika und lebte seit geraumer Zeit hier. Es war eigenartig. Obwohl wir uns so lange in diesem Land aufhielten, hatten sich unsere Wege kein einziges Mal gekreuzt und ich glaubte, dass es besser so war. Sie war nur eine Cheerleaderin meines Rivalen. Ich hatte kein Interesse an ihr. So sehr sie auch lächelte und den Kontakt zu mir suchte, es gab einfach nichts, das uns verband. Wir hatten keine gemeinsamen Themen, über die wir sprechen konnten. Ich liebte Spiele. Spiele waren mein Leben. Das einzige, das uns verband, war Mutou Yuugi. Für mich war sie nicht mehr als ein Zuschauer, der Yuugis Namen aus der Zuschauertribüne rief und ihm die Daumen drückte.
 

Eine Frau, die mir ungefragt Lektionen erteilte und mich nicht aufgab. Jemand, der irgendwie da war, gleichzeitig aber auch nicht. Jemand, den ich wahrnahm, aber nicht wahrhaben wollte. Jemand, der sich stets nach mir umdrehte, während ich mich wegdrehte. Sie und Yuugi waren sich ähnlich. Ich hörte Mokuba immer nur aufmerksam zu, stellte aber nie Fragen, weil ich nicht wollte, dass er glaubte, ich wäre an ihr interessiert.
 

„Sie ist eine talentierte Tänzerin und bekommt sehr viele Angebote“, hatte er gesagt. Ich freute mich darüber, dass sie ihre große Leidenschaft zum Beruf gemacht hatte und erfolgreich war. Doch ich zeigte dies nicht. Stattdessen antwortete ich: „Und warum sollte mich das interessieren?“, und raunte dann genervt. Doch ich hatte mir diese Information gemerkt. Auch Monate später erinnerte ich mich daran, dass sie als Tänzerin gefragt war und überlegte, ob ich sie nicht zur Eröffnung des KaibaParks für das Bühnenprogramm buchen sollte. Gerade, als ich den Entschluss gefasst hatte und weiter über die Eröffnungsfeier und mögliche Angebote nachdachte, wurde die Tür zu meinem Büro aufgerissen.
 

Mokuba kam näher. Sein kurzes, schwarzen Haar und der weiße Anzug betonten seine charismatische Ausstrahlung. Mein kleiner Bruder war ein erwachsener Mann. Er hatte Tränen in den Augen und er kam mir näher. Vor meinem Bürotisch blieb er stehen. Ich stand auf, lief um den Tisch herum und näherte mich ihn.
 

„Mokuba, was ist denn los?“, fragte ich ihn, während ich meine Hände behutsam auf seine Schultern legte. Er vermied es, mir in die Augen zu blicken. Er konnte es nicht. Irgendetwas hatte ihn zutiefst erschüttert und ihn so sehen zu müssen, tat mir unglaublich weh. Ich wollte Mokuba beschützen. Und ich hatte versagt. Was immer ihn beschäftigte, hatte seine Seele zutiefst verletzt und ich spürte Schuld, weil ich dies nicht verhindern konnte.
 

„Sie ist...“, flüsterte er und schniefte laut. Noch mehr Tränen. Seine Lippen bebten. Sein Körper zitterte.
 

„Wer ist was?“, fragte ich leise und verstärkte den Druck auf seine Schultern.
 

„Sie ist tot. Anzu ist tot“, brachte er heraus und warf sich in meine Arme. Ich konnte seine Worte nicht verstehen. Sie kamen nicht an. Anzu. Meinte er Mazaki Anzu? Die stets gut gelaunte und lachende Tänzerin? Die Nervensäge, die sich mehr als einmal ungefragt in mein Privatleben eingemischt hatte und sich mir in den Weg gestellt hatte? Die Cheerleaderin, die irgendwie immer da war und Yuugi anfeuerte, obwohl sie selbst kein Interesse an Duel Monsters hatte? Die Frau, die mir einen schüchternen Kuss auf die Wange gegeben hatte?
 

„Mokuba“, hauchte ich und legte meine Arme um ihn, drückte ihn so fest es ging an mich. Versuchte ich seinen Schmerz zu lindern... oder meinen?
 

„Bei einem Bühnenauftritt kam ein Scheinwerfer runter. Sie ist erschlagen worden. Man konnte ihr nicht mehr helfen“, erklärte Mokuba und kämpfte mit sich selbst, drückte dann sein Gesicht in meine Halsbeuge und wimmerte laut.
 

Sie war es, die mich auf meine Fehler hingewiesen hatte. Sie war es, die ein Lächeln für mich übrig hatte, wenn ich es am nötigsten brauchte. Sie hielt immer zu mir. Auch wenn ich ihr sagte, sie sollte mich in Ruhe lassen, kam sie auf mich zu und belehrte mich. Und ich hatte geglaubt, sie wäre mir nicht wichtig. Ich hatte mich selbst davon überzeugt, dass sie ein für mich unwichtiger NPC war. Was interessierte es mich, was mit ihr war? Dass sie tot war, sollte mich also eigentlich gar nicht stören und doch war diese Botschaft auch für mich niederschmetternd. Das Mädchen, das immer an mich geglaubt hatte, war nicht mehr. Und ich hatte ihre Freundlichkeit nie akzeptiert und hatte ihr stets mit Undankbarkeit geantwortet.
 

Es war das zweite Mal, das mir ein Mensch entrissen wurde. Erst Atem. Nun sie. Warum nur schmerzte mein Herz so sehr? Warum war der Gedanke, dass sie nicht mehr da war, so unerträglich? Warum nur hatte ich sie immer nur gekränkt? Ich ärgerte mich über mein schlechtes Verhalten, wissend, dass ich nichts mehr ändern konnte. Die Vergangenheit war unwichtig. Die Vergangenheit und somit auch die eigenen Fehler mussten pulverisiert werden. Nur wer seine Vergangenheit zerstörte und sie hinter sich ließ, konnte nach vorne blicken. Diese Worte hatte ich wiederholt. Immer und immer wieder. Wie ein Mantra. Nein, sie waren ein Fluch.
 

Diese Worte überzeugten niemanden. Sie vertuschten lediglich die Tatsache, dass ich nicht in der Lage war, meine eigenen Gefühle zu verstehen. Sie täuschten über mein Unvermögen soziale Bindungen einzugehen hinweg und so konnte ich mich vor mich selbst rechtfertigen und mir selbst meine eigene Stärke beweisen. Die Vergangenheit verschwand nicht einfach. Auch zehn Jahre später hatte ich Atems Verlust nie vollständig überwunden. Ich trauerte über ihn. Ich vermisste sein Lächeln. Ich vermisste es, wenn er mich verhöhnte und wir uns im Duell gegenüberstanden und unsere Seelen sich im Kampf begegneten und wir auf diese Weise eins wurden. Doch ich hatte ihm nie gesagt, wie sehr ich ihn schätzte. Ich wollte mit ihm befreundet sein. Ich mochte seine Arroganz. Sein Stolz war inspirierend und jede Niederlage trieb mich dazu an, mich zu verbessern. Sein Verlust wog schwer.
 

Und auch jetzt wusste ich, dass ich ihren Tod nie wirklich überwinden würde, weil ich mich nie bei ihr bedanken konnte. Es gab noch so vieles, was ich ihr sagen wollte. Erneut hatte ich die Gelegenheit verpasst, meine Fehler gutzumachen.
 

Der Wind tobte und riss meinen Mantel hin und her. Ich warf einen Blick nach oben. Der grau verschleierte Himmel gab mir das Gefühl, dass ich nicht der einzige war, der um deinen Verlust trauerte. Die dunklen Wolken versteckten deinen Optimismus. Dein Lachen war verstummt. Die Wolken verbargen dein Lächeln.
 

»Mazaki... Stört es dich, wenn ich dich beim Vornamen nenne? Anzu, ich danke dir. Danke, dass du mich nie aufgegeben hast und trotz allem, was ich zu dir und deinen Freunden gesagt habe, immer zu mir kamst. Du warst anders. Du warst es, die mir die Augen geöffnet hat und ich möchte, dass du weißt, dass deine Botschaft angekommen ist. Ich bin nicht mehr der unnahbare Kaiba. Ich habe mich verändert. Weil es Menschen wie dich und Atem gab, dir mir den Mut gaben, über meinen Schatten zu springen.«
 

Es gab noch so viele Dinge, die ich dir noch sagen wollte. Eine einzelne Träne lief meine Wange hinab und ich zog meinen Hut so weit runter, dass mein Gesicht im Halbschatten verschwand und niemand in die Spiegel meiner Seele blicken konnte. Behutsam legte ich die weiße Rose in meiner Hand auf dein Grab. Ein einzelnes Blütenblatt jedoch fällt hinab und wird davon getrieben von dem aufkommenden Wind.
 

»Weiße Rosen stehen dir. Lebe wohl, Mazaki Anzu« , flüsterte ich dir zu und wandte mich ab.



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Kommentare zu diesem Kapitel (5)

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Von:  SenseiSasuNaru
2017-05-07T14:45:05+00:00 07.05.2017 16:45
Traurig das er vor ihrem Grab ist. Aber auch mal traurige FF sind klasse. Er tut mir leid. Klasse geschrieben lg
Von:  Devilgirl69
2014-10-14T11:26:06+00:00 14.10.2014 13:26
Ich fande deinen Òne-Shot`hervorragend, anders kann man es gar nicht beschreiben. *-* Allerdings hätte ich schon gerne gewusst, woran die liebe Anzu verstorben ist. :(
Wirklich traurig und gleichzeitig ziemlich süß, danke für diesen One-shot! :*

LG Anna


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