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The Son

Der etwas andere Nebenjob
von

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CHAPTER FOUR

CHAPTER FOUR

Ryu spürte ein leichtes Atmen an seinem Ohr, doch er hielt seine Augen geschlossen. Es befand sich in einem Zustand zwischen hellwach und fast im Koma. Er brauchte eine Weile um sich zu sammeln. Das Atmen an seinem Ohr wurde heißer. Dann spürte er, dass er alleine war. Hiro musste bereits aufgestanden sein, ohne, dass Ryu davon wach wurde. An sein Ohr drang ein tiefes Knurren. Langsam etwas beunruhigt öffnete Ryu die Augen und blickte in die schwarzen Augen von Hiros offenbar sehr wütendem Dobermann. Schlagartig war Ryu hellwach. Luca fletschte die Zähne. „Liebes Hundchen!“ Ryu stand langsam auf. Luca legte bedrohlich die Ohren an. „Braves Hundchen!“ Ryu machte einen Schritt nach hinten. „Du willst mir doch eigentlich gar nichts... AAAHH!!!“ Luca hatte mit einem gewaltigen Sprung einen Angriff auf Ryu gestartet. Dieser machte einen Satz zur Seite. Luca hetzte hinter ihm her. Ryu sprang auf das Sofa, den Höllenhund immer hinter sich. Luca versuchte, über den Wohnzimmertisch abzukürzen und riss alles, was sich darauf befand hinunter. Ryu hastete die Treppe hinauf in sein Zimmer. Dort knallte er Luca, ganz knapp, seine Zimmertür vor der Nase zu und schloss ab. Schwer atmend ließ er sich auf sein Bett fallen. Minutenlang hörte er zu, wie Luca einen Höllenlärm veranstaltete. Wie lange konnte so ein Hund denn mit so einer Power bellen?

Nach schier endloser Zeit hörte Ryu, wie sich in der Lounge die Tür öffnete. Im selben Moment verstummte der Hund. „RYU?“ Ryu sprang erleichtert von seinem Bett auf und verließ, das Zimmer. „Hiro! Gott sei Dank!“ Hiro stand in der Lounge und begutachtete fassungslos das Chaos. Luca hatte sich offenbar nach Ryus Flucht noch weiter in der Lounge ausgetobt. Sämtliche Küchenstühle waren zu Boden gerissen, einige der Kissen auf der Liegewiese zerfetzt. Der Boden war übersät mit Federn und Wolle. „Was zum Teufel ist denn hier passiert?“ Ryu zeigte wütend auf Luca. „Der Höllenhund hat versucht mich bei lebendigem Leibe zu zerfleischen!“ Hiro schaute zu seinem treuen Haustier. Der lag in seinem Körbchen und schaute drein, wie ein Welpe, den kein Wässerchen trügen konnte. „Hast du ihn gereizt?“ „Wa- Wie... Nein! Ich hab tief und fest geschlafen. Ich bin wach geworden, weil er mir wütend ins Ohr geknurrt hat.“ Hiro begutachtete abwechselnd seinen Bodyguard und seinen Hund. Dann deutete er auf Luca. „Ich bitte dich, schau ihn dir an. Mein Wuschel würde doch nie jemandem was tun.“ Vollkommen unschuldig trottete Luca an die Seite seines Herrchens und ließ sich den Kopf kraulen. „Was glaubst du denn, wer das gewesen sein soll?“ Hiro deutete auf den, wie immer, dösenden Tiger. „Im Gegensatz zu einem Hund ist ein Tiger ein wildes Tier.“ Zweifelnd sah Ryu dabei zu, wie Leia sich gemächlich von rechts nach links drehte. Dann sah er wieder Hiro an. „Ernsthaft?“ Hiro zuckte mit den Schultern. Ryu streckte sich. „Wie geht’s dir heute?“ Ryu wunderte sich, warum Hiro so gelassen war. Ignorierte er, was am Vorabend passiert war? Hiro fasste sich an den Kopf. „Beim Schädel brummt total. Hab ich eine drüber bekommen?“ Ryu war sichtlich irritiert. „Weißt du nicht mehr, was passiert ist?“ Hiro schaute nachdenklich an die Decke. „Ich kann mich daran erinnern, dass im Saal das Licht ausging und mir dann irgendwer einen Lappen vors Gesicht gehalten hat. Das nächste was ich weiß, ist wie... Warum genau bin ich heute morgen an dich angekuschelt aufgewacht?“ Ryu war ziemlich perplex. „Das... weißt du nicht mehr?“ Arglos schüttelte Hiro den Kopf. „Was soll ich denn wissen? Mein Vater hat mir nur eben erzählt, dass du diese Typen gestern ordentlich vermöbelt hast. Er meinte, der Gedächtnisverlust kommt von dem Zeug, was sie mir gegeben haben.“ Ryu war sprachlos. Was sollte er daraufhin sagen? Sollte er ihm einfach die Wahrheit erzählen? Wie würde Hiro reagieren? „Also, warum haben wir da so... innig auf der Liegewiese gelegen?“ Hiro schien das sehr locker zu nehmen... für Ryus Geschmack etwas zu locker. Er beschloss, dass es für den Moment das Beste war, es nicht zu erwähnen und den Dingen fürs Erste ihren Lauf zu lassen. „Du warst gestern zwischendurch wach. Ich hab dich hier ins Loft gebracht und erst mal auf die Liegeweise verfrachtet. Da bist du dann eingepennt. Und weil ich angst hatte, dass unbemerkt Folgeschäden auftreten hab ich beschlossen, bei dir zu bleiben.“ Hiro musterte Ryu streng. Sein Schulterzucken deutete Ryu als Zeichen, dass Hiro die Geschichte einfach so hinnahm. Dann ging er auf Ryu zu und zupfte an seinem schmutzigen Hemd. „Ich würde sagen, das ist hinüber. Und du solltest duschen, du siehst furchtbar aus!“ Ryu schaute an sich hinunter. Seine Kleidung war von dem kleinen Kampf im Garten und der Verfolgungsjagd mit dem Höllenhund ziemlich mitgenommen. Er brauchte wirklich dringend eine heiße Dusche. Auf halben Weg in sein Zimmer blieb er stehen. „Sag mal Hiro... Was wird eigentlich aus den Typen von gestern?“ Hiro, der schon mal anfing, Luca's Chaos zu beseitigen, war kurz irritiert. „Welche meinst du? Die Angreifer?“ Ryu nickte. Hiro öffnete den Mund für eine Antwort, doch die kam schon, ohne, dass er etwas sagen musste. In dieser Sekunde leuchtete das Loft in dem nur allzu bekannten roten Licht auf.

Während Ryu sich die Haare mit seinem neuen, sündhaft teurem, Shampoo ein schäumte, dachte er darüber nach, wie er das Geschehene vom Vorabend für sich definieren sollte. Hatte Hiro sich ihm gegenüber bloß geöffnet, weil er in einer Art Rausch war? Oder hatte dieses Zeug so sehr seine Sinne benebelt, dass er gar nicht mehr Herr über sein handeln war? Oder war er sich vielleicht doch bewusst über das, was passiert war und mimte nur den Ahnungslosen? Wenn dem so wäre, würde Ryu ihn glatt zu einem Filmcasting schicken. Auf einmal wurde ihm etwas bewusst. Er hatte so angestrengt über Hiro nachgedacht, dass er seine eigenen Gefühle völlig in den Hintergrund geschoben hatte. Wie fühlte er für Hiro? Was war sein Schützling für ihn? Hatte er inzwischen doch Interesse entwickelt? Je mehr er darüber nachdachte, desto verunsicherter wurde er.

Frisch geduscht und angezogen kehrte Ryu in die Lounge zurück. Sein knurrender Magen erinnerte ihn daran, dass er nicht gefrühstückt hatte. Und dabei war es schon fast Mittag. „Hey Hiro, willst du auch was essen?“ Misstrauisch schaute Hiro, der gerade die zerfetzten Kissen in einen Müllbeutel packte, auf. „Was genau willst du denn machen?“ Abwehrend hob Ryu die Hände. „Nur eine Schüssel Müsli, du Küchen-Paranoid!“ Eine der wenigen Dinge, die Ryu dafür aber umso mehr nervte, war der ewige Streit um die Küche. Er hasste es wie die Pest, dass er sich jedes Mal rechtfertigen musste, wenn er auch nur in die Nähe der Kochnische kam. Ungeduldig wartete er darauf, dass Hiro ihm sein OK gab. Zur Strafe ließ er Hiro die Kissen ganz alleine aufsammeln. Als ihm dann aber die Menge der Federn bewusst wurde, erbarmte er sich und half nach seinem Frühstück die Bude wieder auf Vordermann zu bringen. Luca hatte ein ziemlich ordentliches Chaos hinterlassen. Als endlich wieder alles glänzte, ließen sich die beiden Putzteufel erschöpft auf das Sofa fallen. „Was ist eigentlich aus der Party gestern geworden?“ Hiro schob sich ein Stück Schokolade in den Mund. „Die haben ohne mich gefeiert.“ Ryu schaute ihn mit großen Augen an. „Wie, ohne dich? Aber es war doch deine Feier?“ Er zuckte mit den Schultern. „Das passiert öfter mal. Ich war letztes Jahr auf einer Feier, da wurde plötzlich die Frau des Gastgebers erschossen. Sie wurde weggetragen und der Gastgeber hat einfach mit der nächstbesten Trulla getanzt. Besagte Trulla ist jetzt übrigens angehende Ex-Frau Nummer vier.“ Ryu machte große Augen. „What? Ihr Yakuza seid ein seltsames Völkchen.“ Dann kam Ryu eine Idee. „Sag mal, wo wir schon beim Thema Yakuza und Partner sind... Würde die Tatsache, dass ich auf Männer stehe, irgendwelche Schwierigkeiten machen?“ Hiro sah ihn fragend an. „Wie meinst du das?“ Ryu überlegte, wie er es formulieren sollte. „Also, es wird ja nun leider bei weitem nicht in jeder Gesellschaft einfach akzeptiert, dass es Männer gibt die auf Männer stehen. Oder Frauen auf Frauen. Oder, was heißt Gesellschaft... nicht alle Menschen können diesen Gedanken akzeptieren, warum auch immer. Wie ist das bei den Yakuza? Was hätte einen da zu erwarten?“ Ryu beobachtete, wie Hiro sich offenbar schwer mit der Frage auseinander setze. Es dauerte auch einige Minuten, bis er Ryu eine Antwort gab. „Tja, das weiß ich ehrlich gesagt gar nicht. Also, meinen Vater stört es nicht. Ich glaube, dass denen das ziemlich egal ist. Hauptsache, die Geschäfte laufen. Allerdings kann man den Leuten auch nur vor den Kopf schauen.“ Ryu war nicht sicher, ob diese Antwort ihn zufrieden stellte. Allerdings widersprach es einer seiner Theorien, dass Hiro Angst davor hatte, sich zu outen, weil er sonst verstoßen, oder schlimmeres, würde. „Was machen wir jetzt noch?“ fragte Hiro gähnend und sich streckend. „Du könntest zur Abwechslung mal lernen.“ Hiro schüttelte sich. „Bah, nein Danke! Ich hasse lernen!“ Doch Ryu kannte kein erbarmen und fragte ihn die Lernkarten ab, die er zusammen mit Hiro erarbeitet hatte.

Wie sich herausstellte hatte Hiro einiges an Nachholbedarf. „Du hast aber schon noch aufm' Plan, dass bald die ersten Prüfungen sind?“ Streng sah er seinen Schützling an. „Übertreib' mal nicht, SO schlecht war ich nicht.“ Ryu machte große Augen. „Soll das ein Scherz sein? Der einzige Kurs, den du bestehen wirst, vielleicht, ist Chemie.“ Hiro grinste. „Chemie ist wie kochen, ganz leicht.“ Bei diesem Stichwort fiel Ryu seine Lieblingsserie ein. „Du solltest dir mal 'Breaking Bad' ansehen. Da geht es auch um Chemie... und Kochen.“

Nach etwa einer halben Stunde gab Ryu schließlich auf. Hiro hatte keine Lust zum lernen und damit basta. Genervt stellte er die Lernkarten zur Seite und beobachtete den kleinen Trotzkopf dabei, wie er vor seiner schier endlosen Sammlung von Videospielen stand und sich mal wieder nicht für eines entscheiden konnte. Ryu saß still da und begutachtete ihn, diesmal jedoch mit ganz anderen Augen. Seine Empfindungen für ihn hatten sich, wie er nun feststellen musste, geändert. Was er zu Beginn noch als schwächlich abgestempelt hatte, deutete er nun als Schutzbedürftig. Als er das erste Mal neben Hiro auf dem Sofa saß, hätte er ihm am liebsten eine reingehauen. Nun wollte er nichts weiter als ihn in die Arme schließen. Und auch seine Arroganz fühlte sich nun anders an. In Ryus Augen war sie nichts weiter als ein Schutzschild, um seine liebe, zarte Seite zu verbergen. Plötzlich bekam er angst. Was würde geschehen, wenn Hiro irgendwann erfahren würde, dass sie sich den Abend zuvor geküsst hatten? Wäre er geschockt? Oder würde er sogar daran zerbrechen? Ryu dachte über sich selber nach. War er gut für Hiro? Als Bodyguard, ja. Aber als... mehr? Viel mehr als nur ein Freund? Ryu war es immer gewesen, der den zarteren Part in einer Beziehung einnahm. Bei Hiro wäre es ganz sicher nicht so. War er bereit, so eine Rolle einzugehen? Wenn es denn je dazu käme? „Sag mal, kannst du mal aufhören mich so dumm anzuglotzen? Das irritiert ja total!“ Unsanft wurde Ryu aus seinen Gedanken gerissen. „Wie? Was?“ Hiro kämpfte sich mit einem schwer bewaffneten Magier durch ein düsteres, von Monstern befallenes, Dorf. „Was ist denn heute los mit dir? Du bist schon die ganze Zeit voll seltsam.“ Ryu stand kommentarlos auf und latschte zu der Liegewiese. Dort ließ er sich neben Leia auf die Kissen fallen und kraulte sie hinter den Ohren. Er hielt es einfach nicht in Hiros Nähe aus. Er schnaufte. Wie sollte das nur weitergehen?

Er spürte, wie sich jemand neben ihn setzte. „Hab ich was falsches gesagt?“ Als Ryu aufschaute, sah er, wie am Abend zuvor, in Hiros dunkelbraune Augen. Sie wirkten traurig. Ryu spürte, wie sein Herz schneller schlug. Dann seufzte er. „Nein, alles gut.“ Bevor er irgendetwas tun konnte, was er später vielleicht bereuen würde, ließ er sich in die Kissen fallen. Einige Minuten vergingen, ohne, dass einer der Beiden ein Wort verlor. Hiro saß noch immer neben ihm. Ryu hatte seine Augen geschlossen, öffnete sie nicht. Er fragte sich, ob Hiro ihn ansah oder ob seine Aufmerksamkeit, flüchtig wie sie nun mal war, schon etwas anderem folgte. Dann aber fing Hiro ganze leise und zögerlich an zu reden. „Ich hab gestern... was ziemlich seltsames geträumt.“ „Und was?“ Ryu öffnete wieder die Augen, blieb aber auf den Kissen liegen. „Wehe du lachst mich aus!“ Lächelnd verschränkte Ryu die Arme hinter seinem Kopf. „Wirke ich auf dich wie jemand, der sich über Leute lustig macht, weil sie mir etwas anvertrauen?“ Hiro schüttelte mit dem Kopf. „Genau. Also, was hast du geträumt?“ Nach außen versuchte er cool zu wirken, aber innerlich zersprang er fast vor Ungeduld. Er sah zu, wie Hiro die Augen schloss und sich offenbar sammeln musste. „Ich hab geträumt, dass wir gestern Nacht hier auf der Liegewiese saßen. Irgendwas haben wir geredet. Ich war panisch und hysterisch.“ Ryu glaubte seinen Ohren nicht zu trauen. Angespannt setzte er sich auf. „Und irgendwie... Ich weiß auch nicht... Du hast … Und ich hab dann einfach...“ Ryu war selbst überrascht, dass er Hiros Hand ergriff. Er sah ihm tief in die Augen. „Ich habe?“ Er merkte selbst, dass er nich fragend, sondern auffordernd klang. Hiros Augen weiteten sich. Sein Atem wurde schneller. „Es war kein Traum, oder?“ fragte er vorsichtig. Ryu antwortete nicht. Doch das war Antwort genug. „Hiro...“ „Nein!“ Er zog seine Hand weg und sprang auf. „Warte doch, bitte.“ „Lass mich in Ruhe!“ Hiro rannte die Treppe hinauf. Ryu wollte ihm hinterher, doch spürte er, dass es in diesem Moment nicht viel nutzen würde. „Ich will doch nur...“ „Geh einfach!“ Dann knallte Hiro die Tür zu seinem Zimmer hinter sich zu.
 

Rechts, Links, Tritt, wieder Rechts, dann zwei Tritte. Es war bereits halb zwei Morgens. Ryu war, wie zu erwarten, allein in dem großen Fitnessraum und malträtierte seit gut zwei Stunden den Sandsack. Er hatte lange im Loft gesessen und nachgedacht. Was sollte er tun? Wie ging es weiter? Würde Hiro ihn sogar rausschmeißen? Nach schier endloser Zeit beschloss Ryu, seiner Angst, seinem Frust und überhaupt seinen Gefühlen erst einmal Luft zu machen. Und Sport war für ihn schon immer ein gutes Ventil. Als er seinen ersten, richtigen Liebeskummer hatte, gewann er ein wichtiges Turnier haushoch. Als sein Onkel, der für ihn wie ein bester Freund war, bei einem Unfall ums Leben kam, schlug er mehrere Löcher in seine Zimmerwand. Es tat ihm gut, seinen Frust auf diese Art und Weise auszulassen. Er merkte, wie er wieder klarer im Kopf wurde und sich langsam wieder beruhigte.

Nach einer weiteren halben Stunde beschloss er, dass der Sandsack nun genug gelitten hatte. Er trank einen Schluck Wasser, hängte sich sein Handtuch um die Schulter und begab sich wieder auf den Weg zurück ins Loft. Auf halbem Weg blieb er stehen. Die Türen auf dem langen Flur waren, soweit er sich erinnern konnte, immer geschlossen. Doch dieses mal nicht. Eine von ihnen war einen Spalt weit geöffnet. In dem dunklen Raum konnte er Herrn Kunieda erkennen, der nur dastand und zu Boden schaute. Ryu überlegte kurz, was er nun machen sollte. Dann fasste er sich ein Herz und klopfte an die Tür. Herr Kunieda schreckte auf und drehte sich um. „Ryu? Noch wach zu dieser Stunde?“ „Das könnte ich sie auch fragen.“ Herr Kunieda lächelte. „Stimmt.“ Dann drehte er sich wieder um. „Weißt du, wo du dich hier befindest?“ Ryu blickte sich um, konnte aber in der Dunkelheit nicht viel ausmachen. Nur ein grauer, kalter Streifen, etwa fünf Meter breit, war zu sehen. Herr Kunieda stand an seiner Kante. Der Raum musste riesig sein, denn er konnte den Hall seiner Schritte vernehmen. Es war kalt und roch seltsam. Aber nicht unangenehm. Ryu erinnerte dieser Geruch irgendwie an seine Kindheit, aber er wusste ihn nicht einzuordnen. „Nein, Sir, ich kenne diesen Ort nicht.“ „Komm näher.“ Zögernd ging Ryu auf ihn zu. Je näher er Herrn Kunieda kam, desto deutlicher war ein Rauschen zu vernehmen. „Wir nennen diesen Raum 'Port of Remorse'“. Ryu stand nun neben ihm. „Hafen der Reue?“ Salzwasser. Er kannte diesen Geruch von den Strandurlauben mit seiner Familie. Herr Kunieda sah ihn nicht an, schaute nur nach unten. Ryu folgte seinem Blick. Vor ihm konnte er Wasser vernehmen. Ein gewaltiger, dunkler Schatten war darin zu erkennen. Erschrocken wich Ryu einen Schritt zurück. „Verstehst du jetzt, wieso wir diesen Raum so nennen?“ Ryu nickte. „Egal, wie loyal jemand gegenüber seiner Taten ist. Spätestens bei seinem Anblick, bereut jeder seine Sünden.“ „Das können Sie laut sagen.“ Herr Kunieda blieb regungslos an der Kante stehen. „Haben sie keine Angst?“ Er schüttelte mit dem Kopf. „Nein. Und um ehrlich zu sein wundert es mich, dass er mich noch nicht geholt hat.“ „Wie meinen Sie das?“ „Ich tue ihm unrecht an. Einen weißen Hai in Gefangenschaft zu halten ist falsch. Einen Tiger kann man bändigen. Ihn nicht.“ Er deutete mit dem Kopf auf das dunkle Wasser. „Eines Tages wird er seine Chance ergreifen. Und ich werde es ihm nicht einmal verübeln.“ Herr Kunieda entfernte sich vom Wasser. „So ähnlich ist es auch mit Hiro.“ „Ehm... Mit Hiro, Sir?“ Er lachte. Es klang unheimlich. „Er und der Große sind gar nicht so verschieden. Sie sind beide faszinierend anzusehen. Und man sollte sie beide nicht einsperren. Ich habe es dennoch getan.“ Ryu rührte sich nicht von der Stelle. Ihm war schon lange aufgefallen, dass Hiro nur Zeit mit seinem Vater verbrachte, wenn er unbedingt musste. „Mein Sohn hasst mich, genauso wie er.“ „Wieso?“ Ryu wusste, dass Beschönigungen hier nicht von Nöten waren. Es schien ihm wie ein offenes Geheimnis, dass Hiro eine schwere Beziehung zu seinem Vater hatte. Und obwohl er wusste, dass es nicht nur unhöflich sondern vermutlich auch gefährlich war zu fragen, hatte er keine Angst. „Seine Mutter.“ Er drehte sich zu Ryu um. „Er gibt mir die Schuld daran, dass sie gegangen ist.“ Ryu überlegte, wie er nun reagieren sollte. Schweigen? Kommentieren? Nein. Er hatte nämlich schon einen konkreten Verdacht. Herr Kunieda war zwar gefasst, seine Augen aber sprachen Bände. „Sie wissen gar nicht, weswegen sie ging, oder?“ Er sah Ryu erst mit großen Augen an. Dann lächelte er wieder. „Du bist offenbar geübt darin, Menschen zu beobachten und einzuschätzen. Das ist eine kostbare Gabe. Erhalte sie dir.“ Ohne ein weiteres Wort verließ Herr Kunieda den Hafen.
 

Als Ryu wieder das Loft betrat, bemerkte er, dass die Wand wieder hochgefahren war. Geradezu majestätisch zog Lenny seine Kreise im Wasser. Er kam ungewöhnlich nah an die Scheibe heran. Vermutlich, weil Hiro auf der Liegewiese saß und ihn beim schwimmen beobachtete. Er schien gar nicht zu bemerkt zu haben, dass er nicht mehr alleine war. Seine Augen wirkten müde, sein Blick war traurig. Warum sah er nur so traurig aus? „Hast du mich jetzt nicht lange genug angestarrt?“ Irritiert sah Ryu ihn an. „Ich kann mich auch neben dich setzen und den Fisch anstarren, wenn dir das lieber ist.“ Als Hiro nicht reagierte, setzte Ryu sich einfach, mit etwas Sicherheitsabstand, neben ihn. Eine Weile lang beobachteten sie, wie Lenny durch die extra angepflanzten Korallen seine Bahnen zog. „Dein Vater hat mir vorhin den 'Port of Remorse' gezeigt.“ Keine Reaktion. „Als ich gemerkt hab, dass ich Lenny quasi tödlich ausgeliefert war, hab ich fast einen Herzanfall bekommen.“ Immer noch nichts. Aber trotzdem... es fasziniert mich, ihn anzusehen. Ich hasse und liebe diesen Fisch.“ „Und mich?“ Ryu sah Hiro an, wusste aber nicht so recht, was er meinte. „Hasst du mich? Oder...“ „Nein. Nein, ich hasse dich nicht.“ Hiro wirkte zögerlich, aber bestimmt. „Und was dann?“ Ryu fuhr sich durch sein Haar und sah ihn an. „Ich weiß es nicht. Ich würde es dir gerne sagen, aber ich weiß es wirklich nicht.“ „Und warum machst du dann so was?“ „So was?“ „Na... du weißt schon... mich... nun ja...“ „Dich küssen?“ Hiro lief bei diesen Worten dunkelrot an. „Aus einem Impuls heraus. Ich hatte das schwere Bedürfnis und habe es einfach getan. Und... wie soll ich sagen... Es fühlte sich richtig an. Spätestes, als ich gemerkt habe, dass du es einfach zugelassen hast.“ Ryu beobachtete in Hiros Gesicht, was er bei sich selbst auch vor einigen Jahren im Spiegel beobachten konnte: die Angst vor der Erkenntnis. „Es wäre jetzt leichter für dich, wenn ich ein Mädchen wäre, oder?“ Hiro sagte kein Wort. Er blickte nur zu Boden und zuckte mit den Schultern. „Ich habe... schon länger an mir... beobachten können, dass ich... mich eher zu, na ja, Männern... hingezogen fühle.“ Ryu konnte nicht anders, als zu grinsen. „Hey! Was soll das jetzt?“ „Nichts, es ist nur... Mir war es quasi schon von Anfang an klar. Es gibt da so einige Indizien.“ Hiro schaute ihn schwer beleidigt an. „Ah, verstehe, lass mich raten: weil ich gerne koche und mich für Klamotten interessiere und weil ich so zierlich bin...“ „Nun, ich gebe zu, das war schon alles irgendwie auffällig, aber noch lange kein eindeutiger Hinweis.“ „Und, was hat mich verraten?“ Ryu deutete zum Sofa. „Deine DVD-Sammlung.“ Hiro starre ihn mit großen Augen an. „Meine DVD's? Was ist damit?“ Dann begann Ryu aufzuzählen. „Das fängt schon mit 'Titanic' an. Dann 'Der Teufel trägt Prada'. Und... du besitzt die Deluxe-Edition von der 'Twilight-Saga'. Die mit der Glitzer-Box.“ Hiro, immer noch gerötet, kratzte sich beschämt am Kopf. „Die Verkäuferin im Laden hatte auch schon ziemlich verdutzt geschaut, als ich ihr sagte, dass die Twilight Box keine Geschenk für meine Freundin ist.“ Nun lagen beide vor Lachen fast am Boden. Ryu war erleichtert, dass dieses Gespräch einen viel positiveren Verlauf nahm, als er befürchtete. „Und jetzt?“ fragte Ryu ihn unverblümt. „Was meinst du?“ „Wie geht es weiter?“ Hiro zuckte mit den Schultern. Dann sah er Ryu an. „Was ist?“ Ganz plötzlich und ohne jede Vorwarnung schnellte Hiro nach vorne und küsste Ryu. Erst war er völlig perplex. Doch dann schloss er die Augen und erwiderte den Kuss. Und wieder fühlte es sich richtig an. Hiros Lippen waren so zart, wie er es von noch keinem Mann kannte. Sanft streichelte er über sein Gesicht. Dann beendete Hiro den Kuss wieder. Hiro sah ihm in die Augen. „Du hast recht, es... es fühlt sich richtig an.“ Ryu lächelte. „Das beantwortet aber noch nicht meine Frage.“ „Was würdest du denn vorschlagen?“ Ryu konnte nicht anders, als Hiro durch die Haare zu wuscheln. „Hey!“ „Ich würde sagen, wir lassen der Sache einfach Raum und schauen, was noch so passiert.“ Hiro dachte kurz nach, dann nickte er. „Gut. Wollen wir uns eine DVD anschauen?“ „Aber nicht Twilight!“


Nachwort zu diesem Kapitel:
Hallo und an dieser Stelle erstmal ein verpätetes "Happy New Year!"
Aufgrund von technischen Schwierigkeiten *hustscheißinternethust* komme ich erst jetzt dazu, ein neues Kapitel online zu Stellen.
Viel Spaß beim Lesen!
Die Fay <3 Komplett anzeigen

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