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Das Lied im Automaten

von

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Gefangen

Es war kaum eine Woche vergangen, bis der Wald langsam lichter wurde. Sie konnten durch die Baumspitzen ein weites, freies, grünes Feld erkennen. Manche Späher waren schon losgelaufen, um dem Dickicht der Büsche zu entkommen, der Begrenzung der kargen Baumkronen über ihnen, und kamen nun zu der Gruppe zurück, welcher gemählich dahin trottete.

Die Boten schienen bedrückt zu sein, war ihr beschwingter Gang, mit dem sie losgezogen waren, erdrückend geworden. In ihren Augen spiegelte sich die Trauer, die sie gesehen hatten, als sie sich den Häusern genähert haben. Gleichzeitig waren ihre Gesichter ratlos, sie wussten nicht mehr, was sie machen sollten. Die Anführerin zügelte ihr Pferd, der Marsch kam zum Erliegen. Sie sitzte elegant ab und ging auf die drei Späher zu, die mit stolpernden Schritten auf sie zukamen.

Das Herz der Anführerin schien die Gefühle, welche die Augen, die langsam wieder zu sich kamen, aufzusaugen, und fast blieben ihr alle Worte im Hals stecken. Hinter sich hörte sie leises Murmeln, während man wartete. Sie atmete kaum merklich tief durch, ehe sie das Wort an die Späher richtete: „Berichtet mir bitte, was ihr gesehen habt.“ Ihre Stimme war leise, aber durchdringend. Voll bangen Unmutes, welcher durch die Luft ging.

Sie nickten langsam, als würden sie das Sprechen nicht wagen, sie wirkten allesamt wie kleine, verängstigte Kinder. Ihr schnürte sich einmal mehr das Herz in ihrer Brust zusammen. Die Späher vor ihr stupsten sich alle gegenseitig an, keiner erpicht darauf, zu beschreiben, was sie gesehen hatten. Dann nahm der Größte, welcher von den beiden Kleineren eingerahmt wurde, sich ein Herz. „Das Dorf ist verlassen. Wir haben Trauer über dem Ort gespürt.“ Er blickte sie eindringlich an, und sie nickte. Es waren kleine Kinder, kleine Elfenkinder. Sie waren sehr, sehr sensibel für solche Empfindungen. Einmal mehr fragte sie sich, warum sie sie mit in den Krieg nahm. Er fuhr fort. „Wir haben keine Lebenszeichen da oder in der Umgebung gefunden.“

Ihr Atem stockte.

„Auch keine Elfen“, bestätigte er mit seinem abschließenden Satz ihre Ahnung. Warum waren die Elfen bloß nicht dort? Sie konnte es sich nicht erklären. Nur eine Sache wurde ihr immer deutlicher: Die Elfen führten etwas im Schilde. War es besser, sofort umzukehren? Im Dorf waren sie alle in Sicherheit.

Ihr wurde im selben Moment klar, dass es für einen Rückzieher zu spät war. Sie drückte ihren Rücken ein bisschen mehr durch, um ihre Zuversicht zu stabilisieren, ehe sie das Wort an die Rebellen richtete. „Rebellen! Es scheint mir, dass die Elfen uns einen Streich spielen wollen. Aber wir lassen uns davon nicht beirren. Schlagt hier im Wald das Lager auf, doch gebt Acht darauf, dass wir schnell fliehen können.“

Ihre Worte waren fest über ihre Lippen gekommen, dennoch fühlte sie sich unwohl, als die Gruppe sich zerstreute und sie sich ihren vorher zugeteilten Aufgaben widmeten. In den letzten Tagen hatte es wohl keinen einzigen Tag gegeben, an dem sie irgendwie leichten Herzens gewesen war, keine Entscheidung, die sie ohne einen Gewissensbiss getroffen hatte.

Und nun die schon fast zu offensichtliche Falle. War ihre Entscheidung die richtige gewesen? Sie bezweifelte es, doch ihr fiel keine gute Alternative ein. Doch anstatt hier ihren Zweifeln Grund zum Blühen zu geben, sollte sie lieber ihren Kameraden helfen, ein Lager baute sich schließlich nicht von selbst auf. Sie schüttelte die Zweifel von sich ab und stürzte sich dann in das Gewühl, in welches nur eine Person keinen Platz fand.

Die ganze Woche über war es Erfline nicht gelungen, ihr Gewissen gegenüber den Rebellen, die sie verköstigten und mitnahmen, zu beruhigen. Die Beeren konnte sie, wie erwartet nicht pflücken. Und ihr fiel einfach nichts ein, womit sie den Rebellen helfen könnte. Nicht, dass diese unbedingt ihre Hilfe annehmen wollten. Es hatte ihr zwar keiner direkt gesagt, doch in ihrem Verhalten konnte sie es lesen. Man hatte sie angenommen, natürlich, aber viele hatten sie noch nicht akzeptiert. Was für ein himmelhoher Unterschied das war, erfuhr sie mal wieder in diesem Augenblick, ohne Futave, noch viel heftiger als zuvor.

Und sie bereute all ihre Taten, die sie begonnen hatte. Mit einem Mal begann sie zu verstehen, wie sich die wenigen Halbelfen in ihrem Dorf gefühlt haben mussten, geduldet, aber nicht akzeptiert. Genauso wie sie jetzt. Sie setzte sich an den Rand, lehnte sich an einen Baum und machte sich ganz, ganz klein.
 

Die ewigen, kleinen Pausen des Marsches kamen Futave mit Mal zu Mal länger und länger vor. Jedes Mal, wenn der König mal wieder beschloss, eine Pause einzulegen, verging sie schleppend. Er fragte sich jedes Mal, wieso sie diese überhaupt hielten. Und mit jedem weiteren Blick in das hämische Gesicht des Königs, welches manchmal in seine Richtung lugte, machte sich ein flaues Gefühl in ihm breit.

Eine Ahnung wuchs in ihm heran, die er nicht bestätigt wissen wollte. Er kannte den Vorteil der Elfen, den sie durch diesen Menschen haben könnten, doch hatte er tatsächlich derartige Dinge getan? Die Gespräche mit dem König, die Futave eigentlich täglich führte, fruchteten nicht. Es gelang ihm nicht, den König von seiner Meinung zu überzeugen. Eine langwierige Meinungsverschiedenheit schlug Futave nun stark aufs Gemüt, er hatte sie noch nie so recht mit dem König verstanden. Er war ihm viel zu schnippisch, zu... festgefroren. Kalt, gierig. Ihm schauderte.

Wieso war dieser Elf König geworden? Die Gründe für das Begehren dieses Posten waren einerlei, doch die Gründe für die Elfen, ihn zu wählen? Der König war länger König gewesen als Futave lebte, jedenfalls kam es ihm so vor. An die Ereignisse seiner Kindheit erinnerte er sich kaum, doch er schien in etwa in diesem Zeitraum gewählt worden zu sein. Die Geschichtsbücher erzählen von heroischen Taten, die er begannen haben sollte, doch nichts ließ sich näher dazu finden. War er jemand, der sein Licht oder seine Dunkelheit unter den Scheffel kehrte?
 

Ein harter Ruck riss Alyne aus der Blase, in der sie geschwebt hatte. Das laute Krachen, welches in ihren Ohren dröhnte, stellte das Platzen dar und das Ende des Fallens bildete der Boden. Sie rieb sich ihren schmerzenden Kopf, als sie laute Stimmen vernahm, die ihren Kopfschmerzen nicht gerade gut taten. Sie nahm kaum den Unterschied zwischen den innerlichen und der äußerlichen Stimme wahr. Dennoch hörte sie die Rage in den Stimmen heraus, die sich gegeneinander aufhetzten.

Sie katte kaum die Kraft, ihre Augen zu öffnen, und ließ sie geschlossen. Vielleicht würde sie ein wenig schlafen können, ein klitzekleines Bisschen... Erschrocken fuhr sie hoch. In ihren Kopf strömten Bilder, die sie an den Kampf erinnerten, den sie vollkommen ausgeblendet hatte. Sie sah voller Furcht um sich herum, erwartend, dass die Monster sich über sie her gemacht hatten.

Doch da war nichts als Leere. Weiße Unendlichkeit, die bis an den Rand ihrer Wahrnehmung reichte und weiter. Sie sah sich überrascht um, hatte sie doch andere Bilder erwartet. Schwarze, unidentifizierbare Ungeheuer, magische Tiere, die eher wie Fabelwesen wirkten. Doch der Kampf schien wie weggefegt, ebenso wie alles andere, was sich auf der Erde befand. Was immer diese Leere auch war, sie wollte hier weg, aber das schien kein leichtes Unterfangen zu sein.

Zögernd stand sie auf, den Boden unter sich konnte sie nicht von dem restlichen Weiß unterscheiden, es gab nicht einmal einen Schatten, an dem sie wenigstens sehen würde, dass sie auf Grund und Boden stand. Unsicher und wackelig bewegte sie sich zögernd vorwärts, den Blick auf ihre Füße gerichtet, deren Grund sie nur erahnen konnte. So langsam hatte sie die Nase voll von all den Mysterien, die um sie geflochten wurden. Ihre Rolle wurde ihr unerträglich schwer, und sie harrte nicht an einer Stelle aus.

Je länger sie ging, desto mehr Stand gewann sie. Sie richtete ihren Rücken gerade, versuchte, irgendwem, vielleicht Gott, ihre Entschlossenheit zu zeigen.
 

Der reinblütige Elf hatte seine Stellung links neben Alyne bezogen, die auf ihrem Rappen vorwärts geritten war. Das reine Weiß seines Pferdes bildete einen starken Kontrast zu ihrem mächtigen Pferd, welches seines um mindestens zwei Köpfe überragte. Er hatte aber auch kein anderes nehmen wollen, warum auch immer. Ihm war unwohl bei dem Gedanken gewesen, so viel über dem Boden zu sein, doch Alyne schien das alles nichts auszumachen. Den ganzen Marsch über war sie still gewesen, nachdenklich war sie in ihren Gedanken versunken und sagte nur wenig. Auf Fragen hatte sie kurz und knapp geantwortet.

Er hatte immer nur kurze Blicke auf ihr nachdenkliches Gesicht werfen können, doch es erschien ihm immer unpassend. Er konnte nur hoffen, dass nach dem Konflikt alles beim Alten bleiben würde, auch wenn er selbst nicht daran glaubte. Viel zu unwahrscheinlich erschien es ihm, viel zu... simpel. Wieso hätte man sonst diesen Kampf machen sollen? Wenn alles letzten Endes doch so blieb, wie es vorher war.

Er hatte mehrmals geseufzt, während sie durch die Wälder gegangen waren. Er spürte die immense Magie, die hinter ihm her zog, mehr als deutlich. Er hatte nicht viel darüber nachgedacht, wie der Kampf am Ende ausgehen würde, denn es würde sowieso wohl gleichbedeutend mit dem Ende der Welt sein, oder nicht? Es gab immer Stellvertreterkämpfe für den Kampf zwischen Licht und Schatten, doch... wenn sie selbst gegeneinander zum Zug kommen?

Ihm hatte es geschaudert. Er dachte nicht weiter darüber nach.

Dann hatte der Kampf begonnen. Er schlug seine Gegner mit Magie und einem Schwert nieder, er musste notgedrungen seine Augen offen halten, um die Wesen sehen zu können, um sehen zu können, wo er schlagen musste. Es hatte ihm Bauchschmerzen und Übelkeit bereitet, doch er hatte das Gefühl unterdrückt und weitergekämpft.

Das, was in nachher so in Rage versetzte, war eine fehlende Aura. Er hatte die Person neben sich nicht mehr gespürt. Doch da war auch keine Magie, die bei einem Todesfall freigesetzt wurde. Da war nur Leere. Mit weit aufgerissenen, erschrockenen Augen hatte er sich zu ihr umgedreht. Sie schien noch da zu sein, doch ihr Körper flimmerte.

Er kannte dieses Phänomen nur allzu gut. Und die Stille, die danach folgte, war ebenfalls nur allzu vertraut. Sein wutentbrannter Blick war zu dem Lichtwesen herübergeschweift, welches sich über alle Wesen auf ihrer Seite gelegt hatte, ebenso wie das Schattenwesen bei ihren Monstern. Sie waren in ihren Bewegungen erstarrt, beide Seiten. Und auch Feliff konnte sich nicht mehr rühren, doch seine Gedanken waren noch frei.

Er merkte gar nicht, dass er all die Anklagen, die Flüche und die Verwünschungen laut rief, dass er seinen Mund bewegen konnte, obwohl er von ihrer Macht eisern gehalten wurde. Er fragte sich nicht mehr, was sie vorhatten, denn er wusste es nun endgültig.

„Habt ihr das wirklich vor? Wollt ihr das nun wirklich machen?“, schrie er, doch er nahm seine Stimme gar nicht wahr. „Wollt ihr … Könnt ihr das wirklich einfach so bestimmen? Wieso denkt ihr eigentlich immer nur an euch?!“ Er schnaufte, doch auch das schien er nicht mehr zu bemerken.

Wir denken nicht nur an uns. Doch es ist schwer, tausend Jahre alte Gefühle zu ignorieren!, erwiderte die Lichtgestalt mit Schmerz in der Stimme. Du verstehst davon gar nichts.

Sei endlich ruhig, du kleiner Wicht. Du wirst uns nichts vorschreiben. Die Zeit war so oder so abgelaufen, Kleiner. Der kalte Spott, der nicht einmal echt wirkte, ließ ihn erschaudern.

„Wieso...?“ Er sah sie, seine Erschafferin, anklagend an. Hinter ihm lagen Tausende von Jahren, Millionen von Jahren. Mehr als genug für ein Leben. Doch wie viele konnten das von sich behaupten? „Wieso?!“ Er erwartete keine Antwort mehr. Er spürte ihre Kälte, die sich hell und dunkel ausbreitete. Er merkte noch, wie etwas in ihn eindrang, sein nächster Satz würde wohl sein letzter Satz sein, dieses Gefühl, als ob jemand ihn aufheben würde, würde wohl das letzte sein.

Er würde sich nicht wehren können.

„Warum?“



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von: Futuhiro
2016-01-17T14:33:47+00:00 17.01.2016 15:33
Langsam bin ich wirklich platt von der Wucht der Bilder. ^^°
Die vermittelten Emotionen sind niederwalzend. Man versteht irgendwie kein Wort mehr, und versteht doch irgendwie alles.
Und hier kommen Fragen, Gedankengänge und Faktoren auf, auf die ich selber nie gekommen wäre. Und obwohl sich bei solchen hoffnungs- und aussichtslosen Kriegsszenarien die Gedanken ja naturgemäß immer wieder ergebnislos im Kreis drehen müssten, gibt es nicht unnötig viele Wiederholungen. Echt guter Schreibstil, ich himmel das gerade ein bisschen an!


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