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Schillern

von

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Die Freiheit zu verlieren

„Goethe hat doch…nicht geheiratet, oder?“

Aus Augusts Gesicht wich die Freude. „Nun, meine…meine Mutter hat er ein Jahr nach Ihrem Verschwinden geehelicht.“

Schiller sah auf die beiden herab, rührte sich nicht. Das Lächeln war ihm auf dem Gesicht erstorben.

Plötzlich ließ er sich wie ein nasser Sack auf die am Boden ausgebreiteten Felle sinken und sah mit erschreckend leeren Augen an die Decke, sodass Karl und sein Freund nicht wussten, was sie tun sollten.

„Er hat geheiratet…“, flüsterte Schiller, „Goethe hat geheiratet…“

„Aber, Vater…“, fing der Dunkelhaarige nervös an, „Du sagtest doch, dass dieser Bund zwischen Menschen nicht für uns Schiller zähle.“

„Das stimmt auch“, begann Schiller leise, „Nur ist Goethe ein Mensch, und mir ist es nicht gestattet, diesen christlichen Bund zwischen ihm und Christiane zu zerstören.“ Er fasste sich mit zittrigen Fingern an die Brust, wo er eine dunkle Haarsträhne hervorholte, zusammengebunden mit einem roten Faden. „Und ich kann ihm noch nicht einmal vorwerfen, damit unser Bündnis gebrochen zu haben…ich tat es ja selbst, als ich ging…“

Die beiden Jungen konnten nur hilflos auf den Mann zu ihren Füßen hinabschauen. Die Worte, die ihm hätten gut zusprechen sollen, waren ihnen abhandengekommen.

In die Stille hinein begann Schiller zu husten. Er wollte gar nicht mehr aufhören zu husten.

„Vater, was ist mit dir…?“, fragte Karl besorgt.

Da krümmte sich Schiller und fasste sich an den Bauch.

„Vater…!“

„Er wird doch nicht…!“, versetzte August, während der Dunkelhaarige sich neben seinen Vater auf den Boden warf. „Er wird doch nicht wieder Tierblut getrunken haben…?!“

„Nur noch“, brachte Schiller heraus. „Nie mehr etwas anderes, a-als Goethe…“

„Vater, du…! Wie kannst du nur?! Nanette! Nanette!“
 

Es war die Vollmondnacht im Oktober 1811, als Schiller im Bett lag, eingepackt in nasse Tücher und warme Laken. Das Fieber war seit seinem Zusammenbruch Anfang der Woche schlimmer geworden.

Nanette nahm auf einem Stuhl neben dem Bett ihres Bruders Platz.

„Friedrich“, seufzte sie, „Wieso tust du so etwas?“

Sie erwartete gar keine Antwort von ihm, aber er lächelte sie müde an.

„Sag nichts“, meinte sie, „Ich habe es mir von Karl erzählen lassen.“

Behutsam nahm sie seine eiskalte Hand.

„Aber wer hätte es denn erahnen können, dass Karl ein Schiller ist? Sei nicht wütend auf Vater, er tat nur seine Pflicht als Familienoberhaupt. Das, was du mit Goethe hattest… Es kommt nun mal nicht so oft vor, dass ein Schiller einen Mann zum Bündnispartner hat. Normalerweise fühlt er sich zu einer Frau hingezogen, sei sie nun eine von uns oder nicht, aber…da tun sich nicht diese Probleme auf, verstehst du…?“

Schiller versuchte den Kopf zu schütteln.

Nanette musste lachen. „Ja, ich dachte mir schon, dass du das nicht verstehen willst.“

Da klopfte es behutsam an den Rahmen der Schlafzimmertür, die auf stand.

Nanette erhob sich von ihrem Stuhl. „Karl, komm herein.“

Sie tätschelte ihm aufmunternd die Schulter, als sie an ihm vorbeilief, um sich zu August ins Wohnzimmer zu gesellen, wo dieser auf dem Sofa eingenickt war.

Zögerlich trat Karl ans Krankenbett seines Vaters.

Schiller schenkte ihm ein entschuldigendes Lächeln. „Setz dich“, brachte er heißer heraus.

Karl nahm auf dem Stuhl Platz, auf dem Nanette gesessen war.

„Großvater war vorhin hier.“

„Hm, hat er sich mal blicken lassen?“

„Ja, aber sprich bitte nicht.“

„Geht schon. Was wollte er?“

Karl schwieg kurz, bevor er antwortete. „Er hat sich fürchterlich über dich aufgeregt. Du weißt ja, diese Woche hätte…hättest du dir eine Braut aus den angereisten Frauen aussuchen und…heute Nacht heiraten sollen…“

Schiller nickte. „Da hat meine Krankheit wenigstens etwas Gutes: Heiraten darf ich erst wieder in fünf Jahren.“

Karl nickte. Er war auch unglaublich froh darüber, schließlich konnte er sich seinen Vater mit niemandem sonst als seiner Mutter oder Goethe vorstellen.

So blickten sie einander eine Weile stumm an, bis der Dunkelhaarige feststellte, wie schön die Augen seines Vaters leuchteten.

„Was…“, fing er an, „Was ist dieses Schillern überhaupt?“

Ein träumerisches Lächeln breitete sich auf Schillers Lippen aus.

Schillern“, sagte er leise, da seine Stimme nicht zu mehr imstande war. „Dein Großvater meint, es sei Erleuchtung. Manche halten es für Macht…oder Liebe.“

„Und…und für was hältst du es, Vater?“

„Ich?“ Schiller grinste und da bemerkte Karl erst, wie er dieses Grinsen vermisst hatte. „Nun, für mich ist Schillern Freiheit. Die Freiheit, sein Herz an denjenigen zu verlieren, an den man es auch verlieren will.“

Da hielt es den Jungen nicht mehr auf dem Stuhl und er warf sich seinem Vater an die Brust.

„Nicht weinen, mein Sohn…“

„Ich…ich weine nicht.“

Schiller hob langsam eine Hand, um Karl über den Kopf zu streicheln.

„Ich hab dich so vermisst, Papa.“

„Ich dich auch, mein Sohn…“
 

Es dauerte noch eine ganze Weile, bis Schiller wieder auf der Höhe war.

Auch August besuchte ihn in dieser Zeit am Krankenbett, doch der sonst so lebensfrohe Mann redete auf alle seine Bemühungen hin kaum mit ihm, blickte ihn nur traurig an und wirkte schlaff.

Kurz war der junge Goethe davor, einfach aufzustehen und zu gehen, doch davor war er Schiller wenigstens eine Erklärung schuldig.

„Ich…ich sehe, ich sollte besser gehen“, fing er betroffen an, „Ich quäle Sie nur.“

Schiller lächelte matt. „Es ist eine süße Qual. Du darfst gerne bleiben.“

Da schüttelte August den Kopf. „Nein, ich verstehe schon. Und es ist ja auch Ihr Recht, wenn Sie…mir die Schuld daran geben, dass Vater Mutter nun endlich geheiratet hat und…“

„Aber nein, August.“, widersprach der Blonde und seine Stimme klang dabei das erste Mal wieder lebendig, „Bitte, das würde mir doch niemals einfallen, dir oder deiner Mutter irgendeine Schuld zu geben.“ Er schüttelte den Kopf. „Es sind nicht die Züge deiner Mutter, die ich sehe, wenn ich dir ins Gesicht blicke, welche mich quälen. Es ist…“

August zuckte ein wenig zusammen, als die kalten schlanken Finger Schillers sich um seine legten.

„Du siehst deinem Vater sehr ähnlich, August, und ich…ich vermisse ihn so sehr.“

Da musste der Jüngere schlucken und wusste nicht, was er darauf erwidern sollte, weshalb er einfach nur die dargebotene Hand des anderen fest drückte.
 

Am Abend lag er bei Karl im Bett, den Dunkelhaarigen, der ihn gerade gebissen hatte, im Arm, und musste an ihre Väter denken. Er stellte sich vor, wie Goethe und Schiller zusammen im Bett lagen, einander im Arm. Der Gedanke fühlte sich keineswegs seltsam an, so sehr er seine Mutter liebte und wusste, dass sie zu Vater gehörte. Denn genauso wusste er auch, dass Schiller zu Vater gehörte, so wie er zu Karl. Das war ja immerhin…etwas anderes, versicherte er sich. Auch wenn er sich bisher noch zu keiner Frau auf diese Weise hingezogen gefühlt hatte, war das mit Karl etwas anderes. Er war sein bester Freund. Mehr als das: sein Bündnispartner.

Sanft lächelnd blickte er den Jüngeren an.

„Was ist?“, fragte dieser leise.

„Ich gehöre dir.“, flüsterte August.

Da lachte Karl leise und zog ihn in eine innige Umarmung, um sein Gesicht in der Halsbeuge des Älteren zu vergraben und tief dessen Duft einzuatmen.

„Ja, du gehörst mir…“
 

Anderthalb Wochen nach seinem Zusammenbruch war Friedrich Schiller wieder auf den Beinen und diesen Abend konnte er das erste Mal wieder am gemeinsamen Abendessen der Familie teilnehmen.

Der Tisch war reich gedeckt, denn auch wenn Schiller sich zum Überleben von Blut ernährten, hieß das nicht, dass sie es sich nehmen ließen, einige schmackhafte Sachen einfach zum Genuss zu verspeisen. Und so kam die Familie abends immer zum gemeinsamen Mahl zusammen, bei dem Neuigkeiten ausgetauscht wurden, aber es auch um simple Geselligkeit ging.

So saß die große Familie auch heute Abend wieder beisammen und erfüllte so die kälter werdende Jahreszeit mit Wärme.

Karl, der neben August saß, räusperte sich und wies diesen damit darauf hin, dass sie beobachtet wurden.

Von der anderen Seite der Tafel blickten sie die forschenden Augen Johann Caspar Schillers an.

August wandte sich nichtsdestotrotz wieder seinem gegrillten Spieß zu. Karl tat es ihm gleich und nahm sich noch eine Wassermelone.

„Dass du immer dieses süße Zeug machen musst, Doro.“, meckerte Schiller Senior mit seiner Tochter. „Das ist schlecht für die Zähne – und was ist ein Schiller ohne Zähne?!“

„Aber, Vater. Der Nachtisch muss doch süß sein.“

Der wieder genesene Friedrich Schiller sah seine Schwester mit hochgezogener Augenbraue an. „Das Blut von deinem Georg ist also nicht süß genug, hm?“

„Och, Fritz, sei ruhig. Du weißt doch gar nicht, was für ein Glück ihr Männer habt! Frauenblut ist viel süßer als Männerblut.“

Während alle seine fünf Schwestern einstimmig dieses Urteil bestätigten, nickte Schiller nur. „Da hast du Recht, ich weiß es wirklich nicht, da ich doch noch nie Frauenblut gekostet habe.“

Man merkte Schiller Senior an, wie sehr er sich für diese Aussage seines Sohnes schämte.

„Aber ich kann mir ehrlich gesagt nicht vorstellen, dass irgendetwas auf dieser Welt süßer sei, als das Blut Goethes.“

„Meine Meinung.“, lachte Karl, woraufhin August leicht schockiert zwischen Vater und Sohn hin und her schaute, die ihn beide äußerst unschuldig angrinsten. Beinahe fühlte er sich wie ein von Wölfen umringtes Schaf…

Da schob Schiller Senior plötzlich seinen Stuhl zurück und verließ wortlos die Tafel. Seine Frau, Karls Großmutter, warf einen entschuldigenden Blick in die Runde, bevor sie ihrem Gatten folgte.

Nanette rollte mit den Augen, während Schillers älteste Schwester ihrem Bruder eine Hand an den Arm legte. „Lange wird er dich nicht mehr in Ruhe lassen, Friedrich“, sagte sie. „Er wird dir eine Braut suchen, die du in fünf Jahren heiraten wirst, egal wie sehr du dich sträubst.“

„Ich befürchte es, Lissi.“, seufzte Schiller.

Nun standen auch die beiden mittleren Schwestern auf, die August etwas unheimlich fand. Sie waren beide als kleine Mädchen schwer krank geworden, weshalb ihre Eltern, um sie am Leben zu halten, keine andere Möglichkeit gesehen hatten, als ihnen von ihrem Blut zu trinken zu geben. Deshalb waren sie schon recht früh zu einem ausgereiften Schiller geworden und sahen nun nach all den Jahren immer noch sehr mädchenhaft aus, während ihr Verstand und die Art sich zu bewegen schon vollkommen der einer erwachsenen Frau entsprach.

August musste bei ihrem Anblick an zum Leben erweckte Puppen denken und wusste sie nicht so recht einzuschätzen.

„Du hättest vorhin etwas essen sollen.“, sprach Lotte, die ältere von beiden, ihren Bruder mit ihrer weichen, hohen Stimme an. „Es hätte sich sicher jemand gefunden.“

Schiller winkte ab. „Nein, nein, macht euch keine Sorgen um mich. Das geht schon.“

Betti, die jüngere, sah ihn aus ihren großen, rot schillernden Augen an. „Aber nicht, dass du wieder so endest, wie letzte Woche.“

Nanette klatschte in die Hände. „Schwestern, auf! Lassen wir die Herren ein wenig alleine und kümmern uns ums Geschirr.“

Sie drückte Schiller einen Kuss auf die Wange, bevor sie ihren Schwestern nach draußen folgte.

Karl atmete hörbar aus. „Puh“, meinte er, „Und ich fand es schon mit nur zwei Schwestern anstrengend…“

Schiller lachte seinen Sohn an. „Nun, da stell dir mal vor, wie August sich jeden Abend fühlt.“

In der Tat sah sein Freund etwas überfordert drein.

„Da wir jetzt aber wieder unter uns sind“, fing Schiller an, „und es mir auch wieder besser geht, möchte ich euch fragen, woher ihr überhaupt wusstet, dass ich hier bin?“

„Nun…“, begann Karl, „Ich stritt mich mit August, da er nicht glauben wollte, dass du ein Vampir bist – wie ich dich damals nannte. Da habe ich die Spielzeugguillotine auf den Boden geschmissen und – “

„Die, die Goethe dir einmal mitgebracht hat?“, hakte Schiller nach.

„Ja“, bestätigte sein Sohn. „Sie ist zersplittert und zwischen den Scherben kam ein Gedicht Goethes zum Vorschein.“

„Die Braut von Korinth“, ergänzte August, und Karl hob seinem Vater das Papier entgegen, das er aus seiner Tasche holte.

Schiller nahm den Zettel erstaunt entgegen, ließ seine Augen über die Zeilen huschen, und als er am Ende angekommen war, lachte er.

„Dieser gerissene…! Wie ein Lausbube entkommt er der Hölle!“

„Wie meinen?“, fragte August verwirrt.

„Seht“, meinte Schiller und deutete auf die Schriftrolle. „Diese Zeilen haben euch genau gesagt, wo ich bin und was ich bin, und haben ihm zugleich das Leben gerettet! Verrät ein Bündnispartner nämlich seinen Schiller, muss er sterben.“

August riss entsetzt die Augen auf.

„Goethe war es einzig und allein möglich, euch über mich zu unterrichten, indem er es in Rätseln packte. Und das ist ihm grandios gelungen.“

Schillers Augen huschten noch einmal über Goethes Handschrift.

„Darf ich“, begann er, „Darf ich es behalten?“

„Bitte“, meinte August.

„Aber gerne“, sagte Karl.

Schiller betrachtete noch eine ganze Weile die Worte und Verse in dieser Schrift, die ihm so bekannt war, als wäre es seine eigene, und er stellte einmal mehr fest, wie schmerzlich er seinen Goethe vermisste.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Anmerkung zum Inhalt, was den Haushalt der Familie Schiller betrifft: Ich bin KEIN Fan von Frauen hinterm Herd XDD ...aber zu der Zeit war das nun mal so und außerdem ist die Wahrscheinlichkeit, dass bei 5 Schwestern und einem Bruder öfter eine Frau am Herd steht, unweigerlich höher... Jap, soviel dazu :P

Ansonsten verweise ich auf das neue FA bei den Illustrationen, auf dem man die Schillerschwestern sehen kann, und hoffe, das Kapitel hat euch gefallen :3 Komplett anzeigen

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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  DasIch
2014-02-28T21:23:41+00:00 28.02.2014 22:23
Freiheit, Freiheit ist das einzige was zählt ;-) Spaß bei Seite! Super Chapter wie du die Sturheit von Schiller Senior Senior und die Verzweiflung von Friedrich beschreibst Wahnsinn! Und es kristallisiert sich langsam raus das August und Karl mehr empfinden als sie zugeben wollenXD
Danke aufjedenfall war wieder ein gelungener Ausflug in die Welt der Schiller

GLG
Möge das schillern mit dir sein ;-) *lach*
Antwort von:  KaethchenvHeilbronn
01.03.2014 15:11
Aah, das ist ja eine lustige Idee! XD Wird sofort als offizieller FF-Spruch adoptiert ;P
Antwort von:  DasIch
01.03.2014 15:19
Schön ;-)


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