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Crystal Riders

Reanimation
von

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Pulsschlaggleich

Jet – Pulsschlaggleich
 

Nexus: Don't Leave
 

Das Letzte, was ich von Menschen sehe, wenn ich sie töte, sind ihre Augen. Und obwohl außer einer Grube aus gähnender Leere nichts in meinem Herzen zu existieren scheint, konnte ich mir bisher jedes Augenpaar merken, aus dem ich das Licht erlöschen sah. Jedes einzelne.

Aber niemals war ich einer Iris zweimal begegnet, sie alle waren verschieden, selbst wenn sie sich in Farbe, Form und Größe so sehr ähnelten, dass es sich schwierig gestaltete, sie zu scheiden. Etwas, eine federfragile Abweichung ließ sie immer erkennen.

Nur dieses Mal nicht. Dieses Mal musste ich, trotz aller Widerstände, die sich in mir auftürmten, begreifen, dass ich diese Augen schon einmal gesehen hatte, schon einmal wahrgenommen hatte, wie das Leuchten schwächer wurde und dann erstarb. So wie der Körper.

Wenn ich töte, greife ich das Herz an. Nur so lassen sich Crystal Rider zerstören. Um ihre Zellen liegt eine diamantfeste Schicht, die wichtigsten Organe sind unverletzbar, alles andere wird binnen Sekunden regeneriert. Aber ich kann den Schutzring durchbrechen, wie eine Klaue schließt sich meine Gabe um das kristallisch funkelnde, klopfende Leben und zerschmettert es. Ich kann seinen letzten Schlag immer hören, während ich dabei zusehe, wie die Augen stumpf werden und tot.

Und jetzt… Jetzt hatte ich nicht nur einen weiteren Menschen auf dem Gewissen, sondern auch mein eigenes Herz wie eine gefrorene Luftblase in der Faust zerdrückt. Mein Herz in ihrem Körper.

„Jet…!“, erklang Jades Stimme endlich, nachdem ich sie empfundene Stunden lang bloß angesehen hatte, während sich warme Nässe in meinen Augen anstaute. Wie im Traum wendete ich den Blick von ihr ab und ließ ihn zurück zu Crystals Gesicht schweifen. Ihre Haare lagen ausgebreitet über dem Kopfkissen wie Wellen aus brauner Seide und ihre Lippen waren ein winziges Stück geöffnet, aber es drang kein Atem daraus hervor. Es schlug kein Herz unter der stechend weißen Decke. Irgendwann musste ich vorwärtsgetorkelt sein. Meine Hände fielen auf den Rand des Bettes, dann verließ mich die Kraft in meinen Gliedern und ich sank vor ihr zu Boden. Ein Erdbeben erschütterte das Krankenzimmer und ich wunderte mich am Rande noch darüber, dass es Jade, Moon und Amber nicht von den Füßen warf, bis mir klar wurde, dass es nur in mir herrschte.

„Cry… Crystal…“, zwang ich meine Stimme auszusprechen. Das Zittern wurde stärker. Die Welt verschob sich, verlor an Schwerkraft. Und es fühlte sich an, als hielte ich eine viel zu dünne Ballonschnur in der Hand, die langsam zwischen meinen Fingern hindurchglitt. „Wach auf, wach auf…! Crystal, bitte!“ War es wirklich meine Stimme? Ich erkannte sie nicht. Die Zeit wurde nicht weiß, sie wurde schwarz. Die Schnur erreichte meine Fingerspitzen. „Crystal, komm zurück!“ In dem Moment, in dem sie meinen zuckenden Händen entfloh, spürte ich eine Hand auf der Schulter. Wie ein Schrei schoss ich vom Boden hoch und stieß die Hand grob beiseite. Jade trat erschrocken zurück.

„Ich habe sie getötet…“, murmelte ich gebrochen, sah hinüber zu Amber, zu Moon, dann wieder Jade. Warum schauten sie mich so an? Warum warfen sie nicht mit Messern nach mir, jagten mich fort, hassten mich? Ich hatte ihnen einen Freund genommen, ich hatte sie ihnen einfach entrissen! „ICH HABE SIE GETÖTET!“ Alle zuckten zusammen, Moon verlor endgültig die Fassung und fiel zu Boden, Amber ging mit ihr in die Knie. Jade versuchte noch einmal, nach meiner Schulter zu greifen. Ich stolperte rückwärts.

Es war zu spät. Die Uhrenzeiger hatten zur falschen Zeit angehalten und würden nie wieder weiterticken. Und der Gedanke flammte so jäh in mir auf, dass es sich wie ein Schlag in den Magen anfühlte.

Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, kehrte ich mich um, sprang zur Tür, riss sie auf und rannte. Rannte, obwohl meine Füße nackt waren und sich jeder Stein, auf den ich trat, schmerzhaft in die Haut bohrte. Es gab jetzt nur noch eins, was ich tun musste. Eine Sache.

Und dann würde auch meine Uhr zum Stillstand kommen.
 

Linkin Park - Easier to run
 

Ich wählte Umwege, um nicht von Menschenmassen aufgehalten zu werden. Sprang über Zäune, durchquerte verlassene Baustellen und vernahm schließlich, wie der Kiesboden unter meinen Füßen knirschte, auf den ich schon die ganze Zeit gewartet hatte. Meine Lungen pochten unangenehm heiß, der Atem war nur ein rasselnder Sog. Trotzdem blieb ich nicht stehen, wurde jedoch langsamer, bis meine Schritte kaum noch zwanzig Zentimeter maßen.

Regen peitschte die Blätter über meinem Kopf, durchweichte den schwarzen Leinenstoff meines Oberteils und klebte meine Haare in der Stirn und im Nacken an der Haut fest.

Abrupt stoppte ich. Efeu raschelte im Wind, Wassertropfen perlten von seinen Blättern. In der Vase stand ein neuer Strauß aus Lilien und Rosen, der durch den Niederschlag schwer hing und unentwegt geschüttelt wurde.

„Mrs. Adams“, stieß ich heiser hervor. Dann zerfiel auch der letzte Rest Energie, der dafür gesorgt hatte, dass ich bis hierhin gekommen war, und ich brach vornüber auf die Knie zusammen. „Es tut mir Leid… Es tut mir so leid!“ Meine Stimmbänder mussten gerissen sein, anders konnte ich mir nicht erklären, weshalb der Schmerz mit jedem weiteren Wort an Intensität gewann. Auch die Herzstiche waren zurückgekehrt, fraßen sich unbarmherzig durch mich hindurch. Aber das war egal. Ich hatte es nicht anders verdient.

„Ich habe versagt“, keuchte ich, hielt dem Blick des Grabsteins nicht stand, krallte die Hände in den Efeu und bettete mein Gesicht darauf. „Ich konnte sie nicht retten! Ich habe es euch versprochen, aber ich habe versagt!“ Ungewollt richtete ich mich wieder auf, Regen strömte auf mein Gesicht ein, floss gemeinsam mit den Tränen und es machte keinen Unterschied mehr, ob es der Grabstein war oder seine seelenlosen Augen. Er war hier, das war nicht mehr zu leugnen.

„Eure Tochter hat mich gerettet. Sie hat mich davon abgehalten, jemanden zu töten, der mir sehr wichtig ist… Sie hat sich selbst geopfert, damit ich nicht mit dieser Schuld leben musste…“ Ich konnte nicht mehr weitersprechen, denn die nächste Welle von Schluchzern schwappte über mich hinweg. „Es hätte so nicht kommen dürfen! Ihre Gabe hat meine reflektiert, aber obwohl sie auf mich selbst zurückgefallen ist, bin ich am Leben und sie… sie…“

Ich schrie. Darin lagen all die Stimmen, die ich in mich aufgenommen hatte, der Todesschmerz all jener, die unter meinem Blick gestorben waren. Ich hatte Geschichten ausradiert, Namen, hinter denen Freunde standen, Familie. Sie hatten Menschen gehabt, die sie geliebt hatten. Wie hatte ich mit all dieser Schuld weiterleben können? Wie war es mir all die Jahre gelungen? Ich krallte die Hände in meine Haare und schrie weiter, obwohl selbst das keine Luft zu machen schien.

Schlagartig hielt ich inne, wirbelte herum und kroch auf eine Pfütze zu, die sich unweit von mir gebildet hatte. Ich kauerte mich davor zusammen, meine Hände versanken in der matschigen Erde und dann erkannte ich mein eigenes Gesicht in der unruhigen Wasseroberfläche.

„Na, komm schon…“, knurrte ich und konzentrierte mich mit aller Macht auf meine Gabe. Die Augen des Spiegelbildes hatten rote Ränder, die aussahen wie frische Wunden, die Iris schimmerte, aber es geschah nichts. „KOMM SCHON!“ Aber es hatte keinen Sinn. Ich konnte die Gabe nicht auf mich selbst anwenden, so funktionierte es nicht… Doch ich gab nicht auf, ich stierte weiterhin auf das schmutzige Wasser, bis unvorhergesehen etwas aus der Brusttasche des Hemdes purzelte und in die Pfütze fiel.

Ich holte es wieder heraus. Es war der Obsidian.

„Hör auf, mich so anzuschauen“, brachte ich hervor. „Hör auf, Mitleid mit mir zu haben, du weißt genau, dass ich es nicht verdient habe.“ Hatte es noch einen Sinn, weiter hier auszuharren? Aber was sollte ich sonst tun?

„Ich muss sie noch einmal sehen“, hauchte ich schließlich, ließ den Stein zurück in die Tasche fallen und kam stockend zurück auf die Beine. „Dann finde ich einen Weg, es zu Ende zu bringen.“ Mit einem letzten Blick auf den Grabstein, schlurfte ich zum Friedhofstor und fing wieder an zu laufen, als ich den Bogen hinter mir gelassen hatte.

Wie schnell doch alles seine Bedeutung verlieren konnte. Wie vergänglich Anteilnahme war. Moon und Amber und Jade. Mako. Es war für keinen von ihnen ausgestanden und ich war feige, sie im Stich zu lassen, weil ich es nicht mehr fertigbrachte, mit mir selbst weiterzuleben. Ich war immer feige gewesen, war weggelaufen, anstatt mich den Konsequenzen zu stellen. Es war stets der einfachere Weg gewesen. Und schon wunderte es mich nicht mehr, dass ich all die Zeit mit dem Wissen, so viele Leben getilgt zu haben, hatte weiteratmen können. Jace war anders gewesen, hatte Mako gesagt und vielleicht hatte sie dabei nie von mir gesprochen, vielleicht hatte sie mich nur verwechselt und ich hatte mir eingebildet, sie zu kennen, um mich wenigstens für eine Zeit lang mutig zu fühlen.

Was auch immer es war. Jetzt hatte es seinen Wert verloren.

Die Zeit war weder weiß noch schwarz.

Sie war grau.
 

Ethos Music - Nothing Left to Lose
 

Es fiel mir nicht sofort auf, weil der Regen weiterhin einen Wall aus blauem Dunst in der Luft verteilte, aber als eine Blüte auf mein Auge fiel und ich sie wie in Trance fortnahm, erkannte ich, dass die Kirschbäume angefangen hatten, zu blühen. Oder zumindest ein paar Äste. Es musste vorher schon begonnen haben, da sich bereits dünne Schichten auf dem Boden abgelagert hatten. Mein Körper schwieg allerdings. Meine Züge blieben ohne Ausdruck. Ich wusste, dass meine Füße vom Laufen über die Steine wund waren, an einigen Stellen sogar bluteten, aber ich konnte es nicht fühlen. Auch nicht, dass meine Knie aufgeschürft waren, da ich viele Male die Balance verloren hatte und hingefallen war. Und ganz zu schweigen von meinem Herz, das wie ein pulsierendes Wespennest in meiner Brust lag.

Nein. Alles, was ich spüren konnte, war das Nichts. Dagegen kamen die vielen Momente, in denen ich vor dem Fenster in meinem Apartment gestanden hatte, nicht an. Diese Art von Taubheit hatte ich nie zuvor durchlebt.

Wie ein Schlafwandler wandte ich mich zum Haupthaus, tappte blind durch die Gänge, Treppen hinauf und zog eine Spur aus Regenwasser hinter mir her. Wann immer mir Schüler entgegenkamen, wichen sie erschrocken zurück und machten sich aus dem Staub. Doch kurz vorm Krankenzimmer, stand jemand und blieb entschlossen, wo er war. Es kostete mich all meine Konzentration, um sie anzusehen und zu erkennen, dass es Mira war. Sie weinte.

„Es tut mir so leid.“ Wahrscheinlich nickte ich, vielleicht auch nicht. Dann griff ich nach der Türklinke und erwartete schon, dass Jade auf mich einreden würde. Und wenn nicht sie, dann Moon und Amber. Aber in dem Zimmer war es überraschend still. Fast schien es, als würde sich die Atmosphäre neu anordnen und ich hob träge den Blick vom Boden.

Und da war sie. Die Augen geöffnet und wie so oft voller Tränen, dass die ganze, kristalline Iris zu einem Funkenregen wurde. Darunter jedoch ein Lächeln. Es vibrierte, verformte sich, ihre Lippen beschrieben einen Namen. Meinen Namen. Die Tränen fielen.

Schon war ich neben ihr, verlor den Halt, vergaß, wie man sprach, wie man atmete, wie man sich bewegte. Sie schwang die Decke beiseite und fiel vom Bett, direkt in meine Arme und augenblicklich strömte alles in mich zurück. Die Luft preschte wie eine Lawine aus meinen Lungen, in meinen Augen sammelten sich die Tränen, meine Arme legten sich mit aller Kraft um den Körper vor mir, drückten ihn so fest und verzweifelt, als befürchtete ich, es könnte nur ein Traum sein.

„Crystal!“, wimmerte ich, vergrub die Hand in ihrem Haar, die andere in ihrem Oberteil. „Oh Gott, Crystal…!“ Sie weinte ebenfalls, hielt sich ebenso eisern an mir fest und keuchte immer und immer wieder meinen Namen. Konnte es wirklich sein? Durfte ich daran glauben, dass es wahrhaftig geschah?

Und da erfasste mich noch einmal die Erkenntnis, wie schnell etwas zu Ende sein konnte. Wie es sich in Luft auflöste und den Boden unter den Füßen wegriss. Ich durfte es niemals wieder mit weniger Wert behandeln. Jede Sekunde war voll von Fristen, die allzu schnell ablaufen konnten. Egal, was Worte formulierten, Leben ist am Ende immer ein Raum aus Möglichkeiten und wenn man sich für die entschied, die nicht dahin führten, wo man eigentlich hinwollte, dann bereute man es früher oder später. Aber Taten waren zeitlos. Und darum ließ ich mir keine Verzögerung mehr aufzwingen.

„Crystal…“, flüsterte ich und trennte mich vorsichtig von ihr. Sie kam meiner Geste widerwillig nach und als sich unsere Blicke trafen, beide aufgelöst in Tränen, lachte sie wacklig auf, ließ die Hände auf meine Wangen sinken, dann zu meiner Brust, klammerte sich in den Stoff des Oberteils, ließ wieder los und war völlig außer sich. Mir ging es nicht anders. Ich strich ihr die Haare aus dem Gesicht, fuhr mit zittrigen Fingern über ihre Wange und bemerkte, dass ich den Kopf hin und herschüttelte. „Ich liebe dich, Crystal.“
 

Vielleicht waren wir nicht so unterschiedlich, wie ich mir eingeredet hatte, oder vielleicht waren wir es doch – so sehr, dass wir genau nebeneinander liefen. Pulsschlaggleich, sie der erste Halbton, ich der zweite.



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