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Tänzer der Finsternis

von

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Der schwarze Stern

Von draußen dröhnen die lauten Beats der Industrialmusik an mein Ohr, selbst die Wände unserer kleinen Umkleidekabine vibrieren unter der Lautstärke. Ich bin gerade in mein langes schwarzes Kleid geschlüpft, welches ich bei dem heutigen Auftritt tragen werde. Am Saum sind einige weiße Flecken zu sehen, was mich jedoch nicht sonderlich stört. Ich werfe einen Blick in den beleuchteten Spiegel und versuche, meine schwarzen Haare ein wenig zu ordnen. Vor einigen Wochen habe ich sie seitlich abrasieren lassen, hinten jedoch sind sie weiterhin schulterlang. An meinem Gesicht fällt mir eigentlich nur die sehr bleiche Haut auf, und das ohne die Nutzung von Make-up; sie ist das Resultat von sehr häufigen Rücken- und Nackenschmerzen sowie unzähligen schlaflosen Nächten, welche zuweilen mit Alkohol getränkt waren. Zum Glück müssen wir heute die Augen schwarz schminken, auf diese Art und Weise bemerkt man es nicht. Viele meiner Freunde meinen, ich solle etwas kürzer treten, mich mehr entspannen, mehr auf mich achten. Aber es ist unmöglich: Tanzen ist momentan der einzige Weg zu vergessen. Wenn ich die Bühne betrete und die abstrakten Klänge sich meines Körpers bemächtigen, bin ich nur noch Disziplin und Konzentration. Jede persönliche Emotion stirbt für diesen, manchmal viel zu kurzen, Zeitraum.

Mein Bühnenpartner betritt die Umkleidekabine; er ist um so viel positiver und auch offener als ich, besonders im Hinblick auf die englische Sprache, welche für uns Japaner schwierig zu lernen ist. Während ich zuweilen nach Vokabeln suche und oft nur beschämt den Kopf senke, plappert er einfach weiter, ohne sich um Fehler zu kümmern. Manchmal beneide ich ihn darum… Erst auf den zweiten Blick fällt mir sein schelmisch-sanftes Grinsen auf, was durch die etwas zu hell funkelnden Augen noch verstärkt wird; was zum Teufel hat er nun wieder vor? Langsam bin ich seiner Aktionen, besonders in Sachen Liebe, ziemlich überdrüssig, auch wenn er es nicht böse meint. Zumal in seinem Tun und Handeln ein Körnchen Wahrheit liegt: In meinem Innern wohnt eine Leere, klafft ein riesiges Loch, welches nicht zu füllen ist; warum versteht das niemand?

Erst jetzt bemerke ich, dass sein Blick dezent zur Tür weist. Mit einem fragenden Gesichtsausdruck öffne ich diese einen Spalt bereit und… im nächsten Moment gefriert mir das Blut in den Adern. Dort, knapp zwei Meter von der Bühne entfernt, auf einem ledernen Sessel, sitzt SIE. Das rot-weiße, bodenlange Kleid bedeckt die gesamte Fläche, teilweise sogar die Armlehnen. Das glitzernde Diadem, welche ihre langen, rotbraunen Haare schmückt, verleiht ihr das Aussehen und die Würde einer Prinzessin. Schon viele haben ihr diesen Spitznamen gegeben und die Faszination jener Ausstrahlung vermag ich nicht zu leugnen. Ihre ebenfalls braunen Augen leuchten eine Spur heller als bei unserem letzten Treffen in Bonn. Nur zu gerne erinnere ich mich an diese Begegnung, besonders an jenen Augenblick, wo wir uns unter freiem Sternenhimmel umarmten. Ein Teil von mir hat sie damals nicht wieder loslassen wollen, denn ich habe mich so geborgen gefühlt; als würde ich von einer langen Reise zurückkehren. In meiner Brust regt sich etwas und ich fluche stumm. Nein, das darf nicht sein.

Auf dem Absatz mache ich kehrt und hoffe, dass sie mich nicht gesehen hat. In der Kabine funkele ich meinen Partner wütend an, was dieser nur mit einem leisen Lachen quittiert. Eigentlich wollte ich mich jetzt in die Meditation begeben, denn dieser Teil der Vorbereitung ist mindestens genauso wichtig wie die körperliche Fitness. Aber meine ganze Konzentration liegt brach und meine so geliebte Stille bekommt einige tiefe Risse. Und das alles nur, weil SIE da ist; diese Frau zerstört meine so sorgsam aufgebaute Fassade, als wäre sie aus Papier. Nur mühsam kann ich meine Wut beherrschen; einzig allein meine verdächtig zuckende Hand verrät sie. Aber ein Blick zu meinem Partner sagt mir, dass er verstanden hat.

Es ist soweit; wir müssen auf die Bühne. Jene nunmehr deutlich schwermütigeren Töne umhüllen meinen Körper wie ein Leichentuch, schwer liegt der hölzerne Stab in meiner Hand. Der Charakter und ich werden eins, verschmelzen zu einer Symbiose, zu einer untrennbaren Einheit. Aber so ganz will es mir heute nicht gelingen… Schuld daran ist zweifelsohne SIE. Die braunen Augen (weiß sie eigentlich, wie stechend diese sind?) sind auf mich fixiert und lassen mich nicht mehr los. Sie leuchten wie Bernsteine; ein freudig-warmer Ausdruck liegt in ihnen und genau dieser Ausdruck ist es, welcher das tote Ding in meiner Brust wieder zum Schlagen bringt. Nein, ich will das nicht!

Mit dem Holzstab ziehe ich meinem Partner den Boden unter den Füßen weg und wende dabei mehr Kraft auf, als notwendig gewesen wäre. Er wird danach einige blaue Flecken mehr haben. Ich versuche, vollkommen in dem Tanz aufzugehen, wirklich alles zu geben. Jede meiner Bewegungen soll pure Dramatik, pures Können ausdrücken. Aber ich kann diese Wut auf mich selbst kaum noch kontrollieren, immer wieder werfe ich einen Seitenblick in ihre Richtung. In der Mitte der Performance verändert sich ihr Gesichtsausdruck; er wird trauriger, sie zittert wie Espenlaub und ein paar Tränen glitzern in ihren Augen. Kann es wirklich sein…?

Nein, das ist unmöglich; niemand kann die persönlichen Gefühle oder meinen Schmerz hinter meinen tänzerischen Bewegungen erkennen. Ich gehe zu Boden, aber diesmal ist mein qualvoller Blick authentisch und nicht gespielt wie sonst. Unsere Blicke treffen sich, wie im Nebel sehe ich, wie sie ohne Furcht die Hand nach mir ausstreckt. Würde sie mich wirklich halten, selbst in der dunkelsten Stunde? Das warme, ohne Zweifel angenehme Gefühl verstärkt sich. Ich weiß, warum ich sie in mein Leben ließ, die größte Qual und den schwersten Verlust, welchen ein Mensch erleiden kann, mit ihr teilte. Ihre Lippen haben immer ein freundliches Wort gesprochen, haben Trost gespendet und meine Welt bis zu einem gewissen Grade auf den Kopf gestellt. Zum ersten Mal habe ich meinen Wert erkannt, in einer Zeit, wo er schon verloren schien… Und in ihren Umarmungen fühlte ich eine Sicherheit, wie sie mir niemand anders hätte geben können.

Die Performance ist zu Ende, mein Partner und ich ziehen uns zurück, heißer Schweiß rinnt von unseren Körpern. Aus den Augenwinkeln sehe ich, wie sie ebenfalls den Club verlässt, nicht ohne sich noch einmal umzudrehen. Ihr Mund formt einige Worte, die ich nicht verstehe. Doch ein großer Teil von mir möchte ihr nachlaufen. In der schützenden Kabine sinke ich zu Boden, ringe mit dem Kopf in den Händen. Mir dämmert langsam, was das für ein Gefühl ist. und so ziemlich alles in mir sträubt sich dagegen.

„Mensch Shimo“, dringt die Stimme meines Partners an mein Ohr, „wieso sagst du ihr nicht einfach, dass du sie liebst?“
 

Ende



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